§ 259a SGB VI greift für alle Versicherten aus der DDR, die am 18. Mai 1990 ihren gewöhnlichen Aufenthalt in den alten Bundesländern hatten. Eine weitergehende Differenzierung dieses Personenkreises nach Datum der Ausreise aus der DRR ist nicht möglich.
Es spricht viel dafür, § 259a SGB VI für ungleiche Gruppen gleichheitswidrig gleiche Rechtsfolgen normiert. Zwischen der Gruppe derjenigen, die aus der ehemaligen DDR bereits bis zum 18. Oktober 1989 ausgereist sind, und der Gruppe, die danach bis zum 18. Mai 1990 in das Gebiet der Bundesrepublik gelangt sind, bestehen erhebliche Unterschiede.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 18. November 2021 wird zurückgewiesen.
Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Der Kläger begehrt eine höhere Altersrente unter Berücksichtigung rentenrechtlicher Zeiten nach dem Fremdrentengesetz (FRG).
Der am 1952 geborene Kläger ist in der DDR geboren und am 21. Februar 1989 in die Bundesrepublik Deutschland geflüchtet. Mit Bescheid vom 13. Juni 1989 erkannte die ehemalige Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) als Rechtsvorgängerin der Beklagten gegenüber dem Kläger rentenrechtliche Zeiten nach dem FRG von Juli 1970 bis Februar 1989 als Beitragszeiten ohne Kürzung an.
Mit Bescheid vom 18. August 2004 bewertete die BfA die rentenrechtlichen Zeiten von Juli 1970 bis Februar 1989 nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Herstellung der Rechtseinheit in der gesetzlichen Renten- und Unfallversicherung – Rentenüberleitungsgesetz (RÜG) vom 25. Juli 1991 (BGBl. I S. 1606) neu und ermittelte für Beitragszeiten im Beitrittsgebiet Entgeltpunkte nach § 256a Abs. 1 Satz 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI). Der Bescheid vom 13. Juni 1989 über die Feststellung dieser Zeiten wurde nach § 149 Abs. 5 Satz 2 SGB VI aufgehoben, soweit er nicht dem nun geltenden Recht entsprach. Der Bescheid wurde vom Kläger nicht angegriffen.
Am 16. Oktober 2017 beantragte der Kläger die Gewährung einer Regelaltersrente ab dem 1. Januar 2018. Mit Bescheid vom 13. Februar 2018 gewährte die Beklagte dem Kläger eine Regelaltersrente ab dem 1. Januar 2018 in Höhe von monatlich 633,49 Euro (Zahlbetrag nach Abzug Kranken- und Pflegeversicherungsbeitrag: 564,13 Euro). Die Zeiten von Juli 1970 bis Juni 1974 berücksichtigte sie als Zeiten einer Schul- und Hochschulausbildung und damit als Anrechnungszeiten und die Zeiten von September 1974 bis März 1989 als Pflichtversicherungszeiten im Beitrittsgebiet. Rentenrechtliche Zeiten nach dem FRG berücksichtigte die Beklagte nicht.
Am 13. März 2018 legte der Kläger Widerspruch gegen den Bescheid ein. Er führte zur Begründung aus, ihm seien als Flüchtling aus der ehemaligen DDR mit Bescheid der BfA vom 13. Juni 1989 die Anerkennung erworbener Rentenansprüche nach dem FRG bestätigt worden. Er habe auf den Fortbestand dieser Entscheidung vertraut. Ein Bescheid vom 18. August 2004 sei ihm nicht bekannt.
Mit Widerspruchsbescheid vom 9. Juli 2018 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Eine Bewertung der vor dem 19. Mai 1990 im Beitrittsgebiet zurückgelegten Zeiten nach dem FRG erfolge nur noch für Versicherte, die vor dem 1. Januar 1997 (ersichtlich gemeint: 1. Januar 1937) geboren seien und am 18. Mai 1990 ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet gehabt hätten. Da der Kläger aufgrund seines Geburtsjahrganges nicht dem genannten Personenkreis angehöre, sei der Bescheid vom 13. Juni 1989 mit Bescheid vom 18. August 2004 über die Anerkennung von Zeiten nach dem FRG aufgehoben worden.
Am 23. Juli 2018 hat der Kläger hiergegen Klage beim Sozialgericht Potsdam erhoben. Er sei vor dem im Widerspruchsbescheid angegebenen Datum vom 1. Januar 1997 geboren und sei seit dem 17. Februar 1989 in der Bundesrepublik gemeldet gewesen und habe auch dort gewohnt. Er berufe sich auf Vertrauensschutz.
Mit Urteil vom 18. November 2021 hat das Sozialgericht Potsdam die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger könne sich nicht auf die Bindungswirkung des Feststellungsbescheides der ehemaligen BfA vom 13. Juni 1989 berufen, weil dieser durch die Beklagte als Rechtsnachfolgerin der BfA mit Vormerkungsbescheid vom 18. August 2004 auf der Grundlage der Bestimmungen von Art. 38 Satz 1 und 2 RÜG beseitigt worden sei. Die Beklagte habe auch zu Recht die Bewertung der im Beitrittsgebiet durch den Kläger zurückgelegten Zeiten nach §§ 256a bis 256c SGB VI und nicht aufgrund der Tabellen 1 bis 16 zum FRG vorgenommen. Eine Feststellung rentenrechtlicher Zeiten nach den FRG-Tabellen finde nur Anwendung, wenn Versicherte vor dem 1. Januar 1937 geboren seien und ihren gewöhnlichen Aufenthalt am 13. Mai 1990 (ersichtlich gemeint: 18. Mai 1990) im Gebiet der Bundesrepublik ohne das Beitrittsgebiet gehabt hätten. Für alle später Geborenen – wie den am 2. Juni 1952 geborenen Kläger – seien die Entgeltpunkte zur Bestimmung der Rentenhöhe immer nach §§ 256a bis 256c SGB VI zu ermitteln. Seit Inkrafttreten des RÜG vom 25. Juli 1991 (BGBl. I S. 1606 ff) fehle es an einer Rechtsgrundlage zur Bewertung der von dem Kläger zurückgelegten Zeiten nach Maßgabe des FRG. Der durch Art. 14 Nr. 14a RÜG zum 1. Januar 1992 neu gefasste § 15 Abs. 1 FRG schließe die Anwendbarkeit des FRG auf im Beitrittsgebiet zurückgelegte rentenrechtliche Zeiten aus. Ebenso sei mit Art. 14 Nr. 16b RÜG § 17 Abs. 1 FRG a. F. gestrichen worden. Es sei dabei eine Vertrauensregelung geschaffen worden, die jedoch für den Kläger aufgrund seines Geburtsjahrganges 1952 nicht greife. Daher seien die Entgeltpunkte nach § 256a SGB VI zu berechnen. Verfassungsrechtliche Bedenken würden hinsichtlich der Regelungen des Art. 38 RÜG bzw. 259a Abs. 1 Satz 1 SGB VI unter Berücksichtigung der Entscheidungsgründe des Nichtannahmebeschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 13. Dezember 2016 im Verfahren 1 BvR 713/13 nicht bestehen.
Gegen das am 30. November 2021 zugestellte Urteil des Sozialgerichts Potsdam hat der Kläger am 30. Dezember 2021 Berufung eingelegt. Zur Begründung hat er ausgeführt, nach seiner Ansicht seien in seinem Fall die rentenrechtlichen Zeiten nach dem FRG anzuwenden.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Potsdam vom 18. November 2021 sowie unter Abänderung des Bescheides vom 13. Februar 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Juli 2018 die Beklagte zu verurteilen, ihm eine höhere Regelaltersrente ab dem 1. Januar 2018 unter Zugrundelegung rentenrechtlicher Zeiten von Juli 1970 bis Februar 1989 nach dem FRG zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Mit Schreiben vom 27. Juni 2022 hat das Gericht den Beteiligten mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, die Berufung, die der Senat für unbegründet halte, durch Beschluss zurückzuweisen. Die Beklagte hat auf Bitte des Gerichts unter dem 1. November 2022 eine Probeberechnung vorgenommen, wie hoch die Rente des Klägers bei einer Berechnung nach dem FRG wäre.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Verwaltungsakte verwiesen. Diese waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.
II.
1. Die Berufung wird gemäß § 153 Abs. 4 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einstimmig durch Beschluss zurückgewiesen. Nach § 153 Abs. 4 Satz 1 SGG kann das Landessozialgericht, außer in den Fällen des § 105 Abs. 2 Satz 1 SGG, die Berufung durch Beschluss zurückzuweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Vorliegend geht es ausschließlich um Rechtsfragen. Die Beteiligten sind gemäß § 153 Abs. 4 Satz 2 SGG angehört worden und hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.
Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Berufung des Klägers (§§ 130, 144, 151 SGG) ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat mit dem angefochtenen Urteil vom 18. November 2021 zutreffend die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 13. Februar 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Juli 2018 abgewiesen. Dem Kläger steht keine höhere als die bewilligte Regelaltersrente ab dem 1. Januar 2018 in Höhe von monatlich 633,49 Euro zu (Zahlbetrag nach Abzug des Kranken- und Pflegeversicherungsbeitrags: 564,13 Euro). Die Beklagte hat die Rente zutreffend berechnet und hierbei ohne Rechtsfehler die Zeiten von Juli 1970 bis Juni 1974 als Zeiten einer Schul- und Hochschulausbildung als Anrechnungszeiten und die zu berücksichtigenden Zeiten von September 1974 bis März 1989 als Pflichtversicherungszeiten im Beitrittsgebiet zugrunde gelegt. Nach dem Fremdrentengesetzes (FRG) sind für den Kläger nach dem geltenden Recht keine rentenrechtliche Zeiten zu berechnen. Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist der Senat auf die Begründung des Sozialgerichts Potsdam in dem Urteil vom 18. November 2021 und weist die Berufung aus den zutreffenden Entscheidungsgründen des Urteils als unbegründet zurück, § 153 Abs. 2 SGG.
Ergänzend ist folgendes anzumerken: Auf das FRG soll nur noch für vor dem 1. Januar 1937 Geborenen verwiesen werden, und zwar ohne Differenzierung nach dem Datum der Ausreise bzw. der Flucht oder (ab der sog. Wende) dem Wegzug aus der DDR, vgl. § 259a SGB VI i. d. F. des Art. 1 Nr. 75 RÜG. bzw. i. d. F. des Art. 1 Nr. 16b des Rentenüberleitungs-Ergänzungsgesetzes (RÜ-ErgG vom 24. Juni 1993, BGBl. I S. 1038 ff). Nur für bis zum 18. Mai 1990 in das Altbundesgebiet gelangte und vor dem 1. Januar 1937 geborene Versicherte werden die Entgeltpunkte aufgrund der Anlagen 1 bis 16 zum FRG ermittelt.
Soweit vertreten worden ist, § 259a SGB VI sei einschränkend auszulegen, für Übersiedler greife § 259a SGB VI von vornherein nicht (Geis/Kowalczyk, in: NJ 2022, 289, 292), verfängt dies nicht. Die Ansicht, § 259a SGB VI solle nicht für Altflüchtlinge gelten, aus der DDR Ausgereiste hätten Ansprüche gegen den Versicherungsträger der DDR nicht mehr gehabt und seien deshalb von § 259a SGB VI gar nicht betroffen, findet weder im Gesetz noch in den Gesetzesmaterialien Rückhalt; schon die amtliche Überschrift des Paragraphen „Besonderheiten für Versicherte der Geburtsjahrgänge vor 1937“ belegt dies. Es trifft zu, dass der Gesetzgeber durch den Einigungsvertrag verpflichtet gewesen war, die im Zeitpunkt der Wiedervereinigung gegen den Versicherungsträger der DDR bestehenden Rentenansprüche überzuleiten. Wenn er einer solchen Verpflichtung nachkommt, kann er indes grundsätzlich weitere Personengruppen in eine einheitliche Neuregelung einbeziehen. Aus einer Neuregelung kann nicht der Schluss gezogen werden, anlässlich der Regelung für eine bestimmte Personengruppe würden für alle anderen Personen die bestehenden Rechtspositionen unverändert bleiben (so aber: Geis/Kowalczyk, in: NJ 2022, 289, 292). Der Wortlaut der einfachgesetzlichen Bestimmung enthält keinerlei Hinweis, dass die Regelung ausschließlich für die Personen greifen solle, deren Ansprüche gegen die Rentenversicherung der DDR erst und gerade durch die Wiedervereinigung untergegangen sind. Auch die Gesetzesmaterialien geben dafür nichts her, sie weisen vielmehr deutlich in eine andere Richtung (ausführlich Landessozialgericht [LSG] Baden-Württemberg, Urteil vom 3. Juli 2019 – L 2 R 3888/18 –, Juris). Ein entsprechendes Verständnis des Gesetzes wird folgerichtig, soweit ersichtlich, in Rechtsprechung und Literatur bis auf die dargestellte vereinzelte Äußerung nicht vertreten (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 14. Dezember 2011 – B 5 R 36/11 R –; Bayerisches LSG, Beschluss vom 13. September 2021 – L 13 R 282/21 –; LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 17. September 2019 – L 18 R 515/19 –; jeweils Juris).
Die Regelung gilt damit für alle Versicherten aus der DDR, die am 18. Mai 1990 ihren gewöhnlichen Aufenthalt in den alten Bundesländern hatten. Eine weitergehende Differenzierung dieses Personenkreises nach Datum der Ausreise bzw. Flucht oder Umzug aus der DDR ist dem Senat nicht möglich. Eine Interpretation, die im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung den klaren Wortlaut des Gesetzes hintanstellt, keinen Widerhall im Gesetz findet und vom Gesetzgeber nicht ausdrücklich oder – bei Vorliegen einer erkennbar planwidrigen Gesetzeslücke – in der Sache gebilligt wird, griffe unzulässig in die Kompetenzen des demokratisch legitimierten Gesetzgebers ein (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25. Januar 2011 - 1 BvR 918/10 -, Juris, Rn. 53) und wäre ihrerseits verfassungswidrig. Der Gesetzgeber hätte im Übrigen viele Jahrzehnte - in bestimmten verfassungsrechtlichen Grenzen - Gelegenheit gehabt, das Gesetz zu korrigieren oder klarzustellen, wenn wirklich die Sozialgerichtsbarkeit in vermeintlich „willkürlich anmutender“ Art und Weise (so aber Geis/Kowalczyk, in: NJ 2022, 289, 290) die Bestimmung praktisch in ihr Gegenteil verkehrt hätte. Dass diese Klarstellung oder Korrektur über mehrere Jahrzehnte nicht geschehen, ja, soweit ersichtlich, nicht einmal versucht worden ist, bestätigt die Richtigkeit der Interpretation der Sozialgerichte zu § 259a SGB VI.
2. Für den Senat bestehen aber erhebliche Zweifel, ob die rentenrechtliche Gleichbehandlung aller bis zum 18. Mai 1990 aus der DDR Ausgereisten ohne Berücksichtigung des Ausreisedatums mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist. § 259a SGB VI behandelt nach Ansicht des Senats wesentlich ungleiche Personengruppen unzulässig gleich. Zwischen der Gruppe derjenigen, die aus der ehemaligen DDR bereits bis zum 18. Oktober 1989 ausgereist sind, und der Gruppe, die erst nach dem 18. Oktober 1989 bis zum 18. Mai 1990 in das Gebiet der Bundesrepublik gelangt sind, bestehen ganz erhebliche, charakteristische Unterschiede, die vom Gesetzgeber gleichheitswidrig übergangen worden sind.
a. Zum Hintergrund: Flüchtlinge und Übersiedler aus der DDR wurden über viele Jahre, weil sie infolge ihrer Ausreise oder Flucht den Rentenversicherungsträger der DDR nicht mehr in Anspruch nehmen konnten, durch das FRG so gestellt, als hätten sie ihre rentenrechtlichen Beitragszeiten in der Bundesrepublik erbracht. Zu diesem Zweck wurde diesen Personen ohne Bezug auf die in der DDR tatsächlich erzielten Einkommen oder die gezahlten Beiträge ein bestimmtes versicherungspflichtiges Einkommen in Abhängigkeit von der jeweils ausgeübten beruflichen Tätigkeit zugeordnet. Maßgeblich waren Qualifikation und Wirtschaftszweig, die Mitgliedschaft in der Freiwilligen Zusatzrentenversicherung spielte keine Rolle.
Diese Regelung blieb auch unverändert, als infolge der friedlichen Revolution und der Öffnung der Mauer eine nunmehr außerordentlich große Zahl von Menschen aus der DDR in das Altbundesgebiet zog.
Aufgrund des Staatsvertrages zu der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zum 1. Juli 1990 galt das Fremdrentengesetz dann nur noch für in der DDR zurückgelegte Beschäftigungszeiten von Übersiedlern, die bis zu dem 18. Mai 1990 ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik genommen hatten. Der Einigungsvertrag ließ die Rechtslage unverändert. Das am 1. Januar 1992 in Kraft getretene Rentenüberleitungsgesetz (RÜG) änderte dies. Das Fremdrentengesetz erfasste gemäß der Verweisungsnorm § 259a SGB VI alle Versicherte, die bis zum 18. Mai 1990 ihren gewöhnlichen Aufenthalt genommen hatten, nur noch mit einem Rentenbeginn vor dem 1. Januar 1996. Diese Regelung wurde wenig später durch das Rentenüberleitungs-Ergänzungsgesetz dahingehend modifiziert, dass § 259a SGB VI nicht mehr auf den tatsächlichen Rentenbeginn abstellt, sondern für alle Versicherten gilt, die vor dem 1. Januar 1937 geboren sind, ohne nach dem Datum des tatsächlichen Zuzugs in das Altbundesgebiet (vor bzw. nach der friedlichen Revolution) zu differenzieren.
Im Ergebnis wird bei der Rentenberechnung gemäß § 259a SGB VI das FRG nur noch bei Übersiedlern und Flüchtlingen, die vor dem 1. Januar 1937 geboren sind, aus Gründen des Vertrauensschutzes angewandt. Das Datum des Zuzugs ist dagegen ohne Belang. Damit erfasst die rückwirkende Neuordnung der materiellen rentenrechtlichen Voraussetzungen auch Übersiedler, die bereits seit den 1970-er Jahren in der Bundesrepublik lebten bzw. leben. Diese neue Rentenberechnung führt in den allermeisten Fällen zu einer - teils deutlich - geringeren Rente als bei einer Berechnung nach dem Fremdrentengesetz.
b. Für den Senat bestehen erhebliche Zweifel an der Vereinbarkeit von § 259a SGB VI mit Art. 3 Abs. 1 GG. Er hat deshalb intensiv erwogen, hierzu eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen.
Der allgemeine Gleichheitssatz gebietet dem Gesetzgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (vgl. BVerfGE 116, 164,180; 122, 210, 230). Aus ihm ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die von einem bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an die Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen (vgl. BVerfGE 110, 274, 291; 122, 210, 230). Bei der Überprüfung eines Gesetzes auf seine Vereinbarkeit mit dem Gleichheitssatz ist vom Bundesverfassungsgericht nicht zu untersuchen, ob der Gesetzgeber die zweckmäßigste oder gerechteste Lösung gefunden hat, sondern nur, ob er die verfassungsrechtlichen Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit überschritten hat (vgl. BVerfGE 84, 348, 359 m. w. N.; 110, 412, 436). Je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmal ergeben sich dabei unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen. Bei der Ordnung von Massenerscheinungen ist der Gesetzgeber berechtigt, generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen zu verwenden, ohne allein wegen der damit verbundenen Härten gegen den allgemeinen Gleichheitssatz zu verstoßen. Allerdings setzt eine zulässige Typisierung voraus, dass diese Härten nur unter Schwierigkeiten vermeidbar wären (vgl. BVerfGE 84, 348, 360; 87, 234, 255 f), lediglich eine verhältnismäßig kleine Zahl von Personen betreffen und der Verstoß gegen den Gleichheitssatz nicht sehr intensiv ist (vgl. BVerfGE 63, 119, 128; 84, 348, 360; 117, 1, 31; 120, 1, 30; zum Verhältnis vom Sozialstaatsgebot zu Art. 3 GG siehe auch Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 17. Aufl. 2022, Art. 20 Rn. 165 ff).
Geht es nicht um eine Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem, sondern, wie hier, um eine Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem, sind im Ausgangspunkt dieselben Kriterien in Ansatz zu bringen (BVerfG, Beschluss vom 7. April 2022 – 1 BvL 3/18 –, Juris Rn. 280). Wie bei der Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem kann die Anwendung dieser Kriterien zu dem Ergebnis führen, dass strengere Verhältnismäßigkeitsanforderungen in Ansatz zu bringen sind (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 18. Juli 2019 - 1 BvL 1/18 u. a. -, Juris Rn. 100 f).
c. Der Nichtannahmebeschluss der ersten Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 13. Dezember 2016 – 1 BvR 713/13 – stünde einer Vorlage nicht entgegen, anders als die Beklagte meint. Der Beschluss entfaltet für die Antwort auf die Frage, ob § 259a SGB VI gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt, keine Bindungswirkung.
aa. Beschlüssen von Kammern des Bundesverfassungsgerichts, mit denen Verfassungsbeschwerden, wie hier, nicht zur Entscheidung angenommen werden, kommt keinerlei gesetzliche Bindungswirkung nach § 31 Abs. 1 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) zu. Denn sie beinhalten keine Sachentscheidung, sondern handeln lediglich die prozessualen Annahmevoraussetzungen nach dem BVerfGG ab (vgl. BVerfGE 92, 91, 107; 23, 191, 207; Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Bethge, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, Loseblattsammlung, Stand Juli 2021, § 31 Rn. 83 m. w. N.; Heusch, in: Burkiczak/Dollinger/Schorkopf, Kommentar zum BVerfGG, § 31 Rn. 53).
bb. Das Bundesverfassungsgericht hat aber auch unabhängig davon die hier in Rede stehende verfassungsrechtliche Frage nicht entschieden. Verfahrensgegenstand eines Verfassungsbeschwerde ist die Frage, ob die angegriffene Entscheidung ein bestimmtes, vom Beschwerdeführer zulässigerweise gerügtes Grundrecht verletzt (vgl. BVerfGE 23, 242, 250 f; 82, 6, 10, 18; 84, 212, 223; 85, 1, 11; 89, 69, 82; Hörni, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, Stand: 62. EL Januar 2022, § 92 Rn. 15). Zu der Vereinbarkeit von § 259a SGB VI mit Art. 3 Abs. 1 GG hat die erste Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts in ihrem Beschluss vom 13. Dezember 2016 – 1 BvR 713/13 – in der Sache nichts ausgeführt. Sie hat sich ausschließlich zu Art. 14 Abs. 1 GG verhalten. Zu Art. 3 Abs. 1 GG sei die Verfassungsbeschwerde vom Beschwerdeführer unzureichend begründet worden, so die Kammer. Denn er habe keine nachvollziehbaren Gruppen gebildet, die seiner Ansicht nach ungleich behandelt worden seien. Es versteht sich von selbst, dass aus diesen Ausführungen zu den (in dem Einzelfall nicht gegebenen) Sachurteilsvoraussetzungen einer Verfassungsbeschwerde nicht zugleich folgt, § 259a SGB VI sei mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar, nicht vereinbar oder gar nichtig.
d. Bei den Übersiedlern, die bis zum 18. Mai 1990 (aus der DDR kommend) ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Altbundesgebiet genommen haben, gibt es zwei unterschiedliche Gruppen. Diese weisen signifikant unterschiedliche Merkmale auf (siehe nachfolgend e.). Als Anknüpfungspunkte zu der Abgrenzung der Gruppen mit weniger und stärker schützenswerten rentenrechtlichen Positionen, die infolge der Übersiedlung in die Bundesrepublik entstanden sind, kommen jedoch verschiedene Daten in Betracht.
aa. Frühster Zeitpunkt dürfte der Januar/Februar 1988 sein. Am 17. Januar 1988 wurden Teilnehmer der Liebknecht-Luxemburg-Demonstration in (Ost-)Berlin verhaftet und in Untersuchungshaft genommen. Daraufhin kam es zu einer Welle von Protestaktionen gegen die Festnahmen in mehreren Städten der DDR, insbesondere unter dem Dach der evangelischen Kirche; Fürbittgottesdienste und Andachten zogen sich bis in den Februar 1988 hin. Die Vorgänge gelten als Auftakt der friedlichen Revolution (vgl. Kowalczuk, Endspiel, Die Revolution von 1989 in der DDR. München 2009, S. 262, 286; Sabrow: Kollektive Erinnerung und kollektiviertes Gedächtnis. Die Liebknecht-Luxemburg-Demonstration in der Gedenkkultur der DDR, in: Alexandre Escudier: Gedenken im Zwiespalt, 2001, S. 134 f). Es wäre (wohl) vertretbar anzunehmen, dass ab diesem Zeitpunkt die schwerwiegenden Änderungen in allen gesellschaftlichen Bereichen der DDR schon zu erahnen waren und dass damit auch die Ausreisenden nicht mehr sicher damit rechnen konnten, dass ihre bestehende rentenrechtliche Absicherung in der Bundesrepublik unverändert bleibt. Allerdings blieben die von der DDR von den Ausreiseantragstellern erzwungenen einschneidenden wirtschaftliche Verluste (siehe nachfolgend e. aa.) bei einer Ausreise in die Bundesrepublik vorerst unverändert.
Besser vertretbar wäre es, die Schutzwürdigkeit am Zuzug in die Bundesrepublik bis zum 9. November 1989 zu orientieren. Spätestens ab diesem Tag stand es fest, dass die deutsch-deutsche Binnenmigration mit großen Auswirkungen auf die Sozialsysteme in großem Umfang anwächst. Ab diesem Zeitpunkt waren die Grenzen praktisch offen, ein Wohnsitzwechsel war ohne Probleme möglich (für den 9. November 1989 als Stichtag: Steinmeyer, Rechtsgutachten im Auftrag des BMAS zu einer möglichen Neuregelung der rentenrechtlichen Situation von DDR-Übersiedler/-innen, https://www.flucht-und-ausreise.info/dokumente/upload/864f4_2013-11-15_gutachten_bmas_kommentiert.pdf, S. 68)
bb. Die besten Gründe sprechen nach Ansicht des Senats jedoch für einen Stichtag, der den Zuzug in das Altbundesgebiet bis zum 18. Oktober 1989 als maßgeblich ansieht. Am 18. Oktober 1989 wurde Erich Honecker als Staats- und Parteichef der DDR abgelöst. Dieser Tag stellt eine Zäsur in der Geschichte der DDR dar (BVerfG, Urteil vom 23. November 1999 – 1 BVerfG 1/94, Juris Rn. 125). Ab diesem Zeitpunkt war klar, dass ein umwälzender Prozess im Gang ist und sich bahnbrechende Änderungen im politischen System der DDR ergeben. Folgerichtig hat der Gesetzgeber selbst den 18. Oktober 1989 als Stichtag gewählt, um das Vertrauen der Bewohner der DDR während der friedlichen Revolution zu schützen, und zwar in einem anderen von der deutschen Einigung besonders und gravierend betroffenen Rechtsgebiet, dem Schutz des Eigentums beim Erwerb von Grundstücken und Gebäuden, § 4 Abs. 2 Vermögensgesetz a. F. (BGBl 1990 II S. 889). Der 18. Oktober 1989 stellt auch verfassungsrechtlich ein vertretbares Anknüpfungsdatum für die Trennung des weniger schützenswerten von dem stärker schützenswertem Vertrauen der aus der DDR stammenden Menschen in den Bestand erworbener Rechtspositionen dar (Bundesverfassungsgericht, a. a. O.).
e. Zwischen der Gruppe derjenigen, die aus der ehemaligen DDR bereits bis zum 18. Oktober 1989 ausgereist sind, und der Gruppe, die erst nach dem 18. Oktober 1989 bis zum 18. Mai 1990 in das Gebiet der Bundesrepublik gelangt sind, bestehen ganz erhebliche Unterschiede, die vom Gesetzgeber gleichheitswidrig übergangen worden sind.
aa. Ausreisewillige, die bis zum 18. Oktober 1989 aus der DDR ausgereist sind, also entweder die Grenze überwunden oder die DDR nach Stellung eines Ausreiseantrags verlassen durften, sind von § 259a SGB VI in wesentlich stärkerem Maße betroffen, als die Gruppe derjenigen, die erst nach dem 18. Oktober 1989 und vor dem 19. Mai 1990 in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland (ohne Beitrittsgebiet) gekommen sind und dort ihren gewöhnlichen Aufenthalt genommen haben. Denn sie sind schutzbedürftiger.
Voraussetzung für die Erteilung einer Ausreisegenehmigung aus der DDR war – faktisch bis zum 18. Oktober 1989 – das staatliche Verlangen nach Veräußerung der Vermögenswerte des Ausreisewilligen, insbesondere der Veräußerung von Grundbesitz (Eigentum an Grundstücken oder Eigentum an Häusern). In der daraus erwachsenen objektiven Zwangslage waren Ausreiseantragsteller gezwungen, sämtliche Vermögenswerte zur privaten Alterssicherung komplett zu veräußern. Dies gilt auch unabhängig davon, ob sie gezwungen waren, ihr Grundeigentum an bestimmte Personen aus dem staatlichen Machtapparat zu übereignen, oder ob sie insoweit nicht eingeschränkt waren. Zudem hatten die Anträge auf dauerhafte Ausreise negative Folgen für die Antragsteller und hatten häufig auch den Verlust des Arbeitsplatzes und Einschränkungen bei der Berufswahl zur Folge. Nicht selten wählten Ausreiseantragsteller, die einen „Mangelberuf“ ausübten, bei dem eine Ausreise praktisch ausgeschlossen schien, von sich aus selbst einen niedrigqualifizierten Arbeitsplatz, um ihre Ausreisechancen zu erhöhen. In die Freiwillige Zusatzrentenversicherung der DDR (FZR) einzuzahlen, ergab mit Blick auf den Ausreisewunsch für Übersiedler bei der Inanspruchnahme ihres Rechtes auf Freizügigkeit keinen Sinn, auch weil bei der Rentenberechnung in der Bundesrepublik nach dem FRG die FZR keine Rolle spielt (näher: Steinmeyer, Rechtsgutachten im Auftrag des BMAS zu einer möglichen Neuregelung der rentenrechtlichen Situation von DDR-Übersiedler/-innen; www.flucht-und-ausreise.info/dokumente/upload/864f4_2013-11-15_gutachten_bmas_kommentiert.pdf S. 24 ff). Im Vertrauen auf die damalige Rechtslage und die für sie normierten Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung der Bundesrepublik Deutschland haben sie bei einer Übersiedlung in die Bundesrepublik bis zum 18. Oktober 1989 nicht nur auf Anwartschaften der gesetzlichen Alterssicherung der DDR, sondern auch auf ihre private Alterssicherung verzichtet. Um in einer freiheitlichen Gesellschaft ein neuen Leben beginnen zu können, haben sie erhebliche materielle Einbußen in Kauf genommen, und haben praktisch nur mit Handgepäck das Gebiet der Altbundesrepublik erreicht.
Der völlige Verlust der privaten Alterssicherung wiegt umso stärker, als vor allem besser qualifizierte Menschen, nämlich Akademiker wie Ärzte, Ingenieure, Wissenschaftler, Künstler, aber auch Facharbeiter aus der DDR ausgereist sind (vgl. Wikipedia, Ausreiseantrag, Abfragedatum 30. Dezember 2022), und ein solcher Personenkreis erfahrungsgemäß größeren Wert auf private Altersvorsorge legt; Ärzten, Ingenieuren etc. standen die Möglichkeiten hierfür auch in der DDR zur Verfügung. Ausweislich seines Versicherungsverlaufs hatte auch der Kläger in der DDR eine Hochschulausbildung absolviert und etliche Jahre gearbeitet, bevor er das Altbundesgebiet erreicht und dort auch beruflich neu angefangen hat.
Gleichzeitig hat diese Gruppe besonders hohes Vertrauen in den Fortbestand des damals in der Bundesrepublik geltenden Rechts. Als die Ausreiseantragssteller und Flüchtlinge sich entschlossen, das Leben in der DDR hinter sich zu lassen und „alle Brücken hinter sich abzubrechen“, bauten sie in besonders hohem Maße darauf, dass der komplette Verlust aller ihrer Alterssicherung in der DDR in wesentlichem Umfang durch die sozialen Sicherungssysteme der Bundesrepublik aufgefangen und dieser Schutz künftig auch nicht entwertet wird. Dass sich an dieser Lage etwas ändern würde, war nicht vorhersehbar, ein Wandel der politischen Situation deutete sich lange Zeit in keiner Weise an. Die friedliche Revolution mit dem Fall der Mauer und die deutsche Einheit kamen für sie überraschend, wie für alle Menschen in Deutschland. Dass der Gesetzgeber Handlungsbedarf für eine grundlegende Neuregelung in Bezug auf die rentenrechtliche Situation der Übersiedler annehmen könnte, war damit in dem selben Maße unvorhersehbar. Denn gerade die deutsche Einheit war Anlass für den Gesetzgeber, die rentenrechtlichen Positionen (auch) der in den 70-er und 80-er Jahren aus der DDR Ausgereisten rückwirkend neu zu ordnen.
bb. Bei den Personen, die nach dem 18. Oktober 1989 und vor dem 19. Mai 1990 ihren Wohnsitz in der (Alt-)Bundesrepublik genommen haben, liegen die Dinge wesentlich anders. Diese Menschen hatte sowohl weniger Vertrauen darauf, dass ihre sozialversicherungsrechtlichen Positionen unverändert bleiben, als auch ein deutlich geringeres Maß an objektivem Schutzbedürfnis.
Für sie war die Wohnsitznahme in der alten Bundesrepublik nicht mit einem Komplettvermögensverlust verbunden. Der zuvor unter Zwang von den Ausreiseantragstellern abverlangte Verzicht auf die private Altersvorsorge durch den Verkauf praktisch der kompletten Vermögenswerte, insbesondere von Grundstücken oder von Hauseigentum, war nunmehr nicht mehr Voraussetzung eines Umzugs in das Altbundesgebiet. Dabei kommt es nicht darauf an, wann die einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen und Verwaltungsvorschriften der DDR förmlich außer Kraft getreten sind. Denn sie wurden nach und nach im Zuge der friedlichen Revolution von den DDR-Behörden schlicht nicht mehr beachtet. Bei ihnen handelt es sich auch nicht mehr um Personen, die, wie die bis zum 18. Oktober 1989 Übergesiedelten, entweder unter Gefahren für Leib und Leben geflüchtet waren oder die berufliche oder weitere Nachteile in Kauf genommen hatten, um ihr Recht auf Freizügigkeit in Anspruch zu nehmen.
Nach dem 18. Oktober 1989 war gleichzeitig schützenswertes Vertrauen in den Fortbestand der damaligen bundesrechtlichen Regelung zur gesetzlichen Rentenversicherung für Übersiedler bzw. Umziehende aus der DDR, wenn überhaupt, so doch in wesentlich geringerem Maße vorhanden. Dass die friedliche Revolution auch gravierende Auswirkungen auf die sozialversicherungsrechtliche Stellung der Übersiedler und Umziehenden aus der DDR in das Gebiet der alten Bundesrepublik haben würde (einschließlich deren Rentenanwartschaften), lag offen zutage. Die Übersiedler mussten mit schwerwiegenden Änderungen in allen gesellschaftlichen Bereichen rechnen und konnten nicht mehr ernsthaft davon ausgehen, dass das für die wenigen Flüchtlinge und aus der DDR Ausreisenden konzipierte Rentenrecht angesichts der sprunghaft nun sehr massiven Ost-West-Siedlungsbewegung unverändert bleiben würde.
f. § 259a SGB VI bewirkt für beide Personengruppen gleichwohl einheitliche Rechtsfolgen. Dies ist gleichheitswidrig. Die typisierende Gruppenbildung unabhängig vom Zuzugsdatum in die Bundesrepublik führt zu Härten und Ungerechtigkeiten, die bei Anknüpfung an ein Zuzugsdatum leicht vermeidbar wären. Sie betreffen eine nicht geringe Zahl von Personen und der Verstoß gegen den Gleichheitssatz führt zu erheblichen Auswirkungen. Zwar hat bei Rentenanwartschaften der Gesetzgeber von vornherein in gewissen Grenzen die Möglichkeit von Änderungen (vgl. BVerfGE 11, 221, 226; 22, 241, 253). Auch das Sozialstaatsprinzip ermächtigt aber nicht zu beliebiger Sozialgestaltung, die das Gebot der Gleichheit auflösen würde (BVerfGE 12, 367, zit. nach Juris Rn. 43).
Dass für eine Gruppe, die relativ nah an der Grenze zur Regelaltersrente stand, die Fortgeltung des FRG angeordnet ist, ändert nichts daran. Denn auch insoweit wird der ungleiche Personenkreis trotz des erheblich unterschiedlichen Schutzbedürfnisses gleich behandelt.
Hinzu kommt, dass der Personenkreis aller aus der DDR Ausgereisten und Flüchtlinge, die ab dem 1. Januar 1937 geboren sind, regelmäßig nicht ausreichend die Möglichkeit hatte, sich auf eine geänderte Bewertung einzustellen und bis zum Eintritt in die Rente einer versicherungspflichtigen Beschäftigung nachzugehen, die ihnen genügend Zeit gab, ihre Alterssicherung entsprechend anzupassen. Dies gilt jedenfalls für den Kläger, der 1952 geboren ist.
Bei einer Ausreise bis zum 18. Oktober 1989 haben die Betreffenden auf ihre private Altersvorsorge vollständig verzichtet (Kapitalvermögen, Grundeigentum, Hauseigentum, ggf. auch land- und forstwirtschaftliche Flächen einschließlich sogenannter „Altenteiler“). Diesen Verlust haben sie in Kauf genommen und auf den Fortbestand der seinerzeit geltenden Regelungen der gesetzlichen Rentenversicherung nach dem FRG vertraut. Der Verlust derartiger Vermögenswerte ist bei generalisierender Betrachtungsweise nach Überzeugung des Senats in den meisten Fällen durch Leistungen nach dem nunmehr sehr viel schlechteren Rentenüberleitungsgesetz nicht mehr ausreichend kompensierbar. Denn durch den biographischen Bruch in ihrem Leben ist es regelmäßig auch zu einem Bruch in ihren Erwerbsbiographien gekommen, der einen rentenrechtlichen Ausgleich der gesetzlichen Schlechterstellung durch das gesetzliche Ende der Rentenberechnung nach dem FRG wohl in allen Altersklassen zumindest ganz erheblich erschwert.
Im Fall des Klägers etwa beträgt die monatliche Rente abzüglich der Beiträge zur Krankenversicherung, dem Zusatzbeitrag zur Krankenkasse und des Beitrags zur Pflegeversicherung 564,13 Euro monatlich. Berechnete man die Rente nach dem FRG, ergäbe sich, wie die Beklagte in einer Vergleichsberechnung mitgeteilt hat, ein monatlicher Zahlbetrag von 872,24 Euro (bezogen auf einen etwas späteren Zeitpunkt).
g. Die Funktions- und Leistungsfähigkeit der gesetzlichen Rentenversicherung der Bundesrepublik Deutschland als wichtiger Gemeinwohlbelang von Verfassungsrang vermag die Gleichbehandlung ungleicher Personengruppen der aus der DDR Ausgereisten nicht zu rechtfertigen. Zwar ist der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei der Überführung der Rentenansprüche und Rentenanwartschaften aus dem Beitrittsgebiet bei der Herstellung der Rechtseinheit in der gesetzlichen Rentenversicherung besonders weit (BVerfGE 100, 1, 59; 126, 233). Hier geht es indes gar nicht, soweit die Rechtsstellung der in den Jahren vor 1989 und bis zum 18. Oktober 1989 ausgereisten Menschen aus der DDR geregelt wird, um die Herstellung der Rechtseinheit, weil diese Menschen schon vor dem Beginn des Prozesses der deutschen Einigung - teils seit vielen Jahren - in der Bundesrepublik gelebt haben.
Zudem erscheint das öffentliche Interesse an der Funktions- und Leistungsfähigkeit der gesetzlichen Rentenversicherung bei einer Neuordnung der gesetzlichen Rentenversicherung für den kleineren Kreis der bis zum 18. Oktober 1989 Geflohenen und aus der DDR Ausgereisten eher gering. Jedes Jahr sind wegen der seinerzeit äußerst restriktiven Praxis nur zwischen 3.000 und 30.000 Menschen aus der DDR ausgereist; von 1977 und 1989 (30. Juni) haben 176.000 Menschen die DDR nach einem Ausreiseantrag verlassen (Wikipedia, „Ausreiseantrag“ Abfragedatum 30. Dezember 2022), über die DDR-Grenze oder über Drittländer haben nur sehr wenige Menschen die Bundesrepublik erreicht, die Zahl kann im Ergebnis vernachlässigt werden. Unter das FRG fielen von allen davon deutlich weniger. Denn für Kinder und Jugendliche, die zusammen mit ihren Eltern ausgereist sind, kamen derartige Ansprüche von vornherein nicht in Betracht. Die von der Mitte 1993 vom Gesetzgeber beschlossenen Neuregelung bei Renteneintritt betroffenen Rentenempfänger ist damit eine eher geringe Zahl im Vergleich zu den ca. 32 Millionen gesetzlich Rentenversicherten, die Auswirkungen auf die Funktionsfähigkeit der Rentenversicherung sind gering.
3. Die Berufung ist gleichwohl nicht auszusetzen. Es ist keine Entscheidung des BVerfG einzuholen. Denn für eine konkrete Normenkontrolle gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG genügt es nicht, wenn Bedenken oder Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit einer Regelung bestehen, selbst wenn sie erheblich sind. Vielmehr muss das vorlegende Gericht von der Verfassungswidrigkeit der Norm ohne Wenn und Aber überzeugt sein (ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vgl. BVerfGE 1, 184, 188 f; 68, 337, 344; Burghart, in: Leibholz/Rinck, Grundgesetz, Art. 100 Rn. 251).
Vorliegend ist die Reichweite des Beurteilungsspielraums des Gesetzgebers bei der Wahl eines Stichtags für den Senat nicht hinreichend sicher einzuschätzen, zumal dem Gesetzgeber für das Sozialrecht seit jeher besonders große Gestaltungsmöglichkeiten eingeräumt werden. Dies betrifft insbesondere die Frage, ob es dem Gesetzgeber nicht auch möglich wäre, die beiden zu unterscheidenden Gruppen nach einem früheren Stichtag abzugrenzen, der etwa an den Auftakt der friedlichen Revolution im Januar/Februar 1988 anknüpft. Sachlich vertretbar wäre dies (wohl). Voraussetzung für eine verfassungsrechtliche zulässige Stichtagsregelung ist es u. a., dass sich die Wahl des Zeitpunkts des Stichtags am gegebenen Sachverhalt orientiert und damit sachlich vertretbar ist (vgl. BVerfGE 101, 239, 270; 117, 272, 301). Bei einem früheren Stichtag wäre der Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG, von dem der Senat bei einem Zuzug bis Februar 1988 vollständig überzeugt ist (s. o.), in diesem Einzelfall nicht entscheidungserheblich. Der Kläger hat erst im Februar 1989 die DDR verlassen. Der Senat hält es zwar für eher wahrscheinlich, ist sich aber nicht ohne jede Einschränkung sicher, ob der Kläger zu dem durch die gesetzliche Regelung verfassungswidrig unter Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG benachteiligten Personenkreis gehört.
4. a. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
b. Die Revision ist nicht zuzulassen. Die Voraussetzung von § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor. Der Senat folgt im Ergebnis ständiger höchstrichterlicher und auch obergerichtlich einheitlicher Rechtsprechung (zuletzt etwa BSG, Beschlüsse vom 15. Februar 2022 – B 5 R 283/21 B –; vom 11. Juni 2021 – B 13 R 7/21 B – und vom 13. Januar 2021 – B 5 R 236/20 B –, Juris).