Die Genehmigungsfiktion des § 13 Abs. 3a SGB V tritt unter Berücksichtigung der Wertung des § 37 Abs. 2 Satz 3 SGB X auch dann ein, wenn der genaue Zeitpunkt der Bekanntgabe des Ablehnungsbescheides nicht bekannt ist.
Ein guter Glaube des Versicherten an das Bestehen des Leistungsanspruches im Zeitpunkt der Selbstbeschaffung kann nicht durch ein grob fehlerhafte anwaltliche Beratung begründet werden.
Dem Versicherten ist die Kenntnis bzw. grob fahrlässige Unkenntnis seines Prozessbevollmächtigten vom Nichtbestehen des Leistungsanspruches bei geklärter Rechtslage durch das BSG (hier: Kopforthese) nach § 166 BGB zuzurechnen.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 5. August 2020 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind für das gesamte Verfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Im Streit steht die Erstattung von Kosten für eine Kopforthese in Höhe von 1.819 Euro.
Der am geborene, bei der beklagten Krankenkasse versicherte Kläger litt an einer rechtsseitig abgeflachten Asymmetrie des Schädels (Plagiocephalus), einer Asymmetrie der Schädelbasis mit einer Differenz von zunächst 1,8 cm sowie einer lagerungsbedingten Abflachung des Hinterkopfes (Brachycephalus). Umlagerungsversuche wurden ohne Erfolg durchgeführt.
Der Facharzt für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie Dr. med. B, tätig im „C-Center“ in B, empfahl mit Schreiben vom 5. Oktober 2017 die Durchführung einer „Helmtherapie“. Hierbei wird vom Kind ein leichter Helm, der nach einem Schädelabdruck individuell angefertigt wird, mehrere Monate lang für 23 Stunden täglich getragen. Diese sog. Kopforthese wird dem Kopfwachstum entsprechend mehrfach angepasst. Die Therapie mit einer Kopforthese (sog. Helmtherapie) zielt darauf, das schnelle Wachstum des Kopfes im Säuglingsalter bei noch nicht abschließend verknöcherten Wachstumsnähten mit Hilfe der Kopforthese in die gewünschte Richtung zu lenken, um auf diese Weise eine symmetrische Kopfform zu erhalten.
Mit Schreiben vom 12. Oktober 2017, bei der Beklagten eingegangen am 17. Oktober 2017, beantragten die Eltern des Klägers für diesen die Übernahme der Kosten für die Helmtherapie.
Daraufhin teilte die Beklagte mit Schreiben vom 20. Oktober 2017 mit, dass sie eine gutachterliche Einschätzung zur Erforderlichkeit der Helmtherapie einhole.
Nach Eingang des Gutachtens des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Berlin-Brandenburg vom 13. November 2017 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 16. November 2017 die begehrte Kostenübernahme ab.
Zur Begründung führte sie aus, dass der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) noch nicht über die Aufnahme der begehrten Behandlungsmethode in die vertragsärztliche Versorgung entschieden habe. Auch sei im konkreten Einzelfall keine Kostenübernahme möglich, da bislang kein Nachweis des Nutzens und der Notwendigkeit der Kopforthesenbehandlung vorliege. Zudem sei das Auftreten von Folgeschäden durch Schädeldeformitäten nicht belegt. Ein Ab-Vermerk für diesen Bescheid existiert nicht. Ein Zugangsnachweis liegt nicht vor. Das Zugangsdatum ist nicht bekannt.
Den hiergegen mit Schreiben vom 9. Dezember 2017 erhobenen Widerspruch wies die Beklagte nach Einholung eines weiteren sozialmedizinischen Gutachtens mit Widerspruchsbescheid vom 16. Februar 2018 als unbegründet zurück. Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) sei in seinen Gutachten zu dem Ergebnis gelangt, dass eine sozialmedizinische Notwendigkeit zur Nutzung einer Kopforthese bei dem Kläger nicht vorliege. Es handele sich bei der Kopforthesenversorgung um eine Gesamtmaßnahme bestehend aus Therapie und Hilfsmittel, die insgesamt eine neue Behandlungsmethode darstelle, für die es einer Bewertung durch den G-BA bedürfe. Eine solche liege nicht vor. Das Bundessozialgericht habe daher mit drei Urteilen vom 11. Mai 2017 (B 3 KR 17/16 R, B 3 KR 6/16 R und B 3 KR 1/16 R) entschieden, dass die Therapie mit einer Kopforthese nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) gehöre.
Hiergegen hat der Kläger am 13. März 2018 Klage erhoben.
Am 27. März 2018 haben die Eltern des Klägers bei der Firma C e.K. verbindlich die Kopforthese cranioform zu einem Preis in Höhe von 1.819 Euro bestellt, nachdem zuvor eine weiterhin bestehende Schädelasymmetrie von 1,5 cm gemessen worden war. Nach Anpassung der Kopforthese am 6. April 2018 wurde die Helmtherapie des Klägers am 6. Dezember 2018 abgeschlossen.
Mit Urteil vom 5. August 2020 hat das Sozialgericht Berlin die Beklagte unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 16. November 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Februar 2018 verurteilt, dem Kläger die Kosten für die Kopforthesenversorgung in Höhe von 1.819 Euro zu erstatten.
Zur Begründung hat das Sozialgericht ausgeführt, dass sich der Kostenerstattungsanspruch aus eingetretener Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) ergebe. Die Ablehnung des Antrages vom 17. Oktober 2017 sei durch die Beklagte erst nach Ablauf der aufgrund des Einholens einer gutachterlichen Stellungnahme geltenden Fünf-Wochenfrist des § 13 Abs. 3a Satz 1 SGB V erfolgt. Zwar datiere der Bescheid vom 16. November 2017 und sei damit vor dem Ablauf der Frist am 28. November 2017 gefertigt worden. Jedoch könne der genaue Zugang des Bescheides nicht ermittelt werden, da die Beklagte weder Zugangsnachweise habe, noch der Verwaltungsakte ein Vermerk über die Übergabe des Verwaltungsaktes an das Postunternehmen im Sinne von § 37 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) entnommen werden könne. Daher sei von dem Eintritt der Genehmigungsfiktion auszugehen. Der Kläger habe sich nach Eintritt der Genehmigungsfiktion die Kopforthese auch in gutem Glauben auf das Bestehen eines Leistungsanspruchs selbst beschafft. Allein der Umstand, dass der ablehnende Bescheid vor der Selbstbeschaffung zugegangen sei, reiche für die Annahme von Bösgläubigkeit nicht aus, da der Bescheid noch nicht bestandkräftig geworden sei. Die Gutgläubigkeit der Eltern des Klägers ergebe sich daraus, dass der Anwalt des Klägers diese trotz der Erwähnung der aktuellen Urteile des Bundessozialgerichts zur Kopforthesenbehandlung im Widerspruchsbescheid der Beklagten nicht darauf hingewiesen habe, dass ein Leistungsanspruch nicht bestehe. Vielmehr habe er ihnen unter Hinweis auf einen gewonnenen Rechtsstreit gute Erfolgsaussichten für die Klage bescheinigt.
Gegen das ihr am 17. August 2020 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 14. September 2020 Berufung eingelegt. (Bl. 133 GA)
Sie behauptet, dass der Bescheid vom 16. November 2017 noch am selben Tag dezentral um 12:20 Uhr gedruckt worden sei.
Die internen Abläufe seien so organisiert, dass die Ausgangspost täglich um die Mittagszeit abgeholt werde und sodann in die Poststelle ein Stockwerk höher gebracht werde. Von dort erfolge der Versand.
Sie ist daher der Ansicht, dass die Genehmigungsfiktion nicht eingetreten sei. Anhand der Informationen aus dem IT System der Beklagten könne der Tag zur Aufgabe an die Post bestimmt werden, nämlich der 16. November 2017. Hiervon ausgehend sei die Zugangsfiktion des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X anwendbar. Der Bescheid gelte als am 19. November 2017 und damit vor Ablauf der Frist zugegangen. Selbst bei Annahme, dass der Bescheid erst am 17. November 2017 zur Post aufgegeben worden sei, sei er noch vor dem vom Sozialgericht benannten Fristende zugegangen.
Ein Kostenerstattungsanspruch bestehe aber auch bei einem angenommenen Eintritt der Genehmigungsfiktion nicht, da der Kläger bzw. seine gesetzlichen Vertreter bei der Selbstbeschaffung der Leistung nicht gutgläubig gewesen seien. Gutgläubigkeit sei nach dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 26. Mai 2020, B 1 KR 9/18 R, nur dann gegeben, wenn der Versicherte weder Kenntnis noch grob fahrlässige Unkenntnis vom Nichtbestehen des Anspruchs gehabt habe. Die Beklagte habe bereits im Widerspruchsbescheid auf die einschlägigen Entscheidungen des Bundessozialgerichts zur Kopforthesenbehandlung hingewiesen und dargelegt, dass die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten für die Versorgung von Säuglingen mit Kopforthesen nicht zu erstatten hätten, da die Therapie nicht zum Leistungskatalog der GKV gehöre. Bereits diese Kenntnis von der Rechtsprechung des BSG schließe die Annahme von Gutgläubigkeit aus.
Allein der Umstand, dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers dessen gesetzliche Vertreter nicht ausführlich über die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts und deren Konsequenzen beraten habe, könne nicht zu einem Leistungsanspruch gegenüber der Beklagten und damit zu einer Ausweitung des Leistungskataloges führen. Vielmehr könnten sich daraus allenfalls Ansprüche im Verhältnis vom Versicherten zum Berater ergeben.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 5. August 2020 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Eltern des Klägers behaupten, dass ihr Prozessbevollmächtigter ihnen im Rahmen der anwaltlichen Beratung vor Klageerhebung Hoffnung auf einen positiven Ausgang des Rechtsstreits gemacht habe, da er vor kurzem einen ähnlichen Fall, in welchem die begehrte Leistung nicht vom Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung umfasst gewesen sei, gewonnen habe und er sie nicht auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts hingewiesen habe.
Das Urteil des Sozialgerichts Berlin sei zutreffend. Es bestehe ein Kostenerstattungsanspruch aus dem Eintritt der Genehmigungsfiktion des § 13 Abs. 3a SGB V. Die Beklagte könne den fristgemäßen Zugang des Ablehnungsbescheides nicht nachweisen. Allein der aus dem IT-System der Beklagten erkennbare Ausdruck des Bescheides lasse keinen Rückschluss auf dessen Übergabe an das Postunternehmen zu.
Sie hätten die Kopforthese für ihr Kind gutgläubig selbst beschafft. Der Hinweis auf die Entscheidungen des Bundessozialgerichts im Widerspruchsbescheid stehe dem nicht entgegen, da der Widerspruchsbescheid selbst nicht im Sinne der Rechtsprechung des BSG bestandskräftig geworden sei.
Überdies seien die vom BSG entschiedenen Fälle nicht mit dem des Klägers vergleichbar. Ein Erstattungsanspruch sei auch nicht grundsätzlich ausgeschlossen gewesen, da die Beklagte sonst kein MDK-Gutachten eingeholt hätte.
In seinem Schriftsatz vom 26. Januar 2023 hat der Prozessbevollmächtigte der Kläger erklärt, die Eltern des Klägers nicht darauf hingewiesen zu haben, „dass vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des BSG ein Anspruch nicht in Betracht käme“. Wegen der Einzelheiten wird auf Bl. 179 der Gerichtsakte verwiesen.
Wegen des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird im Übrigen auf den Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs der Beklagten Bezug genommen, der, soweit wesentlich, Gegenstand der Erörterung in der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung war.
Entscheidungsgründe
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 5. August 2020 ist zulässig und begründet.
Zu Unrecht hat das Sozialgericht die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 16. November 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Februar 2018 verurteilt, dem Kläger die Kosten für die selbstbeschaffte Kopforthese in Höhe von 1.819 Euro zu erstatten. Die Klage des Klägers hat keinen Erfolg und ist daher abzuweisen.
Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist neben dem Urteil des Sozialgerichts vom 5. August 2020 der Bescheid der Beklagten vom 16. November 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Februar 2018, durch den die Beklagte einen Anspruch des Klägers auf Versorgung mit einer Kopforthese abgelehnt hat.
Dieser (mögliche) Sachleistungsanspruch hat sich aufgrund der Selbstbeschaffung der Kopforthese im März 2018 und Begleichung der Rechnung in einen (möglichen) Kostenerstattungsanspruch umgewandelt. Der Kläger verfolgt diesen Anspruch daher zutreffend im Wege einer kombinierten Anfechtungs- und (auf Zahlung gerichteten) Leistungsklage (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 7.5.2020, B 3 KR 4/19 R, zitiert nach juris, dort Rn. 13 f.).
Der o.g. Bescheid der Beklagten ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten für die Selbstbeschaffung einer Kopforthese in Höhe von 1.819 Euro.
I. Ein solcher Anspruch folgt nicht bereits aus § 13 Abs. 3 SGB V. Nach dieser Vorschrift sind den Versicherten Kosten für selbst beschaffte Leistungen in entstandener Höhe zu erstatten, wenn eine Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat.
Der Kostenerstattungsanspruch aus § 13 Abs. 3 Satz 1 (1. und 2. Alt.) SGB V reicht nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch der Versicherten. Die Krankenkasse muss ihren Versicherten Aufwendungen für selbst beschaffte Leistungen nur erstatten, wenn sie eigentlich als Sachleistungen zu erbringen gewesen wären oder nur wegen eines Systemversagens nicht erbracht werden konnten (BSG, Urteil von 8.9.2015, B 1 KR 14/14 R, zitiert nach juris, dort Rn. 17). Ein Kostenerstattungsanspruch des Klägers nach § 13 Abs. 3 SGB V scheitert bereits an einem fehlenden primären Sachleistungsanspruch.
Mit Urteilen vom 11. Mai 2017 (B 3 KR 1/16 R, B 3 KR 6/16 R und B 3 KR 17/16 R) hat das Bundessozialgericht entschieden, dass die Kopforthose als Hilfsmittel, welches den Erfolg der Krankenbehandlung sichert (§ 33 Abs. 1 S. 1 Var. 1 SGB V) und in einem engen Zusammenhang zu der Helmtherapie steht, nicht zum Leistungskatalog der GKV gehört, da diese im Rahmen einer neuen vertragsärztlichen Behandlungsmethode eingesetzt wird, für die es an einer positiven Bewertung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) fehlt. Dieser Auffassung schließt sich der Senat nach eigener Prüfung an, so dass es hierzu keiner weiteren Ausführungen bedarf.
Aber auch aus § 2 Abs. 1a SGB V ergibt sich kein Anspruch des Klägers auf Versorgung mit einer Kopforthese. Nach dieser Vorschrift können Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung eine über den allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse hinausgehende Leistung beanspruchen, wenn für ihre Erkrankung eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht und eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Den für die Anwendung von § 2 Abs. 1a SGB V geforderten Schweregrad erreichte die Krankheit des Versicherten nicht. Eine Kopfasymmetrie mit einer zu Beginn der Behandlung noch messbaren Differenz von 1,5 cm stellt keine lebensbedrohliche oder vergleichbar schwerwiegende Krankheit dar. Wie das BSG in seinem Urteil vom 11. Mai 2017 (B 3 KR 30/15, Rn. 24 f. zitiert nach juris) darstellt, liegt bei einer Kopfasymmetrie im Säuglingsalter überhaupt erst ab einer Differenz von 1,5 cm eine behandlungsbedürftige Krankheit vor. Dieser Grenzwert war zwar im Fall des Klägers erreicht, jedoch folgt daraus nicht das Vorliegen einer schwerwiegenden Krankheit. In seiner Entscheidung vom 11. Mai 2017 zum Aktenzeichen B 3 KR 17/16 R legt das BSG unter Auswertung diverser medizinischer Studien dar, dass bei einem nicht synostotisch verursachten Plagiocephalus regelmäßig weder eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche noch eine zumindest wertungsmäßig damit vergleichbare Erkrankung im Sinne des § 2 Abs. 1a SGB V gegeben sei. Selbst bei ausgeprägten Befunden gebe es keine Anhaltspunkte dafür, dass eine unbehandelte Schädelasymmetrie für schwerwiegende Erkrankungen ursächlich werden könnte. Dieser Einschätzung folgt der Senat.
Darüber hinaus handelt es sich bei der vorliegenden Schädelasymmetrie auch nicht um einen Seltenheitsfall und es lag im Zeitpunkt der Selbstbeschaffung auch kein Fall des Systemversagens vor.
II. Ein Kostenerstattungsanspruch ergibt sich entgegen den Ausführungen des Sozialgerichts Berlin auch nicht aus dem Eintritt der Genehmigungsfiktion des § 13 Abs. 3a S. 6 und 7 SGB V. Die Genehmigungsfiktion vermittelt dem Versicherten eine Rechtsposition sui generis. Diese erlaubt ihm, sich die beantragte Leistung nach Fristablauf bei Gutgläubigkeit zu Lasten der Krankenkasse selbst zu beschaffen und verbietet es der Krankenkasse, nach erfolgter Selbstbeschaffung eine Kostenerstattung mit der Begründung abzulehnen, nach dem Recht der GKV bestehe kein Rechtsanspruch auf die Leistung (vgl. zum Ganzen BSG, Urteil vom 26.5.2020, B 1 KR 9/18 R, juris; BSG, Urteil vom 10.3.2022, B 1 KR 6/21 R, zitiert nach juris, dort Rn. 12 f.).
Der Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3a Satz 7 SGB V setzt voraus, dass (1.) der Versicherte die Leistung hinreichend bestimmt beantragt hat, (2.) die Krankenkasse über den Leistungsantrag nicht fristgerecht entschieden hat, (3.) der Versicherte sich die beantragte Leistung nach Fristablauf selbst beschafft hat, (4.) ihm hierdurch Kosten entstanden sind, (5.) er im Zeitpunkt der Selbstbeschaffung keine Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis von einem Nichtbestehen des materiellen Leistungsanspruchs hatte (vgl. dazu BSG vom 26.5.2020, B 1 KR 9/18 R, zitiert nach juris dort Rn. 22 ff.) und (6.) im Zeitpunkt der Selbstbeschaffung über den materiell-rechtlichen Leistungsanspruch noch nicht bindend entschieden wurde oder sich der Antrag anderweitig erledigt hat (BSG, a.a.O., Rn. 27, 29 ff.).
Vorliegend hat der Kläger durch seine gesetzlichen Vertreter am 17. Oktober 2017 hinreichend bestimmt eine Versorgung mit einer Kopforthese beantragt. Die Beklagte hat über diesen Antrag auch nicht fristgemäß entschieden, da ein Zugang des Ablehnungsbescheides vom 16. November 2017 bis zum 21. November 2017 nicht nachgewiesen ist. Die Beklagte hatte über den Antrag des Klägers vom 17. Oktober 2017 innerhalb von fünf Wochen nach § 13 Abs. 3a Satz 1 2. Alternative SGB V zu entscheiden, da sie ein Gutachten des MDK eingeholt und die gesetzlichen Vertreter des Klägers hierüber nach § 13 Abs. 3a Satz 2 SGB V unterrichtet hat.
Die Frist endete gemäß § 26 Abs. 1 SGB X in Verbindung mit § 188 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) mit Ablauf des 21. November 2017. Der genaue Zugangszeitpunkt des Ablehnungsbescheides vom 16. November 2017 ist nicht bekannt. Ein Zugangsnachweis ist nicht vorhanden, ein Zugangszeitpunkt ist von den Eltern des Klägers nicht benannt worden. Ausgehend von der Erstellung des Bescheides am 16. November 2017 und der Fertigung des Widerspruchsschreibens am 9. Dezember 2017 wird die Bekanntgabe des Bescheides zwischen diesen beiden Ereignissen erfolgt sein. Die Zugangsfiktion des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X ist vorliegend nicht anwendbar, da die Beklagte den Zeitpunkt der Übergabe des Verwaltungsaktes an das Postunternehmen nicht in ihren Akten vermerkt hat. Auf das Ausdruckdatum und den gewöhnlichen Geschäftsgang bei der Beklagten kommt es insoweit nicht an (vgl. Bayrisches LSG, Urteil vom 18. Januar 2023, L 11 AS 24/22, zitiert nach juris, dort Rn. 16: „ Unerheblich ist, wann der Verwaltungsakt an die innerbehördliche Poststelle gelangt oder wann der Druckauftrag für den Verwaltungsakt erteilt worden ist; für die Dauer dieser Vorgänge besteht kein Erfahrungssatz. Ist der Tag der Aufgabe zur Post nicht in den Akten vermerkt und lässt er sich auch sonst nicht - etwa durch Eintragungen in ein Portobuch - erweisen, greift die Zugangsfiktion nicht.“). Eine Zeugenaussage der zuständigen Sachbearbeiterin der Beklagten zu den konkreten Abläufen war entbehrlich, da diese nach den Ausführungen der Beklagten nicht geeignet ist, im konkreten Einzelfall den Übergabezeitpunkt des Ablehnungsbescheides vom 16. November 2017 an das Postunternehmen belegen zu können.
Die Schilderungen beziehen sich nur auf die regelmäßigen internen Abläufe vor Übergabe des Schriftstücks an die Post. Der Ablehnungsbescheid vom 16. November 2017 kann damit vor dem Ablauf der Frist am 21. November 2017 oder nach dem Ablauf der Frist zugegangen sein. Die Nichterweislichkeit der Bekanntgabe des Verwaltungsaktes geht unter Berücksichtigung der Regelung des § 37 Abs. 2 Satz 3 SGB X jedoch zu Lasten der Beklagten, die den Zugangszeitpunkt im Zweifel nachzuweisen hat.
Der Kläger hat sich die Leistung am 27. März 2018 auch selbst beschafft. Ihm sind hierfür Kosten in Höhe von 1.819 Euro entstanden. Im Zeitpunkt der Selbstbeschaffung war aufgrund der Klageerhebung am 13. März 2018 gegen den Ablehnungsbescheid vom 16. November 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Februar 2018 über den materiell-rechtlichen Leistungsanspruch des Klägers noch nicht bindend entschieden; der Antrag hatte sich auch nicht auf sonstige Weise erledigt.
Jedoch hatte der Kläger bzw. hatten seine gesetzlichen Vertreter zur Überzeugung des Senats im Zeitpunkt der Selbstbeschaffung eine grob fahrlässige Unkenntnis vom Nichtbestehen des Leistungsanspruches. Dies folgt bereits aus dem Umstand, dass das BSG im Mai 2017 mit vier Urteilen umfassend über den Leistungsanspruch Versicherter gegen ihre Krankenkasse auf Versorgung mit einer Kopforthese entschieden hatte und hiernach deutlich war, dass im Regelfall kein Anspruch auf eine Versorgung mit einer Kopforthese im System der gesetzlichen Krankenversicherung bestand. Hierauf hatte bereits die Beklagte in ihrem Widerspruchsbescheid vom 16. Februar 2018 ausführlich hingewiesen.
Dabei kann nach Ansicht des Senats dahingestellt bleiben, ob den Eltern des Klägers persönlich angesichts des Umstandes, dass ihr Prozessbevollmächtigter sie nach seinen eigenen Angaben nicht über die Rechtsprechung des BSG und deren Auswirkungen auf den geltend gemachten Leistungsanspruch informiert hat, ein Vorwurf der grob fahrlässigen Unkenntnis gemacht werden kann oder ob diese die Kopforthese nicht im guten Glauben erwarben, denn im Zeitpunkt der Selbstbeschaffung hatten sie bereits ihren Prozessbevollmächtigten mit der Prüfung und der Wahrung ihrer Rechte gegenüber der Beklagten beauftragt.
Der Kläger und seine gesetzlichen Vertreter müssen sich daher im Verhältnis zur Beklagten die grob fahrlässige Unkenntnis vom fehlenden materiell-rechtlichen Anspruch ihres Rechtsanwaltes, den sie mit der Führung des Rechtsstreites beauftragt haben, nach dem Rechtsgedanken des § 166 BGB zurechnen lassen (vgl. BSG, Urteil vom 12.12.2018, B 12 R 15/18 R, zitiert nach juris, dort Rn. 20; zur Wissenszurechnung im Verhältnis Rechtsanwalt – Mandant vgl. BGH, Urteil vom 25.10.2018, IX ZR 168/17, zitiert nach juris, dort Rn. 13 ff. m.w.N.). Der Rechtsanwalt hat die Pflicht, die Rechtslage umfassend zu prüfen. Er muss seine Mandanten umfassend rechtlich beraten und vor voraussehbaren und vermeidbaren Risiken warnen. Er hat bei seiner Beratung die einschlägige höchstrichterliche Rechtsprechung zu kennen und seinen Mandanten so aufzuklären, dass dieser in der Lage ist, Chancen und Risiken des Rechtsstreits in der Laiensphäre abzuwägen. Ist ein Rechtstreit aussichtslos, so muss er dies dem Mandanten klar mitteilen. Er darf sich nicht mit dem Hinweis begnügen, die Erfolgsaussichten seien offen (vgl. BGH, Urteil vom 10.5.2012, IX ZR 125/10, zitiert nach juris, dort Rn. 22 m.w.N.). Nach der Rechtsprechung des BGH richtet sich der Umfang der Pflicht des Rechtsanwaltes zu Risikohinweisen nach der einschlägigen höchstrichterlichen Rechtsprechung. Der jeweils aktuellen höchstrichterlichen Rechtsprechung kommt für die Erfüllung der dem Rechtsanwalt obliegenden vertraglichen Aufgaben überragende Bedeutung zu. Deshalb hat er seine Hinweise, Belehrungen und Empfehlungen in der Regel danach auszurichten, u.z. sogar dann, wenn er die Rechtsprechung für unzutreffend hält (BGH, Urteil vom 28. September 2000, IX ZR 6/99, zitiert nach juris, BGH, Urteil vom 16.9.2021, IX ZR 165/19, zitiert nach juris, dort Rn. 30).
Vor diesem Hintergrund war es die Pflicht des Prozessbevollmächtigten, vor Erhebung der Klage am 13. März 2018 und damit vor der Selbstbeschaffung der Kopforthese am 27. März 2018 sich Kenntnis von der eindeutigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu verschaffen und die dort enthaltene ausführliche Begründung, warum es keine Studien gibt, die den Nutzen der Helmtherapie belegen, zur Kenntnis zu nehmen.
Die gleichwohl allein auf die behauptete Überlegenheit der Helmtherapie gegenüber der Lagerungstherapie gestützte Klage lässt eine Kenntnis der BSG-Rechtsprechung nicht erkennen. Soweit der Prozessbevollmächtigte im Klageverfahren sogar selbst ausdrücklich bestätigt, dass er die Eltern des Klägers in seiner Beratung nicht auf die Rechtsprechung des BSG und deren Auswirkungen auf den Rechtsstreit hingewiesen habe, vermag dies nicht dem Kläger zum Erfolg zu verhelfen, sondern bestätigt lediglich die fehlerhafte anwaltliche Beratung.
Die grob den anwaltlichen Pflichten zuwiderlaufende Unkenntnis des Prozessbevollmächtigten von der Rechtsprechung des BSG und ihr folgend von dem fehlenden materiell-rechtlichen Leistungsanspruch des Klägers ist diesem zuzurechnen und schließt eine gutgläubige Selbstbeschaffung nach Klageerhebung aus. Es ist der Beklagten auch nicht ausnahmsweise unter Berücksichtigung von Treu und Glauben verwehrt, sich auf die Wissenszurechnung des Prozessbevollmächtigten der Kläger zu berufen (vgl. dazu Weinland, in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, Juris-PK BGB, 9. Aufl., § 166, Rn. 4).
Der konkrete Einzelfall des Klägers lag auch vom Umfang der Asymmetrie und den zu erwartenden Auswirkungen auf die Körperfunktionen vollständig innerhalb des Rahmens der Entscheidungen des BSG vom 11. Mai 2017, so dass auch nicht guten Glaubens eine Berufung auf Ausnahmegründe im Einzelfall erfolgen konnte.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Verfahrens.
Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht, § 160 Abs. 2 SGG.