L 1 KR 356/20

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Abteilung
1.
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 3 KR 345/18
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 356/20
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 12 KR 4/23 B
Datum
Kategorie
Beschluss

Die Berufung wird zurückgewiesen.

 

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

 

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

 

I.

 

Der Kläger wendet sich der Sache nach gegen die rückwirkende Stornierung einer Familienversicherung und der anschließenden freiwilligen Versicherung bei der Beklagten.

 

Der 1959 geborene Kläger war als Tischlermeister und vertretungsberechtigter Gesellschafter in der Tischlerei R GbR, bestehend aus G R, D R und ihm, beruflich tätig und privat krankenversichert. Die Tischlerei besteht seit 1981 als Familienunternehmen.

 

Der Kläger beantragte am 27. April 2017 bei der Beklagten die Aufnahme in die Familienversicherung. Er gab an, dass die bisherige private Krankenversicherung bei der DKV zum 31. Mai 2017 ende. Beigefügt war die Kopie einer Gewerbeabmeldung an die Stadt B vom 27. April 2017, in dem das Gewerbe „Tischler“ zum 31. Mai 2017 abgemeldet wird.

 

Die Beklagte bestätigte mit Schreiben vom 8. Mai 2017 unter dem Betreff „Versicherungsbescheinigung nach § 10 SGB V i.V.m. § 25 SGB XI“, dass der Kläger „seit dem“ 1. Juni 2017 bei der Beklagten über seine Ehefrau familienversichert sei. Er habe Anspruch auf alle gesetzlichen und satzungsgemäßen Leistungen. Gleichzeitig wurde eine Mitgliedsbescheinigung übersandt.

 

Der Versicherungsmakler T M reichte sodann einen Antrag vom 7. Juni 2017 rückwirkend ab dem 6. Juni 2017 auf freiwillige Mitgliedschaft als selbstständiger Tischler-Meister ein. Beigefügt war die Kopie einer Gewerbeanmeldung zum 6. Juni 2017 als Tischler. Als Einkommen sind „ca. 2.400“ (€ monatlich) angegeben.

 

Die Beklagte begrüßte den Kläger als Mitglied und setzte die Beitragshöhe mit Bescheid vom 14. Juni 2017 ausgehend von Monatseinahmen von 2.400 € auf insgesamt 441,60 € monatlich fest. Mit weiterem Bescheid vom 15. Januar 2018 bestimmte sie den Beitrag auch ab 2018 auf 441,60 € pro Monat.

 

Mit Schreiben vom 2. März 2018 informierte die Beklagte den Kläger dann aber, aufgrund der Wiederanmeldung des Betriebes bereits fünf Tage nach der Abmeldung davon auszugehen, dass es sich nicht um eine Betriebsaufgabe gehandelt habe. Eine anderweitige Sicherstellung des Lebensunterhaltes sei vermutlich von vornherein nicht geplant gewesen. Der Kläger sei daher als durchgehend selbstständig tätig zu behandeln. Die vermeintliche Geschäftsaufgabe sei nur erfolgt, um in die gesetzliche Krankenversicherung zu gelangen. Es sei beabsichtigt, die durchgeführte Familienversicherung zu stornieren. Der Zugang zur freiwilligen Versicherung sei damit nicht mehr gegeben.

 

Dem widersprach der Kläger mit Schreiben vom 14. März 2018: Bereits aus der unstreitigen Gewerbeabmeldung ergebe sich rein faktisch, dass die selbstständige Tätigkeit beendet worden sei. Aufgrund erheblicher gesundheitlicher Probleme habe er seine selbstständige Tätigkeit bereits zuvor erheblich reduzieren müssen. Die Neuanmeldung sei aufgrund einer kurzeitig verbesserten Auftragslage erfolgt.

 

Mit Bescheid vom 20. März 2018 stornierte die Beklagte die Familienversicherung sowie die freiwillige Versicherung und hob die Beitragsbescheide vom 14. Juni 2017 und 15. Januar 2018 auf. Der Kläger sei am 27. April 2017 als Gesellschafter der GbR G R/E R/D R zum 31. Mai 2017 ausgetreten. Am 6. Juni 2017 sei er der GbR G R/D R erneut als Gesellschafter beigetreten. Er habe erklärt, ab dem 6. Juni 2017 einer selbstständigen Tätigkeit im Umfang von 40 Wochenstunden und mit einem Einkommen von 2.400 € nachzugehen. Auch sei die freiwillige Mitgliedschaft mit Anspruch auf gesetzliches Krankengeld beantragt worden, was als Indiz der wirtschaftlichen Bedeutung der Tätigkeit zu werten sei. Schutzwürdiges Vertrauen sei nicht gegeben. Es sei vielmehr davon auszugehen, dass der kurzzeitige Aus- bzw. Eintritt als Gesellschafter von vornherein geplant gewesen sei, um über die vermeintliche Betriebsaufgabe einen Zugang zur gesetzlichen Krankenversicherung zu erhalten.

 

Der Kläger erhob Widerspruch. Zu dessen Begründung führte er ergänzend aus, er habe vor der Familienversicherung u. a. den Sachverhalt beim Finanzamt angegeben, das Betriebsvermögen sei aufgelöst worden, eventuelle Nachzahlungen an das Finanzamt seien geleistet worden, und auch den Berufsgenossenschaften/Innungen sei die Beendigung der selbstständigen Tätigkeit mitgeteilt worden. Die Bescheide der Beklagten seien zudem bestandskräftig und deshalb verbindlich für beide Seiten. Der durch sie geschaffene Vertrauensschutz schließe nach mehr als neun Monaten eine geänderte Bewertung gleicher Tatsachen aus.

 

Mit Bescheid vom 30. Mai 2018 ergänzte die Beklagte ihren Bescheid vom 20. März 2018 und erklärte, dass dieser zugleich im Namen der Pflegekasse ergehe.

 

Mit weiterem Schreiben vom selben Tag übersandte sie einen Fragenkatalog und bat um Nachweise. Der Kläger antwortete mit Schreiben vom 22. Juni 2018, die schweren Belastungen durch die Tischlertätigkeit hätten zunehmend zu erheblichen Gesundheitseinschränkungen geführt. Der Stress im beruflichen Leben sowie Existenzängste hätten ihn psychisch beeinträchtigt. Er könne seine Arbeitsaufgaben lediglich eingeschränkt erfüllen. Zudem leide er an chronischen Schmerzen im rechten Bein, an einem starken Bandscheibenschaden, einer Hyperthyreose und einer Herzerkrankung. Für die GbR habe kein aufzulösendes Betriebsvermögen existiert, da der Kläger zwar als Gesellschafter ausgeschieden sei, die GbR jedoch weiter existiert habe. Kunden und Vertragspartner seien nicht informiert worden, da die GbR ihre Tätigkeiten fortgesetzt habe.

 

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 13. Juli 2018 zurück: Die Familienversicherung ab 1. Juni 2017 sei aufgrund der Ausübung einer hauptberuflich selbstständigen Erwerbstätigkeit ausgeschlossen und daher aufzuheben. Aufgrund der (dann) nicht vorhandenen Familienversicherung und dem damit fehlenden Bezug zum System der gesetzlichen Krankenversicherung sei auch die Durchführung der freiwilligen Krankenversicherung ab dem 6. Juni 2017 nicht möglich und daher rückwirkend aufzuheben. Für Ehegatten bestehe ein Anspruch auf Familienversicherung nach §§ 10 Abs. 1 Nr. 4 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) und 25 Abs. 1 Nr. 4 Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI) nur dann, wenn keine hauptberufliche selbstständige Tätigkeit ausgeübt werde. Hauptberuflich sei eine selbstständige Erwerbstätigkeit, wenn sie von der wirtschaftlichen Bedeutung und dem zeitlichen Aufwand her die übrigen Erwerbstätigkeiten zusammen deutlich übersteige und den Mittelpunkt der Erwerbstätigkeit darstelle bzw. grundsätzlich dann, wenn sie mehr als halbtags ausgeübt werde. Davon sei beim Kläger auszugehen. Die selbstständige Erwerbstätigkeit sei vom 1. Juni 2017 bis zum 5. Juni 2017 ausschließlich zum Zweck des Zugangs zur gesetzlichen Familienversicherung unterbrochen worden. Die Familienversicherung sei zu Unrecht durchgeführt worden und rückwirkend gemäß § 45 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) aufzuheben gewesen. Schutzwürdiges Vertrauen des Klägers liege nicht vor, da er durch die vermeintliche Betriebsaufgabe über das Pfingstwochenende gezielt den Zugang zur gesetzlichen Krankenversicherung angestrebt habe, da ihm aufgrund § 6 Abs. 3 a SGB V eine Rückkehr in die gesetzliche Krankenversicherung aufgrund des Alters selbst bei Eintritt von Versicherungspflicht nicht möglich gewesen wäre. Auch sei der Kläger mit der Gesamtsituation nicht transparent umgegangen und habe Nachweise über gesundheitliche Einschränkungen, das Bemühen der Aufnahme einer Arbeitnehmertätigkeit sowie Bescheinigungen bzw. Abrechnungen des Finanzamtes über die steuerlichen Verpflichtungen oder die Auflösung des Betriebsvermögens aufgrund der Geschäftsaufgabe, betriebswirtschaftliche Auswertungen oder Bescheinigung der Berufsgenossenschaften bzw. Innungen trotz Aufforderung nicht eingereicht. Die Übergabe von Geschäftsanteilen bzw. ein Austritt als Gesellschafter der (alten) GbR sei ebenfalls nicht belegt worden. In der Konsequenz sei auch die freiwillige Mitgliedschaft nach § 188 Abs. 4 SGB V rückwirkend aufzuheben gewesen.

 

Hiergegen hat der Kläger am 13. August 2018 Klage beim Sozialgericht Potsdam (SG) erhoben. Zu deren Begründung hat er ergänzend vorgetragen, alle Unterlagen seien über den bei der Beklagten beschäftigten Maklerbetreuer, M M, eingereicht und von diesem weitergeleitet worden. Der Sachverhalt sei der Beklagten damit umfänglich bekannt gewesen. Die geänderten Ansichten der Beklagten bei gleichem Sachverhalt seien nicht geeignet, rechtskräftige Bescheide mit Vertrauensschutz rückwirkend und zukünftig aufzuheben. Der Kläger habe auf den Bestand der Entscheidungen vertraut und seine private Krankenversicherung gekündigt.

 

Der Kläger hat zum 1. Januar 2019 einen Kassenwechsel zur Beigeladenen vorgenommen. Er hat bei dieser u. a. seinen Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2017 eingereicht.

 

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 23. Juli 2020 abgewiesen. Zur Begründung hat es u.a. ausgeführt, die Voraussetzungen für eine Familienversicherung des Klägers ab dem 1. Juni 2017 hätten von Anfang an nicht vorgelegen. Der Kläger sei nämlich weiterhin hauptberuflich selbstständig erwerbstätig gewesen, § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB V. Er habe durch die kurzfristige Unterbrechung von Donnerstag, den 1. Juni 2017 bis zum Pfingstmontag, den 5. Juni 2017, die bisherige selbstständige Tätigkeit als Tischlermeister in der Tischlerei R GbR nicht aufgegeben, denn er sei nachweislich und auch nach seinen Angaben ab dem 6. Juni 2017 erneut im bisherigen Unternehmen hauptberuflich tätig gewesen.

Trotz Anforderung und Erinnerung sowie der Hinweise der Beklagten habe der Kläger keinerlei Belege für die Aufgabe seiner selbstständigen Tätigkeit mitgeteilt. Auch fehlten Befunde über die Behauptung, die selbstständige Tätigkeit aus gesundheitlichen Gründen aufgegeben zu haben. Nach dem 6. Juni 2017 und der Wiederanmeldung seiner gewerblichen Tätigkeit habe er keine maßgeblichen Einkommensverluste hinnehmen müssen, sondern habe angegeben, von einem monatlichen Einkommen von 2.400 € bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden auszugehen. Der Kläger könne sich auch nicht auf Vertrauensschutz berufen. Ebenso sei die Jahresfrist des § 45 Abs. 4 S. 2 SGB X gewahrt. Es liege auch kein Ermessensausfall vor, weil das Ermessen reduziert gewesen sei und zwingend eine Aufhebung mit Wirkung für die Vergangenheit habe erfolgen müssen.

 

Gegen diese am 14. August 2020 zugestellte Entscheidung richtet sich die Berufung des Klägers vom 10. September 2020. Zu deren Begründung führt der Kläger aus, das SG habe nicht berücksichtigt, dass der Sachverhalt der Beklagten von Beginn an bekannt gewesen sei. Die Beklagte habe vor Aufnahme in die Familienversicherung und vor der Bestätigung der freiwilligen Krankenversicherung nicht beim Kläger nachgefragt. Es seien weder steuerliche Unterlagen noch weitere Nachweise gefordert worden, obwohl er die Abmeldung des Gewerbes und die Neuanmeldung mitgeteilt habe. Er sei nicht bewusst rechtswidrig vorgegangen, denn er habe tatsächlich vorgehabt, seine selbstständige Tätigkeit aus gesundheitlichen Gründen aufzugeben. Ein Nachweis der Beendigung sei ihm schwer möglich, da er Teil einer GbR mit mehreren Gesellschaftern gewesen sei. Da sich die in Aussicht genommenen Änderungen nicht hätten umsetzen lassen, habe der Kläger vom Vorhaben, die selbstständigen Tätigkeit generell aufgegeben, Abstand genommen, um weitere Kosten für die GbR aufgrund nachwirkender gesellschaftsrechtlicher Änderungen zu vermeiden. Er könne keine Unterlagen vorlegen, welche einen möglichen Eintritt von Interessenten in die GbR belegten. Da er tatsächlich nicht aus der GbR ausgeschieden sei, ließen sich die gewünschten Nachweise und Belege weder der Beklagten noch dem Gericht vorlegen. Der Kläger habe auch keine Kenntnisse über die gesetzlichen Voraussetzungen und die Ausschlussgründe der Familienversicherung der freiwilligen Versicherung gehabt. Er habe die private Krankenversicherung bei der DKV schon im Vorfeld vor Pfingsten 2017 gekündigt, bestreite aber, den Weg alleine deshalb gegangen zu sein, um von der privaten Krankenversicherung in die gesetzliche zu wechseln. Die Beklagte habe ihm mit Bescheid vom 8. Mai 2017 die Durchführung der Familienversicherung bestätigt. Dieser Bescheid entfalte weiter Bindungswirkung, da er vom hier angefochtenen Bescheid vom 20. März 2018 nicht erfasst sei. Der Bescheid der Beklagten vom 30. Mai 2018 sei erst deutlich nach der gesetzlichen Jahresfrist für eine rückwirkende Aufhebung von Verwaltungsakten erfolgt. Entgegen der Auffassung des SG habe die Beklagte auch kein Ermessen ausgeübt. § 45 Abs. 4 SGB V setzte zunächst voraus, dass einer der Vertrauensausschlusstatbestände nach § 45 Abs. 2 S. 3 SGB X gegeben sei. Danach schließe sich erst die Ermessensentscheidung an. Einer der seltenen Ausnahmefälle einer Ermessensreduzierung auf Null liege nicht vor. Es gebe keine Anhaltspunkte für ein betrügerisches vorsätzliches Handeln.

 

Der Kläger beantragt,

 

das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 23. Juli 2020 sowie den Bescheid der Beklagten vom 20. März 2018 und den Bescheid vom 30. Mai 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Juli 2018 aufzuheben.

 

Die Beklagte beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Die Beklagte trägt vor, der Versicherungsmakler M sei für sie bis 30. April 2018 als Vertriebspartner zur Vermittlung von Mitgliedern tätig gewesen.

 

Die Beigeladene erklärt, dem Urteil des SG zu folgen. Das Ermessen sei äußerst reduziert, da das Schutzbedürfnis der Versichertengemeinschaft höher anzusehen sei als der Vertrauensschutz des Einzelnen.

 

Auf die genannten Schreiben und Bescheide wird ergänzend Bezug genommen.

 

II.

 

Es konnte im Beschlusswege nach § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entschieden werden, denn der Senat hält die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die Beteiligten sind auf die Absicht, so vorzugehen, im Erörterungstermin am 13. September 2022 hingewiesen worden.

 

Der form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegten Berufung des Klägers bleibt der Erfolg versagt. Das SG hat die Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung abgewiesen. Die streitgegenständlichen Bescheide vom 20. März 2018 und 30. Mai 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Juli 2018 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten.

 

Bei dem Kläger lagen ab dem 1. Juni 2017 die Voraussetzungen einer Familienversicherung nicht vor. Eine Familienversicherung war nach § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB V vielmehr ausgeschlossen wegen einer hauptberuflichen selbstständigen Erwerbstätigkeit.

 

Der Senat teilt die Auffassung der Beklagten und des SG, dass der Kläger ununterbrochen hauptberuflich selbstständig als Tischler tätig gewesen ist und verweist zunächst auf die zutreffenden Ausführungen des SG im angegriffenen Urteil, § 153 Abs. 2 SGG. Hätte der Kläger im April 2017 wirklich geplant gehabt, sein Gewerbe aufzugeben und die Mitgliedschaft in der Tischlerei R zu beenden, hätte er unschwer entsprechende Dokumente zur Regelung seines Ausscheidens aus der GbR und zur Abwicklung in gesellschaftsrechtlicher und in steuerlicher Hinsicht vorlegen oder wenigstens die Absprachen mitteilen können. Dies ist weder im Verwaltungsverfahren noch vor Gericht erfolgt. Stattdessen hat er seinen Bevollmächtigten im Widerspruchsverfahren im Widerspruch zu seinem späteren Vorbringen wahrheitswidrig vortragen lassen, entsprechende Meldungen und steuerliche Erklärungen beim Finanzamt abgegeben, das Betriebsvermögen aufgelöst zu haben und sich auch bei der Berufsgenossenschaft abgemeldet zu haben. Einen plötzlichen Sinneswandel angesichts unerwarteter Einnahmen hat es ganz offenbar nicht gegeben. Angesichts des Umstandes, dass der Kläger bereits am 27. April 2017 seine bisherige private Krankenversicherung zum 31. Mai 2017 gekündigt hatte, ist vielmehr mit der Beklagten davon auszugehen, dass die Ab- und die Wiederanmeldung nur zum Schein erfolgt sind, um in die gesetzliche Krankenversicherung zu gelangen. Zu Recht stellt die Beklagte darauf ab, dass eine Rückkehr in die gesetzliche Krankenversicherung aufgrund des Alters des Klägers selbst bei Eintritt von Versicherungspflicht nach § 6 Abs. 3 a SGB V nicht möglich gewesen wäre.

 

Das SG hat bereits ausgeführt, dass eine hauptberufliche Erwerbstätigkeit i.S.v. § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB V jedenfalls dann gegeben ist, wenn die selbständige Erwerbstätigkeit – wie im Falle des Klägers nach dessen eigenen Angaben – mehr als halbtags ausgeübt wird (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 26. Februar 2014 – L 9 KR 262/11 – juris Rn. 70 mit Bezugnahme auf Bundessozialgericht <BSG>, Urteil vom 10. März 1994 - 12 RK 3/94 - zu § 240 Abs. 4 S. 2 SGB V). Eine Familienversicherung war gleichzeitig nach § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 SGB V ausgeschlossen, weil der Kläger mehr als 1/7 der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 Sozialgesetzbuch Viertes Buch - also im Jahr 2017 für Neue Bundesländer 2.660,-- € ./. 7 = 380,-- € monatlich - an Arbeitseinkommen aus seiner Tischlertätigkeit hatte. Nach seinen Angaben bei der Beklagten sollten die Einnahmen 2.400 € pro Monat betragen, ausweislich des Einkommensteuerbescheides betrugen sie im gesamten Jahr 2017 98.699,-- € (umgerechnet 8.224,92 € monatlich).

 

Die Beklagte konnte mit Bescheid vom 20. März 2018 feststellen, dass rückwirkend keine Familienversicherung bestanden hat (vgl. BSG, Urteil vom 7. Dezember 2000 – B 10 KR 3/99 R – juris Rn. 31ff, Felix in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl., § 10 SGB V [Stand: 30.11.2022], Rdnr. 88). Die Stornierung stellt keinen aufhebenden Verwaltungsakt dar, weil die Beklagte eine solche Versicherung nicht bestandskräftig durch Verwaltungsakt festgestellt hat.

 

Bei dem Schreiben der Beklagten vom 8. Mai 2017 handelt es sich nicht um einen Verwaltungsakt. In diesem Schreiben wird lediglich unter dem Betreff Versicherungsbescheinigung bestätigt, dass eine Familienversicherung bestehe. Bescheinigungen über die Zugehörigkeit zu einer gesetzlichen Krankenkasse sind in der Regel wie die sogenannten Begrüßungsschreiben, mit denen der (vermeintliche) Beginn einer Krankenkassenmitgliedschaft mitgeteilt wird, keine Verwaltungsakte, mit denen die Versicherung festgestellt wird. Es fehlt regelmäßig an dem für einen Verwaltungsakt notwendigen Regelungselement hinsichtlich des Bestehens von Versicherungspflicht (BSG, Urteil vom 27. Juni 2012 – B 12 KR 11/10 R – juris Rn 21). Auch vorliegend hat die Beklagte nur eine Bescheinigung ausgestellt, aber keine Regelung dazu getroffen, ob die Ehefrau pflichtversichert ist und/oder die Voraussetzungen für eine Familienversicherung vorliegen. Wie bei der Mitgliedsbescheinigung nach § 175 SGB V oder bei den Begrüßungsschreiben ist hierfür primär maßgeblich, dass derartige Bescheinigungen im Voraus ausgestellt werden, also zu einem Zeitpunkt, an welchem die gesetzlichen Voraussetzungen noch gar nicht festgestellt werden konnten. Die hier maßgebliche Bescheinigung datiert vom 8. Mai 2017 und ist für die Zeit ab 1. Juni 2017 ausgestellt worden. Auch fehlt es an einer Rechtsmittelbelehrung als typisches Indiz für den Willen der Körperschaft, einen Verwaltungsakt zu erlassen.

 

Ginge man – wie auch das SG - von einem den Kläger begünstigenden Verwaltungsakt aus, wäre dieser durch die Stornierung wirksam nach § 45 Abs. 1, Abs. 4 SGB X rückwirkend zurückgenommen. Die Beklagte hat durch die Stornierung und nachfolgende Rücknahme der Bescheide zur freiwilligen Krankenversicherung objektiv erkennbar einen (dann rechtsgestaltenden) entsprechenden Willen geäußert.

 

Der Kläger kann sich nicht auf Vertrauensschutz nach § 45 Abs. 2 S. 1 SGB X berufen, denn er hat den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung erwirkt (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. SGB X). Nach dem Sachverhalt ist – wie ausgeführt - davon auszugehen, dass von Anfang an eine Aufgabe des Tischlergewerbes nur zum Schein erfolgen sollte. Der Kläger muss sich das Verhalten seiner Bevollmächtigten analog § 278 Bürgerliches Gesetzbuch zurechnen lassen (vgl. Merten in: Hauck/Noftz SGB X, § 45 Rdnr. 79 mit Rechtsprechungsnachweisen). Der Kläger kann überdies entgegen seinem Rechtsvortrag hinsichtlich der Kündigung der privaten Krankenversicherung bereits deshalb nicht auf Bescheide der Beklagten vertraut haben, weil die Kündigung ausweislich seines Aufnahmeantrages bereits am 27. April 2017 erfolgt war.

 

Nach § 45 Abs. 4 S. 1 SGB X konnte die Beklagte den (hier unterstellten) Verwaltungsakt auch mit Wirkung für die Vergangenheit zurücknehmen. Die Jahresfrist des § 45 Abs. 4 S. 2 SGB X ist eingehalten. Die Stornierung erfolgte innerhalb eines Jahres nach Ausstellung der Bescheinigung vom 8. Mai 2017. Der weitere Bescheid vom 30. Mai 2018 hatte nur klarstellende Funktion.

 

Der Senat teilt schließlich die Auffassung des SG, dass im vorliegenden Fall die Beklagte keine andere Alternative hatte, als die Versicherung rückwirkend aufzuheben. Das Rücknahmeermessen war „auf Null“ reduziert.

 

Eine Reduzierung des Entschließungsermessens auf eine Pflicht zur Rücknahme wird nämlich angenommen, wenn das Verschulden des Leistungsempfängers die Qualität betrügerischen Verhaltens erreicht (vgl. Merten, a. a. O. § 45 Rdnr. 118). Dies ist hier der Fall. Der Kläger kann sich deshalb nicht auf die von ihm angeführte Entscheidung des Sozialgerichts Schwerin vom 24. April 2019 berufen. Das dortige Gericht hat in dem von ihm entschiedenen Fall vorsätzliches betrügerisches Verhalten verneint.

 

Wie bereits die Beklagte im Widerspruchsbescheid dargelegt hat, hat sich ab dem 6. Juni 2017 nicht nach § 188 Abs. 4 SGB V eine freiwillige Krankenversicherung angeschlossen, weil dies nach § 188 Abs. 4 S. 1 SGB V das Ende einer bestehenden Familienversicherung vorausgesetzt hätte.

 

Ob der Bescheid vom 14. Juni 2016 neben der belastenden Regelung der Beitragsfestsetzung auch die positive Feststellung des Bestehens einer freiwilligen Versicherung nach § 9 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB V enthält, kann dahinstehen. Die Beklagte konnte mit Bescheid vom 20. März 2018 auch die freiwillige Versicherung stornieren und damit etwa feststellende Wirkungen rückwirkend nach § 45 Abs. 1, Abs. 2 S. 3 Nr. 1, Abs. 4 SGB X aufheben. Auf die Ausführungen zur Familienversicherung wird verwiesen.

 

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und entspricht dem Ergebnis in der Sache.

 

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.

 

Rechtskraft
Aus
Saved