L 1 BA 67/21

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Betriebsprüfungen
Abteilung
1.
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 91 BA 72/19
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 BA 67/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 4. Oktober 2021 wird zurückgewiesen.

 

Die Beklagte trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.

 

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

 

Gründe

 

I.

 

Die Klägerin wendet sich gegen einen Betriebsprüfungsbescheid, mit welchem die Beklagte Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von (i.H.v.) insgesamt 7.822,30 € nachfordert.

 

Die Klägerin, die ihren Sitz in B-P hat, betreibt eine Firma, die Dienstleistungen der Informationstechnologie bundesweit/weltweit anbietet. Der in L im Bundesland H wohnhafte Beigeladene zu 1 ist laut Arbeitsvertrag vom 6. Mai 2013 seit dem 1. Juni 2013 bei der Klägerin als IT-Consultant beschäftigt.

 

Die Beklagte führte am 15. März 2018 für die Zeit vom 1. Januar 2014 bis zum 31. Dezember 2017 eine Betriebsprüfung durch. Im Rahmen des Prüfverfahrens erläuterte die Steuerberatungsgesellschaft der Klägerin, dass diese stets mangels bestehender Außenstellen ihre Mitarbeiter ausschließlich an ihrem Sitz in B beschäftigt bzw. die mit Tätigkeit bei Kunden vor Ort betrauten Mitarbeiter vom Sitz in B geführt habe. Soweit Mitarbeiter auf Wunsch des Kunden die Tätigkeit vor Ort ausführten, würden sie von B zum Kunden bzw. zum gewünschten Ort geschickt. Mitarbeiter, die regelmäßig für Kunden vor Ort tätig würden, seien üblicherweise an verschiedenen Orten tätig. Maßgeblicher Beschäftigungsort sei danach der Sitz der Klägerin. Demgemäß spiele es keine Rolle, mit welchem jeweiligen Zeitanteil betroffene Mitarbeiter am Betriebssitz oder sonst im Beitrittsgebiet einerseits und im Altbundesgebiet andererseits tätig seien. Dies lasse sich regelmäßig auch nicht vorher bestimmen. Die Klägerin habe ihren Sitz schon immer im Beitrittsgebiet gehabt, also auch nicht extra dahin verlegt, um möglicherweise Sozialversicherungsbeiträge aufgrund geringerer Beitragsbemessungsgrenzen einzusparen.

 

Die Beklagte forderte nach Anhörung vom 2. Mai 2018 mit Bescheid vom 18. Juni 2018 von der Klägerin nachzuzahlende Beiträge in Höhe von insgesamt 7.822,30 €, da ein Arbeitnehmer – der Beigeladene zu 1 – bei der Berechnung der Beiträge unzutreffend dem Rechtskreis „Ost“ zugeordnet worden sei. Beschäftigungsort des Beigeladenen zu 1 sei der Ort, an dem die Beschäftigung ausgeübt werde. Er sei überwiegend als Berater oder Projektleiter im Einsatz und häufig bei Kunden vor Ort. Er besitze ein steuerlich anerkanntes innerhäusliches Arbeitszimmer, jedoch keinen Arbeitsplatz in der Firma der Klägerin. Der Wohnort des Beigeladenen zu 1 befinde sich im Rechtskreis „West“. Insofern ergebe sich eine Nachzahlung der zu wenig entrichteten Beiträge in der Renten- und Arbeitslosenversicherung, sowie bei der Insolvenzgeld-Umlage und bei der Umlage U1 und U2.

 

In ihrem Widerspruch vertrat die Klägerin die Auffassung, der Beigeladene zu 1 sei dem Rechtskreis „Ost“ zu unterwerfen. Bei der Wohnung des Beigeladenen zur 1 handele es sich nicht um eine Arbeitsstätte im Sinne des Gesetzes. Die Klägerin habe dort kein Arbeitszimmer eingerichtet. Es bestehe keine Vereinbarung über die Nutzung eines Arbeitszimmers. Ebenso wenig sei eine Tätigkeit im Home-Office vereinbart. Die Klägerin trage dafür auch keinerlei Kosten. Deshalb sei der Firmensitz auch der Beschäftigungsort.

 

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 12. Februar 2019 als unbegründet zurück. Die Arbeit des Beigeladenen zu 1 werde zumeist im häuslichen Arbeitszimmer ausgeübt. Dies sei deshalb die feste Arbeitsstätte. Da sich sowohl der Wohnort mit dem Arbeitszimmer als auch die Kunden vor Ort im Rechtskreis „West“ befänden, werde die Arbeit tatsächlich im Rechtskreis „West“ ausgeübt.

 

Hiergegen hat die Klägerin am 20. März 2019 Klage vor dem Sozialgericht Berlin erhoben. Sie hat vorgetragen, bei der Festlegung des Beschäftigungsortes könne nicht auf das Vorhandensein eines häuslichen Arbeitszimmers abgestellt werden. Der Beigeladene zu 1 habe die Arbeitsleistung dort auszuüben, wo dies von ihm verlangt werde. Dies sei in aller Regel beim jeweiligen Kunden. Es sei nicht ausgeschlossen, dass er dabei bestimmte Vor- und Nachbereitungstätigkeiten von Zuhause erledige, wenngleich dies nicht so angeordnet sei. Dies betreffe jedoch nur einen vergleichsweise untergeordneten Anteil an der Gesamtarbeitszeit von unter 10 %. Eine arbeitsvertragliche Regelung bezüglich des häuslichen Arbeitszimmers liege nicht vor.

 

Der Beigeladene zu 1 hat unter dem 26. Oktober 2020 eine Aufstellung seiner Arbeitstage und Einsätze in der Zeit von Januar 2014 bis Dezember 2017 vorgelegt, auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird.

 

Das Sozialgericht hat der Klage durch Urteil vom 4. Oktober 2021 stattgegeben und den Bescheid der Beklagten vom 18. Juni 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Februar 2019 aufgehoben. Der Bescheid sei rechtswidrig und verletze die Klägerin in ihren Rechten. Entgegen der Auffassung der Beklagten habe die Klägerin die Beiträge des Beigeladenen zu 1 zu Recht dem Rechtskreis „Ost“ zugeordnet, denn als Beschäftigungsort gelte vorliegend der Sitz der Klägerin. Unstreitig habe der Beigeladene zu 1 nicht am Betriebssitz der Klägerin, sondern ausschließlich im Außendienst bei Kunden der Klägerin sowie im Home-Office gearbeitet. Der Annahme der Beklagten, das häusliche Arbeitszimmer des Beigeladenen zu 1 sei als Arbeitsstätte anzusehen, könne die Kammer nicht folgen, da Arbeitsstätten gemäß der Legaldefinition des § 2 Abs. 1 der Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV) „Orte in Gebäuden oder im Freien, die sich auf dem Gelände eines Betriebes oder einer Baustelle befinden und die zur Nutzung für Arbeitsplätze vorgesehen sind“ sowie „andere Orte in Gebäuden oder im Freien, die sich auf dem Gelände eines Betriebes oder einer Baustelle befinden und zu denen Beschäftigte im Rahmen ihrer Arbeitszugang haben“ seien. Damit könne ein Home-Office keine betriebliche Einrichtung und auch keine Arbeitsstätte des Arbeitgebers sein. Demzufolge sei im hiesigen Fall eine feste Arbeitsstätte nicht vorhanden. Da der Beigeladene zu 1 die Beschäftigung an verschiedenen Orten ausgeübt habe, gelte als Beschäftigungsort der Ort, an dem der Betrieb seinen Sitz habe, dieser liege hier im Rechtskreis „Ost“.

 

Gegen das ihr am 8. Oktober 2021 zugestellte Urteil richtet sich die am 28. Oktober 2021 bei dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg eingegangene Berufung der Beklagten. Nach dem Gesetzeswortlaut gelte als Beschäftigungsort der Ort, an dem die Beschäftigung ausgeübt werde. Entscheidend hierfür sei regelmäßig die körperliche Anwesenheit. Deshalb sei bei Telearbeitsplätzen nicht der Sitz des Arbeitgebers, sondern der Wohnort des Tele-Arbeitnehmers entscheidend. Ferner habe das Landessozialgericht Baden-Württemberg (Urteil vom 27. März 2012 – L 13 AL 4973/10) bei einem Beschäftigten eines schweizerischen Unternehmens, der ausschließlich im Bundesgebiet gewohnt habe und dort tätig gewesen sei, angenommen, dass als Anknüpfungspunkt für die tatsächliche Ausübung lediglich das vom Beschäftigten an seinem Wohnort eingerichtete Home-Office sowie die an verschiedenen Orten im ganzen Bundesgebiet entfalteten Verkaufsaktivitäten in Betracht kämen. Die Klägerin habe ihren Sitz im Rechtskreis „Ost“. Der Beigeladene zu 1 sei jedoch überwiegend als Berater oder Projektleiter im Einsatz und häufig bei Kunden vor Ort tätig. Von seinem steuerlich anerkannten häuslichen Arbeitszimmer im Rechtskreis „West“ habe der Beigeladene zu 1 unter anderem Konzepte geschrieben und an Telefonkonferenzen teilgenommen. Für den Beigeladenen zu 1 habe bei der Klägerin kein Arbeitszimmer zur Verfügung gestanden. Sie – die Beklagte – sei weiterhin der Auffassung, dass unter „Ort“ im Sinne des § 9 Abs. 1 SGB IV ein Ort im verwaltungsrechtlichen und nicht im geographischen Sinn zu verstehen sei, also beispielsweise ein Bezirk und nicht die Betriebsstätte selbst. Beschäftigungsort sei ein Ort, entweder ohne eine feste Arbeitsstätte oder mit einer solchen. Da sich sowohl der Wohnort mit dem Arbeitszimmer als auch die Kunden vor Ort im Rechtskreis „West“ befänden, sei die Arbeit tatsächlich im Rechtskreis „West“ ausgeübt worden.

 

Die Beklagte beantragt,

 

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 4. Oktober 2021 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

 

Die Klägerin beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Die Argumentation der Beklagten gehe an der Sache vorbei. Soweit sie auf den Wortlaut des Gesetzes abstelle, führe dies nicht weiter, weil der Beigeladene zu 1 tatsächlich seine Beschäftigung an verschiedenen Orten ausgeübt habe. Soweit die Beklagte auf eine Entscheidung des Landessozialgerichts Baden-Württemberg Bezug nehme, verkenne sie, dass durch diese Entscheidung die Frage, ob ein Arbeitszimmer eine Arbeitsstätte sein könne, gar nicht beurteilt worden sei. Zur Beurteilung, was eine feste Arbeitsstätte im Sinne eines Beschäftigungsortes nach § 9 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) sein könne, sei zunächst auf dem im Wort Beschäftigungsort enthaltenen Beschäftigungsbegriff im Sinne von § 7 Abs. 1 SGB IV abzustellen. Danach sei Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Es gehe also um eine abhängige Beschäftigung, genau um weisungsabhängige Beschäftigung. Die weisungsabhängige Beschäftigung komme insbesondere im Direktionsrecht des Beschäftigenden hinsichtlich der Arbeitszeit, des Arbeitsortes sowie der Art und Weise der Tätigkeit gemäß § 106 Gewerbeordnung (GewO) zum Ausdruck. Dieses Weisungsrecht könne der Arbeitgeber nach billigem Ermessen näher bestimmen, allerdings nur, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht durch den Arbeitsvertrag, Bestimmungen eine Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrags oder gesetzliche Vorschriften festgelegt seien. In diesem arbeitsvertraglichen Rahmen könne der Arbeitgeber Festlegungen treffen. Der Arbeitnehmer schulde die Dienstleistungen, wozu er sich zur rechten Zeit am rechten Ort zur Aufnahme der weisungsgemäßen Tätigkeit aufhalten müsse. Der Arbeitgeber könne den Arbeitnehmer aber nicht anweisen, dass er selbst irgendwelche zur Ausübung der Tätigkeit benötigte Arbeitsmittel, wozu auch die Räumlichkeiten gehörten, in denen die Arbeitstätigkeit ausgeübt werden solle, bereithalten müsse, sofern die Parteien nicht in zulässiger Weise etwas anderes vereinbarten. Folgerichtig könne ein vom Arbeitnehmer selbst eingerichtetes Arbeitszimmer niemals eine feste Arbeitsstätte im Sinne von § 9 SGB IV zur weisungsabhängigen Beschäftigung sein. Eine feste Arbeitsstätte als Beschäftigungsort könne im Ergebnis nur ein Ort sein, den der Arbeitgeber als Arbeitsmittel stelle.

 

Die Beteiligten sind zu einer Entscheidung durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) angehört worden.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie den weiteren Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs der Beklagten verwiesen, die dem Senat vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.

 

II.

 

1. Der Senat konnte nach Anhörung der Beteiligten die Berufung gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss zurückweisen, denn er hält sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich.

 

2. Die form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig, aber unbegründet.

 

Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist neben der Entscheidung des Sozialgerichts der Bescheid der Beklagten vom 18. Juni 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Februar 2019, mit welchem die Beklagte von der Klägerin die Zahlung weiterer Beiträge in der Renten- und Arbeitslosenversicherung sowie bei der Insolvenzgeldumlage und zur Umlage U1 und U2 betreffend die Beschäftigung des Beigeladenen zu 1 für die Zeit vom 1. Januar 2014 bis zum 31. Dezember 2017 i.H.v. insgesamt 7.822,30 € fordert.

 

Zu Recht hat das Sozialgericht den Bescheid der Beklagten vom 18. Juni 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Februar 2019 aufgehoben, denn der Bescheid ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Zu Unrecht hat die Beklagte von der Klägerin Beiträge nachgefordert.

 

Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheids ist § 28p Abs. 1 S. 1 und S. 5 SGB IV. Danach prüfen die Träger der Rentenversicherung bei den Arbeitgebern, ob diese ihre Meldepflichten und ihre sonstigen Pflichten nach dem SGB IV, die im Zusammenhang mit den Gesamtsozialversicherungsbeiträgen stehen, ordnungsgemäß erfüllen; sie prüfen insbesondere die Richtigkeit der Beitragszahlungen und der Meldungen (§ 28a SGB IV) mindestens alle vier Jahre (Satz 1). Die Träger der Rentenversicherung erlassen nach S. 5 dieser Vorschrift im Rahmen der Prüfung Verwaltungsakte (als sog. Prüfbescheid, BSG, Urteil vom 16. Dezember 2015 - B 12 R 11/14 R - juris) zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung einschließlich der Widerspruchsbescheide gegenüber den Arbeitgebern.

 

Zutreffend hat die Klägerin die Beschäftigung des Beigeladenen zu 1 dem so genannten Rechtskreis „Ost“ zugeordnet und damit Beiträge zur Rentenversicherung (§ 228a Abs. 1 Satz 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch <SGB VI>) sowie Beiträge zur Arbeitslosenversicherung (§ 341 Abs. 1 und 4, 408 Drittes Buch Sozialgesetzbuch <SGB III>) nach der Bezugsgröße „Ost“ und der Beitragsbemessungsgrenze „Ost“ entrichtet. Ebenso zutreffend hat die Klägerin die Höhe der Insolvenzgeld-Umlage sowie der Umlagen U1 und U2 unter Ansatz der Beitragsbemessungsgrenze „Ost“ ermittelt (§ 358 Abs. 2 SGB III, § 7 Abs. 2 Aufwendungsausgleichs-Gesetz <AAG>).

 

Maßgeblich für die Ermittlung der Höhe der für die Beschäftigung des Beigeladenen zu 1 zu entrichtenden Beiträge im streitigen Zeitraum ist damit, wo die Beschäftigung ausgeübt wurde. Der Begriff des Beschäftigungsortes wird weder in § 228a Abs. 1 SGB VI noch in § 408 SGB III definiert. Diesen regelt vielmehr § 9 SGB IV:

(1) Beschäftigungsort ist der Ort, an dem die Beschäftigung tatsächlich ausgeübt wird.

(2) Als Beschäftigungsort gilt der Ort, an dem eine feste Arbeitsstätte errichtet ist, wenn Personen

1. von ihr aus mit einzelnen Arbeiten außerhalb der festen Arbeitsstätte beschäftigt werden oder

2. außerhalb der festen Arbeitsstätte beschäftigt werden und diese Arbeitsstätte sowie der Ort, an dem die Beschäftigung tatsächlich ausgeübt wird, im Bezirk desselben Versicherungsamts liegen.

(3) Sind Personen bei einem Arbeitgeber an mehreren festen Arbeitsstätten beschäftigt, gilt als Beschäftigungsort die Arbeitsstätte, in der sie überwiegend beschäftigt sind.

(4) Erstreckt sich eine feste Arbeitsstätte über den Bezirk mehrerer Gemeinden, gilt als Beschäftigungsort der Ort, an dem die Arbeitsstätte ihren wirtschaftlichen Schwerpunkt hat.

(5) Ist eine feste Arbeitsstätte nicht vorhanden und wird die Beschäftigung an verschiedenen Orten ausgeübt, gilt als Beschäftigungsort der Ort, an dem der Betrieb seinen Sitz hat. Leitet eine Außenstelle des Betriebs die Arbeiten unmittelbar, ist der Sitz der Außenstelle maßgebend. Ist nach den Sätzen 1 und 2 ein Beschäftigungsort im Geltungsbereich dieses Gesetzbuchs nicht vorhanden, gilt als Beschäftigungsort der Ort, an dem die Beschäftigung erstmals im Geltungsbereich dieses Gesetzbuchs ausgeübt wird.

(6) In den Fällen der Ausstrahlung gilt der bisherige Beschäftigungsort als fortbestehend. Ist ein solcher nicht vorhanden, gilt als Beschäftigungsort der Ort, an dem der Betrieb, von dem der Beschäftigte entsandt wird, seinen Sitz hat.

(…)

 

Entgegen der Auffassung der Beklagten ist bei der Bestimmung des Beschäftigungs-ortes des Beigeladenen zu 1 im Prüfzeitraum nicht auf dessen häusliches Arbeitszimmer abzustellen.

 

Die einzelnen Absätze des § 9 SGB IV enthalten ein Regel-Ausnahme-Prinzip. § 9 Abs. 1 SGB IV stellt als Regelfall auf den Ort der tatsächlichen Beschäftigung ab und eröffnet damit eine faktische Betrachtungsweise für die Bestimmung des Beschäftigungsortes. Für die Ortsbestimmung ist nicht die räumlich geographische Betrachtung maßgeblich. Mit dem Begriff des Ortes ist die Gemeinde im politischen Sinn gemeint, das heißt die jeweilige Gebietskörperschaft (Grimmke in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IV, 4. Aufl., § 9 SGB IV (Stand: 01.08.2021), Rn. 17). Abs. 1 ist allein anzuwenden, solange Personen stetig innerhalb der Grenzen einer Gemeinde beschäftigt sind. Die Abs. 2 bis 7 haben Bedeutung, falls Beschäftigte im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses in verschiedenen Gemeinden tätig werden; in diesen Fällen liegen mehrere Arbeitsstätten vor; die Festlegung der sozialversicherungsrechtlich maßgeblichen Arbeitsstätte erfolgt nach den gesetzlichen Kriterien der Abs. 2 bis 7 (Zieglmeier in KassKomm, SGB IV § 9 Rn. 4, beck-online).

 

Vorliegend war der Beigeladene zu 1 ausweislich der von ihm vorgelegten Auflistung im Prüfzeitraum im Rahmen seines Beschäftigungsverhältnisses bei der Klägerin als IT-Consultant tatsächlich beschäftigt in verschiedenen Gebietskörperschaften, nämlich in den Bereichen der Gemeinden L (M-K-K in H) - wo sich auch sein Wohnort und sein häusliches Arbeitszimmer befindet (laut eigener Angabe in vier Jahren 151 Tage) - und F/M (ebenfalls H; laut eigener Angabe in vier Jahren 489 Tage) sowie im europäischen Ausland (L; laut eigener Angabe in vier Jahren 215 Tage). Ergibt sich danach ersichtlich nicht ein Beschäftigungsort, sondern mehrere, sind die Voraussetzungen der Abs. 2 bis 7 zu prüfen.

 

Besteht eine feste Arbeitsstätte, fingiert Abs. 2 auf dieser Grundlage diese für zwei Fälle als Beschäftigungsort. Der Begriff der festen Arbeitsstätte setzt nach der Rechtsprechung des BSG (insbes. BSG, Urteile vom 10.3.2015 – B 1 A 10/13 R – juris Rn. 23 und vom 27.8.2008 – B 11 AL 22/07 R – juris Rn. 17) voraus, dass es sich um zumindest für eine gewisse Zeit („verhältnismäßig längere Dauer“) zur Verrichtung von Arbeit vorgesehene und eingerichtete Räumlichkeiten an einem bestimmten Ort (Betrieb) handelt. Sie ist dann nicht gegeben, wenn nur „Einzeltätigkeiten von kurzer Dauer und geringem Umfang an einem oder verschiedenen Orten vorgenommen werden“ (Grimmke a.a.O. Rn. 18; auch: Zieglmeier a.a.O. § 9 Rn. 6). Einen längeren Zeitraum wird man unter Rückgriff auf den Rechtsgedanken des § 12 Nr. 8 lit. c Abgabenordnung (AO) dann annehmen können, wenn die Arbeitsstätte länger als sechs Monate besteht (Grimmke a.a.O. Rn. 20; Zieglmeier a.a.O.). Der Begriff der „Arbeitsstätte“ definiert sich in § 2 Abs. 1 der ArbStättV bzw. Art 2 der Richtlinie 89/654/EWG des Rates über Mindestvorschriften für Sicherheit und Gesundheitsschutz in Arbeitsstätten (Erste Einzelrichtlinie im Sinne des Artikels 16 Absatz 1 der Richtlinie 89/391/EWG) vom 30. November 1989 (ABl. EG Nr. L 393, S. 1), zuletzt geändert durch Artikel 1 III. Nummer 1 der Verordnung vom 20. Juni 2019 (ABl. L 198, S. 241) (so u.a. Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, 7. Auflage 2021, Rn. 4 zu § 11 SGB IV, Grimmke a.a.O. Rn. 19). Arbeitsstätten sind danach – wie schon das Sozialgericht aufgezeigt hat - Arbeitsräume oder andere Orte in Gebäuden auf dem Gelände eines Betriebes, Orte im Freien auf dem Gelände eines Betriebes sowie Orte auf Baustellen, sofern sie zur Nutzung für Arbeitsplätze vorgesehen sind. Demgemäß kommt die Wohnung des Beigeladenen zu 1 nicht als (feste) Arbeitsstätte in Betracht. Es handelt sich weder um Räumlichkeiten, die sich auf dem Betriebsgelände der Klägerin befinden noch um Räumlichkeiten, über die die Klägerin irgendeine Art von tatsächlicher oder rechtlicher Kontrolle ausübt. Weder ist das Arbeitszimmer als Beschäftigungsort / Einsatzort im Arbeitsvertrag des Beigeladenen zu 1 vereinbart noch ergibt sich eine solche Regelung aus übergeordneten Verträgen. Wie schon die Klägerin dargelegt hat, steht ihr auch im Rahmen des § 106 GewO kein Recht dahingehend zu, die Ausübung der Beschäftigung im häuslichen Bereich des Beigeladenen zu 1 anzuweisen zu. Bei dem häuslichen Arbeitszimmer des Beigeladenen zu 1 handelte es sich auch nicht um einen Telearbeitsplatz i.S.d. § 2 Abs. 7 der ArbStättV. Offensichtlich sind ebenso wenig die Büros der Kunden der Klägerin, bei denen der Beigeladene zu 1 eingesetzt war, d.h. die Büros der Cbank in F/M bzw. L, als Arbeitsstätten der Klägerin zu qualifizieren.

 

Da die Regelungen des § 9 Abs. 3 und 4 SGB IV hier evident ebenfalls nicht einschlägig sind, gilt – wovon das Sozialgericht ebenfalls zutreffend ausgegangen ist - als Beschäftigungsort gemäß § 9 Abs. 5 Satz 1 SGB IV der Betriebssitz der Klägerin. Dieser befindet sich in B-P, sodass die Klägerin den Beigeladenen zu 1 im Prüfzeitraum zutreffend dem Rechtskreis „Ost“ (§ 228a SGB VI) zugeordnet hat.

 

Der Berufung war daher nicht stattzugeben.

 

Die Kostenentscheidung ergeht nach § 197a SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

 

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.

Rechtskraft
Aus
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