1. Im Rahmen der zur Entscheidung nach § 199 Abs. 2 SGG zu treffenden Interessen- und Folgenabwägung ist zu berücksichtigen, dass eine Aussetzung der Vollstreckung nur dann in Betracht kommt, wenn der Vollstreckungsschuldner durch die Vollstreckung der erstinstanzlichen Entscheidung vor Eintritt der Rechtskraft eine nicht zu ersetzenden Nachteil erleiden würde und ein überwiegendes Interesse des Vollstreckungsgläubigers nicht entgegensteht. Dagegen spielen im Rahmen dieser Interessen- und Folgenabwägung die Erfolgsaussichten der Beschwerde grundsätzlich keine Rolle.
2. Der Aussetzungsantrag nach § 199 Abs. 2 SGG ist nicht als zusätzlicher, die Unrichtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung rügender Rechtsbehelf vorgesehen, der regelhaft zusammen mit der Beschwerde gegen eine vom Sozialgericht getroffene einstweilige Anordnung eingelegt wird. Ihren eigentlichen Anwendungsbereich hat die Vorschrift vielmehr im Hauptsacheverfahren.
3. Der Antrag nach § 199 Abs. 2 SGG mit dem Ziel der Aussetzung der Vollstreckbarkeit einer Regelungsanordnung ist damit atypischen Fällen vorgehalten. Für eine vorläufige Aussetzung der Vollstreckung nach § 199 Abs. 2 SGG im Eilverfahren bedarf es der Glaubhaftmachung weitere schwerwiegender Nachteile, die nicht anders abwendbar sind als in dem schmalen Zeitfenster bis zu Entscheidung über die Beschwerde.
Der Antrag des Antragsgegners, die Vollstreckung aus dem Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 23. Dezember 2022 auszusetzen, wird abgelehnt.
Der Antragsgegner hat den Antragstellern die außergerichtlichen Kosten des Aussetzungsverfahrens zu erstatten.
Gründe
Hat ein Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung, so kann nach § 199 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) der Vorsitzende des Gerichts, das über das Rechtsmittel zu entscheiden hat, durch einstweilige Anordnung die Vollstreckung aussetzen. Hierauf ist der Antrag des Antragsgegners vom 27. Dezember 2022 gerichtet. Dieser Antrag ist zulässig. Die Beschwerde hat gemäß §§ 154 Abs. 1, 175 SGG keine aufschiebende Wirkung; die Antragsteller können aus dem angefochtenen sozialgerichtlichen Beschluss vollstrecken (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 SGG).
Der Antrag ist unbegründet. Im Rahmen der zur Entscheidung nach § 199 Abs. 2 SGG zu treffenden Interessen- und Folgenabwägung ist zu berücksichtigen, dass eine Aussetzung der Vollstreckung nur dann in Betracht kommt, wenn der Vollstreckungsschuldner durch die Vollstreckung der erstinstanzlichen Entscheidung vor Eintritt der Rechtskraft einen nicht zu ersetzenden Nachteil erleiden würde und ein überwiegendes Interesse des Vollstreckungsgläubigers nicht entgegensteht. Dagegen spielen im Rahmen dieser Interessen- und Folgenabwägung die Erfolgsaussichten der Beschwerde grundsätzlich keine Rolle. Ein Nachteil im vorgenannten Sinn könnte sich hier allenfalls daraus ergeben, dass die Entscheidung des Sozialgerichts offensichtlich fehlerhaft, d.h. unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt haltbar wäre.
Von einer offensichtlichen Fehlerhaftigkeit des in sich schlüssig begründeten Beschlusses vom 23. Dezember 2022 kann grundsätzlich nur dann ausgegangen werden, wenn sich schon bei erster Lektüre der Entscheidung erhebliche Rechtsfehler zeigen würden, die zu ihrer Aufhebung führen müssten. Das ist jedoch nicht der Fall. Die Beteiligten streiten über den Anspruch der Antragsteller auf Leistungen nach dem SGB II. Das Sozialgericht hat einen solchen Anspruch, begrenzt auf die Zeit bis 30. April 2023 und auch der Höhe nach stark limitiert, in sich schlüssig bejaht. Ein offensichtlicher Fehler ist in dem Lösungsansatz des Sozialgerichts nicht zu erkennen. Es betont die Offenheit des Sachverhalts und gibt, prozessrechtlich einwandfrei, dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im Rahmen einer Interessen- bzw. Folgenabwägung statt. Das ist nicht offensichtlich und nach jeder denkbaren Betrachtung rechtlich zu beanstanden.
Der Antragsgegner ist nachdrücklich darauf hinzuweisen, dass der Aussetzungsantrag nach § 199 Abs. 2 SGG nicht als zusätzlicher, die Unrichtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung rügender Rechtsbehelf vorgesehen ist, der regelhaft zusammen mit der Beschwerde gegen eine vom Sozialgericht getroffene einstweilige Anordnung eingelegt wird; ihren eigentlichen Anwendungsbereich dürfte die Vorschrift vielmehr im Hauptsacheverfahren haben, und zwar u.a. schon deshalb, weil über Beschwerden gegen einstweilige Anordnungen eines Sozialgerichts in der Regel ungleich schneller entschieden wird als über die Berufung gegen ein stattgebendes Urteil. Der Antrag nach § 199 Abs. 2 SGG mit dem Ziel der Aussetzung der Vollstreckbarkeit einer Regelungsanordnung ist damit atypischen Fällen vorbehalten (vgl. BayLSG, Beschluss vom 25. Juni 2018, L 8 SO 49/18 B ER, zitiert nach juris, dort Rdnr. 29; LSG NRW, Beschluss vom 7. März 2017, L 6 SF 61/17 ER, zitiert nach juris, dort Rdnr. 4). Für eine vorläufige Aussetzung der Vollstreckung nach § 199 Abs. 2 SGG im Eilverfahren bedarf es der Glaubhaftmachung weiterer schwerwiegender Nachteile, die nicht anders abwendbar sind als in dem schmalen Zeitfenster bis zur Entscheidung über die Beschwerde. Damit ist der Anwendungsbereich des § 199 Abs. 2 SGG auch und gerade in Eilverfahren von vorneherein auf nur denkbar wenige Fallgestaltungen beschränkt. Eine solche liegt hier unzweifelhaft nicht vor.
Unabhängig davon gewährt der Vorsitzende des für die Entscheidung zuständigen Gerichts nur in offenkundigen Fallgestaltungen einstweiligen Rechtsschutz nach § 199 Abs. 2 SGG, was bei Würdigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Rechtsschutz im Eilverfahren nach dem SGB II (vgl. Beschluss vom 12. Mai 2005, 1 BvR 569/05) wegen der besonderen verfassungsrechtlichen Anforderungen in den seltensten Fällen dazu führen kann, dass die einem Antragsteller in der erstinstanzlichen Entscheidung zugesprochene Leistung im Wege des § 199 Abs. 2 SGG vorläufig nicht gewährt wird. Nachteile der Behörde von so gravierendem Ausmaß werden - auch angesichts der Aufrechnungsvorschriften im SGB II, vgl. vor allem § 43 SGB II - kaum vorliegen, wenn es um existenzsichernde Leistungen geht (vgl. BayLSG, Beschluss vom 8. Februar 2006, L 10 AS 17/06 ER, zitiert nach juris, dort Rdnr. 8; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 24. Juni 2008, L 7 AS 2955/08 ER, zitiert nach juris, dort Rdnr. 4).
Der Antragsgegner wird nun einen Ausführungsbescheid zu erlassen haben, und zwar im Gegensatz zu seinem Schreiben vom 30. Januar 2023 auch für die Zeit ab 1. Februar 2023. Andernfalls droht Vollstreckung.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG)