Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 15. März 2017 und der Bescheid der Beklagten vom 10. Januar 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Juli 2013 aufgehoben.
Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 1. Dezember 2012 zu gewähren.
Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des gesamten Rechtsstreits in vollem Umfang zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung.
Die 1962 geborene, also jetzt 58 Jahre alte Klägerin absolvierte von 1981 bis 1982 erfolgreich eine Facharbeiterausbildung als Maschinist für Brikettierungsanlagen. Anschließend folgte bis August 1986 ein Ingenieurstudium, das sie mit dem Abschluss Ingenieur für Braunkohleveredelungstechnik beendete, was sie berechtigt, in der Bundesrepublik den Grad Diplom-Ingenieur (Fachhochschule) zu führen. Anschließend war sie bis Juni 1992 in diesem Beruf tätig. Nach dem Verlust des Arbeitsplatzes folgten Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, Weiterbildungsmaßnahmen und von 2001 bis 2003 eine Anstellung bei der Agentur für Arbeit als Bearbeiterin. Anschließend war sie erneut arbeitslos und pflegte von 2004 bis 2010 ihre Eltern. Seit dem 5. Dezember 2011 bestand Arbeitsunfähigkeit.
Im Juni 2012 stellte die Klägerin einen ersten Antrag auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung, der abgelehnt wurde.
Am 13. Dezember 2012 stellte die Klägerin bei der Beklagten erneut einen Antrag auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Sie gab an, wegen einer schweren Depression, Schwerhörigkeit, starker Rückenschmerzen, allgemeiner Körperschmerzen, Schlafstörungen, Unruhe, Antriebslosigkeit, Konzentrationsstörungen, chronischer Überbelastung und Angstzuständen seit 25. Oktober 2010 nicht mehr erwerbsfähig zu sein.
In den Akten der Beklagten findet sich der Rehabilitationsentlassungsbericht des Rehazentrums O, Abteilung Psychosomatik/Psychotherapie, vom 1. Juli 2011, in der die Klägerin in der Zeit vom 17. Mai 2011 bis zum 27. Juni 2011 eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme absolvierte. Die dortigen Ärzte schätzten ein, die Klägerin könne ihre Tätigkeit als Sachbearbeiterin ungelernt, zuvor Diplom-Ingenieurin, sowie Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes noch 6 Stunden und mehr täglich verrichten. Weiter finden sich u.a. Berichte des E Klinikums vom 10. Januar 2011, 30. März 2011 und 22. Juni 2012, in dem sich die Klägerin in der Zeit vom 17. November 2010 bis zum 12. Januar 2011 in stationärer und in der Zeit vom 3. Februar 2011 bis zum 9. März 2011 und vom 2. Mai 2012 bis zum 22. Juni 2012 in tagesklinischer Behandlung befand. Weiter findet sich der Bericht des C-Klinikums über den stationären Aufenthalt der Klägerin dort vom 4. Januar 2012 bis zum 8. Januar 2012. Es wurde dort eine Operation durchgeführt wegen einer chronisch-mesotympanalen Otitis media rechts. In der Zeit vom 3. Februar 2013 bis zum 8. Februar 2013 befand sich die Klägerin laut Bericht der Klinik für Neurologie, Zentrum für Neurologie und Schmerztherapie des Klinikums N dort in stationärer Behandlung. Als Diagnose sind angegeben: Sonstige Spondylose mit Radikulopathie: Zervikalbereich; Kompression von Nervenwurzeln und Nervenplexus bei Spondylose.
Mit Bescheid vom 10. Januar 2013 lehnte die Beklagte den Rentenantrag mit der Begründung ab, die Klägerin sei noch in der Lage, mindestens 6 Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig zu sein.
Zur Begründung ihres Widerspruches übersandte die Klägerin die Entlassungsmitteilung des Fachklinikums für Psychiatrie und Neurologie A in L, in der sie sich in der Zeit vom 9. November 2012 bis zum 15. Januar 2013 in Therapie und Diagnostik befunden hatte. Weiter reichte sie eine Aufstellung der AOK über ihre Arbeitsunfähigkeitszeiten ab dem Kalenderjahr 2010 ein.
Mit Widerspruchsbescheid vom 17. Juli 2013 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.
Mit der am 19. August 2013, einem Montag, bei dem Sozialgericht Cottbus eingegangenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt. Sie leide seit 2007 unter schweren Depressionen, die bereits mehrmals Krankenhausaufenthalte erforderlich gemacht hätten. Aufgrund dieser Erkrankung einschließlich eines chronischen lumbalen Schmerzsyndroms mit Bewegungseinschränkungen in allen Wirbelsäulenabschnitten sei sie erwerbsgemindert.
Das Sozialgericht hat Befundberichte der die Klägerin behandelnden Ärztinnen und Ärzte eingeholt, und zwar von dem Facharzt für Innere Medizin/Rheumatologie Dr. E vom 19. November 2013, dem Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. W vom 20. November 2013, der Fachärztin für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde Dr. O vom 22. November 2013, dem Facharzt für Chirurgie DM R vom 11. Dezember 2013, dem Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. H vom 30. Dezember 2013 und dem Facharzt für Neurologie und Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. H vom 23. Dezember 2013. Weiter hat das Sozialgericht von der AOK eine Aufstellung über die Arbeitsunfähigkeitszeiten der Klägerin für die Zeit von März 1998 bis Januar 2014 beigezogen sowie ein Gutachten der Fachärztin für Psychiatrie Frau G, erstellt für den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) Berlin-Brandenburg vom 30. August 2012 und ein Gutachten des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. P, ebenfalls für den MDK, erstellt nach Aktenlage, vom 1. Oktober 2012. Dem Befundbericht von Dr. H war ein Bericht des A Fachklinikums L über einen weiteren Aufenthalt der Klägerin dort zur Therapie und Diagnostik in der Zeit vom 23. September 2013 bis zum 30. Oktober 2013 beigefügt. Sodann hat das Sozialgericht Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens von dem Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychoanalyse und Neurologie Dr. T vom 4. Dezember 2014. Dieser hat folgende Diagnosen gestellt: Dysthymia; anhaltende somatoforme Schmerzstörung; Schmerzsyndrom der Wirbelsäule; Schwerhörigkeit beidseits. Die Klägerin sei noch in der Lage, leichte und gelegentlich mittelschwere körperliche Arbeiten zu verrichten. Sie sei zu schwierigen geistigen Arbeiten befähigt. Sie könne in allen Haltungsarten tätig werden. Zwangshaltungen seien zu meiden. Längeres Knien, Hocken und Bücken sollten nicht erfolgen. Sie könne kurz dauernd auf Gerüsten und Leitern arbeiten. Extreme Witterungseinflüsse seien zu meiden. Sie könne Arbeiten mit durchschnittlichen Anforderungen an die Reaktionsfähigkeit, die Übersicht, die Aufmerksamkeit, das Verantwortungsbewusstsein und die Zuverlässigkeit leisten. Arbeiten mit Publikumsverkehr seien möglich, die Klägerin vermöge mit zumutbarer Willensanstrengung ihr soziales Vermeidungsverhalten überwinden. Sie sei in der Lage, Vollzeittätigkeiten unter den in den Betrieben üblichen Arbeitsbedingungen zu verrichten.
Die Klägerin ist dem Gutachten von Dr. T entgegengetreten. Auf Veranlassung des Sozialgerichts hat dieser am 20. April 2015 und am 19. Juli 2015 jeweils eine gutachterliche Stellungnahme abgegeben. Dabei ist er bei seiner Leistungseinschätzung geblieben.
Auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat das Sozialgericht erneut Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens von der Leitenden Oberärztin der Psychiatrischen Institutsambulanz der Psychiatrischen Universitätsklinik der C , Priv. Doz. (inzwischen Professorin) Dr. S vom 29. April 2016. Priv. Doz. Dr. S hat das Gutachten unter Mitarbeit der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. R erstellt. Priv. Doz. Dr. S hat folgende Diagnosen gestellt: Rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode, chronifiziert; anhaltende somatoforme Schmerzstörung. Sie ist zu dem Ergebnis gekommen, das quantitative Leistungsvermögen der Klägerin sei auf Grund der seelischen Störung auf unter 3 Stunden am Tag reduziert. Diese Minderung der Leistungsfähigkeit habe schon zum Zeitpunkt der Antragstellung am 13. Dezember 2012 vorgelegen. Es handele sich um einen Dauerzustand.
Die Klägerin hat ein Gutachten von dem Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. C vom 20. Juni 2016 eingereicht, das dieser in ihrem Rechtsstreit gegen die AOK (Az. S 18 KR 4/13 des Sozialgerichts Cottbus) nach Aktenlage erstattet hat. Streitgegenstand dort war, ob die Klägerin entgegen den Gutachten von Dr. G und Dr. P für den MDK Berlin-Brandenburg nach dem 20. September 2012 weiterhin arbeitsunfähig gewesen war. Dies hat Dr. C in seinem Gutachten bejaht und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass die Klägerin nach dem 20. September 2012 nicht in der Lage gewesen sei, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu arbeiten. Sie habe unter einer deutlichen Depression gelitten, die sich trotz Behandlung, wie sich dann aus den späteren Krankenhausaufenthalten ergeben habe, weiter verschlechtert habe. Er hat die Diagnose einer depressiven Episode, wahrscheinlich mittelgradig, gestellt.
Die Beklagte hat durch den Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Herrn J und die Fachärztin für Allgemeinmedizin Medizinaldirektorin DM K Stellung genommen. Sie sind der Auffassung, dass sich aus dem Gutachten von Priv. Doz. Dr. S keine neuen Erkenntnisse ergäben, die zu einer anderen Einschätzung des Leistungsvermögens der Klägerin führten. Die Leistungsbeurteilung in dem Gutachten stünde im Widerspruch zu den bisherigen Einschätzungen, dass eine manifeste depressive Störung bei der Klägerin nicht festgestellt worden sei.
Auf Veranlassung des Sozialgerichts hat Dr. T am 2. Dezember 2016 zu dem Gutachten von Priv. Doz. Dr. S sowie dem Gutachten von Dr. C Stellung genommen. Er ist bei seiner Einschätzung des Leistungsvermögens geblieben.
Mit Urteil vom 15. März 2017 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Es hat sich dabei auf das Gutachten von Dr. T gestützt. Dem Gutachten von Priv. Doz. Dr. S könne dagegen nicht gefolgt werden. Dr. T habe in seiner abschließenden Stellungnahme vom 2. Dezember 2016 überzeugend ausgeführt, es bestünde in beiden Gutachten hinsichtlich der Befunderhebung und der Untersuchungsergebnisse Übereinstimmung. Lediglich hinsichtlich des Vermögens der Klägerin, durch aktives Verhalten Beschwerdebilder zu überwinden, und in der sozialmedizinischen Leistungsbeurteilung divergierten die Gutachten. Dem Gutachten von Dr. T sei zu folgen, weil er sich zutreffend gegen den therapeutischen Ansatz von Priv. Doz. Dr. S wende, wonach durch die Gewährung der Rente der Klägerin die Belastung durch das laufende Klageverfahren genommen würde, was wiederum wesentliche Bedeutung für eine Verbesserung des psychischen Befundes hätte. Hierbei verkenne die Sachverständige das Ziel der Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, welches nicht der Therapie, sondern als Ersatz für den Ausfall von Erwerbseinkommen bei tatsächlich festgestellter Erwerbsminderung diene. Das bei der Klägerin noch keine Erwerbsminderung eingetreten sei, sei dem Gutachten von Dr. T nachvollziehbar zu entnehmen. Gefolgt werden könne auch nicht dem Gutachten von Dr. C. Selbst wenn er mit der Formulierung, dass die Klägerin seines Erachtens nach dem 20. September 2012 nicht in der Lage gewesen sei, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu arbeiten, nicht nur die Arbeitsunfähigkeit, sondern auch die volle Erwerbsminderung der Klägerin habe beschreiben wollen, sei allein aufgrund des Umstandes, dass Dr. T die Klägerin persönlich habe untersuchen und begutachten können, dessen Einschätzung vorzuziehen.
Gegen das am 22. März 2017 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 21. April 2017 Berufung bei dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg eingelegt. Zur Begründung hat sie vorgetragen, das Sozialgericht stütze seine Entscheidung einzig und allein auf das Gutachten von Dr. T, welcher jedoch zu einer falschen Einschätzung ihres Gesundheitszustandes gelange. Er komme zu dem Ergebnis, dass bei ihr lediglich eine andauernde depressive Verstimmung vorliege. Damit widerspreche er sämtlichen vorbehandelnden Ärzten sowohl ambulant als auch im klinischen Bereich und auch dem Gutachten von Priv. Doz. Dr. S. Diese stelle die Diagnose einer gegenwärtig mittelgradigen Episode chronifiziert und einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung. Mit diesem Widerspruch habe sich das Sozialgericht nicht auseinandergesetzt. Auch Dr. C habe eine depressive Episode, wahrscheinlich mittelgradig, diagnostiziert.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 15. März 2017 und den Bescheid der Beklagten vom 10. Januar 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Juli 2013 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung ab dem 1. Dezember 2012 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hat sich auf ihren Vortrag in der ersten Instanz und die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils bezogen.
Der Senat hat den Entlassungsbericht des A Klinikums T, Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, vom 15. Juli 2014 über den stationären Aufenthalt der Klägerin dort in der Zeit vom 15. Mai 2014 bis zum 8. Juli 2014 wegen einer mittelgradigen depressiven Episode u.a., den Entlassungsbericht des E--Klinikums F über den stationären Aufenthalt der Klägerin dort in der Zeit vom 20. März 2015 bis zum 24. März 2015 wegen akuter Pankreatitis beigezogen sowie den Entlassungsbericht des A Klinikums L vom 21. Juni 2017. Dort hat sich die Klägerin in der Zeit vom 4. April 2017 bis zum 23. Mai 2017 in stationärer Behandlung befunden. Die Hauptdiagnose lautet: Rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig schwere Episode. Weiter hat der Senat Befundberichte der die Klägerin behandelnden Ärztinnen und Ärzte eingeholt, und zwar von der Fachärztin für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde Dr. O vom 15. Februar 2018, dem Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie Herrn M vom 22. Februar 2018, der Fachärztin für Innere Medizin/Rheumatologie Dr. K vom 23. Februar 2018, dem Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. W vom 7. März 2018, dem Augenarzt Dr. O vom 31. März 2018 und dem Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. H vom 30. März 2018. Dr. O hat als Funktionsbeeinträchtigungen Schwerhörigkeit beidseits und Versorgung mit einem Hörgerät beidseits angegeben.
Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens von dem Facharzt für Neurologie und Psychiatrie und Psychotherapie Dr. L vom 17. April 2019. Dieser hat folgende Diagnosen gestellt: Akzentuierte Persönlichkeitszüge (ängstlich, vermeidend, selbstunsicher); Dysthymia; anhaltende Schmerzstörung. Es könne auf nervenärztlichem Fachgebiet keine Einschränkung die Dauer des Arbeitstages betreffend festgestellt werden. Die Klägerin sei noch in der Lage, körperlich leichte Arbeiten überwiegend im Sitzen, aber auch im Gehen und Stehen bzw. im Wechsel der Haltungsarten in geschlossenen Räumen oder unter Witterungsschutz im Freien auszuführen. Nässe, Kälte, Zugluft, starke Temperaturschwankungen und Lärm seien zu vermeiden. Arbeiten im Steigen, Klettern, in der Hocke oder im Kriechen seien nicht, solche mit Bücken, Heben, Tragen von Lasten und Überkopfarbeiten seien eingeschränkt möglich. Ebenfalls eingeschränkt möglich seien Arbeiten im Wechsel von Früh- und Spätschicht, Nachtschicht und Nachtarbeit sowie mit Zwangs- und überwiegend einseitiger Körperhaltung, überwiegende Schreibtischarbeit sei jedoch möglich. Weiter eingeschränkt seien Arbeiten unter Zeitdruck.
Auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 SGG hat der Senat erneut Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens von dem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und Dipl. Psych. Dr. B vom 15. März 2020. Dr. B hat folgende Diagnosen gestellt: Rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig schwergradige Episode, ohne psychotische Symptome, chronifiziert; anhaltende Schmerzstörung. Nach seiner Einschätzung ist das Leistungsvermögen der Klägerin aufgehoben, und zwar seit Oktober 2010 durchgängig. Es sei unwahrscheinlich, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden könne.
Die Beklagte hat durch den Facharzt für Psychiatrie Herrn J und die Fachärztin für Allgemeinmedizin DM K dahingehend Stellung genommen, das Gutachten von Dr. B sei weder schlüssig noch plausibel. Die Leistungsbeurteilung basiere auf subjektiven Angaben der Klägerin, ohne jeglichen Versuch, dies objektivieren zu können, so dass dieser auf keinen Fall sozialmedizinisch zu folgen sei.
Einer Aufforderung des Senats, zu den Gutachten von Dr. B und Priv. Doz. Dr. S- schriftlich Stellung zu nehmen, ist Dr. L - anfangs wegen Krankheit - trotz mehrerer Erinnerungen nicht nachgekommen. In einem Termin zur Erörterung des Sachverhalts mit den Beteiligten mit Beweisaufnahme vom 22. April 2021 hat er Stellung genommen. Er ist dabei bei seiner Leistungseinschätzung geblieben und hat ausgeführt, die Gutachten von Prof. Dr. S und Dr. B seien nicht verwertbar, weil der psychische Befund nicht de lege artis dokumentiert sei. Es würden subjektive Angaben, die eigentlich in die Beschwerdeschilderung gehörten, in den psychischen Befund aufgenommen, d.h. vermischt. Seine Diagnose „Akzentuierte Persönlichkeitszüge (ängstlich, vermeidend, selbstunsicher)“ sei eine Spekulation, da sich Ängste der Klägerin in der Untersuchungssituation nicht dargestellt hätten und er diese auch nicht erfragt habe, um sie nicht vorzugeben. Wegen der Einzelheiten der Sachverständigenaussage wird auf Blatt 701 ff der Gerichtsakten verwiesen.
Die Klägerin hat eine Stellungnahme von Dr. B vom 18. Mai 2021 zu der Sachverständigenaussage eingereicht. Darin tritt dieser dem Vorwurf der Vermischung von subjektiven und objektiven Befunden in seinem psychopathologischen Befund entgegen und verteidigt seine Leistungseinschätzung. Hierzu hat die Beklagte erneut durch Herrn J und DM K Stellung genommen und ist ebenfalls bei ihrer Auffassung geblieben.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der eingereichten Schriftsätze der Beteiligten und den übrigen Akteninhalt verwiesen.
Die die Klägerin betreffende Verwaltungsakte der Beklagten hat dem Senat vorgelegen und ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Klägerin ist zulässig und begründet. Das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 15. März 2017 und der Bescheid der Beklagten vom 10. Januar 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Juli 2013 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten. Sie hat gemäß § 43 Abs. 2 SGB VI einen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 1. Dezember 2012, da sie seit dem 24. Oktober 2010 nur noch in der Lage ist, in einem Umfang von unter drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein und eine Besserungsmöglichkeit unwahrscheinlich ist.
Gemäß § 43 Abs. 2 SGB VI haben Versicherte bis zur Erreichung der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie
- voll erwerbsgemindert sind,
- in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
- vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Zur Überzeugung des Senats ist die Klägerin seit dem 24. Oktober 2010 nicht mehr in der Lage, mindestens drei Stunden täglich leichte Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes zu verrichten. Das ergibt sich für den Senat aus dem Gutachten des Sachverständigen Dr. B sowie aus dem in der ersten Instanz eingeholten Gutachten von Priv. Doz. Dr. S. Die Sachverständigen haben die im Tatbestand genannten - nahezu identischen - Diagnosen gestellt. Sie sind auch übereinstimmend zu dem Ergebnis gekommen, dass die Klägerin nur noch unter drei Stunden täglich zu arbeiten in der Lage ist. Der Senat folgt den genannten Gutachten in vollem Umfang. Sie sind schlüssig und nachvollziehbar und berücksichtigen die bei der Klägerin vorliegenden Gesundheitseinschränkungen, insbesondere auf psychiatrischem Fachgebiet, umfassend.
Den Gutachten von Dr. L und Dr. T sowie der Stellungnahme des Facharztes für Psychiatrie Herrn J vom sozialmedizinischen Dienst der Beklagten folgt der Senat dagegen nicht. Die von Dr. L und Herrn J geäußerte Kritik an dem Gutachten von Dr. B und von Priv. Doz. Dr. S kann der Senat nicht nachvollziehen. Die Stellungnahme von Herrn J zu dem Gutachten von Dr. B erschöpft sich weitgehend in der Wiedergabe und Zusammenfassung der Gutachten von Dr. B und Dr. L. Eingestreut sind einzelne Kritikpunkte an dem Gutachten von Dr. B, wie z.B., dass keine einzige Testung durchgeführt worden sei. Bezüglich der Gutachten von Dr. T und Dr. L, die ebenfalls keine einzige Testung durchgeführt haben, kritisiert Herr J dies hingegen nicht. Eine Testung ist auch nicht zwingend erforderlich. Eine testpsychologische Untersuchung ist nur dann erforderlich, wenn sich aus ihrem Ergebnis zusätzliche Hinweise für die Beantwortung der Beweisfragen ergeben. Allerdings kann auch eine sorgfältig durchgeführte, umfangreiche, sich auf unterschiedliche Testverfahren stützende standardisierte Testung die eigentlich einzelfallbezogene psychiatrische Exploration und Untersuchung allenfalls ergänzen, grundsätzlich jedoch niemals ersetzen (vgl. Dreßing und Foerster in Venzlaff/Foerster/Dreßing/Habermeyer, Psychiatrische Begutachtung, 6. Aufl. 2015, Kap. 6, Punkt 2.7.3, Seite 21/22). Bezüglich der Angabe der Klägerin, sie habe drei Kilo abgenommen, kritisiert Herr J, dass sich Dr. B bei dieser Aussage ausschließlich auf die Aussage der Klägerin beziehe, da er selbst sie nicht gewogen habe. Dabei erschließt sich nicht, wie Dr. B eine Gewichtsabnahme feststellen können soll, wenn ihm nicht die objektive, also nicht von der Klägerin mitgeteilte, Angabe des Ausgangsgewichts vorliegt. Weiter statuiert Herr J, dass die Beurteilung der kognitiven Defizite durch Dr. B auf keinen Fall nachzuvollziehen sei. Eine Begründung hierfür nennt er nicht. Er berücksichtigt bei seiner Kritik nicht, dass Dr. B in seinem Untersuchungsbefund (Bl. 36 des Gutachtens) ausführt, dass es der Klägerin während der Untersuchung schwer fällt, sich zu konzentrieren und sie häufige Nachfragen stellt. Im psychischen Befund gibt er zusätzlich an, dass die Konzentration schon nach 30 Minuten deutlich reduziert ist und nach kurzen Pausen von 10 Minuten weiterhin nur reduziert erhalten ist. Auch die Aufmerksamkeit ist nach 30 Minuten erschöpft. Das formale Denken beschreibt Dr. B als leicht verlangsamt und stark eingeengt. Insgesamt lässt sich vor allem aus dem psychischen Befund, den Dr. B sorgfältig und ausführlich erhoben hat (dazu noch unten), erkennen, dass dieser Vorwurf nicht gerechtfertigt ist.
Auch die zusammenfassende Kritik, die Leistungsbeurteilung basiere auf subjektiven Angaben der Klägerin, ohne jegliche Versuche, dies objektivieren zu können, ist unzutreffend. Dies ergibt sich zum einen aus dem eben Gesagten und auch aus der weiteren von Dr. B dokumentierten sorgfältigen Verhaltensbeobachtung der Klägerin während der zweieinhalbstündigen Exploration.
Entgegen der Kritik von Dr. L in seiner Sachverständigenanhörung im Termin zur Erörterung des Sachverhalts und Beweisaufnahme, sowohl Dr. B als auch Priv. Doz. Dr. S hätten den psychischen Befund nicht de lege artis dokumentiert und subjektive Angaben, die eigentlich in die Beschwerdebeschilderung gehörten, in den psychischen Befund aufgenommen, d.h. vermischt, haben beide Sachverständige den psychopathologischen Befund korrekt erstellt. Der psychische Befund beschreibt das Querschnittsbild der seelischen Verfassung des Probanden zum Untersuchungszeitpunkt: Das Verhalten des Probanden, das der Sachverständige beobachtet, und das Erleben, von dem der Proband berichtet. Damit sind die beiden Dimensionen der Befunderhebung benannt: Die Beobachtung des Verhaltens und der Aussagen des Probanden durch den Untersucher und die subjektive Schilderung eigenen Erlebens durch den Probanden (Dreßing/Foerster, a.a.O., Kap. 2, Punkt 2.6 „Psychischer Befund“, Seite 20). Nach dem AMDP-System (Arbeitsgemeinschaft für Methodik und Dokumentation in der Psychiatrie) umfasst der psychische Befund 100 Symptome plus 11 Zusatzmerkmale (zitiert nach Wikipedia, Stichwort AMDP-System). Bei jedem der dort angeführten Symptome ist angegeben, auf welche Art das Merkmal beobachtet werden muss („S“ = Patient schildert das Merkmal selbst, „F“ = Untersucher oder andere Personen beobachten das Merkmal, „SF“ = Patient oder andere Personen beobachten das Merkmal). So muss z.B. eine Denkhemmung vom Patienten selbst geschildert werden, wohingegen eine Denkverlangsamung vom Untersuchenden oder anderen Personen (Pflegern etc.) beobachtet werden muss. Eingeengtes Denken kann sowohl vom Patienten als auch von anderen Personen wahrgenommen werden. In der folgenden Tabelle ist aufgeführt, welche Merkmale jeweils von wem beobachtet werden müssen bzw. können:
1. Bewusstseinsverminderung (F) | 2. Bewusstseinstrübung (F) | 3. Bewusstseinseinengung (SF) | 4. Bewusstseinsverschiebung (S) |
|
5. Zeitliche Orientierungsstörung (S) | 6. Örtliche Orientierungsstörung (S) | 7. Situative Orientierungsstörung (S) | 8. Orientierungsstörung über die eigene Person (S) |
|
9. Auffassungsstörungen (SF) | 10. Konzentrationsstörungen (SF) | 11. Merkfähigkeitsstörungen (SF) | 12. Gedächtnisstörungen (SF) | 13. Konfabulationen (F) | 14. Paramnesien (S) |
|
15. Gehemmt (S) | 16. Verlangsamt (F) | 17. Umständlich (F) | 18. Eingeengt (SF) | 19. Perseverierend (F) | 20. Grübeln (S) | 21. Gedankendrängen (S) | 22. Ideenflüchtig (F) | 23. Vorbeireden (F) | 24. Gesperrt/Gedankenabreißen (SF) | 25. Inkohärent/zerfahren (F) | 26. Neologismen (F) |
|
Befürchtungen und Zwänge |
27. Misstrauen (SF) | 28. Hypochondrie (S) | 29. Phobien (S) | 30. Zwangsdenken (S) | 31. Zwangsimpulse (S) | 32. Zwangshandlungen (S) |
33. Wahnstimmung (S) | 34. Wahnwahrnehmung (S) | 35. Wahneinfall (S) | 36. Wahngedanken (S) | 37. Systematisierter Wahn (S) | 38. Wahndynamik (SF) | 39. Beziehungswahn (S) | 40. Beeinträchtigungs- und Verfolgungswahn (S) | 41. Eifersuchtswahn (S) | 42. Schuldwahn (S) | 43. Verarmungswahn (S) | 44. Hypochondrischer Wahn (S) | 45. Größenwahn (S) | 46. Andere Wahninhalte (S) |
|
47. Illusionen (S) | 48. Stimmenhören (S) | 49. Andere akustische Halluzinationen (S) | 50. Optische Halluzinationen (S) | 51. Körperhalluzinationen (S) | 52. Geruchs- und Geschmackshalluzinationen (S) |
|
53. Derealisation (S) | 54. Depersonalisation (S) | 55. Gedankenausbreitung (S) | 56. Gedankenentzug (S) | 57. Gedankeneingebung (S) | 58. Andere Fremdbeeinflussungserlebnisse (S) |
|
59. Ratlos (F) | 60. Gefühl der Gefühllosigkeit (S) | 61. Affektarm (F) | 62. Störung der Vitalgefühle (S) | 63. Deprimiert (SF) | 64. Hoffnungslos (S) | 65. Ängstlich (SF) | 66. Euphorisch (SF) | 67. Dysphorisch (SF) | 68. Gereizt (SF) | 69. Innerlich unruhig (S) | 70. Klagsam/Jammrig (F) | 71. Insuffizienzgefühle (S) | 72. Gesteigertes Selbstwertgefühl (S) | 73. Schuldgefühle (S) | 74. Verarmungsgefühle (S) | 75. Ambivalent (S) | 76. Parathymie (F) | 77. Affektlabil (SF) | 78. Affektinkontinent (SF) | 79. Affektstarr (F) |
|
80. Antriebsarm (SF) | 81. Antriebsgehemmt (S) | 82. Antriebsgesteigert (SF) | 83. Motorisch unruhig (SF) | 84. Parakinesen (F) | 85. Manieriert/bizarr (F) | 86. Theatralisch (F) | 87. Mutistisch (F) | 88. Logorrhoisch (F) |
|
Circadiane Besonderheiten |
89. Morgens schlechter (SF) | 90. Abends schlechter (SF) | 91. Abends besser (SF) |
Andere Störungen |
92. Sozialer Rückzug (SF) | 93. Soziale Umtriebigkeit (SF) | 94. Aggressivität (SF) | 95. Suizidalität (SF) | 96. Selbstbeschädigung (SF) | 97. Mangel an Krankheitsgefühl (S) | 98. Mangel an Krankheitseinsicht (S) | 99. Ablehnung der Behandlung (SF) | 100. Pflegebedürftigkeit (SF) |
Zusatzmerkmale des Psychischen Befundes |
ZP1. Angstanfälle (SF) | ZP2. Beschleunigtes Denken (S) | ZP3. Beziehungsideen (S) | ZP4. Desorganisiert (SF) | ZP5. Distanzlos (F) | ZP6. Gedankenlautwerden (S) | ZP7. Impulsiv (SF) | ZP8. Körperbildstörung (S) | ZP9. Schamgefühle (S) | ZP10. Überwertige Ideen (S) | ZP11. Wortfindungsstörungen (SF) | |
Bei einem Abgleich mit der Tabelle ist ersichtlich, dass Dr. B den psychopathologischen Befund ausführlich und entsprechend dem AMDP-System erstellt und keine Vermischung von objektiv beobachteten und subjektiven Merkmalen vorgenommen hat. Selbstverständlich können bestimmte Merkmale, wie Zwangsgedanken, ein Morgentief, eine Appetitminderung, durchgehende Ein- und Durchschlafstörungen und auch ein Libidoverlust nur durch Befragen des Patienten, hier der Klägerin, erkannt werden. Dies bedeutet jedoch nicht, dass, wenn diese Angaben der Klägerin in den psychischen Befund aufgenommen werden, hier eine Vermischung mit dem Beschwerdevortrag erfolgt. Priv. Doz. Dr. S hat den psychischen Befund ebenfalls korrekt erstellt. Auch sie hält sich ersichtlich an das AMDP-System. Es wird unterschieden zwischen subjektiven Angaben der Klägerin und der Fremdbeobachtung durch die Untersucherin. So wird angegeben, dass subjektiv eine starke Konzentrationsstörung besteht, wobei hierfür ein Beispiel gegeben wird, nämlich dass die Klägerin jede Seite dreimal lesen müsse. Für Wahrnehmungsstörungen und Sinnestäuschungen in Gestalt optischer Pseudohalluzinationen, die die Klägerin angegeben hat, wird ebenfalls ein Beispiel gegeben. Bezüglich einiger Merkmale wird zwar nicht angegeben, inwiefern diese subjektiv oder fremd beobachtet sind, dies erschließt sich jedoch, wie oben erläutert, bei bestimmten Merkmalen von selbst, z.B. bei den eben bereits genannten Wahrnehmungsstörungen und Sinnestäuschungen, bei denen natürlich eine Fremdbeobachtung möglich ist, nicht aber unbedingt in einer relativ kurzen Zeit während einer Begutachtungsuntersuchung.
Der Senat folgt den Gutachten von Dr. B und Priv. Doz. Dr. S insbesondere deshalb, weil aus den Gutachten von Dr. T und Dr. L nicht nachvollziehbar wird, aus welchen Gründen die Klägerin sich bereits seit mehr als einem Jahrzehnt in ständiger psychiatrischer Behandlung befindet und mehrfach stationär in Krankenhäusern behandelt werden musste, wenn lediglich eine Dysthymia vorliegt. Bei den stationären Aufenthalten wurde mehrfach die Diagnose einer rezidivierenden Depression, mittel- oder sogar schwergradig, gestellt. Die Kritik von Dr. L an den Krankenhausberichten, die seiner Auffassung nach die Diagnose einer mittelgradigen oder gar schweren rezidivierenden Depression nicht stützen, teilt der Senat nicht. Soweit Dr. L bezüglich des Entlassungsberichts des E-Klinikums vom 30. März 2011 (tagesklinischer Aufenthalt in der Zeit vom 3. Februar 2011 bis zum 9. März 2011) bemängelt, ein entsprechender psychischer Befund sei nicht dokumentiert, so trifft dies nicht zu. Die Klinik hat einen psychischen Aufnahmebefund dokumentiert, in dem unter anderem festgehalten ist, dass die Klägerin inhaltlich auf Verlusterlebnisse sowie Zukunftsängste und die depressive Symptomatik noch fokussiert war. Konzentration und Gedächtnis waren noch deutlich im Sinne der Depression beeinträchtigt. Bei reduziertem Elan fand sich noch ein dezentes Morgentief, Interessenlage und Spontanität waren ebenfalls noch gemindert. Die Klägerin erlebte eine allgemeine Ängstlichkeit, Rückzug und Unsicherheit als Insuffizienz. Bezüglich des Aufenthaltes in der AKlinik in der Zeit vom 9. November 2012 bis 15. Januar 2013 schreibt Dr. , die diagnostizierte schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome hätte offensichtlich nicht zu einer Behandlung mit einem Antidepressivum geführt. Dies trifft nicht zu. Als Entlassungsmedikation wird unter anderem Bupropion (z.B. Elontril) in einer Dosierung von 300 mg angegeben. Bupropion ist ein Wirkstoff, der seit 2007 in Deutschland unter dem Handelsnamen Elontril zur Behandlung von Depressionen zugelassen ist (zitiert nach Wikipedia, Stichwort Bupropion). Nach dem Beipackzettel des Herstellers GlaxoSmithKline GmbH & Co. KG (abrufbar im Internet) beträgt die übliche Dosierung für Erwachsene eine Tablette von 150 mg pro Tag. Wenn sich die Depressionen nach einigen Wochen nicht bessern, kann der Arzt die Dosis auf 300 mg pro Tag erhöhen. Dies bedeutet, dass der Klägerin die Höchstdosis dieses Präparats verordnet wurde. Weiter bezieht sich Dr. L auf den Entlassungsbericht des Klinikums N vom 8. Februar 2013, in dem ein normaler psychischer Befund beschrieben werde. Im Klinikum N befand sich die Klägerin nicht wegen der Depression, sondern in der neurologischen Abteilung aufgrund neurologischer Beschwerden. Laut dem Entlassungsbericht dürfte es sich um eine rein somatische Behandlung gehandelt haben, der psychiatrische Befund lautet „formal regelrecht“. Weitere Ausführungen werden zum psychiatrischen Befund nicht gemacht, er wurde also nicht unter Berücksichtigung des AMDP-Systems erstellt und musste angesichts der offenbar somatischen Veranlassung des stationären Aufenthaltes auch nicht entsprechend erhoben werden.
Dr. B hat sich mit der Diagnose Dysthymia in Abgrenzung zur rezidivierenden depressiven Störung ausführlich auseinandergesetzt. Er hat ausgeführt, dass als typische Symptome einer Depression eine gedrückte Stimmung, Interessenverlust, Freudlosigkeit, Verminderung des Antriebs und eine erhöhte Ermüdbarkeit angegeben werden. Andere häufige Symptome sind: Verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit, vermindertes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen, Schuldgefühle und Gefühle von Wertlosigkeit, negative und pessimistische Zukunftsperspektiven, Suizidgedanken, erfolgte Selbstverletzung oder Suizidhandlungen, Schlafstörungen und verminderter Appetit. Die Differenzierung des Schweregrades zwischen leichter, mittelgradiger oder schwerer depressiver Episode beruht auf einer komplexen klinischen Beurteilung der Anzahl, Art und Schwere der depressiven Symptome. Eine schwere depressive Episode besteht mit mehreren angegebenen quälenden Symptomen. Typischerweise besteht ein Verlust des Selbstwertgefühls und Gefühle von Wertlosigkeit und Schuld. Suizidgedanken und -handlungen sind häufig, und meist liegen einige somatische Symptome vor. Bei einer wiederkehrenden - rezidivierenden - Depression handelt es sich um eine Störung, die durch wiederholte depressive Episoden charakterisiert ist, wie sie unter leichter, mittelgradiger oder schwerer depressiver Episode beschrieben wurden. Bei einer Depression sollen zwei Episoden mindestens zwei Wochen angedauert haben und von mehreren Monaten ohne eindeutig affektive Symptomatik getrennt gewesen sein. Die einzelnen Episoden jeden Schweregrades werden häufig durch belastende Lebensereignisse ausgelöst. Im Gegensatz zu einer depressiven Störung ist eine Dysthymia eine chronische depressive Störung, die nach Schweregrad und Dauer der einzelnen depressiven Episoden gegenwärtig nicht die Kriterien für eine leichte oder mittelgradige rezidivierende depressive Störung erfüllt. Die Verteilung der zwischen den einzelnen Episoden leichter Depression und dazwischen liegenden Perioden vergleichsweiser Normalität ist sehr unterschiedlich. Die Perioden haben gewöhnlich zusammenhängende Perioden von Tagen und Wochen, in denen die Patienten ein gutes Befinden beschreiben. Aber meistens, oft monatelang, fühlen sie sich müde und depressiv, alles ist für sie eine Anstrengung, nichts wird genossen. Sie grübeln und beklagen sich, schlafen schlecht und fühlen sich unzulänglich, sind aber in der Regel fähig, mit den wesentlichen Anforderungen des täglichen Lebens fertig zu werden. Das wesentliche Kennzeichen ist die langandauernde depressive Verstimmung, die niemals oder nur sehr selten ausgeprägt genug ist, um die Kriterien für eine rezidivierende leichte oder mittelgradige depressive Störung zu erfüllen. Weiter führt Dr. B aus, dass bei der Klägerin ein diesbezügliches Erleben vor 2003 vorgelegen haben möge, jedoch ab Oktober 2004 ist erstmals ein depressives Erleben nachgewiesen, welches über ein dysthymes Erleben hinausgeht. Für den Zeitraum Oktober 2004 bis November 2010 lässt sich keine abschließende Beurteilung abgeben. Seit 2010/2011 sind nunmehr über neun Jahre mehrere depressive Episoden belegt, dabei ist es unerheblich, ob der Schweregrad jeder einzelnen Episode sich mit dem psychopathologischen Befund deckt oder diese initial als Anpassungsstörung gewertet worden ist. Aufgrund dessen ist bei der Klägerin eine Dysthymia nicht zu diagnostizieren. Diesen überzeugenden Ausführungen folgt der Senat.
Das Gutachten von Dr. L überzeugt auch deswegen nicht, weil er in seiner Sachverständigenaussage im Termin zur Erörterung des Sachverhalts mit Beweisaufnahme am 22. April 2021 angegeben hat, dass seine (Haupt-) Diagnose „akzentuierte Persönlichkeitszüge (ängstlich, vermeidend, selbstunsicher)“ eine Spekulation darstellt. Sofern dies der Fall ist, hätte er dies in seinem Gutachten kennzeichnen müssen, z.B. mit dem Zusatz „Verdacht auf“. Eine spekulative Diagnose entspricht nicht den Anforderungen eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens.
Bezüglich des Gutachtens von Priv. Doz. Dr. S hat Dr. L bemängelt, diese setze sich nicht inhaltlich mit dem Gutachten von Dr. T rund nicht kritisch mit den auszugsweise zitierten Arztberichten auseinander. Auch diese Kritik ist nicht gerechtfertigt. Priv. Doz. Dr. S- setzt sich ausführlich mit dem Gutachten von Dr. T auseinander. Sie führt aus, dass dieser eine Dysthymia diagnostiziert hat, unter der man gemäß international gültiger Kriterien eine depressive Verstimmung, die über einen Zeitraum von zwei Jahren an mehr als der Hälfte der Tage bestanden und in diesen ersten zwei Jahren nie das Ausmaß einer mindestens mittelgradigen depressiven Episode erreicht hat, verstehe. Bei der Klägerin wurde aber bereits im Januar 2011 eine mittelgradige depressive Episode diagnostiziert. Dabei verweist die Sachverständige auf den ihres Erachtens inhaltlich konsistenten und nachvollziehbaren Arztbrief der Tagesklinik des E Klinikums vom 30. März 2011 bezüglich des tagesklinischen Aufenthaltes vom 3. Februar 2011 bis zum 9. März 2011. Weiter führt sie, entsprechend den oben wiedergegebenen Ausführungen von Dr. B, aus, dass bei der Einteilung einer Depression nach Schweregrad unerheblich ist, unter welchen Bedingungen die depressive Symptomatik entstanden ist. Dagegen fokussiere Dr. T auf die psychoreaktive Genese der Depression und konstatiere eine reaktive Neigung zur Regression. Um weitere Regression zu verhindern, plädiere er für eine Vorenthaltung der Rente. Aufgrund des Verlaufes mit Schwankungen, d.h. Wechsel der Schweregrade und der Dauer von inzwischen über zwei Jahren ergibt sich für die Gutachterin bei der Klägerin die Diagnose einer rezidivierten, inzwischen chronifizierten Depression, die sich typischerweise auch in Abhängigkeit von psychosozialer Belastung und Enttäuschungen in ihrem Ausmaß verstärken kann.
Der Senat berücksichtigt weiter das Gutachten von Dr. C. Dr. C, der ein langjähriger und sehr erfahrener Gutachter für die Sozialgerichtsbarkeit in Berlin und Brandenburg ist, hat zwar nur ein Gutachten nach Aktenlage und auch nur auf krankenversicherungsrechtlichem Gebiet erstattet, aber die Berichte der die Klägerin behandelnden Ärzte Dr. H und Dr. W sehr gründlich dokumentiert und bewertet und ist zu dem Schluss gekommen, dass diese die dortigen Diagnosen und die Annahme von Arbeitsunfähigkeit über den 20. September 2012 hinaus, auch wegen der engmaschigen Behandlungen, rechtfertigen.
Überzeugend ist für den Senat auch die gutachterliche Stellungnahme von Dr. B vom 18. Mai 2021, in die er u.a. der Aussage von Dr. L widerspricht, dass sich jemand, der sich einmal die Woche mit einer Freundin trifft sowie weitere verschiedene Aktivitäten unternimmt, nicht episodisch schwer, leicht oder mittelgradig depressiv sein könne. Dr. B führt nachvollziehbar aus, dass eine depressive Person noch eigene Kontakte haben und teils Unternehmungen nachgehen kann. Allenfalls schwerstgradig depressiv Erkrankte in einem stuporösen [erstarrten] Zustand würden diese Fähigkeit nicht mehr aufweisen können, dann ist die Bewegungsfähigkeit aufgehoben und soziale Kontakte, Interaktion oder Kommunikation sind ausgeschlossen.
Der Senat ist nach dem oben Gesagten überzeugt, dass bei der Klägerin seit 24. Oktober 2010, dem Todestag der Mutter der Klägerin, wie von Dr. B angenommen, ein unter dreistündiges tägliches Leistungsvermögen vorliegt.
Für den Leistungsfall 24. Oktober 2010 sind die Wartezeit und die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt, wie sich aus dem von der Beklagten übersandten Versicherungsverlauf vom 18. Juni 2021 ergibt. Die von der Klägerin in der Zeit von Februar 2004 bis Oktober 2010 zurückgelegten Beitragszeiten wegen Pflegetätigkeit gelten gemäß § 55 Abs. 2 Nr. 2 SGB VI als Pflichtbeiträge im Sinne des § 43 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI, da für die Klägerin während dieser Zeit gemäß § 3 Abs.1a SGB VI Versicherungspflicht bestand.
Die Beklagte ist gemäß § 102 Abs. 2 Satz 5 SGB VI zur Gewährung einer Dauerrente zu verurteilen, weil das Krankheitsbild chronifiziert ist und nach der übereinstimmenden Auffassung von Dr. B und Priv. Doz. Dr. S unwahrscheinlich ist, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden kann.
Rentenbeginn ist gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 SGB VI der 1. Dezember 2012, da der Rentenantrag erst in diesem Monat gestellt worden ist.
Da dem Hauptantrag damit voll entsprochen wird, war die Beklagte nicht zur Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung gemäß § 43 Abs. 1 SGB VI zu verurteilen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.