L 5 P 13/20

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Pflegeversicherung
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 18 P 41/18
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 5 P 13/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Der Kostenerstattungsbetrag für Betreuungsleistungen kann nur in Anspruch genommen werden kann, falls eines der in § 45b Abs 1 S 3 SGB XI genannten Pflege- und Betreuungsangebote wahrgenommen wird.
2. Die nach § 36 SGB XI vereinbarten Vergütungssätze sind auch für die Leistungen nach § 45b Abs. 1 S. 3 SGB XI maßgeblich.

 

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 19.11.2019 wird zurückgewiesen.

II. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen.

III. Der Streitwert wird auf 451,59 € festgesetzt.

IV. Die Revision wird zugelassen.


T a t b e s t a n d :

Streitig sind abgetretene Ansprüche aus monatlichen Entlastungsbeträgen nach § 45b SGB XI in Höhe von insgesamt 451,59 €.

Die Klägerin betreibt einen zugelassenen ambulanten Pflegedienst nach §§ 71 f SGB XI. Sie bietet ihren Kunden Leistungen der häuslichen Krankenpflege nach dem SGB V, der ambulanten Pflege nach dem SGB XI sowie Entlastungsleistungen nach § 45b SGB XI an. Der Leistungserbringung liegt ein Vertrag nach § 89 SGB XI in der Fassung ab 01.01.2017 zugrunde. Die Klägerin schließt mit ihren Kunden ambulante Pflege- und Dienstleistungsverträge ab, die jeweils durch die Vereinbarung einzelner Leistungen im Rahmen eines Kostenvoranschlags konkretisiert werden.

Mit dem örtlichen Sozialhilfeträger (Stadt N) hat die Klägerin eine Vereinbarung nach § 75 Abs. 3 SGB XII zur Übernahme von Investitionskosten nach § 82 Abs. 4 SGB XI abgeschlossen. Gegenstand dieser Vereinbarung sind auch Investitionsaufwendungen für Kunden der Klägerin mit Pflegegrad 2 bis 5, welche Hilfe zur Pflege nach dem SGB XII erhalten. Für diese erhält die Klägerin nach dem Vertrag einen Investitionskostenanteil in Höhe von 4,28 % der den Leistungsberechtigten in Rechnung gestellten Leistungen nach dem SGB XI.

Vorliegend macht die Klägerin aus abgetretenem Recht in Rechnung gestellte Entlastungsleistungen geltend, welche sie bei ihrer Kundin Frau S im Zeitraum März bis Oktober 2017 erbracht hat. Zwischen den Beteiligten ist sowohl die Rechtmäßigkeit der Abtretung, als auch die Leistungserbringung gegenüber den Kunden der Klägerin dem Grunde nach unstreitig; diese ergeben sich zudem aus der Leistungsdokumentation.

Die Klägerin bietet ihren Kunden die Versorgung mit einer Bezugspflegekraft an. Diese besondere Leistung rechnet sie zusätzlich mit 3,93 € je angefangener Minute inklusive eines Investitionskostenanteils von 4,28% ab. Zudem stellt sie als Anfahrtspauschale/ Einsatzgebühr 5,22 € entsprechend dem im Bereich des SGB V mit der Beklagten vereinbarten Betrag in Rechnung, welcher auch einen Investitionskostenanteil enthält.

Die Beklagte kürzte die Rechnungen für die Kundin der Klägerin S vom 12.04.2017, (B. v. 24.04.2017) vom 12.05.2017 (B. v. 18.05.2017), 07.06.2017 (B v. 21.06.2017) 17.07.2017 (B. v. 27.07.2017), 07.09.2017 (B. v. 13.09.2017) 19.09.2017 (B. v. 05.10.2017), 10.10.2017 (B. v. 18.10.2017), 20.11.2017 (B. v. 06.12.2017) jeweils um den Investitionskostenanteil, auch bei der geltend gemachten Anfahrtspauschale sowie um die abgerechneten Mehrkosten für die Bezugspflegekraft; wegen der Einzelheiten wird auf Blatt 19 der Sozialgerichtsakte Bezug genommen.Zur Begründung führte die Beklagte aus, dass die Abrechnung von Entlastungsleistungen maximal in Höhe der nach § 89 SGB XI vertraglich vereinbarten Entgelte erfolgen könne. Die Rechnungskürzung erfolgte direkt gegenüber der Klägerin mit jeweils einfachem Schreiben ohne Rechtsbehelfsbelehrung, welche die Rechnungen gemeinsam mit einer Abtretungserklärung bei der Beklagten zur Kostenerstattung eingereicht hatte.

Hiergegen hat die Klägerin Klage erhoben zum Sozialgericht Nürnberg und ausgeführt, dass es sich bei § 45b SGB XI um einen Kostenerstattungsanspruch handele. Ein vorheriger Antrag des Versicherten sei nicht erforderlich. Nach § 45b Abs. 4 Satz 1 SGB XI dürften keine höheren Entgelte verlangt werden, als für vergleichbare Sachleistungen. Vorliegend hätten die Entgeltsätze, welche die Klägerin ihren Kunden in Rechnung gestellt habe, den vergleichbaren Sachleistungen entsprechend der zwischen den Beteiligten nach § 89 SGB XI geschlossenen Vergütungsvereinbarung entsprochen. Hinzu trete aber noch die mit der Stadt N getroffene Vereinbarung über einen Investitionskostenanteil von 4,28%. Dieser sei Gegenstand der Leistung gegenüber den Kunden und werde im Rahmen der Hilfe zur Pflege auch berücksichtigt. Es sei nicht erkennbar, warum dies nicht auch für Entlastungsleistungen gelten solle. Die Klägerin habe bei der Abrechnung pflegerischer Betreuungsmaßnahmen einen Satz von 3,93 € je angefangener 5 Minuten zugrunde gelegt. Dieser setze sich zusammen aus 3,67 € entsprechend der auf Landesebene vereinbarten Vergütungsvereinbarung zuzüglich eines Investitionskostenanteils von 4,28% und 0,10 € im Hinblick auf den Mehraufwand des Einsatzes einer Bezugspflegekraft. Die Rechnungskürzung durch die Beklagte sei nicht nachvollziehbar. Zu den maßgeblichen Gestehungskosten für die von der Klägerin angebotenen Dienstleistungen gehörten auch Investitionskosten. Diese seien zwar nach § 82 SGB XI nicht Teil der Pflegevergütung, sondern - soweit nicht durch öffentliche Förderungen gedeckt - gesondert auszuweisen und den Versicherten in Rechnung zu stellen. Unstreitig sei, dass Investitionskosten nicht Bestandteil der Preisvereinbarung nach § 89 SGB XI seien. Anders als im Bereich der Sachleistung diene der Entlastungsbetrag aber dazu, den Versicherten Aufwendungen zu erstatten, die diesen im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme von Pflege- und Betreuungsleistungen entstünden. Dabei handele sich gerade auch um solche Aufwendungen, die nach § 82 SGB XI nicht als Vergütungsanteil einer Sachleistung zu übernehmen sei. Auch bei der Anfahrtspauschale seien die Investitionskosten zu übernehmen, sie entspreche schließlich der Vergütungsvereinbarung nach dem SGB V. Vereinbarungen zu Bezugspflegekräften existierten auf Landesebene nicht, diesbezüglich sei auch der Betrag zu erstatten.

Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, dass die Rechnungen zur Recht um den Investitionskostenanteil von 4,28% gekürzt worden seien. Die Höhe der Vergütung bei Entlastungsbeträgen sei durch § 45b Abs. 4 SGB XI begrenzt, d.h. die Vergütung dürfe die Preise für vergleichbare Sachleistungen von zugelassenen Pflegeeinrichtungen nicht übersteigen. Es gebe daher eine Obergrenze für die von Versicherten zu entrichtende Vergütung. Diese Regelung diene dem Schutz der Versicherten, in den Preisvereinbarungen nach § 89 SGB XI seien keine Investitionskosten vorgesehen, so dass eine zusätzliche Berechnung solcher im Rahmen von Entlastungsleistungen nicht zulässig sei. Soweit die Klägerin die Anfahrtspauschale nach dem Rahmenvertrag gem. § 132a SGB V für den Bereich der häuslichen Krankenpflege nach § 37 SGB V vereinbarten Höhe berechne, sei auch dies unzulässig. Schließlich seien Entlastungsleistungen zu Lasten der Pflegeversicherung zu erbringen, so dass auch deren Verträge die Preisobergrenze abbildeten, nicht jedoch Verträge mit der Krankenversicherung. Der Einsatz einer Bezugspflegekraft sei nicht gesondert zu vergüten. Wünschen der Pflegebedürftigen zu entsprechen sei ein Standardvorgang, welcher der Vereinbarung Maßstäbe und Grundsätze für die Qualität und Qualitätssicherung entspreche. Die Dienstleistung einer Bezugspflegekraft stelle mithin kein "mehr" dar und könne daher nicht gesondert vergütet werden.

Nach Ansicht der Klägerin hat die Beklagte die Vorgaben des § 45b SGB IX missverstanden. Bei dem Entlastungsbetrag handele es sich ihrer Meinung nach nicht um einen Anspruch auf Erstattung von Kosten für Leistungen, für die eine Pflegevergütung im Sinn der §§ 89,82 SGB XI vereinbart wird. Es handele sich vielmehr um weitergehende und ggf. auch anders berechnete Kosten, die den Betroffenen im Zusammenhang mit ihrer Versorgung durch Sachleistungen entstehen. Hier gelte die Aufteilung in Pflegevergütung und Investitionsaufwand nicht. Auch handele es sich nicht zwingend deckungsgleich um Angebote, die im Rahmen von Sachleistungen erbracht werden. Für niedrigschwellige Angebote wie familienentlastende Dienste etc. würde die Preisfindung der §§ 82 ff SGB XI auch nicht gelten. Die Fahrtkostenpauschale sei entsprechend der Pauschale aus dem SGB V angemessen. Die Maßstäbe und Grundsätze zur Qualitätssicherung seien für Leistungen der ambulanten Pflege entwickelt worden, vorliegend handele es sich aber um eine Kostenerstattung von Entlastungsleistungen.

Auf Hinweis des SG, dass die Rechnungskürzungen einen Bescheid ohne Rechtsbehelfsbelehrung darstellen und auch im Rahmen einer Abtretung ein Widerspruchsverfahren durchzuführen sei, hat die Beklagte am 29.05.2019 zurückweisende Widerspruchsbescheide bezüglich der gekürzten Rechnungen erlassen.

Das SG hat die Klage abgewiesen. Ein Investitionskostenzuschlag sei gesetzlich nicht vorgesehen. Mehrkosten in Höhe von 0,10 € je angefangener 5 Minuten für den Einsatz einer Bezugspflegekraft seien ebenfalls nicht erstattungsfähig.

Das SG hat die Berufung zugelassen.

Mit der Berufung betont die Klägerin, dass die gesetzlichen Vorgaben für die Ermittlung der Preise für Sachleistungen nach dem SGB XI nicht 1:1 auf Entlastungsleistungen zu übertragen seien. Mit den besonderen Umständen der Leistungen einer Bezugspflegekraft habe sich das SG kaum auseinandergesetzt. Dem ist Beklagte entgegengetreten und hat ausgeführt, dass der Gesetzgeber klargestellt habe, dass die Leistungserbringer, die im Sinne des § 45b Abs. 1 S. 3 SGB XI in der ab 01.01.2017 geltenden Fassung erbringen, von den Pflegebedürftigen hierfür keine höhere Vergütung verlangen dürfen, als zugelassene Pflegeeinrichtungen für vergleichbare Leistungen verlangen dürfen. Obergrenze seien die mit den ambulanten Pflegediensten für die Leistungserbringung nach   § 36 SGB XI vereinbarten Vergütungssätze.

In der mündlichen Verhandlung vom 25.10.2022 haben die Beteiligten übereinstimmend erklärt, dass die weiteren Bescheide vom 09.01.2018 und 25.01.2018 nicht Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreites sind, aber Einigkeit besteht, dass diese entsprechend dem Ausgang des vorliegenden Rechtsstreites behandelt werden sollen.

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des SG Nürnberg vom 19.11.2019 sowie die Bescheide der Beklagten betreffend die Versicherte S vom 24.04.2017, 18.05.2017, 21.06.2017, 27.07.2017, 13.09.2017, 05.10.2017, 18.10.2017, 06.12.2017 jeweils in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29.05.2019 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 451,59 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über den jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen, hilfsweise die Revision zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,
  die Berufung zurückzuweisen.

Die Gerichtsakten beider Rechtszüge waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Ergänzend wird hierauf Bezug genommen.


E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Die zugelassene Berufung (§§ 151, 143 SGG) ist in der Sache nicht erfolgreich. Die streitgegenständlichen Entscheidungen der Beklagten sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Als Anspruchsgrundlage der vorliegend geltend gemachten abgetretenen Forderungen kommt allein § 45b Abs. 1 SGB XI in Betracht.

1. Nach § 45b Abs. 1 SGB XI haben Pflegebedürftige in häuslicher Pflege Anspruch auf einen Entlastungsbetrag in Höhe von bis zu 125,00 € monatlich. Der Betrag ist zweckgebunden einzusetzen für qualitätsgesicherte Leistungen zur Entlastung pflegender Angehöriger und vergleichbar Nahestehender in ihrer Eigenschaft als Pflegende sowie zur Förderung der Selbständigkeit und Selbstbestimmtheit der Pflegebedürftigen bei der Gestaltung ihres Alltags. Er dient der Erstattung von Aufwendungen, die den Versicherten entstehen im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme von
1. Leistungen der Tages- oder Nachtpflege,
2. Leistungen der Kurzzeitpflege,
3. Leistungen der ambulanten Pflegedienste im Sinne des § 36 SGB XI, in den Pflegegraden 2 bis 5 jedoch nicht von Leistungen im Bereich der Selbstversorgung,
4. Leistungen der nach Landesrecht anerkannten Angebote zur Unterstützung im Alltag im Sinne des § 45a SGB XI.

Der Anspruch auf den Entlastungsbetrag entsteht nach § 45b Abs. 2 SGB XI, sobald die in Absatz 1 Satz 1 genannten Anspruchsvoraussetzungen vorliegen, ohne dass es einer vorherigen Antragstellung bedarf.

Diese Aufzählung in § 45b Abs. 1 S. 3 SGB XI ist nach der amtlichen Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Ergänzung der Leistungen bei häuslicher Pflege von Pflegebedürftigen mit erheblichem allgemeinem Betreuungsbedarf (Pflegeleistungs-Ergänzungsgesetz - PflEG), in dessen Folge § 45b SGB XI eingeführt wurde, abschließend (BT-Drucks. 14/6949, S. 10, 15). Ausdrücklich sollte eine pauschale Pflegegelderhöhung verhindert werden, die nicht die gewünschten infrastrukturfördernden Effekte bedingte. Die knappen Finanzmittel der Pflegeversicherung sollten nur für qualitätsgesicherte Betreuungsangebote eingesetzt werden, die gleichzeitig infrastrukturprägende Wirkungen haben. Das Konzept an Leistungsverbesserungen dürfe nicht den Charakter eines bloßen Geldhingabemodells aufweisen (BT-Drucks. 14/6949, S. 9, 10).

Vorliegend macht die Klägerin aus abgetretenem Recht in Rechnung gestellte Entlastungsleistungen geltend, welche sie bei der Versicherten der Beklagten S im Zeitraum März bis Oktober 2017 erbracht hat. Zwischen den Beteiligten sind sowohl die Rechtmäßigkeit der Abtretung, als auch die Leistungserbringung gegenüber der versicherten dem Grunde nach unstreitig. Die Rechtmäßigkeit lässt sich zudem auch aus der erstinstanzlich vorgelegten Leistungsdokumentation unzweifelhaft entnehmen.

2. Die hier einzig in Betracht kommenden zusätzlichen Betreuungs- und Entlastungsleistungen nach § 45b Abs. 1a SGB XI können nur nach Maßgabe von § 45b Abs. 1 SGB XI in Anspruch genommen werden.

Nach der Rechtsprechung des BSG (BSG SozR 4-3300 § 45b Nr 1) sieht die Regelung des § 45b SGB XI für die hier streitgegenständlichen zusätzlichen Betreuungsleistungen ein zweiteilig gestuftes Verfahren der Leistungsgewährung vor. In einem ersten Schritt wird entschieden, ob der Versicherte dem Grunde nach leistungsberechtigt ist und wie hoch der Betrag ausfällt, den er ausschöpfen kann, falls er eines der in § 45b Abs 1 S 3 SGB XI genannten Pflege- und Betreuungsangebote wahrnimmt. In einem zweiten Schritt wird dann festgelegt, wie hoch die Kostenerstattung für tatsächlich in Anspruch genommene zusätzliche Betreuungsleistungen ausfällt. Der Gesetzgeber hat hier keine Sachleistung der Pflegekasse vorgesehen, sondern ein reines Kostenerstattungsverfahren eingeführt.

In dieser Entscheidung ist das BSG ganz selbstverständlich davon ausgegangen, dass der Kostenerstattungsbetrag für Betreuungsleistungen nur in Anspruch genommen werden kann, falls eines der in § 45b Abs 1 S 3 SGB XI genannten Pflege- und Betreuungsangebote wahrgenommen wird. Dies ergibt sich auch ganz zwanglos aus dem Gesetzestext. Danach ist der Betrag zweckgebunden einzusetzen für qualitätsgesicherte Leistungen der Betreuung oder Entlastung (§ 45b Abs 1 S 5 SGB XI idF durch das Erste Gesetz zur Stärkung der pflegerischen Versorgung und zur Änderung weiterer Vorschriften, Erstes Pflegestärkungsgesetz - PSG I - vom 17.12.2014, BGBl I 2222; BSG, Beschluss vom 11. August 2016 - B 3 P 22/16 B -, Rn. 8 - 9, juris)

3. Die Preise für die Leistungen im Sinne des § 45b Abs. 1 Satz 3 Nr. 1-4 SGB XI werden durch Absatz 4 der Höhe nach begrenzt. Die Regelung erfolgte im Interesse der Pflegebedürftigen und Pflegekassen, weil in der Praxis teils sehr unterschiedliche Preise für Leistungen verlangt wurden, je nachdem, ob die Leistungserbringung nach den §§ 36, 41, 42 SGB XI oder aber nach § 45b Abs. 1 Satz 3 SGB XI erfolgte. Für letztgenannte Leistungen wurde zum Teil ein Vielfaches der für die Erbringung von Sachleistungen nach §§ 36, 41 und 42 SGB XI vereinbarten Vergütungssätze verlangt. Absatz 4 stellt daher nun klar, dass die Vergütung von Leistungen nach § 45b Abs. 1 Satz 3 Nr. 1-4 SGB XI die Preise für vergleichbare Sachleistungen von zugelassenen Pflegeeinrichtungen nicht überschreiten darf (Waldhorst-Kahnau in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XI, 3. Aufl., § 45b SGB XI (Stand: 01.10.2021), Rn. 43)

4. Die nach § 36 SGB XI vereinbarten Vergütungssätze sind auch für die Leistungen nach § 45b Abs. 1 S. 3 SGB XI maßgeblich (Waldhorst-Kahnau in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XI, 3. Aufl., § 45b SGB XI (Stand: 01.10.2021), Rn. 28).

Die mit den ambulanten Pflegediensten für die Leistungserbringung nach § 36 vereinbarten Vergütungssätze bilden auch bei einer Leistungserbringung für Pflegebedürftige des Pflegegrades 1 die Obergrenze für die von den Versicherten hierfür zu entrichtenden Vergütungen.

Auch wenn die Inhalte der Leistungen und die Obergrenze der von den Versicherten hierfür zu entrichtenden Vergütungen im Rahmen des § 45b Absatz 1 Satz 3 SGB XI aus    § 36 SGB XI abgeleitet werden, handelt es sich vorliegend um einen Kostenerstattungsanspruch. Die Pflegebedürftigen müssen - auch um jederzeit einen Überblick über die bezogenen Leistungen und die Höhe des Entlastungsbetrags, der ihnen noch zur Verfügung steht, zu behalten - eine aussagefähige Rechnung sowie ggf. Quittung erhalten, die sie bei ihrer Pflegekasse oder ihrem Versicherungsunternehmen zwecks Kostenerstattung einreichen können. Aus der Rechnung muss dabei auch ersichtlich sein, ob und in welchem Umfang im Rahmen der Leistungserbringung nach § 45b ebenfalls Leistungen im Bereich der Selbstversorgung erbracht und abgerechnet werden. Die zivilrechtlich gegebenen Möglichkeiten zur Bevollmächtigung oder Abtretung bleiben unberührt, entbinden aber nicht von der umfassenden Information der Anspruchsberechtigten über die Leistungen, für die eine Kostenerstattung beantragt wird.

Der Antrag auf Kostenerstattung muss dabei bei der Pflegekasse oder dem Versicherungsunternehmen nicht bereits vor Beginn des Bezugs von Leistungen nach § 45b gestellt werden. Ausreichend ist vielmehr eine Antragstellung zusammen mit der Einreichung der Belege zu den entstandenen Aufwendungen, auch wenn der Anfall der Kosten, deren Erstattung beantragt wird, in der Vergangenheit liegt und vor der (erstmaligen) Beantragung zunächst einige Belege gesammelt worden sind.

Der Entlastungsbetrag ist gemäß § 45b Absatz 1 Satz 2 SGB XI zweckgebunden einzusetzen für qualitätsgesicherte Leistungen zur Entlastung pflegender Angehöriger und vergleichbar Nahestehender in ihrer Eigenschaft als Pflegende sowie zur Förderung der Selbständigkeit und Selbstbestimmtheit der Pflegebedürftigen bei der Gestaltung ihres Alltags (BT-Drs. 18/5926, 133).

Weder in § 36 SGB XI noch in § 45b SGB XI findet sich ein Hinweis, dass zusätzlich zu den aufgezählten Tatbeständen weitere Rechnungspositionen vom Entlastungsbetrag erfasst sein könnten. Vielmehr legt die Konzeption von § 45b Abs. 4 SGB XI nahe, dass die versicherten nur die Vergütung zu leisten haben, die in den Vereinbarungen nach § 36 SGB XI festgelegt sind. Hierzu zählen aber gerade nicht die hier streitgegenständlichen Teilbeträge für eine Bezugspflegekraft oder der Investitionskostenmehraufwand.

5. Die Preisvereinbarungen nach § 89 SGB XI sehen weder Mehrkosten vor für Investitionskosten noch für sog. Bezugspflegekräfte. Die Klägerin meint, weil diese Positionen nicht Gegenstand der Vergütungsvereinbarungen seien, könnten sie zusätzlich abgerechnet werden. Hierfür findet sich im Gesetz jedoch keine Grundlage.

Die Klägerin hat vorgetragen, dass es sich bei den streitgegenständlichen Positionen um weitergehende und ggf. auch anders berechnete Kosten handle, die den Betroffenen im "Zusammenhang" (§ 45b Abs. 1 S. 3 SGB XI) mit ihrer Versorgung durch Sachleistungen entstehen. Für diese Kosten gelte die Aufteilung zwischen Pflegevergütung und Investitionsaufwand nach § 82 SGB XI nicht, denn es handle sich um "Leistungen zur Entlastung pflegender Angehöriger und vergleichbar Nahestehender in ihrer Eigenschaft als Pflegende sowie zur Förderung der Selbstständigkeit und Selbstbestimmung des Pflegebedürftigen bei der Gestaltung ihres Alltags" (§ 45b Abs. 1 Satz 2 SGB XI). So definierte Leistungen fänden sich in den Preisvereinbarungen zwischen den Parteien nach § 89 SGB XI denn auch gar nicht. Dem ist nicht zufolgen.

a) Besondere Leistungen "Bezugspflegekraft"
Leistungen einer Bezugspflegekraft finden nach dem Vortrag der Klägerin kein Vorbild in den landesweit geltenden Leistungs- und Vergütungsvereinbarungen, denn üblicherweise entscheidet der jeweilige Pflegedienst allein über seinen Personaleinsatz und optimiert
die Routen der einzelnen Pflegekräfte insbesondere auch anhand von Fahrtwegen.
Entscheidet sich der Versicherte für die Leistung einer Bezugspflegekraft, kann er aus dem Pool an Pflegekräften eine einzelne oder eine kleine Gruppe von Pflegekräften bestimmen, die ausschließlich bei seiner Versorgung eingesetzt werden. Im Krankheits- oder Urlaubsfall der so im Vorhinein bestimmten Pflegekraft entscheidet
der Kunde gemeinsam mit der Klägerin, welche Pflegekraft die Vertretung übernimmt.
Dem Kunden obliegt so letztlich die Entscheidung über die bei ihm eingesetzten Pflegekräfte. Diese Leistungen sind zwar nicht notwendigerweise deckungsgleich mit dem Leistungsangebot, das (teil-)stationäre Einrichtungen und ambulante Dienste im Rahmen ihrer Sachleistungsangebote machen. § 45b Abs. 4 SGB XI bestimmt jedoch, dass die für die Erbringung von Leistungen nach Absatz 1 Satz 3 Nummer 1 bis 4 verlangte Vergütung die Preise für vergleichbare Sachleistungen von zugelassenen Pflegeeinrichtungen nicht übersteigen darf. Damit sind für die Entlastungsleistungen die Vergütungsregelungen mit den zugelassenen Pflegeeinrichtungen anzuwenden. Für weitere Vergütungspositionen hat der Gesetzgeber hier keinen Raum gelassen. Eine besondere Vergütung für eine "Bezugspflegekraft" ist daher mangels Rechtsgrundlage nicht erstattungsfähig.

b) Investitionskosten
Auch für Investitionskosten findet sich keine Rechtsgrundlage im Rahmen der Entlastungsleistung. Für die Preisfindung einer solchen Leistung gelten die §§ 82 ff. SGB XI Für die Erstattungsfähigkeit des abgerechneten Entgelts kommt es dabei nicht nur auf die jeweilige Preisvereinbarung zwischen Anbieter den Versicherten an. Investitionskosten sind nach § 82 SGB XI nicht Teil der Pflegevergütung und damit auch nicht Gegenstand der Preisvereinbarungen nach § 89 SGB XI (vgl. Beck-OK/Wilcken, § 89 SGB XI Rn. 9; Krauskopf/Knittel, § 90 SGB XI Rn. 4).
Der mit der Stadt N vereinbarte Investitionskostenanteil in Höhe von 4,28% ist - jedenfalls gegenüber der Beklagten- nicht erstattungsfähig. Dem Argument der Klägerin, dass anders als im Bereich der Sachleistung oder stationärer Pflege der Entlastungsbetrag nach § 45b SGB XI, dazu dient, den Versicherten Aufwendungen zu erstatten (§ 45b Abs. 1 Satz 3 SGB XI), die diesen im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme von Pflege- und Betreuungsleistungen entstehen, ist nicht zu folgen. Dies hätte nämlich zur Konsequenz, dass jegliche Rechnungsposition erstattungsfähig wäre, sofern sie von den Vergütungsvereinbarungen nicht erfasst wäre. Diese Absicht kann dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden und entbehrt jeglicher Grundlage. Daran ändert auch die Argumentation der Beklagten nichts, dass Investitionskosten Aufwendungen darstellen, die nach § 82 SGB XI als Vergütungsbestandteil einer Sachleistung nicht von den Pflegekassen zu übernehmen sind. Der von der Klägerin vorgenommene Umkehrschluss, dass die Investitionskosten dann aber bei der Kostenerstattung abrechnungsfähig sein sollen, widerspricht der gesetzlichen Grundkonzeption.

Das Gesetz geht bei der Finanzierung von Pflegediensten bzw. in entsprechender Anwendung bei Anbietern von Entlastungsleistungen von einer dualen Finanzierung aus. Die Vorhaltung der für die pflegerische Versorgung der Bevölkerung erforderlichen Einrichtungen, d.h. die sogenannten Investitionskosten ist allein Sache der Länder (Udsching, Vorbemerkungen zu §§ 82 bis 92 Rn. 4, BAYERN.RECHT). Investitionskosten sind damit nicht Bestandteil der Pflegevergütung mit Ausnahme der betriebsnotwendigen Investitionskosten im Sinne von § 82 Abs. 2 SGB XI, welche nur unter den Voraussetzungen des § 82 Abs. 3 oder Abs. 4 SGB XI (je nachdem, ob er von dem Land seines Sitzes gefördert wird) als Zuschlag den Kunden in Rechnung gestellt werden kann. Das Vorliegen der Voraussetzungen des § 82 Abs. 3 oder Abs. 4 SGB XI im streitigen Fall ist aber weder behauptet, noch nachgewiesen.

c) Vereinbarung mit dem Sozialhilfeträger
Schließlich erlaubt auch der Vortrag der Klägerin, dass mit dem Sozialhilfeträger die Vergütung einer Investitionszulage vereinbart worden sei, im Rahmen der Erstattungsfähigkeit nach § 45b SGB XI keine andere rechtliche Bewertung.
Die Fürsorgeleistungen nach dem SGB XII dienen im Grundsatz dazu, die individuellen Bedarfe des Pflegebedürftigen selbst abzudecken, auch über die Leistungen nach dem SGB XI hinaus. Der weiterreichende Zweck des Entlastungsbetrags liegt hingegen darin, dem Pflegebedürftigen Unterstützungsleistungen durch qualitätsgesicherte Angebote zu eröffnen, mit deren Hilfe er seinen Alltag (wieder) möglichst eigenständig selbst bewältigen kann. Diese Hilfestellungen bewirken damit eine Entlastung der Pflegepersonen sowie natürlich ebenfalls eine Stärkung der Pflegebedürftigen selbst. Es erfolgt also insoweit eine Unterstützung, die in dieser Form nicht den üblichen Regelleistungen entspricht. Im Übrigen wird vielfach auch deswegen kein Bedürfnis für darüber hinaus gehende Leistungen bestehen, weil bei den Betroffenen eine entsprechende Bedarfsdeckung typischerweise mit der Leistung nach § 45b SGB XI wird finanziert werden können.

Der Berufung bleibt damit vollumfänglich der Erfolg versagt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO analog.

Der Streitwert bestimmt sich nach der geltend gemachten Forderung, § 47 Abs. 1, Abs. 2, § 52 Abs. 1 GKG.

Der Senat hat die Revision zugelassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat gem. § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG und bislang hierzu noch keine höchstrichterliche Entscheidung veröffentlicht ist.

 

Rechtskraft
Aus
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