S 14 KR 221/22

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Kassel (HES)
Sachgebiet
Krankenversicherung
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 14 KR 221/22
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Die Aufschlagsregelung des § 275c Abs. 3 SGB V ist auf alle Prüffälle anwendbar, die nach dem 1.1.2022 abgeschlossen wurden, jedenfalls soweit die Aufnahme im Krankenhaus ab dem 1.1.2020 erfolgte.


Die Klage wird abgewiesen. 

Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen. 

Die Berufung wird zugelassen. 

Die Sprungrevision wird zugelassen. 
 
 
T a t b e s t a n d 

Die Klägerin wendet sich gegen einen Aufschlag auf eine Rechnungsminderung in Höhe von 300 Euro. 

Im Krankenhaus der Klägerin wurde vom 8.7.2021 bis zum 10.7.2021 ein bei der beklagten Krankenkasse versicherter Patient behandelt (C. M., geb. 1969). Beim Patienten bestand eine Atherosklerose der Extremitätenarterien: Becken-Bein-Typ, mit belastungsinduziertem Ischämieschmerz, Gehstrecke 200 m und mehr. Im Verlauf der Behandlung wurde der Patient am ersten Tag aufgeklärt und es fanden Laboruntersuchungen statt. Am zweiten Tag erfolgte eine Ballon-Angioplastie und eine (Perkutan-)transluminale Implantation von aus Einzeldrähten verwobenen Nitinolstents. 

Die Klägerin stellte den Fall in Höhe von 3219,85 Euro in Rechnung und legte die Fallpauschale F95F zugrunde (Mäßig komplexe Gefäßeingriffe ohne äußerst schwere CC, ohne aufwendige Gefäßintervention, ohne aufwendigen, bestimmten oder bestimmten anderen Eingriff, ohne Mehrfacheingriff, Alter > 15 Jahre oder ein Belegungstag; Rechnung vom 16.7.2021). Als Hauptdiagnose verschlüsselte sie I70.21 (Atherosklerose der Extremitätenarterien: Becken-Bein-Typ, mit belastungsinduziertem Ischämieschmerz, Gehstrecke 200 m und mehr), als Nebendiagnose unter anderem E11.90 (Diabetes mellitus, Typ 2: Ohne Komplikationen: Nicht als entgleist bezeichnet) und die Prozeduren 8-836.Oq ((Perkutan-)transluminale Gefäßintervention: Ballon-Angioplastie: Andere Arterien abdominal und pelvin), 8-83b.c2 (Zusatzinformationen zu Materialien: Verwendung eines Gefäßverschlusssystems: Nahtsystem), 8-84d.Oq ((Perkutan)transluminale Implantation von aus Einzeldrähten verwobenen Nitinolstents: Ein Stent: Andere Arterien abdominal und pelvin). 

Die Beklagte zahlte zunächst und beauftragte sodann den MD mit der Prüfung des Falles. Der MD zeigte an, dass er den Fall im Hinblick auf Verweildauer prüfen werde und forderte unter Fristsetzung näher bezeichnete Unterlagen an (Prüfanzeige und Unterlagenanforderung vom 23.9.2021). Nach fristgerechtem Eingang der angeforderten Unterlagen sprach sich der MD für eine Kürzung der Verweildauer um einen Tag aus und bestätigte die Kodierung im Übrigen und kam so zur Fallpauschale F59F mit einem Abschlag für die Unterschreitung der unteren Grenzverweildauer um einen Tag (Gutachten vom 19.4.2022). Zur Begründung führte der MD aus, dass am Tag der Aufnahme keine Maßnahmen und keine Symptome dokumentiert seien, welche die Vorhaltung der Einrichtungen eines Akutkrankenhauses rechtfertigen. Die Aufklärung habe ebenso wie die Blutentnahme zur Laboruntersuchung prästationär oder ambulant erfolgen können, daher sei der Aufenthalt um einen Tag zu straffen. 

Die Beklagte teilte daraufhin der Klägerin unter Wiedergabe des MD-Gutachtens mit, dass die Vergütung um 665,91 Euro zu kürzen sei und machte in dieser Höhe einen Erstattungsanspruch geltend (Leistungsentscheidung vom 22/23.4.2022 – Eingang bei der Klägerin am 23.4.2022).  

Gleichzeitig setzte die Beklagte gegen die Klägerin einen Aufschlag auf den Differenzbetrag in Höhe von 300 Euro fest forderte die Klägerin zur Zahlung dieses Betrages auf (Bescheid vom 22/23.4.2022). Der Widerspruch war ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 24.6.2022). Dabei ging die Beklagte auf den im Widerspruchsverfahren vorgebrachten und näher erläuterten Einwand ein, dass ein Aufschlag nicht für vor dem 1.1.2022 begonnene Krankenhausbehandlungen verlangt werden könne. 

Der Anteil der Prüfungen, in denen sich keine Minderung des Rechnungsbetrages ergab, betrug bezogen auf das Krankenhaus der Klägerin im Jahr 2021 im ersten Quartal 40 %, im zweiten Quartal 42 %, im dritten Quartal 41,65 % und im vierten Quartal 46,85 %. Die Prüfquoten betrugen bezogen auf das Krankenhaus der Klägerin im ersten und zweiten Quartal je 12 %, im dritten Quartal 12,20 % und im vierten Quartal 12,29 %. 

Die Klägerin hat am 19.7.2022 Klage erhoben. 

Sie trägt – teilweise unter Wiederholung des Widerspruchsvorbringens – vor, dass die Aufschlagsregelung ab dem Jahr 2022 gelte. Unklar sei, ob der Zeitpunkt der Aufnahme ins Krankenhaus, des Zugangs der Schlussrechnung, der Einleitung des Prüfverfahrens, des Zugangs der Prüfanzeige oder des Zugangs der Leistungsentscheidung der Krankenkasse maßgeblich sei. Das BSG habe in der Vergangenheit § 275 Abs. 1c a. F. und § 275 Abs. 1c Satz 4 a. F. nur auf Behandlungsfälle angewendet, die nach dem Inkrafttreten der Vorschrift begonnen hätten (B 1 KR 29/09 R und B 1 KR 24/16 R). Der Regelungsschwerpunkt liege in der Leistungserbringung durch das Krankenhaus. Die Vorschrift gelte daher erst, soweit die Aufnahme nach dem 1.1.2022 erfolgt sei. Die vom Gesetzgeber verfolgte Anreizwirkung könne sich erst für solche Behandlungsfälle verwirklichen. Die übrigen Anknüpfungszeitpunkte (Leistungsentscheidung, Einleitung des Prüfverfahrens) seien durch die Beteiligten beeinflussbar. Das Ergebnis des Prüfverfahrens werden nicht nur durch die Kodierung, sondern auch durch die Länge des stationären Aufenthalts und die Dokumentation determiniert, sodass es nicht auf das Rechnungsdatum oder einen danach liegenden Zeitpunkt ankommen könne. Sie nimmt ergänzend Bezug auf Entscheidungen des SG Berlin (S 28 KR 1213/22 ER) und des SG Hannover (S 76 KR 112/22 ER) und des SG Mannheim (S 15 KR 382/22 ER). 

Die Klägerin beantragt,  
den Bescheid der Beklagten vom 22/23.4.2023 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.6.2022 aufzuheben. 

Die Beklagte beantragt,  
die Klage abzuweisen. 

Die Kammer hat die Verwaltungsakte der Beklagten beigezogen. 

Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden (Schriftsätze vom 1.2.2023 und 20.2.2023). 
  

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e 

Die Kammer kann gem. § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten sich mit dieser Entscheidung einverstanden erklärt haben. Dass die Zustimmung von der Zulassung der Berufung abhängig gemacht wurde und die Kammer darüber hinaus die Sprungrevision zugelassen hat, ist unerheblich. Durch die Zulassung der Sprungrevision zusätzlich zur Berufung entstehen den Beteiligten keine Nachteile, weil der Gegner des Revisionsverfahrens mit der Einlegung der Sprungrevision einverstanden sein muss (§ 161 Abs. 1 Satz 3 SGG). 

Die Klage ist unbegründet, weil die Voraussetzungen für die Festlegung eines Aufschlages erfüllt sind – insbesondere ist die Aufschlagsregelung auf alle Prüffälle anwendbar, die nach dem 1.1.2022 abgeschlossen wurden, jedenfalls soweit die Aufnahme im Krankenhaus ab dem 1.1.2020 erfolgte. 

1.    Streitgegenstand ist der Bescheid der Beklagten vom 22/23.4.2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.6.2022, worin die Beklagte einen Aufschlag in Höhe von 300 Euro festsetzte. 

2.    Die Sachentscheidungsvoraussetzungen sind erfüllt. Die Klage ist als reine Anfechtungsklage statthaft und auch im Übrigen zulässig (§ 54 Abs. 1 SGG). Die KAIN-Nachricht vom 22/23.4.2022 stellt einen Bescheid dar. Er enthält eine hoheitliche Regelung des Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts im Sinne von § 31 SGB X, weil er eine Zahlungspflicht in Höhe von 300 Euro auferlegt.  

3.    Rechtsgrundlage für die Pflicht zur Zahlung des Aufschlags ist § 275c Abs. 3 SGB V in der Fassung des Gesundheitsversorgungs- und Pflegeverbesserungsgesetzes – GPVG vom 20.12.2020 (BGBl. I 3299). Diese Norm bestimmt: 

(3) 1Ab dem Jahr 2022 haben die Krankenhäuser bei einem Anteil unbeanstandeter Abrechnungen unterhalb von 60 Prozent neben der Rückzahlung der Differenz zwischen dem ursprünglichen und dem geminderten Abrechnungsbetrag einen Aufschlag auf diese Differenz an die Krankenkassen zu zahlen. 2Dieser Aufschlag beträgt   
1.    25 Prozent im Falle des Absatzes 2 Satz 4 Nummer 2, 
2.    50 Prozent im Falle des Absatzes 2 Satz 4 Nummer 3 und im Falle des Absatzes 2 Satz 6, 
jedoch mindestens 300 Euro und höchstens 10 Prozent des auf Grund der Prüfung durch den Medizinischen Dienst geminderten Abrechnungsbetrages, wobei der Mindestbetrag von 300 Euro nicht unterschritten werden darf. 3In dem Verfahren zwischen Krankenkassen und Krankenhäusern im Vorfeld einer Beauftragung des Medizinischen Dienstes nach § 17c Absatz 2 Satz 2 Nummer 3 des Krankenhausfinanzierungsgesetzes wird kein Aufschlag erhoben.  

Die Ermächtigung, diesen Anspruch durch Verwaltungsakt geltend zu machen folgt nicht bereits aus § 275c Abs. 3 SGB V. Vielmehr ergibt sie sich implizit aus § 275c Abs. 5 Satz 1 SGB V in der Fassung des MDK-Reformgesetzes vom 14.12.2019 (BGBl I S. 2789), weil die Ausnahme von der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Klage nur bei Verwaltungsakten Sinn ergibt. 

4.    Die formellen und verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für den Erlass des Aufschlagsbescheides sind im Ergebnis erfüllt. 
a)    Eine besondere Form ist in § 275c Abs. 3 SGB V bzw. §§ 31 ff. SGB X nicht geregelt. Dass § 275c Abs. 3 Satz 4 Halbs. 1 SGB V in der Fassung des Krankenhauspflegeentlastungsgesetzes – KHPflEG – vom 28.12.2022 (BGBl. I 2793) nunmehr zwingend eine elektronische Bekanntgabe erfordert, bedeutet nicht, dass diese Form der Bekanntgabe zuvor ausgeschlossen war. Vielmehr hat die Regelung den Sinn, der Geltendmachung des Aufschlags die VA-Qualität abzusprechen und eine formlose Geltendmachung auf elektronischem Wege zu ermöglichen (BT-Drucks. 20/3876, S. 48 f.). 
b)    Der Mangel der anfangs unterbliebenen Anhörung ist nach § 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X geheilt, weil die Klägerin ihre Bedenken im Widerspruchsverfahren vorbringen konnte und diese Erwägungen im Widerspruchsbescheid berücksichtigt worden sind. 

5.  Die materiellen Voraussetzungen für die Erhebung des Aufschlags sind erfüllt.  

a)  Die Klägerin ist als Krankenhausträgerin nach dem Wortlaut des Gesetzes Anspruchsgegnerin. 

b)  Der Anteil unbeanstandeter Abrechnungen lag unterhalb von 60 %. Nach den Statistikdaten des GKV-Spitzenverbandes ergibt sich für das erste Quartal 2021 ein Anteil von Schlussrechnungen, bei den nach abgeschlossener MD-Prüfung der Abrechnungsbetrag nicht minderungsfähig ist, in Höhe von 40 %. Dieser Wert liegt deutlich unter der Grenze von 60 %. Die Daten des ersten Quartals 2021 sind maßgeblich, weil die Zuordnung der Quartale nach § 275c Abs. 2 Satz 3 SGB V in der Fassung des Gesetzes vom 20.12.2020 die Einleitung der Prüfung maßgeblich ist. Die Prüfung wurde hier mit Prüfanzeige vom 23.9.2021 im dritten Quartal eingeleitet. Das nach § 275c Abs. 2 Satz 4 SGB V maßgebliche vorvergangene Quartal ist dann das erste Quartal. Die Statistikdaten sind abrufbar unter (https://www.gkv-spitzenverband.de/media/dokumente/krankenversicherung_1/krankenhaeuser/abrechnung/mdk_pruefstatistiken/1_q_2021/Statistikdaten_nach_275c_Abs_4_SGB_ V_-_2021Q1.xlsx) Die vom GKV-Spitzenverband festgelegten Prüfquoten sind bindend. 

c)  Neben der Rechnungsdifferenz war ein Aufschlag in Höhe dieser Differenz zu zahlen, nach § 275c Abs. 3 Satz 2 beträgt der Betrag mindestens 300 Euro, der von der Beklagten auch geltend gemacht wurde. Ob sich ggf. ein höherer Betrag ergibt, kann dahinstehen, da es sich um eine reine Anfechtungsklage handelt. 
Richtig war jedenfalls, dass sich der Abrechnungsbetrag minderte. Die Beklagte hat innerhalb der Fristen der PrüfvV ein Prüfverfahren eingeleitet und mit fristgerechter Mitteilung der Leistungsentscheidung ordnungsgemäß beendet. Dabei ging der MD zurecht davon aus, dass die Behandlungsdauer im zugrundeliegenden Behandlungsfall um einen Tag zu kürzen war, ohne dass die Kammer hierzu ein Sachverständigengutachten einholen musste. Angesichts des Umstandes, dass am Aufnahmetag lediglich die Aufklärung und Laboruntersuchungen durchgeführt wurden, kann für diesen Tag keine stationäre Behandlungsbedürftigkeit angenommen werden. Bei richtiger Organisation hätte die Behandlung auf einen Abrechnungstag gestrafft werden können. 

Erfahrungsgemäß beurteilen gerichtliche Sachverständige die notwendige Behandlungsdauer bei dieser Sachlage nicht anders. Konsequenterweise akzeptierte die Klägerin auch die Minderung des Abrechnungsbetrages.  

Mit der Kürzung um einen Abrechnungstag ist ein Abschlag für das Unterschreiten der unteren Grenzverweildauer zu berücksichtigen, der allein die Minderung des Rechnungsbetrages erklärt, was sich aus nachstehendem Grouperausdruck ergibt: 

         Es folgt eine Tabelle/ein Ausdruck, die/der aus technischen Gründen nicht dargestellt werden kann (vorhanden unter www.lareda.hessenrecht.hessen.de).
  
Auf die Höhe des Basisentgelts und der von der Höhe des Entgelts abhängigen Zuschläge, die in der Krankenhausrechnung ausgewiesen sind, kommt es nicht an. Entscheidend ist, dass sich die Fallpauschale um einen Abschlag für ein Unterschreiten der unteren Grenzverweildauer mindert. Dadurch ergibt sich unabhängig von der Höhe der Abrechnungsminderung der Mindestaufschlag in Höhe von 300 Euro. 
d)  Es handelte sich vorliegend um ein Prüfverfahren nach der PrüfVV mit Beauftragung des MD und nicht um ein Verfahren im Vorfeld der Beauftragung des MD (§ 257c Abs. 3 Satz 4). 
e)  Die Geltendmachung des Aufschlags war nicht ausgeschlossen, weil die Prüfquote überschritten war. Im dritten Quartal 2021 wurde eine Prüfquote von 12,20 % realisiert (https://www.gkv-spitzenverband.de/media/dokumente/krankenversicherung_1/krankenhaeuser/abrechnung/mdk_pruefstatistiken/3_q_2021/Statistikdaten_nach_275c_Abs_4_SGB_ V-2021Q3_V2.xlsx). 

6. Die zeitliche Vorgabe, wonach „ab dem Jahr 2022“ die Krankenhäuser bei einem Anteil unbeanstandeter Abrechnungen unterhalb von 60 Prozent neben der Rückzahlung der Differenz zwischen dem ursprünglichen und dem geminderten Abrechnungsbetrag einen Aufschlag auf diese Differenz an die Krankenkassen zu zahlen haben, ist erfüllt. 

Soweit die Klägerin vorträgt, dass der Wortlaut der Vorschrift nicht erkennen lässt, ob die Worte „ab dem Jahr 2022“ sich auf ab dem Jahr 2022 aufgenommene Patienten, gestellte Rechnungen, eingeleitete Prüfverfahren, abgeschlossene Prüfverfahren oder mitgeteilte Leistungsentscheidungen beziehen soll, ist anzumerken, dass nach dem Wortlaut der Norm die Aufschläge ab dem Jahr 2022 zu zahlen sind. Mithin knüpft der Wortlaut der Norm an die Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen an. Diese sind ein Anteil unbeanstandeter Abrechnungen unterhalb von 60 Prozent und eine Minderung des Abrechnungsbetrags im konkreten Fall.  

a) Eine zeitliche Begrenzung des Anwendungsbereichs der Norm ergibt sich nicht daraus, dass sich der Anteil unbeanstandeter Abrechnungen von 60 Prozent aus einem Quartal ab dem Jahr 2022 ergeben müsste. Für diese Annahme geben weder Wortlaut, Systematik, Entstehungsgeschichte noch Teleologie einen Anhaltspunkt.  
aa)    Nach dem Wortlaut der Norm knüpft die Zahlungspflicht stets daran an, dass im vorvergangen Quartal sich ein Anteil unbeanstandeter Abrechnungen unterhalb von 60 % ergibt.  
bb)    In systematischer Hinsicht ist zu berücksichtigen, dass § 275c SGB V seit dem 1.1.2020 in Kraft ist und die Vorschrift des § 275c Abs. 3 seit dem Covid19-Krankenhausentlastungsgesetz vom 27.3.2020 (BGBl. I 580) einen Beginn der Aufschlagszahlungen ab dem Jahr 2022 regelt. Das gesamte übrige Normgefüge, insbesondere, soweit es die Erhebung der Prüfquoten und Beanstandungen betrifft, ist seit dem 1.1.2020 durchgängig in Kraft, sodass die für die Ermittlung des Anteils unbeanstandeter Abrechnungen erforderlichen Daten auch für Behandlungsfälle vor dem 1.1.2022 zur Verfügung stehen.  
cc)    Entstehungsgeschichtlich ist zu berücksichtigen, dass § 275c Abs. 3 Satz 1 SGB V in der Fassung des MDK-Reformgesetzes noch eine Regelung zur Höhe des Aufschlags für das Jahr 2020 enthielt (10 % des Differenzbetrages, mindestens 300 Euro). Die Regelung wurde getroffen, weil die für die Festlegung eines gestaffelten Aufschlages erforderlichen Statistikdaten der Vorquartale nach § 275c Abs. 3 Satz 2 SGB V in der Fassung des MDK-Reformgesetzes noch nicht vorhanden waren (19/14871, S. 106). 
dd)    Die vom Gesetz bezweckte Anreizfunktion wird erreicht. Denn es war schon seit dem 28.3.2020 klar, dass ab dem 1.1.2022 Aufschläge zu zahlen sein werden. 
b) Eine zeitliche Begrenzung des Anwendungsbereichs der Norm ergibt sich nicht daraus, dass die Aufnahme, die Rechnungsstellung oder die Einleitung des Prüfverfahrens im aufschlagspflichtigen Behandlungsfall nach dem 1.1.2022 erfolgen müsste (auf die Rechnungstellung abstellend: SG Hannover vom 18.32022 – S 76 KR 112/22 ER KH, Juris). 
aa)    Der Wortlaut gibt für diese Annahme nichts her. Von der Klägerseite wird zurecht ausgeführt, dass der Wortlaut der Norm insoweit offen ist. Eher ließe sich noch dagegen anführen, dass das Gesetz an die Minderung des Abrechnungsbetrages anknüpft, die sich nach dem Wortlaut nach dem 1.1.2022 ergeben muss. Nach der PrüfVV ergibt sich diese jedoch erst mit der Mitteilung der leistungsrechtlichen Entscheidung (§ 8 PrüfVV 2016). Ob sich die Minderung bereits mit der Bekanntgabe des MD-Gutachtens an die Krankenkasse ergibt, kann hier dahinstehen (vgl. SG Fulda vom 19.5.2022 – S 4 KR 120/22 ER, Juris, Rn. 18). Auf die Rechnungstellung stellt das Gesetz nach dem Wortlaut nicht ab, weil dort ausdrücklich nur eine bestimmte Quote unbeanstandeter Abrechnungen und eine Minderung des Abrechnungsbetrages vorausgesetzt sind.  
bb)    Aus systematischen Erwägungen ergibt sich kein Grund dafür, nur Aufnahmen, Rechnungstellungen oder Einleitungen des Prüfverfahrens ab dem 1.1.2022 zu berücksichtigen. Das Normgefüge des § 275c SGB V regelt in Absatz 1 die Einleitung des Prüfverfahrens und die Zahlung der Aufwandspauschale, Absatz 2 die Ermittlung der Prüfquoten, Absatz 3 die Zahlung des Aufschlags, Absatz 4 die Datenübermittlung an den GKV-Spitzenverband, Absatz 5 enthält prozessuale Regelungen und verfahrensrechtliche Regelungen, Absatz 6 regelt Verbote einer Einzelfallprüfung und Absatz 7 beschränkt die Dispositionsbefugnis der Krankenkassen und Krankenhäuser. Da nicht nur § 275c Abs. 3 SGB V seit dem 1.1.2020 bzw. seit dem 28.3.2020 in Kraft ist, sondern auch § 275c Abs. 1 SGB V, ist kein Grund ersichtlich, nicht jedenfalls an alle Behandlungsfälle nach dem 1.1.2020 anzuknüpfen.  
cc)    Die Entstehungsgeschichte bestätigt diesen Befund: § 275c Abs. 3 Satz 1 SGB V in der Fassung des MDK-Reformgesetzes regelte gesondert die Höhe des im Jahr 2020 zu zahlenden Aufschlags, weil die Daten für eine gestaffelte Höhe des Aufschlags noch nicht vorhanden waren (19/14871, S. 106). Mit der Streichung des § 275c Abs. 3 Satz 1 und der Verschiebung des Beginns der Aufschlagszahlungen auf das Jahr 2022 durch das Covid19-Krankenhausentlastungsgesetz vom 27.3.2020 (BGBl. I 580) hat das Gesetz lediglich den Beginn der gestaffelten Aufschläge um ein Jahr verschoben, jedoch an den Vorgaben zur Sammlung der Daten schon ab dem 1.1.2020 nichts geändert. Daraus kann nur geschlossen werden, dass die Daten weiterhin gesammelt werden sollten, damit ab dem 1.1.2022 Aufschläge festgesetzt werden können. Wäre nach dem Gesetz tatsächlich erforderlich, dass die Behandlungen bzw. die Prüfverfahren nach dem 1.1.2022 eingeleitet worden sein müssen, wäre die Datenerhebung ab dem 1.1.2020 überflüssig. 
dd)    Der mit dem Gesetz verfolgten Anreizfunktion wird diese Auslegung gerecht. Da § 275c Abs. 3 SGB V bereits zum 1.1.2020 in Kraft trat und die Regelung über den Beginn der Aufschlagszahlungen ab dem Jahr 2022 schon ab dem 28.3.2020 in Kraft trat, hatten die Krankenhäuser genug Zeit und die Möglichkeit, sich auf Aufschlagszahlungen einzustellen. Es ist zwar richtig, dass das Gesetz die Krankenhäuser zu richtigen Abrechnungen motivieren soll. Diese Zielsetzung allein rechtfertigt angesichts der anderen Argumente jedoch nicht die Annahme, dass ohne Anhalt im Wortlaut es auf die Rechnungsstellung ankomme. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass Krankenhäuser ohnehin eine Pflicht haben ordnungsgemäß abzurechnen. Nur daran knüpft das Gesetz an. Eines besonderen Anreizes zum richtigen Abrechnen bedürfte es eigentlich nicht, weil die Krankenhäuser ohnehin zu richtigen Abrechnungen verpflichtet sind (BSG vom 23.5.2017 – B 1 KR 24/16 R, SozR 4-2500 § 301 Nr. 8 Rn. 27; gebilligt durch BVerfG vom 26.11.2018 – 1 BvR 318/17, Juris Rn. 40 f., 42 ff.). 

c) Die von der Klägerin vorgebrachten Argumente stehen dieser Auslegung nicht entgegen: 
aa) Soweit die Klägerin auf Entscheidungen des BSG zum zeitlichen Anwendungsbereich des § 275 Abs. 1c SGB V Bezug nimmt (B 1 KR 29/09 R, B 1 KR 24/16 R) und auf eine Entscheidung des LSG Niedersachsen-Bremen (Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 13. Juni 2022 – L 4 KR 198/22 B ER –, juris), ist folgendes auszuführen: Die Besonderheit des § 275c Abs. 3 SGB V ist, dass die Norm schon zum 1.1.2020 in Kraft getreten war und sich aus § 275c Abs. 3 Satz 1 SGB V ergab, dass Aufschläge ab dem 1.1.2020 zu zahlen waren. Der Beginn der Aufschlagszahlungen wurde kurze Zeit später auf fast zwei Jahre in die Zukunft verlegt. Diese Besonderheit unterscheidet § 275c Abs. 3 SGB V von § 275 Abs. 1c SGB V bzw. § 275c Abs. 1c Satz 4 SGB V, der ohne Vorlauf mit sofortiger Wirkung eingeführt wurde. bb)    Dass die Regelung sich schwerpunktmäßig auf die Leistungserbringung durch das Krankenhaus bezieht, ist oben widerlegt worden, vielmehr knüpft § 275c Abs. 3 SGB V an die Prüfquoten der vorvergangenen Quartale und eine Rechnungsminderung an. 
cc)    Die Klägerin gibt die Entwicklungsgeschichte des Gesetzes ungenau wieder, wenn sie vorträgt, dass das Inkrafttreten vom Jahr 2020 auf das Jahr 2022 verschoben worden sei (Klageschrift, Seite 4, Absatz 7 Satz 1; Schriftsatz vom 1.2.2023, Seite 3 Absatz 3 Satz 1). § 275c Abs. 3 ist, soweit er den Beginn der Aufschlagszahlung ab dem Jahr 2022 regelt, seit dem 28.3.2020 in Kraft (Art. 7 des Covid19-Krankenhausentlastungsgesetz vom 27.3.2020, BGBl. I 580).  
dd)    Die Beeinflussbarkeit der Leistungsentscheidung und des Prüfverfahrens steht der Auslegung nicht entgegen. Vielmehr ist es üblich, dass zeitliche Zäsuren durch Steuerungsmöglichkeiten der Akteure teilweise umgangen werden können. Dies geht mit jeder Zäsur bzw. Stichtagsregelung einher. Außerdem ist durch die Regelungen des § 275c SGB V und der PrüfvV der Spielraum für die Beteiligten begrenzt. 
ee)    Dass die Prüfung nicht nur durch die Kodierung, sondern auch durch die Dokumentation und die Länge des Aufenthalts determiniert wird, ist mit dieser Auslegung vereinbar. Es war mit Inkrafttreten der Regelung am 28.3.2020 genug Zeit, sich auf die ab dem 1.1.2022 eintretenden Gegebenheiten einzustellen. 

d) Eine verfassungskonforme Auslegung rechtfertigt ebenfalls keine Abweichung vom hiernach gefundenen Auslegungsergebnis: 
Die sich durch den Stichtag 1.1.2022 ergebenden Ungleichheiten aufgrund der Gestaltungsmöglichkeiten sind durch die Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers gedeckt (Art. 3 GG).  

Ein Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot liegt nicht vor. Dies allein deshalb nicht, weil die Regelung des § 275c Abs. 3 SGB V schon zum 1.1.2020 und die Verschiebung des Beginns der Zahlung des Aufschlags zum 28.3.2020 in Kraft trat und der hier vorliegenden Behandlungsfall aus dem Jahr 2021 stammt. 

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO

Die Berufung und die Sprungrevision waren wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zuzulassen, weil die Frage des Anknüpfungspunktes für die zeitliche Anwendbarkeit des § 275c Abs. 3 SGB V nicht geklärt ist (§ 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG; § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG i. V. m. § 161 Abs. 2 Satz 1 SGG). 
 
 

Rechtskraft
Aus
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