L 3 SB 2832/21

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Schwerbehindertenrecht
Abteilung
3.
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 9 SB 1415/21
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 SB 2832/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Zu den Voraussetzungen der Zurückweisung eines Rentenberaters als Prozessbevollmächtigter. Ein mittels Formular gestellter Erstantrag auf Feststellung des Grades der Behinderung erfordert keine gesonderte rechtliche Prüfung des Einzelfalles und ist damit keine Rechtsdienstleistung (Anschluss an BSG, Urteil vom 25.08.2022 - B 9 SB 5/20 R).

Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 02.08.2021 aufgehoben und wird festgestellt, dass der Bescheid des Beklagten vom 29.08.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.10.2016 rechtswidrig gewesen ist.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.


 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Beklagte den sich als Rechtsbeistand für Sozial- und Rentenrecht bezeichnenden Kläger zu Recht in einem auf die Feststellung des Grades der Behinderung (GdB) gerichteten Verwaltungsverfahren als Bevollmächtigten zurückgewiesen hat.

Aus der vom Senat beigezogenen, beim Landgericht (LG) K über den Kläger geführten Akte E 3712-479 ergibt sich in Bezug auf die dem Kläger erteilten Erlaubnisse und die Registrierungen Folgendes:

Der Präsident des Amtsgerichts (AG) K erteilte dem Kläger mit Verfügung vom 20.09.1977 aufgrund Art. 1 § 1 Rechtsberatungsgesetz (RBerG) und § 11 Erste Ausführungsverordnung zum RBerG die Erlaubnis zur Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten mit der Beschränkung auf das Rechtsgebiet der gesetzlichen Rentenversicherung und ohne Geltung für die mündliche Verhandlung vor Gericht. Im Zuge des mit dem aufgrund des Rechtsdienstleistungsgesetzes (RDG) und des Einführungsgesetzes zum RDG (RDGEG) geschaffenen Rechtsdienstleistungsregisters nahm das AG K am 07.10.2008 eine Registrierung als „registrierter Erlaubnisinhaber“ mit dem Inhalt „Rechtsbeistand auf dem Gebiet des Sozial- und Rentenrechts; Rechtsbeistand/Prozessagent mit Befugnis nach § 73 Abs. 6 SGG vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen-Bremen auf dem Gebiet des Sozial- und Rentenrechts mündlich zu verhandeln“ vor und machte dies im Rechtsdienstleistungsregister bekannt.

Auf die Bitte des Klägers, zu prüfen und zu bestätigen, dass sich seine Registrierung weiter auf das Schwerbehindertenrecht beziehe, äußerte sich der Präsident des LG K gegenüber dem Kläger mit Schreiben vom 29.06.2016 dahingehend, dass im Rechtsdienstleistungsregister der Umfang der Erlaubnis so genau bezeichnet sei, dass die registrierte Person bereits vor Inkrafttreten des RDG auch in Verfahren des Krankenversicherungs-, Pflegeversicherungs- und Schwerbehindertenrechts ohne konkreten Rentenbezug im Einzelfall zur Vertretung berechtigt gewesen sei. Die 1977 erteilte und 1982 erweiterte Erlaubnis zur Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten für das Sachgebiet „Rentenberatung“ ohne Bezug zu einer gesetzlichen Rente beziehe sich auch auf das Schwerbehindertenrecht. Auf weitere Ersuchen des Klägers wurde ihm vom Präsidenten des LG K mit Schreiben vom 25.10.2016 mitgeteilt, nach Ablösung des RBerG durch das RDG ergebe sich die Befugnis zur gerichtlichen Vertretung nur noch aus der jeweiligen Verfahrensordnung. Die Entscheidung über die Anwendung der in den jeweiligen Verfahrensordnungen enthaltenen Regelungen zur Zulassung von Bevollmächtigten obliege daher allein den Gerichten der jeweiligen Gerichtsbarkeit.

Aus der vom Beklagten vorgelegten, über den im Jahr 1972 geborenen B geführten Akte und den im Lauf des Verfahrens beigezogenen Unterlagen ergibt sich Folgendes:

Am 04.12.2015 stellte B unter Verwendung des von ihm unterschriebenen Antragsvordrucks Formblatt Nr. 28 090/3 „Erstantrag nach § 69 Sozialgesetzbuch – Neuntes Buch – (SGB IX)“ und unter Beifügung diverser medizinischer Unterlagen bei dem Beklagten erstmals einen Antrag auf Feststellung seines GdB. Auf diesen Antrag stellte der Beklagte nach Beiziehung weiterer ärztlicher Unterlagen mit Bescheid vom 11.03.2016 den GdB mit 20 seit dem 04.12.2015 fest. B erhob hiergegen mit dem von ihm unterschriebenen Schreiben vom 30.03.2016, eingegangen beim Beklagten am 04.04.2016, Widerspruch.

Mit Schreiben vom 10.06.2016 übersandte der mit dem Kläger in selber Kanzlei als Rentenberater tätige J dem Beklagten eine ihm und dem Kläger von B erteilte Vertretungsvollmacht sowie den von B unterschriebenen Antragsvordruck Formblatt Nr. 28 090/3 „Erstantrag nach § 69 Sozialgesetzbuch – Neuntes Buch – (SGB IX)“. Im Schreiben vom 10.06.2016 führte er aus, „namens und im Auftrag meines Mandanten stelle ich hiermit Antrag auf Feststellung von Behinderungen nach dem Schwerbehindertenrecht (SGB IX). Gemäß meiner beigefügten Vollmacht bitte ich den nachfolgenden Schriftwechsel nur über meine o.a. Anschrift abzuwickeln.“

Mit an den Kläger selbst und „z.Hd. Herrn J“ adressiertem Schreiben vom 17.06.2016 hörte der Beklagte zu der beabsichtigten Zurückweisung als Bevollmächtigter „in der Schwerbehindertenangelegenheit“ des B an und nahm Bezug auf „den nunmehr von Ihnen eingereichten Erstantrag“. Hierzu nahm J mit Schriftsatz vom 21.06.2016 Stellung und nahm Bezug auf die „Anhörung in Sachen B“. Mit Schreiben vom 25.07.2016 übersandte der Kläger dem Beklagten das an ihn im Rahmen der Aufsicht nach dem RDG adressierte Schreiben des Präsidenten des LG K vom 29.06.2016 und führte aus, aufgrund dieser „eindeutigen Bestätigung“ bitte er darum, „umgehend das Schwerbehindertenverfahren über mich weiterzuführen.“

Mit Bescheid vom 29.08.2016 wies der Beklagte den Kläger und J als Bevollmächtigte zurück. Registrierte Rentenberater, einschließlich derer mit einer Alterlaubnis nach dem RBerG, seien in Angelegenheiten des Schwerbehindertenrechts in Widerspruchsverfahren/Neufeststellungsverfahren nur dann befugt aufzutreten, wenn ein konkreter Zusammenhang mit Rentenfragen bestehe, was vorliegend nicht der Fall sei. Im Bescheid hieß es: „Die Zurückweisung bezieht sich auf das Widerspruchsverfahren von Herrn B ... gegen den Bescheid vom 11.03.2016 ... über die Ablehnung eines Erstantrags“. Den hiergegen vom Kläger am 08.09.2016 eingelegten Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 06.10.2016 zurück.

Den auf die Feststellung eines höheren GdB gerichteten Widerspruch des B gegen den Bescheid vom 11.03.2016 wies der Beklagte unter Berücksichtigung weiterer ärztlicher Unterlagen mit Widerspruchsbescheid vom 07.09.2016 zurück. Die hiergegen erhobene Klage ist beim Sozialgericht (SG) Freiburg unter dem Aktenzeichen S 16 SB 3745/16 anhängig geworden.

Gegen den Bescheid vom 29.08.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.10.2016 hat der Kläger am 24.10.2016 die unter dem Aktenzeichen S 9 SB 3599/16 geführte Klage zum SG Karlsruhe erhoben.

Am 19.12.2016 erhob der Kläger bei dem SG Karlsruhe Klage gegen einen Bescheid des Beklagten vom 27.10.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.12.2016, mit dem der Kläger in einem auf die Feststellung des GdB eines von ihm vertretenen Mandanten gerichteten Widerspruchsverfahren als Bevollmächtigter zurückgewiesen worden war. In diesem unter dem Aktenzeichen S 9 SB 4381/16 geführten Klageverfahren wies das SG Karlsruhe die Klage mit Urteil vom 02.03.2017 ab. In dem anschließend bei dem Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg unter dem Aktenzeichen L 3 SB 1456/17 geführten Berufungsverfahren hob der erkennende Senat auf die Berufung des Klägers mit Urteil vom 24.10.2018 das Urteil des SG Karlsruhe vom 02.03.2017 auf und stellte fest, dass der Bescheid des Beklagten vom 27.10.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.12.2016 rechtswidrig und der Kläger berechtigt gewesen sei, in der Schwerbehindertenangelegenheit seines Mandanten gegenüber dem Beklagten aufzutreten. Denn eine Registrierung, die den zuvor erteilten Erlaubnisumfang übersteige, entfalte gleichwohl Bindungswirkung und bei der Prüfung der Vertretungsbefugnis von Rentenberatern seien Behörden und Gerichte an den Bescheid der Registrierungsbehörde gebunden. Auf die hiergegen eingelegte und unter dem Aktenzeichen B 9 SB 2/18 R geführte Revision des Beklagten hob das Bundessozialgericht (BSG) mit Urteil vom 24.09.2020 das Urteil des erkennenden Senats vom 24.10.2018 auf und wies die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Karlsruhe vom 02.03.2017 zurück, da die Registrierung als registrierter Erlaubnisinhaber nach § 1 Abs. 3 Satz 2 RDGEG zwar die Registrierungsbehörde binde, aber keine darüber hinausgehende Drittbindung gegenüber anderen Behörden und Gerichten entfalte.

In dem Klageverfahren S 9 SB 3599/16 ist mit Beschluss vom 31.03.2017 das Ruhen des Verfahrens angeordnet worden. In dem nach Wiederanrufung unter dem Aktenzeichen S 9 SB 3625/17 ab dem 17.10.2017 fortgeführten Klageverfahren ist mit Beschluss vom 18.12.2018 im Hinblick auf das bei dem BSG anhängige Revisionsverfahren B 9 SB 2/18 R erneut das Ruhen des Verfahrens angeordnet worden.

Das Verfahren S 9 SB 3625/17 ist nach Wiederanrufung durch den Kläger ab dem 20.05.2021 unter dem Aktenzeichen S 9 SB 1415/21 fortgeführt worden. Der Kläger hat den in der Zeitschrift „Die Rentenversicherung“ (rv) 02/2021 veröffentlichten Aufsatz von D „Befugnisse von Alterlaubnisinhabern nach dem RBerG“ vorgelegt und unter Bezugnahme auf das Urteil des BSG vom 24.09.2020 (B 9 SB 2/18 R) ausgeführt, die „jetzige/aktuelle“ Sichtweise des BSG zur Reichweite eines Erlaubnistatbestandes sei für den vorliegenden Fall nicht relevant. Entscheidend sei, in welchem Umfang ihm die Registrierungsbehörde zum Zeitpunkt der Registrierung eine Befugnis zur Erbringung von Rechtsdienstleistungen erteilt habe. Lediglich durch die geänderte Sichtweise des BSG und der Behörden (mit Ausnahme der Registrierungsbehörde) bestehe nun für ihn keine Vertretungsbefugnis mehr. Da sich dies rechtlich und logisch nicht erschließen lasse, sehe er seine Vertretungsbefugnis bereits aus historischer Sicht weiter als zutreffend, zumal die Erlaubnisbehörde diese Sichtweise ebenfalls stütze.

Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten.

Nach Anhörung zur beabsichtigten Verfahrensweise hat das SG Karlsruhe die Klage mit Gerichtsbescheid vom 02.08.2021 abgewiesen. Die Klage sei zwar als Fortsetzungsfeststellungsklage gemäß § 131 Abs. 1 Satz 3 SGG statthaft, der Abschluss des zwischen den Beteiligten anhängig gewesenen Revisionsverfahrens B 9 SB 2/18 R stehe jedoch dem Fortsetzungsfeststellungsinteresse entgegen. Es sei zwischen den Beteiligten des vorliegenden Verfahrens durch das geführte Revisionsverfahren B 9 SB 2/18 R geklärt, dass der Kläger Rechtsdienstleistungen im Bereich des Schwerbehindertenrechts nur mit einem Bezug zu einer gesetzlichen Rente erbringen dürfe. Die Rechtskraft dieser Entscheidung hätten die Beteiligten wie auch das erkennende Gericht zu beachten. Die Klage sei daher als unzulässig abzuweisen.

Gegen den ihm am 04.08.2021 zugestellten Gerichtsbescheid des SG Karlsruhe richtet sich die am 31.08.2021 beim LSG Baden-Württemberg eingelegte Berufung des Klägers. Er trägt vor, entgegen der Auffassung des SG Karlsruhe sei er nicht als Rentenberater, sondern als Rechtsbeistand tätig. Im Jahr 1977 (erstmalige Erlaubniserteilung) habe es den Titel „Rentenberater“ noch gar nicht gegeben. Die Auffassung des SG Karlsruhe, wonach die Rechtskraft einem neuen Prozess nur entgegenstehen würde, wenn sich die Grundlage des Anspruchs geändert oder wenn sich die tatsächlichen Verhältnisse nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung, auf die das Urteil ergangen sei, geändert hätten, treffe insoweit nicht zu, als sich durch die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs (VGH) Baden-Württemberg vom 24.08.2020 (Az.: 9 S 1944/19) tatsächlich eine Berechtigung zur Vertretung in Schwerbehindertenangelegenheiten ohne Bezug zu einer gesetzlichen Rente ergebe. Die Diskrepanz zwischen sozialgerichtlicher und verwaltungsrechtlicher Entscheidung sei sowohl vom BSG in der Entscheidung vom 24.09.2020, als auch vom SG Karlsruhe vollkommen außerachtgelassen worden. Die Entscheidung des BSG vom 24.09.2020 überzeuge entgegen der Auffassung des SG Karlsruhe nicht. Für die Beantwortung der Frage, ob Behörden und Gerichte zur Zurückweisung von Alterlaubnisinhabern berechtigt seien, sei ohne Bedeutung, wie das BSG aus heutiger Sicht die Reichweite des früheren „Erlebnisrestaurants“ (gemeint wohl: Erlaubnisumfangs) beurteile. Entscheidend sei, in welchem Umfang die Registrierungsbehörde zum Zeitpunkt der Registrierung dem Antragsteller eine Befugnis zur Erbringung von Rechtsdienstleistungen erteilt habe. Das BSG habe in fragwürdiger Weise den Versuch unternommen, bestandskräftige Verwaltungsakte in ihrem Umfang zu begrenzen. Die Rechtsprechung des BSG missachte die in der Systematik des RDG klar angelegte Kompetenzverteilung. Über die Frage, wer über ausreichende Sachkunde verfüge, um in einem Teilbereich des Rechts Rechtsdienstleistungen zu erbringen, sei allein im Registrierungsverfahren zu entscheiden. Fragwürdig sei die Entscheidung des BSG auch deswegen, weil erweiterte Erlaubnisse selbst durch sozialgerichtliche Entscheidungen übergangen worden seien.

Der Kläger beantragt,

„den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 02.08.2021, sowie den Bescheid vom 29.06.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.10.2016 aufzuheben und festzustellen, dass die Zurückweisung in der Schwerbehindertenangelegenheit des B zu Unrecht erfolgt ist.“

Der Beklagte beantragt,

            die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Das SG Karlsruhe habe zutreffend das für die Fortführung der Klage als Fortsetzungsfeststellungsklage erforderliche Fortsetzungsfeststellungsinteresse verneint. Streitgegenständlich in diesem Klageverfahren sei die Rechtsfrage, ob der Kläger als Rentenberater auf Grund seiner Erlaubnisverfügungen berechtigt sei, Mandanten in Schwerbehindertenangelegenheiten auch ohne Bezug zu einer gesetzlichen Rente zu vertreten. Diese Rechtsfrage habe ebenso in dem vor dem BSG unter dem Aktenzeichen B 9 SB 2/18 R anhängig gewesenen Verfahren zugrunde gelegen, in dem der Kläger Revisionsbeklagter gewesen sei. Mit der Entscheidung des BSG vom 24.09.2020 sei diese Rechtsfrage bezogen auf die Erlaubnisverfügungen des Klägers entschieden worden. Die Rechtskraft dieser höchstrichterlichen Entscheidung stehe einer erneuten Überprüfung entgegen, so dass das Vorliegen eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses zu verneinen sei.

Mit Gerichtsverfügung vom 21.07.2022 ist darauf hingewiesen worden, dass der auf § 13 Abs. 5 SGB X gestützte streitgegenständliche Zurückweisungsbescheid vom 29.08.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.10.2016 nach vorläufiger Beurteilung rechtswidrig gewesen sein dürfte, da sich der Kläger zu keinem Zeitpunkt in das durch den Widerspruch des B gegen den Bescheid vom 11.03.2016 in Gang gesetzte Widerspruchsverfahren eingeschaltet haben dürfte. Eine von dem Kläger im Widerspruchsverfahren betreffend den GdB des Gerhard Brandstetter erbrachte Rechtsdienstleistung dürfte damit nicht vorliegen, so dass die Voraussetzungen für eine Zurückweisung nach § 13 Abs. 5 SGB X bereits aus diesem Grund nicht erfüllt gewesen sein dürften.

Der Beklagte hat ausgeführt, allein die Verwendung eines Erstantragsvordruckes mache das Verfahren nicht zu einem Erstantragsverfahren. Zu dem Zeitpunkt des Eingangs des Erstantragsvordrucks sei das Vorverfahren gegen den Erstfeststellungsbescheid vom 11.03.2016 noch anhängig gewesen. Eine Erstfeststellung habe nicht mehr getroffen werden können, so dass das Schreiben, mit dem der Erstantragsvordruck übersandt worden sei, im Zusammenhang mit dem Wortlaut der Vollmacht dahingehend ausgelegt worden sei, dass sich der Rentenberater J im Auftrag des Klägers in das laufende Widerspruchsverfahren eingeschaltet habe. Die andere Möglichkeit hätte darin bestanden, den Erstantrag als Änderungsantrag auszulegen. Dies hätte für B jedoch den Nachteil gehabt, dass der Feststellungszeitraum erst ab Eingang des Änderungsantrags begonnen hätte, während bei einer Einbeziehung des Bevollmächtigten in das laufende Widerspruchsverfahren der Beginn der Feststellung bereits auf den Eingang des Erstantrag datiert habe.

Der Kläger hat noch ausgeführt, der Antrag sei klar als Antrag auf Neufeststellung gekennzeichnet gewesen. Es sei weder auf ein Widerspruchsverfahren Bezug genommen worden, noch sei dieses weiter betrieben worden. Insofern sei klar, dass durch den Antrag auf Neufeststellung lediglich eine Rechtsanwendung ohne rechtliche Prüfung erfolgt sei und dies somit eben keine Rechtsdienstleistung darstelle. Die Zurückweisung durch den Beklagten sei daher auf ganzer Linie völlig zu Unrecht veranlasst worden.
Darüber hinaus hat der Kläger auf die Entscheidungen des BSG vom 25.08.2022 – B 9 SB 5/20 R und des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) vom 19.07.2022 – 8 C 10.21 im Hinblick auf die Vertretungsbefugnis von Rentenberatern und Rechtsbeiständen hingewiesen.

Der Senat hat die Akten des SG Karlsruhe S 9 SB 3599/16 und S 9 SB 3625/17 sowie die Akte des erkennenden Senats L 3 SB 1456/17 und die bereits im Verfahren L 3 SB 1456/17 beigezogen gewesene, bei dem LG K über den Kläger geführte Akte E 3712-479 beigezogen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe

Die gemäß §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 1 SGG statthafte, gemäߧ 151 SGG form- und fristgerechte und auch im Übrigen zulässige Berufung, über die der Senat aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG entscheidet, ist begründet.

Gegenstand des Berufungsverfahrens ist die Aufhebung des Gerichtsbescheides des SG Karlsruhe vom 02.08.2021. Der Senat legt den Antrag des Klägers im Lichte des § 131 Abs. 1 Satz 3 SGG dahingehend aus, dass er neben der Aufhebung dieses Gerichtsbescheides die Feststellung, dass der Bescheid des Beklagten vom 29.08.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.10.2016 rechtswidrig gewesen ist, erstrebt.

1. Diese Klage ist als Fortsetzungsfeststellungsklage gemäß § 131 Abs. 1 Satz 3 SGG statthaft. Danach spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig ist, wenn er sich vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt und der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

Zwar hatte der Kläger am 24.10.2016 im Klageverfahren S 9 SB 3599/16 bei dem SG Karlsruhe ursprünglich eine isolierte Anfechtungsklage erhoben. Dies war jedoch zulässigerweise nicht möglich, nachdem das von B eingeleitete Widerspruchsverfahren bereits mit Erlass des Widerspruchsbescheides vom 07.09.2016 beendet worden war, wodurch der Zurückweisungsbescheid im Sinne des § 39 Abs. 2 SGB X seine Erledigung gefunden hatte. Eine Zulassung des Klägers in jenem Widerspruchsverfahren kam damit nicht mehr in Betracht.

Der Kläger hat auch ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides, da eine Wiederholungsgefahr besteht. Bei weiteren auf die Feststellung eines GdB gerichteten Verfahren wird sich die Rechtsfrage erneut stellen, ob er als Bevollmächtigter tätig werden darf. Denn der Beklagte hat zuletzt im Schreiben vom 29.08.2022 erklärt, den angefochtenen Bescheid weiterhin für rechtmäßig zu erachten. Der Senat geht mangels anderweitiger Anhaltspunkte davon aus, dass der Kläger beabsichtigt, auch in Zukunft als Bevollmächtigter im Schwerbehindertenrecht tätig zu werden.

2. Die Fortsetzungsfeststellungsklage und die Berufung des Klägers sind begründet, denn der Zurückweisungsbescheid vom 29.08.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.10.2016 war bis zu seiner Erledigung rechtswidrig und verletzte den Kläger in seinen Rechten.

a) Der Beklagte hat den Kläger im Widerspruchsverfahren des B zur Feststellung eines höheren GdB zu Unrecht als Verfahrensbevollmächtigten zurückgewiesen.

Ermächtigungsgrundlage für die Zurückweisung von Bevollmächtigten in Verwaltungsverfahren ist § 13 Abs. 5 SGB X, wonach Bevollmächtigte zurückzuweisen sind, wenn sie entgegen § 3 RDG Rechtsdienstleistungen erbringen.

Nach § 3 RDG ist die selbstständige Erbringung außergerichtlicher Rechtsdienstleistungen nur in dem Umfang zulässig, in dem sie durch das RDG oder durch oder aufgrund anderer Gesetze erlaubt wird. Eine Rechtsdienstleistung ist nach der Legaldefinition in § 2 Abs. 1 RDG jede Tätigkeit in konkreten fremden Angelegenheiten, sobald sie eine rechtliche Prüfung des Einzelfalls erfordert. Hierbei muss für jede einzelne Tätigkeit gesondert geprüft werden, ob die Voraussetzungen des § 2 RDG erfüllt sind und die Tätigkeit daher als Rechtsdienstleistung anzusehen ist (Deckenbrock/Henssler, Rechtsdienstleistungsgesetz, 5. Auflage 2021, § 2, Rn. 16).

Im Widerspruchsverfahren des B erbrachte der Kläger keine Rechtsdienstleistung als Bevollmächtigter im Sinne von § 3 RDG. Denn er ist in dem durch den Widerspruch des B vom 04.04.2016 eingeleiteten Widerspruchsverfahren nicht als Bevollmächtigter tätig geworden.

Nach § 13 Abs. 1 Satz 1 SGB X kann sich ein Beteiligter im Sinne von § 10 SGB X in einem Verwaltungsverfahren durch einen Bevollmächtigten vertreten lassen.


Auf den Antrag sind die Regelungen des BGB über die Willenserklärung und ihre Auslegung (§ 133 BGB) analog anwendbar (Öndül in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB I, Stand 17.10.2022, § 16, Rn. 18). Maßgebend für die Auslegung einer Willenserklärung ist grundsätzlich nicht der äußere Wortlaut, sondern der zur Geltung gebrachte Sinn der Erklärung (Wendtland in Hau/Poseck, BeckOK-BGB, Stand 01.05.2022, § 133, Rn. 17). Auch im Fall eines Antrages auf dem Gebiet des Sozialrechts ist daher der unter Berücksichtigung aller Umstände erkennbare wirkliche Wille des Antragstellers maßgeblich (BSG, Urteil vom 11.09.2001 – B 2 U 41/00 R, juris Rn. 24).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist der Kläger in dem durch den Widerspruch des Gerhard Brandstetter vom 04.04.2016 eingeleiteten Widerspruchsverfahren nicht als Bevollmächtigter tätig geworden.

Im vorliegenden Fall wurde von dem Kläger, bzw. in dessen Vertretung von J, also von einem rechtskundigen Bevollmächtigten des B, der am 13.06.2016 beim Beklagten eingegangene und in dem verwendeten Antragsvordruck Nr. 28 090/3 als „Erstantrag nach § 69 Sozialgesetzbuch – Neuntes Buch – (SGB IX)“ bezeichnete Antrag gestellt. Weder dieser verwendete Formantrag noch die Ausführungen von J im zusätzlich übersandten Schreiben vom 10.06.2016 („namens und im Auftrag meines Mandanten stelle ich hiermit Antrag auf Feststellung von Behinderungen nach dem Schwerbehindertenrecht (SGB IX). Gemäß meiner beigefügten Vollmacht bitte ich den nachfolgenden Schriftwechsel nur über meine o.a. Anschrift abzuwickeln.“) lassen einen Bezug zu dem von B zuvor bereits durch seinen Widerspruch vom 04.04.2016 in Gang gesetzten Widerspruchsverfahren erkennen. Auch reklamierten weder der Kläger oder der von ihm vertretene B im Verlauf bis zum Erlass des streitigen Zurückweisungsbescheides eine Einbeziehung des Klägers in das Widerspruchsverfahren, noch sah der Beklagte im Verlauf des weiteren Verfahrens Anlass für eine Nachfrage dahingehend, ob anstatt der Stellung eines Erstantrages nicht vielmehr eine Einschaltung in das Widerspruchsverfahren gewollt gewesen sei. Im Gegenteil ging der Beklagte ganz offensichtlich von einer Erstantragstellung aus, da er in dem an den Kläger adressierten Anhörungsschreiben vom 17.06.2016 dessen beabsichtigte Zurückweisung „in der Schwerbehindertenangelegenheit“ des B ankündigte und hierbei Bezug auf „den nunmehr von Ihnen eingereichten Erstantrag“ nahm. Ein Zusammenhang mit dem bereits anhängigen Widerspruchsverfahren wurde also gerade nicht hergestellt. Unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände kam bei der am 13.06.2016 erfolgten Einreichung des Formantrages und des Schreibens vom 10.06.2016 als erkennbarer wirklicher Wille des Klägers unmissverständlich zum Ausdruck, dass ein (Erst-)Antrag auf Feststellung des GdB des B gestellt werden sollte. Eine anderweitige Auslegung dahingehend, dass eine Einschaltung in das Widerspruchsverfahren gewünscht gewesen wäre, kommt bei dieser Sachlage nicht in Betracht. Soweit der Beklagte zuletzt im Schreiben vom 29.08.2022 ausgeführt hat, der am 13.06.2016 eingegangene Erstantragsvordruck habe „im Zusammenhang mit dem Wortlaut der Vollmacht“ zugunsten des B als Einschaltung in das Widerspruchsverfahren ausgelegt werden müssen, da so der Beginn der Feststellung auf den am 04.12.2015 erfolgten Eingang des (Erst-)Antrags zurückgewirkt hätte, führt dies zu keiner anderen Beurteilung. Denn vorliegend ist – wie oben dargelegt – unter Berücksichtigung aller Umstände für eine Auslegung des von dem rechtskundigen Bevollmächtigten unter Verwendung eines Erstantragsformulars gestellten Antrages kein Raum. Abgesehen davon hätten das Widerspruchs- und anschließende Klageverfahren (bezogen auf die Höhe des GdB seit 04.12.2015) ohne weiteres parallel zu dem neuen Feststellungsverfahren (bezogen auf die Höhe des GdB ab 13.06.2016) durchgeführt werden können.

b) Auch wenn man die hier streitige Zurückweisung entgegen dem Wortlaut im Zurückweisungsbescheid vom 29.08.2016 und mit dem Wortlaut in der Anhörung vom 17.06.2016 auf das Tätigwerden im Erstantragsverfahren beziehen wollte, wäre der Zurückweisungsbescheid vom 29.08.2016 gleichwohl rechtswidrig gewesen.

Zwar wurde der Kläger bzw. in dessen Vertretung J tätig, indem er den am 13.06.2016 beim Beklagten eingegangenen Erstantrag stellte. Damit erbrachte er jedoch in diesem neu begonnenen Verwaltungsverfahren keine Rechtsdienstleistung im Sinne des § 2 Abs. 1 RDG.

Zwar sind nach der Rechtsprechung des BSG bezogen auf ein Tätigwerden im Schwerbehindertenrecht die Einlegung eines Rechtsbehelfs und das Betreiben eines Widerspruchverfahrens als Rechtsdienstleistung im o.g. Sinne zu bewerten. Im Unterschied dazu erfordert jedoch weder ein Antragsverfahren bei Erstfeststellung noch ein Neufeststellungsantrag nach dem Schwerbehindertenrecht eine gesonderte rechtliche Prüfung des Einzelfalls im Sinne von § 2 Abs. 1 RDG, da erst im Rahmen des Widerspruchsverfahrens eine echte (eigene) rechtliche Prüfung des Einzelfalls durch den Bevollmächtigten im Sinne von § 2 Abs. 1 RDG erforderlich wird, wenn es darum geht, ob vor dem Hintergrund der rechtlichen Voraussetzungen und der bestehenden gesundheitlichen Einschränkungen Widerspruch eingelegt werden soll. Daraus folgt, dass die Antragstellung und das Betreiben des Verwaltungsverfahrens zur Erstfeststellung oder zur Neufeststellung des GdB einem Rentenberater bis zur Bescheidung des Antrages ohne weiteres möglich sind. Denn diese Tätigkeiten sind bereits keine Rechtsdienstleistungen im Sinne von § 2 Abs. 1 RDG (BSG, Urteil vom 25.08.2022 – B 9 SB 5/20 R, juris Rn. 17-19; BSG, Urteil vom 24.09.2020 – B 9 SB 2/18 R, juris Rn. 14; BSG, Urteil vom 14.11.2013 – B 9 SB 5/12 R, juris Rn. 33-34; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 18.05.2021 – L 6 SB 4012/20, juris Rn. 40; Roller, Anmerkung zu BSG, Urteil vom 24.09.2020 – B 9 SB 2/18 R, SGb 2021, 381-391).

Im vorliegenden Fall beschränkte sich das Tätigwerden des Klägers bzw. des mit ihm in selber Kanzlei tätigen J auf die oben im einzelnen aufgeführten Tätigkeiten im Zusammenhang mit dem am 13.06.2016 per Formular gestellten Erstantrag, auf das Vorlegen einer von B erteilten Vollmacht und auf schriftliche Stellungnahmen betreffend die Zurückweisung als solche. Der Kläger legte weder einen Widerspruch ein oder begründete einen solchen, noch betrieb er das die Höhe des GdB des B betreffende Widerspruchsverfahren.

Mithin erfüllte keine der von dem Kläger bzw. in dessen Vertretung von J im Verwaltungsverfahren unternommenen Tätigkeiten die Voraussetzungen einer Rechtsdienstleistung im Sinne von § 2 Abs. 1 RDG. Denn eine echte eigene rechtliche Prüfung des Einzelfalles war für dieses Tätigwerden nicht erforderlich. Vielmehr handelte es sich um bloße Rechtsanwendungen, die einem Rentenberater ohne weiteres möglich sind.

Damit lagen auch bezogen auf das Antragsverfahren die Voraussetzungen für eine Zurückweisung gemäß § 13 Abs. 5 SGB X in diesem Einzelfall nicht vor.

Deshalb kommt es im vorliegenden Fall auf die von den Beteiligten im Laufe des Verfahrens thematisierte Frage, ob der Kläger grundsätzlich Rechtsdienstleistungen im Bereich des Schwerbehindertenrechts nur in Fällen mit einem Bezug zu einer gesetzlichen Rente erbringen darf, nicht an.

Auf die Berufung des Klägers war daher der Gerichtsbescheid des SG Karlsruhe vom 02.08.2021 aufzuheben und festzustellen, dass der Bescheid vom 29.08.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.10.2016 rechtswidrig gewesen ist.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG.

4. Die Revision war nicht zuzulassen, da keiner der hierfür in § 160 SGG vorgesehenen Gründe vorliegt.

 

Rechtskraft
Aus
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