S 44 P 195/22

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Pflegeversicherung
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 44 P 195/22
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Ziffer 3 Abs. 7 der Kostenerstattungs-Festlegungen in der Fassung vom 22.03.2021 enthält keine (wirksame) Regelung einer materiellen Ausschlussfrist, sondern begründet lediglich eine Verpflichtung der Pflegeeinrichtung zur fristgerechten Antragsstellung im Sinne einer der Verfahrensbeschleunigung dienenden Mitwirkungsobliegenheit. Rechtsfolge eines Verstoßes gegen diese Mitwirkungspflicht ist nicht der Verlust des materiellen Erstattungsanspruchs.


I. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 19.07.2021 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 11.02.2022 verpflichtet, die Mehraufwendungen und Mindereinnahmen der Klägerin für die Monate März 2020 bis Dezember 2020 für die "BRK Sozialstation ‚ F1.'" (IK) in Höhe von 99.810,10 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 09.03.2022 zu erstatten.


II. Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.


III. Der Streitwert wird auf 99.810,10 Euro festgesetzt.


T a t b e s t a n d :

Mit der Klage macht die Klägerin als Trägerin einer Pflegeeinrichtung für Senioren die Erstattung von außerordentlichen Aufwendungen und Mindereinnahmen geltend, welche ihr infolge des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 im Rahmen der Leistungserbringung für Versicherte gesetzlicher Pflegekassen im Zeitraum von März 2020 bis Dezember 2020 entstanden sind.

Die Klägerin ist Trägerin der nach § 72 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) zugelassenen Pflegeeinrichtungen "BRK Sozialstation ‚ F1.'" (IK) mit dem Standort R-Straße, S-Stadt, der Einrichtung "BRK Seniorenhaus K" mit dem Standort F-Straße, K-Stadt (IK) sowie der Einrichtung "BRK Seniorenheim L-Stadt" mit dem Standort H-Straße, L-Stadt (IK) (im Folgenden nur "Einrichtungen"). Es handelt sich jeweils um stationäre und ambulante Pflegeeinrichtungen für Senioren. Für diese Einrichtungen bestehen Versorgungsverträge mit den Leistungsträgern nach § 72 SGB XI, u.a. auch mit der Beklagten.

Die Klägerin beantragte für die o.g. von ihr betriebenen Einrichtungen die Erstattung der infolge des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 angefallenen außerordentlichen Aufwendungen sowie Mindereinnahmen im Rahmen der Leistungserbringung, jeweils für einen Erstattungszeitraum im Jahr 2020, namentlich für die "BRK Sozialstation ‚ F1.'" (Erstattungszeitraum: März 2020 bis Dezember 2020) Mehraufwendungen in Höhe von 37.806,51 Euro und Mindereinnahmen in Höhe von 62.003,59 Euro (Gesamt: 99.810,10 Euro), für das "BRK Seniorenhaus K-Stadt" (Erstattungszeitraum: März 2020 bis September 2020) Mehraufwendungen in Höhe von 132.462,30 Euro und Mindereinnahmen in Höhe von 359.620,35 Euro (Gesamt: 492.082,65 Euro) und für das "BRK Seniorenheim L-Stadt" (Erstattungszeitraum: März 2020 bis September 2020) Mehraufwendungen in Höhe von 23.723,24 Euro und Mindereinnahmen in Höhe von 35.110,25 Euro (Gesamt: 58.833,49 Euro). Für jede der drei Einrichtungen übersandte die Klägerin der Beklagten dabei das ausgefüllte, vom GKV-Spitzenverband zur Verfügung gestellte Antragsformular (Anlage K 1 für "BRK Sozialstation ‚ F1.'"; für die beiden übrigen Einrichtungen, s. Verwaltungsakte der Beklagten, Bl. 3 ff und Bl. 14 ff.). Der Erstattungsantrag für die "BRK Sozialstation ‚ F1.'" ging bei der Beklagten am 05.07.2021 ein.

Mit E-Mail vom 19.07.2021 (Anlage K 2) lehnte die Beklagte die Erstattungsanträge für alle drei Einrichtungen mit der Begründung ab, sie seien jeweils "verfristet". Eine inhaltliche bzw. rechnerische Prüfung der Anträge fand bis zu diesem Zeitpunkt nicht statt.

Hiergegen erhob die Klägerin mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 17.08.2021 (Anlage K 3) Widerspruch und begründete diesen im Wesentlichen wie folgt:  
Zwischen den Parteien bestehe ein Versorgungsvertrag nach § 72 SGB XI für die streitgegenständlichen Einrichtungen. Insoweit handele es sich bei der Klägerin um eine zugelassene Pflegeeinrichtung i. S. d. § 150 Abs. 2 SGB XI. Bei sämtlichen mit dem Antrag geltend gemachten Erstattungskosten handele es sich um durch das Coronavirus SARS-CoV-2 bedingte Mehraufwendungen und Mindereinnahmen i. S. d. § 150 Abs. 2 SGB XI sowie der nach § 150 Abs. 3 SGB XI erlassenen "Kostenerstattungs-Festlegungen" des GKV-Spitzenverbandes in der zum Zeitpunkt der Antragstellung geltenden Fassung (vgl. Anlage K 5 [Stand: 22.03.2021]). Die Beklagte sei auch für die Auszahlung des geltend gemachten Erstattungsbetrages zuständig. Die Ablehnung der Erstattungsansprüche der Klägerin werde von Seiten der Pflegekasse damit begründet, dass nach Ziff. 3 Abs. 7 der Kostenerstattungs-Festlegungen die Erstattungsanträge für die Monate März bis Dezember 2020 bis spätestens zum 31.03.2021 bei den Leistungsträgern hätten vorliegen müssen. Alle Anträge nach dem 31.03.2021 für diesen Erstattungszeitraum seien nach der Auffassung der Beklagten, die insoweit in Ziff. 3 Abs. 7 der Kostenerstattungs-Festlegungen eine materiell-rechtliche Ausschlussfrist sehe, ausgeschlossen. Diese Rechtsfolge des Wegfalls des materiell-rechtlichen Anspruchs bei Fristversäumnis ergebe sich jedoch nicht aus dem Wortlaut der Ziff. 3 Abs. 7 der Kostenerstattungs-Festlegungen. Materiell-rechtliche Ausschlussfristen seien wegen des damit verbundenen Grundrechtseingriffs an hohe verwaltungs- und verfassungsrechtliche Anforderungen geknüpft und unterlägen dem Gesetzesvorbehalt. Der Verlust des vom Bundesgesetzgeber gewährten Erstattungsanspruchs nach § 150 Abs. 2 SGB XI bedürfe nach verfassungsrechtlichen Maßstäben einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung oder jedenfalls einer Ermächtigungsgrundlage im Gesetz. Insoweit könnten die vom GKV-Spitzenverband erlassenen Kostenerstattungs-Festlegungen ohne entsprechende Ermächtigungsgrundlage von vornherein keine Ausschlussfrist enthalten, zumal sie nicht einmal eine Rechtsfolge für die Fristversäumnis regelten. Der Bundesgesetzgeber habe dem GKV-Spitzenverband die Befugnis erteilt, "das Nähere für das Erstattungsverfahren" zu regeln. Hierin könne keine Ermächtigung zur Setzung einer Ausschlussfrist oder Festlegung eines Stichtages gesehen werden. Eine Ausschlussfrist sei vorliegend auch weder erforderlich noch sachlich gerechtfertigt. Der Gesetzgeber habe vielmehr in § 150 Abs. 3 Satz 2 SGB XI angeordnet, dass die Erstattungsregelungen wegen der besonderen Herausforderungen der Betroffenen "pragmatische Lösungen" vorsehen sollen. Eine Ausschlussfrist von nur drei Monaten stünde dieser gesetzgeberischen Forderung entgegen, weil den Einrichtungen während der herausfordernden Corona-Pandemie kaum Zeit für eine sachgerechte Antragstellung verbleibe, deren Richtigkeit die betroffenen Einrichtungen sogar ausdrücklich bestätigen müssten.
Hilfsweise für den Fall, dass entgegen der Rechtsauffassung der Klägerin angenommen werde, dass das Fristversäumnis den Erstattungsanspruch entfallen lassen könne, werde für die Klägerin vorsorglich für sämtliche angeblich verfristeten Erstattungsanträge nach § 150 SGB XI Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bzw. eine Fristverlängerung in entsprechender Anwendung des § 26 Abs. 7 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) beantragt. Danach könnten bereits abgelaufene Fristen nachträglich verlängert werden, wenn es - wie hier - unbillig sei, die durch Fristablauf eingetretenen Folgen bestehen zu lassen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 11.02.2022 (Anlage K 4) hat der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch zurückgewiesen. Eine Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag bzw. den Fristverlängerungsantrag der Klagepartei hat die Beklagte nicht getroffen.

Trotz dieser für alle drei Einrichtungen der Klägerin ergangenen ablehnenden Verwaltungsentscheidung über die Erstattungsanträge erstattete die Beklagte an die Klägerin in der Folgezeit tatsächlich die geltend gemachten Mindereinnahmen und Mehrausgaben für die beiden Einrichtungen "BRK Seniorenhaus K-Stadt" und "BRK Seniorenheim L-Stadt", ohne die Klägerin im Weiteren im Rahmen entsprechender Nachweisverfahren zur Rückzahlung der ausgezahlten Beträge aufzufordern.

Offen ist damit bei der Klägerin derzeit ausschließlich noch der mit den vorgenannten Bescheiden abgelehnte Ausgleich der Mehrausgaben und Mindereinnnahmen für die Einrichtung "BRK Sozialstation, F1.'" in Höhe von 99.810,10 Euro.
Diesen Betrag hat die Klägerin mit ihrer am 09.03.2022 zum Sozialgericht Nürnberg erhobenen Klage geltend gemacht.

Mit Beschluss vom 23.05.2022 hat sich das Sozialgericht Nürnberg für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Sozialgericht München verwiesen.

Mit Schriftsatz vom 14.07.2022 hat der Bevollmächtigte der Klägerin die Klage unter Wiederholung und Vertiefung seines Vorbringens aus dem Widerspruchsverfahren ergänzend wie folgt begründet: Der rechtlichen Einordnung der Regelungen in Ziff. 3 Abs. 7 der Kostenerstattungs-Festlegungen als materiell-rechtliche Ausschlussfrist durch die Beklagte müsse widersprochen werden, weil sich bereits aus deren Wortlaut ein solcher Ausschluss nicht entnehmen lasse. Wenn der Verlust einer Rechtsposition erfolgen solle, müsse sich diese Rechtsfolge nach der Rechtsprechung aber eindeutig und klar verständlich aus der betreffenden Rechtsnorm ergeben, was gerade vorliegend nicht der Fall sei. Wörtlich laute der entscheidende Satz in Ziff. 3 Abs. 7 der Kostenerstattungs-Festlegungen: "Für die Monate März 2020 bis Dezember 2020 muss der Antrag bis spätestens 31. März 2021 bei der Pflegekasse vorliegen." Welche Rechtsfolge bei Anträgen für diesen Erstattungszeitraum nach dem 31.03.2021 eintreten solle, ergebe sich weder aus den Kostenerstattungs-Festlegungen selbst, noch aus § 150 Abs. 2 und 3 SGB XI. Damit könne ggfs. auch nur geregelt sein, dass Anträge nach diesem Zeitraum nicht innerhalb der Frist von 14 Kalendertagen (§ 150 Abs. 2 Satz 3 SGB XI) ausbezahlt werden müssen. Dass der Antragsteller aber seinen Anspruch komplett verlieren solle, ergebe sich hieraus gerade nicht.
Im Gegenteil widerspreche der komplette Verlust des Erstattungsanspruchs dem Sinn und Zweck des § 150 Abs. 2 SGB XI. Der Gesetzgeber habe ausdrücklich festgehalten, dass durch seine Vorgabe, wonach der Betrag innerhalb von 14 Kalendertagen nach Antragstellung ausbezahlt werden müsse, sichergestellt werden soll, dass den Pflegeeinrichtungen, die in wirtschaftlich schwierige Situationen geraten, das Insolvenzrisiko genommen werden solle. Hierdurch solle letztlich die pflegerische Versorgung von Senioren in der gesamten Bundesrepublik sichergestellt werden (BT-Drs. 19/18112, dort S. 41 zu Abs. 2 - Anlage K 7). Der komplette Ausschluss, der nach Meinung der Beklagten bereits drei Monate nach dem Abrechnungsmonat Dezember 2020 zum 31.03.2021 eintreten solle, stehe dieser gesetzgeberischen Absicht diametral entgegen.
Das Sozialgericht Augsburg habe in einem vergleichbaren Fall eben mit dieser Argumentation und aufgrund weiterer rechtlich zutreffender Erwägungen zur fehlenden gesetzlichen Ermächtigung und dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung der Klage eines Einrichtungsträgers gegen eine Pflegekasse, die wie im vorliegenden Fall den Kostenerstattungsantrag nach § 150 Abs. 2 SGB XI allein wegen der angeblichen Fristüberschreitung kategorisch ausschloss, mit Urteil vom 02.06.2022 (S 10 P 119/21, juris) stattgegeben. Unabhängig davon könnten die Kostenerstattungs-Festlegungen, die dem Rang nach eine untergesetzliche Regelung sui generis darstellten, wegen des Grundsatzes des Vorbehalts des Gesetzes keine materiell-rechtliche Ausschlussfrist enthalten. Anders als die Beklagte behaupte, finde sich in § 150 Abs. 2 und 3 SGB XI keine Ermächtigung zur Festsetzung einer materiell-rechtlichen Ausschlussfrist (so auch das SG Augsburg, a.a.O.). Im Gegenteil, dort werde eine Auszahlung sogar ohne vorherige Prüfung des Erstattungsantrags innerhalb von 14 Kalendertagen festgelegt und die inhaltliche Prüfung auf ein Nachprüfungsverfahren verlagert; der GKV-Spitzenverband solle lediglich das "Verfahren" hierzu regeln. In der Gesetzesbegründung (Anlage K 7, BT-Drs. 19/18112, dort S. 41 zu Abs. 2) werde in dem Zusammenhang klargestellt, dass die "Pflegeeinrichtungen mehrere Monate in ihrem Antrag zusammenfassen" könnten. Von einer zeitlichen Begrenzung oder einer Ausschlussfrist sei hier nicht die Rede. Zudem handele die Beklagte widersprüchlich, wenn sie zwei der drei Kostenerstattungsanträge der Klägerin auszahle ("BRK Seniorenhaus K-Stadt" und "BRK Seniorenheim L-Stadt"), obwohl sie die Anträge formal abgelehnt hatte (Anlagen K 4) und nicht einmal in Nachprüfverfahren eine Rückzahlung geltend macht, gleichzeitig aber die Auszahlung für die Einrichtung "BRK Sozialstation ‚ F1.'" weiterhin kategorisch ausschließe.
Dem Verfahrensbevollmächtigten der Klägerin seien im Übrigen andere, ebenfalls "verfristete" Kostenerstattungsanträge der Klägerin bekannt, die von anderen Pflegekassen in Bayern gleichwohl ausbezahlt worden seien. Die Handhabe der Pflegekassen in Bayern bei angeblich verfristeten Erstattungsanträgen aus 2020 sei offenkundig höchst unterschiedlich. Eine solche Ungleichbehandlung sei für die Klägerin nicht hinnehmbar.
Die Ablehnung des streitgegenständlichen Erstattungsantrags durch die Beklagte sei demnach in mehrfacher Hinsicht rechtsfehlerhaft: Ausgehend von einer materiell-rechtlichen Ausschlussfrist habe die Beklagte bereits rechtsfehlerhaft nicht inhaltlich über den Antrag entschieden und den Betrag an die Klägerin nicht fristgerecht ausgezahlt. Aber selbst wenn Ziff. 3 Abs. 7 der Kostenerstattungs-Festlegungen eine wirksame Ausschlussfrist enthielte (was von der Klagepartei noch einmal bestritten werde), sehe das Gesetz in besonderen Fällen die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vor (§ 27 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB X -) bzw. ermögliche es der entscheidenden Behörde, Fristverlängerung zu gewähren (§ 26 Abs. 7 SGB X). Mit ihrer Ablehnung habe die Beklagte die entsprechenden Anträge der Klägerin verkannt und damit ermessensfehlerhaft entschieden. Da es sich bei den Kostenerstattungs-Festlegungen des GKV-Spitzenverbandes unstreitig nicht um ein Gesetz handele, sei § 26 Abs. 7 SGB X in entsprechender Anwendung einschlägig. Die Gründe für eine danach im Ermessen der Behörde stehende entsprechende Fristverlängerung habe die Klägerin in ihrer Widerspruchsbegründung umfassend dargelegt, was die Beklagte bei ihrer Entscheidung jedoch ermessensfehlerhaft nicht mit einbezogen habe. Die Klägerin sei zum Jahreswechsel 2020/2021 und darüber hinaus aufgrund einer Hochphase der bisherigen Corona-Pandemie und der damit verbundenen Herausforderungen für die Aufrechterhaltung der pflegerischen Versorgung der Versicherten massiv ausgelastet gewesen. Im Rahmen der Antragstellung nach § 150 Abs. 2 SGB XI müsse die Klägerin versichern, alle Angaben korrekt gemacht zu haben - anderenfalls drohe der Vorwurf eines Betrugs. Die Antragstellung bedürfe daher großer Sorgfalt. Die Fertigstellung und Prüfung des Antrags sei der Klägerin in dieser Gesamtsituation zu einem früheren Zeitpunkt nicht möglich gewesen. Die von der Beklagten angenommene Ausschlussfrist von wenigen Monaten sei daher viel zu kurz und habe antragsgemäß verlängert werden müssen.
Hinzu komme, dass diese angebliche Ausschlussfrist zum 31.03.2021 erst mit Änderung der Kostenerstattungs-Festlegungen zum 22.03.2021 eingeführt worden sei. In der Vorfassung dieser Festlegungen finde sich diese Frist noch nicht (vgl. Kostenerstattungs-Festlegungen vom 27.03.2020 - Anlage K 9, dort Ziff. 3 Abs. 7). Insoweit sei die Klägerin von dieser neuen angeblichen Ausschlussfrist überrascht worden. Vor dem Hintergrund wäre es i. S. d. § 26 Abs. 7 SGB X unbillig, wenn die Klägerin einen nachweisbaren Erstattungsanspruch - gerade mit Blick auf den Zweck der Kompensation - wegen Überschreitung der Frist komplett verlieren würde.
Die Ablehnung des Erstattungsantrags durch die Beklagte und die fehlende Gewährung einer Fristverlängerung sei daher rechtswidrig und verletze die Klägerin in ihren Rechten.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 19.07.2021 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 11.02.2022 zu verpflichten, die Mehraufwendungen und Mindereinnahmen der Klägerin für die Monate März 2020 bis Dezember 2020 für die "BRK Sozialstation , F1.'" (IK) in Höhe von 99.810,10 Euro zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu erstatten,

hilfsweise,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 19.07.2021 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 11.02.2022 zu verurteilen, über den Antrag der Klägerin für die "BRK Sozialstation, F1.'" (IK) vom 30.06.2021 auf Erstattung von Mehraufwendungen und Mindereinnahmen für die Monate März 2020 bis Dezember 2020 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

Die Beklagte beantragt,

      die Klage abzuweisen.

Sie beruft sich auf die mit Zustimmung des Bundesministeriums für Gesundheit erlassenen Kostenerstattungs-Festlegungen des GKV-Spitzenverbandes vom 27.03.2020, geändert am 22.03.2021, dort Ziffer 3 Abs. 7, wonach der Antrag der Pflegeeinrichtungen auf Erstattung der Mehraufwendungen und Mindereinnahmen für die Monate März 2020 bis Dezember 2020 zwingend spätestens zum 31.03.2021 bei der Pflegekasse vorliegen müsse.
Mit den Kostenerstattungs-Festlegungen habe der GKV-Spitzenverband den ihm in § 150 Abs. 3 SGB XI erteilten gesetzlichen Auftrag umgesetzt, das Nähere für das Erstattungsverfahren und die erforderlichen Nachweise festzulegen. Bei den darin geregelten Fristen handele es sich nach der Rechtsansicht der Beklagten um materielle Ausschlussfristen.

Mit Schriftsatz vom 18.11.2022 hat die Beklagte ergänzend mitgeteilt, nach zwischenzeitlich erfolgter Rücksprache mit der Fachabteilung werde der mit der Klage geltend gemachte Erstattungsanspruch seiner Höhe und inhaltlichen Richtigkeit nach unstreitig gestellt. Bezüglich der beiden anderen Einrichtungen der Klägerin BRK "Seniorenhaus K-Stadt" und BRK "Seniorenheim L-Stadt" liege den Verwaltungsverfahren im Übrigen ein anderer Sachverhalt zugrunde als im vorliegenden Fall, weil die Erstanträge für diese Einrichtungen bereits vor dem 31.03.2022 vorgelegen hätten und es sich deshalb bei den für diese Einrichtungen nachfristig gestellten Anträgen - anders als im streitgegenständlichen Fall - um Korrekturanträge gehandelt habe.
Die Kassenartenverbände hätten schließlich nochmals unterstrichen, dass die Meldungsfrist/bzw. Ausschlussfrist entsprechend den "FAQ zur Umsetzung der Pflegebonusfestlegungen nach § 150a Abs. 7 SGB XI" (hier Nr. 50) strikt auszulegen seien.
Bereits in den Erstattungsverfahren zum Pflegebonus nach § 150a SGB XI habe auch der Bundesrechnungshof die einheitliche Rückforderung der Bundesmittel nach Fristablauf angemahnt.

Wegen des weiteren Sachverhalts und des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogene Akte der Beklagten Bezug genommen.


E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Die zulässige Klage ist begründet, die Klägerin hat Anspruch auf Erstattung der Mehraufwendungen und Mindereinnahmen der von ihr betriebenen Einrichtung "BRK Sozialstation , F1.'" (IK) in der geltend gemachten Höhe.
1) Mit dem COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetz (BGBl. 2020 I S. 580) vom 27.03.2020 hat der Gesetzgeber in § 150 Abs. 2 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) den sog. "Pflege-Rettungsschirm" geregelt. Nach § 150 Abs. 2 Satz 1 SGB XI werden den zugelassenen Pflegeeinrichtungen die ihnen infolge des neuartigen Corona-Virus SARS-CoV-2 anfallenden, außerordentlichen Aufwendungen sowie Mindereinnahmen im Rahmen ihrer Leistungserbringung erstattet, soweit sie nicht anderweitig finanziert werden. Gemäß § 150 Abs. 2 Satz 3 SGB XI hat die Auszahlung des gesamten Erstattungsbetrages innerhalb von 14 Kalendertagen über eine Pflegekasse zu erfolgen. Die Auszahlung kann vorläufig erfolgen, § 150 Abs. 2 Satz 4 SGB XI. Zur Konkretisierung des gesetzlichen Anspruchs hat der Spitzenverband Bund der Pflegekassen auf der Grundlage des § 150 Abs. 3 Satz 1 SGB XI im Benehmen mit den Bundesvereinigungen der Träger stationärer und ambulanter Pflegeeinrichtungen das Nähere für das Erstattungsverfahren sowie die erforderlichen Nachweise für alle Mitgliedskassen festzulegen. Dabei sind nach der für diesen gesetzgeberischen Auftrag in § 150 Abs. 3 Satz 2 SGB XI enthaltenen ausdrücklichen Vorgabe "gemessen an der besonderen Herausforderung von allen Beteiligten pragmatische Lösungen in der Umsetzung vorzusehen". Die Parteien der Selbstverwaltung haben auf dieser Grundlage die sogenannten "Kostenerstattungs-Festlegungen" verabschiedet. Das Bundesministerium für Gesundheit hat den Kostenerstattungs-Festlegungen am 01.04.2020 die nach § 150 Abs. 3 Satz 3 SGB XI erforderliche Zustimmung erteilt. Als zusätzliche Auslegungs- und Anwendungshilfe hat der GKV-Spitzenverband erstmals am 04.05.2020 "Fragen und Antworten zur Umsetzung der Kostenerstattungs-Festlegungen (FAQ)" veröffentlicht, die inzwischen - ebenso wie die Kostenerstattungs-Festlegungen selbst - mehrfach ergänzt und konkretisiert wurden (vgl. "Fragen und Antworten zur Umsetzung der Kostenerstattungs-Festlegungen, Stand 13.04.2022 (PDF)", veröffentlicht unter https://www.gkvspitzenverband.de/pflegeversicherung/richtlinien_vereinbarungen_formulare/richtlinien_vereinbarungen_formulare.jsp).
Zum Verfahren ist in den Kostenerstattungs-Festlegungen vorgesehen, dass die Pflegeeinrichtungen ihre Mehraufwendungen und Mindereinnahmen angeben können und die Richtigkeit der Angaben erklären. Auf dieser Grundlage zahlen die Pflegekassen die entsprechenden Erstattungsbeträge innerhalb von 14 Kalendertagen nach der Geltendmachung an die Pflegeeinrichtung aus (Ziffer 4 Abs. 1 Kostenerstattungs-Festlegungen). In einem im Rahmen der Antragstellung (antragsbezogenen) oder auch nachgelagert möglichen Nachweisverfahren lösen gegebenenfalls anderweitig erhaltene Finanzierungsmittel oder zu viel bezahlte Erstattungsbeträge Rückzahlungsverpflichtungen der Pflegeeinrichtungen und zu wenig bezahlte Erstattungsbeträge Nachzahlungsverpflichtungen der Pflegekassen aus (Ziffer 5 der Kostenerstattungs-Festlegungen i.V.m. der Anlage zu den Kostenerstattungs-Festlegungen nach § 150 Abs. 3 SGB XI, veröffentlicht unter: https://www.gkv-spitzenverband.de/media/dokumente/pflegeversicherung/richtlinien
__vereinbarungen__formulare/2022_05_11_Pflege_Corona_Anlage_Anpassung_FL_150_Abs3_SGB_XI_nach_Zustimmung.pdf).
Gemäß Ziffer 3 Abs. 1 der Kostenerstattungs-Festlegungen bestimmt der für die Vergütungs- oder Pflegesatzvereinbarung der Pflegeeinrichtung zuständige Landesverband der Pflegekassen eine Pflegekasse seiner Kassenart, gegenüber der die Pflegeeinrichtung bei Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen nach Ziffer 2 der Kostenerstattungs-Festlegungen ihre Mehraufwendungen und Mindereinnahmen geltend machen kann. Die Liste der jeweils hiernach als zuständig bestimmten Pflegekassen ist auf der Internet-Seite des GKV-Spitzenverbandes veröffentlicht (s. https://www.gkv-spitzenverband.de/media/dokumente/pflegeversicherung
/richtlinien__vereinbarungen__formulare/Zustaendige_Pflegekassen_Kostenerstattung_2.xlsx). Zuständig für die Erstattung der berücksichtigungsfähigen Mehraufwendungen und Mindereinnahmen der im Regierungsbezirk Oberpfalz belegenen Einrichtung der Klägerin ist nach dieser Liste - unstrittig - die Beklagte.  
2) Ziffer 3 der Kostenerstattungs-Festlegungen regelt die Geltendmachung des Erstattungsanspruchs. Die Absätze 2 bis 6 der Regelung enthalten Bestimmungen zur Form und zu den notwendigen Angaben im Kostenerstattungsantrag. Dass die Klägerin mit ihrem als Anlage K 1 vorgelegten, am 05.07.2021 bei der Beklagten eingegangenen Erstattungsantrag vom 30.06.2021 diese Formerfordernisse erfüllt hat und der Antrag sämtliche in Ziffer 3 Abs. 2 bis 6 der Kostenerstattungs-Festlegungen geforderten Angaben enthält, ist zwischen den Beteiligten nicht streitig. Einigkeit herrscht zwischen den Parteien auch darüber, dass es sich bei der von der Klägerin betriebenen "BRK Sozialstation‚ F1.'" (IK) um eine nach § 72 SGB XI zugelassene, grundsätzlich anspruchsberechtigte Pflegeeinrichtung im Sinne der § 150 Abs. 2 SGB XI handelt und dass mit der streitgegenständlichen Forderung ausschließlich außerordentliche und nicht anderweitig finanzierte Aufwendungen oder Mindereinnahmen im Rahmen der Leistungserbringung dieser Pflegeeinrichtung geltend gemacht werden, die infolge des neuartigen Corona-Virus SARS-CoV-2 im streitgegenständlichen  Zeitraum März 2020 bis Dezember 2020 angefallen sind. Mit Schriftsatz vom 18.11.2022 hat die Beklagte die inhaltliche Richtigkeit und die Höhe der von der Klägerin geltende gemachten Erstattungsforderung ausdrücklich unstreitig gestellt. Weitere Ermittlungen und Ausführungen des Gerichts hierzu erübrigen sich daher.
3) Strittig ist zwischen den Beteiligten allein, ob der geltend gemachte Erstattungsanspruch der Klägerin dem Grunde nach deshalb ausgeschlossen ist, weil der für den Erstattungszeitraum von März bis Dezember 2020 gestellte Antrag der Klägerin vom 30.06.2021 bei der Beklagten erst am 05.07.2021 und damit - unstreitig - nach Ablauf der in Ziffer 3 Abs. 7 Satz 3 der Kostenerstattungs-Festlegungen genannten Frist, also zeitlich nach dem 31.03.2021 eingegangen ist. Dies ist zur Überzeugung der Kammer nicht der Fall.
In der gesetzlichen Regelung des § 150 Abs. 2 und 3 SGB XI ist zum Verfahren der Erstattung der Mehraufwendungen und Mindereinnahmen in zeitlicher Hinsicht allein bestimmt, dass der Anspruch auf Erstattung bei einer Pflegekasse regelmäßig zum Monatsende geltend gemacht werden kann, die Partei des Versorgungsvertrages ist. Eine Fristenregelung ist darin nicht enthalten. Die Auszahlung des gesamten Erstattungsbetrages hat wie dargelegt nach der gesetzlichen Vorgabe in § 150 Abs. 2 Satz 3 und 4 SGB XI - ggfs. vorläufig - innerhalb von 14 Kalendertagen über eine Pflegekasse zu erfolgen.
Ziffer 3 Abs. 7 der Kostenerstattungs-Festlegungen in der hier zum Zeitpunkt der Antragstellung (05.07.2021) maßgeblichen Fassung vom 22.03.2021 regelt zur Geltendmachung des Anspruchs in zeitlicher Hinsicht Folgendes:
"Die Pflegeeinrichtung kann regelmäßig zum Monatsende ihren Anspruch geltend machen. Da sich die Berechnung der Mindereinnahmen jeweils auf den gesamten Monat bezieht, können diese demnach erst im Folgemonat geltend gemacht werden. Die Pflegeeinrichtung kann auch mehrere Monate in ihrem Antrag zusammenfassen. Für die Monate März 2020 bis Dezember 2020 muss der Antrag bis spätestens 31. März 2021 bei der Pflegekasse vorliegen. Bezogen auf die Monate Januar 2021 bis zu dem nach § 150 Abs. 6 Satz 1 SGB XI (in der aktuell gültigen Fassung) geregelten Zeitpunkt kann die Pflegeeinrichtung bis drei Monate nach Ablauf des nach § 150 Abs. 6 Satz 1 SGB XI (in der aktuell gültigen Fassung) geregelten Zeitpunktes nachmelden."
Entgegen der von der Beklagten vertretenen Ansicht ist der Vergütungsanspruch der Klägerin oder dessen Geltendmachung in Anwendung dieser Regelung hier jedoch nicht deswegen ausgeschlossen, weil die Einrichtung "BRK Sozialstation‚ F1.'" den Erstattungsantrag für die Monate März 2020 bis Dezember 2020 bei der Beklagten zeitlich erst nach dem 31.03.2021 gestellt hat. Denn Ziffer 3 Abs. 7 der Kostenerstattungs-Festlegungen in der Fassung vom 22.03.2021 enthält zur Überzeugung des Gerichts keine (wirksame) Regelung einer materiellen Ausschlussfrist, sondern begründet lediglich eine Verpflichtung der Pflegeeinrichtung zur fristgerechten Antragsstellung im Sinne einer der Verfahrensbeschleunigung dienenden Mitwirkungsobliegenheit. Rechtsfolge eines Verstoßes gegen diese Mitwirkungspflicht ist nicht der Verlust des materiellen Erstattungsanspruchs.
Dies folgt aus der Auslegung der Regelung in Ziffer 3 Abs. 7 der Kostenerstattungs-Festlegungen anhand der allgemeinen Auslegungsmethoden der Rechtswissenschaft und ist von der Ermächtigungsgrundlage in § 150 Abs. 3 SGB XI getragen. Die Anwendung der untergesetzlichen Bestimmungen der Kostenerstattungs-Festlegungen unterliegt den allgemein für Gesetze geltenden Auslegungsmethoden der Rechtswissenschaft. Es ist nicht auf den subjektiven Willen der Beteiligten, sondern auf die objektive Erklärungsbedeutung abzustellen. Den insoweit ohne Benehmen der nach den gesetzlichen Vorgaben am Erlass der Festlegungen beteiligten Bundesvereinigungen der Träger stationärer und ambulanter Pflegeeinrichtungen veröffentlichten Hinweisen des GKV-Spitzenverbandes "Fragen und Antworten zur Umsetzung der Kostenerstattungs-Festlegungen des GKV-Spitzenverbandes nach § 150 Absatz 3 SGB XI zum Ausgleich der SARS-CoV-2 bedingten finanziellen Belastungen der Pflegeeinrichtungen (vgl. https://www.gkv-spitzenverband.de/media/dokumente/pflegeversicherung
/richtlinien__vereinbarungen__formulare/2022_04_13_Pflege_Corona_FAQ_Rettungsschirm_10.0.pdf) kommt deshalb keine Bedeutung bei der Auslegung zu. Vielmehr ist allein die objektive Erklärungsbedeutung umfassend zu ermitteln (vgl. z.B. zur normativen Auslegung der PrüfvV 2014:    BSG, Urteil vom 18. Mai 2021 - B 1 KR 24/20 - juris-Rn. 22). Auch etwaige Hinweise des Bundesrechnungshofs im Rahmen von Prüfungen der Erstattungsverfahren zu den Pflegebonuszahlen nach § 150a Abs. 7 SGB XI und daraus - nach dem Vortrag der Beklagten in deren Schriftsatz vom 18.11.2022 - von den Kassenartenverbänden etwaig gezogene Schlussfolgerungen sind für die Auslegung hier nicht von Bedeutung.
Ziffer 3 Abs. 7 der Kostenerstattungs-Festlegungen in der hier maßgeblichen Fassung vom 22.03.2021 enthält nach seinem "Norm"text eine Fristenregelung zur zeitnahen Geltendmachung des Erstattungsanspruchs. Eine Rechtsfolge für den Fall der Überschreitung der in der Regelung festgelegten Fristen bestimmt die Vorschrift nach ihrem eindeutigen Wortlaut hingegen ausdrücklich nicht. Insbesondere geht aus dem Wortlaut nicht hervor, dass der gesetzlich vorgesehene Erstattungsanspruch nach Ablauf der Frist untergehen oder dessen Geltendmachung ausgeschlossen sein soll, obwohl eine dahingehende ausdrückliche Regelung des untergesetzlichen "Norm"gebers mit Blick auf die mit einer Ausschlussfrist verbundenen einschneidenden wirtschaftlichen Folgen für die Pflegeeinrichtungen zu erwarten gewesen wäre. Sowohl aus diesem Wortlaut als auch aus dem Regelungssystem der Kostenerstattungs-Festlegungen sowie dem Sinn und Zweck der diesen zugrundeliegenden gesetzlichen Regelungen des § 150 Abs. 2 und 3 SGB XI ergibt sich, dass es sich bei der Frist in Ziffer 3 Abs. 7 der Kostenerstattungs-Festlegungen nicht um eine materielle Ausschlussfrist handelt:
Nach dem Regelungssystem der Ziffern 4 und 5 der Kostenerstattungs-Festlegungen zahlt die zuständige Pflegekasse den Erstattungsbetrag innerhalb von 14 Tagen nach Eingang des Erstattungsantrags vorläufig bis zum Abschluss eines Nachweisverfahrens aus. Die vorläufige Auszahlung gilt nach Ablauf einer Frist von zwei Kalenderjahren (hier für Erstattungsansprüche betreffend das Jahr 2020 also bis zum 31.12.2022) als endgültig, wenn die Pflegekasse in dieser Zeit keine Rückerstattung geltend macht bzw. keine endgültige Entscheidung trifft. Diese fristgebundene Fiktion der Endgültigkeit der Erstattungszahlung soll jedoch nach den Kostenerstattungs-Festlegungen dann nicht eintreten, wenn die Pflegeeinrichtung ihren Mitwirkungspflichten im Rahmen eines antragsbezogenen oder nachgelagerten Nachweisverfahren nicht oder nicht in ausreichendem Maße nachgekommen ist, d.h. in diesem Fall ist die Pflegekasse zur Geltendmachung von Rückzahlungsforderungen auch nach Ablauf der Zwei-Jahres-Frist berechtigt.
Ziffer 4 Abs. 3 der Kostenerstattungs-Festlegungen in der hier zum Zeitpunkt der Antragstellung (05.07.2021) maßgeblichen Fassung vom 22.03.2021 lautet insoweit wie folgt:
"Die Auszahlung erfolgt vorläufig bis zum Abschluss eines Nachweisverfahrens nach Ziffer 5. Die vorläufige Auszahlung gilt als endgültig, wenn die zuständige Pflegekasse für Auszahlungen das Jahr 2020 betreffend bis zum 31. Dezember 2022 und für Auszahlungen das Jahr 2021 betreffend bis nach Ablauf von 24 Monaten nach dem nach § 150 Abs. 6 Satz 1 SGB XI (in der aktuell gültigen Fassung) geregelten Zeitpunkt keine Rückerstattung geltend macht oder keine endgültige Entscheidung über den Erstattungsanspruch trifft. Diese Frist gilt nicht, wenn die Pflegeeinrichtung ihren Mitwirkungspflichten nach Ziffer 5 Absatz 1 und 2 nicht oder nicht in ausreichendem Maße nachkommt."
Erkennbarer Sinn und Zweck dieser untergesetzlichen Verfahrensregelung ist es vor dem Hintergrund des mit der zugrundeliegenden gesetzlichen Anspruchsgrundlage des § 150 Abs. 2 SGB XI verfolgten Normzwecks, die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie für zugelassene Pflegeeinrichtungen durch schnelle Verschaffung finanzieller Flexibilität im Interesse der Sicherstellung der pflegerischen Versorgung abzumildern (vgl. Opolony in Kasseler Kommentar, 119. Erg.lfg. 5/2022, SGB XI, § 150 Rn. 16), den dem Gebot der Wirtschaftlichkeit (§ 4 Abs. 3 SGB XI und Ziffer 2 Abs. 3 der Kostenerstattungsfestlegungen) verpflichteten Pflegekassen jedenfalls innerhalb eines angemessenen Zeitrahmens die sachlich-rechnerische Prüfung der zu den pandemiebedingten Mehrausgaben und Mindereinnahmen von den Pflegeeinrichtungen übermittelten Angaben zu ermöglichen. Die Pflegeeinrichtungen müssen die Pflegekassen dabei unterstützen und die im Einzelfall während des Nachweisverfahrens (vgl. Ziffer 5 der Kostenerstattungs-Festlegungen) geforderten Unterlagen vorlegen. Die fingierte Endgültigkeit der Erstattungszahlung nach Ablauf einer Zwei-Jahres-Frist dient damit einerseits dem Interesse der Pflegeinrichtungen, nach Ablauf dieser Frist nicht mehr mit Rückforderungsansprüchen rechnen zu müssen, also der schnellen Herstellung einer Rechts- und Planungssicherheit für die Pflegeeinrichtungen, andererseits wird damit den zur Einhaltung des Wirtschaftlichkeitsgebotes verpflichteten Pflegekassen für die Prüfung der Erstattungsanträge ein als angemessen erachteter Zeitrahmen eingeräumt. Dass die fingierte Endgültigkeit der vorläufigen Erstattungszahlung dann nicht eintreten soll, wenn der Pflegekasse die Durchführung eines Nachweisverfahrens aus von der Pflegeeinrichtung zu vertretenden Gründen innerhalb dieses Zeitrahmens nicht ermöglicht wird, ist mit Ziffer 4 Abs. 3 Satz 3 Kostenerstattungs-Festlegungen sichergestellt. Die Regelung schafft damit einen angemessenen Ausgleich zwischen dem gesetzlichen Anspruch der Pflegeeinrichtung auf vollständige Erstattung der pandemiebedingten außerordentlichen Aufwendungen und Mindereinnahmen und einem zügigen Abschluss des Nachweisverfahrens nach angemessener Prüfung durch die Pflegekasse und dient damit der Rechtssicherheit und der Einhaltung des Wirtschaftlichkeitsgebotes. Nach Auffassung der Kammer wird mit der Vorschrift über ihren Wortlaut hinaus nach der Gesamtsystematik der Festlegungen der allgemeine Wille des untergesetzlichen "Norm"gebers deutlich, die Fiktion nach Ziffer 4 Abs. 3 Satz 2 der Kostenerstattungs-Festlegungen (immer) dann nicht mit Ablauf der dort genannten 2-Jahres-Frist greifen zu lassen, wenn die Pflegeeinrichtung durch Verletzung eigener Mitwirkungspflichten bzw. Obliegenheiten - wie z.B. vorliegend auch bei Verletzung der Obliegenheit zur fristgerechten Antragstellung durch die Pflegeeinrichtung - (faktisch) eine Verkürzung des der Pflegekasse eingeräumten Prüfzeitrahmens herbeigeführt hat. Die Mitwirkungspflichten nach Ziffer 3 Abs. 7 Satz 4 sind in Ziffer 4 Abs. 3 Satz 3 der Kostenerstattungs-Festlegungen zwar nicht explizit genannt. Die Kammer geht jedoch davon aus, dass es sich hierbei - ebenso wie bei der fehlenden Regelung einer Rechtsfolge bei Fristversäumnis in Ziffer 3 Abs. 7 der Kostenerstattungs-Festlegungen - um eine planwidrige Regelungslücke handelt, welche durch eine analoge Anwendung der Ziffer 4 Abs. 3 Satz 3 der Kostenerstattungs-Festlegungen auf den - hier vorliegenden - Fall der Fristversäumnis bei Antragstellung geschlossen werden kann. Ob eine planwidrige Lücke innerhalb des Regelungszusammenhangs eines Gesetzes - im Sinne des Fehlens rechtlicher Regelungsinhalte dort, wo sie für bestimmte Sachverhalte erwartet werden - anzunehmen ist, bestimmt sich ausgehend von der gesetzlichen Regelung selbst, den ihr zugrundeliegenden Regelungsabsichten, den verfolgten Zwecken und Wertungen, auch gemessen am Maßstab der gesamten Rechtsordnung (vgl. nur BSG, Urteil vom 22.11.2011 - B 4 AS 219/10 - juris-Rn. 17). Insofern sprechen der gesetzlich ausdrücklich normierte - nicht an Bedingungen oder die Einhaltung von Fristen geknüpfte - Anspruch der Pflegeeinrichtungen auf Auszahlung der Erstattung ihrer pandemiebedingten Mehrausgaben und Mindereinnahmen sowie die Gesetzbegründung dafür, dass die in Ziffer 3 Abs. 7 der Kostenerstattungs-Festlegungen - ohne ausdrückliche Regelung einer Rechtsfolge für den Fall der Säumnis - geregelte Antragsfrist zwar der im Interesse aller Beteiligten liegenden Verfahrensbeschleunigung zum Zwecke der zügig eintretenden Rechtssicherheit und Planbarkeit dient, damit jedoch keine materielle Ausschlussfrist im Sinne eines vollständigen Anspruchsverlustes geregelt wird. Letzteres stünde mit Blick auf die vom Gesetzgeber zugrunde gelegte hohe Priorität der Versorgungssicherstellung (vgl. Entwurf eines Gesetzes zum Ausgleich COVID-19 bedingter finanzieller Belastungen der Krankenhäuser und weiterer Gesundheitseinrichtungen, COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetz, BT-Drucksache 19/18112, S. 41) dem durch die Kostenerstattungs-Festlegungen intendierten Ziel, in Erfüllung des dem Spitzenverband Bund der Pflegekassen in § 150 Abs. 3 Satz 2 SGB XI erteilten gesetzgeberischen Auftrages, bei der Regelung des Erstattungsverfahrens "gemessen an der besonderen Herausforderung von allen Beteiligten pragmatische Lösungen in der Umsetzung vorzusehen", eine schnelle finanzielle Entlastung von Pflegeeinrichtungen möglichst wirksam und praktikabel umzusetzen (vgl. BT-Drucksache 19/18112, S. 41), vielmehr kontrovers entgegen. Der ersatzlose Anspruchsverlust als Folge der Fristversäumnis im Antragsverfahren wäre mit der gerade zur Minimierung des Liquiditätsrisikos der betroffenen Pflegeeinrichtungen im Sinne einer Insolvenzvermeidung (vgl. Opolony in Kasseler Kommentar, 119. Erg.lfg. 5/2022, SGB XI, § 150 Rn. 13) gesetzlich vorgesehen Entlastung der Einrichtungen nicht vereinbar und daher im Übrigen von der Ermächtigungsgrundlage des § 150 Abs. 3 Satz 1 SGB XI nicht getragen. Danach regeln der Spitzenverband Bund der Pflegekassen im Benehmen mit den Bundesvereinigungen der Träger stationärer und ambulanter Pflegeeinrichtungen unverzüglich "das Nähere für das Erstattungsverfahren und die erforderlichen Nachweise". Die Vorschrift ermächtigt die benannten untergesetzlichen "Norm"geber nach Ansicht des Gerichts zwar grundsätzlich auch dazu, an die Verletzung von Mitwirkungsobliegenheiten im Verfahren Rechtsfolgen zu knüpfen, welche auch die Durchsetzbarkeit des (endgültigen) Erstattungsanspruchs betreffen können. Mit der Regelung einer materiellen Ausschlussfrist, die den Anspruch auf die im Gesetz mit § 150 Abs. 2 Satz 3 SGB XI ausdrücklich und zwingend ("hat...zu erfolgen") binnen 14 Tagen nach Antragsstellung angeordnete - und nach der gesetzlichen Regelung auch vorläufig mögliche - Auszahlung ausschließt, wäre die gesetzliche Ermächtigung in § 150 Abs. 3 Satz 1 SGB XI zur Überzeugung der Kammer jedoch klar überschritten. Insbesondere wäre eine solch kurze Antragsfrist hier mit den in § 150 Abs. 3 Satz 2 SGB XI für die untergesetzlichen Verfahrensregelungen enthaltenen weiteren gesetzgeberischen Vorgaben nicht in Einklang zu bringen, welche wie dargelegt eine "gemessen an der besonderen Herausforderung von allen Beteiligten pragmatische Lösung in der Umsetzung" fordern. Die von der Beklagten angenommene Regelung einer gemessen an den ansonsten bestehenden Vergütungsregelungen unangemessen kurzen Ausschlussfrist von 3 Monaten (31.03.2021 für Ansprüche aus Dezember 2020) wäre mit diesen gesetzlichen Vorgaben unvereinbar und würde dem vorstehend beschriebenen gesetzgeberischen Ziel der langfristigen Sicherstellung der pflegerischen Versorgung und Entlastung der Pflegeeinrichtungen kontradiktorisch entgegenstehen, ohne dass dafür sachliche Rechtfertigungsgründe erkennbar wären. Dies insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass die genannte Antragsfrist explizit erstmals mit der Änderung der Kostenerstattungs-Festlegungen zum 22.03.2021 in die Regelung der Ziffer 3 Abs. 7, also 9 Tage vor Fristablauf, Eingang gefunden hat.
Die erkennende Kammer schließt sich im Übrigen nach eigener Prüfung vollumfänglich den Ausführungen des SG Augsburg in dessen Entscheidung vom 02.06.2022 ( - S 10 P 119/21 - juris) an, in welcher zu Recht u.a. auch darauf hingewiesen wird, dass die hier streitgegenständliche Fristenregelung in den Kostenerstattungs-Festlegung bei völlig fehlender Anordnung einer Rechtsfolge für den Fall der Fristversäumnis den bei materiell-rechtlichen Ausschlussfristen grundsätzlich zu stellenden strengen Anforderungen an die inhaltliche Bestimmtheit ihres Ausschließungsgehaltes nicht genügt.
Als Rechtsfolge der Überschreitung der in Ziffer 3 Abs. 7 Satz 4 der Kostenerstattungs-Festlegungen genannten Frist kommt zur Überzeugung des Gerichts nach alledem wegen der als bloße Mitwirkungspflicht der Pflegeinrichtung im Erstattungsverfahren zu qualifizierenden Regelung (allenfalls) in entsprechender Anwendung der Ziffer 4 Abs. 3 der Kostenerstattungs-Festlegungen die dort bei Nichterfüllung von konkret benannten Mitwirkungspflichten vorgesehene Unbeachtlichkeit der Frist für den fingierten Eintritt der Endgültigkeit einer Erstattungszahlung in Betracht. Dass die Antragsfrist nach Ziffer 3 Abs. 7 Satz 4 in Ziffer 4 Abs. 3 der Kostenerstattungs-Festlegungen nicht explizit genannt ist, stellt sich nach Auffassung der Kammer nach der aufzeigten Gesamtsystematik des Regelwerks als planwidrige Regelungslücke dar. Der vorliegende Rechtsstreit erfordert jedoch letztlich keine abschließende Entscheidung darüber, ob sich zur Schließung der in Ziffer 3 Abs. 7 Satz 4 der Kostenerstattungs-Festlegungen bezogen auf die Rechtsfolgen einer Säumnis bestehenden Regelungslücke die Anwendung der nicht ausdrücklich einschlägigen Vorschrift der Ziffer 4 Abs. 3 der Kostenerstattungs-Festlegungen "aufdrängt", um ihre analoge Anwendung zu rechtfertigen (vgl. zu diesem Analogie-Erfordernis Bundesverwaltungsgericht - BVerwG -, Beschluss vom 22. August 1986 - 3 B 48/85 -, juris). Denn die Beklagte hat die inhaltliche und rechnerische und Richtigkeit der geltend gemachten Erstattungsforderung der Klägerin für die Einrichtung BRK Sozialstation "F1." (IK) zwischenzeitlich ausdrücklich unstreitig gestellt, d.h. das Nachweisverfahren ist abgeschlossen. Da aus der Überschreitung der in Ziffer 3 Abs. 7 Satz 4 der Kostenerstattungs-Festlegungen genannten Frist aus den vorgenannten Gründen jedenfalls kein Anspruchsausschluss resultiert, war der Klage im Hauptantrag demnach vollumfänglich stattzugeben.
Einer Entscheidung über den Hilfsantrag bedurfte es damit nicht.
4) Der Zinsanspruch resultiert aus § 61 Satz 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) i.V.m. § 291 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) (vgl. BSG, Urteil vom 23.03.2006 - B 3 KR 6/05 R-, juris).
5) Die Kostentscheidung beruht auf § 197a Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
6) Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 52 Abs. 3 GKG Gerichtskostengesetz (GKG). Da der Klageantrag auf eine bezifferte Geldleistung gerichtet war, ist deren Höhe maßgeblich.

 

 

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