S 8 AL 277/20

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Darmstadt (HES)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 8 AL 277/20
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und des Übermaßgebotes hat die Bundesagentur für Arbeit eine Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe zu verkürzen, wenn dem Arbeitslosen von seinem Arbeitgeber vor Abschluss des Aufhebungsvertrages eine Kündigung mit Bestimmtheit in Aussicht gestellt wurde und bei Ausspruch dieser Kündigung das Arbeitsverhältnis in den nächsten sechs bzw. zwölf Wochen dadurch beendet worden wäre.


Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger unter teilweiser Aufhebung des Sperrzeitbescheides vom 11.09.2020 und teilweiser Abänderung des Bewilligungsbescheides vom 11.09.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.11.2020 in gesetzlicher Höhe für den Zeitraum vom 22.09.2020 bis zum 05.10.2020 zu gewähren und die Minderung der Anspruchsdauer auf 21 Tage zu beschränken.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger 40 % seiner außergerichtlichen Kosten zu erstatten.


Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Festsetzung einer Sperrzeit.

Der 1975 geborene Kläger war vom 01.10.2006 bis zum 31.10.2019 bei der Firma D. beschäftigt gewesen. Er schloss mit seinem Arbeitgeber sowie der G. GmbH (im Weiteren G.) am 21.06.2019 einen Drei-Parteien-Vertrag (Transfervertrag, im Weiteren TV). Nach § 1 TV war dem Kläger der zwischen seinem Arbeitgeber und dem Betriebsrat geschlossenen Interessenausgleich vom 08.05.2019 und der Sozialplan vom 26.04.2019 bekannt. Bestandteil dieses Interessenausgleiches und Sozialplanes sei, den betroffenen Arbeitnehmern den Übertritt in eine Transfergesellschaft zu ermöglichen. Die betriebsorganisatorische Einheit werde durch G. eingerichtet werden, in welcher Qualifizierungsmaßnahmen für die betroffenen Arbeitnehmer durchgeführt werden. Wesentliche Vertragsgrundlage sei, dass G. Transfer-Kurzarbeitergeld bei der Beklagten beantrage und erhalte. Der Arbeitgeber habe die Treuhandgesellschaft vollumfänglich zu finanzieren. Nach § 2 TV beendete der Kläger gegen eine Abfindung i. H. v. 63.469,80 € zum 31.10.2019 seine Beschäftigung bei seinem Arbeitgeber und begründete mit G. ein vom 01.11.2019 bis zum 31.08.2020 befristetes Arbeitsverhältnis. Dieser werde mit dem Arbeitnehmer eine strukturierte Outplacement-Beratung durchführen und dem Arbeitnehmer eine bestmögliche Betreuung anbieten, um dessen Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt zu fördern (§ 3 TV). Als Vergütung erhielt der Kläger Transferkurzarbeitergeld sowie eine Aufstockungszahlung. Nach § 10 Ziffer 1 TV kann das Arbeitsverhältnis mit der Transfergesellschaft zum Zwecke der Aufnahme einer neuen Tätigkeit des Arbeitnehmers in einem anderen Unternehmen bis zu einem Zeitraum von sechs Monaten ruhendgestellt werden. Solche Ruhendstellungen können insbesondere zur Aufnahme eines sogenannten befristeten Zweitarbeitsverhältnisses und für wechselnde neue Arbeitgeber gewährt werden. Auf den restlichen Inhalt dieses Vertrages wird Bezug genommen.  

Der Kläger war in der Zeit vom 01.11.2019 bis zum 15.03.2020 bei G. beschäftigt gewesen. Er war im Anschluss vom 16.03.2020 bis zum 07.06.2020 bei der Firma K. Personaldienste beschäftigt gewesen. Im Anschluss war er vom 08.06.2020 bis zum 31.08.2020 wieder bei der Firma G. beschäftigt gewesen. Nach dem Arbeitsvertrag mit der Firma K. galten für das Arbeitsverhältnis die Tarifverträge zwischen dem Bundesarbeitgeberverband der Personaldienstleister und den Mitgliedsgewerkschaften des DGB. Das Arbeitsverhältnis als Elektroniker war unbefristet und begann am 16.03.2020 (§ 3 lit. a) des Vertrages). Nach § 7 dieses Vertrages betrug bei Neueinstellungen die Kündigungsfrist in der Probezeit während der ersten zwei Wochen des Arbeitsverhältnisses einen Tag. Im Übrigen verweist der Arbeitsvertrag darauf, dass das Arbeitsverhältnis von beiden Seiten mit den manteltarifvertraglichen Kündigungsfristen gemäß § 9.3 und § 9.4 MTV BAP / DGB gekündigt werden kann.

Er meldete sich am 05.06.2020 persönlich arbeitslos mit Wirkung zum 01.09.2020. Nach der Arbeitsbescheinigung der Firma K. Personaldienste endete das dortige Arbeitsverhältnis mit Abschluss eines Aufhebungsvertrags zum 07.06.2020. Der Arbeitgeber hätte ansonsten nicht oder nicht zum selben Zeitpunkt gekündigt. Die maßgebliche Kündigungsfrist hätte 1 Woche ohne festes Ende betragen.

Nach der Arbeitsbescheinigung der Firma G. sei das Arbeitsverhältnis vom Kläger zum 15.03.2020 gekündigt worden.  

Nach der Arbeitsbescheinigung der Firma D. war der Kläger zuletzt als Elektriker beschäftigt gewesen. Danach sei dieses Arbeitsverhältnis am 28.05.2019 zum 31.10.2019 gekündigt worden. Dagegen habe der Kläger Kündigungsschutzklage erhoben. Es seien zusätzliche Vereinbarungen nach dem Ausspruch der Kündigung getroffen worden. Eine Sozialauswahl sei getroffen worden. Die Kündigungsfrist betrug drei Monate zum Quartalsende.

Die Beklagte teilte mit Schreiben vom 25.08.2020 mit, dass sie über den Antrag auf Arbeitslosengeld nur vorläufig entscheiden könne. Es würden noch Nachweise fehlen. Mit vorläufigem Bewilligungsbescheid vom gleichen Tag wurde dem Kläger ab dem 24.11.2020 bis zum 23.08.2021 Arbeitslosengeld i. H. v. 59,49 € kalendertäglich gewährt. Eine Gewährung für den Zeitraum vom 01.09.2020 bis zum 23.11.2020 erfolgte nicht. Dazu könne noch nicht entschieden werden.

In seiner Stellungnahme gab der Kläger an, dass er den Vertrag mit der Firma G. ruhend gestellt habe um eine Arbeit zu finden. Nach Abschluss des Aufhebungsvertrages sei diese Ruhendstellung beendet worden und der Vertrag weitergeführt worden. Die Firma G. habe ihn dahingehend beraten, dass durch die Ruhendstellung und die folgende Wiederaufnahme der Arbeit keine Sperrzeit eintrete.

Ausweislich des Aufhebungsvertrages wurde das Arbeitsverhältnis auf Veranlassung des Klägers beendet. Die Firma K. wies auf die Möglichkeit hin, dass die Beklagte den Eintritt einer Sperrzeit bis zu 12 Wochen verhängen könnte. Zudem wies sie den Kläger auf die Verpflichtung hin, sich arbeitssuchend zu melden.

Die Beklagte stellte mit Bescheid vom 11.09.2020 fest, dass im Zeitraum vom 01.09.2020 bis zum 23.11.2020 eine Sperrzeit eingetreten sei, da der Kläger das Arbeitsverhältnis durch Abschluss eines Aufhebungsvertrages selbst gelöst habe. Seine Arbeitsaufgabe sei für den Eintritt der erst später eingetretenen Arbeitslosigkeit ursächlich geblieben, denn das Anschlussarbeitsverhältnis sei von vorneherein befristet gewesen. Der Kläger hätte erkennen können, dass er danach arbeitslos werde. Ein wichtiger Grund liege nicht vor. Die Sperrzeit dauere zwölf Wochen und mindere den Anspruch auf Arbeitslosengeld um 90 Tage. Mit Änderungsbescheid vom gleichen Tag gewährte die Beklagte dem Kläger endgültig Arbeitslosengeld ab dem 24.11.2020 bis zum 23.08.2021 i. H. v. 59,49 € kalendertäglich und lehnte die Gewährung von Arbeitslosengeld für den Zeitraum vom 01.09.2020 bis zum 23.11.2020 ab.

Die Beklagte erläuterte noch mit Schreiben vom 24.09.2020 den Sachstand; auf den Inhalt dieses Schreibens wird Bezug genommen.

Der Kläger legte mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 29.09.2020 Widerspruch gegen die beiden Bescheide ein. Der Kläger nahm am 06.10.2020 eine Tätigkeit bei der Firma K. auf, sodass die Beklagte mit Bescheid vom 06.10.2020 die Bewilligung von Arbeitslosengeld ab dem 06.10.2020 aufhob. Der Arbeitgeber übersandte eine korrigierte Arbeitsbescheinigung, in der er mitteilte, dass er das Arbeitsverhältnis ansonsten zum 07.06.2020 gekündigt hätte.
Der Kläger war der Ansicht, dass der streitgegenständliche Aufhebungsvertrag das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger nicht verkürzt hätte. Der Arbeitgeber habe ihm mitgeteilt, dass sie ihm in der Probezeit kündigen wollte. Infolge des coronabedingten Lockdowns hätte sein Arbeitgeber keine Kunden gehabt, an denen sie den Kläger hätte vermitteln können. Sie teilte ihm mit, dass sie ihn kündigen wolle und legte ihm einen Aufhebungsvertrag vor, welche beide Seiten unterschrieben. Der Arbeitgeber habe den Abschluss eines Aufhebungsvertrages wegen des Drei-Parteienverhältnisses bevorzugt. Die Probezeit hätte erst im September 2020 geendet. Der Arbeitgeber habe zwar die zweiwöchige Kündigungsfrist in der Probezeit nicht eingehalten, jedoch habe sich hierdurch die Arbeitslosigkeit des Klägers nicht verlängert, da dieser nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses wieder Arbeitnehmer der Transfergesellschaft wurde. Es liege somit ein wichtiger Grund vor.

Die Beklagte stellte bei dem Arbeitgeber Nachfragen an. Der Arbeitgeber teilte mit, dass aufgrund des Corona-Shutdown sei ihr Kunde „E.“ gezwungen gewesen einen Einstellungsstopp zu verhängen, Kurzarbeit zu verhängen und alle externen Mitarbeiter entsprechend abzumelden. Der Kunde sei mit dem Kläger zufrieden gewesen und hätte ihm sogar bereits eine rasche Übernahme in Aussicht gestellt. Das sei durch den Lockdown nicht möglich gewesen. Eine direkte Anschlussbeschäftigung in einem anderen Betrieb sei ebenfalls nicht möglich gewesen. Sie habe dem Kläger eine betriebsbedingte Kündigung auch mit Bestimmtheit in Aussicht gestellt. Der Ansprechpartner der Transfergesellschaft habe mitgeteilt, dass eine Aufhebungsvereinbarung für den Kläger keinen Nachteil mit sich bringe und er wieder problemlos in der Transfergesellschaft betreut werden könne. Eine ordentliche fristgerechte Kündigung wäre ohne Abschluss des Aufhebungsvertrages erfolgt. Das Arbeitsverhältnis wäre zum gleichen Zeitpunkt beendet worden. Auch wäre die Kündigungsfrist eingehalten worden.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 30.11.2020 zurück. Der Kläger habe keine konkrete Aussicht auf eine unmittelbar anschließende Dauerbeschäftigung bei einem anderen Arbeitgeber gehabt. Die Arbeitslosigkeit sei daher grob fahrlässig herbeigeführt worden. Zudem sei auch kein wichtiger Grund erkennbar. Nach den vom Gesetzgeber in § 2 Abs. 5 SGB III festgelegten Grundsätzen hätten Arbeitnehmer zur Vermeidung von Arbeitslosigkeit ein zumutbares Beschäftigungsverhältnis fortzusetzen. Ein wichtiger Grund liege deshalb schon nicht vor, weil das Arbeitsverhältnis durch Abschluss des Aufhebungsvertrages ohne Einhaltung der vertraglich vereinbarten Kündigungsfrist beendet wurde. Auch sei die Dauer, der Beginn sowie das Ende der Sperrzeit zutreffend festgestellt worden. Es bleibe zudem bei der im Sperrzeitbescheid mitgeteilten Minderung der Anspruchsdauer.

Der Kläger hat mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 04.12.2020 Klage erhoben. Er wiederholt sein Vorbringen.

Der Kläger sei kein Jahr bei der Firma K. beschäftigt gewesen. Es fehle zudem an der Kausalität zwischen dem Abschluss des Aufhebungsvertrages sowie dem Eintritt der Arbeitslosigkeit, da der Kläger bei Ausspruch einer Kündigung das befristete Arbeitsverhältnis mit der Firma G. fortgesetzt hätte, sodass das Arbeitsverhältnis zum 31.08.2020 geendet hätte. Zwar sei der Kläger durch den Abschluss des Aufhebungsvertrages von einem unbefristeten in ein befristetes Arbeitsverhältnis gewechselt. Jedoch sei zu berücksichtigen, dass er eine rechtmäßige Kündigung erhalten hätte. Infolge der Probezeit sei auch eine Kündigung ohne Angabe von Gründen möglich gewesen. Insofern hätte ein wichtiger Grund zum Abschluss des Aufhebungsvertrages vorgelegen. Durch die Möglichkeit der Rückkehr des Klägers zu der Transfergesellschaft sei auch kein Zustand der Arbeitslosigkeit zulasten der Versichertengemeinschaft eingetreten. Auch bei der gedachten rechtmäßigen Kündigung unter Einhaltung der Kündigungsfrist wäre die Arbeitslosigkeit des Klägers eingetreten. 

Er ist weiterhin der Ansicht, dass es an der Kausalität zwischen dem Verhalten des Klägers und der eingetretenen Arbeitslosigkeit fehlen. Das Verhalten des Klägers habe seine Arbeitslosigkeit nicht herbeigeführt. Nach der Unterzeichnung des Aufhebungsvertrages sei der Kläger nicht arbeitslos gewesen, sondern bei der G. beschäftigt gewesen. Das befristete Arbeitsverhältnis habe sich durch den Abschluss des Aufhebungsvertrages auch nicht verkürzt. Die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses sei nicht die Ursache für die Beschäftigungslosigkeit. 

Der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, ihm unter Aufhebung des Sperrzeitbescheides vom 11.09.2020 und Abänderung des Bewilligungsbescheides vom 11.09.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.11.2020 Arbeitslosengeld in gesetzlicher Höhe für den Zeitraum vom 01.09.2020 bis zum 05.10.2020 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verweist auf den Inhalt der Verwaltungsakte sowie der angefochtenen Bescheide. Es liege kein wichtiger Grund vor, da die Kündigung nicht zum gleichen Zeitpunkt ausgesprochen worden sei. Im Falle des Klägers sei eine Kündigung gemäß den Angaben in der Arbeitsbescheinigung erst zum 11.06.2020 möglich gewesen. Nach § 622 Abs. 3 BGB sei eine Kündigung erst zum 18.06.2020 möglich gewesen. Vorliegend sei ein unbefristetes Arbeitsverhältnis zugunsten eines befristeten Arbeitsverhältnisses aufgegeben worden, sodass auch in einem solchen Fall Kausalität vorliege. Der Kläger habe durch den Aufhebungsvertrag den Eintritt der Beschäftigungslosigkeit zum 01.09.2020 verursacht. Ohne den Aufhebungsvertrag wäre das Arbeitsverhältnis mit der K. GmbH nicht beendet gewesen. Zwar sei eine Kündigung durch diesen Arbeitgeber beabsichtigt gewesen, sei aber tatsächlich nicht ausgesprochen worden. Die Berücksichtigung einer lediglich beabsichtigten Kündigung würde nach Auffassung der Beklagten zur unzulässigen Annahme einer hypothetischen Kausalität führen. Es bestehe damit kein wesentlicher Unterschied zu Konstellationen, in denen ein unbefristetes Arbeitsverhältnis zugunsten eines befristeten Arbeitsverhältnisses aufgegeben wurde.

Auch für die Frage einer Verkürzung nach § 159 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 SGB III sei zu berücksichtigen, dass eine Kündigung durch den Arbeitgeber tatsächlich nicht ausgesprochen wurde. Diese Vorschrift sei so zu verstehen, dass das Arbeitsverhältnis auch ohne den Beitrag des Arbeitslosen an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses geendet habe. Davon würden nur Fallgestaltungen erfasst, in denen beispielsweise bereits eine rechtmäßige arbeitgeberseitige Kündigung ausgesprochen worden sei oder das Arbeitsverhältnis befristet gewesen sei. Bei Wegdenken des Aufhebungsvertrages hätte es zunächst des Eintritts einer weiteren Bedingung (einer Kündigung durch den Arbeitgeber) bedurft, um das Arbeitsverhältnis zu beenden. Diese Fälle würden nicht von § 159 Abs. 3 Satz 2 SGB III erfasst. Der in dieser Vorschrift verwendete Konjunktiv würde sich nur darauf beziehen, wie das Arbeitsverhältnis geendet hätte, wenn es nicht durch den Arbeitslosen beendet worden wäre. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung sei eine Sperrzeitverkürzung nur diskutiert worden, in denen ein alternativer Beendigungstatbestand tatsächlich vorgelegen habe. 


Entscheidungsgründe

A. Streitgegenstand dieses Verfahrens ist die Frage, ob die Beklagte zu Recht eine zwölfwöchige Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe gegenüber dem Kläger verhängt hat. Gegenstand des Verfahrens sind der Sperrzeitbescheid vom 11.09.2020 und der Bewilligungsbescheid vom 11.09.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.11.2020. Beide Bescheide bilden eine rechtlich miteinander verbundene Einheit (vgl. BSG, Urteil vom 14. September 2010, Az.: B 7 AL 33/09 R – juris – Rn. 10). Dies gilt auch, soweit im Sperrzeitbescheid als eigenständige Verfügung die Minderung der Dauer des Arbeitslosengeldes nach § 148 Sozialgesetzbuch III (SGB III) enthalten ist, da die Rechtmäßigkeit der Minderung des Arbeitslosengeldes von der Rechtmäßigkeit des Ruhens des Anspruches auf Arbeitslosengeld zwingend abhängt.

B. Die Klage ist form- und fristgerecht bei dem örtlich zuständigen Gericht gemäß §§ 57 Abs. 1, 78, 87 Abs. 2, 90 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erhoben worden. Sie ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft.

C. Die Klage ist auch größtenteils begründet. Die Beklagte hat zwar zu Recht festgestellt, dass eine Sperrzeit zu verhängen war. Zu Unrecht hat sie jedoch angenommen, dass die Sperrzeit nicht zu verkürzen gewesen sei, sodass der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt wird. Ihm steht nach dem Ablauf einer Sperrzeit von drei Wochen ein Anspruch auf Arbeitslosengeld zu.

I. Der Kläger hat aufgrund seiner durchgehenden Beschäftigung ab dem 01.10.2006 bis zum 31.08.2020 die Anwartschaftszeit erfüllt. Er hat sich zudem am 05.06.2020 mit Wirkung zum 01.09.2020 persönlich arbeitslos gemeldet. Weiterhin war er bis zu der Aufnahme der Beschäftigung beschäftigungslos, bemüht, seine Beschäftigungslosigkeit zu beenden, und stand den Vermittlungsbemühungen der Beklagten zur Verfügung.

II. Der Anspruch auf Arbeitslosengeld ruhte jedoch in der Zeit vom 01.09.2020 bis zum 21.09.2020 wegen des Eintritts einer Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe nach § 159 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III). Danach ruht der Anspruch auf Arbeitslosengeld, wenn sich der Arbeitnehmer versicherungswidrig verhält, ohne dafür einen wichtigen Grund zu haben. Ein versicherungswidriges Verhalten liegt vor, wenn der Arbeitslose das Beschäftigungsverhältnis gelöst und dadurch vorsätzlich oder grob fahrlässig die Arbeitslosigkeit herbeigeführt hat. Der Anspruch auf Arbeitslosengeld ruht jedoch nicht über dem 21.09.2020 hinaus.

1. Der Kläger hat sich unstreitig versicherungswidrig verhalten. Er hat durch den Abschluss des Aufhebungsvertrages vom 04.06.2020 sein Beschäftigungsverhältnis gelöst. 

2. Er hat auch dadurch die Arbeitslosigkeit herbeigeführt. § 159 Abs. 1 Sätze 1, 2 Nr. 1 SGB III setzt insoweit voraus, dass die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses für den Eintritt der Arbeitslosigkeit ursächlich geworden ist. Entscheidend ist daher, ob der Arbeitslose nach dem tatsächlichen Geschehensablauf im Einzelfall die zur Arbeitslosigkeit führende Kündigung (wesentlich) mit verursacht hat. Die Kausalitätsprüfung im Einzelfall erfolgt anhand der sozialrechtlichen Kausalitätslehre von der wesentlich mitwirkenden Bedingung. Diese gewichtet mehrere Einzelbedingungen nach ihrer Bedeutung für den Eintritt des Erfolges – d. h. im vorliegenden Zusammenhang den Eintritt der Arbeitslosigkeit – und stellt hierbei auch Billigkeitserwägungen an. Ursächlich im Sinne der sozialrechtlichen Kausalitätslehre der wesentlichen Bedingung ist eine Bedingung, wenn sie alleine zum Erfolg beigetragen hat oder – im Verhältnis zu anderen Einzelbedingungen – wegen ihrer besonderen Bedeutung zum Erfolg und dessen Eintritt jedenfalls wesentlich mitgewirkt hat. Die Kausalität ist nach dem tatsächlichen Lebenssachverhalt zu beurteilen und nicht nach hypothetischen Geschehensabläufen. Es ist daher für den Eintritt einer Sperrzeit bei einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitnehmer unerheblich, dass das Arbeitsverhältnis möglicherweise zum selben oder sogar zu einem früheren Zeitpunkt durch eine Kündigung des Arbeitgebers gelöst worden wäre (Heinz/ Schmidt-De Caluwe/Scholz, Sozialgesetzbuch III - Arbeitsförderung, SGB III § 159 Rn. 41-43, beck-online). Die Kausalität ist dabei nach dem tatsächlichen Geschehensablauf und nicht etwa hypothetischen Geschehensabläufen, zu denen die angedrohte betriebsbedingte Kündigung des Arbeitgebers gehörte, zu beurteilen ist (BSG, Urteil vom 25. April 2002, Az.: B 11 AL 65/01 R – juris – Rn. 19).

Somit ist vorliegend der Abschluss des Aufhebungsvertrages jedenfalls wesentlich ursächlich für die Herbeiführung der Arbeitslosigkeit, da der Kläger ohne dessen Abschluss nicht arbeitslos geworden wäre, sondern zunächst in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis geblieben wäre. Zutreffend hat die Beklagte ausgeführt, dass eine hypothetische Berücksichtigung des Ausspruches einer auszusprechenden Probezeitkündigung bei der Beurteilung der Kausalität nicht zu berücksichtigen ist. Dies steht auch im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Damit ist die Kausalität im Sinne einer wesentlichen Herbeiführung der Arbeitslosigkeit zu bejahen.

3. Die Herbeiführung der Arbeitslosigkeit erfolgte auch grob fahrlässig, da der Kläger keine begründete und verlässliche Aussicht auf einen Anschluss-Arbeitsplatz hatte. Im Ergebnis ist somit festzustellen, dass der Kläger das Beschäftigungsverhältnis versicherungswidrig gelöst hat.

4. Dieses versicherungswidriges Verhalten ist nicht durch einen wichtigen Grund gedeckt. Ein wichtiger Grund ist gegeben, wenn die Arbeitslose unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen mit denen der Versichertengemeinschaft ein anderes Verhalten nicht zugemutet werden können. Grundgedanke der Sperrzeitregelung ist es, dass sich die Versichertengemeinschaft gegen Risikofälle wehren muss, deren Eintritt der Versicherte selbst zu vertreten hat oder an deren Behebung er unbegründet nicht mithilft. Eine Sperrzeit tritt deshalb nur dann ein, wenn der Arbeitnehmerin unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung ihrer Interessen mit den Interessen der Versichertengemeinschaft ein anderes Verhalten zugemutet werden kann. Insoweit muss der wichtige Grund nicht nur die Auflösung des Arbeitsverhältnisses überhaupt, sondern zusätzlich den konkreten Zeitpunkt der Auflösung decken. Es ist deshalb auch zu prüfen, ob der Arbeitslosen die Aufgabe seiner Beschäftigung zu einem späteren Zeitpunkt zumutbar war. 

Vorliegend ergibt sich jedoch das Problem, dass nach dem Arbeitsvertrag in Verbindung § 9.3 des Manteltarifvertrages das Arbeitsverhältnis mit einer Frist von einer Woche gekündigt werden kann. Der Aufhebungsvertrag wurde am 04.06.2020 abgeschlossen; danach endete das Arbeitsverhältnis am 07.06.2020. Folglich ist die maßgebende Wochenfrist durch diese Beendigung nicht eingehalten worden, sodass der konkrete Zeitpunkt der Auflösung nicht von dem wichtigen Grund gedeckt wird. Damit hat die Beklagte zu Recht festgestellt, dass der Kläger sich ohne wichtigen Grund versicherungswidrig verhalten, sodass eine Sperrzeit eingetreten ist.

5. Die Sperrzeit beginnt nach § 159 Abs. 2 SGB III mit dem Tag nach dem Ereignis, das die Sperrzeit begründet. Bei einer Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe nach § 159 Abs. 2 Nr. 1 SGB III ist das maßgebliche Ereignis die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses. Die Sperrzeit beginnt dann mit dem der tatsächlichen Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses folgenden Tag (Leandro Valgolio in: Hauck/Noftz SGB III, § 159 Ruhen bei Sperrzeit, Rn. 432). Da der Kläger ausweislich der Arbeitsbescheinigung der Firma G. nicht unwiderruflich freigestellt wurde, beginnt die Sperrzeit somit am 01.09.2020.

6. Die Beklagte hat die Dauer der Sperrzeit allerdings unzutreffend festgestellt. Nach § 159 Abs. 3 Satz 1 SGB III beträgt die Dauer der Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe grundsätzlich zwölf Wochen. Sie verkürzt sich nach § 159 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 SGB III auf drei Wochen, sofern das Arbeitsverhältnis innerhalb von sechs Wochen nach dem Ereignis, das die Sperrzeit begründet, ohne eine Sperrzeit geendet hätte.

a) Die Firma K. hat gegenüber der Beklagten mit E-Mail vom 14.10.2020 ausdrücklich bestätigt, dass sie dem Kläger erstens eine betriebsbedingte Kündigung in Aussicht gestellt hat und sie zweitens das Arbeitsverhältnis durch eine ordentliche fristgerechte Kündigung beendet hätte. Aufgrund der tarifvertraglichen Kündigungsfrist von einer Woche wäre somit das Arbeitsverhältnis auch innerhalb von sechs Wochen nach dem sperrzeitbegründenden Ereignis beendet worden.

b) Die Beklagten wendet insoweit dagegen ein, dass die Vorschrift nur auf Fälle anwendbar sei, in denen – anders als im vorliegenden Fall das Arbeitsverhältnis aufgrund ausgesprochener Kündigung oder bestehender Befristung sowieso geendet hätte. Damit kann sie nicht überzeugen.

aa) Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass der Wortlaut der Regelung den Konjunktiv – „hätte“ – verwendet. Dies weist darauf hin, dass eine Kündigung nicht zwingend ausgesprochen werden musste. Ausreichend ist vielmehr, dass dem Arbeitnehmer eine Kündigung gedroht hätte. Dies war vorliegend – wie unter a) festgestellt – der Fall.

bb) Diese Auslegung stimmt auch mit dem Sinn und Zweck der Vorschrift überein. Nur eine einengende Auslegung wird insoweit den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und des Übermaßverbotes gerecht, die sich als übergreifende Leitregel allen staatlichen Handels aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art 20 Abs. 3 Grundgesetz) ableiten und Verfassungsrang haben. Danach müssen das gewählte Mittel und der gewollte Zweck in einem vernünftigen Verhältnis zueinanderstehen. Ein Eingriff muss zur Erreichung des vom Gesetzgeber erstrebten Zieles geeignet und erforderlich sein. Letzteres bedeutet, dass das vom Gesetzgeber erstrebte Ziel nicht auf andere, den Einzelnen weniger belastende Weise ebenso gut erreich werden kann und schließlich das Maß der den Einzelnen treffende Belastung noch in einem vernünftigen Verhältnis zu den ihm und der Allgemeinheit erwachsenden Vorteilen steht (zitiert nach BSG, Urteil vom 9. Februar 1995, Az.: 7 RAr 34/94 – juris – Rn. 20).

Vorliegend ist das Gericht davon überzeugt, dass dem Kläger auch ohne Abschluss des Aufhebungsvertrages gekündigt worden wäre. Das Vorliegen eines wichtigen Grundes scheitert vorliegend ausschließlich daran, dass die Kündigungsfrist im Hinblick auf den tatsächlichen Beendigungszeitpunkt nicht eingehalten wurde. Vor diesem Hintergrund verstößt es gegen das Übermaßgebot sowie gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, bei einem solchen Sachverhalt eine 12-wöchige Sperrzeit zu verhängen. Deswegen ist allgemein – und nicht nur auf den Fall des Klägers bezogen – die Regelung des § 159 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 SGB III vor dem verfassungsrechtlichen Hintergrund dahingehend auszulegen, dass es ausreicht, dass das Arbeitsverhältnis ohne Abschluss des Aufhebungsvertrages geendet hätte, ohne dass diese Beendigung durch den Ausspruch einer Kündigung sich auch manifestiert haben muss.

III. Da die Sperrzeit zu Unrecht anstatt auf drei Wochen auf zwölf Wochen festgelegt wurde, musste in der Folge auch die seitens der Beklagte verfügte Minderung der Anspruchsdauer nach § 148 Abs. 1 Nr. 4 SGB III auf 21 Tage begrenzt werden.

D. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und trägt dem Ausgang des Verfahrens Rechnung. Die Berufung ist für beide Beteiligte nach §§ 143, 144 SGG zulässig, da der Kläger im Hinblick auf die Gewährung von Arbeitslosengeld für den Zeitraum vom 01.09.2020 bis zum 21.09.2020 unterlegen ist; dies macht einen Wert des Beschwerdegegenstandes von 1.249,29 € (21*59,49 €) aus. Die Beklagte ist mit einem Betrag i. H. v. 832,86 € (14*59,49 €) für den Zeitraum vom 22.09.2020 bis zum 05.10.2020 unterlegen. In beiden Fällen wird maßgebliche Wert des Beschwerdegegenstandes von 750,-€ überschritten, sodass für beide Beteiligte die Berufung statthaft ist.
 

Rechtskraft
Aus
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