S 19 SO 10/19 ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Nürnberg (FSB)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
19
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 19 SO 10/19 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 18 SO 46/19 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

  I. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

G r ü n d e :

I.

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) im Streit.

Der am XX.XX.XXXX geborene Antragsteller bezieht seit dem 01.01.2018 von der Antragsgegnerin Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII. Nachdem er bereits im Rahmen der Antragstellung darauf hingewiesen hatte, dass er letztmalig im Jahr 1994 bei der  N.V. privat krankenversichert gewesen sei, legte er der Antragsgegnerin am 01.03.2018 ein Angebot der  N.V. vom 19.02.2018 für den Abschluss einer privaten Krankenversicherung im Basistarif vor. Darüber hinaus übersandte er der Antragsgegnerin am 26.07.2018 ein Schreiben der  N.V. vom 17.07.2018, mit dem diese zur weiteren Bearbeitung des Antrages auf den Basistarif u.a. die Vorlage eines ärztlichen Untersuchungsberichtes, eines zahnärztlichen Untersuchungsberichtes, einer großen Blutuntersuchung und von Befunden einer aktuellen kardiologischen Untersuchung mit Ruhe- und Belastungs-EKG sowie Echokardiogramm gefordert hatte. Mit weiterem Schreiben vom 26.09.2018 teilte die  N.V. dem Antragsteller mit, dass zudem ein Prämienzuschlag nach § 193 Abs. 4 Satz 3 bis 5 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) in Höhe von 9.089,08 € zu entrichten sei, da er keinen Nachweis über eine private oder gesetzliche Krankenversicherung habe vorlegen und man keinen Vorvertrag bei der Nürnberger Krankenversicherung habe feststellen können. In der Folge (vgl. Schreiben vom 16.10.2018) reduzierte die  N.V. den vom Antragsteller zu leistenden Prämienzuschlag auf 4.544,61 €. Am 26.11.2018 bat der Antragsteller die Antragsgegnerin um entsprechende Kostenübernahme.

Am 16.01.2019 hat der Antragsteller das Sozialgericht Nürnberg um einstweiligen Rechtsschutz ersucht. Er sei privat krankenversichert gewesen, habe irgendwann die Prämie nicht mehr zahlen können und sei seitdem nicht mehr krankenversichert. Anfang letzten Jahres habe er Grundsicherung beantragt und gleichzeitig die Krankenversicherung. Die  N.V. habe nach wie vor verlangt, dass ärztliche Untersuchungen erforderlich seien. Für diese fehle ihm aber das Geld, ebenso für die Risikoprämie. Die Stadt A-Stadt habe sich von Anfang an geweigert, diese Kosten zu übernehmen. Ein Bescheid liege ihm, trotz mehrfacher Nachfrage, bis heute nicht vor.

Der Antragsteller beantragt,

ihm einstweiligen Rechtsschutz zu gewähren und die Stadt A-Stadt zu verpflichten, die Kosten für alle notwendigen ärztlichen Untersuchungen, die für den Abschluss einer Krankenversicherung notwendig sind, den Prämienzuschlag in Höhe von 4.544,61 € sowie die Risikoprämie der  N.V. zu übernehmen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den am 16.01.2019 eingereichten Antrag des Antragstellers auf einstweilige Anordnung nach § 123 VwGO zurückzuweisen.

Es bestehe weder ein Anordnungsanspruch noch ein Anordnungsgrund.

Zur Ergänzung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte der Antragsgegnerin Bezug genommen.


II.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig, aber nicht begründet.

Statthaft ist, da der Antragsteller eine Erweiterung seiner Rechtsposition anstrebt, die sog. Regelungsanordnung gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Der Erlass einer Regelungsanordnung setzt voraus, dass der geltend gemachte Anspruch mit überwiegender Wahrscheinlichkeit besteht (Anordnungsanspruch), dass ohne Eilrechtsschutz bis zur Entscheidung in der Hauptsache mit überwiegender Wahrscheinlichkeit eine erhebliche Rechtsverletzung droht (Anordnungsgrund) und dass die Interessen des Antragstellers auch sonst überwiegen. Können ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, verlangt das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes eine besondere Ausgestaltung. Das bedeutet vor allem, dass sich die Anforderungen an den zu fordernden Wahrscheinlichkeitsgrad am Rechtsschutzziel zu orientieren haben, das der Antragsteller mit seinem Begehren verfolgt (BVerfG vom 12.05.2005, 1 BvR 569/05; BVerfG, NVwZ 2004, S.95, 96). Das gilt für den Abwägungsbelang der Erfolgsaussichten der Hauptsache - ggf. ist hier sogar eine abschließende Prüfung der Sach- und Rechtslage erforderlich, um den Eilantrag aus diesem Grunde abzulehnen (BVerfG vom 22.11.2002, 1 BvR 1586/02, NJW 2003, 1236, 1237; vom 29.07.2003, 2 BvR 311/03, NVwZ 2004, 95, 96 vgl. BVerfG, NJW 2003, S.1236, 1237; NVwZ 2004, S.95, 96) - ebenso wie für den Abwägungsbelang der drohenden und mit dem Eilrechtsschutz zu verhindernden (Grund-) Rechtsverletzungen. In jedem Falle sind insbesondere die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzustellen. Die Gerichte müssen sich schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen (BVerfG, NJW 2003, S.1236, 1237). Dies gilt ganz besonders, wenn es um existenzielle Belange des Antragstellers geht. Leistungen, die der Verhinderung entsprechender Rechtsverletzungen dienen, dürfen im Eilverfahren nicht auf Grund bloßer Mutmaßungen zum Hauptsacheanspruch verweigert werden, soweit dessen Zustehen immerhin als möglich erscheint. Vielmehr ist aus verfassungsrechtlichen Gründen eine umfassende Güter- und Folgenabwägung unter Berücksichtigung der Grundrechte des Betroffenen und - soweit verfassungsrechtlich zulässig - unter Einbeziehung der einfach-gesetzlichen Maßgaben des § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG durchzuführen.

Trotz dieses hohen Prüfungsmaßstabes vermag die Kammer eine vorläufige Regelung zugunsten des Antragstellers nicht zu treffen, da bereits ein Anordnungsanspruch nicht besteht.


Zwar können nach § 73 Satz 1 SGB XII Leistungen auch in sonstigen Lebenslagen erbracht werden; nach der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung gilt dies allerdings nur, wenn der Einsatz öffentlicher Mittel gerechtfertigt erscheint. Letzteres ist nach Auffassung der Kammer nicht der Fall, da es der N.V. verwehrt ist, den Abschluss einer Krankenversicherung im Basistarif von einer Gesundheitsprüfung sowie von der Entrichtung von (Prämien- und Risiko-)Zuschlägen abhängig zu machen.

Die  N.V. ist gemäß § 193 Abs. 5 VVG verpflichtet, dem Antragsteller Krankenversicherungsschutz im Basistarif zu gewähren. Der in dieser Vorschrift normierte Kontrahierungszwang stellt die notwendige rechtliche Ergänzung zur Versicherungspflicht des Antragstellers dar. Die Gründe, aus denen der Antrag auf Aufnahme in den Basistarif abgelehnt werden darf, sind in § 193 Abs. 5 Satz 4 VVG enumerativ aufgezählt.

Die Tatsache, dass die  N.V. die von ihr im Basistarif versicherten Risiken in den PKV-Pool zum Zwecke des Risikoausgleichs einbringen kann, berechtigt nicht dazu, den Antrag auf Versicherungsschutz im Basistarif abzulehnen oder so lange zurückzustellen, bis der Antragsteller die mit Schreiben vom 17.07.2018, 26.09.2018 und 16.10.2018 geforderten Untersuchungen hat vornehmen lassen. Diese von der  N.V. gewählte Vorgehensweise lässt den mit dem Kontrahierungszwang verbundenen gesetzgeberischen Willen leerlaufen, zumal diejenigen Personen, die - wie der Antragsteller - auf die Aufnahme in den Basistarif angewiesen sind, ohnehin nicht zu dem finanzstarken Personenkreis zählen, die in der Lage sind, die von der  N.V. geforderten und zu bezahlenden Untersuchungen auch finanziell zu tragen (vgl. dazu: LG Dortmund, Urteil vom 16.08.2012 - 2 O 159/12).

Risikozuschläge dürfen im Basistarif nach der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung in § 203 Abs. 1 Satz 2 VVG nicht erhoben werden.

Ein etwaiger Prämienzuschlag nach § 193 Abs. 4 VVG entbindet die  N.V. nicht vom Kontrahierungszwang. Selbst wenn vom Antragsteller nach Vertragsabschluss neben den monatlichen Beiträgen, die als angemessene Aufwendungen durch die Antragsgegnerin gemäß §§ 42 Nr. 2, 32 SGB XII übernommen werden müssten, ein Beitragszuschlag nach § 193 Abs. 4 VVG gefordert würde, ist eine Vorabentrichtung zum Zwecke des Vertragsabschlusses, wie sie die  N.V. begehrt, weder erforderlich noch zulässig. Die Nichtzahlung des Prämienzuschlages hätte für den Antragsteller selbst keine nachteiligen Konsequenzen im Hinblick auf seine Versicherung nach dem Basistarif. Sollte der Antragsteller diesen Zuschlag, der nicht zum laufenden Bedarf im Sinne von § 32 SGB XII gehört und durch die Antragsgegnerin nicht zu übernehmen wäre, nicht zahlen, würde er den Leistungsanspruch aus dem Krankenversicherungsvertrag nicht verlieren. Zwar führen Beitragsrückstände grundsätzlich nach § 193 Abs. 6 VVG zu einem Ruhen des Vertrages und zur Umstellung in den Notlagentarif nach § 153 Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG). Dies gilt nach der Maßgabe des § 193 Abs. 6 Satz 5 VVG aber dann nicht, wenn der Versicherungsnehmer oder die versicherte Person hilfebedürftig im Sinne des Zweiten oder Zwölften Buch des Sozialgesetzbuches ist. Für den nach dem SGB XII hilfebedürftigen Antragsteller würde sich damit keine Umstellung in den Notlagentarif ergeben, sondern es bliebe bei der Versicherung nach Basistarif und damit für ihn bei einem Leistungsanspruch, der nach Art und Umfang den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung entspricht.  

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung bleibt damit ohne Erfolg. Das rechtswidrige Verhalten der  N.V. darf nicht zu Lasten der Antragsgegnerin gehen. Der Antragsteller wird nicht umhinkommen, seinen Anspruch auf Versicherungsschutz im Basistarif gegenüber der  N.V. - gegebenenfalls im Rahmen eines zivilgerichtlichen Eilverfahrens - durchzusetzen.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
 

 

Rechtskraft
Aus
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