S 8 VG 8/21

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Nürnberg (FSB)
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 8 VG 8/21
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 18 VG 4/23
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

T a t b e s t a n d :

Die Klägerin begehrt die Feststellung eines Grades der Schädigungsfolgen (GdS) von mindestens 50 und Gewährung einer Beschädigtenrente nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG).
Die XXXX geborene Klägerin stellte erstmalig am 12.01.2001 einen Antrag auf Versorgung nach dem OEG und machte einen sexuellen Übergriff durch einen Mitpatienten im Rahmen einer stationären Rehabilitationsmaßnahme am XX.XX.2000 geltend. Ausweislich des Urteils des Amtsgerichts  B. vom 06.09.2001 (Az.: xxxxxx; Berufungsurteil des Landgerichts A-Stadt vom 30.04.2003, Az.: xxxxxxx, rechtskräftig seit 08.05.2003) hielt sich der Täter, Herr G.e, von Februar bzw. Anfang März 2000 bis XX.XX.2000 zur Kur in der psychosomatischen Klinik in  B.    auf. Die Klägerin befand sich zur Behandlung von Persönlichkeitsstörungen in der Zeit vom XX.XX.2000 bis XX.XX.2000 ebenfalls in stationärer Therapie in der Klinik. Die Klägerin und Herr G.e lernten sich während des Klinikaufenthaltes kennen. Die Klägerin ist am XX.XX.2022 mit Herrn G.e von der Klinik in ein Thermalbad gefahren und hat dann mit ihm einen Ausflug nach   K. unternommen. Auf der Rückfahrt hat der Täter den PKW in einer Schneise am Waldrand geparkt. Er hat die Klägerin an den Handgelenken gepackt und sie vom Beifahrersitz auf den Rücksitz gezogen. Dort hat er sie zunächst gegen deren geäußerten Willen über der Bekleidung an Brüsten und dem gesamten Oberkörper angefasst. Weiterhin hat er versucht die Klägerin zu küssen, was diese jedoch verhindern konnte, indem sie ihren Kopf wegdrehte. Im Anschluss hat Herr G.e die Klägerin unter dem T-Shirt am Oberkörper angefasst, die Knöpfe an dem Oberteil sowie den BH geöffnet und die Brüste der Klägerin geküsst. Zudem hat er in die Hose der Klägerin gegriffen. Es ist der Klägerin jedoch gelungen seine Hand wieder abzuwehren und auch zu verhindern, dass er ihre Hose öffnet. Als Herr G.e die Hand der Klägerin über seiner Hose an sein Glied führte mit der Aufforderung es zu streicheln, zog diese ihre Hand wieder zurück. Nach ca. 30 Minuten hat Herr G.e von der Klägerin abgelassen und man ist gemeinsam in die Klinik zurückgefahren.
Mit Bescheid vom 28.07.2003 hat der Beklagte den Antrag der Klägerin auf Beschädigtenversorgung abgelehnt. Nach den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft habe nachgewiesen werden können, dass die Klägerin am XX.XX.2000 Opfer einer Gewalttat im Sinne des § 1 Abs. 1 OEG geworden sei. Aus den beigezogenen zahlreichen medizinischen Berichten über die Klinikaufenthalte der Klägerin und der Befunde der behandelnden Ärzte sowie der eingeholten versorgungsfachärztlichen Stellungnahme sei jedoch zu entnehmen, dass ein ursächlicher Zusammenhang zwischen den geklagten Beschwerden und der erlittenen Tat nicht bestehe. Bereits seit vielen Jahren würden bei der Klägerin völlig unabhängig von der Tat zahlreiche seelische und psychosomatische Beschwerden vorliegen. Die sexuelle Nötigung vom XX.XX.2000, bei der es zu gewissen Berührungen gekommen sei und die unter geringer Gewaltanwendung stattgefunden hätten, sei nicht geeignet, den schon vorher bestandenen schweren seelischen Schaden dauerhaft zu verschlimmern. Eine Anerkennung von Schädigungsfolgen nach dem OEG könne daher bei der bestehenden Sachlage nicht erfolgen. Der hiergegen durch die Klägerin eingelegte Widerspruch wurde mit Bescheid vom 14.10.2003 zurückgewiesen und die dagegen erhobene Klage (Az.: S 15 VG 11/03) unter dem 24.10.2007 zurückgenommen.
Am 23.10.2015 hat die Klägerin einen weiteren Antrag auf Opferentschädigung gestellt. Im Rahmen des Antrages macht die Klägerin mehrere schädigende Ereignisse in der Kindheit und Jugend im häuslichen Umfeld sowie in der Nachbarschaft gelten. Es sei zu emotionalen, physischen und psychischen Gewalterfahrungen seit der Geburt bis zu ihrem 16. Lebensjahr durch ihre Mutter, ihre Brüder und einen Nachbarn gekommen. Die Klägerin schilderte dabei die Überforderung ihrer alleinerziehenden Mutter. Es sei zu körperlichen Züchtigungen, Absperren von Zimmern der Wohnung bei Abwesenheit der Mutter, Beleidigungen und sexuellen Grenzüberschreitungen (Angefasst werden an Brüsten und Intimbereich, vaginales Einführen eines Bürstengriffs) der Mutter gekommen. Weiterhin schilderte sie sexuelle Übergriffe durch ihren Halbbruder A.. Sie verneinte jedoch sexuelle Übergriffe durch den Bruder T., welche sich aus diversen Befundberichten ergeben. Dort ist angegeben, dass der Bruder T. die Klägerin manchmal gefesselt habe und mehrmals vor der Schule sexuell missbraucht habe. Zudem habe es ständigen Streit innerhalb der Familie gegeben. Ihr Bruder T. sei ihr gegenüber brutal gewesen. Er habe Gegenstände nach ihr geworfen und sie mit einem Messer bedroht. Zwischen der Mutter der Klägerin und ihrem Bruder T. sei es häufig zu Schlägereien gekommen. Im Alter von sechs bis acht Jahren habe ihr ein Nachbar pornografische Bilder gezeigt. Polizeiliche Ermittlungsverfahren gegen die Mutter und den Bruder der Klägerin T. wurden eingestellt, da die Klägerin sich hier auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht berufen hat. Das Verfahren gegen den Nachbarn wurde eingestellt, da die geltend gemachten Taten bereits verjährt seien. Die Klägerin hat im polizeilichen Ermittlungsverfahren angegeben, dass sie zum Tatzeitpunkt sieben Jahre alt gewesen sei und der Tatzeitraum sich etwas über ein Jahr erstreckt habe. Im Rahmen der am 06.09.2017 durchgeführten Einvernahme bei dem Beklagten hat die Klägerin angegeben, dass sie zum Zeitpunkt der Taten durch den Nachbarn sieben Jahre alt gewesen sei. Der Nachbar sei wegen der Taten verurteilt worden, als die Klägerin zehn oder elf Jahre alt gewesen sei.
Mit Bescheid vom 30.10.2020 hat der Beklagte den Antrag der Klägerin auf Beschädigtenversorgung abgelehnt. Die Klägerin beanspruche Beschädigtenversorgung nach dem OEG mit der Begründung, im Zeitraum zwischen 1966 bis ca. 1982 und im Jahr 2007 oder 2008 das Opfer von vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Übergriffen geworden und hierbei gesundheitlich geschädigt worden zu sein. Aufgrund der durchgeführten Ermittlungen, insbesondere einer persönlichen Einvernahme der Klägerin am 06.09.2017, sei es nachgewiesen, dass die Klägerin zwischen ca. 1973 bis ca. 1976 von Herrn S. missbraucht worden sei. Weitere Taten im Sinne des § 1 Abs. 1 OEG seien nicht belegt. Da ein Großteil der Gewalttaten bis zum 15.05.1976 stattgefunden habe, sei § 10a OEG maßgebend. Maßgeblich sei der Gesundheitszustand der Klägerin bis zum Leistungsbeginn mit Antragsmonat Oktober 2015. Die Klägerin sei am 26.05.2020 von Herrn Dr. H. neurologisch-fachpsychiatrisch untersucht worden. Demnach könnten die geltend gemachten psychischen Störungen nicht auf die anzuerkennenden Gewalttaten im Zeitraum von ca. 1973 bis 1976 zurückgeführt werden. Die Klägerin sei in schwer dysfunktionalen Verhältnissen in der Herkunftsfamilie aufgewachsen. Allein die frühkindliche und kindliche Entwicklungssituation sei geeignet die psychische Entwicklung zu beeinträchtigen und zu den schweren Störungen, die sich bei der Klägerin in den späteren Jahren gebildet hätten, beizutragen. Darüber hinaus sei auch von familiär-genetischen Einflüssen auszugehen. In der Familie der Klägerin seien eine depressive Störung väterlicherseits sowie psychische Auffälligkeiten mütterlicherseits bekannt. Konkret während der Begutachtung zu dem sexuellen Missbrauch befragt, habe die Klägerin angegeben, dass der Missbrauch wahrscheinlich noch ein Thema sei, aber sie im Grunde nicht darüber nachdenken wolle. Genauere Angaben habe sie nicht gemacht. Insgesamt habe die Schilderung bei der Klägerin nur eine geringe Affektreaktion hervorgerufen. Der Einfluss des nachgewiesenen damaligen Ereignisses erscheine aufgrund des aktuellen Erlebens der Klägerin gering. Bei der Untersuchung habe die Klägerin einen recht stabilisierten psychischen Zustand geschildert. Sie pflege soziale Kontakte, übe eine berufliche Tätigkeit und eine ehrenamtliche Tätigkeit aus und sei im Posaunenchor aktiv. Eine medikamentöse Behandlung erfolge nicht. Bei der Klägerin seien schädigungsunabhängig eine emotional-instabile Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ, eine rezidivierende depressive Störung, eine Migräne und eine Angststörung zu diagnostizieren. Diese Gesundheitsstörungen wären auch ohne das nachgewiesene schädigende Ereignis eingetreten und seien im Wesentlichen auf schwerste dysfunktionale Bedingungen, denen die Klägerin ausgesetzt gewesen sei, zurückzuführen. Die Dekompensation in späteren Jahren sei ebenfalls auf die schädigungsfremd bestehende Persönlichkeitsstörung zurückzuführen. Spätere biographische Belastungen seien für die erhebliche Dekompensation verantwortlich. Insgesamt sei festzustellen, dass bei der Klägerin eine Vielzahl traumatisierender Faktoren während der gesamten Biographie vorhanden seien. Die Zuordnung einzelner Ereignisse und Rückführung psychischer Symptome oder Störungen auf bestimmte einzelne Faktoren sei praktisch nicht möglich und eine singuläre Zuordnung könne daher mit der zu fordernden Wahrscheinlichkeit nicht erfolgen. Eine Anerkennung von Schädigungsfolgen aufgrund des Missbrauchs durch Herrn S. in den Jahren von ca. 1973 bis 1976 könne daher nicht erfolgen. Weitere Tatbestände im Sinne des OEG seien nicht nachgewiesen. Die weiteren durch die Klägerin geltend gemachten Taten (Schläge und Missbrauch durch die Mutter, Missbrauch durch den Halbbruder und den Bruder sowie körperliche Gewalt durch die Brüder) seien nicht nachgewiesen bzw. würden keine tätlichen Angriffe im Sinne des OEG darstellen. Die Schilderungen der Klägerin diesbezüglich seien oberflächlich und ohne Details gewesen. Beweise zu den Vorfällen seien nicht zu beschaffen. Bzgl. der Schläge durch die Mutter seien die Schilderungen der Klägerin zwar plausibel, seien jedoch pauschal erfolgt. Eine Glaubhaftmachung im Sinne des § 15 KOV-VfG, dass Schläge erfolgt seien, die über das damals geltende Züchtigungsrecht hinausgegangen seien, sei nicht erfolgt. Auch hinsichtlich sexuell motivierter Übergriffe durch die Mutter und deren Partner (Begrapscht werden, Einführungen von Gegenständen in der Kindheit bis Jugend der Klägerin) im Jahr 2007 oder 2008 reiche der Vortrag der Klägerin für die Glaubhaftmachung nicht aus. Es sei nicht nachgewiesen, dass tätliche, rechtswidrige Angriffe mit sexuellem Charakter stattgefunden hätten. Bzgl. der körperlichen Gewalt durch den Bruder T. sei aufgrund der Schilderung Klägerin nicht nachgewiesen, dass es sich um Gewalttaten im Sinne des OEG gehandelt habe. Wechselseitige körperliche Auseinandersetzungen ohne schwere Verletzungen seien unter Kindern durchaus sozialadäquat, zumal der Umgang ohnehin ruppig gewesen sei. Schädigungsfolgen hieraus seien ebenfalls nicht erkennbar. Bezüglich des Vorfalls, als der Bruder der Klägerin T. eine Glastür in der Wohnung zerschlagen habe, lasse sich ein vorsätzliches Handeln des Bruders bzgl. einer Verletzung zu Lasten der Klägerin nicht belegen. Auch seien Schädigungsfolgen hieraus ab dem Leistungszeitpunkt nicht erkennbar. Sexuelle Übergriffe durch den Bruder der Klägerin seien nicht glaubhaft gemacht. Die Schilderung sei knapp ohne Einzelheiten, Gefühlsangaben oder räumliche Einordnung erfolgt. Einer Befragung der Mutter der Klägerin oder des Beschuldigten habe die Klägerin nicht zugestimmt, so dass eine Aufklärung sowie eine Glaubhaftmachung im Sinne des § 15 KOV-VfG nicht erfolgen könne. Die geltend gemachten sexuellen Kontakte zu dem Halbbruder A. würden - die Angaben der Klägerin zugrunde gelegt - keinen Gewalttatbestand im Sinne des OEG erfüllen. Die Klägerin sei nach ihren Angaben zum Zeitpunkt der Vorfälle 14 oder 15 Jahre alt gewesen. Sie habe in ihrer Aussage weder eine Gewaltanwendung noch eine Bedrohungssituation oder das Ausnutzen einer schutzlosen Lage beschrieben. Der Tatbestand der Vergewaltigung sei daher nicht glaubhaft gemacht. Der gewaltlose sexuelle Missbrauch von Kindern, die das 14. Lebensjahr vollendet hätten, erfülle nicht die Voraussetzungen einer Gewalttat im Sinne des OEG. Ebenso wenig seien weitere Tatbestände nach dem OEG durch den Halbbruder A. belegt. Eine feindselige Willensrichtung lasse sich bei dem Halten an der Gürtelschlaufe der Jeans der Klägerin an der G.-Brücke nicht erkennen.
Unter dem 01.12.2020 hat die Klägerin gegen den Bescheid des Beklagten Widerspruch eingelegt. Die Annahme, dass die bei der Klägerin vorliegenden gesundheitlichen Störungen seien nicht auf das schädigende Ereignis zurückzuführen, würde nicht den Tatsachen entsprechen. Grundlage dieser in der Folge der Schädigungen aufgetretenen gesundheitlichen Schäden seien zweifelsfrei die Missbrauchshandlungen, die die Klägerin habe erleiden müssen. Die sexuellen Übergriffe seien über das Jahr 1976 hinaus gegangen. Die Klägerin könne den Zeitraum der Übergriffe in ihrer Erinnerung sehr gut eingrenzen. In den ersten Jahren sei die Klägerin noch zusammen mit ihren beiden Freundinnen S. und U. zu Herrn S. gegangen. Die ein Jahr ältere U. sei im Jahr 1976 auf das Gymnasium gekommen und dann aus Zeitgründen nicht mehr zu Herrn S. gegangen, weil sie so viel habe lernen müssen. Die Freundin S. und die Klägerin seien weiterhin gemeinsam zu Herrn S. gegangen. Etwa ein Jahr später sei auch S. nicht mehr mitgegangen und die Klägerin sei dann noch eine geraume Zeit allein zu Herrn S. gegangen. Die besondere Bedeutung, die das Vertrauensverhältnis zu Herr S. für die Klägerin gehabt habe, nachdem sie aufgrund der jahrelangen Gewalterfahrung in der eigenen Familie zu deren Mitgliedern eine adäquate Bindung nie aufbauen haben könne, sei nicht festgestellt worden. Demzufolge auch nicht die schweren Folgen, die es für die Klägerin gehabt habe, dass gerade diese Bezugsperson, zu der sie im Gegensatz zu den Mitgliedern ihrer Familie eine Bindung habe aufbauen können, ihr Vertrauen in so gravierender Weise missbraucht habe. Erst in der Folge der Ereignisse mit Herrn S. habe die Klägerin Probleme im Umgang mit nackten Menschen entwickelt und selbst nicht mehr ertragen können, sich unbekleidet zu zeigen. Erst in der Folge der Übergriffe durch Herrn S. sei für die Klägerin, die bis dato gehabte Vorstellung, ein normales Familienleben mit einer Partnerschaft und Kindern aufbauen zu können, undenkbar geworden. Bei dem Ereignis im Jahr 2000 in der psychosomatischen Klinik in  B.    sei eine Retraumatisierung genau im Hinblick auf die Ereignisse mit Herrn S. erfolgt. Entscheidende Rolle für die weitere Entwicklung betreffend der gesundheitlichen Störungen der Klägerin habe gerade die Störung der Bindung gespielt, die die Klägerin zu Herrn S. entwickelt habe, wohingegen zu den Mitgliedern ihrer Familie hier eine solche Bindung überhaupt nie entstanden sei.
Mit Widerspruchsbescheid vom 19.07.2021 hat der Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurückgewiesen. Aus dem im Jahr 2007 in dem sozialgerichtlichen Verfahren S 15 VG 11/03 erstellten Gutachten sei ersichtlich, dass es damals um die Bedeutung eines einmaligen Vorfalles (sexuelle Nötigung) durch einen Mitpatienten gegangen sei. Damals habe Herr Dr. H. vor dem Hintergrund aller psychosozialen Belastungsfaktoren - einschließlich des jetzt geltend gemachten Missbrauchs - keine Kausalität feststellen können, da eine Zurückführung auf einzelne Faktoren, insbesondere auf ein einmaliges Erlebnis nicht möglich sei. Für das aktuelle Gutachten des Herrn Dr. H. spiele das im Jahr 2000 erstellte Gutachten daher keine Rolle, da nun die Zusammenhangsfrage bzgl. eines größeren Belastungskomplexes zu beantworten gewesen sei. Nach gutachterlicher Würdigung erscheine der Einfluss des geltend gemachten Missbrauchs durch Herrn S. auf das aktuelle Erleben eher gering. So werde nicht über subjektiv traumatisierend erscheinende Inhalte berichtet. Es sei nur eine geringe Affektreaktion erfolgt. Nach gut nachvollziehbarer fachpsychiatrischer Bewertung seien allein die schädigungsfremden schwersten dysfunktionalen Bedingungen in der Herkunftsfamilie geeignet die nun vorhandene psychische Störung hervorzurufen.
Unter dem 13.08.2021 hat die Klägerin hiergegen Klage erhoben. Die Folgen des sexuellen Missbrauches hätten sich während der Teenagerzeit der Klägerin gezeigt. Die Klägerin habe keine Beziehungen zu einer Freundin oder einem Freund aufbauen können, körperliche Annäherungen wie Küssen, Ausziehen etc. habe die Klägerin als ekelhaft empfunden. Die Klägerin habe während der Pubertät eine Magersucht entwickelt und dauerhaft nur Flüssignahrung zu sich nehmen können. Der Abschluss von Schule und Ausbildung hätten die Klägerin bis an die Grenzen ihres Leistungsvermögens gebracht. Die Klägerin habe sich in Ausbildung und Arbeit gestürzt, anstatt soziale Beziehungen aufzubauen, wozu sie nicht in der Lage gewesen sei. Die Klägerin habe Zwänge entwickelt wie einen Wasch-, Dusch- und Putzzwang. Die ständige berufliche Überforderung bei anhaltender Magersucht und anhaltenden Zwangsproblemen hätten schließlich dazu geführt, dass die Klägerin ein Burn-out entwickelt habe, der zu dem ersten und in der Nachfolge weiteren stationären Klinikaufenthalten geführt habe. Anlässlich dieser Klinikaufenthalte seien bei der Klägerin eine komplexe posttraumatische Belastungsstörung sowie Angst- und Panikattacken festgestellt worden. Die Klägerin habe anhaltend soweit es ihr möglich gewesen sei, näheren Umgang mit erwachsenen Personen gemieden. Die Klägerin leide bis heute unter Flashbacks, bei denen sie verschiedene sexuelle Handlungen oder sexuelle besetzte Situationen mit Herrn S. durchlebe. Die Klägerin vermeide die Dunkelheit, weil sich ihre Angstzustände dadurch verstärken würden. Besonders meide die Klägerin, in der Dunkelheit Menschen zu begegnen. Die Klägerin sei wiederholt von Suizidgedanken geplagt und habe auch bereits Suizidversuche unternommen, die allerdings schon länger zurückliegen würden. Auch passiere es der Klägerin immer wieder, dass sie sich an einem Ort finde, jedoch nicht erinnern könne wann und wie sie dorthin gekommen sei. Die Klägerin leide in der Folge der sexuellen Missbrauchserfahrungen mit Herrn S. darunter, dass ihre fehlende Beziehungsfähigkeit es ihr unmöglich gemacht habe, eine Familie zu gründen und Kinder zu bekommen. Besonders zu schaffen mache es der Klägerin immer noch, dass sie gerade aufgrund von Gewalterfahrungen im eigenen Elternhaus zu Herrn S., der immer äußerst nett und aufmerksam zu ihr gewesen sei, ein besonderes Vertrauensverhältnis entwickelt habe, dass dieser zu seiner sexuellen Befriedigung missbraucht habe. Der Beklagte stütze sich auf ein Sachverständigengutachten des Sachverständigen Dr. Harald H. vom August 2020. Diese Einschätzung des Gutachters sei nicht zutreffend. Die beschriebenen Störungen habe die Klägerin keineswegs schon in der Kindheit entwickelt, sondern erst in der Folge der mehrjährigen Missbrauchserfahrungen mit Herrn S.. Die Tatsache, dass die Klägerin ihre sozialen Kontakte sowohl zu Mädchen/Frauen als auch Jungen/Männern in der Folge dieser Missbrauchserfahrungen abgebrochen oder gar nicht erst aufgebaut habe, dass der erste Suizidversuch in der Folge der Missbrauchshandlungen stattgefunden habe, dass der Klägerin körperliche Nähe Ekel verursache etc. seien nach Auffassung der behandelnden Ärzte keineswegs auf die Gewalterfahrungen in der Familie zurückzuführen, sondern sowohl vom Inhalt der Störungen als auch von der zeitlichen Abfolge her auf den sexuellen Missbrauch zurückzuführen. Dieser Zusammenhang sei vom Sachverständigen missachtet worden, weshalb seine Einschätzung und darauf folgend die Entscheidungen des Beklagten unzutreffend seien.
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 30.10.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.7.2021 zu verurteilen, der Klägerin nach dem 01.10.2015 Beschädigtenversorgung zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
                        die Klage abzuweisen.
Das Gericht hat weitere Befundberichte beigezogen und Frau Dr. R1 mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. Im Rahmen der Beweisanordnung hat das Gericht den mehrfachen sexuellen Missbrauch der Klägerin durch Herr R. S. im Zeitraum 1973 bis 1976 sowie den sexuellen Missbrauch durch einen Mitpatienten am XX.XX.2000 als Anknüpfungstatsache angegeben.
Die Gutachterin kommt in ihrem Gutachten vom 03.05.2022 zu dem Ergebnis, dass die Klägerin bereits in früher Kindheit eine Verhaltens- und emotionale Störung auf dem Boden einer reaktiven Bindungsstörung mit Beginn in der Kindheit und Jugend (F92, F94.1) entwickelt habe, die im Erwachsenenalter in eine emotional-instabile Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ (ICD 10 F603) mit zusätzlich hypersensitiven bzw. ängstlich-vermeidenden Persönlichkeitszügen (F606) übergegangen sei. Zudem lägen eine Atypische Anorexia nervosa (ICD 10 F501) sowie eine - Somatoforme Schmerzstörung mit physischen und psychischen Faktoren (F 45.41) vor. Auf somatischem Gebiet bestünden mehrere degenerative Erkrankungen des Halte- und Bewegungsapparates, chronische Gastritis, Hautekzem sowie Migräne. Diese Gesundheitsstörungen wären auch ohne das schädigende Ereignis aufgetreten. Nach dem Ereignis seien entschädigungsunabhängig weitere gesundheitliche Entwicklungen eingetreten. In der Pubertät habe die Klägerin eine Anorexia nervosa sowie ein Suchtmittelmissbrauch, im Erwachsenenalter eine emotional-instabile Persönlichkeitsstörung vom Borderlinetyp mit hypersensitiven Zügen, ab circa 1998 eine rezidivierende depressive Störung und eine Somatisierungsstörung, entwickelt. Der GdB ist für die gesamte psychische Problematik mit 70 einzuschätzen. Schädigungsfolgen in Bezug auf die beurteilungsrelevante Tat würden sich nicht abgrenzen lassen. Somit könne auch kein GdS festgestellt werden. Die Klägerin sei als drittes Kind neben zwei älteren Brüdern aufgewachsen. Der Vater habe die Familie bereits während der Schwangerschaft oder - die Angaben hierzu würden differieren - im Säuglingsalter der Klägerin verlassen. Aus den Akten und aktuellen Angaben gehe hervor, dass die Klägerin unerwünscht, ungeliebt und benachteiligt gewesen sei. Sie habe weder genug Nahrung noch genug emotionale Fürsorge erhalten im Sinne körperlicher und emotionaler Deprivation und sei zudem von frühester Kindheit an seelischer, körperlicher und sexueller Gewalt innerhalb der Familie ausgesetzt gewesen. Die Klägerin habe ihre Mutter als überfordert, depressiv und aggressiv beschrieben. Die Mutter habe die Klägerin mit Kochlöffeln und Schürhaken geschlagen, eingesperrt und sei zudem auch sexuell übergriffig gewesen, indem sie den Stiel einer Haarbürste in sie eingeführt und sie an den Brüsten berührt habe. Zu einem ersten nachgewiesenen und für dieses Gutachten beurteilungsrelevanten sexuellen Missbrauch sei es im Alter von ca. 7 bis 9 Jahren durch einen Nachbarn gekommen, der die Klägerin und ihre Freundin zunächst mit pornographischen Material überfordert habe, sich schließlich vor der Klägerin nackt gezeigt und geduscht habe und das Kind aufgefordert habe, ihn am Geschlecht zu waschen. Zudem habe er ihr gemäß der aktuellen Aussage in die Hose gegriffen und sie an ihrer Scham berührt. Schließlich habe das Einschreiten einer aufmerksamen Erzieherin, die im selben Haus gelebt, den Taten ein Ende gesetzt. Des Weiteren sei es gemäß wiederholter Angaben der Klägerin zu sexuellen Übergriffen durch beide älteren Brüder gekommen, wobei diese juristisch nicht verfolgt und versorgungsrechtlich nicht anerkannt worden seien. Gemäß der aktuellen Aussage sei es im Alter von 13 Jahren zu einer Vergewaltigung durch den Bruder T. und mit 15 Jahren zu einer weiteren durch den Bruder A. gekommen. Die Angaben zu den Übergriffen durch T. seien nicht konsistent. Während die Klägerin früher nur von Vergewaltigungen durch A. berichtet habe, habe sie aktuell die Details einer Vergewaltigung durch T. geschildert, der sie dabei auch mit einem Messer bedroht habe. In der gutachterlichen Untersuchung bei Dr. O. habe sie von analer Vergewaltigung durch den Bruder berichtet. Der älteste Bruder A. sei an einer Überdosis Heroin verstorben. Dessen Tod und die Todesumstände hätten die Klägerin gemäß ihres aktuellen Berichts nachhaltig beeinträchtigt, erst die von ihrem Therapeuten Herrn G. durchgeführte traumatherapeutische Intervention des EMDR habe die ständigen Geruchswahrnehmung aus einer Mischung von Heroin und Verwesung beseitigen können. Zudem habe die Klägerin fortgesetzte Gewalterfahrungen durch die Mutter geschildert, die sie mit Gegenständen geschlagen und auch in der Pubertät sexuell missbraucht habe. Hierüber sei aus den Akten mehr zu erfahren als in der aktuellen Untersuchung, in der die Klägerin sogar gegen Ende der Untersuchung Beschreibungen über die Gewalt der Mutter eher zurückgenommen habe in Betonung der Vorfälle durch den Nachbarn. In jedem Fall sei die Situation für die jugendliche Klägerin zuhause so unerträglich, dass sie l6-jährig beim Jugendamt Zuflucht gesucht habe, anschließend in einem Mädchenwohnheim und dann bei einem Bekannten gelebt habe. Trotz der Belastungen habe die Klägerin erfolgreich die Haupt- und Realschule absolviert und Ausbildungen zur Kinderpflegerin und dann Erzieherin erfolgreich abschließen können. Darüber hinaus habe sie von ihrem 16. Lebensjahr bis zu ihrem 29. Lebensjahr nebenher in der Gastronomie gearbeitet, sowohl als Bedienung als auch in der Küche. In ihrem erlernten Beruf habe sie durchgehend gearbeitet, bis sie 1999 erstmalig aufgrund einer "Burnout"-Symptomatik im Rahmen beruflicher Belastungen in stationäre Behandlung gekommen sei. In den Briefen aus  B. werde neben einer schweren depressiven Symptomatik mit Suizidalität auf eine Beziehungsproblematik, u.a. in Form mangelnder Bündnisfähigkeit der Klägerin hingewiesen sowie autoaggressives Verhalten. Anfang 2000 sei in der Klinik  B. eine depressive Persönlichkeitsentwicklung mit strukturellen Defiziten und aggressiven Mechanismen mit Selbstverletzungsimpulsen, Z.n. zwei Suizidversuchen und Essstörung diagnostiziert worden, sowie im darauf folgenden Aufenthalt eine emotional- instabile Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ. Im April 2000 sei es während einer weiteren stationären Behandlung zu einem sexuellen Übergriff durch einen Mitpatienten gekommen, woraufhin die Klägerin aufgrund der Äußerung von Suizidgedanken vorübergehend geschlossen stationär behandelt werden habe müssen. Das Verhalten nach der Tat in der Klinik könne hierbei nicht eindeutig allein dem sexuellen Übergriff durch den Mitpatienten zugeordnet werden. Entsprechend ihrer aktuellen Schilderungen habe eine erhebliche Kränkung zum Verhalten der Klägerin beigetragen, insofern ihre Bezugstherapeutin abwesend gewesen sei und ihr ein Gespräch mit einer Therapeutin ihrer Wahl ihr verwehrt worden gewesen sei. Schließlich zeige die Ankündigung, wegen Suizidvorhaben entlassen werden zu wollen, zudem einen ausgesprochen appellativen Charakter. Dieses Verhalten könne gemäß der aktuellen Schilderungen als Ausdruck von Beziehungskonflikten im klinischen Setting verstanden werden und sei in Zusammenhang mit der allgemeinen Beziehungsproblematik von Borderline-Persönlichkeitsstrukturen zu sehen. Darüber hinaus habe die Klägerin offensichtlich bereits vor dem Übergriff Suizidgedanken gehabt, und zwar im Kontext mit einem erheblichen Arbeitsplatzkonflikt. Es seien anschließend weitere zahlreiche psychiatrische Behandlungen notwendig geworden, eine kontinuierliche Arbeitstätigkeit habe nicht mehr hergestellt werden können. Seit 2004 beziehe die Klägerin Erwerbsminderungsrente. Sie arbeite ehrenamtlich in der Betreuung autistischer Kinder, kümmere sich um ihre pflegebedürftige an Demenz erkrankte Mutter und gehe regelmäßig musikalischen und sportlichen Aktivitäten nach. Im Rahmen der Diagnosen-Auflistung der Krankenkasse würden 1999 die Diagnose chronische Depression bei Konfliktsituation in der Kindheit, 2002 zusätzlich Dysthymia, Reaktion auf schwere Belastung und Anpassungsstörung, Multipler Substanzgebrauch sowie Somatisierungsstörung erscheinen. In den weiteren zahlreichen Befundberichten würden immer wieder diese Diagnosen erscheinen, zusätzlich teilweise Angst- und Zwangsstörung sowie dissoziative Störung. In der Klinik  O. (12.02.2002) sei darüber hinaus eine frühe Objektbeziehungsstörung im Sinne der beschriebenen Bindungsstörung beschrieben. In den Entlassungsbriefen der Klinik  B., wo die Klägerin am längsten und häufigsten gewesen sei, würden regelmäßig die Diagnosen der Borderlinestörung und der Depression geschildert, jedoch keine posttraumatische Belastungsstörung. Eine solche werde erstmals 2001 von der A.-klinik diagnostiziert, wobei die Diagnose im Wesentlichen auf den anamnestischen Angaben der Klägerin beruhe. Die Diagnose werde in den folgenden Berichten immer wieder übernommen, wobei weder das konkrete Trauma als Eingangskriterium spezifiziert noch die erforderlichen Symptomkriterien im konkreten Befund dargelegt werden würden. Der langjährige Psychotherapeut der Klägerin, Herr G., habe zudem eine chronifizierte "komplexe" posttraumatische Belastungsstörung bei Schilderung von Flashbacks, Albträumen psychosomatischen Reaktionen diagnostiziert, wobei eine genaue Darstellung und Inhalte der Flashbacks und der Albträume fehle. Die Darstellung, dass die Klägerin im Rahmen geschlossen-psychiatrischer Aufenthalte sekundären Traumatisierungen ausgesetzt gewesen sei, könne nicht nachvollzogen werden und zeige eine inflationäre Verwendung des Begriffs von Traumatisierung. Jedoch verweise auch Herr G. auf die andauernde intra- und interpersonelle Beziehungsstörung, die mit Wahrscheinlichkeit von früher Kindheit an bestehen würde und im Rahmen der Gesamtwürdigung als wesentlich für die psychische Problematik der Klägerin erscheine. Erwähnenswert erscheine die Einschätzung der Gutachters Dr. W. vom 26.07.2004, der zum einen eine erhebliche Neurotisierung in Kindheit und Adoleszenz sowie fehlende stabile Persönlichkeit und Belastungsfähigkeit beschreibe sowie mangelnde soziale Anpassungsfähigkeit mit sensibler Misstrauenshaltung und darauf hinweise, dass die Fixierung an die psychoanalytische Traumatherapie hinderlich sei, so dass die Klägerin andere Maßnahmen nicht ausnutze. Die Diagnose des Gutachters Dr. M. vom 18.09.2017 der dissoziativen Identitätsstörung auf dem Boden einer komplexen posttraumatischen Belastungsstörung könnte nicht nachvollzogen werden. Zum einen seien die im Rahmen jener Untersuchung gemachten Angaben, z.B. das Fehlen der Erinnerung an wesentliche Teile ihrer Kindheit und Jugend, nicht zu bestätigen, vielmehr habe die Klägerin in vielen anderen Untersuchungen durchaus umfängliche Informationen zu dieser Zeit angegeben. Zum anderen lasse der konkret erhobene Befund des Gutachters keine spezifischen Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung erkennen, vielmehr werde eine depressive Symptomatik beschrieben. Auch die genannten Ängste würden allein auf den Schilderungen der Klägerin gründen, nicht auf konkreten Beobachtungen. Bemerkenswert erscheine des Weiteren die Aussage der Klägerin, dass sie sich in ihrer Kindheit nie wohl gefühlt und große Ängste gehabt habe, da alles sehr unsicher und unberechenbar gewesen sei. lm Gutachten von Dr. O. vom 04.06.2004 würden Gewalterfahrungen durch Mutter und Brüder noch deutlicher dargestellt. In seinem Gutachten habe Dr. O. zwar eine schwere psychiatrische Symptomatik mit einer Vielzahl von Symptomen mit Depressionen, Ängsten, Zwängen und Selbstverletzungen feststellen können, jedoch eine Borderline-Störung und keine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert. In der aktuellen Untersuchung sei die Klägerin insgesamt offensichtlich weniger auffällig als bei der vorangegangenen Begutachtung erschienen. Sie habe trotz anhaltenden Tränenflusses geordnet und nachvollziehbar berichten können. Die Vorgeschichte habe an der Diagnose einer Borderline-Persönlichkeitsstörung keine Zweifel gelassen, wobei aus aktueller Sicht sowohl die dissoziativen Symptome als auch die (sexuelle) Identitätsstörung im konkreten Fall als zugehörige Symptome verstanden werden könnten. Im Untersuchungsverlauf sei aufgefallen, dass die Klägerin gegen Ende der Untersuchung nachträglich Belastungsfaktoren verdeutlicht habe, was dann teilweise zu gegensätzlichen Angaben geführt habe. So habe sie im Rahmen der zunächst erfolgten Alltagsschilderung angegeben, dass sie ihr Leben gut organisiert und im Griff habe und im Grunde auch zufrieden sei, am Ende der Exploration jedoch deutlich ihren Lebensüberdruss formuliert und mehrfach betonte, dass ihr Leben eigentlich keinen Sinn habe, weil sie keine Kinder habe. Diese Darstellung habe ebenso einseitig-plakativ wie appellativ gewirkt. Auch seien die Angaben zum Verhältnis ihrer Mutter unterschiedlich gewesen: zu Beginn der Untersuchung habe die Klägerin beschrieben, dass ihre Mutter ihr gegenüber gefühlskalt gewesen sei und seelische, körperliche und auch sexuelle Gewalt angewendet habe. Als es um die Abwägung der Schwere der Taten gegangen sei, habe die Klägerin am Ende der Untersuchung versucht, die Gewalterfahrungen durch die Familienangehörige zu marginalisieren und das Verhältnis untereinander als annähernd normal zu beschreiben. So habe sie von der Vergewaltigung durch den Bruder T. erst auf Nachfrage berichtet und sei nicht weiter darauf eingegangen, bei der Tat durch den Bruder A. habe sie dessen Verhalten sogar sehr deutlich entschuldigt. Hingegen habe sie die Auswirkungen der sexuellen Missbrauchserlebnisse durch den Nachbarn hervorgehoben, ebenso durch den Mitpatienten im April 2000 und selbst den Großteil ihrer Symptome darauf zurückgeführt; aktuell vor allem die Tatsache ihrer Kinderlosigkeit und der daraus vermeintlich resultierenden Sinnlosigkeit ihres Lebens. Der konkrete psychopathologische Befund zum aktuellen Untersuchungszeitpunkt lasse in Form ausgeprägten Weinens eine depressive Symptomatik als vorrangiges Symptomatik beobachten, wobei dies auch Ausdruck der sensitiven Persönlichkeit sein könne, da ein schwerer depressiver Affekt sich in der Gegenübertragung nicht widerspiegelt habe. Zudem scheine die Klägerin in ihrer Alltagsgestaltung durch depressive Symptome mittlerweile kaum beeinträchtigt zu sein. Hinweise für intrusives oder dissoziatives Erleben hätten sich nicht gefunden. Die Schilderung der Alltags- und allgemeinen Lebensgestaltung lasse aktuell eine angemessene Bewältigung und Beschäftigung mit durchaus vorhandener Gestaltungs- und Erlebnisfähigkeit, so in der Natur und im Posaunenchor sowie in Form ehrenamtlichen Engagements erkennen. Weder dissoziative Symptome noch übermäßige Angstsymptome seien geschildert worden, zudem pflege die Klägerin offensichtlich durchaus soziale Kontakte, wenn auch bevorzugt in bekannter Umgebung. Diagnostisch könnten neben der Borderline-Persönlichkeitsstörung sensitive Persönlichkeitszüge im Sinne einer in der ICD-10 als ängstlich-vermeidenden Persönlichkeitsstörung (F606) beschrieben werden, auf deren Basis sich eine rezidivierende depressive Störung entwickelt habe. Zudem könnten das Vorliegen einer somatoformen Schmerzstörung sowie Benzodiazepinmissbrauch bestätigt werden. Funktionelle Beeinträchtigungen seien im Rahmen der Alltagsschilderung nur bedingt erkennbar. Die Klägerin unternehme regelmäßig Aktivitäten wie die Teilnahme an Posaunenchören und Auftritten, ehrenamtliches Engagement und mehrmals wöchentlich mehrere Stunden dauernde Besuche und Beschäftigung mit der dementen Mutter. Zudem könne die Klägerin weitere positive Aktivitäten wie Ausflüge in die Natur und zu einer Freundin unternehmen. Bezüglich ihrer Beschäftigung mit den zahlreichen Rechtsverfahren sei bei Durchsicht der Akten festzustellen, dass sie vorliegende Befunde häufig kritisch durchlese und korrigierend kommentiere. Darüber hinaus sei sie in der Lage, fast sthenisch Eigeninteressen zu vertreten, indem sie z.B. regelmäßig Widersprüche gegen behördliche Bescheide einlege und verbal begründe. Offensichtlich habe die Berentung langfristig zu einer Beruhigung der psychischen Belastung geführt, so dass die Klägerin ohne Hilfsmittel oder -personen ihren Alltag durchaus sinnvoll und ausfüllend gestalten könne, dabei zudem andere Menschen unterstützen könne. Die langjährigen therapeutischen Gespräche mit Herrn G. würden sicherlich stabilisierend wirken, wobei diese gemäß der Schilderungen der Klägerin mittlerweile vor allem alltägliche Probleme zum Gegenstand haben würden. Eine psychopharmakologische Behandlung erscheine nicht notwendig. Die ihr zustehenden Rehabilitationsbehandlungen nehme die Klägerin regelmäßig wahr, ohne dass mittlerweile eine akute Indikation für stationäre Behandlung bestünde. Im Rahmen der aktuellen Untersuchung habe die Klägerin berichtet, dass Herr S. ihr auch in die Hose gegriffen und sie berührt habe. Im Entlassbrief der Klinik  B. vom 27.04.2000 sei wiedergegeben worden, dass der Nachbar ihr pornographische Schriften gezeigt und sich dabei vor ihr ausgezogen und masturbiert habe, jedoch kein körperlicher Missbrauch stattgefunden habe. Die Klägerin sei gemäß der vorliegenden Angaben bis zum Schluss freiwillig und gern zu dem Täter gegangen, trotz Verbot der Mutter, da der Täter sie mit Süßigkeiten, Komplimenten und Spielen verführt habe. Angst der Klägerin vor den Besuchen werde an keiner Stelle berichtet. Im Unterschied zu anderen Fällen kindlichen Missbrauchs, bei denen das Kind keine Möglichkeit habe, sich den Gewalttaten zu entziehen und in einem solchen Kontext der Ausweglosigkeit psychische Dissoziation eine Möglichkeit des psychischen Überlebens darstelle, werde im konkreten Fall jedoch an keiner Stelle berichtet, dass die Klägerin genötigt oder gezwungen worden wäre, zu dem Nachbarn zu gehen. Sie schien offensichtlich nie Angst vor den Kontakten mit ihm gehabt zu haben. Auch andere psychische Reaktionen auf die Erlebnisse könnten nicht herausgearbeitet werden. Im Rahmen der aktuellen Untersuchung habe die Klägerin geschildert, dass sie die Bilder komisch gefunden hätte. Den Bericht über das Zusehen beim Duschen und den Griffen in ihre Strumpfhose habe sie ohne besondere emotionale Beteiligung oder Zeichen vegetativer Erregung geschildert. Affektiv unbeteiligt habe sie Fragen zu den Berührungen durch Griff in die Strumpfhose geschildert und dass sie sich nicht daran erinnern könne, ob der Nachbar mit dem Finger in ihre Schiede gelangt habe. Ohne dass durch diese Feststellung die Schwere der Tat in Abrede gestellt werde, bleibe festzuhalten, dass konkrete Auswirkungen im Sinne eines psychischen Erstschadens nicht nachgewiesen werden können. Nach Ende der Taten sei die Klägerin wieder anderen Freizeitbeschäftigungen nachgegangen und habe ihre schulische Laufbahn ohne Brüche, vielmehr durchaus zielstrebig absolviert. Der Missbrauch habe aufgrund der Intervention einer Erzieherin geendet. Das daraufhin beginnende Ermittlungsverfahren schien sehr belastend für die Klägerin gewesen zu sein, zumal die Mutter ihr deswegen gemäß aktueller Aussage erhebliche Vorwürfe gemacht habe. Inwieweit der geschilderte darauffolgende Suizidversuch (Plan, sich vor einen Zug zu werfen) tatsächlich auf das Leiden an den Missbrauchserfahrungen oder auf die Umstände des Ermittlungsverfahrens zurückzuführen sei, könne nicht sicher rekonstruiert werden. lm Raum stünden auch Behauptungen der Erzieherin, die an der Klägerin nicht weiter zu konkretisierende Veränderungen beobachtet habe, darüber hinaus habe die Klägerin gemäß ihrer aktuellen Angaben nach dem Missbrauch durch Herrn S. vermehrt Ängste entwickelt. Die Klägerin habe nach Ende des Missbrauchs in jedem Fall unverändert die Schule besucht, ohne dokumentierte Leistungseinbrüche und sich vor allem vermehrt wieder anderen Freizeitbeschäftigungen wie Fußballspielen, Schwimmen und musikalischen Aktivitäten gewidmet. Schließlich habe die Klägerin in der Pubertät eine klinisch relevante Essstörung entwickelt und selbstverletzendes Verhalten in Form von Ritzen und Selbstverbrennungen durch Zigaretten begonnen, darüber hinaus habe süchtiges Verhalten eingesetzt. Grundsätzlich sei der sexuelle Missbrauch in dem kindlichen Alter geeignet, die psychosexuelle Entwicklung eines Mädchens empfindlich zu stören. Allein die Tatsache, dass viele andere Belastungsfaktoren vorliegen, dürfe nicht zur Unterschätzung der schädigenden Auswirkungen einer solchen Tat verleiten. Die Angaben bezüglich der Beobachtungen der Erzieherin könnten nicht ausreichend konkretisiert werden, und die heute angegebenen Ängste könnten kaum belegt werden, insbesondere da es nach den Taten keinen erkennbaren Verhaltensaufälligkeiten gegeben habe. In der Pubertät habe die Klägerin begonnen zu rauchen, Alkohol zu trinken und Cannabis zu konsumieren, habe 13-jährig begonnen, sich mit dem Messer zu ritzen und in selbstschädigender Weise Zigaretten an den Unterarmen auszudrücken. Darüber hinaus habe die Klägerin in dieser Zeit offensichtlich eine Essstörung im Sinne einer Anorexia nervosa entwickelt, ihr niedrigstes Gewicht habe bei 38 kg bei einer Körpergröße von 160 cm gelegen, was einen BMI von 14,8 entspreche und damit erhebliches Untergewicht ergebe. Eine kinder- oder jugendpsychiatrische Behandlung sei jedoch zu keiner Zeit erfolgt. Diese selbstschädigenden Verhaltensweisen (Essstörung, Selbstverletzungen, Alkohol und Drogenmissbrauch Alkohol und weiteren Substanzmissbrauch) hätten sich mit Wahrscheinlichkeit angesichts der Vorschädigung auch ohne den sexuellen Missbrauch entwickelt. Die sich in der Pubertät manifestierende Essstörung sei mit Wahrscheinlichkeit bereits in der Kindheit vorhanden gewesen, beginnend als Gesundheitsstörung, vor allem psychodynamisch in Zusammenhang mit den geschilderten psychischen Gewalterfahrungen durch die Mutter, die unter anderem die Klägerin gezwungen habe, von den Brüdern erbrochene Nahrung zu essen. Die Essstörung sei somit nicht kausal auf das beurteilungsrelevante schädigende Ereignis zurückzuführen. Der ursächliche Faktor, der wesentlich zu der Borderline-Persönlichkeitspathologie geführt habe, finde sich bereits in der frühkindlichen Entwicklung der Klägerin. Neben der dargelegten äußeren Biografie sei zur inneren Entwicklung festzuhalten, dass die Klägerin bereits als Säugling offensichtlich eine Gesundheitsstörung gezeigt habe und von der Mutter nicht adäquat versorgt worden sei. Die fehlende emotionale Zuwendung beim Mangel an vertrauensvollen Bezugspersonen, wiederholte, unberechenbare Schläge der Mutter und zugefügte Verletzungen durch einen Schürhaken hätten zu einer Bindungsstörung mit struktureller Beeinträchtigung der Persönlichkeit einschließlich der psychosexuellen Entwicklung des Kindes geführt. Die damit verbundenen erheblichen Probleme in der Selbstwahrnehmung und Beziehungsgestaltung hätten in die Borderline-Pathologie gemündet. Im Rahmen der aktuellen Exploration habe die Klägerin geschildert, dass sie bereits als Kind Probleme mit Berührungen gehabt habe und zu zurückgezogenem, stillen Verhalten geneigt habe. Durch die gesamte Kindheit habe offensichtlich ein auffälliges Essverhalten in Form von unzureichender, einseitiger und unregelmäßiger Ernährung bestanden, zumal es ab der Grundschulzeit der Probandin offensichtlich keine regelmäßigen warmen Mittagsmahlzeiten gegeben habe. Ebenso sei die sexuelle Identitätsstörung mit Wahrscheinlichkeit bereits in frühen Jahren angelegt gewesen und nicht wesentlich auf den sexuellen Missbrauch durch den Nachbarn zurückzuführen. Auch in den aktenkundigen Arztberichten würden die pathologischen frühkindlichen Beziehungsmuster dargestellt. Die Klägerin sei lebenslang von der als schwach und unselbstständig geschilderten Mutter überfordert worden, die die Klägerin für ihre Bedürfnisse missbraucht habe, ohne die Bedürfnisse des Kindes wahrzunehmen oder gar zu stillen. Familiendynamisch habe die Klägerin hier offenbar eine Partnerersatzfunktion innegehabt, was auch in der relativ unsicheren Geschlechtsidentität (betont burschikoser Habitus) erkennbar werde. Der destruktive Umgang mit dem eigenen Körper sei auf dieses frühkindlichen Beziehungsmuster zurückzuführen. In den vorliegenden Arztberichten werde eine Persönlichkeitsentwicklung mit strukturellen Defiziten und autoaggressiven Mechanismen, somit eine sogenannte frühe Störung, beschrieben. Hierunter würden psychische Störungen verstanden, die bereits in der frühen Mutter-Kind-Bindung entstanden seien aufgrund früher traumatischer Erfahrungen des Säuglings- und Kleinkindes sowie durch verschiedenste Formen der frühkindlichen Vernachlässigung. Sie würden in der Schwangerschaft und im Säuglingsalter beginnen und stünden dann in einem Zusammenhang mit Schwierigkeiten in der Bindungsentwicklung zwischen Eltern und Kind. Die Kinder könnten verschiedene Symptome wie Depressionen und Verhaltensauffälligkeiten aufweisen, später würden sich häufig Persönlichkeitsstörungen und süchtiges Verhalten zeigen. Darüber hinaus seien bei der Klägerin genetische Faktoren sowohl für die Entwicklung der Borderlinestörung als auch der depressiven Störung anzunehmen, insofern sowohl der Vater der Klägerin mit hoher Wahrscheinlichkeit an Depressionen gelitten habe als auch die Mutter schwere Verhaltensauffälligkeiten gezeigt habe, die das Vorliegen einer schweren Persönlichkeitsstörung sowie einer affektiven Störung vermuten lassen würden. Der Drogentod des Bruders sowie die Tatsache, dass die damals 15-jährige Klägerin mit den Todesumstände intensiv konfrontiert gewesen sei, würden einen weiteren Belastungsfaktor darstellen. Im Rahmen der aktuellen Untersuchung habe die Klägerin beim Bericht über diesen Schicksalsschlag die stärkste emotionale Beteiligung gezeigt. In der aktuellen Exploration sei für die Klägerin als mittlerweile wesentliches Problem ihre Partner- und Kinderlosigkeit in den Vordergrund gerückt. Sie habe betont, dass ihr Leben deswegen keinen Sinn mache. Sie habe wiederholt auf einen Zusammenhang zwischen dem sexuellen Missbrauch im Kindesalter und mangelndem Interesse für Jungen oder Männern hingewiesen. Ein vermindertes sexuelles Verlangen könne hingegen sehr unterschiedliche Ursachen haben. Bei der Entstehung sexueller Funktionsstörungen seien gewöhnlich sowohl psychologische als auch somatische Prozesse beteiligt (ICD 10 F 52). An organischen Faktoren würden insbesondere hormonelle Störungen oder Medikamentennebenwirkungen eine Rolle spielen, zudem trete Libidomangel im Rahmen verschiedener psychiatrischer Erkrankungen wie Depressionen oder bei Persönlichkeitsstörungen auf. Bei der Klägerin spiele die pathologische Primärbindung zur Mutter mit frühkindlichen Deprivations- und Gewalterfahrungen die wesentliche Rolle für die weitere Störung der Persönlichkeits- und Identitätsentwicklung. Die von der Klägerin beklagte Partner- und Kinderlosigkeit stelle zudem im Sinn der versorgungsmedizinischen Grundsätze keine eigene abzugrenzende Gesundheitsstörung dar, die Auswirkungen in Form einer Behinderung i.e.S. hätte. Erstmals sei eine psychiatrische Behandlung im Jahr 1999 erfolgt, als es im Rahmen beruflicher Konflikte und massiver Selbstüberforderung zu einer schweren depressiven Episode im Rahmen einer rezidivierende depressiven Störung gekommen sei. Somit stelle die berufliche Überforderung, vor allem ein in den Arztbriefen der Klinik  B. deutlich beschriebener Arbeitsplatzkonflikt einen weiterer Faktor für die gesundheitliche Beeinträchtigung der Klägerin dar. Der berufliche Konflikt scheine in der Gesamtbetrachtung der biografischen Entwicklung sogar der wesentliche Auslöser für die Dekompensation der Klägerin gewesen zu sein. Seit ihrem 16. Lebensjahr zeige sich die Klägerin sehr belastbar, indem sie nicht nur ihre Ausbildungen erfolgreich absolviert habe, sondern etwa 13 Jahre lang neben ihrem Beruf in der Gastronomie gearbeitet habe, und zwar auch als Bedienung. Schwere soziale Kontaktprobleme oder mangelnde psychophysische Belastbarkeit könnten über diesen Zeitraum nicht beobachtet werden. Die Klägerin habe vielmehr von einem sehr befriedigendem finanziellem Einkommen und zahlreichen Reisen mit Freundinnen berichtet. Bis 1999 seien keinerlei Krankheitssymptome zumindest dokumentiert worden, etwaige "Brückensymptome" würden sich nicht feststellen lassen. Die erstmalige psychische Dekompensation sei 1999 erfolgt, somit unabhängig von jeglichen sexuellen Missbrauchserlebnissen. Unterstützt werde diese Annahme von den anamnestischen Angaben, die die Klägerin im Rahmen der Begutachtung bei Dr. O. gemacht habe. So sei dort beschrieben, dass die Klägerin aufgrund von Schwierigkeiten mit der Heimleitung, die sehr autoritär gewesen sei und die Jugendlichen angeschrien habe, Depressionen entwickelt habe. Die Chefin habe sie sehr an ihre Mutter erinnert. Explizit werde darauf hingewiesen, dass die Klägerin bis 1998 nicht unter Depressionen zu leiden gehabt habe.
Auf Antrag der Klägerin hat das Gericht ein Gutachten nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Herrn Dr. J. eingeholt. Dieser kommt in seinem psychosomatisch-psychotraumatologischen Gutachten vom 15.11.2022 zu dem Ergebnis, dass bei der Klägerin eine Komplexe Posttraumatische Belastungsstörung (ICD-10 F 43.8), Dissoziative Identitätsstörung (ICD-10 F 44.81) und chronische Schmerzstörung mit psychischen und somatischen Anteilen (ICD-10 F45.4) sowie als weitere Störungsbilder Essstörung mit intermittierender atypischer Anorexia nervosa (lCD-1O F 50.1), psychische und Verhaltensstörungen durch multiplen Substanzgebrauch und Konsum anderer psychotroper Substanzen (ICD-10 F19.1). Sämtliche Störungsbilder würden in wechselnder klinischer Ausprägung, bereits als Verlaufsdiagnosen dokumentiert und im Rahmen der vielfältigen stationären Behandlungsaufenthalte seit 1999 vorliegen. Gleichzeitig sei davon auszugehen, dass auch die komplexe Posttraumatische Belastungsstörung und die dissoziative Identitätsstörung bereits im jungen Erwachsenenalter als Krankheitsanlage vorhanden gewesen seien, ohne jedoch vor dem Jahr 1999 eine klinische Behandlungsrelevanz zu erreichen. Bezüglich der komplexen Posttraumatischen Belastungsstörung und der dissoziativen Identitätsstörung sei anzunehmen, dass sie sich als kumulative Störung der Persönlichkeitsentwicklung bereits seit dem frühen Kindesalter als fortschreitender Prozess manifestiert haben. Der frühe Substanzmissbrauch von Alkohol, wie ihn die Klägerin für den Zeitraum zwischen dem 11. und 16. Lebensjahr angebe, könne als unreifer Bewältigungs- bzw. Dämpfungsversuch von überfordernden emotionalen Belastungserfahrungen bei nicht ausreichend haltgebenden sozialen Kontextbedingungen angesehen werden. Es sei davon auszugehen, dass die schwere, bereits seit früher Kindheit dokumentierte, dysfunktionale Familiensituation der Klägerin mit wiederholten emotionalen, körperlichen und sexuellen Übergriffserfahrungen zur Ausbildung einer komplexen Traumafolgesymptomatik geführt habe; jedoch sei ebenso anzunehmen, dass die sexuellen Übergriffserfahrungen durch den Nachbarn Herrn S. in den Jahren 1973 bis 1976 zu einer Verschlimmerung beigetragen hätten und so zu einer verstärkten Ausprägung der vorgenannten Störungsbilder geführt hätten. In diesem Sinne seien die sich wiederholenden sexuellen Missbrauchserfahrungen und der Vertrauensmissbrauch durch Herrn S. als Mitursache für die spätere Ausprägung der Traumafolgesymptomatik einzuordnen. Konkret sei davon auszugehen, dass das Bedürfnis nach emotionaler Anbindung an eine zunächst vertrauensvoll erscheinende Beziehungsperson außerhalb der Kernfamilie und die nachfolgende fehlende Abgrenzungsfähigkeit bei wiederholten sexuellen Übergriffen anzuerkennen seien als bereits vorliegende Beeinträchtigung der kindlichen Persönlichkeitsentwicklung. In diesem Sinne sei von einer ruhenden Anlage auszugehen, insofern in den Kindheitsjahren noch keine Behandlungsbedürftigkeit erkannt worden sei. Dem schädigenden Ereignis vom 09.04.2004 komme lediglich die Bedeutung einer Trigger- bzw. Auslösesituation zu, bei der die Klägerin im Sinne einer Reaktivierung früher biografischer Hilflosigkeitserfahrungen damit konfrontiert worden sei, dass auch im jetzt vorliegenden Erwachsenenalter von 34 Jahren noch keine reifen und ausreichenden Fähigkeiten zur Abgrenzung und Abwehr von emotionalen und körperlichen Übergriffsversuchen zur Verfügung stünden. Die sexuelle Übergriffserfahrung durch Herrn G.e, die nach Anzeige auch zur gerichtlichen Verurteilung des Täters geführt habe, könne nicht als ursächlich für den Eintritt der nachfolgenden Gesundheitsstörung eingeordnet werden, sondern lediglich im Sinne einer erneuten kumulativ einwirkenden Grenzverletzung als verschlimmernder Faktor. In diesem Sinne sei davon auszugehen, dass sämtliche aufgeführten klinischen Diagnosen zur Zeit des schädigenden Ereignisses im April 2000 bereits als Vorschaden vorgelegen hätten. Durch die Triggerung und Reaktivierung bislang dissoziativ abgespaltener biografischer Erinnerungen habe sich ein jetzt behandlungsrelevantes Störungsbild entwickelt, wie es durch die zahlreichen stationären Behandlungsbefunde seit dem April 2000 gut dokumentiert sei. Hypothetisch, aber in guter Übereinstimmung mit zahlreichen klinischen Vergleichsfällen sei durchaus davon auszugehen, dass es auch ohne das schädigende Ereignis vom XX.XX.2000 zu einem späteren Zeitpunkt zur Entwicklung der diskutierten Traumafolgesymptomatik gekommen wäre, da es als durchaus typische Entwicklung angesehen werden könne, dass dissoziativ abgespaltene biografischer Erinnerungen im Erwachsenenleben nach und nach bewusstseinsfähig würden. Die fehlende Integration dieser biografisch frühen Belastungserfahrungen bedinge dann den nachträglichen und zum Teil erheblichen klinischen Behandlungsbedarf. Bei der benannten Schadensanlage habe das schädigende Ereignis vom XX.XX.2000 also einer bereits vorhandenen krankhaften Anlage lediglich zum Durchbruch verholfen und sei damit keine annähernd gleichwertige Mitursache. Sowohl aktenkundig, als auch in der aktuellen gutachterlichen Exploration würden sich keine Hinweise auf schädigungsunabhängige gesundheitliche Entwicklungen im Sinne eines Nachschadens ergeben. Der GdB sei ab April 2000 mit 70 zu bewerten. Sämtliche aufgeführten Behandlungsdiagnosen seien als Facetten einer komplexen Traumafolgestörung nach früher biografischer Traumatisierung einzuordnen und anzuerkennen. Den Straftaten durch sexuellen Missbrauch in den Jahren 1973 bis 1976 sei bei bereits vorhandener Schadensanlage nur ein Verschlimmerungsanteil zuzuordnen, durch den es zu einer stärkeren Ausprägung der sich ab 1999 behandlungsrelevant entwickelnden psychischen Diagnosen gekommen sei. Der Verschlimmerungsanteil sei mit einem GdS von 30 zu bewerten. Die Klägerin sei in einer hoch dysfunktionalen Familiensituation aufgewachsen, bei der die Eltern sich bereits früh nach der Geburt der Klägerin getrennt hätten und diese ihren Vater nie kennengelernt habe. Die Mutter sei alleinerziehend geblieben. Zur Familie habe ein neun Jahre älterer Halbbruder (A.) aus einer früheren Beziehung der Mutter sowie ein 1,5 Jahre älterer leiblicher Bruder (T.) gehört. Die zahlreichen, in Befunden und Entlassungsberichten dokumentierten Angaben zur lebensgeschichtliche Entwicklung sowie die Angaben der Klägerin in der gerichtlichen Anhörung vom September 2017 würden eine Familiensituation belegen, die von frühester Kindheit an durch emotionale Vernachlässigung, emotionalen Missbrauch, körperliche und sexuelle Gewalt und sich wiederholenden Grenzverletzungen geprägt sei. Dazu würden auch die glaubhaft benannten körperlichen Strafaktionen durch die Mutter, ebenso sexuellen Grenzverletzungen durch die Mutter, körperliche Bedrohungen und sexuelle Gewalt durch den leiblichen Bruder T. und später ebenso sexuelle Gewalt durch den inzwischen drogenabhängigen Halbbruder A., der 1981 bereits durch eine Überdosis Heroin verstarb, gehören. Aus psychodynamischer Perspektive sei es durch die unsicheren und wechselnden Bindungsangebote der frühen Kindheit zur Ausbildung einer selbstunsicheren und durch geringen Selbstwert geprägten Persönlichkeit mit erheblichen Defiziten in der Affektregulation und der Fähigkeit zur Selbstwahrnehmung und Abgrenzung gekommen. Auf struktureller Ebene habe sich eine durch dissoziative Spaltungsdynamiken geprägte Persönlichkeit mit mittlerem Organisationsniveau gebildet. Die sich wiederholenden Erfahrungen von Grenzverletzungen hätten dazu geführt, dass die Klägerin keine zuverlässigen Muster zum Schutz vor weiteren emotionalen, körperlichen und sexuellen Übergriffe entwickeln habe können. Gleichzeitig hätten die emotionale Vernachlässigung und die wiederholten Bedrohungserfahrungen in der Kernfamilie dazu geführt, dass sich eine hohe Bereitschaft entwickelt habe, sich zunächst vertrauensvoll erscheinenden fremden Personen mit freundschaftlichen und versorgenden Beziehungsangeboten zuzuwenden. Die sexuellen Missbrauchserfahrungen, die die Klägerin in den Jahren von 1973 bis 1976 durch den Nachbarn R. S. erfahren habe und die später zur Anzeige gebracht worden seien, seien somit auf dem Boden einer schon vorbestehenden Störung der Persönlichkeitsentwicklung mit bereits vorgeschädigten Mustern fehlender Abgrenzungsfähigkeit einzuordnen. Für die Jahre nach dem sexuellen Missbrauch durch den Nachbarn Herrn S. seien weitere schwere sexuelle Gewalterfahrungen in der Familie, sowohl durch die Mutter, durch den Bruder T. und durch den Halbbruder A. anzunehmen bzw. aktenkundig nachgewiesen. Trotz der zahlreichen schädigenden Einflussfaktoren im Entwicklungsalter sei es der Klägerin gelungen im jungen Erwachsenenalter zunächst eine Stabilisierung mit beruflicher Ausbildung als Erzieherin anzugehen und auch erfolgreich abzuschließen. Nach Angaben der Klägerin sei sie von 1988 bis 1999 als Erzieherin in Anstellung der Stadt B-Stadt sowohl in Kinderhorten als auch in Wohnheimen tätig gewesen. Dabei habe es zunehmend eine Überforderung und fehlende Abgrenzungsfähigkeit gegenüber den zahlreichen Problemdynamiken der ihr anvertrauten Jugendlichen gegeben. Die ersten stationären Aufenthalte in der Klinik  B.    ab 1999 würden eine depressive Symptomatik mit Erschöpfungszuständen im Sinne einer Bumout-Entwicklung dokumentieren. In Übereinstimmung mit den Annahmen des langjährigen Psychotherapeuten Herrn G. sei davon auszugehen, dass die berufliche Anerkennung und Leistungsfähigkeit im jungen Erwachsenenalter als wesentliche Bewältigungsstrategie zur Kontrolle der im Hintergrund bereits vorhandenen komplexen Traumafolgestörung mit dissoziativer Persönlichkeitsorganisation anzusehen sei. Ab 1999 sei es zur Notwendigkeit zahlreicher weiterer stationärer Behandlungsmaßnahmen in psychosomatischen Kliniken gekommen. Dabei finde sich in der Durchsicht der aktenkundig vorliegenden Entlassungsberichte ein zunehmendes Bewusstwerden von Erinnerungen an die zahlreichen Erfahrungen von körperlicher und sexueller Gewalt im Kindes und Jugendalter. Dies entspreche einer fast typischen klinischen Beschwerdeentwicklung, wie man sie bei zahlreichen Patientinnen mit komplexen Traumaerfahrungen in der Kindheit finde. Der sexuelle Übergriff durch den Mitpatienten Herrn G.e im April 2000 habe zunächst zu einer deutlich erkennbaren Destabilisierung mit akuter Suizidalität geführt, weshalb die Klägerin in die Sicherheit einer psychiatrischen Akutversorgung verlegt habe werden müssen. Die zahlreichen nachfolgenden Entlassungsberichte aus dem Jahr 2000 aus der Klinik  B.    würden gleichzeitig vielfältige auffällige Verhaltensmuster der Klägerin gegenüber Mitpatienten und Therapeuten bestätigen, die von Behandlerseite als agierende und spaltende Verhaltensmuster einer frühen Störung der Persönlichkeitsentwicklung, mit Ausbildung eines nur mittleren Strukturniveaus, zugeordnet werden würden. Anamnestisch, aber auch in der der klinischen Betreuung werde in dieser Zeit ein gestörtes Essverhalten beschrieben, welches als atypische Anorexie eingeordnet werde. Hierzu könne angemerkt werden, dass die Kontrolle des Essverhaltens von vielen Patienten unbewusst als Ersatzstrategie zur fehlenden Regulationsfähigkeit von Emotionen eingesetzt werde. Nach den stationären Behandlungen in  B.    seien weitere stationär psychosomatische Behandlungen in der A. Klinik O. und nachfolgend der W.-Klinik in W1. erfolgt. Hierbei seien weitere Auffälligkeiten in der Symptomatik und Persönlichkeitsstruktur der Klägerin beobachtet und diagnostiziert worden. Ab dem Jahr 2001 würde sich dabei die diagnostische Einordnung als emotional-instabile Persönlichkeitsstörung und später als komplexe Posttraumatische Belastungsstörung finden. Da die Lebensgeschichte der Klägerin durch zahlreiche relevante und traumatische Belastungserfahrungen gekennzeichnet sei, sei darauf hinzuweisen, dass die beiden Diagnosen aus heutiger wissenschaftlicher Sicht mit einer hohen diagnostischen Schnittmenge wahrgenommen werden würden. Gegenüber der rein phänomenologischen Beschreibung der Borderlineproblematik als emotional-instabile Persönlichkeitsstörung habe sich bei den Patienten, bei denen zahlreiche kindliche Traumatisierungserfahrungen nachgewiesen werden konnten die Verwendung der Diagnose einer komplexen Posttraumatische Belastungsstörung durchgesetzt. Neben der komplexen Posttraumatischen Belastungsstörung könne die bei der Klägerin vorliegende dissoziative Identitätsstörung mit dem häufigen Erleben von dissoziativen Amnesien als weitere typische und schwere Traumafolgestörung angesehen werden. Die Abspeicherung von traumatisierenden Erfahrungen im Kindesalter in Form von dissoziativen Anteilen der Persönlichkeit könne als frühe psychische Überlebens- und Bewältigungsstrategie einer noch unreifen Persönlichkeit verstanden werden. In diesem Sinne solle das Vorliegen einer dissoziativen Identitätsstörung stets als Hinweis darauf verstanden werden, dass bereits frühzeitig in der Persönlichkeitsentwicklung, also in frühen Kindheitsjahren nicht integrierbare emotionale Erfahrungen gemacht worden seien, die dann als dissoziative Persönlichkeitsanteile bis ins Erwachsenenalter bestehen bleiben würden. Die dissoziative Abspaltung von traumatisierenden Kindheitserfahrungen begünstige auch, dass im Erwachsenenleben zunächst keine bewusstseinsfähigen Erinnerungen an frühere Traumatisierungserfahrungen zur Verfügung stünden. Die bei der Klägerin in zahlreichen stationären Behandlungen dokumentierte emotionale Instabilität sei damit auch als Ausdruck einer traumabedingten dissoziativen Identitätsstörung verstehbar, wobei das häufig nicht kontrollierbare Wechseln zwischen verschiedenen dissoziativen Persönlichkeitsanteilen als in sich inkonsistente Ausdrucksverhalten auffalle. Dies sei auch immer wieder in der aktuellen gutachterlichen Untersuchung zu beobachten. Als komorbide psychische Störungsbilder fänden sich neben der komplexen posttraumatischen Belastungsstörung und der dissoziativen Identitätsstörung häufig weitere klinische Auffälligkeiten, die diagnostisch als Somatisierungsstörung, Angst und depressive Störung und Suchterkrankungen eingeordnet werden könnten. Sämtliche hier benannten komorbiden Diagnosen seien im langjährigen Behandlungsverlauf bei der Klägerin gestellt worden und würden zum Teil auch aktuell noch vorliegen. Dabei sei aus gutachtlicher Sicht wichtig, dass die Gesamtheit dieser Störungsbilder als klinische Folgesymptomatik der frühen Störung der Persönlichkeitsentwicklung und daraus resultierender dysfunktioneller Bewältigungsstrategien zu verstehen sei. Die dargestellte Entwicklung der komplexen Traumafolgestörungen bei der Klägerin müsse gleichzeitig als kumulativer Prozess verstanden werden, der nicht bereits in frühen Kindheitsjahren abgeschlossen sei. Vielmehr sei anzunehmen, dass auch bei bereits vorliegender Schadensanlage durch die grenzverletztenden Muster der hoch dysfunktionalen Familie durch weitere schädigende Ereignisse eine Verschlimmerung und verstärkte Ausprägung der Traumafolgesymptomatik zu erwarten sei. Insofern sei anzunehmen, dass der Vertrauensmissbrauch einhergehend mit dem sexuellen Missbrauch durch den Nachbarn Herrn S. in den Jahren 1973 bis 1976 (anamnestisch eventuell auch darüber hinausgehend) zur verstärkten Ausprägung sowohl der komplexen Posttraumatischen Belastungsstörung, als auch der dissoziativen Identitätsstörung beigetragen habe und auch begünstigend auf die zeitlich nachfolgenden körperlichen und sexuellen Übergriffserfahrungen in der Kernfamilie der Klägerin durch Mutter und die beiden Brüder eingewirkt hätten. Allen Übergriffserfahrungen gemeinsam sei bis hin zum sexuellen Übergriff durch Herrn G.e im April 2000 die durch die komplexe Traumafolgestörung bedingte Unfähigkeit der Klägerin, persönlichen, emotionalen und körperlichen Grenzverletzungen durch andere Menschen Einhalt gebieten zu können. Diese Fähigkeitsstörung, die sich typischerweise bei Menschen als Folge von emotionalen und sexuellen Missbrauch in der Kindheit entwickele, begründe mit hoher Wahrscheinlichkeit, dass diese Menschen auch im Erwachsenenleben immer wieder mit einer höheren Häufigkeit Opfer von erneuten Übergriffserfahrungen werden. Das bei der Klägerin erkennbare ängstlich unsichere Vermeidungsverhalten von größeren Menschenansammlungen sei in diesem Sinne als eine dysfunktionelle Bewältigungsstrategie einzuordnen.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Die Klage ist zulässig, jedoch unbegründet.
Klagegenstand ist der Bescheid des Beklagten vom 30.10.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.07.2021, mit welchem der Beklagte die Bewilligung von Leistungen nach dem OEG abgelehnt hat.
Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 1, 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft. Sie ist insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden.
Die Klage ist jedoch unbegründet. Der Bescheid des Beklagten vom 30.10.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.07.2021 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 54 Abs. 1 Satz 2 SGG).
Das Begehren der Klägerin richtet sich nach § 1 Opferentschädigungsgesetz (OEG) in Verbindung mit den §§ 1, 30, 31 und 60 Bundesversorgungsgesetz (BVG). Wer im Geltungsbereich des OEG infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen, tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG (§ 1 Abs. 1 Satz 1 OEG). Beschädigte erhalten als Versorgungsleistung u. a. nach § 9 Abs. 1 Nr. 3 BVG eine Beschädigtenrente. Hierzu zählt auch die monatliche Grundrente, deren Höhe abhängig vom GdS ist und die ab einem GdS von 30 geleistet wird (§ 31 Abs. 1 BVG). Der GdS ist nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, die durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen zu beurteilen (§ 30 Abs. 1 Satz 1 BVG). Der GdS ist nach Zehnergraden von 10 bis 100 zu bemessen; ein bis zu 5 Grad geringerer GdS wird vom höheren Zehnergrad mit umfasst (§ 30 Abs. 1 Satz 2 BVG). Vorübergehende Gesundheitsstörungen sind nicht zu berücksichtigen; als vorübergehend gilt ein Zeitraum bis zu sechs Monaten (§ 30 Abs. 1 Satz 3 BVG).
Gemäß § 10a Abs. 1 S. 1 OEG erhalten Personen, die in der Zeit vom 23.05.1949 bis 15.05.1976 geschädigt worden sind, erhalten auf Antrag Versorgung, solange sie allein infolge dieser Schädigung schwerbeschädigt sind (Nr. 1), bedürftig sind (Nr. 2) und im Geltungsbereich dieses Gesetzes ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben (Nr. 3).
Bei der Auslegung des Rechtsbegriffes "vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff" i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG ist entscheidend auf die Rechtsfeindlichkeit, vor allem verstanden als Feindlichkeit gegen das Strafgesetz, abzustellen (BSG, Urteil vom 07.04.2011, Az.: B 9 VG 2/10 R). Leitlinie ist insoweit der sich aus dem Sinn und Zweck des OEG ergebende Gedanke des Opferschutzes. Das Vorliegen eines tätlichen Angriffes ist nach einem objektiven, vernünftigen Dritten zu beurteilen; insbesondere sozial angemessenes Verhalten scheidet aus. Als tätlicher Angriff ist grundsätzlich eine in feindseliger oder rechtsfeindlicher Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende gewaltsame Einwirkung anzusehen, wobei die Angriffshandlung in aller Regel den Tatbestand einer - jedenfalls versuchten - vorsätzlichen Straftat gegen das Leben oder die körperliche Unversehrtheit erfüllt (BSG, Urteil vom 29.04.2010, Az.: B 9 VG 1/09 R). Abweichend von dem im Strafrecht umstrittenen Gewaltbegriff i.S.d. § 240 Strafgesetzbuch (StGB) zeichnet sich der tätliche Angriff i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG durch eine körperliche Gewaltanwendung (Tätlichkeit) gegen eine Person aus, wirkt also körperlich (physisch) auf einen anderen ein (BSG, Urteil vom 07.04.2011, Az.: B 9 VG 2/10 R). Ein solcher Angriff setzt eine unmittelbar auf den Körper einer anderen Person zielende, gewaltsame physische Einwirkung voraus; die bloße Drohung mit einer wenn auch erheblichen Gewaltanwendung oder Schädigung reicht hierfür demgegenüber nicht aus (BSG, Urteil vom 16.12.2014, Az.: B 9 V 1/13 R).
Hinsichtlich der entscheidungserheblichen Tatsachen kennen das soziale Entschädigungsrecht und damit auch das OEG drei Beweismaßstäbe. Grundsätzlich bedürfen die drei Glieder der Kausalkette (schädigender Vorgang, Schädigung und Schädigungsfolgen) des Vollbeweises. Für die Kausalität selbst genügt gemäß § 1 Abs. 3 BVG die Wahrscheinlichkeit. Nach Maßgabe des § 15 Satz 1 Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG), der gemäß § 6 Abs. 3 OEG anzuwenden ist, sind bei der Entscheidung die Angaben der Antragstellenden, die sich auf die mit der Schädigung, also insbesondere auch mit dem tätlichen Angriff im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, zugrunde zu legen, wenn sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen.
Für den Vollbeweis muss sich das Gericht die volle Überzeugung vom Vorhandensein oder Nichtvorhandensein einer Tatsache verschaffen. Allerdings verlangt auch der Vollbeweis keine absolute Gewissheit, sondern lässt eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit ausreichen. Daraus folgt, dass auch dem Vollbeweis gewisse Zweifel innewohnen können, verbleibende Restzweifel mit anderen Worten bei der Überzeugungsbildung unschädlich sind, solange sie sich nicht zu gewichtigen Zweifeln verdichten (BSG, Urteil vom 24.11.2010, Az.: B 11 AL 35/09 R). Eine Tatsache ist bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen.
Der Beweisgrad der Wahrscheinlichkeit i.S.d. § 1 Abs. 3 Satz 1 BVG ist dann gegeben, wenn nach der geltenden wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht (BSG, Beschluss vom 08.08.2001, Az.: B 9 V 23/01 B). Diese Definition ist der Fragestellung nach dem wesentlichen ursächlichen Zusammenhang (BSG, Urteil vom 16.12.2014, Az.: B 9 V 6/13 R) angepasst, die nur entweder mit ja oder mit nein beantwortet werden kann. Es muss sich unter Würdigung des Beweisergebnisses ein solcher Grad von Wahrscheinlichkeit ergeben, dass ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Möglichkeit ausscheiden. Für die Wahrscheinlichkeit ist ein "deutliches" Übergewicht für eine der Möglichkeiten erforderlich. Sie entfällt, wenn eine andere Möglichkeit ebenfalls ernstlich in Betracht kommt.
Bei dem Glaubhafterscheinen i.S.d. § 15 Satz 1 KOVVfG handelt es sich um den dritten, mildesten Beweismaßstab des Sozialrechts. Glaubhaftmachung bedeutet das Dartun einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit, also der guten Möglichkeit, dass sich der Vorgang so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können (BSG, Beschluss vom 08.08.2001, Az.: B 9 V 23/01 B). Dieser Beweismaßstab ist durch seine Relativität gekennzeichnet. Es muss nicht, wie bei der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs, absolut mehr für als gegen die glaubhaft zu machende Tatsache sprechen. Es reicht die gute Möglichkeit aus, also es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach der Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht. Von mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss einer den übrigen gegenüber ein gewisses, aber kein deutliches Übergewicht zukommen. Wie bei den beiden anderen Beweismaßstäben reicht die bloße Möglichkeit einer Tatsache nicht aus, um die Beweisanforderungen zu erfüllen. Das Tatsachengericht ist allerdings mit Blick auf die Freiheit der richterlichen Beweiswürdigung (§ 128 Abs. 1 S. 1 SGG) im Einzelfall grundsätzlich darin nicht eingeengt, ob es die Beweisanforderungen als erfüllt ansieht (BSG, Beschluss vom 08.08.2001, Az.: B 9 V 23/01 B). Diese Grundsätze haben ihren Niederschlag den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (BSG, Urteil vom 16.12.2014, Az.: B 9 V 6/13 R).
Gemessen an diesen Vorgaben hat der Beklagte zu Recht den Antrag der Klägerin vom abgelehnt.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sind gegen die Klägerin gerichtete Gewalttaten durch mehrfachen sexuellen Missbrauch durch den Nachbarn, Herr S., im Zeitraum von ca. 1973 bis 1976 glaubhaft gemacht. Insoweit wird auf die Ausführungen des Beklagten Bezug genommen. Ein über diese Jahre hinausgehender Tatzeitraum ist nicht glaubhaft gemacht. In Bezug auf die Tatzeit sind die Angaben der Klägerin inkonsistent. Im Rahmen des polizeilichen Ermittlungsverfahrens hat die Klägerin angegeben, dass sie zum Tatzeitpunkt sieben Jahre alt gewesen sei und der Tatzeitraum sich etwas über ein Jahr erstreckt habe. Bei der am 06.09.2017 durchgeführten persönlichen Einvernahme bei dem Beklagten hat die Klägerin angegeben, dass sie zum Zeitpunkt der Taten durch den Nachbarn sieben Jahr alt gewesen sei. Der Nachbar sei wegen der Taten verurteilt worden, als die Klägerin zehn oder elf Jahre alt gewesen sei. Hieraus ergibt sich ein bis 1976 glaubhaft gemachter sexueller Missbrauch. Erst im Rahmen des Widerspruchsverfahrens hat die Klägerin darüber hinausgehende Zeiträume angegeben.
Bezüglich der im Übrigen geltend gemachten Gewalttaten wird auf den Bescheid des Beklagten vom 30.10.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.07.2021 Bezug genommen.
Infolge der anzuerkennenden sexuellen Übergriffe durch den Nachbarn Herr S. sind jedoch keine Schädigungsfolgen nachgewiesen, die einen GdS bedingen.
Im vorliegenden Fall ist die Regelung des § 10 a Abs. 1 S. 1 OEG zu berücksichtigen. Danach bedarf es für die Zuerkennung von Leistungen nach dem OEG als Schädigungsfolge eine Schwerbeschädigung infolge der Tat, d.h. einen GdS von mindestens 50. Diese ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht nachgewiesen.
Die Prüfung, welche gesundheitlichen Schäden Folge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen, tätlichen Angriffs sind, orientiert sich an der seit 01.01.2009 geltenden Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung; VersMedV). Danach wird als Schädigungsfolge im sozialen Entschädigungsrecht jede Gesundheitsstörung bezeichnet, die in ursächlichem Zusammenhang mit einer Schädigung steht, die nach dem entsprechenden Gesetz zu berücksichtigen ist (VG Teil A Nr. 1 a). Ursache im Sinne der Versorgungsgesetze ist die Bedingung im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg an dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat (VG Teil C Nr. 1 b Satz 1). Zu den Fakten, die vor der Beurteilung eines ursächlichen Zusammenhangs geklärt ("voll bewiesen") sein müssen, gehören der schädigende Vorgang, die gesundheitliche Schädigung und die zu beurteilende Gesundheitsstörung (VG Teil C Nr. 2 a). Der schädigende Vorgang ist das Ereignis, das zu einer Gesundheitsschädigung führt (VG Teil C Nr. 2 b Satz 1 Halbsatz 1). Die gesundheitliche Schädigung ist die primäre Beeinträchtigung der Gesundheit durch den schädigenden Vorgang (VG Teil C Nr. 2 c Halbsatz 1). Zwischen dem schädigenden Vorgang und der Gesundheitsstörung muss eine nicht unterbrochene Kausalkette bestehen, die mit den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft und den ärztlichen Erfahrungen im Einklang steht. Dabei sind Brückensymptome oft notwendige Bindeglieder. Fehlen Brückensymptome, so ist die Zusammenhangsfrage besonders sorgfältig zu prüfen und die Stellungnahme anhand eindeutiger objektiver Befunde überzeugend wissenschaftlich zu begründen (VG Teil C Nr. 2 d Sätze 1 bis 3). Für die Annahme, dass eine Gesundheitsstörung Folge einer Schädigung ist, genügt versorgungsrechtlich die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs. Sie ist gegeben, wenn nach der geltenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht (VG Teil C Nr. 3 a Sätze 1 und 2). Grundlage für die medizinische Beurteilung sind die von der herrschenden wissenschaftlichen Lehrmeinung vertretenen Erkenntnisse über Ätiologie und Pathogenese (VG Teil C Nr. 3 b Satz 1). Als Schädigungsfolgen (bzw. deren Verschlimmerung) sind nur solche nachgewiesenen Gesundheitsstörungen anzuerkennen, die wenigstens mit Wahrscheinlichkeit durch das schädigende Ereignis verursacht worden sind. Wahrscheinlichkeit in dem genannten Sinn liegt vor, wenn nach geltender medizinischer Lehrmeinung mehr für als gegen einen Ursachenzusammenhang spricht, d.h. wenn die für den Zusammenhang sprechenden Umstände mindestens deutlich überwiegen. Danach gilt als Ursache im Rechtssinn nicht jede Bedingung, gleichgültig mit welcher Intensität sie zum Erfolg beigetragen hat und in welchem Zusammenhang sie dazu steht. Als Ursachen sind vielmehr nur diejenigen Bedingungen anzusehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben (Theorie der wesentlichen Bedingung). Das ist der Fall, wenn sie in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolges als annähernd gleichwertig anzusehen sind. Kommt einem der Umstände gegenüber anderen indessen eine überragende Bedeutung zu, so ist dieser Umstand allein Ursache im Rechtssinne. Aus dem Umstand, dass der Zusammenhang der Gesundheitsstörung mit einem schädigenden Vorgang nach wissenschaftlicher Erkenntnis nicht ausgeschlossen werden kann, lässt sich jedoch nicht folgern, dass er darum wahrscheinlich sei. Ebenso wenig kann das Vorliegen einer Schädigungsfolge bejaht werden, wenn ein ursächlicher Zusammenhang nur möglich ist (VG Teil C Nr. 3 d Sätze 1 und 2). Bei mehr als zwei Teilursachen ist die annähernd gleichwertige Bedeutung des schädigenden Vorgangs für den Eintritt des Erfolgs entscheidend. Haben also neben einer Gewalttat mehrere weitere Umstände zum Eintritt einer Schädigungsfolge beigetragen, ist der tätliche Angriff versorgungsrechtlich nur dann im Rechtssinne wesentlich und die Schädigungsfolge der Gewalttat zuzurechnen, wenn sie in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolges - verglichen mit den mehreren übrigen Umständen - annähernd gleichwertig ist. Das ist dann der Fall, wenn die Schädigung in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolges allein mindestens so viel Gewicht hat wie die übrigen Umstände zusammen. Konkret bedarf es dazu der wertenden Abwägung der in Betracht kommenden Bedingungen. Im Einzelfall muss die Entscheidung darüber, welche Bedingungen im Rechtssinne als Ursache oder Mitursache zu gelten haben und welche nicht, aus der Auffassung des praktischen Lebens abgeleitet werden (BSG, Urteil vom 16.12.2014, B 9 V 6/13 R). Die Kausalitätsbeurteilung ist auf die besonderen Umstände des Einzelfalles sowie auf die Einzelpersönlichkeit abzustellen. Maßgebend ist auch die individuelle Belastung und Belastbarkeit (BSG, Urteil vom 29.10.1980, Az.: 9 RV 23/80).
Unter Berücksichtigung der oben dargelegten Grundsätze hat der Kläger keinen Anspruch auf Feststellung eines GdS.
Das Gericht folgt dabei im Wesentlichen den Ausführungen im schlüssigen und nachvollziehbaren Gutachten von Frau Dr. R1. Die Klägerin hat bereits in früher Kindheit eine Verhaltens- und emotionale Störung auf dem Boden einer reaktiven Bindungsstörung mit Beginn in der Kindheit und Jugend (F92, F94.1) entwickelt, die im Erwachsenenalter in eine emotional-instabile Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ (ICD-10 F603) mit zusätzlich hypersensitiven bzw. ängstlich-vermeidenden Persönlichkeitszügen (F606) übergegangen ist. Zudem liegt eine Atypische Anorexia nervosa (ICD-10 F501) sowie eine - Somatoforme Schmerzstörung mit physischen und psychischen Faktoren (F 45.41) vor. Schädigungsfolgen, die sich mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auf die beurteilungsrelevante Taten zurückführen lassen, sind nicht erkennbar. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin in einem stark dysfunktionalen Familiensystem aufgewachsen ist. Familiendynamisch hat die Klägerin eine Partnerersatzfunktion innegehabt, was auch in der relativ unsicheren Geschlechtsidentität (betont burschikoser Habitus) erkennbar wird. Der ursächliche Faktor, der wesentlich zu der Borderline-Persönlichkeitspathologie geführt hat, findet sich bereits in der frühkindlichen Entwicklung der Klägerin. Sie hat weder genug Nahrung noch genug emotionale Fürsorge erhalten im Sinne körperlicher und emotionaler Deprivation und ist zudem von frühester Kindheit an seelischer und z.T. körperlicher Gewalt, welche jedoch durch das zu dem Zeitpunkt geltende Züchtigungsrecht gedeckt worden ist, innerhalb der Familie ausgesetzt gewesen. Die Klägerin hat ihre Mutter als überfordert, depressiv und aggressiv beschrieben. Neben der äußeren Biografie ist zur inneren Entwicklung festzuhalten, dass die Klägerin bereits als Säugling eine Gesundheitsstörung gezeigt hat und von der Mutter nicht adäquat versorgt worden ist. Die fehlende emotionale Zuwendung beim Mangel an vertrauensvollen Bezugspersonen hat zu einer Bindungsstörung mit struktureller Beeinträchtigung der Persönlichkeit einschließlich der psychosexuellen Entwicklung der Klägerin geführt. In den vorliegenden Arztberichten wird eine Persönlichkeitsentwicklung mit strukturellen Defiziten und autoaggressiven Mechanismen beschrieben. Die psychische Störung ist bereits in der frühen Mutter-Kind-Bindung entstanden aufgrund früher traumatischer Erfahrungen des Säuglings- und Kleinkindes sowie durch verschiedenste Formen der frühkindlichen Vernachlässigung. Darüber hinaus sind bei der Klägerin genetische Faktoren sowohl für die Entwicklung der Borderlinestörung als auch der depressiven Störung anzunehmen, insofern sowohl der Vater der Klägerin mit hoher Wahrscheinlichkeit an Depressionen gelitten hat als auch die Mutter schwere Verhaltensauffälligkeiten gezeigt hat, die das Vorliegen einer schweren Persönlichkeitsstörung sowie einer affektiven Störung vermuten lassen. Die sich in der Pubertät der Klägerin manifestierende Essstörung ist mit Wahrscheinlichkeit bereits in der Kindheit vorhanden gewesen, beginnend als Gesundheitsstörung, vor allem psychodynamisch in Zusammenhang mit den geschilderten psychischen Gewalterfahrungen durch die Mutter, die unter anderem die Klägerin gezwungen hat, von den Brüdern erbrochene Nahrung zu essen. Die Klägerin hat außerdem angegeben, dass sie sich in ihrer Kindheit nie wohl gefühlt und große Ängste gehabt habe, da alles sehr unsicher und unberechenbar gewesen sei. Nach Würdigung des Ergebnisses der Beweisaufnahme erscheint der Einfluss des geltend gemachten Missbrauchs durch Herrn S. auf das aktuelle Erleben eher gering. So wird nicht über subjektiv traumatisierend erscheinende Inhalte berichtet. Es ist nur eine geringe Affektreaktion erfolgt. Den Bericht über das Zusehen beim Duschen und den Griffen in ihre Strumpfhose hat die Klägerin ohne besondere emotionale Beteiligung oder Zeichen vegetativer Erregung geschildert. Nach gut nachvollziehbarer fachpsychiatrischer Bewertung sind allein die schädigungsfremden schwersten dysfunktionalen Bedingungen in der Herkunftsfamilie geeignet die nun vorhandene psychische Störung hervorzurufen. Zudem hat die Klägerin im Rahmen der Widerspruchsbegründung und der Klagebegründung angegeben, dass sie erheblich darunter leide, dass der Nachbar das Vertrauensverhältnis ausgenutzt habe. Nachdem sie aufgrund der jahrelangen Gewalterfahrung in der eigenen Familie zu deren Mitgliedern eine adäquate Bindung nie aufbauen haben können, sei dies für sie umso belastender gewesen. Es seien schwere Folgen dadurch eingetreten, dass gerade diese Bezugsperson, zu der sie im Gegensatz zu den Mitgliedern ihrer Familie eine Bindung habe aufbauen können, ihr Vertrauen in so gravierender Weise missbraucht habe. Diese Komponente ist jedoch kein Anknüpfungspunkt. Entschädigungsrechtlich im Sinne des OEG sind allein vorsätzliche tätliche Angriffe zu berücksichtigen, d.h. im vorliegenden Fall der sexuelle Übergriff als solcher. Nicht jedoch, dass dieser für die Klägerin einen besonderen Vertrauensbruch dargestellt hat. Ebenfalls ist der anschließend, von der Klägerin als belastend beschriebene Strafprozess, nicht Anknüpfungstatsache. Zudem ist zu berücksichtigen, dass die Angaben der Klägerin im Laufe der durchgeführten Begutachtungen sich stärker auf den sexuellen Missbrauch fokussiert haben und die Erfahrungen in der Herkunftsfamilie erheblich relativiert worden sind. Dr. R1 gibt in ihrem Gutachten an, dass aufgefallen sei, dass die Klägerin gegen Ende der Untersuchung nachträglich Belastungsfaktoren verdeutlicht habe, was dann teilweise zu gegensätzlichen Angaben geführt habe. Bezüglich der Beschäftigung der Klägerin mit den zahlreichen Rechtsverfahren sei bei Durchsicht der Akten festzustellen, dass sie vorliegende Befunde häufig kritisch durchlese und korrigierend kommentiere.
Ergänzend weist die Kammer darauf hin, dass die Voraussetzungen einer Leistungsgewährung auch dann nicht gegeben sind, wenn man dem Ergebnis der Begutachtung durch Herrn Dr. F. folgt. Der Gutachter hat einen GdS von 30 angegeben. Da im vorliegenden Fall die Regelung der § 10a OEG greift bedarf es für die Gewährung von Leistungen nach dem OEG unter anderem eines GdS von 50. Dieser wird auch nach den Schlussfolgerungen des Herrn Dr. F. nicht erreicht.
Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 193 Abs. 1 SGG und folgt dem Ausgang des Verfahrens.

 

 

Rechtskraft
Aus
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