L 2 U 322/17

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
1. Instanz
SG Regensburg (FSB)
Aktenzeichen
S 5 U 40/16
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 322/17
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Weist die dem Geschäftsführer unterstehende Verwaltung dem Rentenausschuss im Einzelfall Entscheidungen außerhalb seiner in der Satzung geregelten Zuständigkeit zu und entscheidet der Rentenausschuss daraufhin als unzuständige Ausgangsbehörde anstelle des Geschäftsführers (als Ausgangsbehörde), ist es angesichts der Besonderheiten der Zuständigkeits- und Verfahrensgestaltung der Rentenausschüsse angezeigt, diesen Fehler abweichend von anderen Fallgestaltungen der sachlichen Zuständigkeit wie einen sonstigen Verfahrensfehler im Sinne des § 42 Satz 1 SGB X zu beurteilen. Damit kommt eine Aufhebung des formell rechtswidrigen Verwaltungsaktes nicht in Betracht, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat.
2. Zu den arbeitstechnischen Voraussetzungen einer BK Nr. 1318 der Anlage 1 zur BKV

 

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 03.08.2017 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.


T a t b e s t a n d :

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger Anspruch auf Feststellung einer Berufskrankheit (BK) Nr. 1318 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) - Erkrankungen des Blutes, des blutbildenden und des lymphatischen Systems durch Benzol - wegen eines Multiplen Myeloms hat.

Der 1956 geborene Kläger absolvierte nach seinem Hauptschulabschluss 1971 erfolgreich eine Lehre zum Drucker, arbeitete bis Mai 1996 in diesem Beruf und war nach längerer Krankheitszeit (16.05.1996 bis 28.02.1997) und Umschulung zum Industriekaufmann (01.03.1997 bis 08.04.1998) nach eigenen Angaben vom 01.03.1999 bis 31.10.2008 - mit Unterbrechungen durch Zeiten der Arbeitslosigkeit und des Sozialleistungsbezugs - als kaufmännischer Angestellter im Außendienst bei der Firma W (K) beschäftigt. Ab 01.01.2010 bezog der Kläger Rente der Deutschen Rentenversicherung Bund (DRV); bis 20.03.2014 übte er eine geringfügige Beschäftigung (Domaufsicht) aus. Beruflichen Kontakt mit Benzol hatte der Kläger während seiner Tätigkeiten als Drucker.
Aus den Unterlagen ergeben sich zusammenfassend folgende Angaben zu Beschäftigungen des Klägers als Drucker:
- vom 01.09.1971 oder 05.09.1971 bis 31.08.1974:
Lehre als Drucker bei der M Druck und Verlag GmbH (M), F
(Das Datum 05.09.1971 nannte der Kläger im Fragebogen zur BK Nr. 1302 vom 30.07.1995.)
- vom 02.09.1974 bis 31.03.1976 und (nach Wehrdienst) vom 13.11.1978 bis 31.12.1980:
Drucker und Druckformenhersteller bei M, F
- vom 01.01.1981 bis 11.04.1986:
Drucker bei der S Druck GmbH & Co. KG, H
- vom 14.04.1986 bis 31.12.1986:
Arbeitsvorbereiter bei der H Offsetdruck GmbH, N
(nach Arbeitslosigkeit vom 10.01. bis 21.03.1987)
- vom 23.03.1987 bis 22.07.1988 (arbeitsunfähig ab 21.06.1988 u.a. wegen Bandscheibenproblemen):
Weiterbildung und Arbeit als Druckvorlagenhersteller für die B GmbH, N1
(nach Bezug von Sozialleistungen bei Krankheit bis 31.10.1988)
- vom 01.11. bis 29.11.1988:
Druckvorlagenhersteller für B GmbH, N1
(nach Zeiten der Arbeitslosigkeit und des Krankgeldbezugs wegen Bandscheibenleidens/-operation L 5/S1 bei Wurzelreizsyndrom S 1 vom 10.11.1988 bis 28.02.1989)
- vom 01.03.1989 bis 15.05.1996:
Arbeit im Siebdruckbereich der Firma B und V Filmdruck, A
(Tätigkeiten laut Fragebogen vom 30.07.1995: Schablonen herstellen, montieren, Maschinen einrichten, Kontakt mit Kleber, Härter, Farben, Lösemittel, Entfettungsmittel, Entwickler)
Auf den Versicherungsverlauf der DRV vom 29.08.2014, die Auskunft der AOK Bayern - Die Gesundheitskasse vom 31.07.1995 sowie die Fragebögen des Klägers vom 30.07.1995 und vom 28.07.2014 wird verwiesen.

Bereits 1995 hatte die Rechtsvorgängerin der Beklagten (im Folgenden ebenfalls bezeichnet als Beklagte) Ermittlungen zum Vorliegen von Berufskrankheiten des Klägers durchgeführt aufgrund der Verdachtsanzeige des Neurologen und Psychiaters M vom 30.05.1995 wegen Verdachts auf (V.a.) eine leichte sensomotorische periphere Neuropathie. Der Kläger habe berichtet, dass er bis 1989 keinerlei gesundheitliche Probleme gehabt habe, seit 1989 bei der Arbeit im Siebdruckbereich Kontakt mit Lösemitteln und Zweikomponentenkleber habe und seit zwei bzw. drei Jahren ein gelegentliches Taubheitsgefühl und Gefühlsstörungen in beiden Beinen, trockene rissige Hände, zunehmende Abgeschlagenheit und Müdigkeit, Räusperzwang, gehäufte Halsbeschwerden (Globusgefühl), Kopfschmerzen und erhöhte Leberwerte habe (vgl. Arztbrief des Institutes für Arbeitsmedizin der L-Universität M vom 04.05.1995, Fragebogen des Klägers vom 30.07.1995, Fragebogen des Klägers vom 06.07.1995 wegen Antrags auf berufliche Rehabilitation). Als Beschwerdeursache sah der Kläger die schlechten Arbeitsbedingungen bei der Fa. V. Eine Lüftung gebe es erst seit 1994 oder 1995; diese sei aber für Lösemittelabsaugung nicht geeignet. Trotz Anfrage habe er nicht die erbetene Atemschutzmaske bei Siebbespannung und Siebentschichtung erhalten. Vor Messungen des Gewerbeaufsichtsamts sei ausgiebig gelüftet worden. Er sehe einen Zusammenhang zwischen seiner BK-Anzeige und der Kündigung der Fa. V im April 1996 (vgl. Widerspruchsbegründung des Klägers vom 20.03.1997).

Auf die beigezogenen Unterlagen der behandelnden Ärzte des Klägers sowie auf die Unterlagen des Gewerbeaufsichtsamtes mit orts- bzw. personenbezogenen Messungen am Arbeitsplatz bei der Fa. V 1992, 1993 und 1995 wird verwiesen; auffällige Messwerte für Benzol und Chlorbenzol wurden nicht festgestellt, die Werte für Aceton und Ethylacetat lagen weit unter den MAK-Werten, also den Werten der maximal zulässigen Arbeitsplatzkonzentration (Aceton 5 ml/m3 bei MAK 500 ml/m3 und aktuellem Arbeitsplatzgrenzwert <AGW> 500 ml/ m3; Ethylacetat 8 ml/m3 bei MAK 400 ml/m3 und aktuellem AGW 200 ml/m3; vgl. Grenzwertreport im IFA-Report 1/2022).
Auf die Sicherheitsdatenblätter der verwendeten Lösemittel und Härter - Seriprep und Seristrip Powder der S1 GmbH sowie Kiwobond 933 rapid und Härter 933 rapid der K und W GmbH wird Bezug genommen.

Nach Betriebsbesichtigung am 26.11.1993 durch die Ärztin des Gewerbeaufsichtsamtes H und P wurde der Fa. V mit Bescheid vom 28.01.1994 u.a. aufgegeben, für das Unter- und Obergeschoss der Druckerei eine lüftungstechnische Anlage einzurichten, die den Forderungen der Arbeitsstättenrichtlinien ASR 5 Lüftung entsprach, und den Lagerraum für brennbare Flüssigkeiten (Farben und Lösemittel) unter der Decke und in Bodennähe mit ins Freie führende, verschließbare Lüftungsöffnungen zu versehen, mit Fristsetzung bis 15.03.1994.

S (Institut und Poliklinik für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin E) schloss im neurologisch-psychiatrischem Gutachten vom 19.09.1996 (Eingangsdatum) eine Polyneuropathie des Klägers mit hoher Wahrscheinlichkeit aus. Eine hirnorganische Beeinträchtigung sei nicht nachweisbar. Am ehesten liege eine Somatisierungsstörung mit deutlicher depressiver Komponente vor.
L, Internist, Umwelt-, Arbeits- und Sozialmediziner, verneinte nach ambulanten Untersuchungen des Klägers vom 9. bis 11.04.1996 sowie stationären Untersuchungen vom 29. bis 30.10.1996 einschließlich Provokationstests mit Exposition gegenüber den vom Kläger angeschuldigten Arbeitsstoffen der Fa. K und W das Vorliegen einer Berufskrankheit, insbesondere einer BK Nr. 1302 oder 1315. Eine berufsbedingte Schädigung des Nervensystems oder der Leber schloss L ebenso aus wie eine BK Nr. 1315 der Anlage 1 zur BKV. Von L veranlasste Bio-Monitoring-Untersuchungen des Klägers im April 1996 ergaben Blutwerte für Benzol, Ethylbenzol, Propylbenzol, Styrol und Xylol unterhalb der Nachweisgrenze und für Toluol weit unter dem Biologischem Arbeitsplatz-Toleranz-Wert (BAT-Wert) (9,02 µg/l bei 1000 µg/l und aktuellem Biologischem Grenzwert <BGW> für Toluol im Blut von 600 µg/l, vgl. Grenzwertreport, IFA-Report 1/2022).

Nachdem die Gewerbeärztin H dieser Beurteilung zugestimmt hatte (Stellungnahme vom 11.12.1996), lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 25.02.1997 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.04.1997 die Anerkennung einer BK Nr. 1302 (Erkrankungen durch Halogenkohlenwasserstoffe) und Nr. 1315 (Erkrankungen durch Isocyanate) der Anlage 1 zur BKV ab. Die dagegen gerichtete Klage vor dem Sozialgericht Regensburg (SG) unter dem Az. S 4 U 175/97 nahm der Kläger im Juli 1997 zurück.

Mit Schreiben vom 12.05.2014 stellte der Kläger bei der Beklagten den streitgegenständlichen Antrag auf Anerkennung einer BK Nr. 1318 der Anlage 1 zur BKV unter Hinweis auf ein im August 2013 diagnostiziertes Multiples Myelom (MM) / Plasmozytom und auf seinen täglichen beruflichen Kontakt von 1971 bis 1996 mit krebserregenden Stoffen (u.a. benzolhaltige Reiniger, Kleber).

Aus den ärztlichen Unterlagen ergibt sich, dass der Kläger am 26.08.2013 wegen einer in Laboruntersuchungen des Hausarztes aufgefallenen Anämie und Sturzsenkung bei seit einiger Zeit bestehenden Schmerzen im Bereich des linken Oberschenkels und der linken Leiste sowie schleichend aufgetretener Kraftlosigkeit in das Krankenhaus der B, R (B), Klinik für Allgemeine Innere Medizin, aufgenommen wurde und dass durch weitere Untersuchungen (u.a. CT Pariser Schema vom 27.08.2013, Knochenmarkzytologie vom 28.08.2013, onkologisches Konsil vom 29.08.2013, Knochenmarkbiopsie mit Histologie vom 02.09.2013) ein MM vom Lambda-Leichtkettentyp Stadium I nach Salmon und Durie bzw. ein Plasmozytom mit Nachweis monoklonaler Gammopathie und Plasmazellinfiltration des Knochenmarks ohne osteolytische Herde diagnostiziert wurde.
Als weitere Diagnosen genannt wurden ein Bandscheibenprolaps L 4/5 mit passagerer Kraftminderung, ein Zustand nach (Z.n.) multiplen Bandscheibenoperationen, V.a. Meralgia paraesthetica, eine Refluxösphagitis II , Z.n. Gastritis mit Refluxösophagitis (2006), Abtragung zweier Polypen (Coecum und Colon transversum), Z.n. Erysipel des rechten Unterschenkels (Mai 2012), arterielle Hypertonie, chronische Prurigo (= Hauterkrankung mit juckenden Hautknötchen), ein depressives Syndrom, eine gemischte Hyperlipidämie, eine Steatosis hepatis (Fettleber), eine vorbeschriebene atypische Nierenzyste links, Z.n. Borreliose 1993 mit antibiotischer Therapie und Ausschluss einer Neuroborreliose (12/2006) , Z.n. Nasennebenhöhlenoperation und Septumrevision (12/2013) (vgl. Arztbrief des B zum Aufenthalt des Klägers vom 26.08. bis 31.08.2013).
Während bei Erstvorstellung in der hämatoonkologischen Klinik des B am 09.09.2013 kein akuter Handlungsbedarf gesehen wurde, erfolgte ab Januar 2014 bei Anstieg des Paraproteins und progredienten Parästhesien und Kraftlosigkeit Einleitung einer Chemo-/ Immuntherapie (vgl. Arztbriefe des B - Klinik für Onkologie und Hämatologie - vom 16.09.2013, vom 27.01.2014 und vom 16.04.2014).

Die Beklagte holte Auskünfte der BKK W vom 20.08.2014 und der früheren Arbeitgeber des Klägers ein und zog ärztliche Unterlagen bei. Die M Druck & Verlag GmbH teilte am 19.08.2014 mit, dass sie keine Unterlagen mehr über den Kläger habe; die Druckerei sei erst am 01.01.2000 gekauft worden und die früheren Geschäftsführer könnten keine Informationen mehr geben. In der S Druck GmbH war laut Schreiben vom 28.08.2014 nicht mehr bekannt, in welcher Tätigkeit der Kläger beschäftigt gewesen sei; die Mitarbeiter kämen nicht mit benzolhaltigen Stoffen in Berührung.

Dipl.-Chemiker G vom Präventionsdienst der Beklagten führte in seiner Stellungnahme vom 17.09.2014 zur Arbeitsplatzexposition des Klägers hinsichtlich der BK Nr. 1318 zusammenfassend aus, dass der Kläger keiner hohen oder gar extremen Belastungsintensität von Benzol gemäß den Belastungsgruppen der wissenschaftlichen Begründung für die BK Nr. 1318 ausgesetzt gewesen sei. Berücksichtigt worden seien Angaben des Klägers im BK-Verfahren von 1995, damalige Untersuchungen des Gewerbeaufsichtsamts, telefonische Angaben des Klägers am 15.09.2014 und allgemeine Kenntnisse des Präventionsdienstes zu Tätigkeiten im graphischen Gewerbe.
Der Kläger habe Folgendes geschildert:
- Während der Buchdruckerlehre (Fa. M) sei er auch in Offsetdruck, Handsatz und Reprographie eingewiesen worden.
- Nach der Lehre habe er bei der Fa. M Druckvorlagen hergestellt und daneben gedruckt.
- Bei der Fa. S Druck habe er als Drucker gearbeitet.
- Bei den Firmen H Offsetdruck und B habe er Druckvorlagen hergestellt; er habe zur Druckvorstufe gedruckt bzw. bei der Fa. B mit Andruckmaschinen das Druckbild geprüft.
- Bei der Fa. V habe er montiert, Schablonen hergestellt und im Siebdruck gedruckt. Hauptsächlich sei er in der Siebreinigung, der Siebbe- und -entschichtung, aber auch an Druckmaschinen eingesetzt worden (Aufkleben des Druckgewebes auf die Siebdruckrahmen). Laut Kläger hätten ca. 20 Mitarbeiter an ca. 10 Halb-, Dreiviertel- und Vollautomaten sowie Handdrucktischen gearbeitet. Bedruckt worden seien Kunststoffe und Textilien (z.B. T-Shirts).
Als Drucker habe er hauptsächlich mit konventionellen, oxidativ trocknenden Buch- und Bogenoffsetfarben, mit Walzen-, Formen- und Gummituchwaschmitteln, mit 2-Propanol und mit dem Feuchtwasserzusatz des Offsetdrucks gearbeitet und daneben in Kleinmengen Antihautmittel, Farbauffrischer, -fresser und -löser, Plattenreiniger und Gummituchpflegemittel benutzt. Laut Kläger seien zum Reinigen ein blau eingefärbtes, leicht fettiges Walzenwaschmittel (Testbenzin) und ein grün eingefärbtes, leicht flüchtiges Spezialbenzin für die Druckformen bzw. das Gummituch verwendet worden.
G führte aus, dass nach Kenntnis aus Messungen des Messtechnischen Dienstes der BG Druck und Papierverarbeitung in der Vergangenheit die Schadstoffbelastung aufgrund von Flüchtigkeit und Verbrauchsmengen durch das Spezialbenzin und daneben durch das 2-Propanol des Offsetdrucks bestimmt worden sei. Während das Spezialbenzin Benzol enthalten habe, sei das höhersiedende Testbenzin herstellungsbedingt nahezu benzolfrei gewesen. Durch entaromatisierende Hydrierverfahren sei der Benzolanteil von Spezialbenzin im Lauf der Jahre verringert worden. Pastöse Druckfarben seien nahezu benzolfrei gewesen. Andere, insgesamt wenig zur Schadstoffbelastung einer Druckerei beitragende Lösemittel seien Ketone, Ester und Chlorkohlenwasserstoffe und nur in geringem Umfang Benzinkohlenwasserstoffe gewesen.
Kein Benzol würden die für die Druckvorstufe bzw. Druckvorlagenherstellung bei den Firmen M, H Offsetdruck und B Gravur verwendeten Filme und Entwickler enthalten, die der Kläger angesetzt habe. Auch die (in geringem Umfang) verwendeten Filmreiniger und Montagekleber seien benzolfrei gewesen.
Lösemittelbasierte Siebdruckfarben würden nur in geringem Umfang die aromatischen Kohlenwasserstoffe Toluol, Xylol und Mesitylen, aber kein Benzol enthalten. Dieselben Lösemittel würden auch zum Reinigen der Drucksiebe verwendet. Nach Messungen des Gewerbeaufsichtsamts habe der verwendete Kleber Ethylenacetat und Aceton, aber kein Benzol enthalten. Das Entfetten, Beschichten und Entschichten der Drucksiebe und das Entfernen der Geisterbilder erfolge mit wässrigen, naturgemäß benzolfreien Arbeitsstoffen; dies gelte auch für die aktenkundigen Produkte Seriprep 102 und Seristrip.
Generell führte G aus, dass von der ehemaligen BG Druck und Papierverarbeitung bereits frühzeitig der Benzolgehalt in den Arbeitsstoffen begrenzt worden sei. Ab 01.01.1964 sei durch die Unfallverhütungsvorschrift "Druck" VBG 7 für das Druckgewerbe die Höchstgrenze für Benzol für Reinigungsmittel auf 0,3% festgelegt worden. Durch Probenahme in Mitgliederbetrieben und Analyse des Benzolgehalts sei die Einhaltung der Regeln überwacht worden. In der ersten Hälfte der 1970er Jahre habe der Benzolgehalt bei 0,2%, in der zweiten Hälfte bei 0,1% gelegen. Ab 1980 hätten die im Druckgewerbe verwendeten Gemische so geringe Benzolgehalte gehabt, dass bei damals einsetzenden Arbeitsplatz- und Raumluftmessungen kein Benzol oberhalb der Bestimmungsgrenze des Messverfahrens gefunden worden sei.
Zwar seien v.a. bei der Druckertätigkeit des Klägers bei den Firmen M und S Offsetdruck Benzinkohlenwasserstoffe mit geringen Benzolgehalten vorhanden gewesen und weitere Benzolexpositionen seien bei den - parallel zur Tätigkeit in der Druckvorstufe - erfolgten Druckarbeiten bei den Firmen M, H Offsetdruck und B möglich. Allerdings liege die Benzolexposition unter einer hohen oder gar extremen Belastungsintensität.

Die Gewewerbeärztin H vom gewerbeärztlichen Dienst der Regierung der Oberpfalz hielt eine berufliche Verursachung des Plasmozytoms des Klägers durch Benzol für nicht wahrscheinlich, da nach der wissenschaftlichen Begründung zur BK Nr. 1318 eine ausreichende Exposition bei extremer Belastungsintensität über einen Zeitraum von 2 bis 5 Jahren oder bei hoher Belastungsintensität von 6 und mehr Jahren angenommen werde und die Benzolbelastung laut Ermittlungen des Präventionsdienstes gering gewesen sei. Trotzdem schlug sie die Einholung einer Stellungnahme zur Einzelfallbeurteilung vor (vgl. Schreiben vom 14.10.2014 und vom 21.11.2014).

Der Arbeitsmediziner, Allergologe und Umweltmediziner W führte in seiner beratungsärztlichen Stellungnahme vom 17.03.2015 aus, dass nach den arbeitstechnischen Ermittlungen beim Kläger nur eine geringe berufliche Benzolexposition zwischen 1971 und 1986 bestanden habe und dass das MM erst mit zeitlichem Abstand von 27 Jahren (Interimszeit) nach Ende der geringen beruflichen Benzolexposition festgestellt worden sei.
Aus epidemiologischen Studien ergebe sich aber, dass nach einem Zeitfenster (Interimszeit) von 15 bzw. maximal 20 Jahren nach Expositionsende nicht mehr von einem berufsbezogenen Zusammenhang einer lymphohämatopoetischen Erkrankung auszugehen sei. Zudem sei der Kläger im Alter von 57 Jahren am MM erkrankt, was dem typischen Erkrankungsalter für ein Non-Hodgkin-Lymphom (NHL) entspreche, so dass auch kein ungewöhnlich früher Erkrankungseintritt vorliege. Plasmozytische NHL träten nach dem 40. Lebensjahr auf, mit einem Häufigkeitsgipfel um das 60. Lebensjahr. Eine Zusammenhangsbegutachtung sei nicht erforderlich. Gegen eine berufsbezogene Verursachung sprächen das typische Erkrankungsalter, die frühere niedrige Benzolexposition und die deutlich längere Interimszeit.

Mit Bescheid vom 30.04.2015 lehnte die Beklagte durch ihren Rentenausschuss eine BK Nr. 1318 der Anlage 1 zur BKV ab (Ziffer 1) und führte aus (Ziffer 2), dass keine Ansprüche auf Leistungen bestünden. Zur Begründung führte die Beklagte aus, dass der Kläger während seiner Berufstätigkeit Einwirkungen von Benzol nicht in einem Umfang ausgesetzt gewesen sei, der geeignet sei, eine Berufskrankheit zu verursachen. Das diagnostizierte MM sei eine Erkrankung, bei der keine epidemiologiebasierte orientierende Qualifizierung der für eine relevante Risikoerhöhung erforderlichen Expositionsverhältnisse möglich sei. Ungeachtet der unzureichenden epidemiologischen Erkenntnislage werde laut wissenschaftlicher Begründung zur BK Nr. 1318 eine ausreichende Exposition bejaht bei extremer Belastungsintensität über einen Zeitraum von 2 bis 5 Jahren oder bei hoher Belastungsintensität über einen Zeitraum von 6 und mehr Jahren. Nach den Feststellungen des Präventionsdienstes vom 17.09.2014 habe der Kläger vom 01.09.1971 bis 11.04.1986 Kontakt zu Benzinkohlenwasserstoffen mit geringem Benzolgehalt gehabt und er habe während der Tätigkeiten bei den Firmen H Offsetdruck und B Gravur zumindest teilweise in der Druckvorstufe gedruckt, so dass auch hier Kontakt zu Benzinkohlenwasserstoffen möglich gewesen sei. Die Benzolexposition habe jedoch weit unter einer hohen oder gar extremen Belastungsintensität im Sinne der wissenschaftlichen Begründung gelegen. Während der Tätigkeit für die Fa. V habe der Kläger Kontakt zu Siebdruckfarben und Kleber gehabt, die kein Benzol erhalten hätten. Die arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK seien nicht gegeben. Neben der niedrigen Benzolexposition sprächen der Auftritt der Erkrankung erst mehr als 20 Jahre nach Expositionsende und das typische Erkrankungsalter gegen eine Berufskrankheit.

Dagegen legte der Kläger am 27.05.2015 (Eingangsdatum) Widerspruch ein; bereits im Gutachten von 1996 gebe es Hinweise auf eine Erkrankung des Blutes. Er führte aus (Schreiben vom 27.07.2015), dass in den Druckereien eine Vielzahl giftiger Arbeitsstoffe verwendet worden seien, die wegen anderer geltender Grenzwerte nicht kennzeichnungspflichtig gewesen seien. Bekanntlich seien in vielen Mitteln höhere Dosen enthalten gewesen. Mit Sicherheit stehe das MM in Zusammenhang mit diesen gesundheitsgefährdenden Stoffen. Vorerkrankungen hätten bereits Hinweise geliefert. Im Gutachten von L 1996 seien schon Auffälligkeiten in Serumwerten und hämatologischen Werten beschrieben (IgA Wert, CD 4/ CD 8 Ratio, Lymphozyten 51 %), denen keine Beachtung geschenkt worden sei. Auch der behandelnde Onkologe sehe einen Zusammenhang zwischen der Krankheit und den jahrelangen Belastungen. Auf die beigefügten ärztlichen Unterlagen, u.a. eine beigefügte Verdachtsanzeige des Onkologen S1 auf eine BK Nr. 1318 vom 15.07.2015, wird verwiesen.
W führte in seiner beratungsärztlichen Stellungnahme vom 28.09.2015 aus, dass nicht von einem früheren Krankheitsbeginn ausgegangen werden könne sei. Zutreffend habe der Kläger zwar aus den Unterlagen eine gering erhöhte Lymphozytenzahl (51%), die Erhöhung des IgA und eine grenzwertig niedrige CD 4/CD 8 Ratio herausgelesen. Allerdings fänden sich im Differentialblutbild sehr häufig Verschiebungen. Häufig seien bei Infektionen mal die Segmentkernigen, dann die Lymphozyten und die Monozyten erhöht, wobei diese Infekte nicht immer mit verspürten Krankheitssymptomen einhergehen müssten. Das IgA könne bei chronischen Infekten, bei Schleimhautinfektionen, aber auch bei toxisch aggressiven Prozessen der Leber, Autoimmunerkrankungen etc. erhöht sein. Die CD 4/CD 8 Ratio werde zwar in der Zusammenfassung als grenzwertig niedrig bewertet, habe aber im Normbereich gelegen. Typische Hinweise für ein MM - wie erhöhtes Gesamteiweiß, Proteinurie, beschleunigte Blutsenkung, Anämie oder Hyperkalziämie - hätten sich 1995 nicht gefunden. Die nur geringfügige Benzolexposition sei ungewöhnlich niedrig, um ein MM ursächlich zu bedingen. W empfahl, weitere ärztliche Unterlagen und Laborbefunde zu ermitteln.

Daraufhin forderte die Beklagte Laborwerte für den Zeitraum 1995 bis 2013 des B, der Uniklinik R (06/2002, 02/2008, 02/2014 etc.), des Bezirksklinikums R, der Z-Kliniken (I) und der behandelnden Ärzte des Klägers (bei B1 von 2005 bis 2014, G1 - Nachfolgerin D - von 2000 bis 2001) an.
Nach Auswertung der Unterlagen führte W in seiner beratungsärztlichen Stellungnahme vom 14.12.2015 aus, dass rückwirkend betrachtet der Beginn der Erkrankung für Mitte 2012 angenommen werden könne, was das Ergebnis der Beurteilung aber nicht ändere. Ausgangspunkt der Diagnose 2013 seien eine Sturzsenkung - ein typischer Befund eines MM - und eine Anämie gewesen. Während nach den hausärztlichen Laborwerten vom 12.07.2011 und 26.01.2012 keine Anämie vorgelegen habe, habe rückblickend zumindest ab Februar 2013 ein auffälliger Blutbildbefund vorgelegen. Die Blutsenkung sei in den letzten Jahren nicht regelmäßig kontrolliert worden; die am 24.10.2005 dokumentierte BKS sei normal gewesen.

Daraufhin wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 14.01.2016 als unbegründet zurück.

Dagegen hat der Kläger am 11.02.2016 über seinen Bevollmächtigten Klage beim SG erhoben und die Feststellung einer BK Nr. 1318 beantragt; die auf Verletztenrente gerichtete Klage hat der Klägerbevollmächtigte in der mündlichen Verhandlung am 03.08.2017 nicht mehr aufrechterhalten. Die Klagebegründung entspricht im Wesentlichen der Widerspruchsbegründung. In einer beigefügten ärztlichen Stellungnahme vom 29.01.2016 hat S1, Oberarzt der Klinik für Onkologie und Hämatologie des B, ausgeführt, dass die Einleitung eines Verfahrens zur Feststellung einer BK durch Benzolexposition, angebracht sei und letztendlich die Frage durch ein "medizinisch/arbeitsrechtliches" Gutachten entschieden werden müsse.

Das SG hat ärztliche Unterlagen und bildgebende Befunde des B beigezogen und ein Gutachten des Arbeits-, Sozial- und Umweltmediziners T vom 10.05.2016 sowie auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ein Gutachten des Internisten, Hämatologen und Onkologen H1 (Direktor der Klinik für Innere Medizin, Hämatologie und Internistische Onkologie der Universitätsklinik R) vom 14.03.2017 eingeholt.

T ist in seinem Gutachten nach Aktenlage vom 10.05.2016 zu dem Ergebnis gelangt, dass ein Ursachenzusammenhang zwischen der beruflichen Benzolexposition des Klägers und dem MM nicht wahrscheinlich sei und daher keine BK Nr. 1318 der Anlage 1 zur BKV vorliege. Das Plasmozytom (MM) sei erstmals im August 2013 gesichert nachgewiesen. Hauptkriterien der Diagnose seien der histologische Nachweis eines Myeloms in der Gewebebiopsie, vermehrte Plasmazellen im Knochenmark, der Nachweis von monoklonalem IgG sowie Nachweis von Bence-Jones-Protein im Urin. Ob die im Februar 2013 festgestellte (leichtgradige) Anämie bereits Folge des Plasmozytoms gewesen sei, könne retrospektiv nicht sicher bestätigt werden, da eine leichtgradige Anämie zahlreiche Ursachen habe und nicht zu den Haupt- oder Nebenkriterien für die Diagnose eines Plasmozytoms gehöre. Weitere beim Kläger vorliegende Erkrankungen würden nicht zu den Krankheitsbildern einer BK Nr. 1318 gehören.
Das Plasmozytom oder MM gehöre zu den peripheren NHL, trete in der Regel als systemische Erkrankung auf und sei durch Sekretion eines monoklonalen Immunglobulins (Paraprotein) gekennzeichnet. MM sei eine Erkrankung des höheren und hohen Lebensalters; der Altersmedian liege bei ca. 65 Jahren. Daher bedeute die Erkrankung des Klägers im Alter von 57 Jahren keine signifikante zeitliche Vorverlegung der Erkrankungsmanifestation.
Ob Benzol grundsätzlich in der Lage sei, ein MM zu verursachen, werde in der Wissenschaft kontrovers beurteilt. Die wissenschaftliche Begründung zur BK Nr. 1318 gehe nach Auswertung der epidemiologischen Studienergebnisse davon aus, dass ein beruflicher Zusammenhang zwischen einer Benzolexposition und Malignomen des myeloischen und lymphatischen Systems bestehen könne. Dabei nehme das MM eine Sonderstellung ein, weil es sich aufgrund seiner Seltenheit und der langen Latenzzeit (Latenzzeit = Zeitspanne zwischen erstmaliger Exposition und Erstdiagnose) nur sehr schwierig beurteilen lasse. Deswegen sehe die wissenschaftliche Begründung für die Zusammenhangsfrage von MM und Benzolexposition eine einzelfallbezogene Beurteilung der Expositionsbedingungen vor. Bejaht werde eine ausreichende Exposition bei einer extremen Belastungsintensität über einen Zeitraum von 2 bis 5 Jahren oder bei einer hohen Belastungsintensität über einen Zeitraum von 6 Jahren und mehr.
Diese Schlussfolgerungen der wissenschaftlichen Begründung zur BK Nr. 1318 seien nicht unumstritten. Die herangezogenen Studien würden keine statistisch signifikante Risikoerhöhung zeigen. Eine Arbeitsgruppe von US-amerikanischen Epidemiologen (Alexander u.a., 2007) sei unter Auswertung umfangreicher, auch der wissenschaftlichen Begründung zu Grunde liegender Studien zu einer anderen Schlussfolgerung gelangt, nämlich, dass es kein signifikantes Dosis-Wirkungs-Muster und keine konsistente Risikoerhöhung gebe. T hat dazu die Auffassung vertreten, dass es derzeit nicht die im Sozialrecht geforderte Konsistenz der wissenschaftlichen Erkenntnisse für eine Kausalität zwischen einer Benzolexposition und einem MM gebe.
Selbst wenn man jedoch der Auffassung in der wissenschaftlichen Begründung folge, sei ein Ursachenzusammenhang zu verneinen. Zwar könne die Benzolexposition des Klägers als Drucker im Zeitraum 1971 bis 1996 nach den Unterlagen nicht exakt benannt werden und der Präventionsdienst habe keine Berechnung der sogenannten ppm-Benzoljahre vorgenommen. Insgesamt sei aber davon auszugehen, dass die Exposition weder hohe noch extreme Intensitäten angenommen habe. Die Benzolmessung im Blut im April 1996 sei nicht aussagekräftig, da die biologische Halbwertszeit von Benzol im Blut sehr kurz sei und nicht bekannt sei, ob die Probe während oder direkt nach Benzolexposition entnommen worden sei und damit aussagekräftig gewesen sei.
Aus den allgemeinen Arbeitsbedingungen im Gewerbebereich Druck und Papier sei jedoch abzuleiten, dass beim Kläger weder eine hohe noch eine extreme Benzol-Bela-stungsintensität bestanden habe, die auch nach der wissenschaftlichen Begründung zur BK Nr. 1318 gefordert werde. Dies ergebe sich auch aus den 2012 von der DGUV veröffentlichten Anwendungshinweisen zur retrospektiven Beurteilung der Benzolexpositionen (sogenanntes IFA Ringbuch Nr. 9105).
Danach sei für den Industrie- und Gewerbebereich "Druck und Papier" mit den Tätigkeiten Einrichten der Druckmaschinen, Überwachung des An- und Fortdruckes sowie Reinigungstätigkeiten für den Zeitraum 1980 bis 1999 festgestellt worden, dass Benzol in der Arbeitsplatzluft bei Messungen nicht habe nachgewiesen werden können. Für den Zeitraum vor 1980, für den keine Messwerte vorlägen, sei man auf Angaben zur Zusammensetzung der Produkte angewiesen, wobei die hier maßgeblichen Spezialbenzine nur geringe Benzolanteile enthalten hätten. Mit den in der wissenschaftlichen Begründung genannten Beispielen für eine extreme oder hohe Belastungsintensität, wie z.B. im Kfz-Handwerk mit Umgang von Otto-Kraftstoffen, sei die Benzolbelastung des Klägers nicht vergleichbar gewesen.
Im Weiteren hat T ausgeführt, dass bei den von den Berufsgenossenschaften anerkannten Fällen der BK Nr. 1318 die durchschnittliche Expositionsdauer 21 Jahre und die mittlere Latenzzeit 35 Jahre betragen habe. Beim Kläger sei von einer Expositionsdauer von rund 23 Jahren und einer Latenzzeit von ca. 32 Jahren auszugehen, was mit diesen Erfahrungswerten gut in Einklang stehe. Gegen einen Ursachenzusammenhang spreche aber die sogenannte Interimszeit. Nach epidemiologischen Studien sei nach einem Intervall von 10 bis 15 Jahren nach Expositionsende statistisch-epide-miologisch kein erhöhtes Erkrankungsrisiko mehr nachzuweisen. Die Interimszeit beim Kläger betrage aber rund 33 Jahre, da ab den 1980er Jahren in den Arbeitsmitteln die Benzolanteile so stark reduziert worden seien, dass sie nicht mehr im nachweisbaren Bereich gelegen hätten, weshalb das Expositionsende 1980 sei.
Insgesamt könne die Anerkennung der BK 1318 im vorliegenden Falle nicht empfohlen werden. Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird auf das Gutachten und die beigefügten Anlagen verwiesen.

Der auf Antrag des Klägers zum Sachverständigen bestellte H1 ist in seinem Gutachten vom 14.03.2017 nach Untersuchung des Klägers am 24.01.2017 zu der Beurteilung gelangt, dass das MM des Klägers wahrscheinlich durch seine berufliche Benzolexposition verursacht worden sei und dass eine BK Nr. 1318 vorliege.
Beim Kläger sei erstmals im August 2013 die asymptomatische Variante des MM - ein sogenanntes "Smoldering (= schwelendes) Multiple Myeloma (SMM)" diagnostiziert worden; die Bezeichnung als "Plasmozytom Durie/Salmon St. l" sei terminologisch etwas veraltet. Auch H1 hat ausgeführt, dass die anderen Diagnosen des Klägers nicht zum Krankheitsbild einer BK Nr. 1318 gehören.
Das MM sei durch monoklonale Plasmazellvermehrung im Knochenmark charakterisiert. Die Erkrankungshäufigkeit steige ab dem Alter von 50 Jahren signifikant an, Erkrankungen vor dem 35. Lebensjahr seien selten. Der Erkrankung gehe regelhaft eine monoklonale Gammopathie unklarer Signifikanz (MGUS) voraus, so dass das primäre Erkrankungsereignis viel früher als bei Erstdiagnose anzunehmen sei. Die MGUS sei definiert durch den laborchemischen Nachweis kompletter oder inkompletter monoklonaler Immunglobuline im Serum ohne klinische Symptomatik. Abweichend von T betrage aufgrund neuester Daten der Altersmeridian bei Männern 71 Jahre, so dass eine zeitliche Vorverlegung der Erkrankung als Folge langjähriger Benzolexposition nicht ausgeschlossen sei.
Im Weiteren hat auch H1 die widersprüchliche Studienlage hinsichtlich des Ursachenzusammenhangs von Benzolexposition und MM erläutert. Eine Kohortenstudie von 2015 (Stenehjem u.a., "Benzene exposure and risk of lymphohaematopoietic cancers in 25.000 offshore oil industry workers", BJC 2015) mit 24.917 männlichen norwegischen Arbeitern auf einer Ölbohrinsel, die einer niedrigen mittleren Benzolexposition ausgesetzt gewesen seien (Expositionszeitraum der meisten Probanden < 15 Jahre, mediane Benzolkonzentration einer 12h-Schicht 0,008 ppm, kumulative Expositionskonzentration zwischen < 0,001 bis zu 0,948 ppm-Jahre), habe ein erhöhtes Risiko der Erkrankung an einem MM gezeigt mit statistisch signifikantem Trend für die kumulative Exposition und einer klaren Dosis-Wirkungs-Beziehung. Dieses Ergebnis korreliere mit weiteren Arbeiten (Kirkeleit u.a., Cancer Causes Control 2008; Metaanalyse von Infante 2006), während eine australische Studie (Glass u.a., Epidemiology 2003) keine Assoziation zwischen Benzolexposition und Erkrankungsrisiko für MM habe nachweisen können. Während 1987 eine Kohortenstudie zu Arbeitern, die mit Kunststofffolien arbeiteten, einen statistisch signifikanten Anstieg von MM-Fällen aufgezeigt hätten, sei dies beim Update der Studie 2002 (Rinsky u.a., American Journal of industrial medicine, 2002) nicht mehr der Fall gewesen. Während eine Studie zu Arbeitern in der chemischen Industrie (Montesanto Chemical Company) 2003 Hinweise für eine Dosis-Wirkungs-Beziehung gezeigt habe, habe eine große Fall-Kontroll-Studie (Cocco u.a., Occupational and Environmental Medicine, 2010) von NHL in Europa 2010 keine Assoziation zwischen MM und Benzolexposition gezeigt. In der aktuellsten Zusammenfassung der International Agency for Research on Cancer (IARC) 2012 werde eine positive Assoziation zwischen Benzolexposition und MM beschrieben und insbesondere Bezug genommen auf die Metaanalyse von Infante von 2006, wonach ein statistisch signifikanter Anstieg des MM-Risikos berichtet worden sei. Das Argument des T, das 95% Konfidenzintervall würde den Wert 1,0 einschließen, sei hinfällig und somit auch die Annahme, es handele sich um ein zufälliges Ergebnis.
H1 ist davon ausgegangen, dass eine Benzolexposition grundsätzlich in der Lage sei, MM zu verursachen. Eine hohe oder gar extreme Benzolbelastungsintensität sei beim Kläger nicht nachgewiesen. Nach aktuellen Studien, die von der wissenschaftlichen Begründung zur BK Nr. 1318 noch nicht berücksichtigt worden seien, könnten aber auch geringe Benzolmengen ein MM verursachen. Der Kläger sei von 1971 bis 1996 und damit 25 Jahre einer beruflichen Benzolexposition ausgesetzt gewesen und die Interimszeit betrage 17 Jahre. Expositionszeit und Latenzzeit (32 Jahre) würden mit Erfahrungswerten der Literatur übereinstimmen; zur Interimszeit des MM gebe es keine Aussagen. Die von T zitierten Studien zur Interimszeit bezögen sich auf Studien zur Leukämie.
Zusammenfassend könne gefolgert werden, dass ein Ursachenzusammenhang zwischen Benzolexposition und MM auch bei geringeren Belastungsintensitäten bestehen könne. Die Interimszeit oder die geringfügigere Expositionsintensität könne hier nicht als Grund gegen den Ursachenzusammenhang gewertet werden. Zudem sei mit Blick auf die Interimszeit anzunehmen, dass die molekulargenetische Veränderung, die letztlich zum MM geführt habe, viel früher als die Erstdiagnose aufgetreten sei, zumal dem MM regelhaft ein MGUS vorausgehe. Damit lägen Expositions-, Latenz- und Interimszeit im Rahmen der Erfahrungswerte.

Die Beklagte hat dieser Beurteilung mit Schriftsatz vom 02.05.2017 widersprochen. Auch H1 habe nur eine niedrige Benzolexposition angenommen. Da eine hohe oder extreme Belastungsintensität ausgeschlossen werden könne, fehle ein hinreichend wahrscheinlicher Ursachenzusammenhang zwischen Erkrankung und beruflicher Benzolexposition. Demgegenüber hat sich der Klägerbevollmächtigte mit Schriftsatz vom 16.05.2017 auf das Gutachten des H1 gestützt, wonach auch eine niedrige Expositionsintensität zur BK führen könne. Aus der wissenschaftlichen Begründung zur BK Nr. 1318 ergebe sich nichts Anderes. Eine belastbare Ableitung einer Grenzdosis für die Benzolwirkung sei nicht möglich. Die generelle Eignung von Benzol als Ursache eines MM sei zu bejahen.

Auf die Niederschrift zur mündlichen Verhandlung vor dem SG vom 03.08.2017 wird Bezug genommen.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 03.08.2017 als unbegründet abgewiesen, weil das MM des Klägers nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf die berufliche Benzolexposition als wesentliche Ursache zurückzuführen sei. Abweichend von der wissenschaftlichen Begründung zur BK Nr. 1318 hat das SG die wissenschaftlichen Erkenntnisse zu einem Ursachenzusammenhang zwischen Benzolexposition und MM nicht für hinreichend gesichert gehalten.
Selbst wenn man aber davon ausgehe, dass Benzolexposition grundsätzlich in der Lage sei, ein MM zu verursachen, könne hier keine BK Nr.1318 anerkannt werden, weil dafür ausweislich der wissenschaftlichen Begründung eine hohe, wenn nicht sogar extreme Benzolbelastung über einen langen Zeitraum notwendig sei. Sämtliche Sachverständigen seien sich aber einig, dass keine solche Expositionsintensität beim Kläger vorgelegen habe. Vielmehr sei von einer niedrigen Benzolexposition auszugehen. Die Argumentation des H1 erscheine widersprüchlich; gerade wenn er vom Vorliegen einer Dosis-Wirkungs-Beziehung ausgehe und sogar die konkrete Berechnung der ppm-Benzoljahre für die Beurteilung für wichtig halte, sei es widersprüchlich, dass er bei einer unbekannten, aber in jedem Falle niedrigen Benzolexposition den Zusammenhang für wahrscheinlich halte. Er erkläre dies nicht, sondern habe nur ausgeführt, dass Benzol bzw. eine niedrige Benzolexposition ein MM verursachen "könne". Die bloße Möglichkeit eines Zusammenhangs genüge aber nicht. Für eine Wahrscheinlichkeit, dass also mehr für als gegen einen Zusammenhang spreche, fehlten Ausführungen des H1.
Gegen die Benzolexposition und für andere Ursachen des MM spreche nach Auffassung der Kammer der Zeitpunkt der Erstdiagnose beim Kläger im Alter von 57 Jahren, denn die Erkrankungswahrscheinlichkeit nehme ab dem 50. Lebensjahr erheblich zu. Eine ungewöhnliche Vorverlagerung des Erkrankungszeitpunkts sehe die Kammer nicht.

Gegen das am 18.09.2017 zugestellte Urteil hat der Kläger über seinen Bevollmächtigten am 17.10.2017 Berufung beim LSG eingelegt und u.a. Antrag auf mündliche Anhörung des H1 zur Erläuterung seines Gutachtens gestellt. Erstmals im Termin und völlig überraschend habe das SG zu erkennen gegeben, dass es dessen Gutachten für unzureichend halte.

Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 10.11.2017 Zurückweisung der Berufung beantragt und sich auf das Urteil des SG gestützt.

Mit richterlichem Hinweisschreiben vom 09.10.2018 ist der Klägerbevollmächtigte insbesondere darauf hingewiesen worden, dass nach der wissenschaftlichen Begründung zur BK Nr. 1318 das MM zu denjenigen Erkrankungen gehöre, bei denen ungeachtet der unzureichenden epidemiologischen Erkenntnislage eine ausreichende Exposition bei extremer Belastungsintensität über einen Zeitraum von in der Regel 2 bis 5 Jahren oder bei einer hohen Belastungsintensität über einen Zeitraum von in der Regel 6 oder mehr Jahren bejaht werde. Auch H1 habe aber eine extreme oder wenigstens hohe Belastungsintensität verneint. Soweit diese eine Studie von 2015 als Beleg für ein erhöhtes Risiko bei niedriger mittlerer Benzolkonzentration von norwegischen Arbeitern auf einer Bohrinsel genannt habe, habe er zugleich auf widersprechende anderweitige Studien hingewiesen und habe weder das Ausmaß der Risikoerhöhung noch die Vergleichbarkeit der Arbeitsbedingungen mit denen des Klägers thematisiert, weshalb seine von der wissenschaftlichen Begründung abweichende Bewertung nicht überzeugen könne. Für einen Antrag auf Einholung einer ergänzenden Stellungnahme gemäß § 109 SGG bei H1 ist Frist gesetzt worden.
Auf weiteren Schriftwechsel zu den Fragen des Klägers an den Sachverständigen und zur Frage der schriftlichen oder mündlichen Anhörung wird verwiesen (Schreiben des Gerichts vom 12.11.2018, vom 21.12.2018 und vom 01.04.2019; Schreiben des Klägerbevollmächtigten vom 11.12.2018, vom 30.01.2018 und vom 17.04.2019).

Auf die gerichtliche Anforderung einer konkreten Berechnung der ppm-Benzoljahre ist am 08.05.2019 die Stellungnahme des G vom Präventionsdienst der Beklagten vom 23.04.2019 eingegangen. Danach habe eine Worst-Case-Betrachtung eine Gesamtbelastung von 1,5 ppm-Benzoljahre ergeben, nämlich für die Zeit
1) 01.09.1971 bis 31.08.1974        Lehrzeit M             0,9 ppm-Jahre
2) 01.09.1974 bis 31.03.1976 und        
13.11.1978 bis 31.12.1980         M                                  0,5 ppm-Jahre    
3) 01.01.1981 bis 11.04.1986        S Druck                   0,1 ppm-Jahre
4) 14.04.1986 bis 07.01.1987      H Offsetdruck         0 ppm-Jahre
5) 21.03.1987 bis 29.11.1988       B Gravur                  0 ppm-Jahre
Auf die beigefügte Aufstellung wird Bezug genommen.
G hat erläutert, dass in der Berechnung eine erhöhte Belastung bei Reinigungsarbeiten durch den Kläger selbst und die Hintergrundbelastung durch Reinigungsarbeiten an benachbarten Maschinen bei verzögertem natürlichen Luftaustausch berücksichtigt werde. Die Reinigungszeit im Buch-/Bogenoffsetdruck - einschließlich Arbeiten mit benzolfreien Walzenwaschmitteln - habe in der Regel bei ca. 2 Stunden am Tag gelegen. Für die Lehrlingszeit sei aufgrund der Berufsschule mit 200 Arbeitstagen (bzw. Arbeitsschichten) im Jahr gerechnet worden.
Bei der Berechnung sei eine vollschichtige Druckertätigkeit angesetzt worden, obwohl der Kläger im Vorgang von 1995 für die Betriebe M, H Offsetdruck und B Gravur vor allem Tätigkeiten in der Druckvorstufe angegeben habe. Wie bereits dargelegt, sei der Benzolgehalt der verwendeten Mittel bereits ab den 1970er Jahren so niedrig gewesen, dass dadurch keine Abweichung in relevanter Höhe entstehe. Betroffen seien dabei Zeiträume nach der Lehre bei M mit 0,5 ppm-Benzoljahren sowie Zeitanteile als Azubi. Würde die Einweisung in die Druckvorstufe, was eigentlich ein eigenständiges Berufsbild mit eigener Ausbildung sei, mit einem Drittel der Lehrzeit angesetzt, wären weitere 0,3 ppm-Benzoljahre als fraglich anzusehen. Bei den beiden weiteren Betrieben errechne sich wegen des niedrigen Benzolgehalts der Mittel bereits kein Expositionswert mehr. Bei der Fa. V habe aufgrund der verwendeten Lösemittel keine Benzolexposition bestanden.
Der Benzolgehalt verwendeter Mittel habe
- vom 01.01.1970 bis 31.12.1974     0,2%
- vom 01.01.1975 bis 31.12.1979     0,1%
- vom 01.01.1980 bis 31.12.1984     0,01%
- vom 01.01.1985 bis 31.12.1990     0,001% und
- ab 01.01.1991                                < 0,001% betragen.

Der Klägerbevollmächtigte hat mit Schreiben vom 03.07.2019 insbesondere beanstandet, dass während der Tätigkeit für die Fa. V keine Benzolexposition bestanden haben solle. Der Kläger sei dort von 1989 bis 1996 als Drucker und Siebhersteller beschäftigt gewesen und habe täglich 8 bis 9 Stunden Kontakt mit Toluol, Xylol, Ethylbenzol, Styropor, Blei, Entschichtungsmitteln, Putzmitteln, Härtern usw. gehabt. Viele frühere Arbeitskollegen seien bereits verstorben, alle Kollegen hätten die gleichen gesundheitlichen Probleme wie der Kläger gehabt, insbesondere Haut- und Atemprobleme. Auch die Leberwerte des Klägers seien sehr hoch gewesen. Hauptlieferant der Produkte sei die Firma S1 gewesen. Arbeitsmedizinische Betreuung bzw. Messungen der Beklagten oder Aufklärung über mögliche Gefahren seien nicht erfolgt. Spätere Messungen seien zuvor angekündigt worden. Anhörung des Klägers und des H1 werde beantragt.

Die Beklagte hat mit Schreiben vom 17.07.2019 die Kritik an der Berechnung zurückgewiesen; konkrete Bedenken seien nicht genannt worden. Die bei der Fa. V verwendeten Kleber, Härter, Farben und Lösungsmittel hätten kein Benzol enthalten. Streitbefangen seien weder Haut- noch Atem- noch Leberprobleme.

Weitere konkrete Beweismittel zur Höhe der Benzolbelastung hat der Kläger auf Anfrage des Gerichts (Schreiben vom 11.05.2020) nicht genannt (Schreiben des Klägerbevollmächtigen vom 09.06.2020 und 27.02.2020).

Am 02.08.2021 hat Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage insbesondere mit Blick auf die berufliche Benzolexposition des Klägers in Anwesenheit von D1 vom Präventionsdienst der Beklagten stattgefunden.

D1 hat Folgendes mitgeteilt: Hinsichtlich der Benzolbelastung sei die Arbeit im Offsetdruck die größte Belastung. Die Benzolbelastung ergebe sich nicht aus den Farben, sondern aus den Reinigungsmitteln wie Spezial- bzw. Waschbenzin.
Für eine Worst-Case-Einschätzung der bisherigen Berechnungen spreche, dass für die Lehrzeit von einer dauerhaften Tätigkeit im Offsetdruck ausgegangen worden sei, dass für die Lehrzeit 200 Arbeitstage (statt 170 bis 180 Arbeitstage) angesetzt worden seien und dass generell 2 Stunden Reinigungszeit und zusätzlich 6 Stunden Bystander-Belastung eher hoch angesetzt seien. G habe für die Lehrzeit eine dreijährige Tätigkeit als Offsetdrucker zugrunde gelegt, obwohl in der Lehrzeit auch andere Aufgaben anfallen würden, z.B. in der Satzabteilung und in der Druckvorbereitung. Üblicherweise sei ein Lehrling in verschiedenen Abteilungen tätig. Gehe man von einer Arbeit in der Druckvorstufe im Umfang von 1/3 der Lehrzeit aus, seien 0,3 ppm-Jahre in der Berechnung (von den bisher insgesamt 1,5 ppm-Jahre) abzuziehen.
Ungünstige Lüftungsverhältnisse würden sich auf die Berechnung der Benzolberechnung nicht erhöhend auswirken. Die Berechnung gehe nicht von Lüftungsanlagen aus, sondern nur von der natürlichen Lüftung durch Entweichen von Benzol durch Fenster und Türen. Selbst in geschlossenen Räumen gebe es eine gewisse natürliche Lüftung.
Chlorbenzol, das der Härter 933 rapid der Firma K und W enthalten habe, unterscheide sich von Benzol in einem Atom, habe völlig andere Eigenschaften als Benzol, sei nicht krebserregend und nicht als Stoff im Sinne der BK Nr. 1318 zu berücksichtigen.

Der Kläger hat insbesondere Folgendes vorgetragen:
- Außer der Messung von Benzolwerten im Blut im April 1996 (vgl. Gutachten L) seien ihm keine Blutuntersuchungen auf Schwermetalle oder Benzol erinnerlich.
- Er habe nie geraucht.
- Nach Ausscheiden bei der Fa. V (Beschäftigung bis Mai 1996) sei er keinen weiteren Benzolbelastungen ausgesetzt gewesen.
- Als Lehrling habe er einen 8-Stunden-Tag gehabt und einen Berufsschultag in der Woche. Er habe großteils im Offsetdruck gearbeitet, kaum im Bereich Satz. Er habe sehr viel Reinigungsarbeiten durchgeführt (Reinigung der eigenen Maschine und auf Aufforderung Reinigung der Maschinen der Gesellen/Meister), ca. 5 bis 6 Stunden täglich (im dritten Lehrjahr etwas weniger). Handschuhe oder eine Lüftungsanlage habe es nicht gegeben. Nur ab und zu sei ein Fenster geöffnet worden.
- Nach Ende der Lehrzeit habe er bei der Fa. M als Drucker gearbeitet, regelmäßig 45 Std./Woche statt der vereinbarten 37,5 Std./Woche. Reinigungsarbeiten als Geselle schätze er auf 40% der Arbeitszeit. Beweismittel, z.B. zum Umfang der Arbeitszeit, könne er nicht benennen und habe er nicht.
- Bei der Fa. H Offsetdruck sei er in der Druckvorlagenherstellung tätig gewesen (Offsetdruck) und habe nicht selbst gedruckt (keine Handschuhe, keine technische Lüftungsanlage).
- Bei der Fa. S Druck sei er als Drucker (Offsetdruck) tätig gewesen, ohne Handschuhe und ohne technische Lüftungsanlage. Dort seien weniger häufig Reinigungsarbeiten angefallen.
- Bei der Fa. B habe er Druckvorlagen für Druckereien hergestellt und mit Andruckmaschinen das Druckbild geprüft. Die Reinigungsarbeiten schätze er auf 2 Std./Tag. Ab und zu habe er Handschuhe bekommen.
- Bei der Fa. V sei auf Anweisung des Gewerbeaufsichtsamts eine Art Ventilator im Fensterbereich installiert worden, was für das Absaugen von Lösungsmitteln nicht geeignet gewesen sei. Handschuhe für das Entschichten der Siebe habe er nur in den letzten beiden Jahren bekommen. Er sei einer Vielzahl von Stoffen ausgesetzt gewesen.

Die Beklagte ist vom Gericht aufgefordert worden, mit Blick auf die nachgetragenen Punkte des Klägers eine Berechnung vorzulegen, die eine aus ihrer Sicht realistische Beurteilung der ppm-Jahre des Klägers enthalte, und daneben eine Worst-Case-Berechnung. Insbesondere werde um Prüfung gebeten, ob sich erhöhte Reinigungsarbeiten während der Lehrzeit und ungünstige Lüftungsverhältnisse erhöhend auswirken würden. Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird auf die Niederschrift Bezug genommen.

Mit Schreiben vom 01.10.2021 hat die Beklagte die Ergänzung der Stellungnahme zur Arbeitsplatzexposition des G vom 28.09.2021 mit zwei Berechnungen übersandt und ausgeführt, dass unter Berücksichtigung der Angaben des Klägers die berufliche Benzolbelastung in einem Bereich zwischen 1,0 und maximal 2,2 Benzoljahren liege, sodass nach derzeitigem wissenschaftlichen Erkenntnisstand kein Kausalzusammenhang zwischen Benzoleinwirkung und MM bestehe. Wie bereits im Erörterungstermin angesprochen, seien die Angaben des Klägers im Termin hinsichtlich der Einwirkungszeiten während der Ausbildung und der späteren Gesellentätigkeit nicht vollständig überzeugend oder widerspruchsfrei; auf dieser Basis ergebe sich eine maximale kumulative Dosis von 2,2 Benzoljahren.
G hat ausgeführt, dass der ersten beigefügten Berechnung, die 2,2 ppm-Jahre ergebe, die im Termin vom Kläger geltend gemachten Reinigungszeiten als Auszubildender und Geselle bei der Fa. M und den anderen Beschäftigungsverhältnissen zugrunde gelegt worden seien, was die errechnete Dosis erhöhe. Das Rechenverfahren beruhe auf Messungen der ehemaligen BG Druck und Papierverarbeitung in Mitgliedsbetrieben unter den damals üblichen Lüftungsverhältnissen. Im Gegensatz zu den heutigen, teilweise hochgedämmten Gebäuden hätten Undichtigkeiten in der Gebäudehülle sowie das Öffnen und Schließen von Toren und Türen im normalen Betrieb bereits zu zweifachem Luftwechsel in der Stunde geführt, weshalb besonders ungünstige oder unübliche Lüftungsverhältnisse nicht unterstellt werden könnten. Geschlossene Fenster seien in den Betrieben allgemein üblich gewesen.
Die zweite Berechnung, die 1,0 ppm-Jahre ergebe, beruhe auf der eigenen Einschätzung nach mehr als zwanzigjähriger Tätigkeit in der BK-Ermittlung im graphischen Gewerbe. Dort seien nur die Zeiten berücksichtigt, für die der Kläger im Rehaantrag vom 30.06.1995 eine Tätigkeit als Buch-/Offsetdrucker angegeben habe. Der Kläger habe unterschiedliche Angaben zur Druckertätigkeit als Geselle für die Fa. M gemacht (Rehaantrag 1995: Tätigkeit in der Druckvorstufe; 2014 telefonische Angabe, immer auch gedruckt zu haben; im Erörterungstermin 2021: ausschließliche Druckertätigkeit). Mangels Unterlagen sei die Druckertätigkeit und die damit verbundene Benzolexposition nicht im Vollbeweis nachgewiesen. Insofern seien die Angaben von 4 Stunden Reinigungszeit am Tag und von - trotz Folgen der Ölkrise - erheblichen Überstunden unerheblich.
Auf eine beigefügte Beschreibung zur Vielzahl der an Offsetmaschinen in den 1970er Jahren notwendigen Verrichtungen, zu Zahl und Einsatzbereichen der verschiedenen Reinigungsmittel und zu typischen Lehrlingsaufgaben (u.a. Mitarbeit in Setzerei, Filmmontage, Plattenherstellung) hat G verwiesen. Dass der Kläger als Lehrling hauptsächlich Reinigungsarbeiten ausgeführt habe, wäre sehr ungewöhnlich gewesen. Es sei nicht nur mit benzolhaltigem Gummituch, sondern auch mit benzolfreien Walzenwaschmitteln gereinigt worden. Insbesondere das undankbare Entfernen hartnäckiger, bereits angetrockneter Farbverschmutzungen als typische Lehrlingstätigkeit sei mit benzolfreien Farblösern bzw. -fressern erfolgt.
Die geltend gemachte tägliche Reinigungstätigkeit von 6 Stunden als Lehrling mit benzolhaltigen Lösungsmitteln entspreche nicht den Erfahrungen des Präventionsdienstes, weshalb weiter 2 Stunden täglich anzusetzen seien. Soweit bei M vor allem Kleinauflagen gedruckt worden seien, hätten die Maschinen bzw. Gummitücher zwar öfters gereinigt werden müssen, der Zeitaufwand pro Reinigungsvorgang sei aber wegen geringerer Verschmutzung weniger gewesen. Kurze Zwischenreinigungen seien meist von den Druckern selbst erledigt worden. Bei Endreinigungen zum Feierabend oder Wochenende, die gern den Lehrlingen zugeschoben worden seien, habe das Reinigen mit Gummituchwaschmitteln den kleineren Teil ausgemacht. Für den Betrieb sei es deutlich lukrativer gewesen, wenn spätestens im 3. Lehrjahr für das Lehrlingsgehalt Gesellenarbeit geleistet worden sei. Auch der technische Aufsichtsbeamte H2, Dipl.-Ingenieur für das Druckereiwesen, gelernter Offsetdrucker und späterer Druckereileiter, halte 6 Stunden Hilfsarbeiten täglich für nicht realistisch; mit max. 2 Stunden Ausbildung am Tag habe der Beruf nicht erlernt werden können. Im Übrigen habe der Kläger trotz der wirtschaftlichen Folgen der Ölkrise erhebliche Überstunden angegeben.
Als typische Lehrlingstätigkeiten ab 1950 bis in die frühen 1970er Jahre werden u.a. genannt: Aufräumen und Fegen des Drucksaals, Sammeln/Entsorgen von Abfällen, Papierresten und Makulatur, Vorstapeln des Bedruckstoffs, Wenden einseitig bedruckter Bögen, Ein-/Auslagern von Papier, Druckfarben und Lösemitteln, Abfüllen von Lösemitteln und Bereitstellung an den Druckmaschinen, Reinigungsarbeiten an Druckmaschinen, Ausliefern eiliger Aufträge an Kunden, Brotzeit besorgen etc.

Die Rechnung 1 (nach Erfahrungswerten der Prävention) hat 1,0 ppm-Jahre ergeben mit folgenden Werten:
1) 01.09.1971 bis 31.08.1974    Lehrzeit M    0,9 ppm-Jahre
2) 01.01.1981 bis 11.04.1986    S Druck        0,1 ppm-Jahre

Die Rechnung 2 (Worst-Case-Schätzung nach Angaben des Klägers im Termin) hat 2,2 ppm-Jahre ergeben mit folgenden Werten:
1) 01.09.1971 bis 31.08.1974    Lehrzeit M    1,4 ppm-Jahre
2) 01.09.1974 bis 31.03.1976 und                 
13.11.1978 bis 31.12.1980    M                         0,7 ppm-Jahre
3) 01.01.1981 bis 11.04.1986    S Druck        0,1 ppm-Jahre
4) 21.03.1987 bis 29.11.1988    B                    0 ppm-Jahre
Der Rechnung 2 liegen u.a. folgende Angaben zu Grunde:
- in der Lehrzeit 180 Arbeitstage, in den ersten zwei Lehrjahren 6 Stunden tägliche Reinigungsarbeiten, im 3. Lehrjahr 5 Stunden tägliche Reinigungsarbeiten,
- als Geselle bei M 9 Stunden tägliche Arbeitszeit, davon 4 Stunden Reinigungsarbeiten,
- bei S Druck und B 2 Stunden Reinigungsarbeiten
- für die Arbeit bei H Offsetdruck (14.04.1986 bis 07.01.1987) 0 ppm-Jahre; der Kläger hatte im Termin angegeben, dass er dort nicht gedruckt habe.
Hinsichtlich weiterer Einzelheiten, insbesondere zu Tätigkeiten im Bogenoffsetdruck und zu Reinigungstätigkeiten und Reinigungsmitteln wird auf die Stellungnahme verwiesen.

Auf das gerichtliche Hinweisschreiben vom 27.12.2021 hat der Klägerbevollmächtigte mit Schreiben vom 05.01.2022 den Antrag auf Einholung einer ergänzenden Stellungnahme des H1 wiederholt.
Der daraufhin vom Gericht mit Schreiben vom 25.01.2022 zu einer ergänzenden Stellungnahme unter Beantwortung konkreter Beweisfragen gemäß § 109 SGG beauftragte H1 hat mit Schreiben vom 16.02.2022 (Eingang) mitgeteilt, dass er im Gutachten vom 14.02.2017 nach präziser und differenzierter Aufarbeitung der einschlägigen Literatur einen Zusammenhang zwischen der beruflichen Benzolexposition und dem MM des Klägers als wahrscheinlich angesehen habe. Dies habe vor allem darauf gegründet, das wichtige Studien einen solchen Zusammenhang aufgezeigt hätten, auch bei geringfügiger Benzolexposition unter 1 ppm-Benzoljahr. Die auf sein Fachgebiet Hämatologie abzielenden Fragen habe er bereits im Gutachten von 2017 ausführlich beantwortet. Die vertiefte Beurteilung eines kausalen Zusammenhangs zwischen Benzolexposition und Entwicklung eines MM sowie die Anwendung dieser Ergebnisse und publizierten Daten auf den gegenständlichen Fall gehe eindeutig über sein eigenes Fachgebiet Hämatologie und Onkologie hinaus und solle durch ein arbeitsmedizinisches Gutachten beantwortet werden. Aus diesen Gründen bitte er, von seiner ergänzenden Stellungnahme abzusehen und stattdessen ein Gutachten bei einem Experten und Facharzt für Arbeitsmedizin anzufordern.

Der Klägerbevollmächtigte hat mit Schreiben vom 23.03.2022 beantragt, H1 zur mündlichen Erläuterung seines Gutachtens zu laden. Der Sachverständige halte den Zusammenhang zwischen Krankheit und Benzolexposition für wahrscheinlich, was vom Kläger als hinreichende Wahrscheinlichkeit gedeutet werde.
Das Gericht hat mit Schreiben vom 27.04.2022 darauf hingewiesen, dass H1 mitgeteilt habe, dass die verbliebenen streitgegenständlichen Fragen zum Kausalzusammenhang eindeutig außerhalb seines Fachgebiets lägen und in das Fachgebiet eines Arbeitsmediziners fallen würden. Der Vorschlag, der Sachverständige solle die Fragen mündlich statt schriftlich beantworten, vermöge dem Problem der fehlenden Fachkompetenz nicht abzuhelfen. Soweit H1 auf seit der Erstellung des Merkblatts (30.12.2009) und der wissenschaftlichen Begründung (01.09.2007) zur BK Nr. 1318 erfolgte wichtige Studien zum Ursachenzusammenhang zwischen Benzolbelastung und MM u.a. bei geringfügiger Benzolexposition hingewiesen habe, werde auf eine mittlerweile im Rahmen eines anderen Berufungsverfahrens des Senats eingegangene beratungsärztliche Stellungnahme der Arbeits- und Sozialmedizinerin H3 vom 25.11.2021 hingewiesen. Vor diesem Hintergrund folge das Gericht dem Vorschlag von H1, zur weiteren Klärung des Ursachenzusammenhangs auf Kosten der Staatskasse von Amts wegen ein Gutachten des F einzuholen und entbinde H1 entsprechend seinem Antrag von der Verpflichtung zur ergänzenden Stellungnahme. Auf die beigefügten Anlagen, insbesondere die beratungsärztliche Stellungnahme der H3 sowie den beigefügten Artikel von Stenehjem u.a. ("Benzene exposure and risk of lymphohaematopoietic cancers in 25.000 offshore oil industry workers", BJC 2015 112, 1603-1612) wird Bezug genommen.

H3 hat im Wesentlichen ausgeführt, dass in der wissenschaftlichen Begründung zur BK Nr. 1318 zwei Gruppen bösartiger Erkrankungen unterschieden würden. Bei der Gruppe A (z.B. akute myeloische Leukämie - AML) handele sich um Krankheitsbilder, für die sich aus der wissenschaftlichen Literatur ein Dosismaß für eine Risikoverdopplung ableiten lasse. Bei Erkrankungen der Gruppe A liege eine Verursachungswahrscheinlichkeit von mehr als 50% bei etwa 8 bis 10 ppm-Benzoljahren vor. Allerdings sei zu berücksichtigen, dass die Exposition dieser Kollektive höher gewesen sei, da neben der inhalativen Exposition, aus der das Dosismaß von 8 bis 10 ppm-Benzoljahre abgeleitet worden sei, auch eine zusätzliche, nicht quantifizierte dermale Exposition vorgelegen habe.
Bei den Krankheitsbildern der Gruppe B handele sich um Krankheitsbilder, für die sich kein Dosismaß für eine Risikoverdopplung aus der wissenschaftlichen Literatur ableiten lasse. In der Mehrzahl der Studien sei laut wissenschaftlicher Begründung kein zwingender Zusammenhang zwischen Benzolexposition und Verursachung von NHL gefunden worden. Die Anerkennung dieser Erkrankungen beruhe wesentlich auf mechanistischen Überlegungen und sei als Konvention zu verstehen. Unter 3.3 der wissenschaftlichen Begründung zur BK Nr. 1318 werde ungeachtet der unzureichenden epidemiologischen Erkenntnislage beispielhaft eine ausreichende Exposition bejaht bei extremer Belastungsintensität über einen Zeitraum von in der Regel 2 bis 5 Jahren oder bei einer hohen Belastungsintensität über einen Zeitraum von in der Regel 6 und mehr Jahren. Daraus sei indirekt abgeleitet worden, dass ab einer (inhalativen) Exposition von mindestens 16 bis 20 ppm-Benzoljahren (zwei Jahre extreme Belastungsintensität) ein Zusammenhang geprüft werden solle. Es könne aber nicht verkürzt angenommen werden, dass bei Benzolexposition von 16 ppm-Benzoljahren ein Kausalzusammenhang mit der Entstehung eines NHL bejaht werden könne.
Als extreme Belastungsintensität seien 7 Tätigkeiten hinterlegt, bei denen die Spannweite der Benzolbelastung bei einjähriger Expositionszeit von 8 bis 110 ppm-Benzoljahren reiche. Formal ergebe sich daher bei extremer Belastungsintensität von 2 bis 5 Jahren - wie für die Gruppe B vorgesehen - ein Dosisintervall zwischen 16 ppm-Benzoljahren (2 Jahre x 8 ppm) bis 550 ppm-Benzoljahren (5 Jahre x 110 ppm). Es sei aber nicht korrekt, jeweils die beiden kleinsten oder die beiden größten Annahmen miteinander zu vergleichen. Vielmehr sei abzuleiten, dass bei der kleinsten als extrem hinterlegten Belastungsintensität (8 ppm) eine 5-jährige Tätigkeit erforderlich sei, während bei Tätigkeiten mit höherer Exposition schon eine 2-jährige Tätigkeit ausreichen könne. Damit liege der Expositionsbereich, bei dem ein Kausalzusammenhang im Sinne der wissenschaftlichen Begründung für Erkrankungen der Gruppe B vorgenommen werden könne, im deutlich 2-stelligen Bereich. Nach Einschätzung des Ärztlichen Sachverständigenbeirates "Berufskrankheiten" (ÄSVB) seien für Erkrankungen der Gruppe B eine deutlich höhere Exposition erforderlich als für die Verursachung einer Erkrankung der Gruppe A, was auch durch die wissenschaftliche Literatur gestützt werde. Denn bei Expositionshöhen von 8 bis 10 ppm-Benzoljahren würden zwar gehäuft AML (Erkrankung der Gruppe A) beobachtet, aber keine Häufung von NHL (Gruppe B).
Auch die wissenschaftliche Literatur, die nach Erstellung der wissenschaftlichen Begründung zur BK 1318 veröffentlicht worden sei und von der IARC in der Monographie 120 umfassend dargestellt werde, unterstütze diese Einschätzung. Danach lägen nun einige qualitativ hochwertige Kohortenstudien zum Lymphomrisiko vor. Aber auch hier habe sich nur in zwei Studien ein statistisch signifikant erhöhtes Risiko für das Auftreten von NHL bei sehr hohen Expositionen gezeigt.

Mit Beschluss vom 08.06.2022 ist der Sachverständige H1 vom Gutachtensauftrags entbunden worden.
Ferner ist F, Facharzt für Arbeitsmedizin, Haut- und Geschlechtskrankheiten, Sozialmedizin, Allergologie, Umweltmedizin (Direktor des Instituts und der Poliklinik der F Universität <F> E), mit Beweisanordnung vom 08.06.2022 mit der Erstellung eines Gutachtens nach Aktenlage beauftragt worden, das er am 22.07.2022 erstellt hat.
Der Sachverständige hat zusammenfassend ausgeführt, dass die beruflichen Benzoleinwirkungen nach aktueller herrschender wissenschaftlicher Lehrmeinung nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit notwendige Bedingung (conditio sine qua non) für das MM des Klägers im Sinne der Entstehung oder wesentlichen Verschlimmerung gewesen seien, weil die kumulative Benzolexposition von 1,0 bzw. maximal 2,2 ppm-Benzoljahren zu gering gewesen sei.
Beim Kläger sei 2013 ein MM, das zu den NHL gehöre, zweifelsfrei gesichert worden. Dagegen hätten sich im Gutachten von L 1996 keine Hinweise auf ein MM oder auf eine als Vorstufe für ein MM zu betrachtendes MGUS gezeigt.
F hat darauf hingewiesen, dass der Verordnungsgeber im Jahr 2007 mit Veröffentlichung der wissenschaftlichen Begründung zur BK Nr. 1318 "Erkrankungen des Blutes, des blutbildenden und lymphatischen Systems durch Benzol" die generelle Geeignetheit von Benzol zur Verursachung von NHL (Verursachungskausalität) anerkannt und das MM im Merkblatt zur BK Nr. 1318 vom 30.12.2009 in der Gruppe B, als bei einem begründeten Verdacht anzeigepflichtige Berufskrankheit aufgeführt und damit als Listenkrankheit zur BKV aufgenommen habe. Dies sei in Kenntnis der von T und H1 diskutierten heterogenen Datenlage zur Verursachung eines MM durch Benzol erfolgt. Daher sei die generelle Geeignetheit von Benzol zur Verursachung eines MM im Einzelfall nicht mehr zu diskutieren.
Allerdings reiche die generelle Geeignetheit eines Stoffes zur Verursachung einer Erkrankung im Berufskrankheitenrecht nicht aus; maßgeblich sei, ob eine bestimmte Personengruppe infolge der beruflichen Tätigkeit erheblich höher gefährdet sei als die übrige Bevölkerung. Als Maß für die Wesentlichkeit habe sich die Verdopplung des Erkrankungsrisikos etabliert. Für Erkrankungen der Gruppe A habe der Verordnungsgeber eine kumulative Belastung im hohen einstelligen bzw. im unteren zweistelligen Bereich der ppm-Jahre als Kriterium für eine Anerkennung der BK Nr. 1318 nennen können.
Bei anderen Erkrankungen, wie dem MM, habe man keinen konkreten ppm-Jahres-Wert ableiten können. Deswegen gehe die wissenschaftliche Begründung ungeachtet der unzureichenden epidemiologischen Erkenntnislage davon aus, dass bei einer extremen Belastungsintensität ein Zeitraum von 2 bis 5 Jahren oder bei einer hohen Belastungsintensität ein Zeitraum von 6 und mehr Jahren nach Prüfung des Einzelfalls für eine berufliche Verursachung durch Benzol spreche. Daraus würden dann in der Regel deutlich höhere Benzolbelastungen als im niedrigen zweistelligen ppm-Bereich resultieren.
Selbst bei einer Erkrankung der Gruppe A der wissenschaftlichen Begründung, bei denen es deutliche Hinweise für eine Dosis-Wirkungs-Beziehung gebe, wäre die Exposition von maximal 2,2 ppm-Benzoljahren nicht als ausreichend für eine Verursachung oder wesentliche Mitverursachung zu bewerten. Für die wesentliche Mitverursachung einer Erkrankung an einem MM durch Benzol, das zur Gruppe B gehöre, würden noch höhere Expositionen erwartet, wie in der wissenschaftlichen Begründung beschrieben sei.
Neue wissenschaftliche Erkenntnisse, die zum Teil auch von H1 beschrieben worden seien, würden zwar die wissenschaftliche Begründung der BK Nr. 1318 bestätigen, insbesondere die generelle Geeignetheit von Benzol, MM zu verursachen. Auch diese Studien würden aber keine wissenschaftlich belastbaren Hinweise zur erforderlichen Mindestdosis bzw. für die Bestimmung der Höhe der Benzolexposition geben, die nach deutschem Berufskrankheitenrecht als wesentlich für die Entstehung eines MM anzusehen wäre. Daher ergebe sich auch aus den nach 2007 veröffentlichten Studien keine Notwendigkeit für eine Neubewertung der in der wissenschaftlichen Begründung erläuterten Expositions-Risiko-Beziehung.
Die von H1 erwähnte Studie aus dem Jahr 2015, die 25.000 Arbeiter der Ölindustrie zum Gegenstand hatte, habe - bei relativ geringen Expositionen mit der höchsten Belastung von 0,124 bis 0,948 ppm-Jahre - ein erhöhtes Erkrankungsrisiko von 3,25 gezeigt, mit einem Vertrauensintervall (Konfidenzintervall) von 1,0-10. Daher bewege sich das Risiko zwischen "keine Risikoerhöhung" (Wert: 1,0) und dem 10fachen Risiko. Allerdings sei dieses Risiko nur an wenigen Erkrankungsfällen abgeleitet worden, so dass - in Kenntnis der gesamten vorhandenen wissenschaftlichen Literatur zum Thema - keine wissenschaftlich belastbare Allgemeingültigkeit einer Dosis-Risiko-Beziehung abgeleitet werden könne, die die Aussagen der wissenschaftlichen Begründung der BK Nr. 1318 in Frage stellen würde. F hat darauf hingewiesen, dass bei der Ursachenbewertung neben der Relevanz (Stärke des Effekts, z.B. Risikoerhöhung) auch die Signifikanz von Bedeutung sei; die Signifikanz bewerte die statistische Testung, die Zufallsergebnisse ausschließen solle, wobei auch die Größe der untersuchten Kollektive von Bedeutung sei.
Weitere epidemiologische Studien aus den Jahren 2018 und 2020 sprächen ebenfalls für einen generellen Zusammenhang. Konkretere, wissenschaftlich belastbare Expositionsangaben, die eine exakte Risikoquantifizierung ermöglichen würden, würden sich jedoch auch in der Literatur nach 2007 nicht finden.
Die Benzolexposition des Klägers entspreche einer "geringen Belastungsintensität" der wissenschaftlichen Begründung, die eine Einzelfallprüfung erforderlich mache. Für die Annahme einer Verursachung des MM durch die Benzoleinwirkung sprächen zwar das jugendliche Alter bei Expositionsbeginn und der vorverlagerte Erkrankungszeitpunkt. Dagegen sprächen die Latenz- und die Interimszeit. Wesentlich gegen die berufliche Benzolbelastung als wesentliche Mitursache des MM spreche jedoch bei Prüfung des vorliegenden Einzelfalls, dass die festgestellte Belastungsintensität mit Benzol als zu gering zu betrachten sei. Zu einer geringen Belastungsintensität würden sowohl die Verhältnisse in der Tätigkeitsbeschreibung als auch die vom Unfallversicherungsträger eingeschätzten 1,0 oder 2,2 ppm-Benzoljahre zählen. Auch die in der Niederschrift zum Erörterungstermin beschriebenen Tätigkeiten und Belastungen würden nichts an der Einschätzung ändern, dass die Expositionen des Klägers denen zuzuordnen seien, die in der wissenschaftlichen Begründung der BK Nr. 1318 als Expositionen mit geringer Intensität aufgeführt würden.
Zum Hinweis der Klägerseite, der Kläger sei als Drucker einer Vielzahl von Gefahrstoffen ausgesetzt gewesen, hat F dargelegt, dass für das Krankheitsbild des MM einzig die Belastung mit Benzol von Relevanz sei, während die sogenannten Benzolhomologe (z.B. Toluol, Xylol, Ethylbenzol) oder andere Lösemittel nach derzeitigem Stand der wissenschaftlichen Literatur nicht das Potential hätten, bösartige Erkrankungen des blutbildenden Systems hervorzurufen.

Das Gutachten ist an die Beteiligten mit Schreiben vom 19.08.2022 gemäß § 65d SGG als elektronisches Dokument versendet worden, mit Gelegenheit zur Stellungnahme bis 29.09.2022 und mit der Mitteilung, dass die Ermittlungen von Amts wegen abgeschlossen sind. Eine Äußerung der Beteiligten ist nicht eingegangen.

Auf die Ladung zum Termin mit Schreiben vom 13.10.2022 hat der Klägerbevollmächtigte am 14.10.2022 telefonisch mitgeteilt, dass er das Gutachten nicht erhalten habe. Nach mehrfachen (erfolglosen) Übersendungsversuchen an das elektronische Anwaltspostfach und mittels Fax am 14.10.2022 hat die Geschäftsstelle eine Versendung per Post veranlasst. Der Klägerbevollmächtigte hat mit Schriftsatz am 14.10.2022 Antrag auf Aufhebung des Termins gestellt, weil er bislang das Gutachten nicht erhalten habe. Mit Schreiben vom 24.10.2022 hat er mitgeteilt, dass er das Gutachten am 14.10.2022 nachmittags per beA und nochmals am 24.10.2022 per Briefpost erhalten habe. Er hat erneut Antrag auf Aufhebung bzw. Verlegung des Termins vom 08.11.2022, auf Einräumung einer Äußerungsfrist bis 17.11.2022 sowie Antrag auf Ladung des Sachverständigen F zur Erläuterung seines Gutachtens in der mündlichen Verhandlung gestellt. Konkrete Fragen an den Sachverständigen werde er nach Besprechung mit dem Kläger innerhalb der beantragten Äußerungsfrist mitteilen.

Mit Beschluss vom 26.10.2022 hat der Vorsitzende den Antrag auf Aufhebung des Termins zur mündlichen Verhandlung am 08.11.2022 abgelehnt, weil derzeit kein erheblicher Grund ersichtlich sei, der einen Anspruch auf Aufhebung rechtfertigen könne.

Mit Schreiben vom 03.11.2022 hat der Klägerbevollmächtigte erneut Antrag auf Terminverlegung zur Wahrung rechtlichen Gehörs gestellt; der Kläger wolle das Gutachten mit seinem Onkologen besprechen, der aber erst am 08.11.2022 wieder zur Verfügung stehe. Daraufhin ist der Termin aufgehoben worden.

Mit Schreiben vom 14.11.2022 hat der Klägerbevollmächtigte erneut beantragt, F zur mündlichen Verhandlung für die Erläuterung seines Gutachtens zu laden (§§ 397, 402 ZPO i.V.m. § 202 SGG). Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf das Schreiben verwiesen.

Auf die Niederschrift zur mündlichen Verhandlung am 04.01.2023 wird Bezug genommen, insbesondere hinsichtlich des rechtlichen Hinweises des Vorsitzenden zur Zuständigkeitsproblematik des Rentenausschusses, der Bitte des Klägerbevollmächtigten um Schriftsatzfrist und seines Antrags, H1 zur Erläuterung seines Gutachtens mündlich zu hören.

Der Klägerbevollmächtigte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 03.08.2017 und den Bescheid der Beklagten vom 30.04.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.01.2016 aufzuheben und festzustellen, dass beim Kläger eine Berufskrankheit Nr. 1318 der Anlage 1 der Berufskrankheitenverordnung vorliegt.

Die Beklagte beantragt,
     die Berufung zurückzuweisen.

Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird auf die beigezogenen Akten der Beklagten, des SG unter den Az. S 4 U 175/97, S 5 U 292/14 und S 5 U 40/16 und die Akten des LSG unter den Az. L 2 U 322/17 und L 2 U 140/16 verwiesen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.


E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung erweist sich als unbegründet. Die kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage, gerichtet auf Feststellung einer BK Nr. 1318 der Anlage 1 zu BKV, hat keinen Erfolg.

A) Der Kläger hat keinen Anspruch auf Aufhebung der angegriffenen Bescheide, weil die Beklagte durch ihren Rentenausschuss entschieden hat.
Zwar ist der Bescheid der Beklagten vom 30.04.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.01.2016 unter Berücksichtigung der geänderten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) in seinem Urteil vom 30.01.2020 (B 2 U 2/18 R - Juris) als formell rechtswidrig anzusehen, weil der Rentenausschuss als Ausgangsbehörde anstelle des Geschäftsführers der Beklagten den Anspruch des Klägers auf Feststellung einer Berufskrankheit abgelehnt hat. Dies begründet aber keinen Anspruch auf Aufhebung des Verwaltungsakts, der sich - dazu unter B) - materiell als rechtmäßig erweist.

Die laufenden Verwaltungsgeschäfte des Unfallversicherungsträgers führt gemäß § 36 Abs. 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) der Geschäftsführer hauptamtlich, soweit Gesetz oder sonstiges für den Versicherungsträger maßgebendes Recht nichts Abweichendes bestimmen. Allerdings können gemäß § 36a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB IV in der seit 01.01.1997 geltenden Fassung in der Satzung folgende Entscheidungen in der Unfallversicherung auf Rentenausschüsse übertragen werden:
a) die erstmalige Entscheidung über Renten, Entscheidungen über Rentenerhöhungen, Rentenherabsetzungen und Rentenentziehungen wegen Änderung der gesundheitlichen Verhältnisse,
b) Entscheidungen über Abfindungen mit Gesamtvergütungen, Renten als vorläufige Entschädigungen, laufende Beihilfen und Leistungen bei Pflegebedürftigkeit.

Entsprechend dieser Ermächtigung hat die Beklagte in § 39 Abs. 1 ihrer Satzung in der Fassung der 4. Änderung, in Kraft getreten am 01.01.2015, folgende Entscheidungen den Rentenausschüssen übertragen:
1. die erstmalige Entscheidung über Renten,
2. Entscheidungen über Renten auf unbestimmte Zeit, auch wenn zuvor bereits eine Rente als vorläufige Entschädigung gewährt wurde und sich der Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) nicht ändert,
3. Entscheidungen über Rentenerhöhungen, Rentenherabsetzungen und Rentenentziehungen wegen Änderung der gesundheitlichen Verhältnisse,
4. Entscheidungen über Abfindungen mit Gesamtvergütungen
5. Entscheidungen über Renten als vorläufige Entschädigungen,
6. Entscheidung über laufende Beihilfen,
7. Entscheidungen über Leistungen bei Pflegebedürftigkeit (§ 36a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB IV).
In den übrigen Fällen setzt die Geschäftsführung die Leistungen fest (§ 39 Abs. 2 der Satzung). Gemäß § 20 der Satzung bestehen die Rentenausschüsse aus je einem Vertreter oder einer Vertreterin der Versicherten und der Arbeitgeber/innen. Ein Mitglied der Geschäftsführung oder eine von ihr beauftragte Person nimmt an den Sitzungen mit beratender Stimme teil (vgl. § 20 Abs. 2 und Abs. 4 der Satzung).

Im Fall des Klägers hat die Beklagte im Bescheid vom 30.04.2015 entschieden, dass keine BK Nr. 1318 der Anlage 1 zur BKV besteht. Soweit die Beklagte unter Ziffer 2 Ansprüche auf Leistungen abgelehnt hat einschließlich Leistungen oder Maßnahmen, die geeignet sind, dem Entstehen einer Berufskrankheit entgegenzuwirken unter Verweis (durch Klammerzusatz) auf Erläuterungen im Anhang zu Leistungen nach § 3 BKV, hat die Beklagte keinen hinreichend konkreten Verwaltungsakt hinsichtlich einer Leistung getroffen, für die der Rentenausschuss zuständig sein könnte. Insbesondere lässt sich auch unter Heranziehung der Begründung des Bescheides nicht durch Auslegung nach Maßstab des objektiven Empfängerhorizonts entnehmen, dass ein Anspruch auf Verletztenrente bindend abgelehnt worden ist. Denn in der Begründung werden nur Leistungen und Maßnahmen nach § 3 BKV, aber nicht die Verletztenrente erwähnt. Dass in den beigefügten Erläuterungen allgemeine Ausführungen zu einem "Anspruch auf Rente" enthalten sind, genügt ohne Verweis hierauf in Tenor oder Begründung des Bescheides nicht aus, um eine hinreichend konkrete ablehnende Entscheidung im Wege der Auslegung des Bescheides zu entnehmen.

Allerdings war zum Zeitpunkt der Bekanntgabe dieses Bescheides seit Jahren in der Rechtsprechung des BSG die Auffassung vertreten worden, dass der Rentenausschuss auch für die (isolierte) Ablehnung eines Versicherungsfalls zuständig sei.
Bereits zu der bis 31.12.1996 geltenden Vorgängerregelung in § 1569a Reichsversicherungsordnung (RVO) bzw. i.V.m. § 36 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB IV (i.d.F. von Art. II § 29 Nr. 1 des Sozialgesetzbuchs - Verwaltungsverfahren - vom 18.08.1980 - BGBl. I, S. 1469) hatte das BSG entschieden, dass eine förmliche Feststellung durch den Rentenausschuss auch bei isolierter Anerkennung eines Arbeitsunfalls oder bei isolierter Anerkennung von Unfallfolgen erforderlich sei (vgl. BSG, Urteil vom 30.06.1999 - B 2 U 24/98 R - Juris Rn. 23 m.w.N.; vgl. ferner zum Recht vor Geltung des SGB IV auch BSG, Urteil vom 14.12.1965, 2 RU 113/63 - Juris Rn. 37, 39). Denn mit solchen bindenden Feststellungen werde häufig, nämlich wenn die weiteren Rentenvoraussetzungen unzweifelhaft seien, bereits über die Gewährung von Rente entschieden. Es widerspreche aber Sinn und Zweck des § 1569a RVO, wenn die weitreichende Entscheidung über die Gewährung von Renten zwar einer förmlichen Feststellung durch einen eigens dafür eingerichteten Ausschuss vorbehalten sei, aber zugleich über das Vorliegen einer wesentlichen Voraussetzung der Rentengewährung bereits ohne förmliches Verfahren ohne den Ausschuss entschieden werde (vgl. BSG, Urteil vom 30.06.1999 - B 2 U 24/98 R - Juris).

Vorgesehen war nach damaliger Regelung in § 36a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB IV die Übertragung der Feststellung nach § 1569a RVO auf Rentenausschüsse für folgende Fälle (§ 1569a Abs. 1 RVO)
1. Gewährung von Renten, die nicht nur für die Vergangenheit gewährt werden,
2. Änderung, Entziehung und Ruhen von Renten,
3. Pflege, Heilanstaltspflege oder Anstaltspflege,
4. Abfindung.

Die Neufassung von § 36a SGB IV mit Einführung des SGB VII durch das Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz mit Wirkung zum 01.01.1997 sollte nach der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 13/2204 S. 124) das geltende Recht erweitern und konkretisieren. Eine Übertragung auf die Rentenausschüsse sollte nach Vorstellung des Gesetzgebers nur in Fällen erfolgen, in denen ein Beurteilungsspielraum bestehe und eine ehrenamtliche Beteiligung sachgerecht sei. Dabei könne sich die Übertragung auch auf einzelne der in dieser Bestimmung genannten Entscheidungen beschränken. Mit dieser Neufassung hat der Gesetzgeber also keine von der damaligen BSG-Rechtsprechung zur Zuständigkeit der Rentenausschüsse auch hinsichtlich der isolierten Feststellung von Versicherungsfällen abweichende Regelung getroffen. Auch die Grundüberlegung des BSG, dass eine isolierte Feststellung eines Arbeitsunfalls und - erst recht - eine bindende isolierte Ablehnung eines Versicherungsfalls in zahlreichen Fällen einer späteren (erstmaligen) Entscheidung über Renten vorgreifen würde, trifft unter der Neufassung weiter zu.

Dementsprechend hatte das BSG unter Geltung des SGB VII im Urteil vom 20.07.2010 (B 2 U 19/09 R - Juris Rn. 15) ausgeführt, dass für die Entscheidung über das erstmals im Widerspruchsverfahren geltend gemachte Recht auf Feststellung einer Wie-Berufskrank-heit nach § 9 Abs. 2 SGB VII nicht die Widerspruchsstelle, sondern der Rentenausschuss (also nicht der Geschäftsführer) als Ausgangsbehörde gemäß § 36a Abs. 1 Satz 1 SGB IV i.V.m. der Satzung der Beklagten zuständig gewesen sei.
Die damalige BSG-Rechtsprechung wurde auch in der früheren Kommentarliteratur aufgegriffen. Während Becker (in: Becker / Franke / Molkentin, Kommentar zum SGB VII, 5. Auflage 2018, zu § 102 Rn. 1c) bei isolierter Anerkennung oder Ablehnung eines Versicherungsfalls eine Zuständigkeit des Rentenausschusses dann bejahte, wenn aufgrund Art und Schwere der Gesundheitsschäden bei Anerkennung des Versicherungsfalls mit einer der genannten Leistungen gerechnet werden könne, vertrat Ricke (in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht - KK -, Stand 110. EL Juli 2021, zu § 102 SGB VII Rn. 12 ff.; anders mit Blick auf im Folgenden dargelegte BSG-Rechtsprechung Ricke, in KK, Stand 177. EL Dezember 2021 Rn. 13) eine Zuständigkeit des Rentenausschusses nicht für die Anerkennung, aber für die Ablehnung der Anerkennung eines Versicherungsfalls, weil zugleich Leistungen jeder Art einschließlich der aufgezählten abgelehnt würden und eine Differenzierung nach Schwere der Erkrankung oder möglicher Minderung der Erwerbsfähigkeit nicht möglich sei.

Allerdings hat das BSG erstmals im Urteil vom 30.01.2020 (B 2 U 2/18 R - Juris Rn. 13 f.) abweichend von seiner oben dargelegten Rechtsaufassung (vgl. Spellbrink/ Karmanski, NZS 2021, S. 461 ff., S. 466) die Auffassung vertreten, dass der für den Rentenausschuss geltende Kompetenzkatalog abschließend sei und die isolierte Ablehnung eines Versicherungsfalls nicht erfasst werde, auch wenn sie im Einzelfall die Entscheidung über die (Nicht-)Gewährung einer Verletztenrente präjudizierend vorwegnehme. Der Rentenausschuss sei "bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich nicht befugt, durch Verwaltungsakt über die (Nicht-)Feststellung des Arbeitsunfalls oder über die Einstellung des Verletztengeldes und der unfallversicherungsrechtlichen Heilbehandlung zu beschließen." In einem weiteren Urteil vom 16.03.2021 (B 2 U 7/19 R - Juris Rn. 16) hat das BSG diese Auffassung bestätigt und betont, dass § 36 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB IV dem Rentenausschuss keine Allzuständigkeit für die umfassende Ablehnung aller auch nur denkbar in Betracht kommenden Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung einräume.

Das BSG hat zugleich ausgeführt, dass die Kompetenzüberschreitung durch den Rentenausschuss als sachliche Unzuständigkeit bzw. die Befassung eines zur Mitwirkung nicht berufenen Ausschusses nicht die Nichtigkeit des Verwaltungsaktes zur Folge hat (vgl. BSG, Urteil vom 30.01.2020 - B 2 U 2/18 R - Juris Rn. 14; für den umgekehrten Fall - Entscheidung der Geschäftsführung statt des Rentenausschusses - vgl. BSG, Urteil vom 30.06.1999 - B 2 U 24/98 R - Juris). Gemäß § 40 Abs. 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommender Umstände offensichtlich ist. Danach kommt laut BSG eine Nichtigkeit nur im Fall sogenannter absoluter Unzuständigkeit in Betracht, wobei die mit dem Verwaltungsakt geregelte Angelegenheit keinen sachlichen Bezug zum Aufgabenbereich der handelnden Behörde haben darf und dies offenkundig sein muss (vgl. BSG ebenda; zur Offenkundigkeit des Mangels auch BSG, Urteil vom 30.06.1999 - B 2 U 24/98 R - Juris Rn. 24 m.w.N.). Eine solche absolute - insbesondere offenkundige - Unzuständigkeit des zum Unfallversicherungsträger gehörenden Rentenausschusses liegt aber nicht vor.

Ein Verwaltungsakt über die Ablehnung der Anerkennung eines Versicherungsfalls ist nach Überzeugung des Senats aber nicht allein wegen des Handelns des Rentenausschusses außerhalb seines Kompetenzrahmens und wegen der damit einhergehenden formellen Rechtswidrigkeit zurückzunehmen (offengelassen von BSG, Urteil vom 30.01.2020 - B 2 U 2/18 R - Juris Rn. 43).

Gemäß § 42 Abs. 1 Satz 1 SGB X kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts, der nicht nach § 40 SGB X nichtig ist, nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat.
Anders als bei einem Fehler der örtlichen Unzuständigkeit handelt es sich bei Verstößen gegen die Vorschriften zur sachlichen, instanziellen und funktionellen Zuständigkeit oder der Verbandzuständigkeit allerdings in der Regel um schwerwiegende Fehler mit der Folge der Aufhebbarkeit unabhängig von der materiellen Rechtmäßigkeit (vgl. Leopold, in: Juris-Praxiskommentar, zu § 42 SGB X, Stand 04.01.2021, Rn. 42; Schütze, in: von Wulffen/Schütze, Kommentar zum SGB X, 9. Auflage 2020, zu § 42 Rn. 5 m.w.N.). So hat das BSG entschieden, dass eine Entscheidung des Widerspruchsausschusses anstelle der sachlich und funktional zuständigen Ausgangsbehörde ein schwerwiegender Mangel ist und (insoweit) zur Aufhebbarkeit der Entscheidung im Widerspruchsbescheid führt (vgl. BSG, Urteil vom 20.07.2010 - B 2 U 19/09 R - Juris; BSG, Urteil vom 18.11.2014 - B 8 SO 23/13 R - Juris; BSG, Urteil vom 18.10.2005 - B 4 RA 21/05 R - Juris; BSG, Urteil vom 30.03.2004 - B 4 RA 48/01 R - Juris).
Im Bereich des Kassenarztrechts hat das BSG entschieden, dass, wenn die Zuständigkeit von Organen auf Rechtsvorschriften mit Außenwirkung beruht, der unter Verletzung der Zuständigkeitsregelung von einem anderen Organ erlassene Verwaltungsakt zumindest anfechtbar ist (vgl. BSG, Urteil vom 08.09.1993 - 14a RKa 9/92 - Juris). Hintergrund dieser Entscheidung war, dass die Wirtschaftlichkeitsprüfung der Abrechnungen von Vertragszahnärzten im Ersatzkassenbereich nicht der - im dortigen Fall entscheidenden - Kassenzahnärztlichen Vereinigung (KZÄV), sondern besonderen Prüfungs- und Beschwerdeausschüssen übertragen war, deren Mitglieder vom Vorstand der KZÄV berufene Vertragszahnärzte sein mussten, die bei ihren Entscheidungen nicht an Weisungen gebunden waren. Dabei diente diese aussschließliche, besondere sachliche Zuständigkeit der Prüfungs- und Beschwerdeausschüsse laut BSG sowohl dem Schutz der von Wirtschaftlichkeitsprüfungen betroffenen Vertragszahnärzte als auch dem der Ersatzkassen, was es ausschließe, die von anderen Einrichtungen der KZÄV - hier der Verwaltung und dem Vorstand - getroffene Entscheidungen als rechtmäßig anzusehen.
Ferner hat das BSG entschieden (vgl. Urteil vom 30.06.1999 - B 2 U 24/98 R - Juris Rn. 24 m.w.N.), dass ein nicht vom zuständigen Rentenausschuss, sondern vom Geschäftsführer erlassener Bescheid an einem schwerwiegenden Mangel leidet, der zur Aufhebbarkeit (nicht nur Nichtigkeit) dieses Bescheides führt.

Mit diesen Zuständigkeitsverstößen ist aber nach Überzeugung des Senats der Fall nicht vergleichbar, dass anstelle (nur) der Verwaltung, nämlich des Geschäftsführers als Ausgangsbehörde, der Rentenausschuss entscheidet, dem durch die Satzung in Verbindung mit dem Gesetz bestimmte besonders wichtige Entscheidungen als Ausgangsbehörde zugeordnet worden sind, trotz der organähnlichen Stellung des Rentenausschusses (vgl. Hinderer, NZS 2015, S. 14-18).

Die in § 36a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB IV aufgezählten Leistungen sind von erheblichem wirtschaftlichen Gewicht für die Versicherten, zumal sie im Allgemeinen für längere Zeit zu erbringen sind (vgl. hierzu und zum Folgenden: Ricke, in: KK, 116. EL September 2021, zu § 102 SGB VII Rn. 5 ff.; Hinderer, NZS 2015, S. 14-18).
Dabei zeigt die historische Entwicklung, dass die Beteiligung von Rentenausschüssen u.a. der Kontrolle der Verwaltung durch paritätische Mitwirkung der Arbeitgeber- und Versichertenvertreter bei diesen wichtigen Entscheidungen dienen sollte. Während ursprünglich über solche Leistungen allein von Vertretern der Arbeitgeber in den berufsgenossenschaftlichen Organen zu entscheiden war, was auf verbreitetes Misstrauen bei den Versicherten traf, die eine zu enge Gesetzesauslegung zum Arbeitsunfall und der MdE-Einschätzung beklagten, wurde - um dem vertrauensbildend entgegenzuwirken - 1923 die verpflichtende Beteiligung der Versicherten in den Ausschüssen eingeführt durch die Verordnung vom 30.10.1923 (RGBl. I S. 1057; vgl. Ricke a.a.O.). Nach dem Selbstverwaltungsgesetz vom 22.02.1951 (BGBl. I S. 124) wurden daraus die jetzigen paritätisch besetzten Rentenausschüsse gebildet (vgl. Ricke a.a.O.; Molkentin SGB 2018, S. 737-742). Über diesen für die aktuelle Regelung weiterhin gültigen Normzweck hinaus zielt § 36a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB IV außerdem darauf ab, mit dem Arbeitsleben im Bereich des entsprechenden Unfallversicherungsträgers vertraute Laien in die Entscheidungsfindung einzubinden und diese nicht nur einer "Behörde" zu überlassen (vgl. Ricke a.a.O. Rn. 6). Dem entspricht, dass nach der o.g. Gesetzesbegründung nur Entscheidungen mit einem gewissen Beurteilungsspielraum einbezogen werden, die eine ehrenamtliche Laienbeteiligung sinnvoll machen (vgl. BT-Drucks 13/2204, S. 124). Gemeint ist damit nicht Beurteilungsspielraum im rechtlichen Sinn, zumal die meisten dieser Leistungen gebundene Entscheidungen sind, sondern - soweit gegeben - die Ausübung von Ermessen sowie die Einschätzung der Lebensverhältnisse und der Folgen der Entscheidung für die Versicherten aus Sicht der mit diesen Verhältnissen vertrauten Ausschussmitgliedern als Laien (vgl. Ricke a.a.O., Rn. 6).

Die Entscheidung der Mitglieder des Rentenausschusses über den von der Verwaltung vorgestellten Fall und über deren unterbreiteten Entscheidungsvorschlag ist hinsichtlich der Funktion mit derjenigen von ehrenamtlichen Richtern im Sozialgerichtsprozess vergleichbar (vgl. hierzu und zum Folgenden Hinderer, NZS 2015, S. 14-18). Die Ausschussmitglieder, die hauptberuflich in den versicherten Betrieben oder in Vereinigungen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern tätig sind, bringen im beruflichen Alltag gewonnene Kenntnisse in die Entscheidung ein und ergänzen die Sichtweise der Verwaltung. Teils können sie in Unfallanzeigen dargestellte Hergänge besser beurteilen als Sachbearbeiter der Verwaltung oder Gutachter oder z.B. wichtige ergänzende Hinweise zu früher üblichen Arbeitsbedingungen bei lang zurückliegende Einwirkungen im Berufskrankheitenverfahren geben (vgl. Hinderer a.a.O.).
Außerdem verbessert die Mitwirkung ehrenamtlicher Ausschussmitglieder die Verständlichkeit der Entscheidung, denn die Ausschussmitglieder müssen die von der Verwaltung vorbereiteten Vorschläge nachvollziehen können (vgl. Hinderer a.a.O.). Ein Mitarbeiter der Verwaltung erläutert rechtliche und medizinische Probleme, stellt den Entscheidungsvorschlag vor und beantwortet ggf. Fragen der Ausschussmitglieder. Halten die Ausschussmitglieder ausnahmsweise aufgrund ihrer besonderen Sachkunde noch Ermittlungen zu entscheidungsrelevanten Tatsachen für erforderlich, begründen sie dies und erteilen der Verwaltung einen entsprechenden Auftrag (vgl. Hinderer a.a.O.). Ferner können sie den Entscheidungsvorschlag ablehnen.

Vor diesem Hintergrund bleibt festzuhalten, dass bei Entscheidung des Rentenausschusses nicht die Verwaltung allein über ihren (internen) Entscheidungsvorschlag entscheidet, sondern ihr Entscheidungsvorschlag einer nochmaligen Prüfung durch außenstehende Ausschussmitglieder unterstellt wird, was letztlich der Rechtmäßigkeitskontrolle und damit dem besonderen Schutz des Versicherten dient.
Nachvollziehbar erscheint daher, dass bei Einrichtung von Rentenausschüssen die übertragenen Aufgaben der Entscheidung durch den Geschäftsführer entzogen sind und bei kompetenzüberschreitender ablehnender Entscheidung des Geschäftsführers bzw. der ihn vertretenden Mitarbeiter anstelle des Rentenausschusses dieser Verstoß gegen die sachliche Zuständigkeit auf Anfechtung des Betroffenen zur Aufhebung führt, weil dem Kläger dann gerade die zustehende weitere Kontrolle des insoweit als besonders kompetent bewerteten Ausschusses vorenthalten wird (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 30.06.1999 - B 2 U 24/98 R - Juris Rn. 24 m.w.N.)

Umgekehrt vermag der Zugewinn an Kontrolle durch Einbindung, Prüfung und Entscheidung eines Rentenausschusses anstelle einer alleinigen Verwaltungsentscheidung durch den Geschäftsführer den Rechtsschutz des Rechtssuchenden nicht zu beeinträchtigen, insbesondere nicht im Fall eines sich anschließenden Klage- und Berufungsverfahrens. Selbst in dem denkbaren Fall, dass ein Rentenausschuss von einem positiven Entscheidungsvorschlag der Verwaltung (rechtswidrig) abweichen sollte und die Verwaltung ihren Vorschlag weder im Rahmen der Abhilfeentscheidung noch bei Entscheidung des Widerspruchsausschusses erfolgreich einbringen könnte, stünde es dem Geschäftsführer bzw. seinem Vertreter spätestens im Klageverfahren frei, dem Begehren des Klägers stattzugeben.
Außerdem vermag der Rentenausschuss - anders als ggf. der Geschäftsführer - nicht eigenmächtig Entscheidungen an sich zu ziehen; er entscheidet vielmehr nur auf Zuweisung und Vorlage von Fällen durch die Verwaltung.

Zwar wird in der Literatur (vgl. Spellbrink/Karmanski, SGb 2021, S. 461-473, S. 467) ein genereller Aufhebungsanspruch bei Kompetenzverstößen von Rentenausschuss oder Geschäftsführer unter dem Stichpunkt "Rechtswidrigkeit als Mindestsanktion" mit folgender Argumentation vertreten:
"Zudem steht die behördliche Kompetenzordnung unter dem rechtsstaatlichen Gebot lückenloser, klarer und fester Zuständigkeitsabgrenzungen: Die Entscheidungsbefugnisse sollen nicht von einer beliebigen, sondern von der sachnächsten Behörde wahrgenommen werden, die der jeweilige Normgeber bestimmt und für entsprechend fachkompetent gehalten hat. Diese Kompetenz gewährleistet im Rahmen des § 36a Abs. 1 Satz 1 SGB IV Verwaltungsentscheidungen, die sich in besonderer Weise durch Praxis-, Sach- und Bürgernähe auszeichnen.
Dagegen sind die juristisch geschulten Beschäftigten der Unfallversicherungsträger spezialisierte Experten für alle übrigen (Rechts-)Fragen. Die Entscheidung durch die fachkompetente und sachnächste Behörde muss der Bürger durchsetzen können. Andernfalls bestünde die Gefahr, dass die (wohlüberlegten und klug austarierten) Zuständigkeitsregeln leerliefen, was letztlich ihre Normativität in Frage stellen würde. Deshalb erfordert die Gesetzesbindung der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 GG) ein Mindestmaß an effektiver Durchsetzbarkeit von Zuständigkeitsregelungen."

Diese Argumentation überzeugt nach Überzeugung des Senats aber aus folgenden Gründen nicht: Zum einen berücksichtigt diese Auffassung nicht, dass die von ihr gerühmte Kompetenz juristisch geschulter Verwaltungsmitarbeiter auch den Mitgliedern des Rentenausschusses zugänglich gemacht wird, nämlich durch Vorlage und Erläuterung eines von diesen Experten ausgearbeiteten Entscheidungsvorschlags.
Zum anderen erscheint wenig überzeugend, weshalb den Mitgliedern des Rentenausschusses zwar besondere Kompetenz für die (besonders wichtigen) Entscheidungen in § 36a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB IV einschließlich damit einhergehender - teils durchaus diffiziler - juristischer Fragen z.B. im Rahmen von Rentenbewilligungen, Rentenentziehungen, Abfindungen oder Leistungen bei Pflegebedürftigkeit zugebilligt wird, ihnen aber zugleich eine ausreichende Sachkompetenz zur Beurteilung z.B. eines Anspruchs auf Verletztengeld oder Heilbehandlung generell abgesprochen werden sollte. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass nach derzeitiger Rechtslage keine Bedenken an der Zuständigkeit des Rentenausschusses bestehen, wenn dieser einen Anspruch auf Verletztenrente mit der Begründung ablehnt, dass schon kein Versicherungsfall vorliegt.

Soweit im oben genannten Aufsatz die Aufhebung eines (materiell) rechtmäßigen Verwaltungsakts als "Mindestsanktion" bei Verstößen gegen Zuständigkeitsregeln propagiert wird, ist ferner darauf hinzuweisen, dass im vorliegenden Fall der Bescheid 2015 und der Widerspruchsbescheid 2016 ergangen ist und die Beklagte ausgehend von der damaligen, oben bereits dargestellten BSG-Rechtsprechung (vgl. BSG, Urteil vom 30.06.1999 - B 2 U 24/98 R - Juris Rn. 23 m.w.N.; BSG, Urteil vom 14.12.1965, 2 RU 113/63 - Juris Rn. 37, 39; BSG, Urteil vom 20.07.2010 - B 2 U 19/09 R - Juris) von einer zwingenden ausschließlichen Zuständigkeit des Rentenausschusses zur Entscheidung über eine BK als Versicherungsfall ausgehen durfte. Die Beklagte hat also Zuständigkeitsregelungen nicht ignoriert, sondern sie hat diese unter Berücksichtigung der damaligen Rechtsprechung des BSG gerade beachtet.

Außerdem hat sich der nach aktueller BSG-Rechtsprechung als Ausgangsbehörde zuständige Geschäftsführer, der die Beklagte auch im Klage- und Berufungsverfahren gerichtlich vertritt, mittels Klageabweisungsantrags und Antrags auf Zurückweisung der Berufung durch seine bevollmächtigten Vertreter die Entscheidung des Rentenausschusses zu eigen gemacht.

Weist die dem Geschäftsführer unterstehende Verwaltung dem Rentenausschuss im Einzelfall Entscheidungen außerhalb seiner in der Satzung geregelten Zuständigkeit zu und entscheidet der Rentenausschuss daraufhin als unzuständige Ausgangsbehörde anstelle des Geschäftsführers (als Ausgangsbehörde), ist es angesichts der Besonderheiten der Zuständigkeits- und Verfahrensgestaltung der Rentenausschüsse angezeigt, diesen Fehler - abweichend von anderen Fallgestaltungen der sachlichen Zuständigkeit - wie einen "sonstigen Verfahrensfehler" im Sinne des § 42 Satz 1 SGB X zu beurteilen. Damit kommt eine Aufhebung des - formell rechtswidrigen - Verwaltungsaktes nicht in Betracht, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Dies ist hier der Fall, denn der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung der BK Nr. 1318.

Angesichts der Besonderheiten im Einzelfall, u.a. der erst deutlich nach Erlass des Bescheides geänderten BSG-Rechtsprechung, besteht jedenfalls im vorliegenden Fall aus Sicht des Senats kein Anlass, den angegriffenen Verwaltungsakt in der Gestalt des Widerspruchsbescheides aufzuheben, nur damit nochmals eine inhaltlich identische Entscheidung durch den Geschäftsführer erlassen wird, der sich im Klageverfahren bereits entsprechend positioniert hatte.

B) Der Kläger hat nach Überzeugung des Senats keinen Anspruch auf Feststellung einer BK Nr. 1318 der Anlage 1 zur BKV.

Gemäß § 9 Abs. 1 SGB VII sind Berufskrankheiten (BKen) Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats als BKen bezeichnet (Listen-BK) und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden (Satz 1). Die Bundesregierung ist ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als BKen zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann BKen auf bestimmte Gefährdungsbereiche beschränken oder mit dem Zwang zur Unterlassung einer gefährdenden Tätigkeit versehen (Satz 2).

Nach ständiger BSG-Rechtsprechung ist für die Feststellung einer Listen-BK danach im Regelfall erforderlich, dass die Verrichtung einer - grundsätzlich - versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen o.ä. auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität) und die Einwirkungen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Dass die berufsbedingte Erkrankung ggf. den Leistungsfall auslösende Folgen nach sich zieht (haftungsausfüllende Kausalität), ist keine Voraussetzung einer Listen-BK (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 15.09.2011 - B 2 U 25/10 R - Juris Rn. 14).
Über die allgemeine berufliche Gefährdung hinaus muss als wahrscheinlich nachgewiesen sein, dass im konkreten Fall die berufliche Tätigkeit wesentliche (Mit-)Ursache für die Gesundheitsstörungen war (vgl. hierzu BSG SozR 2200 § 551 Nr. 1 und 18). Nach der im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung maßgeblichen Theorie der wesentlichen Bedingung sind dabei nur solche Ursachen rechtserheblich, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben (vgl. BSG, Urteil vom 30.01.2007 - B 2 U 23/05 R - und Urteil vom 02.04.2009 - B 2 U 9/08 R - beide veröffentlicht bei Juris).

Dabei müssen die "versicherte Tätigkeit", die "Verrichtung", die "Einwirkungen" und die "Krankheit" im Sinne des Vollbeweises - also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt indes die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (vgl. BSG, Urteil vom 15.09.2011 - B 2 U 25/10 R - Juris Rn. 24 m.w.N.). Eine hinreichende Wahrscheinlichkeit liegt vor, wenn nach aktueller wissenschaftlicher Lehrmeinung mehr für als gegen den Zusammenhang spricht und ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Verursachung ausscheiden (vgl. BSG SozR 2200 § 548 Nr. 38). Für die Bewertung der Krankheit und des Ursachenzusammenhangs hinsichtlich beruflicher Belastungen ist der aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisstand zu berücksichtigen; daher sind neben der Begründung des Verordnungsgebers auch die Merkblätter des zuständigen Bundesministeriums zu beachten sowie ggf. Leitlinien der entsprechenden medizinischen Fachgesellschaften.

Die BK Nr. 1318 der Anlage 1 zur BKV erfasst Erkrankungen des Blutes, des blutbildenden und des lymphatischen Systems durch Benzol. Diese BK wurde durch die Zweite Verordnung zur Änderung der BKV vom 11.06.2009 (BGBl. I S. 1273) mit Wirkung ab dem 01.07.2009 in die Anlage 1 zur BKV aufgenommen als eigenständige Spezialregelung zur BK Nr. 1303 der Anlage 1 zur BKV ("Erkrankungen durch Benzol, seine Homologe oder Styrol").
Hierzu wurde in den Materialien Folgendes ausgeführt (BR-Drucks. 242/09, S. 13 f.):
"Es handelt sich hierbei nicht um eine neue Berufskrankheit, sondern es werden die Erkrankungen des hämolymphatischen Systems aus der bisherigen Berufskrankheit Nummer 1303 herausgenommen und als "lex specialis" in einer eigenständigen Berufskrankheiten-Nummer bezeichnet.
Hierdurch werden drei Ziele erreicht:
- eine Präzisierung der bisherigen Berufskrankheit Nummer 1303,
- die Berücksichtigung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse der Medizin über die Verursachung von lymphatischen Krebserkrankungen (Non-Hodgkin-Lymphomen - NHL) durch Benzol und
- eine einheitliche Rechtsanwendung durch die Unfallversicherungsträger und die Sozialgerichte.
Benzol ist generell geeignet, alle malignen hämolymphatischen Systemerkrankungen, deren Zellreihen sich von der omnipotenten Stammzelle im Knochenmark ableiten, einschließlich der NHL zu verursachen. Dies basiert auf toxikologischen, tierexperimentellen und epidemiologischen Erkenntnissen.
Benzol hat eine toxische Wirkung auf die Bildung aller Blutzellen, also der roten Blutkörperchen (Erythrozyten), weißen Blutkörperchen (Leukozyten) und Blutplättchen (Thrombozyten), so dass daraus verminderte Zellzahlen im Blut resultieren (u. a. Anämie, Leukopenie). Diese toxische Wirkung ist im Knochenmark lokalisiert, wo die verschiedenen Zellreihen aus gemeinsamen Stammzellen gebildet werden; daher wird die Wirkung von Benzol als Knochenmarksdepression bezeichnet. ...
Die Verursachung der toxischen Knochenmarksdepression, der aplastischen Anämie, der myelodysplastischen Syndrome und der akuten Leukämie durch Benzol ist seit Jahrzehnten wissenschaftlich unumstritten. Bis vor einigen Jahren herrschte auch darüber Konsens, dass Benzol infolge seines Schädigungsmusters allgemein alle malignen hämolymphatischen Systemerkrankungen, deren Zellreihen sich von der omnipotenten Stammzelle im Knochenmark ableiten, verursachen kann. Im Jahr 2001 wurden an dieser Auffassung im Hinblick auf periphere NHL in der deutschsprachigen arbeitsmedizinischen Literatur Zweifel geäußert. Mit der neu bezeichneten Berufskrankheit Nummer 1318 werden diese Zweifel ausgeräumt.
In einer Reihe epidemiologischer Studien, die eine Risikoverdoppelung für akute myeloische Leukämien oder akute nichtlymphatische Leukämien zeichneten, wurde ein deutlicher Zusammenhang mit einem mindestens doppelt erhöhten Erkrankungsrisiko auch für NHL festgestellt. Kohortenstudien, in denen eine solche Risikoerhöhung nicht festgestellt wurde, sind zur Beurteilung der NHL ungeeignet, da eine unzureichende Benzolexposition der untersuchten Personengruppe wahrscheinlich war.
Dies beruht auf folgenden Erkenntnissen:
Die Auswertung epidemiologischer Studien über die Verursachung von Leukämien und NHL unterliegt besonderen Schwierigkeiten, die die Aussagekraft der Studien limitieren. Es handelt sich um (...) sehr seltene Erkrankungen, so dass die Studienkollektive eine große Personenzahl umfassen müssen. Dabei besteht die Gefahr, dass zur Erreichung der erforderlichen Studiengröße Personen einbezogen werden, die nur geringen Benzolkonzentrationen ausgesetzt waren. Hinzu kommt eine unzureichende Expositionsermittlung, zumal Benzol meist nicht als Reinsubstanz, sondern in Gemischen oder als Verunreinigung (z. B. im Benzin) vorliegt. Die Vergleichbarkeit epidemiologischer Studien aus verschiedenen Ländern und Jahrzehnten wird durch die Uneinheitlichkeit der Klassifikation bzw. Nomenklatur der einzelnen hämolymphatischen Erkrankungen erschwert, die zudem in den letzten Jahrzehnten mehrfach geändert wurde. (... ) Schließlich muss auch berücksichtigt werden, dass es sich bei den meisten Kohortenstudien über Benzol um Mortalitätsstudien handelt, in denen NHL mit jahre- oder jahrzehntelangen Überlebenszeiten im Vergleich zu den fast immer rasch zum Tode führenden akuten Leukämien untererfasst werden.
Die toxikologischen und epidemiologischen Erkenntnisse werden weiter dadurch untermauert, dass Benzol in tierexperimentellen Untersuchungen vorwiegend lymphatische Tumoren verursacht hat und dass in einigen Studien in den Lymphozyten benzolexponierter Arbeiter cytogenetische Veränderungen (Chromosomenanomalien usw.) registriert wurden.
Hinsichtlich der "bestimmten Personengruppe", die durch ihre Arbeit in erheblich höherem Maße als die übrige Bevölkerung einer gefährdenden Benzoleinwirkung im Sinn dieser Berufskrankheit ausgesetzt ist, ist zu differenzieren. Abschneidekriterien in Form einer festen Dosis-Wirkungs-Beziehung können für die verschiedenen Formen maligner Erkrankungen des hämo-lymphatischen Systems aus den epidemiologischen Studien nicht abgeleitet werden. Für die Begutachtung und Anerkennung im Einzelfall kann aufgrund der epidemiologischen Erkenntnisse aber auf Orientierungswerte abgestellt werden, bei deren Erreichen eine Verursachungswahrscheinlichkeit von über 50 Prozent für den Kausalzusammenhang mit der beruflichen Exposition hinreichend wahrscheinlich ist:
- Für Leukämien (einschließlich der chronischen lymphatischen Leukämie, aber ohne die chronische myeloische Leukämie) sowie deren Frühstadien aplastische Anämie und myelodysplastische Syndrome ab einer kumulativen Belastung im hohen einstelligen oder niedrigen zweistelligen Bereich der ppm-Jahre (ppm - parts per million); ein Teil der NHL (stammzell-nahe Lymphome) wird aus Analogieüberlegungen dieser Gruppe von Erkrankungen zugerechnet. Dabei entspricht ein ppm-Jahr einer täglich achtstündigen Exposition gegenüber einer Luftkonzentration von durchschnittlich 1 ppm Benzol an 240 Arbeitstagen. Die wissenschaftliche Empfehlung des Ärztlichen Sachverständigenbeirats "Berufskrankheiten" beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales, veröffentlicht im Gemeinsamen Ministerialblatt vom 12.11.2007 S. 974 ff., enthält einen Katalog typischer Tätigkeiten, bei denen nach Intensität und Dauer der Benzolbelastung die erforderliche Verursachungswahrscheinlichkeit vorliegt. Der Katalog ist nicht abschließend.
- Für die übrigen Erkrankungen des hämolymphatischen Systems (übrige NHL außer der chronischen lymphatischen Leukämie, myeloproliferative Syndrome einschließlich der chronischen myeloischen Leukämie), bei denen der generelle Kausalzusammenhang wissenschaftlich ebenfalls gesichert ist, ist eine Einzelfallbeurteilung erforderlich. Dabei sind die konkreten Arbeitsumstände (unzureichende Arbeitshygiene, erheblicher Hautkontakt mit Benzol) besonders zu berücksichtigen. Die wissenschaftliche Empfehlung des Ärztlichen Sachverständigenbeirats "Berufskrankheiten" enthält hierzu entsprechende Hinweise.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten und der zugrunde gelegten Literatur wird auf die oben bezeichnete wissenschaftliche Empfehlung des Ärztlichen Sachverständigenbeirats "Berufskrankheiten" verwiesen."

Aus dem Merkblatt zur BK Nr. 1318 (Bekanntmachung des BMAS vom 30.12.2009 - IVa4-45222-1318 - GMBl 5/6/2010, S. 94 ff. - im Folgenden: Merkblatt) und der wissenschaftlichen Begründung zur BK Nr. 1318 (Bekanntmachung des BMAS vom 01.09.2007 - IVa 4-45222 - GMBl 49-51/2007, S. 974 ff. - im Folgenden: wissenschaftliche Begründung) ergibt sich, dass zwar die Angabe eines Dosisgrenzwertes nicht möglich ist, dass sich aber nach der bestverfügbaren aktuellen wissenschaftlich-medizinischen Datenlage für die Kausalitätsprüfung je nach Krankheitsbild unterschiedliche Anforderungen an die Belastung ergeben (vgl. Merkblatt IV 1). Zu unterscheiden sind danach nichtmaligne toxische Erkrankungen (Knochenmarksdepression) und maligne Erkrankungen; ferner sind die malignen Krankheitsbilder in zwei Gruppen eingeteilt, wobei das Multiple Myelom nach der beigefügten Tabelle 1 der Gruppe B unterfällt.

Während die Gruppe A Krankheitsbilder mit epidemiologischer Information zur Dosis-Wirkungsbeziehung erfasst, gehören zur Gruppe B Krankheitsbilder ohne ausreichende epidemiologische Information zur Dosis-Wirkungsbeziehung. Hierzu heißt es (vgl. Merkblatt S. 8):
"Diese Erkrankungen können auch durch eine berufliche Benzolexposition verursacht und infolgedessen als BK Nr. 1318 entschädigt werden. Wegen der schwierigen Abgrenzung der betroffenen Personengruppe ist allerdings eine besonders hohe Intensität oder eine besonders lange Dauer der beruflichen Benzolexposition gefordert. Hierzu sind in der Wissenschaftlichen Begründung zur BK Nr. 1318 entsprechende Hinweise enthalten. Auch für diese Gruppe von Erkrankungen ist eine differenzierte Erhebung der Arbeitsanamnese mit Zuordnung der Tätigkeiten zu den in der Wissenschaftlichen Begründung spezifizierten Belastungsintensitäten und gegebenenfalls eine Ergänzung durch quantitative Informationen angezeigt. Auf jeden Fall sollte für Personen mit Krankheitsbildern der Gruppe B, gegebenenfalls aber auch für die Gruppe A, eine Bewertung der individuellen Expositionsbedingungen erfolgen. Zu berücksichtigen sind z.B. besonders intensiver Hautkontakt mit Benzol oder benzolhaltigen Gemischen, besondere Expositionsintensität im jugendlichen Alter (aufgrund wissenschaftlicher Belege für eine besondere Benzolempfindlichkeit im Kindesalter), unzulängliche Arbeitsschutzbedingungen sowie weitere individuelle, auch medizinische Gefährdungsfaktoren."

Wie F in seinem Gutachten ausgeführt hat, wird in der wissenschaftlichen Begründung die unterschiedliche Studienlage hinsichtlich des Multiplen Myeloms im Einzelnen dargelegt. So heißt es auf S. 59:
"Das Multiple Myelom (MM), auch als Plasmozytom bezeichnet, nimmt eine Sonderstellung unter den Non-Hodgkin-Lymphomen ein. Hierbei handelt es sich um eine Tumorform, deren Zellen in enger Beziehung zum blutbildenden Knochenmark stehen und den dort vorliegenden toxikologischen Bedingungen unterliegen; die Krankheitserscheinungen sind dementsprechend auch in erster Linie im Knochenmark lokalisiert. Aus den genannten toxikologisch-hämatologischen Gründen könnte überlegt werden, das Multiple Myelom in diese Bewertungsgruppe des Abschnitts 3.2. einzubeziehen.
Allerdings gestaltet sich die Epidemiologie des Multiplen Myeloms wegen der Seltenheit dieser Erkrankung und der langen Latenzzeit sehr schwierig (siehe Abschnitt 1.3.3), zudem scheint es ethnische Unterschiede zu geben: Multiple Myelome wurden von Hayes et al. (1997) zur Chinakohorte nicht berichtet, dagegen zeigen die in Nordamerika durchgeführten Studien eine mehrfache Risikoerhöhung an (siehe Tabelle 1). In Anbetracht der heterogenen Datenlage wird daher auch das Multiple Myelom (Plasmozytom) im Abschnitt 3.3. behandelt..."

Unter Abschnitt 3.3 (S. 64) der wissenschaftlichen Begründung heißt es weiter:
"3.3. Definition der bestimmten Personengruppe für die Krankheitsbilder
- Non-Hodgkin-Lymphome einschließlich Multiples Myelom, außer chronisch lymphatischer Leukämie (CLL)
- Myeloproliferative Erkrankungen gemäß der WHO-Klassifikation einschließlich chronisch myeloischer Leukämie (CML)
Für diejenigen Erkrankungen des blutbildenden und lymphatischen Systems, die aufgrund ihrer Seltenheit keine epidemiologiebasierte orientierende Quantifizierung der für eine relevante Risikoerhöhung erforderlichen Expositionsverhältnisse wie bei 3.2.2. ermöglichen (...), ist ausschließlich eine einzelfallbezogene Beurteilung der Expositionsbedingungen vorzunehmen. Eine grundsätzliche Anerkennungsfähigkeit als Berufskrankheit ist dabei wegen des sich auch auf diese Erkrankungen beziehenden Nachweises der generellen Eignung von Benzol als Ursache (siehe Abschnitt 1) zu bejahen.
Bei der Einzelfallbeurteilung ist wie folgt zu differenzieren:
Aufgrund der Vulnerabilität und Proliferation der hämatopoetischen Stammzellen ist davon auszugehen, dass stammzellennahe Non-Hodgkin-Lymphome (Vorläufer-B-Zell- und Vorläufer-T-Zell-Lymphome gemäß WHO-Klassifikation) hinsichtlich des benzolassoziierten Erkrankungsrisikos nicht anders zu beurteilen sind als die unter 3.2.1. behandelten Leukämien.
Für die übrigen der genannten Krankheitsbilder wird ungeachtet der unzureichenden epidemiologischen Erkenntnislage beispielhaft eine ausreichende Exposition bejaht bei einer extremen Belastungsintensität (siehe Abschnitt 3.2.2.1.) über einen Zeitraum von in der Regel zwei bis fünf Jahren oder bei einer hohen Belastungsintensität (siehe Abschnitt 3.2.2.2.) über einen Zeitraum von in der Regel sechs und mehr Jahren."

Damit wird, wie F in seinem Gutachten zutreffend ausgeführt hat, letztlich als ausreichende Benzolexposition für einen hinreichend wahrscheinlichen Kausalzusammenhang mit einem Multiplen Myelom im Rahmen der Einzelfallbeurteilung eine Exposition verlangt, die einer extremen Belastungsintensität über einen Zeitraum von zwei bis fünf Jahren oder einer hohen Belastungsintensität über einen Zeitraum von in der Regel sechs und mehr Jahren entspricht, was einer deutlich höheren Benzolexposition entspricht als bei Krankheiten der Gruppe A, bei denen gemäß 3.2.1 und 3.2.2 in der Regel bei Tätigkeiten mit extremer Belastungsintensität bereits ein Expositionszeitraum von einem Jahr und bei Tätigkeiten mit hoher Belastungsintensität ein Expositionszeitraum von zwei bis fünf Jahren ausreicht.
Dabei wird selbst für Erkrankungen der Gruppe A, worauf F überzeugend hingewiesen hat, ein mit hinreichender Wahrscheinlichkeit bestehender Ursachenzusammenhang mit einer beruflichen Benzolbelastung erst bei Benzolbelastungen ab 8 ppm-Benzoljahren Gesamtbelastung angenommen.
So heißt es in der wissenschaftlichen Begründung in Abschnitt 3.2 zu Erkrankungen der Gruppe A:
"3.2. Spezielle Hinweise zur Intensität der Benzolbelastung
3.2.1. Definition der bestimmten Personengruppe für die Krankheitsbilder
- Leukämie nach der WHO-Definition ohne chronisch myeloische Leukämie (CML), aber einschließlich chronisch lymphatischer Leukämie (CLL)
- plastische Anämie
- myelodysplastisches Syndrom (MDS)

Als "bestimmte Personengruppe", die durch ihre Arbeit der "besonderen Einwirkung" von Benzol in erheblich höherem Maß als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind, sind Versicherte anzusehen, bei denen nach Intensität und Dauer der beruflichen Benzoleinwirkung eine der unter 3.2.2.1. bis 3.2.2.3. beschriebenen Fallkonstellationen zutrifft. Liegen die dort genannten Bedingungen vor, handelt es sich um Expositionsbedingungen, die aus arbeitsmedizinisch-toxikologischer Sicht grundsätzlich geeignet sind, die Wahrscheinlichkeit eines Ursachenzusammenhangs im Einzelfall zu begründen.
In den Fällen, in denen gemäß Unterabschnitt 3.2.2.4. die Merkmale der geringen Belastung zutreffen, kann ebenfalls nach Maßgabe der Umstände des Einzelfalles eine kumulative Benzolbelastung im hohen einstelligen bzw. unteren zweistelligen Bereich der "ppm-Jahre" bzw. "Benzol-Jahre" (Tätigkeitsdauer in Jahren x durchschnittliche arbeitstägliche Benzolkonzentration über acht Stunden in der Luft am Arbeitsplatz in ppm), d.h. oberhalb ca. acht ppm-Jahren, erreicht werden.
In diesen Fällen ist die individuelle Benzolbelastung im Einzelfall zu prüfen; eine Hilfestellung bieten hierzu die "Anwendungshinweise zur retrospektiven Beurteilung der Benzolexposition", BGIA Ringbuch Nr. 9105 (BGIA 2006). Insbesondere zu beachten sind ein besonders intensiver Hautkontakt mit Benzol oder benzolhaltigen Produkten, körperliche Arbeit mit erhöhter inhalativer Aufnahme, juveniles Expositionsalter, hohe Belastungsspitzen und eine ungewöhnlich lange Dauer der Einwirkung. In solchen Einzelfallen kann die kumulative Benzolbelastung ein arbeitsmedizinisch-toxikologisch relevantes Maß betragen.
3.2.2. Beschreibung und Klassifizierung relevanter Expositionsverhältnisse
Benzolbelastungen können unter bestimmten Bedingungen bösartige Erkrankungen des myeloischen und lymphatischen Systems verursachen. Epidemiologische Studien weisen auf die Verursachung sowohl durch kürzere hohe wie auch länger andauernde Belastungen hin. Sie lassen aber die Ableitung eines präzisen Dosisgrenzwertes nicht zu (siehe Kap. 1.3.3. Epidemiologie).
Anhaltspunkte und Einzelheiten zu den Belastungen bei verschiedenen Tätigkeiten geben die "Anwendungshinweise zur retrospektiven Beurteilung der Benzolexposition" (Nr. 9105) im BGIA Ringbuch Arbeitsanamnese (HVBG 2006), wobei die Rahmenbedingungen (vgl. Vorwort) zu beachten sind. ...
Die folgende Aufzählung typischer benzolbelasteter Arbeitsbereiche und -tätigkeiten ist nicht abschließend. Den in den Unterabschnitten 3.2.2.1. bis 3.2.2.3. unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Belastungsintensitäten gegebenen Hinweisen zur Mindestdauer einer solchen Einwirkung liegt jeweils eine mindestens zu erreichende kumulative Belastungsdosis in der Größenordnung im hohen einstelligen bzw. unteren zweistelligen Bereich zu Grunde. Eingeflossen sind dabei nicht allein die verfügbaren Messdaten, sondern z.B. auch Erfahrungen bezüglich außerordentlich schlechter arbeitshygienischer Bedingungen mit direktem Hautkontakt oder mit messtechnisch nicht erfassbaren kurzfristigen extrem hohen Belastungen. Auch bei geringen Belastungsintensitäten ist eine entsprechende Gesamtbelastung im Einzelfall erreichbar (siehe 3.1.).
Bei Arbeitsbedingungen mit fraglicher Benzoleinwirkung, welche nicht den beispielhaft genannten und klassifizierten Tätigkeitsbereichen zugeordnet werden können, ist anhand aller Umstände des Einzelfalls zu prüfen, ob ein Ursachenzusammenhang wahrscheinlich ist.
Nachfolgend sind somit den unterschiedlichen Belastungsintensitäten beispielhaft Tätigkeiten zugeordnet. Hierzu ist zu beachten: Die betreffenden Tätigkeiten können im Einzelfall der nächsthöheren Kategorie zuzuordnen sein, wenn regelmäßig ohne die üblichen Arbeitsschutzmaßnahmen gearbeitet und dadurch eine der nächsthöheren Kategorie entsprechende Belastungsintensität erreicht wurde. Unter solchen außergewöhnlichen Umstanden kann zum Beispiel bei den zu einer hohen Belastungsintensität genannten Tätigkeiten (3.2.2.2.) eine Einordnung als extreme Belastungsintensität (3.2.2.1.) gerechtfertigt sein.
3.2.2.1. Extreme Belastungsintensität (Expositionsintensität)
Eine Expositionszeit von in der Regel einem Jahr (Hinweis: für Erkrankungen der Gruppe A) ist ausreichend; bei der Ermittlung der Expositionszeit ist die tätigkeits- (T) und schichtbezogene (S) Differenzierung zu beachten.
- offener Umschlag von Ottokraftstoffen oder hinsichtlich des Benzolgehaltes vergleichbaren Kohlenwasserstoffgemischen auf Tankschiffen, Tank- und Kesselwagen sowie Tankcontainern bis 1982 (S)
- Benzolalkylierung und Ethylbenzolherstellung in Chemiebetrieben der DDR (z.T. bis 1990) (S)
- Reinigen von Gegenstanden (auch Hände waschen) mit Ottokraftstoffen oder hinsichtlich des Benzolgehaltes vergleichbaren Kohlenwasserstoffgemischen bis ca. 1985 (T)
- Spritzauftrag von benzolhaltigen Beschichtungen oder Oberflächenbehandlungs-mitteln vor 1970 (T)
- Arbeiten in Teer-, Pech- und Asphaltlaboratorien (Kalt- und Heißextraktion mit Benzol) bis 1980 (S)
- Reinigung von Tankanlagen für Ottokraftstoffe bis 1980 (T)
- Innenreinigung von Behältern für Benzol bzw. Ottokraftstoffen oder hinsichtlich des Benzolgehaltes vergleichbaren Kohlenwasserstoffgemischen ohne geeignete Schutzmaßnahmen

3.2.2.2. Hohe Belastungsintensität
Eine Expositionszeit von in der Regel zwei bis fünf Jahren (Hinweis: für Erkrankungen der Gruppe A) ist ausreichend; bei der Ermittlung der Expositionszeit ist die tätigkeits- (T) und schichtbezogene (S) Differenzierung zu beachten.
- Arbeiten in Nebengewinnungsanlagen der Kohlechemie (Kokerei und Gaswerk) vor 1990 (zwei Jahre) oder vor 1999 (vier Jahre) (S)
- Roh- und Reinbenzolherstellung vor 1999 (vier Jahre) (S)
- Arbeiten in Anlagen zur Herstellung von Ethylen bis 1990 (S)
- Bedienen von Tanks für Ottokraftstoffe durch Pumpen, Peilen, Aufmischen, Öffnen von Schiebern, Tankstandsmessungen, Wartung und Ziehen von Labormustern im Tankfeld bis 1999 (vier Jahre) (S)
- Warten und Instandhaltung von benzolführenden Rohrleitungsteilen und Pumpen (nicht Kfz) bis 1999 (vier Jahre) (S)
- Arbeiten im Kfz-Handwerk an ottokraftstoffführenden Teilen bis 1980 (zwei Jahre) (T)
- Arbeiten im Kfz-Handwerk an Vergasern bis 1985 (zwei Jahre) (T)
- Arbeiten im Kfz-Handwerk an ottokraftstoffführenden Teilen bis 1985 (vier Jahre) (T)
- Arbeiten im Kfz-Handwerk an Vergasern bis 1990 (fünf Jahre) (T)
- Reinigung von Tankanlagen für Ottokraftstoffe bis 1990 (T)
- Funktionsprüfung von kraftstoffführenden Motorkomponenten (z.B. Benzinpumpen) bis 1999 (T)
- Spritzauftrag von Beschichtungen oder Oberflächenbehandlungsmitteln vor 1970 bis 1979 (T)"

Ebenso ergibt sich aus dem in der wissenschaftlichen Begründung erwähnten IFA-Ringbuch Nr. 9105 (Stand 2021), dass die Benzolkonzentration als Schichtmittelwert oder tätigkeitsbezogen bei Tätigkeiten mit extremer Belastungsintensität regelmäßig oberhalb von 8 ppm pro Jahr liegt und bei Tätigkeiten mit hoher Belastungsintensität zwischen 2 und 8 ppm pro Jahr. Denn dort heißt es:
"13.2.2 Belastungsgruppen
Zu 3.2.2.1 "Extreme Belastungsintensität"
Das Kapitel 3.2.2.1 "Extreme Belastungsintensität" benennt beispielhaft Tätigkeiten, bei denen nach den "Anwendungshinweisen zur retrospektiven Beurteilung der Benzolexpositionen" die Benzolkonzentrationen als Schichtmittelwert oder tätigkeitsbezogen oberhalb von 8 ppm liegen.
Die erforderliche hinreichende Dosis wird in diesen Fällen beispielsweise innerhalb eines Jahres erreicht, wenn die arbeitstägliche Exposition gegenüber Benzol als Schichtmittelwert oberhalb von ca. 8 ppm liegt. Dieses Kapitel enthält aber zum Teil auch Tätigkeiten, bei denen deutlich höhere Benzolkonzentrationen ermittelt wurden. Ergeben sich im Einzelfall Hinweise, dass an einem Arbeitsplatz höhere Konzentrationen (als Schichtmittelwert) vorgelegen haben (z. B. 50 ppm), so wird die erforderliche kumulative Benzoldosis in einem sehr viel kürzeren Zeitraum (z. B. in zwei bis drei Monaten) erreicht. Ergeben die Ermittlungen eine geringere durchschnittliche Benzolkonzentration am Arbeitsplatz (z.B. 5 ppm), so ist eine entsprechend längere Expositionszeit erforderlich (z. B. zwei Jahre).
Zu 3.2.2.2 "Hohe Belastungsintensität" und 3.2.2.3 "Mittlere Belastungsintensität"
Die Kapitel 3.2.2.2 und 3.2.2.3 benennen beispielhaft Tätigkeiten, bei denen nach den Anwendungshinweisen die Benzolkonzentrationen als Schichtmittelwert oder tätigkeitsbezogen zwischen 2 bis 8 ppm "Hohe Belastungsintensität" und 1 bis 2 ppm "Mittlere Belastungsintensität" liegen. Die hinreichende Dosis wird bei den aufgeführten Tätigkeiten erreicht, wenn die in den Anwendungshinweisen für einen bestimmten Zeitabschnitt angegebene Benzolkonzentration vorliegt und die jeweils angegebene Expositionszeit (fünf bzw. zehn Jahre, sofern nicht kürzere Zeiten genannt werden) erfüllt wird. Liegen im konkreten Einzelfall die ermittelten Benzolkonzentrationen am Arbeitsplatz höher oder niedriger, ist eine entsprechend kürzere oder längere Expositionszeit erforderlich, um die hinreichende Dosis zu erreichen.
Außerdem wird ausgeführt (13.3.4), dass bei Erkrankungen, die - wie das MM - unter das Kapitel 3.3. der wissenschaftlichen Begründung fallen, die kumulative Benzoldosis zu berechnen sei; ein enger Dosisbereich könne in diesen Fällen nicht genannt werden. Die unter Kapitel 3.3 der wissenschaftlichen Begründung verbal beschriebenen Belastungsintensitäten bzw. Beispiele seien nicht abschließend. Eine ausreichende Exposition könne bei den dort aufgeführten Krankheiten auch bei einer mittleren oder geringen Belastungsintensität erreicht werden, wenn z. B. eine entsprechend längere Expositionsdauer vorliegt (vgl. DGUV-Rundschreiben - 0149/2013 vom 17.04.2013).

F hat für den Senat überzeugend dargelegt, dass auch unter Berücksichtigung neuerer Erkenntnisse und Studien, einschließlich der von H1 genannten Publikationen, keine neuen wissenschaftlich belastbaren Hinweise zur erforderlichen Mindestdosis von Benzol für das Entstehen eines MM vorliegen, die zu einer Neubewertung der in der wissenschaftlichen Begründung erläuterten Expositions-Risiko-Beziehung führen. Eine Änderung der herrschenden wissenschaftlichen Lehrmeinung hat F somit verneint. Insbesondere hat er überzeugend herausgearbeitet, dass aus der von H1 genannten Studie von 2015 mit 24.917 männlichen norwegischen Arbeitern auf einer Ölbohrinsel (Stenehjem u.a., "Benzene exposure and risk of lymphohaematopoietic cancers in 25.000 offshore oil industry workers", BJC 2015), in Kenntnis der gesamten wissenschaftlichen Literatur keine wissenschaftlich belastbaren, allgemeingültigen Kenntnisse für eine Dosis-Risiko-Beziehung abgeleitet werden könnten. Zum einen lag das dort ermittelte Risiko für ein MM zwischen "keine Risikoerhöhung" und einer 10-fachen Risikoerhöhung. Zum anderen ist dieses Risiko an nur wenigen Erkrankungsfällen abgeleitet worden. Die Studie nennt lediglich 17 an MM erkrankte Personen, wobei 4 von ihnen keiner Benzolexposition ausgesetzt waren.

Der Senat hat keine Bedenken, sich den Ausführungen von F anzuschließen. Als Mitglied des ÄSVB, der als internes weisungsunabhängiges Beratungsgremium das Bundesministerium für Arbeit und Soziales in medizinisch-wissenschaftlichen Fragen bei seiner Entscheidungsfindung unterstützt, ist F in besonderem Maße für die Beantwortung der anspruchsvollen streitgegenständlichen Fragestellung qualifiziert.

Vor diesem Hintergrund kommt angesichts der niedrigen beruflichen Benzolbelastung des Klägers keine Anerkennung der BK Nr. 1318 in Betracht, wie F überzeugend dargelegt hat.
Denn die Belastungsintensität mit Benzol liegt beim Kläger weit unterhalb einer Gesamtbelastung von 8 ppm-Benzoljahren als Wert, der selbst für einen Ursachenzusammenhang zwischen Benzolbelastung und einer Erkrankung der Gruppe A erwartet wird. Damit ist die Benzolbelastung erst recht viel zu gering, um im Einzelfall eine wesentliche (Mit-)
Ursache der Benzolbelastung für das MM als einer Erkrankung der Gruppe B hinreichend wahrscheinlich zu machen.

Der Senat gelangt unter kritischer Würdigung der Berechnungen des Präventionsdienstes der Beklagten und der Angaben des Klägers zu der Überzeugung, dass der Kläger einer beruflichen Gesamt-Benzolexposition von deutlich unter 3 ppm-Benzoljahren ausgesetzt war, wobei spätestens für die Beschäftigungen ab 14.04.1986 keine beruflichen Benzolbelastungen mehr zu ermitteln bzw. zu errechnen sind, insbesondere nicht für die Tätigkeiten bei der Fa. V.

Vorab ist zur Expositionsermittlung Folgendes festzuhalten:
Im Rahmen der BK Nr. 1318 sind, wie F überzeugend dargelegt hat, nur Belastungen mit Benzol relevant, nicht dagegen sogenannte Benzolhomologe wie Toluol, Xylole, Ethylbenzol oder andere Lösemittel, die nach aktuellem Stand der wissenschaftlichen Literatur nicht das Potential haben, bösartige Erkrankungen des blutbildenden Systems hervorzurufen. Das gilt auch für das laut Datenblatt im Härter 933 rapid der Fa. K und W enthaltene Chlorbenzol.

Maßgeblich für Benzolbelastungen im Rahmen der Tätigkeit des Klägers waren, wie G überzeugend dargelegt hat, nicht die verwendeten (nahezu benzolfreien) pastösen Druckfarben, die benzolfreien Siebdruckfarben, die vom Kläger selbst angesetzten (benzolfreien) Filme und Entwickler, die (benzolfreien) Filmreiniger und Montagekleber, sondern vor allem Reinigungsmittel in Form von Spezialbenzin. Das daneben als Walzenwaschmittel verwendete Testbenzin war dagegen, wegen des höheren Siedepunktes, herstellungsbedingt nahezu benzolfrei und auch die zur Reinigung angetrockneter Verschmutzungen eingesetzten Farblöser und Farbfresser waren benzolfrei.

Gerade für die Beschäftigung bei der Fa. V ab 01.03.1989, die der Kläger subjektiv als besonders schadstoffbelastet empfunden zu haben scheint, ist keine Benzolbelastung im Vollbeweis nachgewiesen und nicht einmal wahrscheinlich. Denn wie G überzeugend dargelegt hat, erfolgte das dort durchgeführte Siebdruckverfahren mit wässrigen, gerade kein Benzol enthaltenden Farben und verwendet wurden dementsprechend auch keine Benzol enthaltenden Lösungs- bzw. Reinigungsmittel. Auch haben die dort verwendeten Mittel wie Kleber oder Härter kein Benzol enthalten. Weder die Produkte der Firma K und W noch die - laut Kläger bei der Fa. V vorwiegend verwendeten - Produkte der Firma S1 enthalten nach den vorliegenden Sicherheitsdatenblättern Benzol. Zudem haben weder durchgeführte Messungen im Rahmen der Gewerbeaufsicht Hinweise auf eine Benzolbelastung bei der Fa. V ergeben noch liegen für eine Benzolbelastung sprechende Blutwerte des Klägers vor.

Außerdem ist zu berücksichtigen, dass der Benzolanteil der im Buch- und Offsetdruck verwendeten Spezialbenzine seit den 1950er Jahren stetig verringert wurde; er betrug ab 1970 noch 0,2%, ab 1975 0,1%, ab 1980 0,01% und ab 1985 nur noch 0,001%. Die entsprechenden Ausführungen des G decken sich mit denen des IFA-Ringbuchs 9105 unter Punkt 12.9 und 7.6.2.
Daraus erklärt sich schlüssig, dass sich ab 1985 bzw. spätestens nach Ende der Beschäftigung des Klägers bei der Fa. S Druck GmbH (11.04.1986) keine Benzolbelastung des Klägers mehr errechnen lässt. Dies zeigen die Berechnungen des Präventionsdienstes vom 23.04.2019 und vom 28.09.2021 (Rechnung 2), in denen zwei Stunden arbeitstägliche Reinigungsarbeiten mit benzolhaltigem Benzin zuzüglich Hintergrundbelastung für die Tätigkeiten in den Firmen H Druck und B angesetzt worden sind.

Selbst wenn man in der Worst-Case-Berechnung (Rechnung 2) des Präventionsdienstes vom 28.09.2021 180 statt 200 Arbeitsschichten pro Jahr für die Lehrzeit berücksichtigt (Folge: 1,5 ppm-Benzoljahre) und für die Beschäftigung in den Firmen H Druck und B zwei Stunden täglich an Reinigungsarbeiten zuzüglich Hintergrundbelastung ansetzt (Folge: 0 ppm-Benzoljahre), würde sich die Worst-Case-Schätzung der Gesamt-Benzolexposition insgesamt nur um 0,1 ppm-Benzoljahre erhöhen, auf insgesamt 2,3 ppm-Benzoljahre.

Dabei hat der Präventionsdienst der Beklagten in der Worst-Case-Schätzung bereits nicht nachgewiesene und nicht nachweisbare Angaben des Klägers berücksichtigt. So hat er in Übereinstimmung mit den Angaben des Klägers sowohl die inhalative als auch die dermale Belastung ohne Nutzung von Handschuhen und neben der Benzolbelastung durch eigene Reinigungsarbeiten die Hintergrundbelastung durch die Umgebung berücksichtigt. Ferner hat G dargelegt, dass er Lüftungsverhältnisse bei üblicherweise geschlossenen Fenstern und ohne technische Lüftungsanlagen zu Grunde gelegt hat.
Vor allem sind in dieser Rechnung 2 sehr hohe Anteile der Arbeitszeit für Reinigungsarbeiten angesetzt, nämlich in Höhe von 6 Stunden pro Arbeitstag in den ersten beiden Lehrjahren und von 5 Stunden pro Tag im dritten Lehrjahr. Ferner wurden für die Zeit nach Abschluss der Lehre bei der Fa. M entsprechend den Angaben des Klägers im Erörterungstermin vor dem LSG regelmäßig 45 Wochenstunden statt der laut Kläger vereinbarten Wochenarbeitszeit von 37,5 Stunden angesetzt, mit einem Anteil von 4 Stunden arbeitstäglich für Reinigungsarbeiten. Belege für regelmäßige Überstunden in diesem Ausmaß liegen allerdings nicht vor.

Letztlich erscheint es dem Senat nicht realistisch, dass der Kläger während der ersten zwei Lehrjahre täglich 6 Stunden und im dritten Lehrjahr 5 Stunden pro Arbeitsschicht mit benzolhaltigen Reinigungsmitteln gearbeitet haben soll, insbesondere angesichts der Vielzahl unterschiedlicher Aufgaben eines Druckerlehrlings und der verschiedenen Bereiche einer ordnungsgemäßen Ausbildung. Hinzu kommt, dass teils bei Reinigungsmitteln auch benzolfreie Mittel zum Einsatz kamen.
Das spricht aber erst recht gegen eine im Vollbeweis nachgewiesene ausreichende Benzolexposition.

Weitere Ermittlungen von Amts wegen waren für die Entscheidungsfindung des Senats nicht erforderlich. Angesichts des klaren, vollständigen und überzeugenden Gutachtens des F bestand aus Sicht des Senats kein Erläuterungsbedarf durch diesen und auch der Klägerbevollmächtigte hat im Termin am 04.01.2023 keine diesbezüglichen Anträge mehr gestellt.
Dem Antrag des Klägerbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung am 04.01.2023, den Sachverständigen H1 mündlich zur Erläuterung seines Gutachtens zu hören, war nicht stattzugeben. Gemäß § 118 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 411 Abs. 3 ZPO kann das Gericht das Erscheinen eines Sachverständigen zur Erläuterung seines schriftlichen Gutachtens anordnen oder es kann eine schriftliche Erläuterung oder Ergänzung des Gutachtens durch den Sachverständigen einholen. Ob dies geschieht, liegt grundsätzlich im Ermessen des Gerichts (vgl. hierzu Keller, in: Meyer-Ladewig / Keller / Leitherer / A.t, Kommentar zum SGG, 13. Auflage 2020, zu § 118 Rn. 12 c). Ebenso liegt es im Ermessen des Gerichts, ob die Erläuterung bzw. Ergänzung des Gutachtens mündlich oder schriftlich erfolgt (Auswahlermessen; vgl. Pitz, in: Juris-Praxiskommentar, Stand 05.07.2022, zu § 118 Rn. 2). Das Gericht war dem Antrag des Klägerbevollmächtigten mit Anforderung einer ergänzenden schriftlichen Stellungnahme des H1 mit Schreiben vom 25.01.2022 nachgekommen. Daraufhin hatte H1 hinsichtlich der sein Fachgebiet Hämatologie bzw. Onkologie betreffenden Beweisfragen ausdrücklich auf sein Gutachten verwiesen und ferner mitgeteilt, dass die Beweisfragen im Übrigen - nämlich die vertiefte Beurteilung eines kausalen Zusammenhangs zwischen Benzolexposition und Entwicklung eines MM sowie die Anwendung dieser Ergebnisse und publizierten Daten auf den gegenständlichen Fall - außerhalb seiner Fachkompetenz liegen, dass er also über sein Gutachten hinaus keine weitergehenden sachverständigen Erläuterungen zur Frage der Kausalität zu geben vermag. Daher hat der Senat keinen Anlass zur Ladung des H1 zur mündlichen Erläuterung der gutachterlichen Bewertung des Kausalzusammenhangs gesehen, zumal Fragen, die nach eigener Aussage des Sachverständigen außerhalb seines Fachgebietes liegen, nicht sachdienlich sind (vgl. Keller a.a.O., Rn. 12 f). Außerdem hat der Klägerbevollmächtigte nach Mitteilung der Entbindung des Sachverständigen H1 von der Abgabe einer weiteren Stellungnahme, wobei die Gründe (auch hinsichtlich einer mündlichen Stellungnahme) im gerichtlichem Schreiben vom 27.04.2022 erläutert worden waren, erst in der mündlichen Verhandlung - und damit verspätet - neuen Antrag auf Ladung des H1 zur mündlichen Anhörung gestellt. Soweit der Klägerbevollmächtigte nach Erhalt der Ladungen zur mündlichen Verhandlung Antrag auf Ladung eines Sachverständigen zum Termin gestellt hatte, betraf dies ausschließlich F und gerade nicht H1.

Dem in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag des Klägerbevollmächtigten auf Einräumung einer "Schriftsatzfrist" für eine Äußerung zur Zuständigkeitsproblematik innerhalb der Beklagten - Zuständigkeit des Geschäftsführers statt des Rentenausschusses - und dem darin sinngemäß enthaltenen Antrag auf Vertagung der mündlichen Verhandlung, jeweils sinngemäß gestellt für den Fall, dass der Senat dem klägerischen Sachantrag in der Hauptsache nicht folgt, hat der Senat nicht stattgegeben.
Regelungen zu Schriftsatzfristen der Zivilprozessordnung (ZPO), u.a. § 283 ZPO, sind im sozialgerichtlichen Verfahren nicht anwendbar (vgl. A.t, in: Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer / A.t, Kommentar zum SGG, 13. Auflage, zu § 108 Rn. 2). Im Übrigen war der rechtliche Hinweis des Vorsitzenden kein Vorbringen - also keine Tatsachenbehauptung - des Gegners, wie es § 283 ZPO voraussetzt (vgl. Baudewin, in: Kern/Diehm, Kommentar zur ZPO, 2. Auflage 2020, zu § 283 Rn. 5; Greger, in Zöller, Kommentar zur ZPO, 34. Auflage 2022, zu § 283 Rn. 2a)
Dem sinngemäß enthaltenen Antrag auf Vertagung der mündlichen Verhandlung (§ 202 Satz 1 SGG i.V.m. § 227 ZPO) war nach Überzeugung des Senats nicht stattzugeben mangels eines erheblichen Grundes. Dass der Rentenausschuss die Anerkennung der BK Nr. 1318 abgelehnt hatte, ergab sich ohne Weiteres aus dem Bescheid. Dass für eine solche Entscheidung nicht der Rentenausschuss, sondern der Geschäftsführer zuständig war, war angesichts der eindeutigen höchstrichterlichen Rechtsprechung des BSG seit Veröffentlichung der Urteilungsgründe des BSG-Urteils vom 30.01.2020 (B 2 U 2/18 R) geklärt und lange vor der mündlichen Verhandlung bekannt.
Der Hinweis des Vorsitzenden betraf mithin keinen neuen Sachverhalt, sondern eine reine Rechtsfrage. Von einem anwaltlichen Bevollmächtigten darf jedoch erwartet werden, dass er sich über einschlägige Rechtsprechung, die von Bedeutung für die von ihm übernommenen Verfahren ist, auf dem Laufenden hält bzw. sich in Vorbereitung eines Termins zur mündlichen Verhandlung darüber informiert, so dass es ihm verwehrt ist, sich auf Unkenntnis zu berufen. Vor allem aber ist von rechtskundigen Bevollmächtigten in aller Regel zu verlangen, dass sie sich in der mündlichen Verhandlung auch auf neue rechtliche Gesichtspunkte einstellen können (vgl. Wf-Dellen in: Fichte/Jüttner, Kommentar zum SGG, 3. Auflage 2020, zu § 62 SGG Rn. 27), zumal die mündliche Verhandlung gerade der Erörterung der Rechtslage dient.
Selbst wenn man einen Anspruch auf Vertagung für einen rechtskundigen Bevollmächtigten für eine Stellungnahme zu Rechtsfragen, deren Bewertung - wie hier - keine weiteren tatsächlichen Ermittlungen oder Tatsachenkenntnisse erfordern, nicht generell für ausgeschlossen halten sollte, müsste dann aber im konkreten Einzelfall ein erheblicher Grund vorliegen (vgl. BSG, Urteil vom 12.04.2000 - B 9 VH 1/99 R). Ein solcher ist weder vom Klägerbevollmächtigten dargetan worden noch ist dieser ersichtlich. Im Raum steht die für einen Rechtskundigen durchaus alltägliche Frage, welche Konsequenzen sich aus einem Verstoß gegen die innerbehördliche Zuständigkeit ergeben. Insofern ist dem Senat nicht verständlich, weshalb für den rechtskundigen Klägerbevollmächtigten nicht ohne weiteres noch in der mündlichen Verhandlung eine rechtliche Positionierung möglich war.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG sind weder vorgetragen noch ersichtlich.

 

Rechtskraft
Aus
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