Kostenaufwändiger ist eine Ernährung, die von dem im Regelbedarf umfassten typisierten Bedarf abweicht und von diesem nicht gedeckt ist. Dies ist grundsätzlich nur bei einer besonderen, von der Vollkost abweichenden Ernährungsform der Fall, die ein medizinisch begründetes besonderes Ernährungsbedürfnis erfordert.
Die Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe können hierbei als Orientierungshilfe herangezogen werden. Von diesen darf in fachlich begründeten Fällen abgewichen werden.
Auf die Berufung des Klägers und entsprechend des Teilanerkenntnisses der Beklagten vom heutigen Tag werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt a. Main vom 20. Januar 2020 und die Bescheide der Beklagten vom 6. Februar 2013 und vom 3. September 2013 jeweils in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Juni 2015 sowie vom 7. August 2014, abgeändert durch den Bescheid vom 6. November 2014 und in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. April 2016 abgeändert und die Beklagte verurteilt, dem Kläger für den Zeitraum von Februar 2013 bis 9. Dezember 2014 eine Krankenkostzulage i.H.v. 10 % des Eckregelsatzes und vom 10. Dezember 2014 bis September 2015 eine Krankenkostzulage i.H.v. 10 % der Regelbedarfsstufe 1 zu gewähren.
Im Übrigen wird die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt a. Main vom 20. Januar 2020 zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger ein Drittel der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klage- und Berufungsverfahrens zu erstatten
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Berücksichtigung eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung (Krankenkostzulage - KKZ -) und einer Hygienezulage bei der Berechnung der Leistungen von Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch – Sozialhilfe – (SGB XII).
Der 1948 geborene Kläger leidet u.a. an Beinfunktionsstörungen, einer Nervenstörung der Gliedmaßen, einer Speiseröhren- und Magenkrankheit, einer Hauterkrankung und einer Funktionsstörung der Wirbelsäule mit Ausstrahlungen (Bl. 22, 79 der Verwaltungsakte der Beklagten - VA -, Bescheide des Hessischen Amtes für Versorgung und Soziales Frankfurt vom 5. März 2009 und vom 28. September 2009) und bezieht von der Beklagten seit 2009 SGB XII-Leistungen (Bescheid der Beklagten vom 31. August 2009, Bl. 33 der VA der Beklagten). Seit dem Bescheid des Hessischen Amtes für Versorgung und Soziales Frankfurt vom 28. September 2009 verfügt er über einen Grad der Behinderung (GdB) von 100 und die Merkzeichen G und B.
Am 3. September 2009 stellte der Kläger bei der Beklagten erstmals einen Antrag auf Gewährung einer KKZ. Zur Bestätigung seines Vorbringens legte er eine ärztliche Bescheinigung seines Hausarztes, Dr. B., vom 1. September 2009 vor, wonach er an Hyperlipidämie und Hypercholesterinämie leide, die diätisch mit fettreduzierten Nahrungsmitteln behandelt würden. Nach einer Stellungnahme von Dr. E. (Stadtgesundheitsdienst, amtsärztlicher Dienst) hierzu vom 18. September 2009, wonach keine Erkrankung vorliege, die nach den derzeit geltenden Richtlinien eine kostenintensivere Ernährung erfordere, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 29. September 2009 die KKZ ab (Bl. 67 der VA der Beklagten). Die Ablehnung beziehe sich auf die Krankheitsbilder Hyperlipidämie und Hypercholesterinämie. Für das Krankheitsbild Zervikale Myleopathie müsse eine ärztliche Stellungnahme erfolgen, wozu die Beklagte dem Kläger entsprechende Anträge zur Verfügung stellte.
Unter dem 24. September 2009 stellte der Kläger einen Antrag auf Gewährung einer Hygienepauschale, da er einen besonderen Bedarf an Körperpflege, Reinigungs- und Desinfektionsmitteln aufgrund seiner Erkrankung Zervikale Myleopathie bei Tetraparese und Akne Inversa habe. Aus den Attesten der Fachärzte ergebe sich, dass er bedingt aus den bei ihm bestehenden Erkrankungen unter Nachtschweiß, Hautausschlägen, Pilzbefall und Durchfällen leide. Dies habe zudem einen hohen Wasserverbrauch und Wäscheverschleiß zur Folge. Mit Bescheid vom 5. Oktober 2009 bewilligte die Beklagte dem Kläger einen Mehrbedarfszuschlag ab dem 1. September 2009.
Unter dem 26. Oktober 2009 stellte der Kläger bei der Beklagten erneut einen Antrag auf Gewährung einer KKZ und einer Hygienepauschale. Mit Bescheid vom 13. November 2009 wies die Beklagte darauf hin, dass ihm mit Schreiben vom 29. September 2009 die Anträge für den Mehrbedarf Zervikale Myleopathie für eine Stellungnahme des behandelnden Arztes übersandt worden seien. Sobald der Arzt diese Anträge ausgefüllt habe und ein Rücklauf erfolgt sei, könne erst entschieden werden, ob ein Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung bestehe. Ein Anspruch auf eine Hygienepauschale bestehe nur bei einer AIDS-Erkrankung. Sollte eine solche bei dem Kläger vorliegen, seien entsprechende Nachweise vorzulegen. Gegen den Bescheid vom 13. November 2009 erhob der Kläger mit Schreiben vom 12. Dezember 2009 Widerspruch. Im Februar 2011 legte die Prozessbevollmächtigte des Klägers mit einer Sachstandsanfrage einen Arztbrief von Dr. D., Facharzt für Neurochirurgie, vom 2. September 2010 an das Sozialgericht Frankfurt am Main zu dem Az.: S 11 VE 36/09 vor. Nach Einholung einer erneuten Stellungnahme von Dr. E. vom 8. April 2011 hierzu lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 13. April 2011 die Gewährung einer KKZ ab. Die Erkrankung des Klägers (Hyperlipidämie) erfordere keine spezielle Kostform, die zu erheblichen Mehrkosten führe. Für die Beurteilung der Notwendigkeit einer Hygienezulage seien aktuelle Angaben erforderlich. Die eingereichten Unterlagen beruhten auf Konsultationen am 13. Oktober 2009 und 16. Oktober 2009. Hiergegen erhob der Kläger am 13. Mai 2011 Widerspruch und legte im September 2012 einen Arztbrief aus dem Klinikum der Goethe-Universität Frankfurt a. Main vom 23. Dezember 2011 nebst einer ärztlichen Bescheinigung aus dem Schmerzzentrum Frankfurt vom 18. Juni 2012 vor. Mit Bescheid vom 15. Oktober 2012 lehnte die Beklagte erneut eine KKZ ab (Bl. 249 der VA).
Mit Bescheid vom 6. Februar 2013 bewilligte die Beklagte dem Kläger Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung für den Zeitraum vom 1. Februar 2013 bis zum 30. September 2013 ohne Berücksichtigung einer KKZ und einer Hygienezulage. Hiergegen erhob der Kläger am 24. Februar 2013 Widerspruch. Zur Begründung wies er darauf hin, dass bei der Beklagten offensichtlich ernsthafte und schwerwiegende Probleme bei der Anwendung der geltenden Rechtsprechung zum SGB XII, insbesondere bei Mehrbedarfen, bestünden. Alle Anträge seien durch fachärztliche Zeugnisse glaubhaft gemacht.
Mit Bescheid vom 3. September 2013 bewilligte die Beklagte dem Kläger Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung für den Zeitraum vom 1. Oktober 2013 bis zum 30. September 2014 ohne Berücksichtigung einer KKZ und einer Hygienezulage. Hiergegen erhob der Kläger unter dem 4. Oktober 2013 Widerspruch mit der Begründung, dass seine anspruchsbegründenden Anträge von 2008 bis 2013 auf Bewilligung von Mehrbedarfen keinen Aufschub mehr duldeten. Mit Widerspruchsbescheid vom 29. Juni 2015 wies die Beklagte die Widersprüche des Klägers vom 24. Februar 2013 gegen den Bescheid vom 6. Februar 2013 und vom 4. Oktober 2013 gegen den Bescheid vom 3. September 2013 zurück. Es sei weder vorgetragen noch ersichtlich, dass bei der Berechnung der Leistungen für den Kläger ein Fehler unterlaufen sei. Die Frage des Mehrbedarfes für eine kostenaufwändige Ernährung sei mit bestandskräftigem Bescheid vom 15. Oktober 2012 verbindlich und abschließend entschieden worden. Werde dieser Zuschlag, so wie hier, nicht bezogen auf einen bestimmten Bewilligungszeitraum abgelehnt, wirke der Verwaltungsakt auch für weitere Bewilligungsabschnitte.
Hiergegen hat der Kläger am 29. Juli 2015 Klage zum Sozialgericht Frankfurt erhoben (S 27 SO 184/15).
Mit Bescheid vom 16. September 2014 wurde von dem Hessischen Amt für Versorgung und Soziales Frankfurt dem Kläger Versorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) i.V.m. dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) mit einem Grad der Schädigung (GdS) von 70 anerkannt (Bl. 458, 459, 520 der VA der Beklagten). Das Hessische Amt für Versorgung und Soziales Frankfurt a. Main bewilligte dem Kläger zudem mit Bescheid vom 16. September 2014 ab dem 1. August 2008 eine Ausgleichsrente. Aufgrund eines von dem Kläger angenommenen Anerkenntnisses des Hessischen Amtes für Versorgung und Soziales Frankfurt a. Main vom Juni 2017 wurde der GdS bei dem Kläger auf 100 festgesetzt.
Mit Bescheid vom 7. August 2014, abgeändert durch den Bescheid vom 6. November 2014, bewilligte die Beklagte dem Kläger Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung für den Zeitraum vom 1. Oktober 2014 bis zum 30. September 2015 ohne Berücksichtigung einer KKZ und einer Hygienezulage. Hiergegen erhob der Kläger am 4. September 2014 und am 1. Dezember 2014 Widerspruch und wies erneut darauf hin, dass die Beklagte verpflichtet sei, die durch ärztliche Atteste nachgewiesenen Mehrbedarfe (Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung, zusätzliche Energiepauschale, Beihilfe zur vorbeugenden Gesundheitsbeihilfe, Hygienepauschale) zu gewähren. Unter dem 4. September 2014 reichte der Kläger ärztliche Unterlagen von Dr. B., Facharzt für Allgemeinmedizin, Akupunktur, Schmerztherapie und Diabetologie, vom 6. Juni 2014 und von Dr. S., Facharzt für Anästhesiologie, Spezielle Schmerztherapie und Palliativmedizin, vom 3. Juni 2014 zur Verwaltungsakte der Beklagten. Mit Widerspruchsbescheid vom 20. April 2016 wies die Beklagte die Widersprüche des Klägers vom 1. September 2014 gegen den Bescheid vom 7. August 2014 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 6. November 2014 und vom 30. November 2014 gegen den Änderungsbescheid vom 6. November 2014 zurück. Ein höherer Leistungsanspruch ergebe sich nicht auf Grundlage eines Mehrbedarfszuschlages für kostenaufwändige Ernährung nach § 30 Abs. 5 SGB XII. Über diese Frage sei mit bestandskräftigem Bescheid vom 15. Oktober 2012 verbindlich und abschließend entschieden worden. Ein höherer Leistungsanspruch ergebe sich zudem nicht im Hinblick auf die geltend gemachten Mehrkosten für Gesundheitsvorsorge, Hygiene und Energie. Die anfallenden Kosten hierfür seien mit der pauschaliert gewährten Regelleistung nach § 42 Nr. 1 i.V.m. § 27a SGB XII abgegolten. Der Kläger habe seine monatlichen Ausgaben für Gesundheitsvorsorge, Hygiene und Energie durch Umschichtungen aus der ihm in gesetzlicher Höhe gewährten Regelleistung zu bestreiten.
Hiergegen hat der Kläger am 9. Mai 2016 Klage zum Sozialgericht Frankfurt am Main erhoben (S 27 SO 102/16). Mit Beschluss vom 6. Februar 2017 hat das Sozialgericht Frankfurt a. Main das Verfahren S 27 SO 102/16 mit dem Verfahren S 27 SO 184/15 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung bei dem Führen des Verfahrens S 27 SO 184/15 verbunden. Zur Begründung hat der Kläger vorgetragen, dass er einen Rechtsanspruch auf die beantragten Mehrbedarfe habe. Dies sei durch die von ihm vorgelegten fachärztlichen Befundberichte und ärztlichen Äußerungen belegt, die von der Beklagten nicht gewürdigt worden seien. Zudem rüge er das rechtswidrig überlange Widerspruchsverfahren aus 2013 bis heute. Zur Bestätigung seines Vorbringens hat der Kläger ein ärztliches Attest von Dr. S. vom 2. September 2019 vorgelegt. Die Beklagte hat im Klageverfahren an ihrer Rechtsauffassung, dass der Kläger keinen Anspruch auf höhere Leistungen durch Mehrbedarfe habe, festgehalten. Nach Anhörung der Beteiligten hat das Sozialgericht mit Gerichtsbescheid vom 20. Januar 2020 die Klagen abgewiesen. Zur Begründung führt das Sozialgericht aus, dass der Kläger für den streitigen Zeitraum Februar 2013 bis September 2015 keinen Anspruch auf Berücksichtigung einer KKZ und einer Hygienezulage habe. Es könne unentschieden bleiben, ob sich dies bereits aus dem bestandskräftigen Bescheid vom 15. Oktober 2012 ergebe, durch den die Gewährung eines Mehrbedarfszuschlages für kostenaufwändige Ernährung gemäß § 30 Abs. 5 SGB XII abgelehnt worden sei. Jedenfalls bedinge die Hyperlipidämie keine besondere kostenintensive Ernährungsweise, wie die Ärztin Dr. E. (Stadtgesundheitsamt) in ihrer ärztlichen Stellungnahme vom 8. April 2011 überzeugend ausgeführt habe. Weitere Erkrankungen, die eine KKZ rechtfertigen würden, seien für das Gericht nicht erkennbar. Der Kläger habe im streitgegenständlichen Zeitraum auch keinen Anspruch auf Berücksichtigung einer Hygienezulage. Aus den ärztlichen Attesten der behandelnden Ärzte ergäben sich keine Anhaltspunkte, dass der Kläger höhere Aufwendungen für Hygieneartikel habe. Weitere aussagekräftige Atteste habe der Kläger nicht vorgelegt.
Gegen den dem Kläger am 22. Januar 2020 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 21. Februar 2020 Berufung bei dem Hessischen Landessozialgericht eingelegt. Zur Begründung weist er darauf hin, dass sich aus seiner eingereichten Erklärung ergebe, dass er eine Überprüfung des hochgradig absurden Gerichtsbescheides begehre, da diesem sachfremde Erwägungen und eine grobe Fehleinschätzung zugrunde lägen. Zur Bestätigung seines Vorbringens legt der Kläger u.a. eine ärztliche Stellungnahme aus dem Schmerzzentrum Frankfurt, Dr. S., vom 28. Januar 2020, vom 23. Februar 2021, vom 29. September 2022 und erneut die ärztliche Stellungnahme von Dr. S. vom 2. September 2019 nebst einem Arztbrief aus dem Universitätsklinikum Frankfurt a. Main vom 1. August 2022 vor.
Im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 22. Februar 2023 hat die Beklagte sich bereit erklärt, die Bescheide der Beklagten vom 6. Februar 2013 und 3. September 2013 jeweils in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. Juni 2015 sowie vom 7. August 2014, abgeändert durch den Bescheid vom 6. November 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. April 2016 abzuändern und dem Kläger für den Zeitraum von Februar 2013 bis 9. Dezember 2014 eine Krankenkostzulage i.H.v. 10 % des Eckregelsatzes und vom 10. Dezember 2014 bis September 2015 eine Krankenkostzulage i.H.v. 10 % der Regelbedarfsstufe 1 zu gewähren.
Der Kläger beantragt (sinngemäß),
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt a. Main vom 20. Januar 2020 aufzuheben und die Bescheide der Beklagten vom 6. Februar 2013 und vom 3. September 2013 jeweils in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Juni 2015 sowie vom 7. August 2014, abgeändert durch den Bescheid vom 6. November 2014 und in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. April 2016 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, bei der Berechnung der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung für den Zeitraum von Februar 2013 bis September 2015 eine KKZ und eine Hygienezulage nebst vorbeugender Gesundheitshilfe, Haushaltshilfe und Hilfe zur Pflege zu berücksichtigen bzw. zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen soweit sie über das Teilanerkenntnis vom 22. Februar 2023 hinausgeht.
Sie hält den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt a. Main für zutreffend.
Mit Verfügung vom 14. Februar 2023 hat der Senat von dem Kläger weitere medizinische Unterlagen (Pflegegutachten) und Angaben zu den von ihm verauslagten monatlichen Ausgaben nebst Belegen hierzu angefordert.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes nimmt der Senat auf die Verwaltungsvorgänge der Beklagten (4 Bände) nebst der Gerichtsakte und der beigezogenen Akte aus dem Verfahren S 20 SO 120/10 Bezug, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Entscheidungsgründe
Der Senat konnte trotz des Nichterscheinens des Klägers zur mündlichen Verhandlung am 22. Februar 2023 entscheiden, da dieser mit der Ladung hierauf hingewiesen wurde, § 126 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Die zulässige Berufung ist auch in dem tenorierten Umfang begründet.
Streitgegenstand im Berufungsverfahren ist zunächst die Gewährung einer KKZ und einer Hygienezulage in dem Zeitraum vom Februar 2013 bis September 2015. Die von dem Kläger schriftsätzlich am 24. September 2015 vor dem Sozialgericht zudem begehrten Leistungen der vorbeugenden Gesundheitshilfe (§ 47 SGB XII), Haushaltshilfe (§ 70 SGB XII) und Hilfe zur Pflege (§§ 61 ff SGB XII) sind nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden. Hierbei handelt es sich um abtrennbare Streitgegenstände, über die das Sozialgericht nicht entschieden hat. Die von dem Kläger geltend gemachten weiteren Ansprüche sind von dem Sozialgericht versehentlich übergangen worden. Ob dies der Fall ist, ist durch Auslegung des Tenors und der Entscheidungsgründe, § 133 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB -, zu ermitteln (Bundessozialgericht, Beschluss vom 2. April 2014, B 3 KR 3/14 B, Rdnr. 10, zitiert nach juris; Keller in: Meyer-Ladewig, Keller, Leitherer, Schmidt, SGG, Kommentar, 13. Auflage 2020, § 140 Rdnr. 2 m.w.N.). Bei einem klageabweisenden Urteil wie vorliegend belegt das Schweigen der Entscheidungsgründe zu dem Antrag bzw. den Anträgen, dass eine Entscheidung nicht ergangen ist, wenn dieser bzw. diese auch im Tatbestand übergangen wurden. Ein „Heraufholen von Prozessresten“ scheidet vorliegend aus. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts und verbreiteter Auffassung in der Literatur kann ein versehentlich übergangener Anspruch bei einem Urteil, das als Vollendurteil gedacht war, aber nicht den gesamten Streitgegenstand erfasst, aus Gründen der Prozessökonomie im Wege des „Heraufholens von Prozessresten“ Gegenstand des Berufungsverfahrens werden (vgl. zum Streitstand: Keller, a.a.O., § 140 Rdnr. 2ff. bei Fristablauf zur Urteilergänzung nach § 140 SGG). Der Beklagtenvertreter hat im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 22. Februar 2023 ausdrücklich widersprochen, dass der Prozessstoff der vorbeugenden Gesundheitshilfe (§ 47 SGB XII), Haushaltshilfe (§ 70 SGB XII) und Hilfe zur Pflege (§§ 61 ff SGB XII) im Berufungsverfahren verhandelt und entschieden wird. Insoweit sind von dem Kläger die Verwaltungs- und Vorverfahren nicht durchgeführt worden, sodass Gründe der Prozessökonomie eindeutig gegen ein „Heraufholen von Prozessresten“ sprechen.
Die Beklagte war entsprechend ihres Teilanerkenntnisses vom 22. Februar 2023, das der Kläger nicht angenommen hat, zu verurteilen. Nach § 101 Abs. 2 SGG erledigt nur das angenommene Anerkenntnis des mit der Klage geltend gemachten Anspruchs den Rechtsstreit in der Hauptsache. Ein nicht angenommenes Anerkenntnis bleibt gleichfalls eine Prozesserklärung, wenngleich es als solches den Rechtsstreit nicht in der Hauptsache erledigt. Dennoch bindet das dem Gericht erklärte Anerkenntnis auch ohne seine Annahme den Erklärenden. Dementsprechend hat auch im sozialgerichtlichen Verfahren auf ein nicht angenommenes Anerkenntnis ein Anerkenntnisurteil (§ 202 S. 1 SGG i.V.m. § 307 Zivilprozessordnung - ZPO -) zu ergehen (ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, Urteil vom 8. September 2015, B 1 KR 1/15 R, zitiert nach juris, Rdnr. 12 m.w.N.).
Rechtsgrundlage für die Gewährung von ernährungsbedingtem Mehrbedarf im streitgegenständlichen Zeitraum ist § 42 Nr. 2 i.V.m. § 30 Abs. 5 SGB XII in der Fassung des Gesetzes vom 24. März 2011 (BGBl I 453, gültig ab dem 1. Januar 2011 bis zum 31. Dezember 2019). Danach wird für Kranke, Genesende, behinderte Menschen oder von einer Krankheit oder von einer Behinderung bedrohte Menschen, die einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, ein Mehrbedarf in angemessener Höhe anerkannt. Kostenaufwändiger im Sinne des § 30 Abs. 5 SGB XII ist eine Ernährung, die von dem im Regelbedarf umfassten typisierten Bedarf abweicht und von diesem nicht gedeckt ist (Bundessozialgericht, Urteil vom 20. Februar 2014, B 14 AS 65/12 R, SozR 4-4200 § 21 Nr. 17). Da eine Vollkosternährung vom Regelbedarf gedeckt ist (vgl. auch Bundessozialgericht, Urteil vom 10. Mai 2011, B 4 AS 100/10 R, SozR 4-4200 § 21 Nr. 12), besteht eine kostenaufwändige Ernährung grundsätzlich nur bei einer besonderen, von der Vollkost abweichenden Ernährungsform (Bundessozialgericht, Urteil vom 20. Februar 2014, B 14 AS 65/12 R, SozR 4-4200 § 21 Nr. 17). Erforderlich ist ein medizinisch begründetes besonderes Ernährungsbedürfnis (vgl. Bundessozialgericht, Urteile vom 14. Februar 2013, B 14 AS 48/12 R - SozR 4-4200 § 21 Nr. 15 Rdnr. 12 und vom 20. Januar 2016, B 14 AS 8/15 R - SozR 4-4200 § 21 Nr. 25 Rdnr. 15). Dieses liegt vor, wenn mit der Regelernährung bestimmte Inhaltsstoffe nicht vermieden werden können, sodass aus physiologischen Gründen ein objektiver Bedarf an einer besonderen Ernährung bedingt ist, die auf einer spezifischen Ernährungsempfehlung beruht (Bundessozialgericht, Urteil vom 14. Februar 2013, a.a.O., Rdnr. 15; Bundessozialgericht, Urteil vom 20. Februar 2014, a.a.O., Rdnr. 19, 29; Urteil vom 20. Januar 2016, B 14 AS 8/15 R - SozR 4-4200 § 21 Nr. 25 Rdnr. 15).
Bei den von dem Hausarzt des Klägers im Rahmen des Erstantrages auf die Gewährung einer KKZ mitgeteilten Erkrankungen des Klägers Hyperlipidämie und Hypercholesterinämie, die mittels einer Diät durch fettreduzierte Nahrungsmittel behandelt werden (ärztliche Stellungnahme Dr. B. vom 1. September 2009, Bl. 63 der VA der Beklagten), begründen keinen Mehrbedarf. Diese erfordern diätisch eine Vollkost bzw. eine individuell angepasste Vollkost entsprechend den „Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe“ vom 1. Oktober 2008 bzw. 10. Dezember 2014. Bei diesen handelt es sich zwar nicht um antizipierte Sachverständigengutachten, die normähnlich angewandt werden können. Sie können jedoch als Orientierungshilfe herangezogen werden, von der fachlich begründet abgewichen werden darf (vgl. ausführlich Bundessozialgericht, Urteil vom 20. Februar 2014, B 14 AS 65/12 R -, SozR 4-4200 § 21 Nr. 17; Bundessozialgericht, Urteil vom 22. November 2011, B 4 AS 138/10 R - SozR 4-4200 § 21 Nr. 14 Rdnr. 18 ff; Bundessozialgericht, Urteil vom 14. Februar 2013, B 14 AS 48/12 R - SozR 4-4200 § 21 Nr. 15 Rdnr. 16). Anhaltspunkte für eine Abweichung sind vorliegend nicht zu erkennen.
Ausweislich der Arztbriefe aus dem Klinikum der Goethe-Universität vom 23. Dezember 2011, von Dr. S. aus dem Schmerzzentrum Frankfurt vom 18. Juni 2012 (Bl. 269ff der VA der Beklagten) bzw. 3. Juni 2014 (Bl. 376 der VA der Beklagten), 29. April 2015 (Bl. 6 der GA) und 28. Januar 2020 (Bl. 113 der GA) und dem Hausarzt des Klägers, Dr. B., vom 6. Juni 2014 (Bl. 375 der VA der Beklagten) bzw. 19. März 2015 (Bl. 8 der GA) und 2. September 2018 (Bl. 114 der GA) leidet der Kläger jedoch zudem unter einem Barrett-Ösophagus (Refluxkrankheit), einer Refluxösophagitis (durch Magensaftrückfluss verursachte Entzündung des unteren Teils der Speiseröhre), einer Hiatushernie (Ausstülpung eines Magenteils durch das Zwerchfell) und aufgrund einer Zervikalen Myelopathie an unkontrollierbaren Blasen- und Mastdarmstörungen. Ausweislich der „Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe“ vom 10. Dezember 2014 bzw. 1. Oktober 2008 kann bei verzehrenden (konsumierenden) Erkrankungen mit erheblichen körperlichen Auswirkungen, wie z.B. fortschreitendem/fortgeschrittenem Krebsleiden, HIV/AIDS, Multipler Sklerose (degenerative Erkrankung des Zentralnervensystems) sowie schweren Verläufen entzündlicher Darmerkrankungen wie Morbus Crohn und Colitis ulcerosa im Einzelfall ein erhöhter Ernährungsbedarf vorliegen. Gleiches gilt für andere schwere Erkrankungen, die mit einer gestörten Nährstoffaufnahme bzw. Nährstoffverwertung – Malabsorption/Maldigestion – einhergehen. Ob und gegebenenfalls in welcher Höhe ein Mehrbedarf besteht, ist im Einzelfall auf der Grundlage des Krankheitsverlaufs und des körperlichen Zustands der leistungsberechtigten Person zu beurteilen. Dafür, dass vorliegend bei dem Kläger ein vergleichbares Erkrankungsbild vorliegt, spricht nach den vorgelegten Unterlagen einiges. Bezüglich der Höhe des Mehrbedarfes folgt die Rechtsprechung im Wesentlichen den „Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe“ vom 1. Oktober 2008 bzw. 10. Dezember 2014 (Sächsisches Landessozialgericht, Beschluss vom 15. Februar 2010, L 3 AS 780/09 NZB – zitiert nach juris; Simon in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Auflage, Stand: 22. November 2022; § 30 SGB XII Rdnr. 127 ff). Als Regelwerte für KKZ werden vor diesem Hintergrund bei konsumierenden Erkrankungen, gestörte Nährstoffaufnahme bzw. Nährstoffverwertung 10% des Eckregelsatzes empfohlen (Empfehlungen 2008) bzw. 10% der Regelbedarfsstufe 1 (Empfehlungen 2014).
Unzutreffend ist die Auffassung der Beklagten, dass durch den Bescheid vom 15. Oktober 2012 bestandskräftig auch für weitere Zeiträume ein Anspruch des Klägers auf einen Mehrbedarf wegen einer kostenaufwändigen Ernährung abgelehnt worden sei. Der Bescheid vom 15. Oktober 2012 ist gemäß § 86 SGG Bestandteil des/der von der Beklagten nicht abgeschlossenen Widerspruchsverfahren gegen die Bescheide vom 13. November 2009 und 13. April 2011 geworden.
Im Übrigen war die Berufung des Klägers zurückzuweisen. Als alleinige Rechtsgrundlage für die begehrte Hygienezulage kommt § 27a Abs. 4 Satz 1 SGB XII in der Fassung des Gesetzes vom 24. März 2011 (BGBl I 453, gültig vom 1. Januar 2011 bis zum 31. Dezember 2015) i.V.m. §§ 42 Nr. 2, 37 Abs. 1 SGB XII in Betracht. Danach wird im Einzelfall der individuelle Bedarf abweichend vom Regelsatz festgelegt, wenn ein Bedarf ganz oder teilweise anderweitig gedeckt ist oder unabweisbar seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht. Kann im Einzelfall ein von den Regelbedarfen umfasster und nach den Umständen unabweisbar gebotener Bedarf auf keine andere Weise gedeckt werden, sollen auf Antrag hierfür notwendige Leistungen als Darlehen erbracht werden, § 37 Abs. 1 SGB XII. Mit den Öffnungsklauseln des § 27a Abs. 4 Satz 1 SGB XII und § 37 Abs. 1 SGB XII haben die Leistungsträger ein rechtliches Instrument an die Hand bekommen, um auf besondere Bedarfssituationen reagieren zu können, die als strukturelle Mängel der festgesetzten Regelbedarfe auftreten bzw. in denen ein von den Regelbedarfen zwar umfasster, im Einzelfall aber nicht gedeckter Bedarf auf Darlehensbasis ausgeglichen werden kann (vgl. hierzu: Becker in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Auflage, Stand: 30. Januar 2023, § 37 Rdnr. 13 und 15). Maßgebend für die Besonderheit einer Bedarfslage ist, dass ein den Grundrechtsbereich tangierender Bedarf ungedeckt bleibt, der im konkreten Einzelfall vom Rechtssystem eigentlich gedeckt werden müsste (vgl. zu § 73 SGB XII Bundessozialgericht, Urteil vom 19. August 2010, B 14 AS 13/10 R Rdnr. 18, zitiert nach juris). Ein Mehrbedarf ist unausweichlich bzw. unabweisbar, wenn ein überdurchschnittlicher Bedarf, abseits eines zu fordernden zeitlichen Moments, insbesondere nicht durch zumutbare Maßnahmen des Hilfeempfängers (Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten des Leistungsberechtigten) beseitigt werden kann und auch den Rahmen des im Bereich der Existenzsicherung Angemessenen nicht übersteigt (Gutzler in: Schlegel/Voelzke, a.a.O., § 27a SGB XII Rdnr. 105).
Vorliegend ist für den Senat nachvollziehbar, dass der Kläger aufgrund seines Erkrankungsbildes insbesondere der Zervikalen Myelopathie mit inkompletter spastischer Tetraparese mit Blasen- und Mastdarmstörungen (unkontrollierter Urin- und Stuhlabgang nebst nächtlichen Schweißausbrüchen), wie von ihm vorgetragen, erhöhte Bedarfe bei Wäsche, Reinigung und Körperpflege hat. Diesen Mehrbedarf spezifiziert er auf 21 € monatlich (Widerspruchsschreiben vom 1. September 2014, Bl. 273 der VA der Beklagten). Es ist für den Senat angesichts des selbst von dem Kläger genannten Betrages nicht zu erkennen, dass die entstehenden Kosten von ihm nicht aus den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln erbracht werden können. Denn mit der Gewährung der Regelbedarfsleistung verfügt der Leistungsberechtigte über die finanziellen Mittel zur Beschaffung und hat insbesondere im Rahmen der vorrangig einzusetzenden Einsparpotenziale (Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 9. Februar 2010, 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09, Rdnr. 205 - zitiert nach juris -) grundsätzlich die Möglichkeit, seine weiteren Bedarfe zu befriedigen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht gegeben sind.