1. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung auf Grundlage einer Folgenabwägung kommt nicht in Betracht, wenn eine ausreichend zuverlässige Klärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren möglich ist.
2. Der Annahme einer Partnerschaft iSv § 7 Abs 3 Nr 3 Buchst c) SGB II steht nicht entgegen, dass die Betroffenen (hier: Eltern eines gemeinsamen Kindes) sich nicht als Paar definieren und das Bestehen einer Liebesbeziehung verneinen.
Der Beschluss des Sozialgerichts Halle vom 26. Januar 2023 wird aufgehoben. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Der Beigeladene wendet sich im Wege der Beschwerde gegen eine einstweilige Anordnung, mit der er vorläufig verpflichtet worden ist, der Antragstellerin für die Zeit vom 1. Dezember 2022 bis zum 31. März 2023 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu zahlen.
Die 1983 geborene Antragstellerin bezog bis einschließlich März 2022 unter einer Anschrift in L. Arbeitslosengeld II vom Antragsgegner. Diesem gegenüber hatte sie angegeben, alleine in einer 44,17 qm großen Wohnung zur Miete zu wohnen. Sie ist die Mutter einer am ... 2021 geborenen Tochter, die beim Kindsvater, B., in M. lebt. Die dortige Wohnung besteht aus zwei Zimmern, einer Küche und einem Bad und ist 48,71 qm groß. Der Kindsvater ist als Konstrukteur bei einem Unternehmen in H. (Saale) beschäftigt.
Während des Leistungsbezugs stellte der Antragsgegner aufgrund einer anonymen Anzeige Ermittlungen dazu an, ob die Antragstellerin sich tatsächlich in L. oder beim Vater ihrer Tochter in M. aufhalte. Dazu teilte die Antragstellerin unter dem 8. April 2021 mit, der Vater ihrer Tochter lebe zwar in M., sei aber nicht ihr Lebensgefährte. Bis zur Geburt ihrer Tochter habe sie sich hauptsächlich in ihrer eigenen Wohnung aufgehalten, nach der Geburt, in der gesetzlich geregelten Mutterschutzzeit, habe sie einen Großteil der Zeit im Umfeld des Kindsvaters verbracht. Dort sei sie tatkräftig, aber nicht finanziell unterstützt worden.
Am 28. März 2022 stellte die Antragstellerin beim Antragsgegner einen Weiterbewilligungsantrag. Mit Bescheid vom 17. Mai 2022 versagte der Antragsgegner Leistungen, weil die Antragstellerin angeforderte Unterlagen nicht vorgelegt habe. Dagegen legte die Antragstellerin mit Schreiben vom 1. Juli 2022 Widerspruch ein.
Am 22. September 2022 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht (SG) Leipzig den Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen den Antragsgegner beantragt. Sie hat geltend gemachten, alle geforderten Unterlagen vorgelegt zu haben. Sie sei auf existenzsichernde Leistungen angewiesen.
Das SG Leipzig hat von der Vermieterin der Wohnung in L. umfangreiche Unterlagen über das Mietverhältnis mit der Antragstellerin erhalten. Am 24. Oktober 2022 hat es einen Erörterungstermin durchgeführt, in dem es die Antragstellerin persönlich angehört und den Geschäftsführer der Hausverwaltung ihrer Wohnung sowie den Vater ihrer Tochter als Zeugen vernommen hat. Befragt zu ihrem Aufenthalt, hat die Antragstellerin erklärt, sie habe sich seit Januar 2020 in L. und in M. aufgehalten. Nach einer groben Schätzung sei sie in den letzten zweieinhalb Jahren 70% der Zeit in L. und 30% der Zeit in M. gewesen. Wenn sie in M. übernachte, dann zusammen mit ihrer Tochter im Schlafzimmer, während der Vater ihrer Tochter im Wohnzimmer schlafe. In Bezug auf den ausweislich der vorliegenden Betriebskostenabrechnungen sehr geringen, zeitweise nicht messbaren Wasserverbrauch in der Wohnung in L. hat die Antragstellerin erklärt, kurz vor der Geburt ihrer Tochter sei dort gelbes Wasser aus der Leitung gekommen. Deshalb habe sie kein Leitungswasser mehr verbraucht. Sie habe aus M. Wasserkanister mitgenommen und sich mit diesem Wasser gewaschen.
Mit Beschluss vom 7. November 2022 hat sich das SG Leiptig für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das SG Halle verwiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Beweisaufnahme im Erörterungstermin ergeben habe, dass die Antragstellerin ihren Wohnsitz in der Wohnung des Zeugen B. in M. habe.
In der Folgezeit kündigte die Antragstellerin den Mietvertrag über die Wohnung in L. zum 28. Februar 2023.
Nach Beiladung des Landkreises S. und Durchführung eines Erörterungstermins hat das SG H. mit Beschluss vom 26. Januar 2023 den Beigeladenen im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für Dezember 2022 i.H.v. 404 € und für Januar bis März 2023 i.H.v. 451 € pro Monat zu zahlen. Zur Begründung hat es ausgeführt, es sei streitig, inwieweit die Antragstellerin vom Vater ihrer Tochter unterhalten werde bzw. unterhalten werden müsse, da sie angebe, nicht mit ihm zusammenleben zu wollen. Dies bedürfe sowohl für die Vergangenheit als auch für die aktuellen Umstände erheblicher Ermittlungen, welche nicht im Rahmen eines Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes durchführbar seien. Daher bedürfe es einer Folgenabwägung, die zu der stattgebenden Entscheidung hinsichtlich des Regelbedarfs führe. Einen Anspruch auf vorläufige Übernahme von Kosten der Unterkunft und Heizung (KdUH) habe die Antragstellerin nicht, denn sie halte sich nach ihren eigenen Angaben und den Angaben des Kindsvaters gegenwärtig bei diesem in M. auf; Kosten entstünden hierfür nicht. Der Beschluss ist dem Beigeladenen am 14. Februar 2023 zugestellt worden.
Mit Bescheid vom 14. Februar 2023 lehnte der Antragsgegner den Weiterbewilligungsantrag der Antragstellerin vom 28. März 2022 ab, weil sie spätestens seit der Geburt ihrer Tochter nicht mehr in L. wohne.
Ebenfalls am 14. Februar 2023 teilten die Antragstellerin und Herr B. dem Beigeladenen mit, dass Herr B. zum 1. Februar 2023 eine neue Wohnung angemietet habe, in die er zusammen mit der gemeinsamen Tochter ziehen werde. Der Mietvertrag über die bisherige Wohnung in M. sei gekündigt worden. Die Antragstellerin solle Nachmieterin werden; dies werde durch den Vermieter geprüft.
Am 21. Februar 2023 hat der Beigeladene beim Landessozialgericht (LSG) Beschwerde gegen die einstweilige Anordnung eingelegt. Es sei weder ein Anordnungsanspruch noch ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht worden. Zwischen der Antragstellerin und dem Kindsvater bestehe eine Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft. Davon sei das SG Halle selbst ausgegangen, was sich daran zeige, dass es seiner einstweiligen Anordnung den Regelbedarf für Partner zugrunde gelegt habe. Auch stehe fest, dass die Antragstellerin sich seit mindestens 2020 faktisch nicht mehr in L. aufgehalten habe. Seit sie vom Antragsgegner keine Leistungen mehr beziehe, also seit April 2022, werde sie vollständig vom Kindsvater unterstützt. Dessen Einkommen übersteige auch nach der gesetzlich vorgesehenen Bereinigung den Bedarf der gesamten Bedarfsgemeinschaft.
Die Antragstellerin hält die angefochtene Entscheidung des SG für zutreffend.
Am 22. März 2023 hat der Berichterstatter einen Erörterungstermin durchgeführt. In diesem ist die Antragstellerin persönlich angehört und Herr B. als Zeuge vernommen worden. Wegen der Einzelheiten wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter als Einzelrichter einverstanden erklärt (Schriftsätze des seinerzeitigen Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin vom 14. März 2023, des Antragsgegners vom 9. März 2023 und des Beigeladenen vom 9. März 2023).
Der Senat hat die Prozessakte des SG sowie die Verwaltungsakten des Antragsgegners und des Beigeladenen beigezogen.
II.
1. Der Berichterstatter kann entsprechend § 155 Abs. 3, Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) an Stelle des Senats über die Beschwerde entscheiden, weil die Beteiligten ihr Einverständnis erklärt haben (zur Anwendbarkeit der Vorschrift siehe Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Auflage 2020, § 155 Rn. 6). Dass die Antragstellerin dem Gericht am 22. März 2023 mitgeteilt hat, sie habe ihrem Prozessbevollmächtigten das Mandat entzogen, ändert nichts an der Wirksamkeit der von ihm zuvor abgegebenen Einverständniserklärung.
2. Die gemäß § 172 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1 SGG statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde ist begründet. Das SG hat den Beigeladenen zu Unrecht im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig zu Leistungen an die Antragstellerin verpflichtet.
Das Gericht kann nach § 86b Abs. 2 SGG eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragsstellers erschwert oder wesentlich vereitelt wird. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist gemäß § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) die Glaubhaftmachung des Vorliegens sowohl eines Anordnungsanspruchs (also eines in der Hauptsache gegebenen materiellen Leistungsanspruchs) als auch eines Anordnungsgrunds (also der Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile). Ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund sind glaubhaft gemacht, wenn ihre tatsächlichen Voraussetzungen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit vorliegen (vgl. Keller, a.a.O., § 86b Rn. 41).
Je gewichtiger die drohende Grundrechtsverletzung und je höher ihre Eintrittswahrscheinlichkeit ist, desto intensiver hat die tatsächliche und rechtliche Durchdringung der Sache bereits im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu erfolgen. Ist eine der drohenden Grundrechtsverletzung entsprechende Klärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich – etwa weil es dafür weiterer, in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit nicht zu verwirklichender tatsächlicher Aufklärungsmaßnahmen bedürfte –, kann eine Entscheidung aufgrund einer Folgenabwägung ergehen (Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Beschluss vom 14. März 2019 – 1 BvR 169/19 – juris Rn. 15 m.w.N.). Andernfalls ist eine Entscheidung auf Grundlage einer Folgenabwägung aber nicht zulässig (vgl. BVerfG, Beschluss vom 4. Juni 2020 – 1 BvR 2846/16 – juris Rn. 10).
Im vorliegenden Verfahren war auch unter Berücksichtigung der hohen verfassungsrechtlichen Bedeutung der Grundsicherung für Arbeitsuchende (vgl. BVerfG, Urteil vom 9. Februar 2010 – 1 BvL 1/09 u.a. – juris Rn. 133 ff.) eine der drohenden Grundrechtsverletzung entsprechende ausreichend zuverlässige Klärung der Sach- und Rechtslage möglich. Der Senat kann sich neben dem schriftsätzlichen Vorbringen der Beteiligten und den umfangreichen Verwaltungsakten des Antragsgegners und des Beigeladenen auch auf die am 22. März 2023 durchgeführte persönliche Anhörung der Antragstellerin und die Vernehmung des Zeugen B. sowie die vom SG Leipzig durchgeführten Ermittlungen und die Ergebnisse der dortigen Beweisaufnahme stützen. Wesentliche weitere Erkenntnismittel sind auch in einem Hauptsacheverfahren nicht zu erwarten. Insbesondere wird auch dort voraussichtlich kein Ortstermin in der Wohnung in M. in Betracht kommen. Abgesehen davon, dass der Zeuge B. bereits einen Hausbesuch durch den Außendienst des Beigeladenen abgelehnt hat und die Antragstellerin bekundet hat, einen gerichtlichen Ortstermin fände sie übergriffig (zum grundrechtlichen Schutz der Wohnung in diesem Zusammenhang siehe den Beschluss des Senats vom 22. April 2005 – L 2 B 9/05 AS ER – juris Rn. 33; Blüggel, SGb 2007, 336), wäre aufgrund der im Wesentlichen bekannten Wohnsituation kein entscheidender Erkenntnisgewinn zu erwarten. Hinzu kommt, dass sich die tatsächlichen Gegebenheiten derzeit ändern. Nach Auskunft der Antragstellerin und des Zeugen B. ist der Mietvertrag über die aktuell gemeinsam genutzte Wohnung gekündigt worden. Der Zeuge B. hält sich nach Angaben der Antragstellerin bereits ab und zu in seiner neuen Wohnung auf.
Nach der auf dieser Grundlage im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes möglichen Prüfung ist ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht.
Es ist davon auszugehen, dass die Antragstellerin für den hier allein streitgegenständlichen Zeitraum vom 1. Dezember 2022 bis zum 31. März 2023 keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts hat, weil sie nicht hilfebedürftig ist (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Bürgergeld, Grundsicherung für Arbeitsuchende [SGB II]).
Hilfebedürftig ist, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält (§ 9 Abs. 1 SGB II). Bei Personen, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben, sind auch das Einkommen und Vermögen des Partners zu berücksichtigen (§ 9 Abs. 2 Satz 1 SGB II).
a) Nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes möglichen Prüfung lässt sich mit hinreichender Sicherheit feststellen, dass die Antragstellerin in einer Bedarfsgemeinschaft mit dem Zeugen B. lebt. Zur Bedarfsgemeinschaft gehört unter anderem gemäß § 7 Abs. 3 Nr. 3 Buchst. c SGB II als Partner eines erwerbsfähigen Leistungsberechtigten eine Person, die mit der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen. Damit normiert die Vorschrift nach Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) drei Voraussetzungen, die vorliegen müssen, um eine Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft anzunehmen: Es muss sich 1. um Partner handeln, die 2. in einem gemeinsamen Haushalt bzw. in einer Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft zusammenleben, und zwar 3. so, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen (vgl. BSG, Urteil vom 23. August 2012 – B 4 AS 34/12 R – juris Rn. 14; BSG, Urteil vom 12. Oktober 2016 – B 4 AS 60/15 R – juris Rn. 25). Ob diese Voraussetzungen vorliegen, ist durch das Tatsachengericht anhand von Indizien im Wege einer Gesamtwürdigung festzustellen; diese Würdigung bezieht sich auch auf subjektive Tatsachen (vgl. BSG, Urteil vom 12. Oktober 2016, a.a.O., Rn. 26).
aa) Es ist davon auszugehen, dass die Antragstellerin und der Zeuge B. Partner im Sinne von § 7 Abs. 3 Nr. 3 Buchst. c SGB II sind. Vom Bestehen einer Partnerschaft ist auszugehen, wenn eine gewisse Ausschließlichkeit der Beziehung gegeben ist, die keine vergleichbare Lebensgemeinschaft daneben zulässt. Zudem muss zwischen dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen und dem Dritten die grundsätzliche rechtlich zulässige Möglichkeit der Heirat bestehen (vgl. BSG, Urteil vom 23. August 2012, a.a.O., Rn. 20). Diese Voraussetzungen sind erfüllt.
Es kommt nicht entscheidend darauf an, dass die Antragstellerin und der Zeuge B. übereinstimmend erklärt haben, sie seien kein Paar, und sich möglicherweise tatsächlich nicht als ein solches definieren. Auch die von beiden wiederholt angeführten unterschiedlichen Lebensansichten und ziele sowie das Bestreiten einer Liebesbeziehung stehen der Annahme einer Partnerschaft im Sinne des Gesetzes nicht entgegen. Aus den tatsächlichen Wohn- und Lebensverhältnissen ergibt sich hinreichend deutlich eine von einer gewissen Ausschließlichkeit geprägte partnerschaftliche Beziehung, neben der keine weitere von vergleichbarer Art möglich erscheint. Beide leben als Eltern einer gemeinsamen, zwei Jahre alten Tochter mit dieser zusammen in einer weniger als 49qm großen Zwei-Zimmer-Wohnung. Selbst wenn man die Behauptung, dass beide in unterschiedlichen Zimmern übernachteten, als wahr unterstellt, liegt keine nachvollziehbare Trennung der Wohn- und Lebensbereiche vor. Dem entspricht, dass der Zeuge B. wiederholt schriftlich und auch im Rahmen seiner Zeugenvernehmung bekundet hat, es gehe darum, der gemeinsamen Tochter ein Familienleben mit Vater und Mutter zu ermöglichen. Gegenüber dem Beigeladenen hat er in einem Schreiben vom 18. Dezember 2022 das Ziel formuliert, der Tochter ein „klassischfamiliäres Umfeld“ bieten zu können.
Weder die Antragstellerin noch der Zeuge B. haben einen anderen Partner oder eine andere Partnerin. Beide haben bekundet, dass sie aktuell keinen Partner hätten. Der Zeuge B. hat auf Nachfrage zudem erklärt, dass er auch in den vergangenen zwei Jahren keine Freundin oder Partnerin gehabt habe. Die Antragstellerin hat die entsprechende, an sie gerichtete Frage als übergriffig zurückgewiesen.
Es ist auch nicht davon auszugehen, dass es sich bei der aktuellen Art des Zusammenlebens um eine bloße Notlösung handelt, die lediglich daraus resultiert, dass der Antragsgegner der Antragstellerin seit April 2022 keine Leistungen mehr gewährt. Der Senat hat keinen Zweifel daran, dass die Antragstellerin sich bereits vorher zumindest weit überwiegend in der heute unstreitig gemeinsam genutzten Wohnung beim Zeugen B. aufgehalten hat. Sie selbst hat einen häufigeren Aufenthalt dort seit der Geburt der gemeinsamen Tochter im Januar 2021 eingeräumt. Insbesondere die Betriebskostenabrechnungen für die L.er Wohnung für die Jahre 2020 und 2021 lassen es aber auch darüber hinaus als nahezu ausgeschlossen erscheinen, dass die Antragstellerin dort in dieser Zeit ihren Lebensmittelpunkt hatte. Aus den Abrechnungen ergibt sich für das Jahr 2020 keinerlei Verbrauch von Warm- oder Kaltwasser, die Verbrauchskosten für die Heizung betrugen 12,46 €. Für das Jahr 2021 ergibt sich ein Verbrauch von lediglich 6,51 cbm Kaltwasser; Verbrauchskosten für Warmwasser und Heizung sind nicht angefallen. Zum Vergleich: In der Wohnung des Zeugen B. wurden im Jahr 2021 ausweislich der Betriebskostenabrechnung vom 12. September 2022 100,90 cbm Kaltwasser verbraucht.
Der Einwand der Antragstellerin, die geringen Heizkosten ließen sich damit erklären, dass sie im Jahr 2020 tagsüber ihre Ausbildungsstelle aufgesucht habe und deshalb nicht habe heizen müssen, ist nicht geeignet, den überaus geringen Betrag plausibel zu erklären. Der vom SG Leipzig angehörte Geschäftsführer der Hausverwaltung, der Zeuge S., hat nachvollziehbar dargelegt, dass die Verbrauchswerte drastisch unter dem Durchschnitt vergleichbarer Wohnungen liegen. Dass jemand tagsüber seine Ausbildungs- oder Arbeitsstelle aufsucht und sich deshalb nicht in seiner Wohnung aufhält, ist keine Besonderheit, die diese erhebliche Auffälligkeit erklären könnte.
Die Antragstellerin behauptet zwar, der in der Betriebskostenabrechnung für 2020 angegebene Verbrauch von 0 cbm Wasser könne nicht zutreffe. Anhaltspunkte dafür, dass die Abrechnung fehlerhaft sein könnte, liegen aber nicht vor. Die Behauptung der Antragstellerin, der extrem geringe Wasserverbrauch erkläre sich dadurch, dass sie Wasser in Kanistern aus M. nach L. transportiert habe, ist nicht glaubhaft. Zum einen hat die Antragstellerin bei ihrer Anhörung durch das SG Leipzig erklärt, die behaupteten Probleme mit dem Leitungswasser in ihrer L.er Wohnung seien kurz vor der Geburt ihrer Tochter aufgetreten. Da die Tochter im Januar 2021 geboren wurde, kann dies nicht den im gesamten Jahr 2020 fehlenden Verbrauch erklären. Zum anderen erscheint ein solcher sich über einen längeren Zeitraum erstreckender Wassertransport von M. nach L. völlig lebensfremd.
Auch der Umstand, dass der Zeuge B. den Mietvertrag über die gemeinsam genutzte Wohnung inzwischen gekündigt hat, deutet nicht darauf hin, dass die aktuelle Wohnsituation eine bloße Notlösung ist und kein Indiz für das Vorliegen einer Paarbeziehung darstellt. Die Wohnungskündigung ist erkennbar lediglich eine Reaktion darauf, dass der Antragsgegner und der Beigeladene die bisherige Situation als Beleg für das Vorliegen einer Bedarfsgemeinschaft ansehen und der Antragstellerin deshalb keine Leistungen gewähren wollen. Sie sagt weniger über das partnerschaftliche Verhältnis der Antragstellerin und des Zeugen aus als über das Bemühen, der Antragstellerin einen Leistungsanspruch zu verschaffen.
Die Annahme, dass die Antragstellerin und der Zeuge B. Partner sind, wird durch weitere Hinweistatsachen gestützt. So kennen sich beide bereits seit zwölf Jahren, waren unstreitig zunächst ein Liebespaar und haben ein gemeinsames, zwei Jahre altes Kind. Der Zeuge B. unterstützt die Antragstellerin seit Jahren, u.a. indem er bei Abschluss ihres Mietvertrages für die Wohnung in L. als Bürge fungiert und später die Miete für sie gezahlt oder zumindest überwiesen hat. Aktuell trägt er ihre sämtlichen Kosten. Gegenüber dem Beigeladenen und dem Gericht sind beide wiederholt gemeinsam aufgetreten, um ihr Anliegen durchzusetzen. Selbst der frühere Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin bezeichnete den Zeugen B. als deren „Lebensgefährten“ (Schriftsatz vom 12. Januar 2023).
bb) Es liegt auch ein Zusammenleben im Sinne von § 7 Abs. 3 Nr. 3 Buchst. c SGB II vor. Unter einem Zusammenleben in diesem Sinne ist mehr als ein bloßes Zusammenwohnen zu verstehen, wie es bei Wohngemeinschaften der Regelfall ist (vgl. BSG, Urteil vom 23. August 2012, a.a.O., Rn. 22). Es wird nach Rechtsprechung des BSG vielmehr dadurch gekennzeichnet, dass die Mitglieder einer Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft nicht nur vorübergehend in einer Wohnung leben, sondern einen gemeinsamen Haushalt in der Weise führen, dass sie aus einem „Topf“ wirtschaften (vgl. BSG, Urteil vom 12. Oktober 2016, a.a.O., Rn. 25).
Die Antragstellerin und der Zeuge B. haben bereits zu Beginn des streitgegenständlichen Zeitraums zusammengewohnt und wohnen auch nach wie vor zusammen. Sie haben zwar vorgetragen, der Zeuge B. habe inzwischen eine neue Wohnung gefunden. Ein Umzug hat aber noch nicht stattgefunden. Die Antragstellerin hat im Erörterungstermin am 22. März 2023 vielmehr erklärt, er halte sich seit zwei Wochen ab und zu dort auf.
Beide wohnen nicht nur zusammen mit ihrer gemeinsamen Tochter in der knapp 49qm großen Zwei-Zimmer- Wohnung, sondern wirtschaften auch gemeinsam. Die Behauptung, die Wäsche werde für alle drei Mitglieder des Haushalts getrennt gewaschen, steht dem nicht entgegen, zumal man sonst annehmen müsste, dass auch keiner der beiden Elternteile mit seiner Tochter zusammenlebt, deren Wäsche nach diesem Vorbringen ebenfalls separat gewaschen wird. Einkäufe werden gemeinsam oder abwechselnd getätigt, und der Zeuge B. kommt derzeit vollständig für die Lebenshaltungskosten der Antragstellerin auf. Beide haben zwar sinngemäß bekundet, dass dies unter der Vorstellung geschehe, dass die Antragstellerin ihm seine Aufwendungen nach Möglichkeit erstatten werde. Eine ausdrückliche Vereinbarung dazu hat es aber nach Aussage des Zeugen B. nicht gegeben. Weiter hat er bekundet, dass die genauen Beträge nicht festgehalten würden, er nehme nur noch Schätzungen vor. Auch haben beide den aktuellen Stand der bereits entstandenen Kosten und Ausgaben abweichend beziffert: die Antragstellerin auf knapp 6.000 €, der Zeuge B. auf 6.500 €.
cc) Auch ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, ist anzunehmen. Dem steht nicht entgegen, dass die Antragstellerin und der Zeuge B. einen solchen Willen ausdrücklich verneinen. Es greift nämlich die gesetzliche Vermutung des § 7 Abs. 3a SGB II. Nach dieser Vorschrift wird ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, vermutet, wenn Partner länger als ein Jahr zusammenleben (Nr. 1), mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben (Nr. 2), Kinder oder Angehörige im Haushalt versorgen (Nr. 3) oder befugt sind, über Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen (Nr. 4). Über diese Fallgruppen hinaus kann ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, aber auch aufgrund der Würdigung anderer äußerer Tatsachen angenommen werden (vgl. Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Beschluss vom 5. Mai 2009 – 1 BvR 255/09 – juris Rn. 5; BT-Drs. 16/1410, S. 19).
Die Antragstellerin und der Zeuge B. leben bereits länger als ein Jahr zusammen und sie leben mit ihrem gemeinsamen Kind zusammen.
Die daraus resultierende gesetzliche Vermutungswirkung ist vorliegend nicht widerlegt worden (§ 202 Satz 1 SGG i.V.m. § 292 Satz 1 ZPO). Der Zeuge B. übernimmt vielmehr seit vielen Jahren tatsächlich Verantwortung für die Antragstellerin und steht für sie ein.
b) Aufgrund des Einkommens des Zeugen B. ist die Antragstellerin nicht hilfebedürftig. Dies gilt nicht nur für Dezember 2022, sondern auch unter Berücksichtigung der zum 1. Januar 2023 erhöhten Regelbedarfssätze für die Zeit von Januar bis März 2023.
Die Regelbedarfe der Antragstellerin und des Zeugen B. betrugen im Dezember 2022 jeweils 404 €, seit 1. Januar 2023 betragen sie monatlich jeweils 451 €, der Regelbedarf der gemeinsamen Tochter betrug 285 € und beträgt aktuell 318 € (§ 20 SGB II). Die monatlichen KdUH (§ 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II) für die vom Zeugen B. angemietete, gemeinsam genutzte Wohnung hat die Antragstellerin mit 268 € Kaltmiete, 121 € Nebenkosten und 78 € Heizkosten angegeben. Damit ergibt sich unter Berücksichtigung des Mehrbedarfs wegen der von der Antragstellerin angegebenen dezentralen Warmwasseraufbereitung (§ 21 Abs. 7 SGB II) ein monatlicher Gesamtbedarf der Bedarfsgemeinschaft von maximal 1.710,28 €.
Dieser Bedarf ist durch das vorhandene Einkommen des Zeugen B. sowie das als Einkommen der gemeinsamen Tochter zu berücksichtigende Kindergeld (219 € bzw. 250 € pro Monat) vollständig gedeckt. Das Arbeitsentgelt des Zeugen B. ist ausweislich seines Arbeitsvertrags jeweils am Monatsende fällig. Er verdiente im Dezember 2022 brutto 3.045,00 €, netto 2.051,19 €, im Januar 2022 brutto 212,53 €, netto 170,80 €. Ab dem 3. Januar 2023 wurde ihm Krankengeld i.H.v. 62,97 € täglich (Auszahlungsbetrag: 55,33 € täglich, 1.659,90 kalendermonatlich) bewilligt, das laut einem Gesprächsvermerk des Beigeladenen vom 14. Februar 2023 bereits im Januar 2023 erstmals ausgezahlt wurde. Damit übersteigt das gemäß §§ 11 ff. SGB II zu berücksichtigende Einkommen auch nach der gemäß § 11b SGB II vorzunehmenden Bereinigung durchweg den Bedarf der gesamten Bedarfsgemeinschaft.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung von § 193 Abs. 1 SGG.
4. Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).
gez. Dr. Harks