Auf die Berufung des Klägers werden die Gerichtsbescheide des Sozialgerichts Marburg vom 8. April 2020 abgeändert. Die Beklagte wird verpflichtet, die Widersprüche über die Honoraransprüche der Quartale I bis III/15 der ehemaligen Berufsausübungsgemeinschaft Dres. med. A./C. unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu bescheiden.
Die Berufung des Klägers im Übrigen wird zurückgewiesen.
Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat ¼ der Kosten, die Beklagte hat ¾ der Kosten beider Instanzen zu tragen. Die Kosten des Beigeladenen sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Höhe des Honorars für die drei Quartale I bis III/15, insbesondere um einen höheren Fallwert für die Berechnung des Regelleistungsvolumens.
Der Kläger ist als Facharzt für Innere Medizin mit dem Schwerpunkt Nephrologie seit dem 29. Juni 1999 zu vertragsärztlichen Versorgung mit Praxissitz in A-Stadt zugelassen. Er bildete mit dem Beigeladenen, der im streitgegenständlichen Zeitraum für den hausärztlichen Versorgungsbereich zugelassen war, vom 1. Oktober 2009 bis 30. September 2015 eine Berufsausübungsgemeinschaft. Seit dem Quartal IV/15 führte der Kläger eine Einzelpraxis.
Mit dem Vergleich vom 19. September 2012 ist zwischen Kläger und Beklagter hinsichtlich der Erhöhung des Regelleistungsvolumens für das Quartal I/2009 ein Vergleich geschlossen worden. Es sind Praxisbesonderheiten nach den GOPen 33012, 33022, 33042, 33070, 33072, 33073, 33075 und 33078 EBM als nicht fachgruppentypische Leistungen anerkannt worden.
Die Beklagte setzte in den streitgegenständlichen Quartalen das Honorar wie folgt fest:
Quartal | I/15 | II/15 | III/15 |
Honorarbescheid vom | 3.7.2015 | 30.9.2015 | 6.1.2016 |
Widerspruch vom | 3.9.2015 | 3.12.2015 | 20.2.2016 |
Nettohonorar gesamt in € | 71.052,46 | 80.007,85 | 79.561,32 |
Bruttohonorar PK + EK in € | 71.784,40 | 80.826,95 | 80.386,47 |
Fallzahl PK + EK | 1.445 | 1.419 | 1.378 |
Honoraranforderung PK + EK in € | 89.635,83 | ||
Honorar Regelleistungsvolumen | 41.276,55 | 42.339,32 | 45.220,45 |
Honorar QZV | 4.016,80 | 3.908,43 | 4.716,67 |
Honorar quotiertes RLV/QZV in € | 1.712,27 | 5.109,07 | 2.404,81 |
Freie Leistungen | 4.051,43 | 3.745,81 | 4.789,50 |
Übrige Leistungen innerhalb der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung (MGV) | 3.315,31 | 4.527,86 | 4.100,99 |
Leistungen außerhalb der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung (MGV) | 22.037,04 | 25.821,46 | 25.568,05 |
RLV Praxis | |||
Obergrenze in € | 43.476,69 | 44.328,42 | 48.109,19 |
Angefordert in € | 55.417,10 | 59.128,27 | 53.365,19 |
Überschreitung in € | 11.940,41 | 14.799,85 | 5.256,00 |
QZV Praxis | |||
Alle QZV | 1.816,67 | 1.919,34 | 1.827,92 |
Überschreitung | 2.316,62 | 2.140,03 | 2.990,12 |
RLV Dr. A. | |||
Fallzahl | 652 | 606 | 568 |
Fallwert in € | 22,7500 | 30,5000 | 29,1000 |
Fallwertabstaffelung | 0,6649 | 0,6576 | 0.6761 |
Obergrenze in € | 10.838,94 | 13.367,19 | 12.291,40 |
Angefordert in € | 28.677,60 | 32.358,13 | 22.632,89 |
Überschreitung in € | 17.838,66 | 18.990,94 | 10.341,49 |
RLV Dr. C. | |||
Obergrenze in € | 32.637,75 | 30.961,23 | 35.817,79 |
Angefordert in € | 26.739,50 | 26.770,14 | 30.732,30 |
Unterschreitung in € | - 5.898,25 | - 4.191,09 | - 5.085,49 |
Gegen die Honorarbescheide legte der Kläger jeweils Widerspruch ein. Zur Begründung trug er vor, die Beklagte habe mit Schreiben vom 3. Juli 2012 für das Quartal I/12 eine Änderung des Regelleistungsvolumens und der qualifikationsbedingten Zusatzvolumina mitgeteilt. Entsprechend seien das Regelleistungsvolumen und einige qualifikationsbedingte Zusatzvolumina für die Quartale IV/09 bis IV/13 und nach Gerichtsentscheid auch für das Quartal I/09 korrigiert worden. Er erwarte dies auch für die streitbefangenen Quartale. Bei ihm, Dr. A., bestehe eine Praxisbesonderheit, weshalb es zu einer Überschreitung des Regelleistungsvolumens gekommen sei. Auch die qualifikationsbedingten Zusatzvolumina würden von beiden Ärzten überschritten werden.
Die Beklagte fasste die Verfahren bzgl. der Quartale I bis III/2015 zusammen. Sie half den Widersprüchen mit Widerspruchsbescheid vom 23. November 2016 teilweise ab und wies sie im Übrigen als unbegründet zurück. Sie erhöhte die RLV-Fallwerte für Herrn Dr. A. von 22,75 € um 7,90 € auf 30,65 € (Quartal I/15), von 30,50 € um 2,60 € auf 33,10 € (Quartal II/15) und von 29,10 € um 3,98 € auf 33,08 € (Quartal III/15) und das QZV 12 für das Quartal I/15 von 0,29 € um 0,05 € auf 0,34 €. Für Herrn Dr. C. erhöhte sie das QZV 13 (Phlebologie) für das Quartal III/15 von 0,56 € um 0,18 € auf 0,74 € und das QZV 21 von 0,97 € um 1,27 € auf 2,24 € (Quartal I/15), von 1,06 € um 1,48 € auf 2,54 € (Quartal II/15) und von 0,93 € um 1,52 € auf 2,45 € (Quartal III/15). Zur Begründung verwies sie auf die rechtlichen Vorgaben zum RLV und den QZV und erläuterte allgemein die Berechnung des Fallwerts. Sie führte weiter aus, eine Prüfung der Abrechnungsunterlagen habe ergeben, dass bei Herrn Dr. A. der arztindividuelle RLV-Fallwert in den streitgegenständlichen Quartalen bei 40,78 €, 39,31 € und 41,57 € liege, womit er die RLV-Fallwerte der Arztgruppe von 22,75 €, 30,50 € und 29,10 € um 79,25 %, 28,89 % und 42,85 % und damit um mehr als 20 % überschreite. Die Analyse der Honorardaten habe gezeigt, dass die Leistungen nach Nr. 33012, 33022, 33042, 33070, 33072, 33073, 33075 und 33076 EBM mit Fallwerten in Höhe von 26,19 €, 24,29 € und 26,51 € nicht als fachgruppentypische Leistungen anzusehen seien. Nach einem Vorstandsbeschluss vom 28. Juli 2014 erfolge unter dem Gesichtspunkt einer allgemeinen Gleichbehandlung mit den übrigen der RLV-Systematik unterliegenden Leistungen ab dem Quartal II/14 eine Erhöhung des RLV-Fallwerts nur noch unter Berücksichtigung der gültigen Auszahlungsquote des Vergleichsquartals. Diese Auszahlungsquote komme immer dann zur Anwendung, sobald mehr Leistungen angefordert würden, als durch die Krankenkassen Geldmenge für den entsprechenden Bereich - vorliegend die Leistungen innerhalb des RLV - bereitgestellt würden und werde jeweils getrennt nach den Versorgungsbereichen ermittelt. Die Fallwerte seien daher von 22,75 € auf 30,65 €, von 30,50 € auf 33,10 € und von 29,10 € auf 33,08 € zu erhöhen. Ferner stellte sie tabellarisch die Berechnung zur Erhöhung der qualifikationsbedingen Zusatzvolumina dar. Im Übrigen hielt sie an ihren Berechnungen in den Honorarbescheiden fest und wies darauf hin, dass bei Überschreitungen Verrechnungsmöglichkeiten bestünden und eine abgestaffelte Vergütung erfolge.
Die Beklagte setzte mit Bescheid vom 19. Mai 2017 aufgrund der Teilabhilfe für das Quartal I/15 eine Nachvergütung in Höhe von 3.989,44 €, für das Quartal II/15 von 1.368,30 € und für das Quartal II/15 von 1.976,90 € fest.
Hiergegen hat der Kläger am 22. Dezember 2016 die Klage erhoben. Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 10. Februar 2017 die Verfahren bzgl. der Quartale II und III/15 unter den Az.: S 12 KA 139 und S 12 KA 140/17 abgetrennt. Es hat mit Beschluss vom 15. März 2018 die Beiladung ausgesprochen.
Zur Begründung seiner Klage hat der Kläger erstinstanzlich unter Wiederholung seines Widerspruchvorbringens ergänzend vorgetragen, mit der Auszahlungsquote, die jeweils getrennt nach den Versorgungsbereichen ermittelt werde, würden Leistungen innerhalb der Fachgruppe der Nephrologen quotiert werden, die nicht in die Fachgruppe der Nephrologen gehörten. Insofern sei auch diese Begründung nicht richtig, da die Geldmenge der Krankenkassen für diese Sonderbedarfsleistungen aus einem anderen RLV-Topf bezahlt würde als für Nephrologen. Verwunderlich sei auch, dass man sich in dem seinerzeitigen Vergleich auf eine Erhöhung des RLV-Fallwerts geeinigt habe, jetzt aber wieder versuche, dieses Regelleistungsvolumen zu kürzen. Es sei fraglich, ob die Auszahlungsquote der gesamten Fachärzte, nicht nur der Nephrologen genommen werden könne. Der Fallwert könne maximal auf den individuellen Fallwert steigen und zu Auszahlung gelangen. Der praxisindividuelle Fallwert sei aber nochmals quotiert worden. Dies lasse sich nicht aus dem Vorstandsbeschluss herauslesen. Bei dieser Art der doppelten Quotierung könne es rechnerisch passieren, dass bei einer Auszahlungsquote von unter 80 % der doppelt quotierte individuelle Fallwert unter das Fachgruppen-RLV falle. Das Fachgruppen-RLV stehe dem Arzt zu 100 % zu. Es sei ein Sicherstellungsbedarf, worauf die Ausnahmeregelung und Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 29. Juni 2011 – B 6 KA 17/10 R – abstelle, gegeben. Er sei der einzige Arzt, der sowohl angiologische als auch kardiologische Leistungen im Planungsbereich als niedergelassener Arzt ausführen könne. Mit dem seinerzeitigen Vergleich habe die Beklage ihr Ermessen ausgeübt. Von der Erhöhung nunmehr wieder abzurücken, sei unangemessen. Die besonderen Leistungen gehörten zum Bereich der Angiologen und Kardiologen. Auch insofern sei eine Quotierung nach der Auszahlungsquote der Fachgruppe der Nephrologen falsch. Die Kürzung, die oft bei 75 % liege, sei nicht nachzuvollziehen. Nach dem Ausscheiden des Dr. C., der eine Zulassung in C-Stadt angetreten habe, habe er eine hohe Anzahl an Patienten mitversorgen müssen. Eine Fallwertabstaffelung sei deshalb ungerechtfertigt. Die Praxis besitze ein Alleinstellungsmerkmal im Landkreis. Im Vergleich zum Jahr 2014 sei die Beklagte erheblich von der bisherigen Berechnung abgewichen. Die Fallwerterhöhungen seien erheblich niedriger ausgefallen. Es sei anzunehmen, dass die RLV-Fallwerterhöhung doppelt quotiert worden sei, einmal mit der Quote der Fachgruppe und dann noch zusätzlich mit einer Fallwertabstaffelung. Es bleibe nur 55 % des arztindividuellen Fallwerts übrig. Damit sei die Praxis wirtschaftlich nicht zu führen.
Die Beklagte hat unter Wiederholung ihrer Ausführungen in dem angefochtenen Widerspruchsbescheid ergänzend vorgetragen, die Auszahlungsquote werde auf ihrer Internetseite veröffentlicht. Die Höhe der Auszahlungsquote habe folgende Werte betragen:
Quartal | Fachärzte (Vorjahresquartal) in % |
I/15 | 75,154 |
II/15 | 84,207 |
III/15 | 79,586 |
IV/15 | 83,225 |
Es bestünden folglich keine arztindividuellen Werte. Die Höhe der Auszahlungsquote sei von dem Umstand abhängig, inwieweit Leistungen angefordert worden seien, als durch die Krankenkassen Geldmengen für den entsprechenden Bereich bereitgestellt worden seien. Es solle eine Besserstellung im Vergleich zur Fachgruppe aufgrund der Erbringung besonderer Leistungen erbracht werden, allerdings keine bessere Auszahlungsquote erlangt werden, als andere Ärzte dem jeweiligen Versorgungsbereich unterlägen. Ferner erläuterte sie die Fallwertabstaffelung. Für das Quartal I/15 habe die Fallzahl der Fachgruppe des Klägers 208 Fälle betragen. Entsprechend habe sie nach Ziff. 3.2.1 HVM die über 150 % der durchschnittlichen Fallzahl der Arztgruppe hinausgehenden Fälle abgestaffelt. Für das Quartal II/15 habe die durchschnittliche Fallzahl der Arztgruppe 190 Fälle, für das Quartal III/15 186 Fälle und für das Quartal IV/15 205 Fälle betragen. Hinsichtlich des Umfangs der zu gewährenden Sonderregelung komme ihr ein Ermessensspielraum zu. Die Vorgaben des Vorstandsbeschlusses vom 28. Juli 2014 seien daher nicht zu beanstanden. Sie könne auch im Rahmen ihres Ermessens die Berechnungsmethode für den Zuschlag zum Regelleistungsvolumen verändern (Hinweis auf SG Hamburg, Urteil vom 12. August 2015 – S 27 KA 249/12 –). Zudem habe das SG Marburg (Urteil vom 2. April 2014 – S 12 KA 888/11 u. S 12 KA 889/11 –) ausgeführt, soweit im Rahmen des Honorarverteilungsmaßstabs im streitbefangenen Quartal für die sog. freien Leistungen eine allgemeine Quotierung wie in den Vorläuferquartalen stattgefunden habe, könne diese Quote entsprechend auf das neu festzusetzende Regelleistungsvolumen im Rahmen einer allgemeinen Gleichbehandlung ebf. angewandt werden. Die Rechtskraft des Urteils des Hessischen LSG vom 30. November 2016 – L 4 KA 69/14 – umfasse nicht die einzelnen Teile der Begründung. Sie teile auch nicht in der Pauschalität die Auffassung des LSG, dass Praxisbesonderheiten anhand des aktuellen Quartals zu prüfen seien. Auch nach verschiedenen instanzgerichtlichen Entscheidungen werde auf das Vorjahresquartal abgestellt. Auch stehe ihr bei der Entscheidung über eine Sonderregelung ein Ermessensspielraum zu. Im Rahmen ihres Ermessens könne sie auch auf das Vorjahresquartal abstellen. Die Fallwertabstaffelung und die Auszahlungsquote dienten unterschiedlichen Regelungszwecken.
Nach Anhörung mit Verfügung vom 11. März 2020 hat das Sozialgericht die Beklagte durch drei Gerichtsbescheide vom 8. April 2020 unter Aufhebung der Honorarbescheide für die Quartale I bis III/15, alle in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. November 2016, verpflichtet, die ehemalige Berufsausübungsgemeinschaft Dres. med. A./C. unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts über ihren Honoraranspruch neu zu bescheiden.
Die Klagen seien zulässig und begründet. Die angefochtenen Honorarbescheide für die Quartale I bis III/15, alle in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. November 2016 seien rechtswidrig und seien daher aufzuheben gewesen. Der Kläger habe einen Anspruch auf Neubescheidung der ehemaligen Berufsausübungsgemeinschaft unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts über ihren Honoraranspruch. Die Klagen seien insoweit erfolgreich gewesen, als die Beklagte bei Anerkennung einer Sonderregelung zum RLV auf die Werte des jeweils aktuellen Quartals abzustellen habe. Bei einer Neubescheidung könne die Beklagte bei der Berechnung des neuen RLV-Fallwerts aber weiterhin die sog. Auszahlungsquote berücksichtigen, müsse jedoch hier ebenfalls auf die Werte des jeweils aktuellen Quartals abstellen. Sie müsse jedoch nicht von der fallzahlabhängigen Abstaffelung absehen.
Rechtsgrundlage für den Honoraranspruch der Klägerin sei § 87b SGB V i. V. m. dem Honorarverteilungsmaßstab der Beklagten. Nach dem ab Januar 2012 geltenden Honorarverteilungsmaßstab erfolge die Vergütung der Ärzte auf der Basis der gemäß § 87a Abs. 2 Satz 5 SGB V zum jeweiligen Zeitpunkt gültigen regionalen Euro-Gebührenordnung (Nr. 1.1. Abs. 1 HVM 2012). Es würden Regelleistungsvolumina und qualifikationsgebundene Zusatzvolumina (QZV) gebildet (Nr. 1.1 bis 1.4, 2.5 HVM 2012), was auch für die Fachgruppe des Klägers gelte (Nr. 2.1 Abs. 1 i. V. m. Anl. 1 HVM 2012). Die Zuweisung der Regelleistungsvolumina erfolge praxisbezogen. Dabei ergebe sich die Höhe des Regelleistungsvolumens einer Arztpraxis aus der Addition der Regelleistungsvolumina je Arzt, die in der Arztpraxis tätig sind (Arztfall) (Nr. 1.3.1. HVM 2012). Dieser HVM sei im Grundsatz fortgeführt worden und habe auch in den streitbefangenen Quartalen gegolten. Auf Antrag des Arztes und nach Genehmigung durch den Vorstand der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen könnten Leistungen über das arzt-/praxisbezogene Regelleistungsvolumen hinaus mit den Preisen der regionalen Euro-Gebührenordnung vergütet werden. Dies gelte insbesondere für folgende Fallgestaltungen:
Bei einer außergewöhnlich starken Erhöhung der Zahl der behandelten Versicherten aufgrund
- urlaubs- und krankheitsbedingter Vertretung eines Arztes der eigenen Berufsausübungsgemeinschaft
- urlaubs- und krankheitsbedingter Vertretung eines Arztes einer Arztpraxis in der näheren Umgebung der Arztpraxis
- Aufgabe einer Zulassung oder genehmigten Tätigkeit eines Arztes der eigenen Berufsausübungsgemeinschaft
- Aufgabe einer Zulassung oder genehmigten Tätigkeit eines Arztes in der näheren Umgebung der Arztpraxis
- eines außergewöhnlichen und durch den Arzt unverschuldeten Grundes, der zu einer niedrigeren Fallzahl des Arztes im Aufsatzquartal geführt habe. Hierzu zähle z. B. Krankheit des Arztes.
- der Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit in einem Planungsbereich, der für diese Arztgruppe von Unterversorgung betroffen bzw. von Unterversorgung bedroht sei und in dem die Sicherstellung der medizinischen Versorgung – auch nach Anwendung der Regelung gemäß Nr. 3.2.1, zweiter Absatz, Satz 3 - nicht in ausreichendem Maße gewährleistet sei.
Darüber hinaus könne auf Beschluss des Vorstandes der KV Hessen in begründeten Ausnahmefällen (Urlaub, Krankheit etc.) anstelle des entsprechenden Vergleichsquartals des Vorjahres ein anderes Quartal als Referenzquartal zugrunde gelegt werden. Der Vorstand der KV Hessen könne außerdem im Hinblick auf die Sicherstellung der ärztlichen Versorgung von einer Abstaffelung in Ausnahmefällen und auf Antrag ganz oder teilweise absehen und in begründeten Fällen Sonderregelungen beschließen. Dies gelte insbesondere für Praxisbesonderheiten, die sich aus einem besonderen Versorgungsauftrag oder einer besonderen, für die Versorgung bedeutsamen fachlichen Spezialisierung ergäben, wenn zusätzlich eine aus den Praxisbesonderheiten resultierende Überschreitung des durchschnittlichen Fallwertes der Arztgruppe von mindestens 20 % vorliege (RLV und QZV). Der Vorstand der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen entscheide hierüber im Einzelfall (Nr. 3.5 HVM 2012).
Auf der Grundlage dieser Regelung habe die Beklagte im angefochtenen Widerspruchsbescheid vom 23. November 2016 wegen der Erbringung atypischer Leistungen eine Sonderregelung gewährt. Die Beteiligten stritten nicht mehr um die Bewilligung einer Sonderregelung, sondern nur noch um die Frage, ob die sog. Auszahlungsquote berücksichtigt werden könne.
Die Berücksichtigung der sog. Auszahlungsquote sei von der Kammer im Grundsatz nicht zu beanstanden. Die Beklagte habe aber ihren Ermessensspielraum überschritten, soweit sie weder beim RLV-Fallwert noch bei der Auszahlungsquote auf das aktuelle Quartal abgestellt habe.
Die Berechnungsweise der Beklagten bei Berücksichtigung der sog. Auszahlungsquote verschränke allerdings die Gesichtspunkte der Anerkennung einer Sonderregelung und der Quotierung.
Bei der sog. Auszahlungsquote handele es sich um die Quote, mit der im Vorjahresquartal als Vergleichsquartal die RLV-Leistungen vergütet würden und die veröffentlicht würden. Die Beklagte berechne zunächst den (Teil)Fallwert der anerkannten Praxisbesonderheit. Sie quotiere sodann bereits diesen (Teil)Fallwert mit der sog. Auszahlungsquote. Die Summe aus RLV-Fallwert der Fachgruppe – also dem ursprünglichen Fallwert zur Berechnung des RLV – und quotiertem (Teil)Fallwert aufgrund der anerkannten Praxisbesonderheit bilde den maximal erreichbaren RLV-Fallwert für den Arzt. Diesem werde der arztindividuelle Fallwert, ebenfalls quotiert mit der sog. Auszahlungsquote gegenübergestellt. Der so quotierte arztindividuelle Fallwert sei der maßgebliche Wert für die Neuberechnung des RLV (RLV-Fallwert neu), soweit er nicht über dem maximal erreichbaren RLV-Fallwert liege. Aus dem Produkt der Differenz zwischen dem RLV-Fallwert neu und dem alten Fallwert (RLV-Fallwert der Fachgruppe), also der RLV-Fallwerterhöhung, mit der RLV-Fallzahl folge unmittelbar die Nachvergütung, die nicht weiter quotiert werde.
Alternativ bestehe die Möglichkeit, zunächst unabhängig von Quotierungsgesichtspunkten den Umfang der Sonderregelung und den hieraus rechnerisch resultierenden Nachvergütungsanspruch zu ermitteln, der sodann der Quotierung unterworfen werde. Dies führe zu unterschiedlichen Ergebnissen, was an folgender Vergleichsberechnung für das Quartal I/15 gezeigt werde.
Die Summe aus RLV-Fallwert der Fachgruppe (22,75 €) und (Teil)Fallwert aufgrund der anerkannten Praxisbesonderheit (26,19 €) würden den maximal erreichbaren RLV-Fallwert für den Arzt in Höhe von 48,94 € bilden. Diesem werde der arztindividuelle Fallwert in Höhe von 40,78 € gegenübergestellt. Der arztindividuelle Fallwert sei hier der maßgebliche Wert für die Neuberechnung des RLV (RLV-Fallwert neu), da er nicht über dem maximal erreichbaren RLV-Fallwert liege. Dieser RLV-Fallwert neu gehe in die Berechnung des RLV ein und sei mit Fallwertabstaffelung (0,6649), Altersstrukturquote (0,9991) und Aufschlag für BAG (1,1) zu multiplizieren. Dies ergebe einen maßgeblichen Fallwert in Höhe von 29,7992 €, multipliziert mit der RLV-Fallzahl 652 ergebe dies ein RLV in Höhe von 19.429,10 €. Die Differenz zum vorherigen RLV (10.838,94 €) betrage 8.590,16 €. Diese Erhöhung sei nunmehr mit der sog. Auszahlungsquote von 75,1540 % zu quotieren. Die tatsächliche Erhöhung betrage daher nur 6.455,85 €. Hiervon abzuziehen sei die bereits erhaltene Vergütung zum unteren Punktwert (Quote 12,010), das seien 8.590,16 € x 12,010 bzw. 1.031,68 €. Bei dieser Berechnungsweise betrage daher die Nachvergütung 5.424,17 € (6.455,85 € - 1.031,68 €). Demgegenüber betrage die von der Beklagten festgesetzte Nachvergütung für das Quartal I/15 nur 3.989,44 €, wobei bei Betrachtung der Differenz Abzüge für Verwaltungskosten und Sonstiges vernachlässigt werden könnten.
Die Differenz zwischen beiden Berechnungsarten beruhe darauf, dass die Beklagte im Ergebnis die sog. Auszahlungsquote auf das gesamte neu zu berechnende RLV-Volumen jedenfalls dann anwende, wenn der arztindividuelle Fallwert unterhalb des maximal erreichbaren RLV-Fallwerts liege. Liege er darüber, werde die sog. Auszahlungsquote nur auf den (Teil)Fallwert der anerkannten Praxisbesonderheit angewandt. Die Kammer halte diese Vorgehensweise aber noch für ermessensgerecht.
Die Beklagte behandele die RLV-Leistungen nach Anerkennung der weiteren Leistungen damit weitgehend wie die sog. freien Leistungen. Die Kammer habe bereits in einem obiter dictum darauf hingewiesen, dass die Beklagte bei der Ausübung des Ermessens nach Nr. 3.5 HVM 2012 berücksichtigen müsse, in welchem Umfang die strittigen Leistungen bereits im RLV enthalten seien und in welchem Umfang der Arzt Mehrleistungen erbringe. Der Umfang dieser Mehrleistungen sei Grundlage der Sonderregelung. Insoweit würden diese Leistungen faktisch den sog. freien Leistungen gleichgestellt. Soweit im Rahmen des Honorarverteilungsmaßstabs im streitbefangenen Quartal für die sog. freien Leistungen eine allgemeine Quotierung stattfinde, könne diese Quote entsprechend auf das neu festzusetzende Regelleistungsvolumen im Rahmen einer allgemeinen Gleichbehandlung ebf. angewandt werden (Hinweis auf SG Marburg, Urteil vom 2. April 2014 – S 12 KA 888/11 – juris Rn. 57).
Nach der Rechtsprechung des Hessischen LSG sei allerdings Bezugszeitraum für eine Sonderregelung zum RLV nicht das Aufsatzquartal, sondern das Quartal, für das die Sonderregelung gefordert werde. Das folge aus dem Sinn und Zweck der Norm. Denn die Sonderregelung werde wegen der Sicherstellung der ärztlichen Versorgung eingeräumt. Ihre vorrangige Aufgabe sei es daher gerade nicht, einen Arzt unter Berücksichtigung von dessen wirtschaftlichen Interessen individuell zu begünstigen, sondern es gehe maßgeblich darum, eine ausreichende Versorgung der Versicherten zu gewährleisten. Dass der Arzt seine Leistungserbringung über das ihm zuerkannte Regelleistungsvolumen hinaus ausgeweitet habe, werde insofern ausdrücklich gebilligt. Angesichts dieser Sachlage gebe es keine nachvollziehbaren Gründe, das RLV nicht sofort, sondern erst mit einjähriger Verzögerung anzupassen, indem die Werte statt dem aktuellen dem jeweiligen Aufsatzquartal entnommen würden (Hinweis auf Senatsurteil vom 20. Februar 2019 – L 4 KA 31/15 – Umdruck S. 14 f.; Senatsurteil vom 30. November 2016 – L 4 KA 69/14 –, juris Rn. 85). Die Beklagte werde bei einer Neubescheidung auf die aktuellen RLV-Werte abzustellen haben. Dies gelte auch für die Auszahlungsquote, worauf die Kammer in ihrem genannten Urteil bereits abgestellt habe.
Ein Anspruch auf Absehen von der fallzahlabhängigen Abstaffelung bestehe nicht.
Die Höhe des Regelleistungsvolumens eines Arztes ergebe sich für die in Anlage 1 zum vorliegenden HVM benannten Arztgruppen aus der Multiplikation des zum jeweiligen Zeitpunkt gültigen KV-bezogenen arztgruppenspezifischen Fallwertes (FWAG) gemäß Anlage 7 zum Beschluss des Bewertungsausschusses und der RLV-Fallzahl des Arztes gemäß Nr. 2.5 im Vorjahresquartal (FZArzt). Der für einen Arzt zutreffende arztgruppenspezifische Fallwert nach Satz 2 werde für jeden über 150 % der durchschnittlichen RLV-Fallzahl der Arztgruppe gemäß Nr. 2.5 hinausgehenden RLV-Fall wie folgt gemindert:
• um 25 % für RLV-Fälle über 150 % bis 170 % der durchschnittlichen RLV-Fallzahl der Arztgruppe,
• um 50 % für RLV-Fälle über 170 % bis 200 % der durchschnittlichen RLV-Fallzahl der Arztgruppe,
• um 75 % für RLV-Fälle über 200 % der durchschnittlichen RLV-Fallzahl der Arztgruppe.
Aus Sicherstellungsgründen könne der Vorstand der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen im Einzelfall auf Antrag von der Minderung des Fallwertes abweichen. Für Ärzte, die ihre vertragsärztliche Tätigkeit in Planungsbereichen ausübten, in denen gemäß der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Bedarfsplanung (Bedarfsplanungs-Richtlinie) für die jeweilige Arztgruppe Unterversorgung festgestellt worden sei bzw. die von Unterversorgung bedroht seien, finde die Fallzahlabstaffelung gemäß Absatz 1 keine Anwendung (Nr. 3.2.1 HVM 2012).
Fehler bei der Anwendung dieser Vorgaben seien nicht ersichtlich und würden vom Kläger nicht vorgetragen.
Diese auf den Vorgaben des Bewertungsausschusses beruhende Regelung sei nicht zu beanstanden (Hinweis auf BSG, Beschluss vom 21. März 2018 – B 6 KA 73/17 B – juris Rn. 9 ff.; BSG, Beschluss vom 21. März 2018 – B 6 KA 74/17 B – juris Rn. 9 ff.; BSG, Urteil vom 17. Juli 2013 – B 6 KA 44/12 R – SozR 4–2500 § 87b Nr. 2, juris Rn. 14; LSG Baden–Württemberg, Urteil vom 5. Oktober 2016 – L 5 KA 1918/14 – juris Rn. 58 ff.; Senatsurteil vom 29. Juli 2015 – L 4 KA 31/13 – Urteilsumdruck S. 13; Senatsurteil, Beschluss vom 17. November 2011 – L 4 KA 74/10 – juris Rn. 27; Sächsisches LSG, Urteil vom 19. März 2014 – L 8 KA 49/11 – juris Rn. 21).
Nach der Rechtsprechung des LSG könnten nach den Kriterien zu Ausnahmen von der Abstaffelung über das arzt-/praxisbezogene RLV hinaus Leistungen mit den Preisen der regionalen Euro-Gebührenordnung vergütet werden. Es handele sich bei dem Begriff des „außergewöhnlichen Grundes“ um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der gerichtlich voll überprüfbar sei. Der Auffassung, nach Sinn und Zweck der Regelung könne es nur ein dem aufgeführten Beispiel der Krankheit gleichwertiger Grund sein, aus dem heraus die ärztliche Tätigkeit über einen gewissen Zeitraum nicht ausgeübt wurde, der eine Mindestzeit von zwei Wochen erreichen müsse, weil ansonsten eine merkliche Fallzahlminderung im Aufsatzquartal nicht verursacht werden könne, könne nicht gefolgt werden; eine solche Auslegung erweise sich als zu restriktiv. Denkbar seien auch Fälle einer länger andauernden Erkrankung mit intensivem regelmäßigem Behandlungsbedarf (z.B. Dialyse-Behandlungen, Chemotherapie), die aufgrund ihrer Schwere dazu führten, dass über einen längeren Zeitraum eine Praxisführung nur unter eingeschränkten (zeitlichen) Bedingungen möglich sei, ohne dass es dabei zu einer Praxisschließung kommen müsse. Andere Fallgestaltungen könnten daher zu berücksichtigen sein, wenn sie eine vergleichbare – außergewöhnliche – Qualität hätten, wobei es ausdrücklich auf ein Verschulden nicht ankomme. Wie an dem Beispiel Krankheit ersichtlich, müssten solche Gründe jedoch nicht so außergewöhnlich sein, dass sie praktisch nie vorkommen oder völlig unvorhersehbar seien (Hinweis auf Beschluss des Senates vom 21. Dezember 2009 – L 4 KA 77/09 B ER – juris Rn. 47; siehe auch SG Marburg, Urteil vom 8. Mai 2013 – S 12 KA 464/11 – juris Rn. 37).
Aus dem Umstand, dass eine Erhöhung des Fallwerts aufgrund einer Sonderregelung erfolge, folge nicht, dass auch eine Erhöhung der Fallzahl erfolgen müsse. Eine Unterversorgung sei für den Planungsbereich des Klägers in dem streitbefangenen Zeitraum nicht festgestellt worden. Nr. 3.2.1 HVM 2012 sehe bis zum 1,5-fachen der durchschnittlichen RLV-Fallzahl der Arztgruppe von einer Abstaffelung ab. Es handele sich um eine Honorarverteilungsmaßnahme zur Verhinderung einer übermäßigen Ausdehnung der Tätigkeit des Vertragsarztes (§ 87b Abs. 2 Satz 1 SGB V). Es sei grundsätzlich zulässig, dass übergroße Praxen entsprechend den Vorgaben eines HVM nur noch abgestaffelt vergütet würden (Hinweis auf vgl. SG Marburg, Urteil vom 8. September 2010 – S 12 KA 172/10 – juris Rn. 52; SG Marburg, Urteil vom 8. Oktober 2008 – S 12 KA 84/08 – juris Rn. 56). Auch dienten Instrumente der Honorarverteilung nicht der Beseitigung oder Abwendung einer Unterversorgung. Honorarverteilungsrechtliche Sicherstellungstatbestände hätten im Unterschied zu statusrechtlichen (Sonder-)Bedarfstatbeständen konkret arzt- bzw. praxisbezogene Bedarfslagen und nicht abstrakt-strukturelle Versorgungsdefizite im Planungsbereich zum Gegenstand; die Behebung solcher Defizite sei Aufgabe der Zulassungsgremien und nicht der KV (Hinweis auf LSG Baden-Württemberg v. 25.10.2017 – L 5 KA 1744/15 – juris Rn. 59). Aus den in 3.5 HVM 2012 genannten Gründen für eine außergewöhnlich starke Erhöhung der Zahl der Behandlungsfälle werde der konkret-individuelle Arzt- bzw. Praxisbezug und der darin hervortretende besondere Versorgungsbedarf (starke Erhöhung der behandelten Versicherten) offensichtlich. Von daher komme es nicht darauf an, ob der Kläger der einzige Arzt sei, der sowohl angiologische als auch kardiologische Leistungen im Planungsbereich als niedergelassener Arzt ausführen könne.
Die Gerichtsbescheide sind den Beteiligten am 23. April 2020 zugestellt worden.
Die Berufungen der Beklagten sind am 20. Mai 2020, die Berufungen des Klägers sind am Montag, den 25. Mai 2020 bei dem Hessischen Landessozialgericht eingegangen. Der Senat hat die Verfahren L 4 KA 10/20, L 4 KA 11/20 und L 4 KA 12/20 durch Beschluss vom 25. Mai 2022 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung miteinander verbunden.
Die Beklagte trägt vor, selbst wenn man der Rechtsprechung des Hessischen LSG folge und für die Tatbestandsebene bei der Prüfung von Praxisbesonderheiten auf das aktuelle Quartal abstelle, so sei die Frage der rechtmäßigen Ermessensausübung auf der Rechtsfolgenseite, also bei der Frage, wie die Beklagte die Fallwerterhöhung bei vorliegenden Praxisbesonderheiten vornehme, neu zu beurteilen. Lägen die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Erhöhung des RLV/QZV-Fallwertes nach Ziff. 3.5 HVM vor, habe die Beklagte nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, in welchem Umfang eine Erhöhung des RLV vorzunehmen sei. Dass dies eine Ermessensentscheidung sei, ergebe sich aus dem klaren Wortlaut der Regelung. Ziff. 3.5 HVM begründe beim Vorliegen der dort geregelten Voraussetzungen lediglich ein subjektives Recht des betroffenen Arztes auf ermessensfehlerfreie Entscheidung der Beklagten über seinen Antrag auf Erhöhung des RLV. Die Beklagte habe ihr Ermessen im streitgegenständlichen Bescheid dahingehend ausgeübt, dass sie dem Kläger eine Steigerung des Fallwerts um den Betrag zuerkannt habe, den der individuelle Fallwert des Klägers den Vergleichsgruppen spezifischen Fallwert überschritten habe. Dies sei unter Anwendung der Auszahlungsquote aus dem entsprechenden Vorjahresquartal erfolgt. Zur Begründung der Ermessensentscheidung habe die Beklagte im Widerspruchsbescheid ausgeführt, dass ab dem Quartal II/2014 eine Erhöhung des RLV-Fallwertes für die als Praxisbesonderheit anerkannten Leistungen unter Berücksichtigung der gültigen Auszahlungsquote erfolge. Da eine Erhöhung, die auf eine Vergütung der Leistungen außerhalb des RLV und ohne jegliche Abstaffelung hinausliefe, nicht in Betracht komme, würde grundsätzlich die Fallwerterhöhung durch die Auszahlungsquote reduziert. Diese Auszahlungsquote komme immer dann zur Anwendung, sobald Mehrleistungen angefordert würden, als durch die Krankenkassen an Honorar für den entsprechenden Bereich - hier die im Rahmen des RLV vergüteten Leistungen - bereitgestellt worden sei. Da diese Quote erst nach Abschluss des Quartals und nach Erstellung der Honorarunterlagen vorliege, greife die Beklagte für die allseitigen Anträge auf Gewährung einer Sonderregelung auf die Auszahlungsquote des Vorjahresquartals zurück. Diese Quote sei, nur weil sie aus dem entsprechenden Vorjahresquartal stamme, nicht per se schlechter als die des aktuellen Quartals und kommen nur mit einem Jahr Verzögerung zur Anwendung. Diese Begründung lasse Ermessensfehler nicht erkennen. Die Funktion der Ausnahmeregelung bestehe darin im Falle von Praxisbesonderheiten, unbillige Belastungen über die Regelleistungsvolumina zu verhindern. Es sei nicht zu beanstanden, auf der Rechtsfolgenseite eine Auszahlungsquote aus dem entsprechenden Vorjahresquartal vorzunehmen. Der Gesichtspunkt, eine möglichst zeitnahe Erhöhung des RLV/QZV-Volumens dem Arzt gewähren zu können, stehe hier gerade im Vordergrund.
Der Kläger trägt vor, unter dem Gesichtspunkt einer allgemeinen Gleichbehandlung sei aufgrund des Vorstandsbeschlusses vom 28. Juli 2014 eine Erhöhung des Fallwertes für die als Praxisbesonderheit anerkannten Leistungen nur noch unter Berücksichtigung der gültigen Auszahlungsquote des Vergleichsquartals vorgenommen worden. Diese Auszahlungsquote käme immer dann zur Anwendung, sobald mehr Leistungen angefordert würden, als durch die Krankenkassen Geldmengen für den entsprechenden Bereich bereitgestellt worden seien und es werde jeweils getrennt nach den Versorgungsbereichen ermittelt. Dies habe zur Folge gehabt, dass ihm zwar eine Fallwerterhöhung zugesprochen worden sei, die dann jedoch im Gegensatz zu den Quartalen zuvor in der Auszahlung quotiert worden sei. Der so genannte Sonderbedarf werde dann gewährt, wenn aus Gründen der Sicherstellung der Versorgung ein besonderer Versorgungsbedarf belegt werden könne. Die Überschreitung müsse dabei auf die besonders hohe Erbringung spezieller Leistung zurückzuführen sein. Ein Indiz für die Atypik im Vergleich zur Fachgruppe sei dabei, dass im Verhältnis zum Fachgruppendurchschnitt eine signifikant überdurchschnittliche Leistungshäufigkeit in einem Spezialisierungsbereich vorliege. Genau dies sei beim Kläger auch so festgestellt worden. So habe der arztindividuelle Fallwert im Quartal I/2015 bei 40,78 € im Quartal II/2015 bei 39,31 € und im Quartal III/2015 bei 41,57 € gelegen. Die zugewiesenen RLV-Fallwerte der Arztgruppe der Nephrologen seien deutlich niedriger gewesen, so dass die Überschreitungen der RLV-Fallwerte der Fachgruppe i.H.v. 79,25 % vorgelegen hätten.
Im Einzelnen sei folgendes Vorgehen der Beklagten zu beanstanden: Das RLV bestehe aus einem Fachgruppen-RLV und dem zugestandenen Sonder-RLV. Das Sonder-RLV werde aktuell mit der Fachgruppenquote mit dem Argument quotiert, dass keine höhere Vergütung für Sonderleistungen als die durchschnittliche (quotierte) Vergütung erfolgen solle. Demnach ergebe sich als quotiertes RLV der Praxis das Fachgruppen-RLV und quotiertes Sonder-RLV. Unabhängig ob er, der Kläger, dieses quotierte Gesamt-RLV überschreite oder nicht erreiche, es werde ein weiteres Mal quotiert, in dem der Praxisfallwert komplett quotiert werde – und dann trotzdem gekürzt werde.
Das Facharzt-RLV dürfe nicht quotiert werden. Die doppelte Quotierung des Sonder-RLV sei ebenfalls nicht richtig, da dieses für Praxisbesonderheiten gewährt würde. Die ihm gewährte Praxisbesonderheit würde auf diesem Weg wieder reduziert.
Es verstoße gegen das Gleichheitsprinzip, wenn das Sonder-RLV so behandelt werde wie die freien Leistungen.
Die das Sonder-RLV begründenden unterschiedlichen Leistungen würden in geringem Umfang auch von einzelnen anderen Nephrologen in Hessen erbracht. Aufgrund des geringen Umfangs würden diese Leistungen diesen Nephrologen unquotiert vergütet. Insofern sei nicht nachvollziehbar, dass das von ihm nicht ausgeschöpfte Facharzt-RLV nicht zunächst von Leistungen des Sonder-RLV aufgefüllt werde, bevor dieses quotiert werde. Das erstinstanzliche Gericht habe eine alternative Berechnungsweise vorgeschlagen, die für ihn vorteilhafter wäre. Die Differenz zwischen den Berechnungsmethoden beruhe darauf, dass die Beklagte im Ergebnis die so genannte Auszahlungsquote auf das gesamte neu zu berechnende Volumen jedenfalls dann anwende, wenn der arztindividuelle Fallwert unterhalb des maximal erreichbaren RLV-Fallwertes liege. Liege er darüber, werde so die genannte Auszahlungsquote nur auf den (Teil)Fallwert angewandt. Auch dieses Vorgehen sei nicht ermessensgerecht. Er wäre dafür bestraft, wenn der arztindividuelle Fallwert unterhalb des maximal erreichbaren RLV-Fallwertes liege. Der Kläger hat sein Vorbringen hierzu mit Schriftsätzen vom 23. Dezember 2020 und 22. März 2021 weiter konkretisiert und vertieft (Bl. 381 ff. und Bl. 391 ff. d.A.)
Des Weiteren werde im Gerichtsbescheid darauf hingewiesen, dass für Ärzte, die ihre Tätigkeit in Planungsbereichen ausübten, die von Unterversorgung bedroht seien, die Abstaffelung keine Anwendung finde (Nr. 3.2.1 HVM 2012). Zwar sei im Planungsbereich Hersfeld-Rotenburg keine Unterversorgung festgestellt worden. Die dort zugelassenen Ärzte versorgten jedoch fallgruppenzahlmäßig erheblich weniger Patienten, als dies für die jeweilige Praxis vorgesehen sei. Insofern läge eigentlich eine Unterversorgung vor.
Auch treffe auf den Kläger ein außergewöhnlicher Grund zu, nachdem nach der Rechtsprechung des Landessozialgerichts nach den Kriterien zu Ausnahmen von der Abstaffelung über das RLV hinaus Leistungen mit den Preisen der regionalen Euro-Gebührenverordnung vergütet werden könnten. Sämtliche Zulassungen seiner ehemals niedergelassenen Kollegen seien dem MVZ des Klinikums B-Stadt zugesprochen worden. Die dort tätigen Ärzte könnten jedoch keine volle Zulassung bedienen, da sie auch im Klinikum arbeiten müssten. Insofern seine Fallzahlen lange nicht mehr mit den ehemals niedergelassenen Ärzten zu vergleichen.
Es sei nicht einzusehen, dass er durch eine doppelte Quotierung bestraft werde.
Der Kläger beantragt,
die Gerichtsbescheide vom 8. April 2020 und die Honorarbescheide für die Quartale I-III/2015, alle in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. November 2016 insoweit aufzuheben, als dass der arztindividuelle RLV-Fallwert für die streitgegenständlichen Quartale ihm nicht zugewiesen wurde und die Beklagte zu verpflichten, die ehemalige BAG unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts über ihren Honoraranspruch neu zu bescheiden;
und die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Gerichtsbescheide vom 8. April 2020 aufzuheben und die Klage vollumfänglich abzuweisen;
und die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Die Beklagte ist der Rechtsauffassung, dass bei einer Sonderregelung wegen Praxisbesonderheiten beim Regelleistungsvolumen immer nur der RLV-Fallwert erhöht werde. Die Gewährung einer RLV-Fallwerterhöhung werde in den seltensten Fällen dazu führen, dass das zugewiesene RLV nicht mehr überschritten werde.
Die Beklagte trägt zu ihrer Berechnungsweise der RLV-Fallwerterhöhung vor, sie berechne zunächst den (Teil)Fallwert der anerkannten Praxisbesonderheit. Sodann quotiere sie diesen mit der sog. Auszahlungsquote. Die Summe aus RLV-Fallwert der Fachgruppe – also dem ursprünglichen Fallwert zur Berechnung des RLV – und quotiertem Teilfallwert aufgrund der anerkannten Praxisbesonderheit bilde den maximal erreichbaren RLV-Fallwert für den Arzt. Diesem werde der arztindividuelle Fallwert, ebenfalls quotiert mit der sog. Auszahlungsquote, gegenübergestellt und dieser Fallwert bildet die Obergrenze für die maximal mögliche Erhöhung des Fallwerts wegen Praxisbesonderheiten. Die Beklagte reduziere auch den arztindividuellen Fallwert um die Auszahlungsquote, da in diesem Fall alle RLV-Leistungen, also auch diejenigen, dem RLV unterliegenden Leistung eingeflossen seien, welche keiner Sonderregelung wegen Praxisbesonderheiten zugänglich seien. Die Funktion der Ausnahmeregelung bestehe darin, mögliche unbillige Belastungen über die RLV/QZV zu verhindern. Eine zweckentsprechende Umsetzung dürfe deshalb nicht nur die Umstände im Blick haben, welche die Abweichung vom typischen Fall und die dadurch hervorgerufene Belastung (hier: Überschreitung des Fallwertdurchschnitts) ausmachten. Vielmehr dürfe auch die generelle Rechtfertigung der Leistungssteuerung mit in die Ermessensentscheidung eingestellt werden. Es sei deshalb nicht zu beanstanden, wenn die Beklagte bei der Entscheidung davon ausgehe, dass eine Erhöhung in einem Umfang, der auf eine vollständige Verschonung von der Leistungssteuerung auf der Grundlage von Regelleistungsvolumina hinauslaufe, grundsätzlich ausscheide und sich vielmehr die Erhöhung in das Leistungssteuerungssystem des HVM einzupassen habe. Bei einer nicht quotierten Anwendung des arztindividuellen Fallwertes ließe sich schwerlich begründen, warum in dem Falle, in welchem der Fallwert der Fachgruppe plus dem quotierte Fallwert der Praxisbesonderheit unterhalb des arztindividuellen Fallwertes bliebe, eine Quotierung stattfinde und in dem Fall, in welchen der arztindividuelle Fallwert als Grenze greife, keine Quotierung vorgenommen werde. Dies stellte eine Ungleichbehandlung von Ärzten mit vorliegenden Praxisbesonderheiten dar. Daher liege die Anwendung der Auszahlungsquote auf den arztindividuellen Fallwert im Sinne der Honorarverteilungsgerechtigkeit. Der deshalb quotierte arztindividuelle Fallwert sei der maßgebliche Wert für die Neuberechnung des RLV, soweit er nicht über den maximal erreichbaren RLV-Fallwert liege. Aus dem Produkt der Differenz zwischen dem RLV-Fallwert neu und dem alten Fallwert (also der Fallwerterhöhung) mit der RLV-Fallzahl folge unmittelbar die Nachvergütung. Das SG Marburg habe diese Vorgehensweise für ermessensgerecht gehalten.
Die Beklagte erläutert ihre Fallwertermittlung ergänzend wie folgt (Bl. 403 d.A.): Sie prüfe wie hoch der Anteil der Praxisbesonderheiten am arztindividuellen Fallwert sei. Dazu rechne sie jedoch diese Leistung nicht aus dem arztindividuellen Fallwert heraus, diese seien vielmehr in diesem immer noch enthalten. Die Beklagte ermittle für die als Praxisbesonderheit anerkannten Leistungen einen eigenen Fallwert und nur, wenn der Anteil der als Praxisbesonderheiten anerkannten Leistung ein Anteil von mindestens 20 % am arztindividuellen Fallwert ausmache, werde der Fallwert der Fachgruppe um die Praxisbesonderheiten erhöht. Der quotierte Fallwert für die Praxisbesonderheiten werde mit dem RLV-Fallwert der Fachgruppe addiert und bilde den neuen RLV-Fallwert, es sei denn, der arztindividuelle Fallwert greife als Begrenzung.
Aufgrund des Umstandes, dass bereits tatbestandlich eine 20 %ige Überschreitung des durchschnittlichen Fallwert der Arztgruppe vorausgesetzt werde, könne rechtsfolgenseitig auch dieser Grenzwert nicht ohne Bedeutung sein, da es sich schwerlich begründen lasse, warum eine 19 %ige Überschreitung überhaupt nicht, nach Auffassung des Klägers ein 20 %ige Überschreitung dagegen voll ausgeglichen werden solle. Deshalb liege die Anwendung einer Auszahlungsquote nahe.
Ebenso wenig sei ermessensfehlerhaft, dass die Beklagte dem Kläger keine Ausnahme von der Fallwertabstaffelung nach Ziff. 3.2.1 Abs. 2 HVM zuerkannt habe. Es liege keine Unterversorgung gemäß der Bedarfsplanungsrichtlinie vor.
Aus dem Umstand, dass eine Erhöhung des Fallwertes aufgrund einer Sonderregelung erfolge, folge zudem nicht, dass auch eine Erhöhung der Fallzahl erfolgen müsse. Dies würde voraussetzen, dass die Überschreitung des Fallzahldurchschnitts in einer abstaffelungsrelevanten Weise von Praxisbesonderheiten herrühre. Ferner sei im Auge zu behalten, dass bereits die Abstaffelungsregelung in Ziff. 3.2.1 HVM atypischen Praxisausrichtungen Raum lasse, weil sie erst bei einer Überschreitung des Vergleichsgruppendurchschnitts um mindestens 50 Prozent greife. Schöpfe daher ein Vertragsarzt – wie hier – dieses Fallzahlkontingent mit seinen vergleichsgruppentypischen Leistungen voll aus, könne er nicht erwarten, mit Blick auf seine weiteren Leistungen, die vergleichsgruppenuntypisch seien und eine Praxisbesonderheit begründeten, von der Abstaffelung verschont zu werden. Auch dies habe das Sozialgericht bestätigt.
Es erfolge keine doppelte Quotierung. Der Kläger verkenne, dass gerade nicht beide Fallwerte zur Anwendung kämen, sondern entweder der Fallwert der Fachgruppen nach Addition mit dem quotierten Fallwert der Praxisbesonderheit oder eben der quotierte arztindividuelle Fallwert als Grenze für die maximale Erhöhung. Die Quotierung der das RLV-Volumen überschreitenden Leistungen stelle keine zweite Quotierung gerade der als Praxisbesonderheit anerkannten Leistungen dar, sondern eine Quotierung aller, das Volumen überschreitender RLV-Leistungen und sei in Ziff. 1.1 HVM geregelt. Danach ergebe sich der abgestaffelte Preis für die das Regelleistungsvolumen und die qualifikationsgebundenen Zusatzvolumen überschreitenden Leistungen aus den Vorgaben der KBV gemäß § 87b Abs. 4 Satz 1 SGB V. Die vom Kläger monierte fehlende Regelung zur zweiten Quotierung sei also keine spezifische Regelung für die Prüfung von Praxisbesonderheiten und deshalb auch nicht im Vorstandsbeschluss, sondern bereits im HVM geregelt.
Soweit der Kläger darauf verweise, dass die die Praxisbesonderheit begründenden Leistungen von anderen Nephrologen nur in geringem Umfang erbracht und deshalb unquotiert vergütet würden, sei festzustellen, dass der Kläger auch ohne die Sonographie-Leistungen, die beispielsweise im Quartal I/15 ein Volumen von 17.244,16 € ausmachten, seine RLV-Obergrenze bereits überschritten habe. Insofern bleibe schlichtweg kein Volumen, innerhalb welchem die als Praxisbesonderheit anerkannten Leistungen und Quotierung vergütet werden könnten.
Der Kläger trägt vor, dass es keine nachvollziehbaren Gründe gebe, dass RLV nicht sofort, sondern erst mit einer einjährigen Verzögerung anzupassen.
Hinsichtlich des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung vom 25. Mai 2022 wird auf das Protokoll Bezug genommen. Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die Gerichtsakten (L 4 KA 10-12/20) und die Verwaltungsvorgänge (1 Ordner) verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Berufungen sind zulässig.
Der Kläger konnte allein für die BAG Klage erheben und Berufung einlegen. Während vor der Auflösung der BAG jeder Gesellschafter Honorarforderungen der BAG wahlweise alleine oder zusammen mit den anderen Gesellschaftern gelten machen kann, (BSG, Urteil vom 3. Februar 2010 – B 6 KA 37/08 R – juris Rn. 16; Urteil vom 15. Juni 2016 – B 6 KA 18/15 R – juris Rn. 16), ordnet § 730 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) die (abdingbare) Gesamtvertretungsbefugnis für den Zeitraum zwischen auflösendem Ereignis und Erlöschen der BAG an (weiter offenbar BSG, Urteil vom 15. Juni 2016 – B 6 KA 18/15 R – juris Rn. 16 ohne Begründung). Mit Fax vom 16. Mai 2018 (Bl. 83 d.A.) hat der Beigeladene gegenüber dem Sozialgericht die alleinige Vertretungsbefugnis des Klägers erklärt und eine entsprechende Vollmacht auch für das gerichtliche Verfahren eingeräumt, worin jedenfalls auch eine konkludente Genehmigung der bisherigen Verfahrenshandlungen zu sehen ist.
Die Berufung der Beklagten ist unbegründet, die des Klägers ist nur zu einem geringen Umfange begründet. Weder greifen die von der Beklagten vorgetragenen Bedenken gegen das Abstellen auf das aktuelle Quartal auch auf der Rechtsfolgenseite der Ziff. 3.5. HVM 2012 durch (dazu unten 1. und 2.b), noch greifen die Einwände des Klägers bezüglich der Quotierung als solcher, der Abstaffelung als solcher und der Anerkennung einer Ausnahme von der Abstaffelung nach Ziff. 3.2.1 HVM durch (dazu unten 2.a), 3. und 4). Allein die vom Kläger gerügte Art und Weise der Berücksichtigung der Auszahlungsquote als Berechnungselement bei der Rechtsfolge der Sonderregelung ist ermessensfehlerhaft (dazu 2.a).
Rechtsgrundlage für den Honoraranspruch der Klägerin ist § 87b SGB V i. V. m. dem Honorarverteilungsmaßstab (HVM) der Beklagten.
Nach dem ab Januar 2012 geltenden Honorarverteilungsmaßstab aufgrund des Beschlusses der Vertreterversammlung vom 10. März 2012 (HVM 2012), geändert durch Ergänzung des Honorarverteilungsmaßstabes (HVM) gem. § 87b Abs. 1 Satz 2 SGB V mit Wirkung zum 1. Oktober 2012 (Umsetzung der Vorgabe der KBV gemäß § 87b Abs. 4 SGB V, Teil E Stützung der Vergütung konservativ tätiger Fachärzte), der sich als Ergänzung zu § 87b SGB V und des Beschlusses des Bewertungsausschusses in seiner 218. Sitzung am 26. März 2010, zuletzt geändert durch Beschlüsse vom 29. Oktober 2010 (239. Sitzung, schriftliche Beschlussfassung), vom 24. November 2010 (242. Sitzung), vom 25. Januar 2011 (248. Sitzung) sowie die in der 253. Sitzung (schriftliche Beschlussfassung) bzw. 256. Sitzung (schriftliche Beschlussfassung) und in der 261. Sitzung getroffenen Beschlüsse (nachstehend vereinfachend „Beschluss des Bewertungsausschusses“ genannt) definiert (Präambel HVM 2012), erfolgt die Vergütung der Ärzte auf der Basis der gemäß § 87a Abs. 2 Satz 5 SGB V zum jeweiligen Zeitpunkt gültigen regionalen Euro-Gebührenordnung (Nr. 1.1. Abs. 1 HVM 2012). Es werden Regelleistungsvolumina und qualifikationsgebundene Zusatzvolumina (QZV) gebildet (Nr. 1.1 bis 1.4, 2.5 HVM 2012), was auch für die Fachgruppe des Klägers gilt (Nr. 2.1 Abs. 1 i. V. m. Anl. 1 HVM 2012). Die Zuweisung der Regelleistungsvolumina erfolgt praxisbezogen. Dabei ergibt sich die Höhe des Regelleistungsvolumens einer Arztpraxis aus der Addition der Regelleistungsvolumina je Arzt, die in der Arztpraxis tätig sind (Arztfall) (Nr. 1.3.1. HVM 2012). Dieser HVM wurde im Grundsatz fortgeführt und galt auch in den streitbefangenen Quartalen, worauf das Sozialgericht zutreffend hingewiesen hat.
Nach Ziff. 3.2.1. erhält jeder Arzt einer Arztgruppe gemäß Anlage 1 zum vorliegenden HVM erhält ein arztgruppenspezifisches Regelleistungsvolumen. Die Höhe des Regelleistungsvolumens eines Arztes ergibt sich für die in Anlage 1 zum vorliegenden HVM benannten Arztgruppen aus der Multiplikation des zum jeweiligen Zeitpunkt gültigen KV-bezogenen arztgruppenspezifischen Fallwertes (FWAG) gemäß den Vorgaben der Kassenärztlichen Bundesvereinigung gem. § 87b Abs. 4 SGB V und der RLV-Fallzahl des Arztes gemäß Nr. 2.5 im Vorjahresquartal für Ärzte der fachärztlichen Versorgungsebene bzw. im aktuellen Quartal für Ärzte der hausärztlichen Versorgungsebene (FZArzt). (…)
Der ermittelte RLV-Fallwert wird für jeden über 150 % der durchschnittlichen RLV-Fallzahl des Vorjahresquartals, bei RLV-Gruppen der hausärztlichen Versorgungsebene des aktuellen Quartals, der Arztgruppe gemäß Nr. 2.5 hinausgehenden RLV-Fall wie folgt gemindert:
• um 25 % für RLV-Fälle über 150 % bis 170 % der durchschnittlichen RLV-Fallzahl der Arztgruppe,
• um 50 % für RLV-Fälle über 170 % bis 200 % der durchschnittlichen RLV-Fallzahl der Arztgruppe,
• um 75 % für RLV-Fälle über 200 % der durchschnittlichen RLV-Fallzahl der Arztgruppe.
Aus Sicherstellungsgründen kann die Kassenärztliche Vereinigung Hessen im Einzelfall auf Antrag von der Minderung des Fallwertes abweichen. Für Ärzte, die ihre vertragsärztliche Tätigkeit in Planungsbereichen ausüben, in denen gemäß der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Bedarfsplanung (Bedarfsplanungs-Richtlinie) für die jeweilige Arztgruppe Unterversorgung festgestellt worden ist bzw. die von Unterversorgung bedroht sind, findet die Fallzahlabstaffelung gemäß Absatz 1 keine Anwendung.
Auf Antrag des Arztes und nach Genehmigung durch den Vorstand der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen können Leistungen über das arzt-/praxisbezogene Regelleistungsvolumen hinaus mit den Preisen der regionalen Euro-Gebührenordnung vergütet werden. Dies gilt insbesondere für folgende Fallgestaltungen:
Bei einer außergewöhnlich starken Erhöhung der Zahl der behandelten Versicherten aufgrund
- urlaubs- und krankheitsbedingter Vertretung eines Arztes der eigenen Berufsausübungsgemeinschaft
- urlaubs- und krankheitsbedingter Vertretung eines Arztes einer Arztpraxis in der näheren Umgebung der Arztpraxis
- Aufgabe einer Zulassung oder genehmigten Tätigkeit eines Arztes der eigenen Berufsausübungsgemeinschaft
- Aufgabe einer Zulassung oder genehmigten Tätigkeit eines Arztes in der näheren Umgebung der Arztpraxis
- eines außergewöhnlichen und durch den Arzt unverschuldeten Grundes, der zu einer niedrigeren Fallzahl des Arztes im Aufsatzquartal geführt hat. Hierzu zählt z. B. Krankheit des Arztes.
- der Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit in einem Planungsbereich, der für diese Arztgruppe von Unterversorgung betroffen bzw. von Unterversorgung bedroht ist und in dem die Sicherstellung der medizinischen Versorgung – auch nach Anwendung der Regelung gemäß Nr. 3.2.1, zweiter Absatz, Satz 3 - nicht in ausreichendem Maße gewährleistet ist.
Darüber hinaus kann auf Beschluss des Vorstandes der KV Hessen in begründeten Ausnahmefällen (Urlaub, Krankheit etc.) anstelle des entsprechenden Vergleichsquartals des Vorjahres ein anderes Quartal als Referenzquartal zugrunde gelegt werden. Der Vorstand der KV Hessen kann außerdem im Hinblick auf die Sicherstellung der ärztlichen Versorgung von einer Abstaffelung in Ausnahmefällen und auf Antrag ganz oder teilweise absehen und in begründeten Fällen Sonderregelungen beschließen. Dies gilt insbesondere für Praxisbesonderheiten, die sich aus einem besonderen Versorgungsauftrag oder einer besonderen, für die Versorgung bedeutsamen fachlichen Spezialisierung ergeben, wenn zusätzlich eine aus den Praxisbesonderheiten resultierende Überschreitung des durchschnittlichen Fallwertes der Arztgruppe von mindestens 20 % vorliegt (RLV und QZV). Der Vorstand der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen entscheidet hierüber im Einzelfall (Nr. 3.5 HVM 2012).
Der Vorstand der Beklagten hat am 28. Juli 2014 zur Anerkennung von Praxisbesonderheiten nach Ziff. 3.5. HVM beschlossen: „Sofern sämtliche Kriterien für eine Anerkennung der geltend gemachten Leistung(en) als Praxisbesonderheit erfüllt sind, ist der RLV-Fallwert dieser Leistung(en) unter Berücksichtigung der für alle haus- bzw. fachärztlichen Leistungen, die der RLV-/QZV-Systematik unterliegen, gültigen Auszahlungsquote des Vergleichsquartals (FÄ üblicherweise Vorjahresquartal, HÄ aktuelles Quartal) zu erhöhen (max. auf den eigenen individuellen Fallwert).“
1. Auf der Grundlage dieser Regelungen ist die von der Beklagten getroffene Sonderregelung im angefochtenen Widerspruchsbescheid vom 23. November 2016 bezüglich des Fallwertes insoweit zu beanstanden, als die Beklagte im angefochtenen Widerspruchsbescheid vom 23. November 2016 sowohl auf Tatbestands- als auch auf Rechtsfolgenseite, insbesondere bei der Ermittlung des arztindividuellen RLV-Fallwertes auf das vorjährige Aufsatzquartal abgestellt hat.
In seinem Urteil vom 20. Februar 2019 – L 4 KA 31/15 – hat der Senat ausgeführt:
„Bei der Berücksichtigung von Praxisbesonderheiten ist bei einer Sonderregelung bezüglich des RLV-Fallwerts grundsätzlich auf das aktuelle Quartal abzustellen. Maßgeblicher Grund hierfür ist, dass die Sonderregelung wegen der aktuellen Sicherstellung der ärztlichen Versorgung eingeräumt wird, wie bereits oben ausgeführt wurde. Dies ist auch ein Unterschied zur Bedeutung des sog. einjährigen Moratoriums bei der Würdigung der Situation von Aufbaupraxen; Ziel der dortigen Regelung ist es, dem Vertragsarzt die Chance zu eröffnen, durch Qualität und Attraktivität seiner Behandlung oder auch durch eine bessere Organisation seiner Praxis neue Patienten für sich zu gewinnen und so in legitimer Weise seine Position im Wettbewerb mit den Berufskollegen zu verbessern wobei die sog. Moratoriumsregelung die Wirkungen der Regelung in der Weise über den Umstand begrenzt, dass eine Praxis grundsätzlich eine Zeit lang an ihrem Praxis- und Honorierungsumfang festgehalten werden darf (BSG, Urteil vom 17. Juli 2013 – B 6 KA 44/12 R -, juris Rn. 17 und 43). Die Sonderregelung bezüglich des RLV-Fallwerts wegen Praxisbesonderheiten hat demgegenüber allenfalls sekundär den Vertragsarztwettbewerb im Blick, sondern trägt einer im öffentlichen Interesse des Versorgungsauftrags liegenden überdurchschnittlichen Leistungserbringung Rechnung. Die von der Beklagten aus dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 17. Juli 2013 – B 6 KA 44/12 R -, juris Rn. 39 und 43 zitierten Erwägungen stehen daher der Senatsauffassung nicht entgegen. Auch aus der Beschlusslage des (Erweiterten) Bewertungsausschusses folgt nichts anderes: Die Regelung über die Maßgeblichkeit des Vorjahresquartals in Teil F I.3.2.1 auf der Grundlage des Beschlusses vom 26. März 2010 mit Wirkung zum 1. Juli 2010 (DÄ 2010, Beilage zu Nr. 16) bei der Ermittlung des Regelleistungsvolumens je Arzt ist systematisch klar getrennt von der Regelung über Praxisbesonderheiten in F.I.3.7, die im Wesentlichen aus einer Öffnungsklausel zugunsten der Partner der Gesamtverträge besteht.
Auch Erwägungen der Verwaltungspraktikabilität greifen hiergegen nicht durch. Insoweit ist auf den Vortrag der Beklagten zu verweisen, dass nach ihrer eigenen Verwaltungspraxis in den zurückliegenden Jahren mal auf das Vorjahresquartal, mal auf das aktuelle Quartal abgestellt wurde. In der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist zudem anerkannt, dass dann, wenn die kassenärztliche Vereinigung das Regelleistungsvolumen nicht, wie gesetzlich vorgesehen, vor Beginn eines Quartals zuweisen könne, sie das Regelleistungsvolumen vorläufig zuweisen könne (vgl. BSG, Urteil vom 2. August 2017 – B 6 KA 7/17 R –, SozR 4-2500 § 87b Nr. 12). Dies wäre auch für die Sonderregelung praktikabel.
Die Rechtsprechung des Senats respektiert im gebotenen Umfang die Regelungsbefugnis der Gesamtverbände und den Ermessensspielraum der Beklagten. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Tatbestandsvoraussetzungen des Honorarverteilungsvertrages zwar im gesetzlichen Rahmen der Aushandlung unterliegen und insoweit auch der Disposition der Beklagten. Soweit sich die Gesamtverbände aber auf bestimmte Regelungen geeinigt haben, haben Gerichte die Aufgabe, diese Regelungen auf Tatbestandsseite letztverbindlich auslegen, da der Beklagten gerade kein Beurteilungsspielraum zukommt. Insoweit ist es Aufgabe der Judikative, eine einheitliche Verwaltungspraxis sicherzustellen und sachlich nicht begründete, und auch im HVV jenseits von 3.5. Satz 3 nicht vorgesehene Wechsel bei der Betrachtungsweise des maßgeblichen Quartals durch die Beklagte zu verhindern. Lediglich hinsichtlich der Art und Umfang der Gewährung einer Sonderregelung kommt ihr ein rechtsfolgenseitiges Ermessen zu.“
Der Senat bestätigte in der vorgenannten Entscheidung seine Ausführungen im Urteil vom 30. November 2016 – L 4 KA 69/14 – juris Rn. 84 ff.:
Nach „Ziffer 3.5 Satz 5 HVM, […] ist in einem ersten Schritt festzustellen, in welchem Umfang der durchschnittliche Fallwert der Arztgruppe überschritten wird. Diesem ist hierfür, wie auch von der Beklagten angenommen, der arztindividuelle Fallwert gegenüberzustellen, wobei Ausgangspunkt für die Prozentberechnung der Fallwert der Arztgruppe ist.
Allerdings ist, entgegen der Auffassung der Beklagten, Bezugszeitraum für die maßgeblichen Zahlen nicht das Aufsatzquartal, sondern das Quartal, für das die Sonderregelung gefordert wird. Das folgt aus dem Sinn und Zweck der Norm. Denn die Sonderregelung wird wegen der Sicherstellung der ärztlichen Versorgung eingeräumt. Ihre vorrangige Aufgabe ist es daher gerade nicht, einen Arzt unter Berücksichtigung von dessen wirtschaftlichen Interessen individuell zu begünstigen, sondern es geht maßgeblich darum, eine ausreichende Versorgung der Versicherten zu gewährleisten. Dass der Arzt seine Leistungserbringung über das ihm zuerkannte Regelleistungsvolumen hinaus ausgeweitet hat, wird insofern ausdrücklich gebilligt. Angesichts dieser Sachlage gibt es keine nachvollziehbaren Gründe, das RLV nicht sofort, sondern erst mit einjähriger Verzögerung anzupassen, indem die Werte statt dem aktuellen dem jeweiligen Aufsatzquartal entnommen werden.
Eine solche Auslegung der Bestimmung führt auch nicht dazu, dass sie verwaltungstechnisch nicht mehr umsetzbar wäre. Zwar trifft es zu, dass eine konkrete Berechnung erst nach dem Quartal, für das die Sonderregelung begehrt wird, stattfinden kann. Das ist aber unbedenklich. Zum einen steht sowieso erst nach Ablauf des jeweiligen Quartals fest, ob das RLV tatsächlich überschritten wurde und damit Bedarf an einer Erhöhung in Form einer Sonderregelung gegeben ist. Zum anderen gibt es ausreichende Möglichkeiten, z.B. durch eine vorläufige Bescheidung, bei Bedarf schon vorab, bevor die maßgeblichen Zahlen feststehen, eine Sonderregelung einzuräumen.“
Die hiergegen von der Beklagten vorgebrachten Argumente greifen nicht durch, denn die hinlänglich beschriebenen Zwecksetzungen der Sonderregelung begrenzen sowohl Tatbestand als auch Rechtsfolge der Ziff. 3.5. Satz 5 HVM. Nach der von der Beklagten vorgenommenen Berechnung fallen zudem die Ermittlung der Voraussetzungen der Sonderregelung und Ermessensausübung in der Rechtsfolge in einem Schritt zusammen, wie insbesondere die Berücksichtigung der Auszahlungsquote zeigt (dazu 2.). Bereits deshalb erscheint die von der Beklagten mit ihrer Berufungsargumentation vorgenommenen Differenzierung lebensfremd, da sie sie selbst nicht so praktiziert.
Soweit die Beklagte auf Aspekte der Verwaltungspraktikabilität verweist, verlangt die Senatsrechtsprechung von ihr nichts Unmögliches, wie bereits die o.g. Zitate zeigen. Auch hat der Senat anerkannt, dass dann, wenn bei der Entscheidung über einen – außerhalb des Verfahrens der Honorarbescheidung gestellten – Antrag auf Sonderregelung die aktuellen Daten noch nicht vorliegen, d.h. auch objektiv noch nicht vorliegen können, auf das Aufsatzquartal abgestellt werden darf (Senatsurteil vom 11. April 2018 – L 4 KA 61/16). Da sich nach Auffassung des Senats Praxisbesonderheiten auch noch im Laufe des jeweiligen Quartals ergeben können, ist jedenfalls dann, wenn im Rahmen der Honorarabrechnung und/oder dieser zeitlich nachgelagert über Anträge auf Sonderregelung zu entscheiden ist, auf die Abrechnungswerte des aktuellen Quartals abzustellen (Senatsurteil vom 11. April 2018 – L 4 KA 61/16). Soweit hier Probleme bei der Fallwertermittlung der Fachgruppe denkbar sind, sind Ungenauigkeit, die dadurch entstehen, dass eine den Fachgruppendurchschnitt beeinflussende Sonderregelung bei dem einen oder anderen Arzt noch getroffen werden muss, also noch nicht feststeht, hinzunehmen.
2. Bei der Berechnung hat die Beklagte die aus dem Beschluss des Vorstandes vom 28. Juli 2014 folgende Selbstbindung missachtet, was zu einem Ermessensfehler führt. Nur insoweit hat die Berufung des Klägers Erfolg.
Im Ausgangspunkt zutreffend hat das Sozialgericht darauf hingewiesen, dass sich bei der Berücksichtigung der sog. Auszahlungsquote Elemente der Anerkennung einer Sonderregelung und der Rechtsfolge einer begrenzenden Wirkung der Quotierung miteinander „verschränken“. Entgegen der Auffassung des Klägers begegnet die Berücksichtigung der Auszahlungsquote als solche bei der Bestimmung der Sonderregelung keinen Bedenken; entgegen der Auffassung der Beklagten ermöglicht es die „Übersetzung“ des Vorstandsbeschlusses vom 28. Juli 2014 in eine Formel allerdings nicht, am Ende der Berechnung in der Rechtsfolge als Kappungsgrenze einen nochmals quotierten arztindividuellen Fallwert als Obergrenze anzunehmen (2. a.). Auch hier ist die Auszahlungsquote des aktuellen Quartals maßgeblich (2. b.).
a) Die „Berücksichtigung der Auszahlungsquote“ ist im Beschluss des Vorstandes vom 28. Juli 2014 in mehrdeutiger Weise geregelt: Der RLV-Fallwert dieser Leistung(en) (d.h. die Leistungen, die die Praxisbesonderheit begründen) ist „unter Berücksichtigung der für alle haus- bzw. fachärztlichen Leistungen, die der RLV-/QZV-Systematik unterliegen, gültigen Auszahlungsquote des Vergleichsquartals (FÄ üblicherweise Vorjahresquartal, HÄ aktuelles Quartal)“ zu erhöhen. Was dabei „berücksichtigen“ heißen kann, hat das Sozialgericht mit zwei Varianten dargelegt. In Übereinstimmung mit den Ausgangsüberlegungen des Sozialgerichts geht auch der Senat davon aus, dass zunächst der (Teil)Fallwert der anerkannten Praxisbesonderheit zu ermitteln ist. Bereits dieser (Teil)Fallwert ist mit der sog. Auszahlungsquote als Prozentwert zu multiplizieren. Die Summe aus RLV-Fallwert der Fachgruppe - also dem ursprünglichen Fallwert zur Berechnung des RLV - und quotiertem (Teil)Fallwert aufgrund der anerkannten Praxisbesonderheit als rechnerisches Zwischenergebnis ist sodann mit dem maximal erreichbaren Wert der Sonderregelung in Gestalt des arztindividuellen RLV-Fallwert zu vergleichen. Ist die Summe aus RLV-Fallwert der Fachgruppe und dem quotiertem (Teil)Fallwert aufgrund der anerkannten Praxisbesonderheit niedriger, so ist die Praxisbesonderheit mit diesem Wert anzuerkennen. Übersteigt sie den arztindividuelle RLV-Fallwert, so greift dieser als Deckelung. Für diese Lösung und gegen die vom Sozialgericht erwogene, aber letztlich verworfene Variante, zunächst unabhängig von Quotierungsgesichtspunkten den Umfang der Sonderregelung zu ermitteln und dann den hieraus rechnerisch resultierenden Nachvergütungsanspruch zu quotieren, spricht der Wortlaut der Regelung, dass die Berücksichtigung der Auszahlungsquote bei der Fallwerterhöhung verortet.
Beispielhaft sei dies für das Quartal I/2015 erläutert: Hier beträgt die Summe aus RLV-Fallwert der Fachgruppe, nämlich 22,75 €, und quotiertem (Teil)Fallwert aufgrund der anerkannten Praxisbesonderheit, nämlich 26,19 € multipliziert mit einer allerdings fehlerhaft ermittelten Auszahlungsquote (siehe unten unter b) von 0,751540 = 19,68 €, insgesamt 42,43 €. Diesem wird nach dem eindeutigen Wortlaut des Vorstandsbeschlusses der arztindividuelle RLV-Fallwert als Höchstwert gegenübergestellt, hier 40,78 €.
Entgegen der Auffassung der Beklagten und des Sozialgerichts unterliegt dieser Höchstwert aber nicht der Quotierung anhand der Auszahlungsquote. Hiergegen spricht der Wortlaut des Vorstandsbeschlusses vom 28. Juli 2014, nach dem der Klammerzusatz „(max. auf den eigenen individuellen Fallwert)“ ganz an das Ende des Satzes gestellt wurde und innerhalb der Klammer eine Bezugnahme auf die Auszahlungsquote fehlt. Die Erwägung der Beklagten, dass durch die Praxisbesonderheit die aus der Überschreitung des RLV folgende Abstaffelung nicht vollständig ausgeglichen werden solle und auch nicht vollständig ausgeglichen werden müsse, greift gegen diese wortlautorientierte Auslegung, die für untergesetzliche Vergütungsvorschriften geboten ist (vgl. u.a. BSG, Urteil vom 25. November 2020 – B 6 KA 14/19 R –, juris), nicht durch. Wie die obige Berechnung zeigt, bleibt bei der hier vorgenommenen Auslegung das von der Beklagte intendierte Ziel eines nur begrenzten Ausgleichs erhalten. Demgegenüber zeigt die von der Beklagten vorgenommene Berechnung, dass sich die letztlich ermessensleitende Idee einer Addition von RLV-Fallwert der Fachgruppe und dem quotiertem (Teil)Fallwert aufgrund der anerkannten Praxisbesonderheit nur selten verwirklichen ließe, wenn am Ende das Ergebnis auf eine vollständige Quotierung des arztindividuellen Fallwerts anhand der Auszahlungsquote begrenzt würde. Aus den dem Vorstandsbeschluss beigefügten Probeberechnung ergibt sich zur Auslegung nichts, da sie nicht so fein aufgeschlüsselt sind, um Aufschluss für das hiesige Berechnungsproblem zu geben.
b) Die auf das RLV bezogene Sonderregelung besteht nach Ziff. 3.5. i.V.m. dem Vorstandsbeschluss vom 28. Juli 2014 gerade in der unter a) beschriebenen Korrektur des Fallwertes als Berechnungsfaktor des RLV. Aus den unter 1. genannten Gründen ist aber auch hier auf das aktuelle Quartal abzustellen. Nach dem Wortlaut des Beschlusses vom 28. Juli 2014 ist die Berücksichtigung der Auszahlungsquote des aktuellen Quartals möglich: Dort heißt es zum maßgeblichen Vergleichsquartal: „FÄ üblicherweise Vorjahresquartal, HÄ aktuelles Quartal“. Insoweit muss hier die Üblichkeit der Zweckmäßigkeit weichen. Aus den Erwägungen, die der Senat in seiner unter 1. dargestellten Rechtsprechung angestellt hat, folgt nämlich für die Rechtsfolgenseite eine Ermessensgrenze unter dem Gesichtspunkt der Zweckgerichtetheit der Ermessensausübung.
3. Ebenfalls aus Ziff. 3.5. Satz 5 HVM i.V.m. dem genannten Vorstandsbeschluss folgt, dass im Rahmen der Sonderregelung kein Raum für einen Verzicht auf die Abstaffelung bei Überschreitung des Regelleistungsvolumens bleibt. Die Abstaffelungsregelung als solche, die auf Vorgaben des Bewertungsausschusses, ist mit höherrangigem Recht vereinbar; insoweit nimmt der Senat auf die Entscheidungsgründe der angegriffenen Gerichtsbescheide Bezug.
4. Systematisch zwingend kann ein Verzicht auf die Abstaffelung nur nach Ziff. 3.2.1. beansprucht werden, dessen Voraussetzungen nicht vorliegen. Diese Ausnahmeregelung unterliegt der hiesigen Prüfung, da sich der Kläger zumindest konkludent hierauf berufen hat und die Beklagte das Absehen von der Abstaffelung auch im Widerspruchsbescheid geprüft und abgelehnt hat.
Die Berufung auf eine „faktische Unterversorgung“ bzw. die Schilderung des Umstandes, dass die Versorgung durch die geringeren Fallzahlen der Ärzte des MVZ des Klinikums B-Stadt geprägt sei, ist nicht hinreichend substantiiert, um sie als neben der Unterversorgung als „außergewöhnlichen Grund“ anzuerkennen.
Nach der Rechtsprechung des Senates können nach den Kriterien zu Ausnahmen von der Abstaffelung über das arzt-/praxisbezogene RLV hinaus Leistungen mit den Preisen der regionalen Euro-Gebührenordnung vergütet werden. Es handelt sich bei dem Begriff des „außergewöhnlichen Grundes“ um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der gerichtlich voll überprüfbar ist. Der Auffassung, nach Sinn und Zweck der Regelung könne es nur ein dem aufgeführten Beispiel der Krankheit gleichwertiger Grund sein, aus dem heraus die ärztliche Tätigkeit über einen gewissen Zeitraum nicht ausgeübt wurde, der eine Mindestzeit von zwei Wochen erreichen müsse, weil ansonsten eine merkliche Fallzahlminderung im Aufsatzquartal nicht verursacht werden könne, kann nicht gefolgt werden; eine solche Auslegung erweist sich als zu restriktiv. Denkbar sind auch Fälle einer länger andauernden Erkrankung mit intensivem regelmäßigem Behandlungsbedarf (z.B. Dialyse-Behandlungen, Chemotherapie), die aufgrund ihrer Schwere dazu führen, dass über einen längeren Zeitraum eine Praxisführung nur unter eingeschränkten (zeitlichen) Bedingungen möglich ist, ohne dass es dabei zu einer Praxisschließung kommen muss. Andere Fallgestaltungen können daher zu berücksichtigen sein, wenn sie eine vergleichbare - außergewöhnliche - Qualität haben, wobei es ausdrücklich auf ein Verschulden nicht ankommt. Wie an dem Beispiel Krankheit ersichtlich, müssen solche Gründe jedoch nicht so außergewöhnlich sein, dass sie praktisch nie vorkommen oder völlig unvorhersehbar sind (vgl. Senatsbeschluss vom 21. Dezember 2009 - L 4 KA 77/09 B ER - juris Rn. 47).
Weitere Mängel der angegriffenen Bescheide in anderen Bereichen der Honorarberechnung sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 und § 155 Abs. 1 VwGO i.V.m.§ 197a SGG.
Revisionszulassungsgründe sind nicht ersichtlich.