1. Im Verfahren der Erinnerung über den Kostenansatz nach § 66 GKG ist die Kostengrundentscheidung des Gerichts und die Streitwertfestsetzung grundsätzlich verbindlich und nicht nachzuprüfen.
2. Die Nichterhebung von Gerichtskosten aufgrund unrichtiger Sachbehandlung nach § 21 GKG kommt auch bei einer unrichtigen Kostengrundentscheidung in Betracht, wenn ein eindeutiger und schwerer Mangel vorliegt, der zu Mehrkosten geführt hat. Ein solcher Fall liegt vor, wenn die gesetzliche Regelung in § 197a SGG i.V.m. § 160 VwGO nicht beachtet wird.
3. Die Gebührenermäßigung KV-Nr. 7111 findet Anwendung bei einem Verfahrensabschluss durch gerichtlichen Vergleich, wenn anschließend nur noch unter Bezugnahme auf die gesetzliche Regelung über die Kosten zu entscheiden ist.
Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Reutlingen vom 11.01.2023 (S 10 SF 2577/21 E) aufgehoben und der Kostenansatz der Kostenbeamtin dieses Gerichts vom 18.08.2021 abgeändert.
Die von der Klägerin noch zu zahlenden Gerichtskosten für das Verfahren S 10 R 2239/14 werden auf 1.055,95 € festgesetzt. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Das Verfahren ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
I.
Die Klägerin wendet sich in der Sache gegen die Höhe der von ihr geforderten Gerichtsgebühren in einem kostenpflichtigen Klageverfahren wegen Betriebsprüfung.
Im Klageverfahren S 10 R 2239/14 schlossen die dortigen Beteiligten im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 11.12.2018 vor dem Sozialgericht Reutlingen (SG) folgenden Vergleich: „Die Beklagte erteilt einen Ausführungsbescheid anhand der Berechnung vom 6. Oktober 2017 (vergleiche Bl. 59/62 der Gerichtsakte). Die Klägerin erklärt den Rechtsstreit damit für erledigt.“ Nachfolgend setzte das SG mit Beschluss vom 19.02.2019 den Streitwert für dieses Verfahren auf 706.064,23 € fest.
Mit Anhörungsmitteilung vom 10.12.2019 wies das SG die Beteiligten des Hauptsacheverfahrens darauf hin, dass in dem Vergleich leider versäumt worden sei, die Kostenverteilung zu regeln. In Anbetracht des lediglich geringen Obsiegens sehe das Gericht kaum Anhaltspunkte für eine Kostentragungspflicht der Beklagten. Die Klägerin äußerte hierzu, dass sie von Kostenaufhebung ausgehe, da keine andere Regelung getroffen worden sei. Mit Beschluss vom 27.04.2021 entschied das SG, dass die Klägerin die Kosten des Verfahrens trage. Unter Bezugnahme auf die Vorschriften des § 197a Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. §§ 154 ff. Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) führte es zur Begründung aus, die Reduzierung der Gesamtforderung um etwas mehr als 1% falle nicht ins Gewicht, weshalb die Klägerin die Kosten des Verfahrens zu tragen habe. Die dagegen eingelegte Beschwerde der Klägerin verwarf das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg mit Beschluss vom 26.07.2021 (L 8 BA 1701/21 B) als unzulässig (§ 197a SGG i.V.m. 158 Abs. 2 VwGO).
Mit Kostenansatz vom 18.08.2021 hat die Kostenbeamtin des SG die Gerichtsgebühren ausgehend von den rechtskräftigen Beschlüssen vom 19.02.2019 und 27.04.2021 i.H.v. 12.276,05 € festgesetzt (Verfahrensgebühr KV-Nr. 7110: 13.308 € und Aktenversendungspauschale KV-Nr. 9003: 12 € abzüglich des von der Klägerin bereits gezahlten Kostenvorschusses i.H.v. 1.043,95 €).
Mit ihrer Erinnerung moniert die Klägerin, dass der Beschluss vom 27.04.2021 ersichtlich falsch sei, denn es handele sich unzweifelhaft um einen Fall des § 197a SGG i.V.m. § 160 VwGO. Die im Gesetz genannte Rechtsfolge sei zwingend, das SG könne sich hierüber nicht einfach durch einen (auch noch unanfechtbaren) Beschluss hinwegsetzen.
Die Erinnerung hat das SG mit Beschluss vom 11.01.2023 (S 10 SF 2577/21 E) zurückgewiesen. Im Verfahren der Erinnerung über den Kostenansatz sei die Kostengrundentscheidung vom 27.04.2021, wonach die Klägerin zur alleinigen Kostenschuldnerin bestimmt worden sei, ebenso wie die Festsetzung des Streitwertes grundsätzlich verbindlich und nicht nachzuprüfen.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Klägerin vom 16.01.2023. Sie verweist erneut darauf, dass die Kostengrundentscheidung des SG ersichtlich falsch sei und der Klägerin hier Rechtsschutz zustehen müsse. Sollte auch im Erinnerungsverfahren keine Möglichkeit bestehen, die evident rechtswidrige Kostengrundentscheidung zu beseitigen, bliebe nur der Weg der Amtshaftung.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die beigezogene Akte L 8 BA 1701/21 B Bezug genommen.
II.
Gemäß § 66 Abs. 6 Satz 2 Gerichtskostengesetz (GKG) entscheidet der nach dem Geschäftsverteilungsplan für Kostensachen zuständige 10. Senat in voller berufsrichterlicher Besetzung ohne Beteiligung ehrenamtlicher Richter (§ 66 Abs. 6 Satz 3 GKG), weil die Einzelrichterin das Verfahren wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache auf den Senat übertragen hat.
Der Senat hat von Amts wegen das Rubrum geändert, da bei einer Erinnerung des Kostenschuldners gegen den Kostenansatz die Staatskasse und nicht der Gegner des Hauptsacheverfahrens verfahrensbeteiligt ist (vgl. Finanzgericht [FG] Sachsen-Anhalt 08.03.2019, 3 KO 169/19, m.w.N., zitiert - wie sämtliche Rechtsprechung - nach juris; Volpert in Schneider/Volpert/Fölsch, 3. Aufl., NK-GK, § 66 GKG Rn. 52).
Die statthafte Beschwerde (§ 66 Abs. 2 Satz 1 GKG) der Klägerin ist zulässig und im ausgesprochenen Umfang begründet.
Die Gerichtsgebühren sind - abweichend von der Festsetzung der Kostenbeamtin - lediglich i.H.v. 4.436 € (zzgl. 12 € Aktenversendungspauschale) zunächst grundsätzlich entstanden. Das Klageverfahren ist durch den gerichtlichen Vergleich beendet worden, denn dieser erledigt den Rechtsstreit unmittelbar kraft Gesetzes, soweit sein Inhalt reicht (Roller in Berchtold, SGG, 6. Aufl., § 101 Rn. 16; Müller in BeckOGK SGG, Stand 01.02.2023, § 101 Rn. 29; Stäbler in jurisPK-SGG, § 101 Rn. 26). Hier war ersichtlich von den Beteiligten des Hauptsacheverfahrens eine abschließende Neuberechnung der Nachforderung aus der Betriebsprüfung entsprechend der vorliegenden und in Bezug genommenen Berechnung gewollt. Es ist daher unschädlich, dass (deklaratorisch) nur die (einseitige) Erledigungserklärung der Klägerin protokolliert wurde, die in kostenpflichtigen Verfahren zur Verfahrensbeendigung nicht ausreicht, da sie nicht einer Klagerücknahme gleichgesetzt werden kann (vgl. Burkiczak in jurisPK-SGG, § 102 Rn. 35). Ersichtlich ist vorliegend auch die Beklagte von einer Erledigung des Verfahrens ausgegangen.
Im Verfahren der Erinnerung über den Kostenansatz nach § 66 Abs. 1 Satz 1 GKG ist die Kostengrundentscheidung des Gerichts, die hier die Klägerin zur Kostenschuldnerin bestimmt hat (§ 29 Nr. 1 GKG), ebenso wie die Festsetzung des Streitwerts grundsätzlich verbindlich und nicht nachzuprüfen (vgl. Bundessozialgericht [BSG] 30.07.2021, B 5 SF 12/12 S; BSG 08.03.2021,
B 2 U 2/21 S; Bundesgerichtshof [BGH] 04.09.2017, II ZR 59/16). Ausgehend vom Streitwert i.H.v. 706.064,23 € ergibt sich die Gebühr für das Verfahren im Allgemeinen nach KV-Nr. 7110 i.V.m. § 34 Abs. 1 GKG (i.d.F. vom 27.02.2014, BGBl. I S. 154) i.H.v. 13.308 € (3,0-facher Satz). Vorliegend greift entgegen der Festsetzung im Kostenansatz jedoch der Ermäßigungstatbestand nach KV-Nr. 7111 Nr. 3 (Beendigung des Verfahrens durch gerichtlichen Vergleich oder angenommenes Anerkenntnis), so dass nur eine Gebühr nach dem 1,0-fachen Satz i.H.v. 4.426 € angefallen ist. Zwar ist für alle Alternativen der KV-Nr. 7111 - und nicht nur für die dortige Nr. 4 - eine „Beendigung des gesamten Verfahrens“ und damit auch im Kostenpunkt erforderlich (Bayerisches LSG 12.01.2016, L 15 SF 47/15 E m.w.N.; Hartmann, Kostengesetze online, Stand 11/2022, 1711 Rn. 1, 1211 Rn. 3). Nicht jede nach Verfahrensbeendigung zu treffende Kostengrundentscheidung verbietet indes die Anwendung der Kostenermäßigung, was sich schon daraus ergibt, dass nach § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 161 Abs. 1 VwGO grundsätzlich ein gerichtlicher Beschluss über die Kosten zu erfolgen hat (Bayerisches LSG 04.04.2012, L 12 SF 268/11 B E; a.A. LSG Thüringen 20.09.2011, L 6 SF 701/11 B). Beschränkt sich der gerichtliche Kostenbeschluss auf die Nennung einer sich bereits eindeutig aus dem Gesetz ergebenden Kostenfolge - wie es hier richtigerweise der Fall gewesen wäre -, steht dies einer Gebührenermäßigung nicht entgegen (Bayerisches LSG 12.01.2016, a.a.O., m.w.N.). Für die entstandenen Gebühren ist die Klägerin, wie oben dargelegt, Kostenschuldnerin.
Im vorliegenden Fall sind indes die Voraussetzungen für eine ausnahmsweise Nichterhebung von Gerichtskosten aufgrund unrichtiger Sachbehandlung gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 GKG gegeben. Nach dieser Bestimmung werden Kosten, die bei richtiger Behandlung der Sache nicht entstanden wären, nicht erhoben. Die Vorschrift ist auch im Rahmen einer Kostenerinnerung anzuwenden (vgl. BGH 10.10.2022, IX ZB 41/21; BSG 30.07.2021, B 5 SF 12/21 S). Der Einwand, dass Gerichtskosten nach den gesetzlichen Vorschriften nicht oder nicht in der festgesetzten Höhe angefallen sind und deshalb die Kostengrundentscheidung unrichtig ist, wird durch den Grundsatz der Verbindlichkeit der Kostenentscheidung nicht abgeschnitten (vgl. BSG 08.03.2021, B 2 U 2/21 S; BGH 21.09.2007, 2 StR 307/07). Eine Nichterhebung kommt jedoch nur dann in Betracht, wenn ein offenkundiger und eindeutiger, einen schweren Mangel begründender Verstoß des Gerichts gegen gesetzliche Vorschriften vorliegt und diese unrichtige Sachbehandlung für das Entstehen von (Mehr-)Kosten ursächlich geworden ist (vgl. BGH 10.10.2022, a.a.O.; BSG 08.03.2021, a.a.O.; Bundesfinanzhof [BFH] 19.10.2011, IX E 9/11; Toussaint in Toussaint, Kostenrecht, 52. Aufl., § 21 GKG Rn. 14 ff.; Dörndorfer in BeckOK Kostenrecht, Stand 01.01.2023, § 21 GKG Rn. 3 m.w.N.).
Ein solcher Fall liegt hier vor. Die gerichtliche Kostengrundentscheidung missachtet die gesetzliche Regelung in §§ 197a SGG i.V.m. § 160 VwGO. Danach gilt: Wird der Rechtsstreit durch Vergleich erledigt und haben die Beteiligten keine Bestimmung über die Kosten getroffen, so fallen die Gerichtskosten jedem Teil zur Hälfte zu Last und die außergerichtlichen Kosten trägt jeder Beteiligte selbst. Hier haben die Beteiligten einen gerichtlichen Vergleich zur Erledigung des Verfahrens geschlossen (dazu oben), ohne eine Kostenentscheidung getroffen oder diese dem Gericht vorbehalten zu haben. Insbesondere ist die Kostenfrage nicht bewusst ausgeklammert worden, um abweichend von dem gesetzlichen Automatismus des § 160 VwGO eine fallbezogene gerichtliche Entscheidung nach Maßgabe des § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 161 Abs. 2 VwGO herbeizuführen. Die mit Beschluss vom 27.04.2021 getroffene Kostengrundentscheidung stellt daher einen offensichtlichen Verstoß gegen klare gesetzliche Regelungen dar, denn der Klägerin hätte nur die Hälfte der Gerichtskosten auferlegt werden dürfen. Diese unrichtige Sachbehandlung im Rahmen der Kostengrundentscheidung hat zur Belastung der Klägerin mit Gerichtskosten geführt, die bei ihr unter Beachtung der gesetzlichen Regelung nach § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 160 VwGO nicht angefallen wären.
Die Gerichtskosten sind daher nur in Höhe der Hälfte der (ermäßigten) Verfahrensgebühr (KV-Nr. 7111) und damit i.H.v. 2.218 € anzusetzen zuzüglich der Aktenversendungspauschale von 12 €, für die nach § 28 Abs. 2 GKG allein die Klägerin Kostenschuldnerin ist, und abzüglich des gezahlten Vorschusses von 1.043,95 €, so dass sich im Ergebnis ein von der Klägerin noch zu zahlender Betrag i.H.v. 1.055,95 € ergibt.
Da die Klägerin nicht genau beziffert hat, in welcher Höhe sie die festgesetzten Gerichtskosten für zutreffend hält, wird die Beschwerde klarstellend im Übrigen zurückgewiesen.
Lediglich am Rande und rein vorsorglich weist der Senat die Staatskasse noch darauf hin, dass die beklagte Rentenversicherung auf der Grundlage des Beschlusses des SG vom 27.04.2021 weiterhin nicht Kostenschuldnerin ist. Die Nichterhebung von Kosten bei der Klägerin nach § 21 Abs. 1 Satz 1 GKG ändert daran nichts.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 66 Abs. 8 GKG.
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).