L 3 U 178/18

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3.
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 187 U 287/15
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 3 U 178/18
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse zur Frage und zum Umfang eines erhöhten Blasenkrebsrisikos durch berufliche Einwirkung aromatischer Amine im Niedrig-Dosis-Bereich liegen derzeit nicht vor. So kann weder eine „sichere Dosis“ noch eine Dosis angegeben werden, bei der sich das Normalrisiko verdoppelt.

Der Abschlussbericht zum Vorhaben „Erarbeitung einer Expositionsabschätzung für das Harnblasenkrebsrisiko durch aromatische Amine und Einschätzung der Auswirkung der Erkrankung Harnblasenkrebs auf die Erwerbstätigkeit“ spiegelt den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand wider.

Es ist Konsens, dass die Allgemeinbevölkerung gegenüber aromatischen Aminen ubiquitär exponiert ist und der alleinige Nachweis einer beruflichen Exposition nicht belegen kann, dass ein Harnblasenkarzinom durch die beruflichen Einflüsse wesentlich mitverursacht worden ist .

Das Fehlen einer wissenschaftlich begründbaren Dosis-Wirkungs-Beziehung führt weder dazu, dass auf die Überprüfung einer arbeitstechnischen Exposition verzichtet werden kann, noch dazu, dass bereits eine minimale Exposition als wesentlicher Verursachungsfaktor anerkannt werden kann.

Bei der Beurteilung des Ursachenzusammenhangs im Rahmen der BK 1301 sind die gesamten Umstände des Einzelfalls einzubeziehen. Neben dem Raucherstatus, der bei der Frage der Wesentlichkeit der Verursachung zu beachten ist, kommt es für den Ursachenzusammenhang bei der BK 1301 auf die Höhe der Exposition, die Einwirkungsintensität, die Dauer der beruflichen Belastung, das Erkrankungsalter sowie die Latenzzeit an.

 

 

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 30. Juli 2018 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

 Streitgegenstand ist die Anerkennung einer Blasenkrebserkrankung als Berufskrankheit nach Nr. 1301 der Anlage 1 der Berufskrankheitenverordnung (BKV; im Folgenden: BK 1301).

Die am 27. Juni 1937 geborene Klägerin absolvierte vom 01. September 1953 bis zum 31. Januar 1957 ein Studium an der Fachschule für Chemie in H bzw. in K. Anschließend war sie vom 01. Februar 1957 bis zum 31. August 1963 als Chemieingenieurin im Betriebslabor im damaligen VEB Kombinat O in B tätig. Dort war sie im Bereich der Kohle-, Chemie- und Benzinherstellung eingesetzt. Überwiegend hatte sie Braunkohle auf den Wassergehalt sowie deren Verbrennungsprodukte zu untersuchen. Zu ihrer Tätigkeit gehörte zudem die Entnahme und Untersuchung von Braunkohlenteerproben aus der Schwelerei. Hierzu musste sie sich zum Teil bis zu dreimal täglich zur ca. 500 m entfernten Schwelerei begeben, ein Ventil der Anlage öffnen und aus der ca. 10 cm großen Öffnung etwas Teer in einen kleinen Behälter abzapfen. Den Behälter verschloss sie luftdicht mit einem Deckel, trug ihn zum Labor, entnahm etwa 50 bis 100 g, untersuchte den Teer im Erlmeyerkolben und ließ die Reste entsorgen. Die Klägerin gab an, hiermit ca. zwei bis drei Stunden in der Woche beschäftigt gewesen zu sein. Bei der Benzinherstellung arbeitete sie mit Bleitetraäthyl, das eine rote Farbe hatte und stark flüchtig war. Die Substanz wurde in dickwandigen Flaschen aufbewahrt, die in einem verschlossenen Schrank standen. Die Substanz wurde mit Pipetten entnommen und zum Benzin gegeben. Der Laborarbeitsplatz der Klägerin war an drei der Seiten mit Wänden versehen und verfügte über einen Abzug, der nach draußen führte. Vom 01. September 1963 bis zum 31. August 1964 war die Klägerin im Betriebslabor des P S mit der analytischen Überwachung der Produktion beschäftigt. Während ihrer nachfolgenden Aus- und Weiterbildungen bzw. Tätigkeiten war sie keinen Stoffeinwirkungen ausgesetzt. Seit dem 01. Juli 2002 bezieht die Klägerin eine Altersrente.

Die Klägerin litt im Januar 2009 unter Miktionsbeschwerden. Im April 2011 ergab ein nach positivem NMP22-Test erhobener pathologisch-anatomischer Befund eine geringgradige chronische Urozystitis mit diskreter Urothelhyperplasie ohne Malignitätsverdacht. Im Urin erfolgte der Nachweis einer bakteriellen Mischflora mit gering entzündlichem Zellbild und ohne Nachweis von atypischen Zellen. Im Mai 2014 traten erneut Beschwerden der Harnblase auf. Bei einer Abdomensonografie wurde im Mai 2014 ein auffälliger Blasenwandbefund und bei einer Zystoskopie vom 17. Juni 2014 ein Tumor an der Harnblasenwand festgestellt. Der Tumor wurde während eines stationären Aufenthalts vom 27. Juni 2014 bis zum 02. Juli 2014 mittels transurethraler Resektion mit Übernähung der bei der Operation perforierten Blasenwand entfernt. Histologisch stellte sich ein Harnblasentumor mit einer papillären urothelialen Neoplasie mit niedrigem Malignitätspotential (PUNLMP) dar.

Der Facharzt für Urologie B zeigte am 08. Juli 2014 den Verdacht auf das Vorliegen einer Berufskrankheit bei der Beklagten an. Die Beklagte holte daraufhin einen Befundbericht der Hausärztin R und des Facharztes für Urologie B vom 18. August 2014 sowie ein Vorerkrankungsverzeichnis der Krankenversicherung der Klägerin in Bezug auf Harnwegserkrankungen ein. Sie befragte die Klägerin zur konkreten Tätigkeit in den Jahren 1957 bis 1964. Die Klägerin gab in dem von ihr am 14. Oktober 2014 ausgefüllten Formular an, von Februar 1957 bis August 1963 beim VEB O in B und dort in verschiedenen Betriebslaboratorien in der Kohlechemie und Benzinherstellung tätig gewesen zu sein. Sie habe verschiedene Laboruntersuchungen von Zwischen- und Endprodukten der Benzinherstellung aus Kohleprodukten sowie der Synthesegaserzeugung vorgenommen. Sie habe Umgang mit Schwelereiprodukten, aromatischen Kohlenwasserstoffen, Benzin und dessen Verbleiung, Dieselkraftstoffen und Gasproben gehabt. Ihrer Meinung nach sei sie keinen aromatischen Aminen ausgesetzt gewesen. In dem Werk habe eine starke Umweltbelastung bestanden. Es habe die üblichen Laborabzüge gegeben, Atemschutzmasken seien nicht vorgeschrieben gewesen. Im P S habe sie verschiedene Laboruntersuchungen von Zwischen- und Endprodukten der Erdölverarbeitung vorgenommen, so von Benzin, Bitumen, Düsen- und Dieselkraftstoffen. Sie habe täglich 8 Stunden Stoffe aus den Anlagen entnommen und im Labor analysiert. Ihrer Meinung nach war sie in diesem Zeitraum ebenfalls keinen aromatischen Aminen ausgesetzt (I 30/2). Auch hier habe es die üblichen Laborabzüge gegeben, persönliche Schutzmaßnahmen seien nicht vorgeschrieben gewesen.

Die Beklagte holte sodann eine Stellungnahme des Präventionsdienstes zur Arbeitsplatzexposition vom 27. Januar 2015 ein. Diese war auf der Grundlage einer Befragung der Klägerin vom 15. Januar 2015 und einer Beratung am 21. Januar 2015 im Nachfolgebetrieb des P S mit der Sicherheitsfachkraft Li erfolgt. Daraus ergab sich, dass die Klägerin keinen gezielten und direkten Umgang mit aromatischen Aminen gehabt habe. Sie habe bei ihrer Tätigkeit beim VEB O in B jedoch wöchentlich durchschnittlich zwei bis drei Stunden Teerproben aus der Schwelerei untersucht. Bei den zu untersuchenden Mengen habe es sich um ca. 50 g bis 100 g gehandelt. Braunkohlenteer enthalte in sehr geringen Mengen 2-Naphthylamin und o-Toluidin. Zusammenfassend könne aufgrund der kleinen Mengen an untersuchten Braunkohlenteerproben und der nur anteiligen Zeiten, eine BK-relevante Exposition sicher ausgeschlossen werden. Zum Zeitpunkt der Tätigkeit der Klägerin beim P S sei noch keine kontinuierliche Produktion von Benzin erfolgt, diese habe erst im April 1964 begonnen. Während der noch vorbereitenden Tätigkeiten sei Rohöl mittels Bahnkesselwagen in den Betrieb verbracht worden. Im Labor seien im Wesentlichen das eingehende Erdöl kontrolliert und die Anfahrprozesse begleitet worden. Expositionen mit aromatischen Aminen habe es nicht gegeben. Die von der Beklagten im Anschluss befragte Gewerbeärztin, die Fachärztin für Arbeitsmedizin Dipl. Med. K, führte in ihrer Stellungnahme vom 10. Februar 2015 aus, dass mangels hinreichender schädigender Einwirkung die Anerkennung der BK 1301 unbegründet sei.

Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 10. Februar 2015 die Anerkennung der BK 1301 ab. Die Klägerin sei keiner Gefährdung gegenüber aromatischen Aminen im Sinne der BK 1301 ausgesetzt gewesen. Mit ihrem hiergegen fristgerecht erhobenen Widerspruch machte die Klägerin geltend, dass bei der Beurteilung der relevanten Tätigkeit nicht nur die Arbeit im Labor zu Grunde gelegt werden könne. Sie habe die Proben auch selbst entnehmen müssen, wodurch sie umwelt- und gesundheitsschädlichen Produktionsbedingungen ausgesetzt gewesen sei, dies gelte insbesondere für Schwelteer und Schwelgas. Die Aufnahme der Schadstoffe erfolge nicht nur über die Haut, sondern insbesondere auch über die Atemwege. Zudem hätten nicht immer Arbeitsschutzausrüstungen zur Verfügung gestanden. Auch kleinste Dosen könnten sich über die Expositionszeit addieren und krebserregend sein. Wissenschaftliche Untersuchungen hätten gezeigt, dass sich die tägliche Dosis der aufgenommenen krebserregenden Stoffe und die durchschnittliche Latzenzzeit der Einwirkung umgekehrt proportional zueinander verhalten würden. Letztlich sei ihre genetische Disposition bisher nicht berücksichtigt worden. Sie reichte hierzu Auszüge wissenschaftlicher Arbeiten ein und meinte, es sei ein arbeitsmedizinisches Gutachten einzuholen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 19. Mai 2015 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Sie berief sich darauf, dass die Anerkennung einer Erkrankung als BK voraussetze, dass eine Exposition vorgelegen habe, die zu einer Risikoverdoppelung in Bezug auf die konkrete Erkrankung führe. Nach dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand belaufe sich die Expositionshöhe zur Risikoverdoppelung bei den hier relevanten Stoffen o-Toluidin auf 30.000 mg und bei 2-Naphthylamin auf 6 mg. Nach den Ermittlungsergebnissen des Präventionsdienstes sei die Klägerin bei ihrer Tätigkeit vom 01. Februar 1957 bis zum 31. August 1963 im VEB O in B nur bei der Untersuchung von Teerproben aus der Schwelerei in sehr geringem Maße aromatischen Aminen ausgesetzt gewesen. Braunkohlenteer enthalte nur sehr geringe Mengen an o-Toluidin und 2-Naphthylamin. Zudem habe die Klägerin nur zwei bis drei Stunden in der Woche derartige Stoffe untersucht. Bei der Tätigkeit vom 01. September 1963 bis zum 31. August 1964 im P S habe keine Gefährdung durch aromatische Amine festgestellt werden können. Damit liege keine Exposition vor, die für die BK 1301 relevant werden könne.

Mit ihrer am 26. Mai 2015 vor dem Sozialgericht (SG) Berlin erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren auf Anerkennung der BK 1301 unter Wiederholung ihres Vorbringens aus dem Widerspruchsverfahren weiterverfolgt. Sie hat bekräftigt, nie geraucht zu haben. Die Beklagte hat weiterhin die Auffassung vertreten, dass die Dosisrichtwerte nicht erreicht werden. In der vom SG angeforderten ergänzenden Stellungnahme des Präventionszentrums vom 30. September 2016 wird hierzu ausgeführt, dass der mögliche Anteil an aromatischen Aminen im Braunkohlenteer weit unter dem von Steinkohlenteer (1/1000) liege. Die zu erwartende Arbeitsplatzkonzentration beim Umgang mit Braunkohlenteer sei damit erheblich geringer als beim Umgang mit Steinkohlenteer. Unter Berücksichtigung einer Belastung von 2 bis 3 Stunden pro Woche und einer Tätigkeit von etwa 6,5 Jahren ergebe sich eine Belastung im µg-Bereich Eine ausreichende Exposition sei daher nicht im Vollbeweis gesichert. Unter Verweis auf die beratungsärztliche Stellungnahme der Fachärztin für Arbeitsmedizin, Sozialmedizin, Gesundheitsförderung und Prävention Dr. H vom 11. April 2017 hat die Beklagte geltend gemacht, dass es zwar keinen Schwellenwert gebe, unter dem absolute Gefahrlosigkeit angenommen werden könne. Typischerweise sei ein Zusammenhang bei einem Verdopplungsrisiko anzunehmen. Die hierfür erforderliche Dosis betrage nach einer IPA-Studie für 2-Naphthylamin 6 mg und für o-Toluidin 30.000 mg (T. Weiß, J. Henry, T. Brüning, Berufskrankheit 1301, Bewertung der beruflichen (Mit)Verursachung von Harnblasenkrebserkrankungen unter Berücksichtigung der quantitativen Abschätzung der Einwirkung der aromatischen Amine 2-Naphthylamin, 4 Aminodiphenyl und o-Toluidin, in: ASUMed 2010, Seiten 231, 222 ff.). Dieser Wert sei von der Rechtsprechung bestätigt worden. Die Klägerin sei aber nur relativ kurze Zeit in extrem geringem Umfang exponiert gewesen. Es fehle daher an der hinreichenden Wahrscheinlichkeit eines Kausalzusammenhangs. Die Dauer der Exposition, die Interimszeit von 51 Jahren, die Latenzzeit von 57 Jahren und das Erkrankungsalter von 77 Jahren sprächen gegen einen Kausalzusammenhang. Der Harnwegsinfekt 2011 sei bakterieller Natur gewesen.

Das SG hat Beweis erhoben durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens vom 14. Mai 2016 sowie ergänzender Stellungnahmen vom 07. Dezember 2016 und vom 22. Februar 2018 des Facharztes für Arbeitsmedizin MR Dr. med. W. Dr. W hat seiner Begutachtung einen Kontakt mit aromatischen Aminen bei der Beprobung des Braunkohlenteers und der Tätigkeit als Laborantin bei der Bearbeitung von Proben aus der Schwelerei von Braunkohle zu Grunde gelegt. Die Expositionszeit nahm er mit 7 Jahren an. Zur Kausalität führte er aus, dass allein auf Grund des Vorliegens des Urothel-Karzinoms nicht mit Sicherheit auf die Verursachung geschlossen werden könne. Die Tumorentstehung sei ein plurikausales Geschehen endogener und exogener Faktoren. Es habe sich die Auffassung durchgesetzt, dass jede noch so niedrige Exposition das Risiko, an Krebs zu erkranken, erhöhe und Reaktionen wie biologische Schwellenwert-Reaktionen abliefen. 2-Naphthylamin gehöre zu den Stoffen, die bekanntermaßen bösartige Geschwülste der Harnblase verursachen könnten. Der Kausalzusammenhang gelte als ausreichend gesichert. Expositionswege seien die dermale, inhalative und orale Aufnahme. Der Aufnahmeweg über die Haut sei wichtig. Ein Teil der aromatischen Amine bleibe im Hautgewebe deponiert. Die Datenlage reiche derzeit nicht aus, um Grenzwerte festzulegen bzw. eine Dosis für die Verursachung einer Krebserkrankung zu postulieren. Es müsse noch immer vom „Alles-oder-Nichts“-Prinzip bei der Verursachung ausgegangen werden. Im Unterscheid zu toxischen Stoffen komme höchstwahrscheinlich dem Zeitfaktor bei der Entstehung des Tumors eine größere Bedeutung zu als der Dosis. Das mittlere Erkrankungsalter liege zwischen 65 bis 70 Jahren, wobei die Inzidenz bei Frauen bei 8 je 100000 Einwohner liege. Als prädisponierende Faktoren würden genetisch bedingte Unterschiede von Enzymaktivitäten und des Acetyliererstatus angenommen. Es existierten hierzu jedoch keine Publikationen. Als Expositionsquellen für aromatische Amine in der Allgemeinbevölkerung würden Pharmaka, Pestizidrückstände, Kosmetika, Kugelschreiberminen, Lebensmittelfarbstoffe, schwarzer Tee und Lederprodukte gelten. Zu würdigen sei weiter, dass bereits seit 2009 entzündliche Prozesse der Harnblase bei der Klägerin bekannt seien und mit dem Rauchen eine wichtige außerberufliche Noxe entfalle. Bis zur Vorlage gesicherter Dosisaussagen für die Verursachung von Blasenkarzinomen sollte man davon ausgehen, dass eine berufliche Verursachung anzunehmen sei. Die berufliche Tätigkeit der Klägerin sei als für die Erkrankung ausschlaggebend anzusehen. In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 22. Februar 2018 hat der Sachverständige ausgeführt, dass das durchschnittliche Erkrankungsalter bei 73 bis 75 Jahren liege und vom Kontakt bis zur Erkrankung bis zu 40 Jahre vergehen könnten. Das Fehlen einer Dosis-Wirkung-Beziehung führe nicht dazu, dass auch eine geringe berufliche Exposition gegenüber aromatischen Aminen als wesentliche Teilursache eines Blasenkarzinoms anerkannt werden könne. Die Tatsache, dass die Klägerin Nichtraucherin sei und das Fehlen anderer Expositionsfaktoren belegten erheblich die berufliche Verursachung der Erkrankung.

Das SG hat mit seinem Urteil vom 30. Juli 2018 der Klage stattgegeben und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 10. Februar 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Mai 2015 verpflichtet, bei der Klägerin die BK 1301 anzuerkennen. Die Klägerin habe bei ihrer Tätigkeit zwischen Februar 1957 und August 1963 als Chemieingenieurin im Betriebslabor im Bereich der Kohle-, Chemie- und Benzinherstellung im damaligen VEB O in B den im Tatbestand der BK 1301 genannten Einwirkungen durch aromatische Amine unterlegen. Bei der Braunkohlenteerbearbeitung sei sie in Kontakt mit aromatischen Aminen, nämlich mit 2-Naphthylamin und o-Toluidin gekommen. Eine Einwirkung, wie sie zur Feststellung einer Berufskrankheit erforderlich sei, liege zur Überzeugung der Kammer vor. Eine bestimmte Einwirkungsdosis werde weder in der BK 1301 benannt, noch bestehe insoweit nach Angaben des beauftragen Sachverständigen ein wissenschaftlicher Konsens. Die von der Beklagten zitierte Veröffentlichung von Weiß, Henry und Brüning führe nach Auffassung der Kammer nicht dazu, dass diese als derzeitiger wissenschaftlicher Konsens angesehen werden könne (anders: Landessozialgericht <LSG> Berlin-Brandenburg, Urteil vom 15. März 2012 - L 3 U 289/09 -, Rn. 90, juris). Dabei handele es sich lediglich um einen Versuch der Annäherung zu möglichen Expositionswerten. Das Modell basiere auf einer Vergleichsbetrachtung zum Tabakrauchen und bei Tieren. Dies sei nicht ohne weiteres auf Menschen, die aromatischen Aminen im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit ausgesetzt sind, übertragbar (vgl. Hessisches LSG, Urteil vom 19. Juni 2018 - L 3 U 129/13 -, Rn. 55, juris). Letztlich werde auch in den Ausführungen von Brüning und Weiß (Harnblasenkrebs als Berufskrankheit, IPA-Journal 01/2013, S. 11) darauf hingewiesen, dass das Nichterreichen des Dosismaßstabes nach dem Modell nicht automatisch zu einer fehlenden Kausalität führe. Der Verordnungsgeber habe ausdrücklich auf die Festlegung einer Mindestdosis verzichtet, um dem Umstand Rechnung zu tragen, dass eine solche bei der Erkrankung der Harnwege durch aromatische Amine bisher gerade noch nicht habe erforscht werden können. Der Sachverständige Dr. W habe schlüssig dargelegt, dass die Forschungen derzeit noch im Stadium der Hypothesen steckten und die Datenlage nicht ausreiche, um Grenzwerte festzulegen. Der Beklagten sei hingegen insoweit zuzustimmen, als das Fehlen einer Mindestdosis nicht dazu führe, dass jede noch so geringe Exposition als ausreichend angesehen werden könne. Dies ergebe sich bereits aus der Definition der Berufskrankheit, welche eine besondere Einwirkung erfordere. Die Kammer sei jedoch zu der Überzeugung gelangt, dass es sich vorliegend um eine besondere und nicht völlig zu vernachlässigende Exposition handele. Nach dem Merkblatt zur BK Nr. 1301 (Bek. des BMA vom 12. Juni 1963, BArbBI. Fachteil Arbeitsschutz 1963, 129f., S. 1) erfolge die Einwirkung der Stoffe über die Haut sowie die Atemwege. Sie verweilten längere Zeit in den Harnwegen, wo sie zu den Erkrankungen führten. Dabei sei eine mehrjährige, gelegentlich auch mehrmonatige Exposition erforderlich, noch Jahrzehnte nach Aufgabe der relevanten Tätigkeit könne die Erkrankung auftreten. Ausgehend von diesen Grundsätzen habe bei der Klägerin zwischen Februar 1957 und August 1963 bei ihrer Tätigkeit als Laborantin eine mehrjährige „Einwirkung" mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorgelegen. Bereits eine mehrmonatige Exposition könne als Einwirkung i. S. d. BK 1301 angesehen werden. Die Klägerin habe zudem glaubhaft geschildert, dass Schutzmaßnahmen nur eingeschränkt ergriffen worden seien. Eine Aufnahme sowohl über die Atemwege als auch die Haut sei daher anzunehmen. Bei der Klägerin sei unstreitig Harnblasenkrebs diagnostiziert worden. Die Kammer sei nach umfassender Würdigung der Befunde, Gutachten und Stellungnahmen zu der Überzeugung gelangt, dass die berufliche Einwirkung die Erkrankung der Klägerin mit hinreichender Wahrscheinlichkeit verursacht habe. Die aromatischen Amine 2-Naphthylamin und o-Toluidin seien geeignet, Harnblasenkrebs zu verursachen. Bei o-Toluidin und 2-Naphthylamin handele es sich um gesundheitsschädigende Stoffe der Kategorie 1, mithin um Stoffe, die bei Menschen bekanntermaßen krebserzeugend wirkten (MAK- und BAT-Werte-Liste 2018, Krebserzeugende Arbeitsstoffe). Die Kammer sei zu der Überzeugung gelangt, dass die berufliche Einwirkung mit hinreichender Wahrscheinlich auch wesentlich für den Eintritt des Gesundheitsschadens gewesen sei. Diese Überzeugung werde auf die Darlegungen in dem Gutachten von MD Dr. med. W gestützt. Der Sachverständige habe ausgeführt, dass Konsens bestehe, wonach jede noch so geringe Exposition das Risiko, an Krebs zu erkranken, erhöhe. Eine Mindestdosis sei gerade nicht erforderlich. Bei der Klägerin handele es sich bei der beruflichen Exposition um mehr als nur eine Gelegenheitsursache, da die Einwirkung über einen längeren Zeitraum regelhaft und teilweise unter ungünstigen Arbeitsbedingungen erfolgt sei. Die angegebenen Erkrankungs-, Latenz- und Alterszeiten sprächen nach Auffassung der Kammer nicht gegen die Wesentlichkeit der beruflichen Einwirkung für die Erkrankung. Diese wiesen teilweise eine erhebliche Zeitspanne auf, wie z. B. bei der Latenzzeit zwischen fünf und 64 Jahren. Diesbezüglich gelte nach der Ausführung des Sachverständigen ein „Alles-oder-Nichts"-Prinzip. Die Latenzzeit sei vorliegend länger als das errechnete Mittel. Die Verlängerung der Latenzzeit ggü. dem Mittel entspreche jedoch nach den Ausführungen des Sachverständigen - anders als bei einer Verkürzung der Latenzzeit - der geringen Dosiseinwirkung und spreche somit nicht gegen die Wesentlichkeit der Exposition. Maßgeblich zu berücksichtigen sei bei der Beurteilung der Wesentlichkeit der Umstand, dass die Klägerin zu keinem Zeitpunkt in ihrem Leben geraucht habe. Mögliche weitere Risikofaktoren seien aromatische Amine, mit welchen der Mensch im Alltag konfrontiert sein könne, wie z. B. bei gegrilltem Fleisch, Rückständen von Pflanzenschutzmitteln in Lebensmitteln, Gummiabrieb von Reifen in der Umwelt, Verwendung in Lokalanästhesien, Haarfärbemitteln etc.. Diese seien nach Auffassung der Kammer nicht als wesentliche Konkurrenzursachen i. S. d. Theorie der wesentlichen Bedingung anzusehen. Dabei stütze sich die Kammer auf die Ausführungen des Bundessozialgerichts (BSG) zu Krebserkrankungen, die multifaktoriell hervorgerufen werden können. Das BSG habe insoweit ausgeführt, dass, wenn die berufliche Einwirkung i. S. d. Bedingungstheorie ursächlich sei und der Schutz vor Krankheiten durch derartige Einwirkungen der gesetzlichen Unfallversicherung unterfalle, es der Wesentlichkeit dieser Einwirkung nicht bereits entgegenstehe, dass außerberufliche Einwirkungen vorliegen, die die Krankheit ebenfalls generell verursachen könnten. Ausgehend von diesen Maßstäben sei der mögliche Kontakt der Klägerin im Alltag mit aromatischen Aminen nicht als wesentlich anzusehen. Der Schutz der BK 1301 umfasse gerade die Erkrankung der Klägerin, wie sie durch aromatische Amine, welchen die Klägerin ausgesetzt war, verursacht werden könnten. Der Verordnungsgeber habe durch die BK 1301 vor der beruflichen Exposition ggü. aromatischen Aminen schützen wollen. Er sei von einer generellen Eignung der Einwirkung zur Verursachung der Erkrankung ohne Nennung einer Mindestdosis ausgegangen. Diesem Schutzzweck würde es widersprechen, die Klägerin auf jegliche mögliche noch so geringe abstrakte Risikofaktoren zu verweisen.

Die Beklagte hat gegen das ihr am 07. September 2018 zugestellte Urteil am 27. September 2018 Berufung beim LSG Berlin-Brandenburg eingelegt. Sie meint, die Klägerin sei nur sehr geringen Mengen 2-Naphthylamin und o-Toluidin ausgesetzt gewesen. Sie habe von Februar 1957 bis August 1963 durchschnittlich zwei bis drei Stunden in der Woche Braunkohlenteerproben untersucht. In Braunkohlenteer seien nur sehr geringe Mengen dieser Stoffe enthalten. Darüber hinaus würden die kurze Expositionszeit, die Latenzzeit von 57 Jahren, die Interimszeit von 51 Jahren und das Alter der Klägerin gegen das Vorliegen einer BK 1301 sprechen. Das Fehlen eines Konsenses über die Mindestdosis könne nicht dazu führen, dass bereits eine minimale Exposition als wesentlich ursächlich angesehen werde. Bei der angenommenen Exposition von zwei bis drei Stunden sei bereits der Vorgang der Probenentnahme mit berücksichtigt. Es stelle sich die Frage, warum eine beruflich als gering einzuschätzende Exposition gegenüber den allgemein in der Umwelt vorkommenden Einwirkungen durch aromatische Amine als rechtlich wesentlich anzusehen sein solle. Der Präventionsdienst der Beklagten hat in seinen Stellungnahmen vom 31. August 2020 und vom 08. Juli 2021 ausgeführt, die Klägerin habe auch keinen Hautkontakt zu den Stoffen gehabt. Die rote Farbe des Bleitetraäthyls könne Sudanrot gewesen sei, das o-Toluidin abspalte. Es sei mit einer Konzentration von bis zu 0,1% als Farbstoff eingesetzt worden. Bei den unter Laborbedingungen erfolgten Arbeiten könnten ein relevanter inhalativer Kontakt oder ein Hautkontakt nicht festgestellt werden. Sudanrot sei ein Feststoff und liege im Benzin in gelöster Form vor. Selbst beim Öffnen der Gefäße mit etwaigem Einatmen der Dämpfe läge keine Exposition vor. Ein Verschlucken oder Einatmen von Aerosolen sei dagegen nicht anzunehmen. In seinen weiteren Stellungnahmen vom 10. und 21. Januar 2022 hat der Präventionsdienst mitgeteilt, dass die Ermittlungen zur Tätigkeit anderer Versicherter im VEB O in B ebenfalls zu dem Ergebnis geführt hätten, dass aromatische Amine nicht verarbeitet worden und für dort anfallende Tätigkeiten keine BK-relevanten Konzentrationen von aromatischen Aminen aufgetreten seien. Für Tätigkeiten im P S würden für den Zeitraum der Beschäftigung der Klägerin keine weiteren Anzeigen zur BK 1301 vorliegen.

Die Beklagte beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen sinngemäß,

das Urteil des SG Berlin vom 30. Juli 2018 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin geht mit dem erstinstanzlich eingeholten Gutachten von einer beruflichen Verursachung aus. Sie hat ergänzend vorgetragen, bei ihrer Tätigkeit im VEB O in B auch im Benzinlabor gearbeitet und Benzinproben mit Bleitetraäthyl vermischt zu haben. Die Verbleiung sei unter einem Abzug mit Schutzbrille und Handschuhen (soweit diese vorhanden waren), mittels Pipette erfolgt. Das Bleitetraäthyl sei verschlossen aufbewahrt worden. Es habe sich um eine rote leicht flüchtige Flüssigkeit gehandelt. Zur Häufigkeit dieser Arbeiten könne sie keine Auskunft gegeben. Ebenso könnten nach so langer Zeit weder die genauen Zeitanteile der einzelnen Arbeiten quantifiziert noch Zeugen benannt werden.

Der Nachfolgebetrieb des VEB O in B konnte keine Angaben zur konkreten Tätigkeit der Klägerin oder zur allgemeinen Belastung der Luft im Betrieb mit aromatischen Aminen machen.

Die Berichterstatterin des Senats hat am 16. Juli 2020 zur Aufklärung des Sachverhalts einen Erörterungstermin durchgeführt, in dem die Klägerin zu ihrer beruflichen Tätigkeit und dem Umgang mit verschiedenen Stoffen ausführlich befragt worden ist. Sie hat angegeben, dass im VEB O in B Rohstoffe in großen Anlagen verarbeitet worden seien. Es habe eine Brikettfabrik, Kokerei, Schwelerei und die Kraftstoffherstellung gegeben. Aromatische Amine seien bei Entnahme von Braunkohlenteerproben in der Schwelerei aufgetreten. Der Umfang der einzelnen Tätigkeiten habe von Tag zu Tag gewechselt. Manchmal sei sie bis zu dreimal am Tag zur Schwelerei gegangen. An den Anlagen seien Ventile angebracht gewesen. Diese habe sie geöffnet, das Entnahmegefäß direkt darunter gehalten, dann luftdicht verschlossen und in das Labor transportiert. Im Labor habe sie ca. 100 g der Probe unter einem Abzugskasten untersucht. Das ganze Gebäude sei mit Kohlenstaub und Abgasen aus den verschiedenen Arbeitsprozessen belastet gewesen. Es sei zudem Benzin mit Bleitetraäthyl zu versetzen gewesen, dies sei leicht flüchtig gewesen und mit Pipetten entnommen worden. Außerdem habe sie Rohbraunkohle auf Wassergehalt untersucht, den Aschegehalt nach Verbrennung getestet und auch Asche untersucht. Im P S sei Erdöl verarbeitet worden. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Protokoll des Termins vom 16. Juli 2020, Blatt 178 ff. der Gerichtsakten, verwiesen.

Der Senat hat weiter Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens des Facharztes für Innere Medizin, Arbeitsmedizin und Hygiene Prof. Dr. P vom 05. Juni 2021 sowie einer ergänzenden Stellungnahme des Prof. Dr. P vom 17. Januar 2022. Prof. Dr. P hat ausgeführt, dass im Juni 2014 bei der Klägerin ein Urothel-Karzinom der Harnblase festgestellt worden sei. Rauchen scheide bei der Klägerin, die Nichtraucherin sei, sowohl als konkurrierende als auch als synkanzerogene Ursache aus. Es sei allerdings darauf hinzuweisen, dass auch polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe, denen die Klägerin während ihrer Arbeit mit Sicherheit ausgesetzt gewesen sei, Blasentumore verursachen könnten. Die Expositionszeit bei der Klägerin sei gegenüber dem Mittel von 20 Jahren relativ kurz, die Latenzzeit liege dagegen in der Spanne anerkannter Tumore, die von 5 bis 64 Jahren reiche und im Mittel 37 Jahre betrage. Über Jahrzehnte sei man davon ausgegangen, dass langsame Acetylierer ein höheres Risiko für Urotheltumore nach Einwirkungen aromatischer Amine hätten, dies hätten neuere Genotypstudien jedoch nicht bestätigt. Im Rahmen der Kanzerogenese in der Blase könnten auch Entzündungsprozesse eine Rolle spielen. Die bei der Klägerin dokumentierte Infektion müsse in diesem Zusammenhang allerdings als nicht ausreichend angesehen werden. Die Veröffentlichung von Weiß, Henry und Brüning aus dem Jahr 2010 entspreche nicht dem aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstand. Die an nur wenigen Hunden vorgenommene Studie könne nicht für die Dosisabschätzung für die Anerkennung einer BK beim Menschen herangezogen werden. Unter Zugrundelegung der vom Gericht vorgegebenen Expositionsverhältnisse (während ihrer Ausbildung kein Kontakt zu aromatischen Aminen, kein Hautkontakt zu diesen Stoffen, Bleitetraethyl war mit 0,1% Sudanrot versehen und wurde mittels Pipette aus einem sonst geschlossenen Behälter entnommen, Art und Weise der Entnahme der Teerproben entsprechend den Schilderungen der Klägerin im Erörterungstermin vom 16. Juli 2020), erscheine eine Entwicklung eines Harnwegtumors in Folge der Arbeitsplatzexposition vorstellbar, dies könne aber nicht mit der im BK-Recht erforderlichen Wahrscheinlichkeit angenommen werden.

Die Beteiligten haben sich mit Schriftsätzen vom 06. Mai 2022 (Klägerin) und vom 25. Mai 2022 (Beklagt) mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung (§ 153 Abs.1, § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz <SGG>) einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den sonstigen Inhalt der Gerichtsakten sowie der Verwaltungsakten der Beklagten, die Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen sind, verwiesen.

 

Entscheidungsgründe

Der Senat konnte durch Urteil ohne mündliche Verhandlung gemäß §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG entscheiden, nachdem sich alle Beteiligten hiermit einverstanden erklärt haben.

Die frist- und formgerecht (§ 151 SGG) eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet. Das mit der kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage in zulässiger Weise verfolgte Begehren, die Beklagte zur Anerkennung der BK 1301 zu verpflichten, hat keinen Erfolg. Der Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 10. Februar 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Mai 2015 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Feststellung der BK 1301 durch die Beklagte.

BKen sind gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats als BKen bezeichnet (sogen. Listen-BKen) und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Insoweit ist die Bundesregierung ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als bekannt zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind (§ 9 Ab. 1 Satz 2 SGB VII). Aus diesen Vorgaben lassen sich bei einer Listen-BK im Regelfall folgende Tatbestandsmerkmale ableiten, die ggfs. bei einzelnen BKen einer Modifikation bedürfen: Die Verrichtung einer - grundsätzlich - versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) muss zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen o.ä. auf den Körper geführt haben (Einwirkungskausalität) und die Einwirkungen müssen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Dabei müssen die „versicherte Tätigkeit“, die „Verrichtung“, die „Einwirkungen“ und die „Krankheit“ im Sinne des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt demgegenüber die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings eine bloße Möglichkeit (vgl. BSG, Urteile vom 30. März 2017 – B 2 U 6/15 R -, Rn. 12, 17. Dezember 2015 – B 2 U 11/14 R -, Rn. 10 m.w.N., und vom 02. April 2009 – B 2 U 33/07 R -, Rn. 11, jeweils in juris). Dabei ist der Beweisgrad der hinreichenden Wahrscheinlichkeit erfüllt, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden (BSG, Urteil vom 27. Juni 2017 – B 2 U 17/15 R -, Rn. 13 m.w.N., juris). Dass die berufsbedingte Erkrankung ggfs. den Leistungsfall auslösende Folgen nach sich zieht (haftungsausfüllende Kausalität), ist keine Voraussetzung einer Listen-BK, wohl aber für eine Leistung (Leistungsfall).

Nach diesen Maßgaben handelt es sich zur Überzeugung des Senats bei der Blasenkrebserkrankung der Klägerin nicht um die zur Feststellung begehrte BK 1301.

Der Verordnungsgeber hat die BK unter Nr. 1301 der Anlage 1 zur BKV wie folgt bezeichnet: Schleimhautveränderungen, Krebs oder andere Neubildungen der Harnwege durch aromatische Amine.

Bei der Klägerin war bei der Zystoskopie vom 17. Juni 2014 ein Tumor an der Harnblasenwand festgestellt worden. Es lag daher eine Krebserkrankung der Harnwege vor, die grundsätzlich eine Erkrankung im Sinne der BK 1301 sein kann. Ein früherer Erkrankungsbeginn kann dagegen nicht festgestellt werden. Im Rahmen der Untersuchung der Entzündung im Jahr 2011 wurde eine geringgradige chronische Urozystitis mit diskreter Urothelhyperplasie ohne einen Malignitätsverdacht diagnostiziert.

Die Klägerin war während ihrer versicherten Beschäftigung als Chemieingenieurin im Betriebslabor im VEB Kombinat O in B vpm 01. Februar 1957 bis zum 31. August 1963 gegenüber den aromatischen Aminen 2-Naphthylamin und o-Toluidin exponiert und damit einer in der BK 1301 genannten Einwirkung ausgesetzt. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus den nachvollziehbaren Darstellungen des Präventionsdienstes. Danach enthielt der von der Klägerin zur Beprobung im Labor aus der Anlage entnommene Braunkohlenteer in geringen Mengen 2-Naphthylamin und o-Toluidin. Dies stimmt mit den im BK-Report Aromatische Amine, Eine Arbeitshilfe in Berufskrankheiten-Feststellungsverfahren (5. Aktualisierte Auflage aus November 2019 – i. F.: BK-Report 2019) Abschnitt 9.2. niedergelegten Erkenntnissen überein. Danach ist über das Vorhandensein von aromatischen Aminen im Braunkohlenteer oder in seinen Folgeprodukten wenig bekannt. Bei einem Laborversuch zur Braunkohleverschwelung hätten sowohl o-Toluidin als auch 2-Naphthylamin nachgewiesen werden können. Die Konzentrationen lag unter den dortigen Bedingungen unter 1 mg/kg.

Weitere Einwirkungen durch aromatische Amine kann der Senat nicht mit der hierfür erforderlichen vollen Überzeugung feststellen. Dies gilt zunächst für den Umgang mit Benzin bzw. Bleitetraäthyl im Rahmen der Tätigkeit der Klägerin im Benzinlabor des VEB Kombinat O in B. Die Klägerin hat angegeben, dass es sich bei dem Bleitetraäthyl um eine leicht flüchtige rot eingefärbte Flüssigkeit gehandelt habe. Der Präventionsdienst der Beklagten hat dargelegt, dass das Bleitetraäthyl selbst keine aromatischen Amine enthalte, es sich bei dem Färbemittel aber wahrscheinlich um Sudanrot gehandelt habe, das mit bis zu 0,1% als Farbstoff zugesetzt worden sei. Sudanrot enthalte keine Amine, die darin enthaltenen Stoffe könnten aber o-Toluidin abspalten. Die Verwendung von o-Toluidin abspaltendem Sudanrot in dieser Konzentration als Färbemittel für Bleitetraäthyl wird durch den BK-Report 2019 (S. 132) bestätigt. Eine Exposition der Klägerin gegenüber aromatischen Aminen als Abspaltprodukt des Sudanrots ergibt sich daraus zur Überzeugung des Senats dennoch nicht. Eine Aufnahme des Sudansrots in den Körper der Klägerin kann nicht im Vollbeweis festgestellt werden. Eine orale Aufnahme ist ausgeschlossen. Auch eine Belastung durch inhalative Aufnahme kann nicht festgestellt werden. Bei Sudanrot (Sudan III) handelt es sich um einen festen pulverförmigen Stoff (Sicherheitsdatenblatt, zuletzt abgerufen am 28. Februar 2023 unter https://www.carlroth.com), der in dem Bleitetraäthyl gelöst war. Somit ist die Möglichkeit der inhalativen Aufnahme schon nicht ersichtlich. Die Klägerin hat zudem mit dem Bleitetraäthyl nur in Labormaßstäben gearbeitet. Die Entnahme aus dem ca. 1l fassenden Behälter ist unter einer Luftabzugsvorrichtung mittels einer Pipette, die nicht mit dem Mund angesaugt worden ist, erfolgt. Auch auf Grund dieser konkreten Arbeitsbedingungen besteht kein Anhalt für eine mögliche Inhalation. Ebenso ist ein Kontakt des mit Sudanrot versetzten Bleitetraäthyls mit der Haut der Klägerin weder von ihr geschildert worden, noch auf Grund der konkreten Arbeitsbedingungen anzunehmen. Eine dermale Aufnahme der o-Toluidin abspaltenden Substanz lag somit nicht vor.

Bei ihrer weiteren Tätigkeit vom 01. September 1963 bis zum 31. August 1964 im Betriebslabor des P S, in dem die Klägerin mit der analytischen Überwachung angelieferten Rohöls und der hieraus hergestellten Produkte beschäftigt gewesen ist, war die Klägerin gegenüber aromatischen Aminen zur Überzeugung des Senats nicht exponiert. Dies ergibt sich aus der Stellungnahme zur Arbeitsplatzexposition des Präventionsdienstes der Beklagten vom 27. Januar 2015, wonach bei dieser Tätigkeit Expositionen mit aromatischen Aminen nicht erfolgt seien. Auch aus den übrigen Erkenntnismöglichkeiten (vgl. z. B. BK-Report 2019) ergibt sich für den Senat kein Anhaltspunkt für eine Exposition mit aromatischen Aminen bei der labortechnischen Bearbeitung von Rohöl und den daraus hergestellten Produkten.

Die Verursachung der Blasenkrebserkrankung der Klägerin durch die festgestellten berufsbedingten Einwirkungen der aromatischen Amine ist nicht überwiegend wahrscheinlich.

Die im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung für den Ursachenzusammenhang zwischen Einwirkung und Erkrankung maßgebliche Theorie der wesentlichen Bedingung beruht zunächst auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie. Danach ist jedes Ereignis (jede Bedingung) Ursache eines Erfolges, das nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio-sine-qua-non). Erst wenn auf dieser sogenannten ersten Stufe feststeht, dass ein bestimmtes Ereignis - hier die Einwirkung durch einen Arbeitsstoff - eine naturphilosophische Ursache der Krankheit ist, stellt sich auf der sogenannten zweiten Stufe die Frage, ob die Einwirkung auch rechtlich die Realisierung einer in den Schutzbereich des jeweils erfüllten Versicherungstatbestandes fallenden Gefahr ist, also eine wesentliche Ursache darstellt (vgl. BSG, Urteil vom 30. März 2017; – B 2 U 6/15 R -, Rn. 16, juris).

Zwar handelt es sich bei 2-Naphthylamin und o-Toluidin um Arbeitsstoffe, die beim Menschen Krebs erzeugen können. Jedoch ist die konkrete berufliche Exposition der Klägerin gegenüber 2-Naphthylamin und o-Toluidin schon im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne (erste Stufe) nicht wahrscheinlich ursächlich für die Entstehung des Blasenkarzinoms geworden. Der Senat folgt insofern dem Ergebnis des Gutachtens und der ergänzenden Stellungnahme des Sachverständigen Prof. Dr. P vom 05. Juni 2021 bzw. vom 17. Januar 2022.

Das bei der Klägerin festgestellte Urothel-Karzinom kann grundsätzlich durch aromatische Amine, wie 2-Naphthylamin und o-Toluidin, verursacht werden (vgl. dazu das Merkblatt zur BK1301, Bek. des BMA vom 12. Juni 1963, BArbBI. Fachteil Arbeitsschutz 1963, 129 f. sowie die Wissenschaftliche Stellungnahme zur BK Nr. 1301 BMGl. 2011,18). Dies haben sowohl Dr. W als auch Prof. Dr. P in ihren Gutachten dargelegt bzw. ihrer Bewertung zu Grunde gelegt. Der Gefahrstoff 2-Naphthylamin gehört zu den Stoffen, denen im Hinblick auf ihr kanzerogenes Potenzial die größte Bedeutung zugemessen wird. In der MAK-Werte-Liste der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) ist dieses Amin in die Kategorie 1 (beim Menschen krebserregend) eingestuft. O-Toluidin ist ein kanzerogenes aromatisches Amin, das 2006 von der DFG-Senatskommission zur Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe „aufgrund des gehäuften Auftretens von Harnblasentumoren bei beruflich Exponierten“ ebenfalls in die Kanzerogenitätskategorie 1 eingestuft worden ist. Hinsichtlich beider Arbeitsstoffe ist ein Kausalzusammenhang für das Auftreten von Karzinomen im Bereich der ableitenden Harnwege und Harnblase gesichert (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2017, S. 1182).

Der naturwissenschaftliche Zusammenhang (erste Prüfungsstufe) zwischen der berufsbedingten Dosis an 2-Naphthylamin bzw. o-Toluidin und der Krebserkrankung der Klägerin ist dennoch nicht gegeben. Im vorliegenden Fall überwiegen die Indizien, die für eine (Mit)Verursachung sprechen, nicht.

Allein von der Erkrankung kann nicht auf deren Ursache geschlossen werden. Die Ursache des Blasenkrebses bleibt in den meisten Fällen unklar, weil die Latenzzeit zwischen der Einwirkung eines Agens und der Manifestation der Erkrankung mehrere Jahrzehnte dauern kann. In 80% der Fälle bleibt die Ätiologie eines Blasentumors unbekannt (Schweizerische Unfallversicherungsanstalt, Factsheet, Aromatische Amine und Blasenkrebs, Michael Koller, Claudia Pletscher, März 2018). Auch kann nicht allein anhand des Erkrankungsbildes, z. B. der Art des Tumors, auf eine bestimmte Ursache geschlossen oder eine Ursache ausgeschlossen werden.

Der Verordnungsgeber hat auch weder im Tatbestand der BK 1301 noch in dem hierzu verfassten Merkblatt eine konkrete (Mindest)Belastungsdosis angegeben. Aus dem Fehlen einer Angabe zum Grad der erforderlichen Einwirkungen kann aber nicht gefolgert werden, dass die Einwirkungen schlechthin, unabhängig von ihrer Intensität und Stärke, als geeignet angesehen werden, die Schädigung zu verursachen. Der Verzicht auf die Angabe konkreter Belastungsarten und Belastungsgrenzwerte bei der Formulierung von BK-Tatbeständen geschah vielmehr vielfach bewusst, um bei der späteren Rechtsanwendung Raum für die Berücksichtigung neuer, nach Erlass der Verordnung gewonnener oder bekannt gewordener Erkenntnisse zu lassen (vgl. BSG, Urteil vom 27. Juni 2006 – B 2 U 20/04 R -, Rn. 18 ff, juris). Die Frage, welcher Einwirkungen es mindestens bedarf, um eine BK zu verursachen oder die Anerkennung einer BK unter Einbeziehung weiterer Kriterien zu rechtfertigen, ist in einem solchen Fall unter Zuhilfenahme medizinischer, naturwissenschaftlicher und technischer Sachkunde nach dem im Entscheidungszeitpunkt aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu beantworten (vgl. BSG, Urteile vom 27. Juni 2006 – B 2 U 20/04 R -, Rn. 20, und  vom 17. Dezember 2015 – B 2 U 11/14 R -, Rn. 17 f; Urteil des Senats vom 18. Oktober 2022 – L 3 U 219/17 -, Rn. 123, jeweils in juris). Als aktueller Kenntnisstand sind solche durch Forschung und praktische Erfahrung gewonnenen Erkenntnisse anzusehen, die von der großen Mehrheit der auf dem betreffenden Gebiet tätigen Fachwissenschaftler anerkannt werden, über die also, von vereinzelten, nicht ins Gewicht fallenden Gegenstimmen abgesehen, Konsens besteht (BSG, a.a.O.). Gibt es keinen aktuellen allgemeinen wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu einer bestimmten Fragestellung, kann in Abwägung der verschiedenen Auffassungen einer nicht nur vereinzelt vertretenen Auffassung gefolgt werden (BSG, Urteil vom 30. März 2017 - B 2 U 6/15 R -, Rn. 18, juris m.w.N.).

Verbindliche Grenzwerte, bei deren Einhaltung eine Erkrankung nicht zu befürchten ist, existieren nach dem im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung maßgeblichen wissenschaftlichen Forschungsstand zur BK 1301 nicht (so auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 29. September 2020 – L 9 U 488/17 –, Rn. 39, juris). Dies wird sowohl durch Prof. Dr. P und als auch durch Dr. W bestätigt.

Der Sachverständige Dr. W führt aus, dass die derzeitige Datenlage nicht ausreiche, um Grenzwerte festzulegen, sowie Dosis- und Auslöseschwellenwertangaben nicht möglich seien. Prof. Dr. P legt dar, dass zwar ein Modell zur Ableitung von Dosis-Wirkungs-Beziehungen für 2-Naphthylamin, 4-Aminodiphenyl und o-Toluidin vorgeschlagen worden sei (T. Weiß, J. Henry, T. Brüning, Berufskrankheit 1301, Bewertung der beruflichen (Mit)Verursachung von Harnblasenkrebserkrankungen unter Berücksichtigung der quantitativen Abschätzung der Einwirkung der aromatischen Amine 2-Naphthylamin, 4 Aminodiphenyl und o-Toluidin, in: ASUMed 2010, Seiten 222 ff.), dieses aber nicht dem aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstand entspreche und nicht für die Dosisabschätzung für die Anerkennung einer BK beim Menschen herangezogen werden könne. Dem folgt der Senat und gibt insoweit seine frühere Rechtsprechung, wonach bei einer Blasenkrebserkrankung, die ihre Ursache im Kontakt mit aromatischen Aminen haben kann, erst bei einer nachgewiesenen Belastung in Höhe von 5 bis 6 mg von einer Verursachung durch solche Amine am Arbeitsplatz auszugehen sei (vgl. Urteil vom 15. März 2012 – L 3 U 289/09 –, Rn. 90 juris), aufgrund nunmehr vorliegender neuer Erkenntnisse auf. Wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse zur Frage und zum Umfang eines erhöhten Blasenkrebsrisikos durch berufliche Einwirkung aromatischer Amine im Niedrig-Dosis-Bereich gibt es nicht. So kann weder eine „sichere Dosis“ noch eine Dosis angegeben werden, bei der sich das Normalrisiko verdoppelt. Das Abstellen auf den Vergleich mit Rauchern bei der quantitativen Einordnung der Aufnahme krebserzeugender aromatischen Amine und der Vorschlag, die Anerkennung einer BK grundsätzlich in Betracht zu ziehen, wenn die berufsbedingte Einwirkung krebserzeugender aromatischer Amine in dem Umfang erfolgte, die bei einem Raucher zu einer Verdoppelung des Blasenkrebsrisikos führt, sind nach dem Abschlussbericht zum Vorhaben „Erarbeitung einer Expositionsabschätzung für das Harnblasenkrebsrisiko durch aromatische Amine und Einschätzung der Auswirkung der Erkrankung Harnblasenkrebs auf die Erwerbstätigkeit“ (https://www.dguv.de/projektdatenbank/0286/fb_286_abschlussbericht_03_03_2022.pdf, Veröffentlichung hierzu von W. Weisenhöfer et al., Das beruflich bedingte Harnblasenkarzinom, MedSach 2022, S. 79 bis 93, i. F.: Abschlussbericht) in der aktuellen wissenschaftlichen Diskussion nicht Konsens. Die Ausführungen in dem Abschlussbericht und dessen Schlussfolgerungen legt der Senat seiner Entscheidung als aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu Grunde, denn hierzu wurden die Ergebnisse einer systematischen Literaturrecherche sowie weitere Ansätze zur Expositionsabschätzung und Expositionsbewertung krebserzeugender aromatischer Amine bei der BK 1301 auf einem Workshop mit über 230 Teilnehmenden vorgestellt und diskutiert. Im Anschluss wurde in einer Arbeitsgruppe von in der Begutachtung von beruflich bedingten Harnblasenkarzinomen erfahrenen Gutachterinnen und Gutachtern sowie von Statistikern eine „BK 1301-Matrix“ als Konvention zur Beurteilung und Bewertung des Ursachenzusammenhangs bei Harnblasenkarzinomen nach relevanter beruflicher Exposition gegenüber krebserzeugenden aromatischen Aminen auf der Basis der Ergebnisse des Workshops erarbeitet. Der Senat geht daher davon aus, dass alle verfügbaren aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse in die Konsensfindung eingeflossen sind. Lediglich für die Belastung mit o-Toluidin ließ sich danach eine Zunahme des Erkrankungsrisikos um den Faktor 2 (Verdopplungsdosis) bei einer Kumulationsdosis von ca. 2.800 mg ableiten. Hierbei seien jedoch Limitierungen zu berücksichtigen.

Auch wenn für 2-Naphthylamin bzw. bei kumulativem Einwirken mehrerer Stoffe ein konkreter Schwellenwert, eine Verdopplungs- oder Mindestbelastungsdosis nicht benannt werden können, ist nach dem Abschlussbericht Konsens, dass die Allgemeinbevölkerung gegenüber aromatischen Aminen ubiquitär exponiert ist, wobei als mögliche Quellen Pharmazeutika, z. B. einige Lokalanästhetika, aber auch Rückstände von Pflanzenschutzmitteln in der Nahrung zu beachten sind (BK-Report 2019, S. 173), und der alleinige Nachweis einer Exposition nicht belegen kann, dass ein Harnblasenkarzinom durch die beruflichen Einflüsse wesentlich mitverursacht worden ist (Abschlussbericht zum Vorhaben „Erarbeitung einer Expositionsabschätzung für das Harnblasenkrebsrisiko durch aromatische Amine und Einschätzung der Auswirkung der Erkrankung Harnblasenkrebs auf die Erwerbstätigkeit“, a. a. O., S. 4). Der Senat vermag daher dem von Dr. W in seinem Gutachten vom 14. Mai 2016 und in den ergänzenden Stellungnahmen vom 07. Dezember 2016 und 22. Februar 2018 angewandten „Alles-oder-Nichts“-Prinzip, wonach er bei fehlendem Raucherstatus von einer noch so geringen Einwirkung aromatischer Amine auf eine berufliche Verursachung des Harnblasenkarzinoms schließt, nicht zu folgen. Das Fehlen einer wissenschaftlich begründbaren Dosis-Wirkungs-Beziehung führt weder dazu, dass auf die Überprüfung einer arbeitstechnischen Exposition verzichtet werden kann, noch dazu, dass bereits eine minimale Exposition als wesentlicher Verursachungsfaktor anerkannt werden kann (LSG Berlin-Brandenburg, Urteile vom 20. Januar 2011 – L 2 U 324/08 –, Rn. 22, und vom 24. Februar 2011 - L 31 U 339/08 -, Rn. 30, jeweils in juris). Wollte man geringste berufliche Einwirkungen als Verursachungsfaktor ausreichen lassen, ließe sich wissenschaftlich nicht mehr erklären, warum die übrigen nicht-beruflichen Expositionsquellen, die ebenfalls geringfügige Einwirkungen verursachen, nicht auch Verursachungsfaktoren sein sollten. Dass nur eine dieser Geringfügigkeiten - nämlich die berufliche - dann kausal geworden und die Erkrankung auch noch wesentlich verursacht haben soll, wäre nicht nachvollziehbar zu begründen (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 20. Januar 2011 – L 2 U 324/08 –, Rn. 29, juris). Es dürfte dann auch an den nach § 9 Abs. 3 SGB VII zu fordernden besonderen Bedingungen der versicherten Tätigkeit fehlen, die dazu führen, dass der Versicherte im Verhältnis zur übrigen Bevölkerung in erhöhtem Maße der Gefahr der Erkrankung an einer Berufskrankheit ausgesetzt war.

Bei der Beurteilung des Ursachenzusammenhangs sind vielmehr immer die gesamten Umstände des Einzelfalls einzubeziehen (vgl. allgemein: Urteil des Senats vom 18. Oktober 2022 – L 3 U 219/17 -, juris). Die für und gegen eine berufliche Verursachung sprechenden Argumente müssen auf individueller Basis abgewogen und in der Gesamtschau bewertet werden, wobei zur Anerkennung nicht alle Punkte erfüllt sein müssen. Neben dem Raucherstatus, der bei der Frage der Wesentlichkeit der Verursachung zu beachten ist, kommt es für den Ursachenzusammenhang bei der BK 1301 auf die Höhe der Exposition, die Einwirkungsintensität, die Dauer der beruflichen Belastung, das Erkrankungsalter sowie die Latenzzeit an.

In der hierzu im Abschlussbericht als Konvention zur Beurteilung und Bewertung des Ursachenzusammenhangs bei der BK 1301 erarbeiteten und unten abgebildeten Tabelle werden die einzelnen Punkte aufgeführt und gewichtet. Anhand dieser BK 1301-Matrix für kanzerogene aromatische Amine kann eine Wertung der beruflich und außerberuflich bedingten Faktoren vorgenommen werden.

 

Bild entfernt.

(Abbildung aus: W. Weisenhöfer et al., Das beruflich bedingte Harnblasenkarzinom, MedSach 2022, S. 79 [81])

In Anwendung dieser auf aktuellem wissenschaftlichem Kenntnisstand beruhenden Entscheidungshilfe folgt der Senat der Bewertung von Prof. Dr. P, wonach bei der nur geringfügigen Exposition bei der Klägerin nicht von einer beruflichen Verursachung auszugehen ist. Unter Zugrundelegung der genannten und auch von Prof. Dr. P in seine Bewertung mit einbezogenen Kriterien ist eine Verursachung des Blasenwandkarzinoms der Klägerin durch die berufliche Belastung für den Senat nicht hinreichend wahrscheinlich. Hierbei ist von maßgebender Bedeutung, dass der feststellbare Umfang der Exposition gegenüber aromatischen Aminen kein solches Ausmaß erreicht hat, das in Zusammenschau mit den weiteren Umständen für einen Ursachenzusammenhang zwischen den Belastungen durch diese Stoffe und dem Auftreten der Krebserkrankung sprechen könnte.

Die Klägerin war nur geringfügig den aromatischen Aminen ausgesetzt. Zwar liegen keine konkreten Messungen für den Arbeitsplatz der Klägerin oder für vergleichbare Arbeitsplätze vor; insbesondere lassen sich dem BK-Report 2019 keine Werte für die Exposition bei der Arbeit in Laboren der Braunkohlenverarbeitung oder beim Umgang mit Braunkohlenteer entnehmen. Konkrete Auskünfte konnten durch den Nachfolgebetrieb des früheren Arbeitgebers der Klägerin ebenfalls nicht mehr gegeben werden. Selbst wenn man in einem solchen Fall aufgetretener Beweisschwierigkeiten im Rahmen der freien Beweiswürdigung nach § 128 SGG an den Vollbeweis keine zu hohen Anforderungen stellen und für den Umfang der Exposition eine Schätzung genügen ließe (so: LSG Hessen, Urteile vom 19. Juni 2018 – L 3 U 129/13 –, Rn. 56, und vom 02. April 2019 - L 3 U 48/13 -, Rn. 45, sowie LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 29. September 2011 - L 6 U 5889/06 –, Rn. 60, jeweils in juris; Mehrtens/Brandenburg, Die Berufskrankheitenverordnung, Anmerkung 26.4 zu E § 9 SGB VII), wäre der Senat nicht davon überzeugt, dass die Belastung der Klägerin über nur ein sehr geringfügiges Maß hinausgegangen ist.

Über das Vorhandensein von aromatischen Aminen im Braunkohlenteer oder in seinen Folgeprodukten ist wenig bekannt. Auf Grund einer Schätzung unter Zuhilfenahme der vorliegenden wenigen Erkenntnissen folgt der Senat jedoch der Einschätzung des Präventionsdienstes, wonach nur eine sehr geringfügige Exposition gegeben war. Der Senat legt dem zu Grunde, dass bei Nachstellung der Braunkohlenverschwelung unter Laborbedingungen die Konzentration von o-Toluidin und 2-Naphthylamin im Braunkohlenteer unter 1 mg/kg lag (BK-Report 2019, S. 72). Bei Steinkohlenrohteer lag der Gehalt von o-Toluidin dagegen bei 80 mg/kg und von 2-Napthylamin bei 9 bis 100 mg/kg (BK-Report 2019, S. 72). Weiterhin ist nach wissenschaftlichen Erkenntnissen zur chemischen Zusammensetzung von Braunkohlenteer bzw. Steinkohlenteer(pech) sowie Bitumen eine relevante Einwirkung durch aromatische Amine beim Betrieb eines Kochers nur dann anzunehmen, wenn es sich bei dem verwendeten Material um Steinkohlenteer oder eine Mischung aus Steinkohlenteer mit Bitumen bei einem Anteil von Steinkohlenteer von im Mittel mindestens 11 % handelt (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2017, S. 1183). Nach orientierenden Messungen des IFA an einem Teerkocher, in dem sich Steinkohlenteer mit einem 2-Naphthylamingehalt von ca. 75 mg/kg befand und der auf Temperaturen von 220 bis 230 °C erhitzt wurde, ergab sich eine 2-Naphthylamin-Konzentration von 14,8 µg/m³ in der Luft (BK-Report 2019, S. 89). Daraus schließt der Senat, dass wegen der geringen Mengen an Braunkohlenteer, mit denen die Klägerin Umgang hatte (ca. 100 g gegenüber einem mehrere Liter fassenden Teerkocher), und auf Grund des Umstandes, dass der Braunkohlenteer weniger als 1/80 der Menge an o-Toluidin und 1/100 bis 1/10 der Menge an 2-Naphthylamnin enthält (vgl. BK-Report 2019, Seite 71 und 72), die Belastung der Klägerin äußerst gering gewesen ist. Bestätigt wird dies durch die Betrachtung der Verflüchtigungsmengen sowie der wenigen Messungen, die an Arbeitsplätzen einer Steinkohlenteer-Raffinerie vorgenommen wurden. Bei einer experimentellen Messung wurde zur Ermittlung der Exposition bei der Heißverarbeitung von Teerprodukten über Steinkohlenteer (mit einem Gehalt von ca. 80 mg/kg o-Toluidin und ca. 100 mg/kg 2-Naphthylamin im Teer) für die Dauer von zwei Stunden ein Gasstrom von 50 ml/min geleitet. Dabei wurden bis zu 2,5 mg/kg an o-Toluidin (3 %) und 0,1 mg/kg (0,1 %) an 2-Naphthylamin freigesetzt (BK-Report 2019, S. 71). Übertragen auf den Gehalt von 1 mg/kg o-Toluidin und 2-Naphthylamin im Braunkohlenteer, könnte von einer Freisetzung von 0,03 mg/kg o-Toluidin bzw. 0,001 mg/kg 2-Naphthylamin ausgegangen werden. Bei einer Menge von ca. 100 g und einer direkten Expositionszeit von drei Stunden pro Woche läge die Menge, der die Klägerin pro Woche ausgesetzt gewesen sein könnte, bei 0,0045 mg o-Toluidin und 0,00015 mg 2-Naphthylamin. Bei 46 Arbeitswochen pro Jahr sowie 6 Jahren und 7 Monaten Tätigkeit entstünde eine Kumulationsdosis von 1,36 mg o-Toluidin (0,0045 mg x 46 Wochen x 6,583 Jahre)   und 0,045 mg 2-Naphthylamin (0,00015 mg x 46 Wochen x 6,583 Jahre). Diese überschlägige Betrachtung, die der Senat nicht zur Berechnung einer konkreten Exposition, sondern zur orientierenden Einordnung der Expositionshöhe heranzieht, wird dadurch bestätigt, dass bei Messungen in einer Steinkohlenteer-Raffinerie in verschiedenen Arbeitsbereichen wie Entladung von Eisenbahnkesselwagen, die Rohteer mit einer Temperatur von ca. 90°C enthielten, bei Anlagenfahrern in der kontinuierlichen Teerdestillation, bei der Aufarbeitung von unterschiedlichen Ölfraktionen, speziell die Anthracengewinnung, und bei der Herstellung von Strangpech bei personengetragener Probenahme in keinem Fall Luftkonzentrationen von 2-Naphthylamin oberhalb der Bestimmungsgrenze von 20 µg/m³ nachgewiesen werden konnten (BK-Report 2019, S. 70). Bei der Anwendung der BK 1301-Matrix legt der Senat daher eine kumulative Exposition von 2-Naphthylamin von unter 0,5 mg und von o-Toluidin von unter 3.000 mg zu Grunde.

Weiter wird von einer Expositionszeit von 6 Jahren und 7 Monaten (01. Februar 1957 bis zum 31. August 1963) sowie von zwei bis drei Stunden/Woche ausgegangen. Die Expositionsintensität wird als gering eingeschätzt. Dabei berücksichtigt der Senat, dass nach Aussage der Klägerin auch eine Abzugseinrichtung am Laborarbeitsplatz installiert war und genutzt wurde, sowie den Umstand, dass kein Hautkontakt stattgefunden hat. Zum Zeitpunkt der Erkrankung war die Klägerin 77 Jahre alt. Ein vorgezogener Erkrankungsbeginn, der für eine berufliche Verursachung sprechen könnte, lag damit nicht vor. Die Latenzzeit von 57 Jahren ist im Vergleich mit der durchschnittlichen Latenzzeit relativ lang, sie schließt die berufliche Verursachung zwar nicht aus, kann aber auch nicht als für sie sprechender Umstand herangezogen werden. Wiederholte Harnwegsinfektionen, die mit Antibiotika therapiert worden sind, können nach dem Abschlussbericht das Erkrankungsrisiko für Plattenepithelkarzinome erhöhen und werden entsprechend in der Matrix bewertet. Bei dem bei der Klägerin festgestellten Urothel-Karzinom wird hingegen ein erhöhtes Erkrankungsrisiko nicht angenommen (W. Weisenhöfer et al., Das beruflich bedingte Harnblasenkarzinom, MedSach 2022, S. 79 [86]). Den Ausführungen von Prof. Dr. P folgend, lässt der Senat daher den Umstand, dass bei der Klägerin vor der Krebserkrankung bereits Entzündungen der Blase vorgelegen haben, nicht in die Kausalitätsbewertung mit einfließen.

Letztlich sprechen bei Anwendung der in der Matrix genannten Kriterien die geringe feststellbare Exposition und die sehr geringe Expositionsintensität gegen eine berufliche Verursachung. Dafür sprechen die Expositionszeit und die Expositionshäufigkeit. Das Erkrankungsalter und die Latenzzeit sind als neutral zu betrachten. Dabei ist zu beachten, dass die Aspekte der Expositionshäufigkeit und -intensität in einer Zusammenschau zu betrachten sind (W. Weisenhöfer et al., Das beruflich bedingte Harnblasenkarzinom, MedSach 2022, S. 79 [84]). Danach ergibt sich in der Gesamtschau, selbst bei Einbeziehung des nach Ansicht des Senats erst auf der zweiten Stufe der Kausalitätsprüfung, der Wesentlichkeit des Verursachungsbeitrages, zu betrachtenden Raucherstatus, keine hinreichend wahrscheinliche Verursachung durch die berufliche Belastung. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass nicht festgestellt werden kann, dass die kumulative Exposition mehr als nur einen Bruchteil des untersten genannten Wertes ausgemacht hat, sowie dass auch die Expositionszeit und -häufigkeit jeweils im untersten Bereich der angegebenen Zeitspannen liegen.

Zu Ermittlungen zum möglichen weiteren Kriterium des Acetyliererstatus der Klägerin hat sich der Senat nicht veranlasst gesehen. Inwieweit dieser das Risiko, bei Einwirkung aromatischer Amine an einem Harnblasenkarzinom zu erkranken, beeinflussen kann, besteht kein wissenschaftlicher Konsens. Dies ergibt sich für den Senat aus dem Abschlussbericht und der hierzu erfolgten Veröffentlichung (W. Weisenhöfer et al., Das beruflich bedingte Harnblasenkarzinom, MedSach 2022, S. 79 [87]), wonach die Ergebnisse der hierzu vorliegenden Studien derzeit nicht ausreichten, um genetische Suszeptibilitätsfaktoren als wesentliche Argumente bei der Begutachtung heranzuziehen. Sie haben daher bei der Erstellung der BK 1301-Matrix keine Erwähnung gefunden. Zudem hat Prof. Dr. P in seinem Gutachten ausgeführt, dass man über Jahrzehnte davon ausgegangen sei, dass langsame Acetylierer ein höheres Risiko für Urotheltumore nach Einwirkungen aromatischer Amine hätten, dies aber durch neuere Genotypstudien nicht bestätigt worden sei. Auch nach den Ausführungen in der gutachterlichen Literatur scheint der Acetyliererstatus nur bei höher exponierten Personen das Krebsrisiko zu beeinflussen (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2017, S. 1185). Ein wissenschaftlicher Konsens lässt sich daraus gerade nicht ableiten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Verfahrens in der Hauptsache.

Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.

Rechtskraft
Aus
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