L 15 U 268/22 B

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
15
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 17 U 596/18
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 15 U 268/22 B
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 12.05.2022 geändert. Die dem Antragsteller für sein unter dem 21.07.2019 erstattetes Sachverständigengutachten zustehende Vergütung wird auf 4.529,60 Euro festgesetzt.

Dieser Beschluss ergeht gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Kosten sind im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

 

Gründe:

 

Die wegen der begehrten Heraufsetzung der Vergütung um 832,99 Euro auf 4.529,60 Euro gemäß § 4 Abs. 3 JVEG statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde des Antragstellers, der das Sozialgericht sinngemäß nicht abgeholfen hat (Verfügung vom 28.06.2022) und über die der Senat mangels besonderer Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art oder grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache durch den Vorsitzenden und Berichterstatter als Einzelrichter entscheidet (§ 4 Abs. 7 Satz 1 und 2 JVEG), ist begründet. Das Sozialgericht hat den Vergütungsanspruch des Antragstellers für sein unter dem 21.07.2019 erstattetes Sachverständigengutachten zu Unrecht auf 3.696,61 Euro festgesetzt. Dem Antragsteller stehen vielmehr die von ihm beantragten 4.529,60 Euro zu.

 

1. Für die gemäß §§ 9 Abs. 1 Satz 1, 8 Abs. 1 Satz 1 JVEG nach Zeitaufwand zu bemessende Vergütung sind entgegen der Auffassung des Sozialgerichts 3.550,- Euro anzusetzen. Der Ansatz der Honorargruppe M3 im Sinne der Anlage 1 zum JVEG in der hier gem. § 24 Satz 1 JVEG wegen der im Jahre 2019 erfolgten Beauftragung anwendbaren, bis zum 31.12.2020 geltenden Fassung (100,- Euro pro Stunde) ist dabei zwischen den Beteiligten unstreitig und auch in der Sache nicht zu beanstanden. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts ist der vom Sachverständigen selbst angegebene Zeitaufwand von 35,5 Stunden als erforderlich anzusehen.

 

a) Nach §§ 9 Abs. 1 Satz 1, 8 Abs. 1 Satz 1 JVEG richtet sich die Vergütung des Sachverständigen nach der für die Gutachtenerstellung erforderlichen Zeit. Wie viel Zeit erforderlich ist, hängt nicht von der individuellen Arbeitsweise des Sachverständigen ab, sondern ist nach einem objektiven Maßstab zu bestimmen. Erforderlich ist derjenige Zeitaufwand, den ein Sachverständiger mit durchschnittlicher Befähigung und Erfahrung bei sachgemäßer Auftragserledigung mit durchschnittlicher Arbeitsintensität benötigt, um sich nach sorgfältigem Studium ein Bild von den zu beantwortenden Fragen machen zu können und nach eingehender Überlegung seine gutachtlichen Darlegungen zu den ihm gestellten Fragen schriftlich niederzulegen. Dabei ist der Umfang des unterbreiteten Sachstoffs, der Grad der Schwierigkeit der zu beantwortenden Beweisfragen unter Berücksichtigung seiner Sachkunde auf dem betreffenden Gebiet und die Bedeutung der Sache angemessen zu berücksichtigen (ständige Rechtsprechung des zuständigen Senats, statt vieler Beschluss vom 20.02.2015 - L 15 KR 376/14 B -, juris Rn. 28 m.w.N.).

 

Nach ständiger Rechtsprechung des Senats sowie des zuvor für Vergütungsansprüche von Sachverständigen zuständigen 4. Senats des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen gliedert sich die Erstellung eines Gutachtens zur Gewährleistung eines objektiven Maßstabs hinsichtlich des erforderlichen Zeitaufwandes in vier vergütungspflichtige Arbeitsschritte (vgl. z.B. Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschl. vom 25.02.2005 - L 4 B 7/04 -, juris Rn. 22 ff. m.w.N.):

1. Zeitaufwand für Aktenstudium und vorbereitende Arbeiten,

 

2. Zeitaufwand für Untersuchung und Anamnese,

 

3. Zeitaufwand für Abfassung der Beurteilung,

 

4. Zeitaufwand für Diktate und Durchsicht.

 

b) Ausgehend von dieser eine gleichmäßige Rechtsanwendung gewährleistenden und im Hinblick auf die Anforderungen an ein sozialmedizinisches Sachverständigengutachten (vgl. hierzu z.B. Schleswig-Holsteinisches LSG, Beschl. v. 22.04.2008 - L 1 B 89/08 SK -, juris Rn. 4; Giesbert, in jurisPK-SGG, § 128 Rn. 55) sachgerechten Strukturierung ist der vom Sachverständigen geltend gemachte Zeitaufwand von 35,5 Stunden als erforderlich und angemessen anzusehen.

 

aa) Für den Arbeitsschritt „Aktenstudium und vorbereitende Arbeiten“ sind entgegen der Auffassung des Sozialgerichts nicht nur 7,5 Stunden für das Aktenstudium, die der Antragsteller insoweit auch selbst angesetzt hat und die aufgrund des Umstandes, dass allein die drei Bände umfassenden Verwaltungsakten ca. 1.000 Blatt umfasst haben (siehe den Vermerk im Aktendeckel), nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. den Beschl. des Senats vom 06.05.2013 – L 15 SB 40/13 B –, juris Rn. 7) ohne weiteres als erforderlich anzusehen sind, sondern auch die vom Antragsteller insoweit angesetzten 2 Stunden für die Beurteilung von Fremdröntgenaufnahmen zu berücksichtigen. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts ergibt sich aus den Seiten 1 und 66 f. des vom Antragsteller erstatteten Gutachtens eindeutig, dass der Antragsteller digitalisierte röntgenologische Befunde, die von anderen Ärzten erstellt worden sind, begutachtet und ausgewertet hat. Es hat sich dabei nicht um „aktenkundige“ Befunde gehandelt, denn nach den Ausführungen des Sachverständigen in seinem Gutachten hat der Kläger selbst die betreffenden Datenträger zur Begutachtung mitgebracht. Die Auswertung dieser Fremdaufnahmen kann deshalb nicht Teil des Aktenstudiums sein. Der hierfür benötigte Zeitaufwand muss vielmehr gesondert berücksichtigt werden, denn die Auswertung nicht aktenkundiger radiologischer Befunde ist zur Gewährleistung eines den gesamten medizinischen Sachverhalt berücksichtigenden schlüssigen Sachverständigengutachtens unerlässlich. Systematisch gelingt dies am ehesten, wenn man den entsprechenden Zeitaufwand zu den „vorbereitenden Arbeiten“ zählt.

 

bb) Für die Arbeitsschritte „Untersuchung und Anamnese“ und „Abfassung der Beurteilung“ sind die vom Sachverständigen insoweit selbstangegebenen 3,5 Stunden und 10 Stunden zu berücksichtigen. Warum dieser vom Antragsteller als tatsächlich benötigt angegebene Zeitaufwand objektiv nicht erforderlich gewesen sein soll, erschließt sich nicht. Weder das Sozialgericht noch der Antragsgegner haben insoweit Einwände erhoben.

 

cc) Für den Arbeitsschritt „Diktat und Durchsicht“ ist ebenfalls der vom Antragsteller als tatsächlich benötigt angegeben Zweitaufwand von 12,5 Stunden zu berücksichtigen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. den Beschluss des Senats vom 14.12.2018 - L 15 KR 539/18 B -, juris Rn. 19 unter Verweis auf LSG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 25.02.2005 - L 4 B 7/04 -, juris Rn. 27) ist davon auszugehen, dass ein durchschnittlicher Sachverständiger für Diktat und Korrektur von 6 Seiten zu je 1.650 Anschlägen inklusive Leerzeichen eine Stunde benötigt. Bei den 123432 Anschlägen inklusive Leerzeichen, die das Gutachten vom 21.07.2019 umfasst, ergibt sich damit ein Zeitaufwand von 12,47 Stunden. Insoweit kommt dann § 8 Abs. 2 Satz 2 JVEG zur Anwendung mit der Folge, dass in der Sache 12,5 Stunden für Diktat und Korrektur anzusetzen sind.

 

Für die von der Kostenbeamtin vorgenommene Kürzung auf 7,5 Stunden mit der Begründung, die auf den Seiten 2 bis 30 erfolgte zusammenfassende Wiedergabe des Akteninhalts sei vom Gutachtenauftrag nicht gedeckt und stehe in keinem Bezug zu den gutachterlichen Schlussfolgerungen, der das Sozialgericht gefolgt ist, gibt es keine Grundlage. Die Zusammenfassung des nach Auffassung des Sachverständigen relevanten Akteninhalts in einem medizinischen Sachverständigengutachten ist nicht nur allgemein üblich. Sie ist auch sinnvoll und im Übrigen zur Beurteilung der Schlüssigkeit und Überzeugungskraft eines medizinischen Sachverständigengutachtens unerlässlich. Durch die zusammenfassende Wiedergabe des Akteninhalts macht der Sachverständige nämlich deutlich, dass er den entsprechenden Akteninhalt erfasst und damit auch in seinem Gutachten berücksichtigt hat. Gerade für die Beteiligten ist die Zusammenfassung des Akteninhalts von großer Bedeutung, denn nur so können sie prüfen, ob der medizinische Sachverständige aus ihrer Sicht wesentliche Umstände möglicherweise übersehen hat. Lediglich ergänzend weist der Senat darauf hin, dass nach Kenntnis des Senats nahezu jedes medizinische Sachverständigengutachten – zu Recht – eine zusammenfassende Wiedergabe des aus Sicht des Sachverständigen relevanten Akteninhalts enthält und der Aufwand für Diktat und Korrektur dieses Teils des Gutachtens normalerweise von den zuständigen Kostenbeamten ohne weiteres als berücksichtigungsfähig anerkannt wird. Warum dies im Falle des Antragstellers nicht geschehen ist und auch der Vertreter der Landeskasse insoweit keinen Anlass für Beanstandungen sieht, erschließt sich nicht.

 

dd) Insgesamt ergibt sich damit ein erforderlicher Zeitaufwand von 35,5 Stunden und eine nach Zeitaufwand zu bemessende Vergütung von 3.550,- Euro.

 

2. Darüber hinaus steht dem Antragsteller die als „Leistungen nach GOÄ“ bezeichnete Vergütung in Höhe von 136,39 Euro (45,84 Euro für EEG, 45,84 Euro für Somatosensorisch evozierte Potentiale, 41,68 Euro für EMG zur Feststellung peripherer Funktionsstörungen, 3,03 Euro für Blutentnahme) zu. Rechtsgrundlage ist insoweit, was der Vertreter der Landeskasse augenscheinlich verkennt, § 10 Abs. 1 Satz 1 JVEG i.V.m. Ziffern 305 und 307 der Anlage 2 zum JVEG in der hier anwendbaren, bis zum 31.12.2020 geltenden Fassung (a.F.). Bei den vom Sachverständigen vorgenommenen Untersuchungen (EEG, Somatosensorisch evozierte Potentiale, EMG zur Feststellung peripherer Funktionsstörungen) handelt es sich um Elektrophysiologische Untersuchungen eines Menschen im Sinne der Ziffer 305 der Anlage 2 zum JVEG a.F. (vgl. zum entsprechenden Begriff den Beschluss des Senats v. 22.04.2021 - L 15 U 670/18 -, juris Rn. 4 m.w.N.). Diese besonderen Leistungen sind nach § 10 Abs. 1 Satz 1 JVEG ebenso gesondert vergütungsfähig wie die Blutentnahme (Ziffer 307 der Anlage 2 zum JVEG a.F.). Den gesetzlichen Vergütungsrahmen (15,- bis 135,- Euro pro Untersuchung bei Ziffer 305 und 9,- Euro bei Ziffer 307) hat der Antragsteller offensichtlich eingehalten. Es ist nicht zu beanstanden, wenn sich ein Sachverständiger bei der Bestimmung der Höhe des Honorars für die in der Anlage 2 zum JVEG abschließend aufgelisteten besonderen Leistungen an den Bestimmungen der GOÄ orientiert. Der Ansatz des 1,3-fachen Satzes der einschlägigen GOÄ-Ziffer, den der Antragsteller hier gewählt hat, wird vom Senat in ständiger Rechtsprechung in entsprechender Anwendung von § 10 Abs. 2 Satz 1 JVEG insoweit grundsätzlich akzeptiert.

 

3. Weiterhin erstattungsfähig sind Kosten für Porto und Verpackung (§ 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 JVEG a.F.) in Höhe von 10,- Euro und Schreibgebühren in Höhe von 111,60 Euro in Übereinstimmung mit § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 JVEG (je angefangene 1.000 Anschläge 0,90 Euro, also bei 123432 Anschlägen 124 mal 0,90 Euro).

 

4. Schließlich ist gemäß § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 JVEG die vom Antragsteller tatsächlich zu entrichtende Umsatzsteuer erstattungsfähig. Diese ist nach umsatzsteuerrechtlichen Vorschriften eigentlich auch auf die Fremdleistung „Porto“ zu entrichten (siehe den Beschluss des Senats vom 10.01.2022 - L 15 VG 51/21 B -, juris Rn. 21 m.w.N.) und beträgt mithin 723,52 Euro. Da der Antragsteller selbst aber insoweit nur 721,62 Euro geltend macht und der Vergütungsanspruch nach dem Dispositionsgrundsatz auf den Betrag begrenzt ist, den der Sachverständige selbst insgesamt beantragt, kann der Senat nicht über diesen Betrag hinaus gehen.

 

5. Es ergibt sich damit eine Vergütungsanspruch in Höhe von 4.529,60 Euro.

 

6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 4 Abs. 8 JVEG.

 

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 4 Abs. 4 Satz 3 JVEG, § 177 SGG).

 

 

 

Rechtskraft
Aus
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