1. Das Urteil des Bundessozialgerichtes vom 4. März 2021 (Az.: B 11 AL 5/20 R) kann auf den Fall einer Erstattungsforderung, die auf einer endgültigen Bewilligungsentscheidung nach einer vorangegangenen vorläufigen Leistungsbewilligung beruht, übertragen werden.
2. Ein endgültiger Bescheid im Sinne von § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1a SGB II a. F. in Verbindung mit § 328 Abs. 2 SGB III a. F. – oder seit dem 1. August 2016 ein abschließender Bescheid im Sinne von § 41a Abs. 3 SGB III – ist kein "Verwaltungsakt, der zur Feststellung oder Durchsetzung des Anspruchs eines öffentlich-rechtlichen Rechtsträgers erlassen wird" im Sinne von § 52 Abs. 1 Satz 1 SGB X.
3. Eine Erstattungsforderung nach § 335 Abs. 1 Satz 1 SGB III ist durch Verwaltungsakt geltend zu machen. Sie entsteht nicht kraft Gesetzes.
I. Auf die Berufung des Beklagten wird Satz 1 in Nummer 1 des Tenors des Gerichtsbescheides des Sozialgerichtes Chemnitz vom 9. Dezember 2019 aufgehoben; die Klage gegen den Bescheid der Agentur für Arbeit Y.... vom 13. März 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Agentur für Arbeit Z.... vom 5. August 2019 wird abgewiesen. Im Übrigen wird die Berufung des Beklagten zurückgewiesen
II. Der Beklagte hat 70 % der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten
III. Die Revision wird nicht zugelassen
Tatbestand
Der Beklagte wendet sich gegen einen Gerichtsbescheid des Sozialgerichtes, mit dem dieses zum einen den Bescheid über die Ablehnung eines Erlassantrages aufgehoben und zum anderen die Verjährung der beizutreibenden Erstattungsforderungen festgestellt hat.
Die 1970 geborene Klägerin bezog zusammen mit ihrem 1968 geborenen Lebensgefährten sowie den 1994 und 1997 geborenen Kindern von der ARGE Agentur für Arbeit – Vogtlandkreis (im Folgenden: ARGE) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) auf der Grundlage von vorläufigen Leistungsbewilligungen.
Die ARGE erließ am 10. September 2010 und 13. September 2010 drei an die Klägerin adressierte endgültige Leistungsbescheide für sie und ihre beiden minderjährigen Kinder, verbunden mit Erstattungsforderungen. Der eine Bescheid vom 10. September 2010 betraf die Monate März 2008 bis Juni 2008 mit einer auf die Klägerin entfallenden Erstattungsforderung in Höhe von 1.248,14 EUR. Der zweite Bescheid vom 10. September 2010 hatte die Monate September 2008 bis Februar 2009 zum Gegenstand und beinhaltete eine auf die Klägerin entfallenden Erstattungsforderung in Höhe von 2.610,24 EUR. Der Bescheid vom 13. September 2013 betraf die Monate März 2009 bis Juli 2009 mit einer auf die Klägerin entfallenden Erstattungsforderung in Höhe von 2.119,80 EUR. Diese Erstattungsforderungen summierten sich auf einen Gesamtbetrag in Höhe von 5.978,18 EUR.
Die von der ARGE mit dem Forderungseinzug beauftragte Bundesagentur für Arbeit (Regionaldirektion Bayern) richtete unter dem 16. September 2010 eine Zahlungsaufforderung an die Klägerin über einen Betrag in Höhe von 5.978,18 EUR. Am 2. Mai 2012 erließ sie einen Mahnbescheid über den Forderungsbetrag und setzte Mahngebühren in Höhe von 30,15 EUR fest.
Auf Grund von Teilzahlungen durch die Klägerin verringerte sich die Gesamtforderung in der Mahnung der Agentur für Arbeit Deggendorf (Regionaler Inkasso-Service) vom 31. Oktober 2013 auf 2.267,22 EUR (zuzüglich Mahngebühren in Höhe von 11,60 EUR) und in der Zahlungserinnerung der Agentur für Arbeit Y.... (Inkasso-Service) vom 5. September 2016 auf 2.131,40 EUR. Dieser Betrag wurde zum 19. September 2016 fällig gestellt.
Die nunmehr anwaltlich vertretene Klägerin legte – bezogen auf den Zeitraum von März bis Juli 2009 – mit Schriftsatz vom 24. Oktober 2016 Widerspruch gegen die Festsetzung der Mahngebühr ein und beantragte hilfsweise die ratenfreie Stundung.
Die Agentur für Arbeit Z.... verwarf diesen Widerspruch, den sie als gegen die Zahlungserinnerung gerichtet ansah, mit Widerspruchsbescheid vom 24. Januar 2017 als unzulässig.
Der Klägerbevollmächtigte erinnerte im Schriftsatz vom 20. Februar 2018 an den Stundungsantrag und erhob zugleich die Einrede der Verjährung. Hilfsweise berief sie sich auf Verwirkung und beantragte höchst hilfsweise den Erlass der Forderung. Schließlich berief sie sich auf die Haftungsbeschränkung Minderjähriger.
Die Agentur für Arbeit Y.... gab mit Schreiben vom 6. März 2018 Gelegenheit, zur Unbilligkeit des Forderungseinzuges als Voraussetzung für einen Erlass Angaben zu machen.
Am 15. Mai 2018 erließ sie eine Mahnung in Höhe von 2.130,80 EUR mit Fälligkeitstermin zum 30. Mai 2018. Zugleich setzte sie eine Mahngebühr in Höhe von 11,00 EUR fest.
Der Klägerbevollmächtigte legte mit Schriftsatz vom 18. Juni 2018 Widerspruch gegen die Festsetzung der Mahngebühr ein und erhob in Bezug auf die Erstattungsforderung die Einrede der Verjährung, hilfsweise der Verwirkung.
Die Agentur für Arbeit Z.... wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 17. Oktober 2018 zurück.
Die Agentur für Arbeit Y.... lehnte den Antrag auf Erlass der Forderung in Höhe von 2.130,80 EUR mit Bescheid vom 13. März 2019 ab. Der Bescheid enthielt folgenden Hinweis: „Die Forderung bleibt fällig“.
Der Klägerbevollmächtigte legte hiergegen mit Schriftsatz vom 11. April 2019 Widerspruch ein. Mit Schriftsatz vom 16. April 2019 seien Bezug nehmend auf das Schreiben vom 6. März 2018 Unterlagen übersandt worden. In einem im Übrigen wortgleichen Schriftsatz vom selben Tag berief er sich zusätzlich auf die Einrede zur Beschränkung der Minderjährigenhaftung.
Die Agentur für Arbeit Z.... wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 5. August 2018 zurück. Die Forderung sei nicht verjährt. Sachliche Unbilligkeitsgründe seien nicht vorgetragen worden und lägen nach Aktenlage nicht vor. Feststellungen zur wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit oder zu einer erheblichen Härte der sofortigen Einziehung (Erlassbedürftigkeit) könnten wegen fehlender Angaben und Unterlagen nicht getroffen werden. Da nicht festgestellt werden könne, ob aktuell eine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Klägerin vorliege oder nicht, komme nach Abwägung der Interessen der Klägerin und der Interessen der Beitragszahler ein Erlass nicht in Betracht.
Die Klägerin hat gegen den am 6. August 2019 versandten Widerspruchsbescheid am 5. September 2019 Klage erhoben und den Erlass der Forderungen begehrt. Zur Begründung hat sie ausgeführt, dass der Betrag von 2.130,80 EUR nicht mehr fällig, sondern zum 31. Dezember 2014 verjährt sei. Die Voraussetzungen für eine Hemmung der Verjährung hätten nicht vorgelegen. Da die Forderung nicht mehr durchsetzbar sei, könne offenbleiben, ob hieraus der Anspruch auf Erlass der Forderung resultiere.
Die damals beklagte Bundesagentur für Arbeit hat vorgetragen, dass nach den anzuwendenden Weisungen § 52 Abs. 2 des Sozialgesetzbuches Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) die Regelung des § 50 Abs. 4 SGB X außer Kraft setze. Die Verjährungsfrist betrage deshalb 30 Jahren.
Das Sozialgericht hat mit Gerichtsbescheid vom 9. Dezember 2019 den Bescheid der Agentur für Arbeit Y.... vom 13. März 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids der Agentur für Arbeit Z.... vom 5. August 2019 aufgehoben und festgestellt, dass die von der beklagten Bundesagentur für Arbeit geltend gemachte Forderung verjährt ist. Das Klagebegehren sei dahingehend auszulegen, dass die Klägerin neben der Aufhebung des Bescheids vom 13. September 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids auch die Feststellung der Verjährung der von Behördenseite geltend gemachten Forderung erreichen wolle. Diese Klage sei begründet. Die Feststellung der Verjährung sei offenkundig Hauptanliegen des eingelegten Widerspruchs gewesen. Nur hilfsweise habe über einen Erlass, der sich aufgrund der festzustellenden Verjährung ohnehin erledigt gehabt habe, entschieden werden sollen. Die Forderung des Jobcenters sei nach § 50 Abs. 4 SGB X zum 31. Dezember 2014 verjährt. Die Verjährungsfrist von 30 Jahren nach § 52 Abs. 2 SGB X sei hier nicht maßgebend. Denn es sei weder zugleich mit der Festsetzung nach § 50 Abs. 3 Satz 1 SGB X noch innerhalb der 4-Jahres-Frist des § 50 Abs. 4 SGB X zur Durchsetzung des festgestellten Erstattungsanspruchs ein Verwaltungsakt ergangen. Dass diese Verfahrensweise einer fachlichen Weisung entsprochen habe, sei unerheblich.
Die damalige Beklagte, die Bundesagentur für Arbeit (Agentur für Arbeit Düsseldorf), hat am 14. Januar 2020 Berufung eingelegt. Sie hat gerügt, dass das Jobcenter Vogtland als Inhaber der Forderung nicht gemäß § 75 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) beigeladen worden ist. Auch in der Sache sei die Entscheidung des Sozialgerichtes unzutreffend. Denn die hier maßgebende Erstattungsforderung beruhe nicht auf § 50 Abs. 3 SGB X, sondern in Bezug auf die Regelleistung auf § 328 Abs. 3 des Sozialgesetzbuches Drittes Buch – Arbeitsförderung – (SGB III) und in Bezug auf die Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge auf § 335 Abs. 1 SGB III. Eingehend hat sie die Rechtsauffassung der Bundesagentur für Arbeit zum Verhältnis von § 50 Abs. 4 SGB X und § 52 Abs. 2 SGB X dargelegt. Bei einer endgültigen Leistungsfestsetzung verbunden mit einer Erstattungsforderung handle es sich um einen Verwaltungsakt sowohl zur Feststellung als auch zur Durchsetzung einer Forderung im Sinne von § 52 Abs. 1 SGB X. Unabhängig davon hätte des Sozialgerichts für den Teil der Forderung in Höhe von 589,32 EUR, der auf die Erstattung von Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen entfalle, die Verjährung nicht feststellen dürfen. Denn diese unterlägen, soweit sie bestandskräftig festgestellt worden seien, nach dem Urteil des Bundessozialgerichtes vom 31. Oktober 2012 (Az.: B 13 R 13/12 R) der 30-jährigen Verjährung. Die Klage sei auch insoweit unbegründet, als sie sich gegen die Ablehnung des Erlassantrages wende. Die Klägerin habe dazu keine Angaben gemacht, die im Rahmen der zu treffenden Entscheidung hätten berücksichtigt werden können. Darüber hinaus sei zu berücksichtigen, dass die Klägerin im Verwaltungsverfahren nach dem SGB II ihren Mitwirkungspflichten ebenfalls nicht nachgekommen sei. Ihr eigenes Handeln sei somit ursächlich für das Entstehen der Forderung gewesen. Dieser Umstand wäre im Rahmen einer Abwägung zu Lasten der Klägerin zu berücksichtigen.
Mit richterlichem Schreiben vom 10. März 2021 sind die Beteiligten auf das Urteil des Bundessozialgerichtes vom 4. März 2021 (Az.: B 11 AL 5/20 R) hingewiesen worden. Die damalige Beklagte ist gebeten worden mitzuteilen, ob das Berufungsverfahren beendet werden soll, oder ergänzend unter Berücksichtigung des Urteils des Bundessozialgerichtes vom 4. März 2021 zur Berufung vorzutragen.
Die damalige Beklagte hat mit Schriftsatz vom 20. August 2021 erklärt, dass die Auswertung der Entscheidung des Bundessozialgerichtes noch nicht vollständig abgeschlossen sei. In der Sache gehe sie zunächst davon aus, dass das Verfahren nicht beendet werden können. Denn das Bundessozialgericht habe im Urteil vom 4. März 2021 weder über die Verjährung von Erstattungsforderungen aus vorläufigen Leistungsbewilligungen noch über die Verjährung von Erstattungsforderungen betreffend Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen entschieden.
Mit Schriftsatz vom 14. Januar 2022 hat die Bundesagentur für Arbeit (Agentur für Arbeit Düsseldorf) angezeigt, dass unter Berücksichtigung des Urteils des Bundessozialgerichtes vom 14. Mai 2020 (Az.: B 14 AS 28/19 R) ein Beteiligtenwechsel kraft Gesetzes stattgefunden habe. Die Übertragung der Aufgabe "Bearbeitung von gerichtlichen Verfahren im Bereich Inkasso SGB II" auf die Bundesagentur für Arbeit am 31. Dezember 2021 habe geendet. Das Verfahren werde seit 1. Januar 2022 von dem nach § 44b Abs. 1 Satz 2 SGB II zuständigen Jobcenter Vogtland fortführen.
Der nunmehrige Beklagte, das Jobcenter Vogtland, hat mit Schriftsatz vom 10. März 2022 mitgeteilt, dass er sich der Rechtsauffassung der Bundesagentur für Arbeit vollumfänglich anschließe. Hinsichtlich der Erstattung von Leistungen bei endgültiger Festsetzung des Leistungszeitraumes vom 1. September 2008 bis zum 28. Februar 2009 sei ein Berufungsverfahren [Überprüfungsantrag gem. § 44 SGB X] unter dem Az.: L 7 AS 235/19 (seit 1. Februar 2023: Az.: L 6 AS 235/19) anhängig.
Der Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichtes Chemnitz vom 9. Dezember 2019 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Stützung ihrer Rechtsauffassung zur Verjährung verweist sie unter anderem auf das Urteil des Landessozialgerichte Rheinland-Pfalz vom 27. September 2018 (Az.: L 1 AL 88/17) und den Beschluss der des Landessozialgerichtes Berlin-Brandenburg vom 14. Dezember 2018 (Az.: L 34 AS 2224/18 B ER).
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten aus beiden Verfahrenszügen sowie die beigezogenen Verwaltungsakten der Bundesagentur für Arbeit (Agentur für Arbeit Düsseldorf) (1 Heftung) und des Jobcenters Vogtland (2 Bände) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I. Die zulässige Berufung des Beklagten ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Das Sozialgericht hat zu Unrecht den Bescheid der Agentur für Arbeit Y.... vom 13. März 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids der Agentur für Arbeit Z.... vom 5. August 2019 aufgehoben (unten 3.). Es hat jedoch im Ergebnis zutreffend festgestellt, dass die Erstattungsforderungen verjährt sind (unten 2.)
1. Gegenstand der Überprüfung im Berufungsverfahren sind neben dem Gerichtsbescheid vom 9. Dezember 2019 die im Klageverfahren vom Klägerbevollmächtigten formulierten Rechtsschutzbegehren der Klägerin, nämlich zum einen die Aufhebung des Bescheides der Agentur für Arbeit Y.... vom 13. März 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids der Agentur für Arbeit Z.... vom 5. August 2019 und zum anderen die Feststellung der Verjährung der Erstattungsforderungen.
Das Rechtsschutzbegehren der Klägerin bedarf der Auslegung (vgl. § 123 SGG). Der Klägerbevollmächtigte hatte im Verwaltungsverfahren zunächst einen – später nicht weiter verfolgten – Stundungsantrag gestellt und dies im Schriftsatz vom 20. Februar 2018 um die Einrede der Verjährung sowie hilfsweise die Einrede der Verwirkung ergänzt und höchst hilfsweise den Erlass der Forderung beantragt. Im Klageschriftsatz hat er das Erlassbegehren weiter verfolgt und im Rahmen der Begründung die Verjährung der Forderung geltend gemacht. Das Sozialgericht hat dieses kombinierte Rechtsschutzbegehren zutreffend als Klagehäufung gemäß § 56 SGG und in dem Sinne verstanden, dass die Klägerin in erster Linie die Feststellung der Verjährung und nur hilfsweise eine positive Entscheidung ihres Erlassantrages erstrebt (vgl. zur Zulässigkeit einer Eventualklagehäufung: BSG, Beschluss vom 26. Juli 2006 – B 3 KR 6/06 B – SozR 4-1500 § 197a Nr. 4 = juris Rdnr. 13; SG Duisburg, Urteil vom 28. Mai 2021 – S 49 AS 4524/17 – juris Rdnr. 39; Adams, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG [2. Aufl., 2022], § 56 Rdnr. 12; Böttiger, in: Fichte/Jüttner, SGG [3. Aufl., 2020], § 56 SGG Rdnr. 3). Dies entspricht auch dem Verhältnis von Verjährungseinrede und Forderungserlass. Die Einrede der Verjährung bietet im Verhältnis zu einem Antrag auf Erlass einer Forderung den weitergehenden Rechtsschutz. Zwar führt eine erfolgreiche Einrede der Verjährung nicht zum Erlöschen des streitigen Anspruches, sondern nur zu einem Leistungsverweigerungsrecht (vgl. zu § 52 SGB X: BSG, Urteil vom 4. März 2021 – B 11 AL 5/20 R – BSGE 131, 286 ff. = SozR 4-1300 § 50 Nr. 7 = juris, jeweils Rdnr. 24; Engelmann, in: Schütze, SGB X [9. Aufl., 2020], § 52 Rdnr. 17; zu § 45 SGB I: BSG, Urteil vom 15. Juni 2000 – B 7 AL 64/99 R – BSGE 86, 182 ff. = SozR 3-1200 § 45 Nr. 9 = juris Rdnr. 21; Rolfs, in: Hauck/Noftz, SGB I [49. Erg-Lfg], § 45 Rdnr. 1). Die Möglichkeit einer Einziehung der Forderung, die Voraussetzung für einen Forderungserlass ist (vgl. § 59 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BHO), ist somit weiterhin gegeben. Wenn sich ein Forderungsschuldner aber erfolgreich auf ein Leistungsverweigerungsrecht beruft, fehlt ihm für einen Antrag auf Erlass der Forderung das Rechtsschutzbedürfnis.
Eine andere Auslegung des Rechtsschutzbegehrens käme nur dann zum Tragen, wenn es nach dem Willen der Klägerseite ihr Hauptanliegen wäre, zunächst eine Entscheidung über den Erlassantrag und nur hilfsweise eine Entscheidung zur streitigen Verjährung der Erstattungsforderung zu erlangen. Ein solches Ansinnen hat die Klägerin aber weder ausdrücklich noch konkludent zum Ausdruck gebracht.
2. Die Berufung des Beklagten ist, soweit sie gegen die Feststellung der Verjährung der Erstattungsforderungen durch das Sozialgericht gerichtet ist, unbegründet.
a) Die Feststellungsklage ist für das Rechtsschutzbegehren der Klägerin die statthafte Klageart. Das Bundessozialgericht hat diesbezüglich im Urteil vom 4. März 2021 ausgeführt, dass – wie vorliegend – durch die bindend festgestellten Erstattungsansprüche ein Rechtsverhältnis im Sinne von § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG zwischen dem Kläger und dem die Erstattungsentscheidungen erlassenden Rechtsträger begründet worden ist (vgl. BSG, Urteil vom 4. März 2021, a. a. O., Rdnr. 19). Das erforderliche berechtigte Interesse der Klägerin an einer baldigen Feststellung im Sinne von § 55 Abs. 1 SGG ist gegeben, weil die Klägerin die Einrede der Verjährung erhoben hat und sich aus dem Verhalten sowohl der früheren Beklagten als auch dem jetzigen Beklagten ergibt, dass die Auffassung vertreten wird, eine Verjährung sei nicht eingetreten (vgl. BSG, Urteil vom 4. März 2021, a. a. O., Rdnr. 19).
b) Das Bundessozialgericht hat in dem zitierten Urteil vom 4. März 2021 in Bezug auf eine Aufhebung einer endgültigen Leistungsbewilligung weiter entschieden, dass der daraus folgende Erstattungsanspruch nach § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X dem Grunde nach nicht bereits mit dem Wegfall der Leistungsvoraussetzungen, sondern erst mit der Aufhebung der Leistungsbewilligung entsteht. Erst der Erstattungsverwaltungsakt nach § 50 Abs. 3 Satz 1 SGB X begründet die Forderung, in dem der Zahlungsanspruch verbindlich festgestellt wird; § 50 Abs. 3 Satz 1 SGB X ist damit zugleich Rechtsgrundlage für den Erlass einer Vollstreckungsgrundlage. § 50 Abs. 4 Satz 1 SGB X verknüpft den Beginn der Verjährung erst mit einem ihn konkret festsetzenden schriftlichen Verwaltungsakt im Sinne von § 50 Abs. 3 SGB X und dessen Unanfechtbarkeit (vgl. BSG, Urteil vom 4. März 2021, a. a. O., Rdnr. 22).
Umstritten war, ob die 4-jährige Verjährungsfrist aus § 50 Abs. 4 Satz 1 SGB X oder wegen der Regelung in § 50 Abs. 4 Satz 3 SGB X, wonach § 52 SGB X unberührt bleibt, die 30-jährige Verjährungsfrist aus § 52 Abs. 2 SGB X einschlägig war. Zum Verhältnis von § 50 Abs. 4 Satz 3 SGB X und § 52 SGB X hat das Bundessozialgericht im Urteil vom 4. März 2021 entschieden, dass § 52 SGB X auf die Konstellation eines Erstattungsbescheids, der den Anspruch eines Leistungsträgers auf Erstattung zu Unrecht erbrachter Leistungen erstmals nach § 50 Abs. 3 SGB X festsetzt und damit den Lauf einer Verjährung beginnen lässt, keine Anwendung findet (vgl. BSG, Urteil vom 4. März 2021, a. a. O., Rdnr. 25 ff.). Es hat ausgeführt, dass § 52 SGB X auf Ansprüche anwendbar ist, deren Verjährung bereits mit ihrer Entstehung beginnt und die (allein) zu ihrer Geltendmachung durch Verwaltungsakt (deklaratorisch) festgesetzt oder durchgesetzt werden. Beispielhaft hat es Rückzahlungsansprüche nach Wegfall einer einstweiligen Anordnung und Ansprüche der Sozialversicherungsträger auf Beiträge, die bereits bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen vier Jahre nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden sind (vgl. z. B. § 25 Abs. 1 SGB IV), verjähren, genannt (vgl. BSG, Urteil vom 4. März 2021, a. a. O., Rdnr. 28). Ein Erstattungsanspruch nach Aufhebung eines Verwaltungsakts verjährt nur dann erst nach 30 Jahren, wenn ein weiterer Verwaltungsakt zur Feststellung oder Durchsetzung des Anspruchs während einer bereits laufenden Verjährung dieses Anspruchs bindend wird (vgl. BSG, Urteil vom 4. März 2021, a. a. O., Leitsatz 1 und Rdnr. 39). Eine Zahlungsaufforderung, die allein hinsichtlich der Festsetzung der Mahngebühren mit einer Rechtsbehelfsbelehrung verbunden ist, macht das Mahnschreiben nicht insgesamt zu einem Verwaltungsakt im Sinne von § 52 Abs. 1 Satz 1 SGB X (vgl. BSG, Urteil vom 4. März 2021, a. a. O., Leitsatz 1 und Rdnr. 40).
Der erkennende Senat schließt sich dieser Entscheidung des Bundessozialgerichtes an. Auch die Beteiligten haben nach der Veröffentlichung dieser Entscheidung keine gegenteiligen oder abweichenden Rechtsauffassungen vertreten. Soweit vor dem Urteil des Bundessozialgerichtes vom 4. März 2021 in der Rechtsprechung und im Schrifttum andere Auffassungen vertreten worden sind, werden diese, soweit ersichtlich, nicht mehr aufrechterhalten.
c) Das zitierte Urteil des Bundessozialgerichtes vom 4. März 2021 kann auf den Fall einer Erstattungsforderung, die auf einer endgültigen Bewilligungsentscheidung nach einer vorangegangenen vorläufigen Leistungsbewilligung beruht, übertragen werden, und zwar sowohl in Bezug auf die eigentliche, dem Leistungsempfänger unmittelbar erbrachte Sozialleistung ([2]) als auch in Bezug auf die vom Jobcenter entrichteten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung ([3]). Damit verjährt eine Erstattungsforderung, wenn – wie vorliegend – nur ein endgültiger Leistungsbescheid und eine Erstattungsentscheidung ergangen ist, in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem der endgültige Festsetzungsbescheid unanfechtbar geworden ist (so bereits – mit einer Analogie zur Vorschussregelung in § 2 Abs. 2 Satz 3 SGB I i. V. m. § 50 Abs. 4 SGB X oder einer Analogie unmittelbar von § 50 Abs. 4 SGB X –: Sächs. LSG, Beschluss vom 7. Januar 2021 – L 7 AS 726/20 B ER – juris Rdnr. 28; LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 27. September 2016 – L 11 AS 1004/14 – juris Rdnr. 22; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 4. April 2017 – L 2 AS 1921/16 – juris Rdnr. 51; LSG Thüringen, Urteil vom 22. März 2018 – L 9 AS 323/16 – juris Rdnr. 44; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 30. März 2022 – L 9 AS 216/22 B ER – juris Rdnr. 15; Hengelhaupt, in: Hauck/Noftz, SGB III [2. Aufl., 2. Erg.-Lfg. 2023], § 328 Rdnr. 310; Kallert, in: Knickrehm/Deinert; beck-online. Großkommentar [Stand: 1. Juni 2019], § 328 SGB III Rdnr. 90; Kallert, in: Knickrehm/Deinert; beck-online.Großkommentar [Stand: 1. März 2022], § 41a SGB II Rdnr. 244; Schaumberg, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB III [3. Aufl., 2023], § 328 Rdnr. 140; Schmidt-De Caluwe, in: Heinz/Schmidt-De Caluwe/Scholz, SGB III [7. Aufl., 2021], § 328 Rdnr. 56; im Ergebnis auch: LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 6. Juni 2019 – L 4 AS 272/17 – juris Rdnr. 49; a. A., wenn ein Erstattungsbescheid ergangen und unanfechtbar geworden ist: Düe, in: Brand, SGB III [9. Aufl., 2021], § 328 Rdnr. 27).
(1) Maßgebend für die im September 2010 gegenüber der Klägerin erlassenen, endgültigen Leistungsbewilligungen mit den damit verbundenen Erstattungsforderungen sind § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1a SGB II in der vom 1. Oktober 2005 bis zum 31. März 2011 geltenden Fassung (vgl. Artikel 1 Nr. 5 des Gesetzes vom 14. August 2005 [BGBl. I S. 2407]) in Verbindung mit § 328 SGB III in der vom 1. November 2006 bis zum 31 März 2012 geltenden Fassung (vgl. Artikel 1 Nr. 25 Gesetzes vom 24. April 2006 [BGBl. I S. 926]) sowie § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB II in der vom 1. Januar 2005 bis zum 31. März 2011 geltenden Fassung (vgl. Artikel 1 des Gesetzes vom 24. Dezember 2003 [BGBl. I S. 2954]) in Verbindung mit § 335 SGB III in der vom 1. Januar 2009 bis zum 31. März 2012 geltenden Fassung (vgl. Artikel 2 Nr. 3 des Gesetzes vom 15. Juli 2009 [BGBl. I S. 1939]).
Spätere Gesetzesänderungen, insbesondere die Einführung von § 41a SGB II mit den Regelungen zur vorläufigen Entscheidung (vgl. Artikel 1 Nr. 36 des Gesetzes vom 26. Juli 2016 [BGBl. I S. 1824]), haben in Bezug auf die vorliegend streitigen Rechtsfragen keine entscheidungserheblichen Änderungen ergeben.
(2) Nach § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1a SGB II a. F. in Verbindung mit § 328 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 1 SGB III a. F. waren, soweit mit der abschließenden Entscheidung ein Leistungsanspruch nicht oder nur in geringerer Höhe zuerkannt wurde, auf Grund der vorläufigen Entscheidung erbrachte Leistungen zu erstatten. Diese Regelungen sind die Rechtsgrundlagen für einen eigenständigen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch (vgl. Kallert, in: Knickrehm/Deinert; beck-online.Großkommentar [Stand: 1. Juni 2019], § 328 Rdnr. 88; Schaumberg in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB III [3. Aufl., 2023], § 328 Rdnr. 135). § 328 Abs. 3 Satz 2 SGB III ist lex specialis zur allgemeinen Erstattungsvorschrift des § 50 SGB X (vgl. Sächs. LSG, Beschluss vom 7. Januar 2021, a. a. O.; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 23. März 2022 – L 18 AS 347/20 – juris Rdnr. 20; Düe, a. a. O., Hengelhaupt, a. a. O., § 328 Rdnr. 294).
Ein endgültiger Bescheid im Sinne von § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1a SGB II a. F. in Verbindung mit § 328 Abs. 2 SGB III a. F. – oder seit dem 1. August 2016 ein abschließender Bescheid im Sinne von § 41a Abs. 3 SGB III – ist bereits kein "Verwaltungsakt, der zur Feststellung oder Durchsetzung des Anspruchs eines öffentlich-rechtlichen Rechtsträgers erlassen wird" im Sinne von § 52 Abs. 1 Satz 1 SGB X.
Denn ebenso wie im Falle einer von Anfang an endgültigen Leistungsbewilligung entsteht auch bei einer endgültigen Leistungsentscheidung, die einer vorläufigen Leistungsbewilligung nachfolgt, der daraus folgende Erstattungsanspruch nach § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X dem Grunde nach nicht bereits mit dem Wegfall der Leistungsvoraussetzungen, sondern erst mit der Aufhebung der vorläufigen Leistungsbewilligung durch die endgültige Leistungsentscheidung.
Insoweit unterscheiden sich die Fälle der endgültigen Leistungsentscheidungen von denen der Beitragspflicht zur Sozialversicherung, für die die Verjährungsvorschrift des § 52 SGB X gilt. So entstehen die Beitragsansprüche der Versicherungsträger nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB IV, sobald ihre im Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes bestimmten Voraussetzungen vorliegen. Dies bedeutet, dass der Beitragsanspruch kraft Gesetzes, unabhängig vom Willen der Beteiligten und auch ohne deren Kenntnis, entsteht (vgl. BSG, Urteil vom 23. Februar 1988 – 12 RK 43/87 – SozR 2100 § 8 Nr. 5 = juris Rdnr. 21). Es bedarf weder für das Entstehen noch für die Konkretisierung des Anspruchs eines Verwaltungsakts (vgl. Segebrecht, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IV [4. Aufl., 2021], § 22 Rdnr. 36; Udsching, in: Hauck/Noftz, SGB IV [5. Erg.-Lfg. 2022], § 22 Rdnr. 4).
Soweit beklagtenseits darauf verwiesen wird, dass weder in § 328 Abs. 3 SGB III noch an anderer Stelle gefordert wird, dass hinsichtlich der Erstattungsforderung ein Verwaltungsakt ergehen muss, ist dies nach dem bloßen Gesetzeswortlaut zutreffend. Insoweit unterscheidet sich § 328 Abs. 3 SGB III, der spezialgesetzlichen Regelungen für den Ausgleich von vorläufig erbrachten und endgültig zustehenden Geldleistungen enthält (vgl. BSG, Urteil vom 23. August 2012 – B 4 AS 169/11 R – SozR 4-4200 § 40 Nr. 5 = juris Rdnr. 18; Hengelhaupt, in: Hauck/Noftz, SGB III [2. Aufl., 2. Erg.-Lfg. 2023], § 328 Rdnr. 281; vgl. auch Schaumberg, a. a. O. § 328 Rdnr. 136), von § 50 Abs. 3 SGB X. Nach § 50 Abs. 3 Satz 1 SGB X ist die zu erstattende Leistung durch schriftlichen Verwaltungsakt festzusetzen. Nach § 50 Abs. 3 Satz 2 SGB X soll die Festsetzung, sofern die Leistung auf Grund eines Verwaltungsakts erbracht worden ist, mit der Aufhebung des Verwaltungsaktes verbunden werden. Allerdings muss auch im Rahmen von § 328 Abs. 3 SGB III die Erstattungsforderung – insoweit ungeschrieben – durch Verwaltungsakt geltend gemacht werden (vgl. Hengelhaupt, a. a. O., Rdnr. 301; Winkler, in: Böttiger/Körtek/Schaumberg, LPK-SGB III [3. Aufl., 2019], § 328 Rdnr. 30; so zu § 335 SGB III bereits BSG, Urteil vom 7. Oktober 2009 – B 11 AL 31/08 R – BSGE 104, 285 ff. = juris Rdnr. 31). Denn die Forderung zur Erstattung zu Unrecht erbrachter vorläufiger Leistungen entsteht weder kraft Gesetzes noch ist sie in dem Bescheid über die endgültige Leistungsentscheidung enthalten. Sie ist vielmehr eine eigenständige rechtsgestaltende Regelung im Sinne von § 31 Satz 1 SGB X (vgl. Hengelhaupt, a. a. O., Rdnr. 301; Schaumburg, a. a. O.).
Soweit in neuerer Kommentarliteratur zur abschließenden Entscheidung im Sinne von § 41a Abs. 3 Satz 1 und Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 SGB II die Auffassung vertreten wird, dass gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II in Verbindung mit § 52 Abs. 2 SGB X die Verjährungsfrist 30 Jahre betrage (vgl. Hengelhaupt, in: Hauck/Noftz, SGB II [4. Erg.-Lfg. 2022, Stand: Juni 2022], § 41a Rdnr. 514), findet hierbei keine Auseinandersetzung mit dem Urteil des Bundessozialgerichtes vom 4. März 2021 statt.
(3) Entsprechendes gilt für die Forderung zur Erstattung von Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung, die von der Bundesagentur für eine Bezieherin oder für einen Bezieher von Arbeitslosengeld gezahlt worden sind. Auch für diese gilt die 4-jährige Verjährungsfrist (so bereits Schaumberg, a. a. O., § 335 Rdnr. 44; Hengelhaupt, in: Hauck/Noftz, SGB III [2. Aufl., 2. Erg.-Lfg. 2023], § 335 Rdnr. 141 [unter Verweis auf § 25 Abs. 1 SGB IV; vgl. auch: LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 19. Januar 2005 – L 12 AL 21/04 – juris Rdnr. 18; Düe, a. a. O., § 335 Rdnr. 10).
Nach § 335 Abs. 1 Satz 1 SGB III hat, wenn von der Bundesagentur für eine Bezieherin oder für einen Bezieher von Arbeitslosengeld Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung gezahlt wurden, die Bezieherin oder der Bezieher dieser Leistungen der Bundesagentur die Beiträge zu ersetzen, soweit die Entscheidung über die Leistung rückwirkend aufgehoben und die Leistung zurückgefordert worden ist. Nach § 335 Abs. 5 SGB III gilt dies für die Beiträge der Bundesagentur zur sozialen Pflegeversicherung für Versicherungspflichtige nach § 20 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 des Sozialgesetzbuches Elftes Buch – Soziale Pflegeversicherung – (SGB XI) entsprechend. Auch diese Erstattungsforderung ist durch Verwaltungsakt geltend zu machen (vgl. BSG, Urteil vom 7. Oktober 2009 – B 11 AL 31/08 R – BSGE 104, 285 ff. = juris Rdnr. 31; Schaumberg in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB III [3. Aufl., 2023], § 335 Rdnr. 37, m. w. N.). Auch hier entsteht die Erstattungsforderung nicht kraft Gesetzes.
Der Verweis der Beklagtenseite auf das Urteil des Bundessozialgerichtes vom 31. Oktober 2012 greift nicht, weil sich die dortige Entscheidung zur 30-jährigen Verjährungsfrist auf Gesamtsozialversicherungsbeiträge bezog (vgl. BSG, Urteil vom 31. Oktober 2012 – B 13 R 13/12 R – Die Beiträge Beilage 2013, 139 ff. = juris Rdnr. 1 ff., 15) und nicht auf von der Bundesagentur für Arbeit für eine Bezieherin oder für einen Bezieher von Arbeitslosengeld gezahlte Beiträge zur gesetzlichen Kranken- oder Pflegeversicherung.
3. Hingegen ist die Berufung des Beklagten, soweit sie gegen die Aufhebung des Bescheides der Agentur für Arbeit Y.... vom 13. März 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Agentur für Arbeit Z.... vom 5. August 2019 gerichtet ist, begründet.
a) Das Jobcenter Vogtland ist nach der Aufhebung der Aufgabenübertragung für den Bereich der Verwaltungsvollstreckung der von ihm (oder vorliegend seinem Rechtsvorgänger) erlassenen Bescheide auf die Bundesagentur für Arbeit nunmehr richtiger Beklagter.
Im Falle eines Wechsels der durch oder auf Grund eines Gesetzes bestimmten Zuständigkeit ist die neu zuständige Behörde zuständig (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 26. November 2014 – OVG 9 B 59.11 – juris Rdnr. 41, m. w. N.). Im Fall der Klägerin hat ursprünglich die ARGE und später ihr Rechtsnachfolger (vgl. § 73 Abs. 3 Satz 1 SGB II in der vom 1. April 2011 bis zum 31. Juli 2016 geltenden Fassung der Bekanntmachung vom 13. Mai 2011 [BGBl. I S. 850]; vgl. hierzu auch: BSG, Urteil vom 18. Januar 2011 – B 4 AS 14/10 R – BSGE 107, 206 ff. = SozR 4-4200 § 7 Nr. 22 = juris Rdnr. 9), das jetzt beklagte Jobcenter, auf der Grundlage von § 44b Abs. 4 Satz 1 SGB II die Aufgaben der Verwaltungsvollstreckung auf die Bundesagentur für Arbeit als Trägerin im Sinne von § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II übertragen (vgl. zur Übertragung des Forderungseinzuges: BSG, Urteil vom 14. Mai 2020 – B 14 AS 28/19 R – BSGE 130, 144 ff. = juris Rdnr. 27 ff.).
Der Grundsatz, dass nach einem Zuständigkeitswechsel die neue Behörde zuständig ist, gilt auch für zum Zeitpunkt des Zuständigkeitswechsels noch nicht erledigte Vorgänge (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, a. a. O.). Denn im Sozialverwaltungsverfahren gibt es – vorbehaltlich etwaiger, hier nicht bestehender Sonderregelungen – im Gegensatz zu den Gerichtsverfahren keine dem § 17 Abs. 1 Satz 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) entsprechende Regelung, wonach ein Gericht für ein einmal begonnenes Verfahren grundsätzlich zuständig bleibt („perpetuatio fori“) (vgl. Sächs. LSG, Urteil vom 12. März 2015 – L 3 AL 125/13 – juris Rdnr. 27, m. w. N.; OVG Berlin-Brandenburg, a. a. O.).
Damit ist das beklagte Jobcenter an die Stelle der Bundesagentur für Arbeit getreten mit der Folge, dass ihr der Bescheid über die Ablehnung des Erlassantrages sowie der nachfolgende ergangene Widerspruchsbescheid zuzurechnen sind.
b) Der Antrag der Klägerin auf Erlass der Erstattungsforderung ist im Ergebnis zu Recht abgelehnt worden. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Voraussetzungen für einen Forderungserlass, wie von der Bundesagentur für Arbeit vertreten, nicht vorliegen. Denn für eine Entscheidung über diesen Antrag fehlt bereits das erforderliche Rechtsschutzinteresse. Mit der erfolgreichen Verjährungseinrede hat die Klägerin ihr Rechtsschutzziel, sich nicht mehr Vollstreckungsmaßnahmen seitens des Beklagten ausgesetzt sehen zu müssen, erreicht. Eine positive Erlassentscheidung bringt ihr im Verhältnis hierzu keinen weiteren rechtlichen Vorteil. Zwar bewirkt ein Forderungserlass das Erlöschen der Forderung (vgl. BSG, Urteil vom 9. Februar 1995 – 7 RAr 78/93 – SozR 3-4427 § 5 Nr. 1 = juris Rdnr. 36, 61, 62), während eine Einrede der Verjährung nur ein Leistungsverweigerungsrecht zur Folge hat. Aufgrund der Bindung der Verwaltung an Gesetz und Recht (vgl. Artikel 20 Abs. 3 des Grundgesetzes [GG]) ist es aber dem Beklagten verwehrt, gegen die Klägerin nach der von ihr erhobenen Verjährungseinrede weitere Vollstreckungsmaßnahmen einzuleiten, zumal der Eintritt der Verjährung durch Gerichtsentscheidung festgestellt worden ist. Anhaltspunkte dafür, dass sich der Beklagte über das von der Klägerin geltend gemachte Leistungsverweigerungsrecht hinwegsetzen würde, liegen nicht vor.
II. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG. In Bezug auf die Feststellung des Verjährungseintritts entspricht es billigem Ermessen, die Pflicht zur Erstattung der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin dem Beklagten aufzuerlegen, weil er in diesem Punkt unterlegen ist. In Bezug auf den ablehnenden Erlassbescheid entspricht es billigem Ermessen, die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin nur in geringerem Umfang für erstattungsfähig zu erklären. Denn zum einen bedurfte es – wie ausgeführt wurde – ausgehend von der Rechtsauffassung der Klägerin zum Eintritt der Verjährung der Erstattungsforderungen keines Erlassantrages. Zum anderen ist unabhängig davon der Ausgang des Klageverfahrens, wenn über die Rechtswidrigkeit des ablehnenden Erlassbescheides hätte entschieden werden müssen, als offen zu bewerten. In der Sache hätte kein Anspruch auf den beantragten Forderungserlass bestanden, weil die Klägerin keine für einen Erlass erforderliche Unbilligkeit (vgl. § 44 SGB II) dargelegt hat. Es wäre allerdings zu klären gewesen, ob die Übertragung der Aufgaben des Forderungseinzuges und damit die Übertragung der Zuständigkeit für die Entscheidung über einen Erlassantrag auf die Bundesagentur für Arbeit den Anforderungen des Bundessozialgerichtes (vgl. BSG, Urteil vom 14. Mai 2020 – B 14 AS 28/19 R – BSGE 130, 144 ff. = SozR 4-4200 § 44b Nr. 6 = juris; BSG, Urteil vom 8. Dezember 2022 – B 7/14 AS 25/21 R – juris) entsprochen hätte. Aus alledem ergibt sich die ausgeworfene Quote der erstattungsfähigen Kosten.
III. Gründe für die Zulassung der Revision (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor. Die von der vormaligen Beklagten, der Bundesagentur für Arbeit, sowie dem jetzigen Beklagten als rechtsgrundsätzlich erachtete Rechtsfrage, ob die Entscheidung im Urteil des Bundessozialgerichtes vom 4. März 2021 (Az.: B 11 AL 5/20 R) auch auf Erstattungsforderungen, die auf einer Aufhebung einer vorläufigen Leistungsbewilligung beruhen, und auf die Forderung der Erstattung von Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung im Sinne von § 335 SGB III übertragbar ist, lässt sich auf der Grundlage vorhandener Rechtsprechung des Bundessozialgerichts es beantworten.