1. Kann im Rahmen eines Krankenhausvergütungsstreits zwischen einem Krankenhaus und einer Krankenkasse das Vorliegen der Voraussetzungen der Versicherungspflicht eines Patienten nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V nicht abschließend festgestellt werden, greifen die Grundsätze des Anscheinsbeweises und der Beweislastumkehr zu Lasten der Krankenkasse.
2. Die Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V tritt unabhängig von einer Anzeige oder dem Mitwirken der Versicherten kraft Gesetzes ein
ENTWURF Sozialgericht Berlin |
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verkündet am
…, Justizbeschäftigte
als Urkundsbeamter/in der Geschäftsstelle |
Im Namen des Volkes
Urteil
In dem Rechtsstreit
… GmbH,
vertreten durch die Geschäftsführung …und …,
in Sachen: …
- Klägerin -
Proz.-Bev.:
…Rechtsanwälte …,
gegen
BARMER,
Team Widerspruch und Klagen
Liebknechtstr. 29, 70565 Stuttgart,
- Beklagte -
hat die 223. Kammer des Sozialgerichts Berlin auf die mündliche Verhandlung am 26. April 2023 durch die Richterin am Sozialgericht … sowie den ehrenamtlichen Richter Herrn …und die ehrenamtliche Richterin Frau … für Recht erkannt:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 4.105,06 Euro nebst Zinsen in Höhe von 2 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 03.04.2020 zu zahlen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 4.105,06 Euro festgesetzt.
T a t b e s t a n d
Die Beteiligten streiten über die Vergütung einer stationären Krankenhausbehandlung i.H.v. 4.105,06 Euro. Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte Kostenträgerin für die entstandenen Krankenhausbehandlungskosten ist.
Die Klägerin betreibt ein nach § 108 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) zugelassenes Krankenhaus. Dort wurde in der Zeit vom 10.05.2016 bis zum 19.05.2016 der Patient R. K., geboren am ...1973 (im Folgenden: Patient), vollstationär behandelt.
Der Patient war bis zum Jahr 2002 bei der HZK (Hamburgische Zimmererkrankenkasse) gesetzlich krankenversichert. Die HZK fusionierte im Jahre 2008 mit der GEK, die wiederum im Jahre 2010 mit der Barmer fusionierte (die Beklagte entstand am 01.01.2017 durch Integration der Deutschen BKK in die Barmer GEK).
Zum Zeitpunkt der Aufnahme in das Krankenhaus der Klägerin hatte der Patient keinen festen Wohnsitz. Die stationäre Aufnahme erfolgte über die Rettungsstelle der Klägerin. Der Patient hatte sich aufgrund eines Sturzes in einen Müllberg eine Schnittwunde am linken Unterarm zugezogen. Die Wunde war stark venös blutend und die Beugemuskulatur/Sehnen wiesen Verletzungen auf. Am 10.05.2016 und 12.05.2016 wurde die Wunde operativ versorgt. Bei reizlosen Wundverhältnissen konnte der Patient am 19.05.2016 in die ambulante Weiterbehandlung entlassen werden.
Am 05.02.2020 stellte die Klägerin bei der Beklagten einen Antrag auf Kostenübernahme für die stationäre Behandlung des Patienten. Mit Schreiben vom 07.02.2020 bat die Beklagte die Klägerin um die Zusendung weiterer Informationen. Dieser Bitte kam die Klägerin mit Schreiben vom 12.02.2020 nach. Am 19.03.2020 stellte die Klägerin der Beklagten die entstandenen Krankenhausbehandlungskosten in Höhe von 4.105,06 Euro in Rechnung. Der Rechnung lag die Fallpauschale (Diagnosis Related Group <DRG>) I32D („Eingriffe an Handgelenk und Hand mit komplexem Eingriff, ohne komplexe Diagnose oder ohne sehr komplexen Eingriff, oder mit komplexer Diagnose oder mit bestimmtem oder beidseitigem Eingriff oder Mehrfacheingriff an 3 Strahlen“) zugrunde. Mit Schreiben vom 25.08.2020 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme mit der Begründung ab, dass eine Pflichtversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 13a SGB V nicht bestanden hätte. Die Beklagte führte dazu unter anderem aus, dass eine Anzeige bzw. ein Antrag des Patienten für eine Pflichtversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V Voraussetzung sei.
Am 30.10.2020 hat die Klägerin Klage erhoben. Ihr stehe gegen die Beklagte ein Zahlungsanspruch i.H.v. 4.105,06 Euro zu. Für das Eintreten einer Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13a SGB V bedürfe es, sofern die Voraussetzungen vorlägen, keines Antrags. Die Voraussetzungen für die Versicherungspflicht seien im Fall des Patienten erfüllt. Anhaltspunkte, dass der Patient nach Beendigung der Pflichtversicherung bei der Vorgängerin der Beklagten im Zeitraum vom 10.05.2016 bis zum 19.05.2016 in einer anderen gesetzlichen oder privaten Krankenkasse krankenversichert gewesen sei, lägen nicht vor. Weitere Voraussetzungen für eine Auffangversicherung bestünden nach dem Gesetzeswortlaut nicht. Die Pflichtmitgliedschaft des Patienten bei der Beklagten habe nach § 186 Abs. 11 SGB V am 01.04.2007 begonnen. Aufgrund des Untersuchungsgrundsatzes nach § 20 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) obliege es der Beklagten als Krankenkasse, die Voraussetzungen für das Nichteingreifen des § 5 Abs. 1 Nr. 13a SGB V aufzuklären und ggf. entsprechende Nachweise beizubringen. Sollte ihr das nicht möglich sein oder sich trotz der gebotenen Ermittlungen nicht aufklären lassen, ob der Patient tatsächlich nach dem Versicherungsende bei der HZK im Jahre 2002 einer anderen gesetzlichen oder privaten Krankenversicherung versichert war, gehe diese Ungewissheit zu Lasten der Beklagten. Zudem sei auch nach den Grundsätzen zum Beweis des ersten Anscheins (sog. prima facie Beweis) anzunehmen, dass der Patient zuletzt bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert gewesen sei. Diese Beweisregel gelte auch im sozialgerichtlichen Verfahren. Nur so könne das vom Gesetzgeber verfolgte Ziel erreicht werden, möglichst wenige Menschen ohne Versicherungsschutz zu lassen. Nach den Grundsätzen des Prima-Facie-Beweises sei davon auszugehen, dass nach einer ursprünglich bestandenen Mitgliedschaft bei einer Krankenkasse keine weitere Versicherung begründet worden ist, sofern nicht ein Sachverhalt gegeben ist, der dies nahelege. Insoweit spreche auch die allgemeine Lebenserfahrung dafür, dass der Patient nach Ende des Versicherungsschutzes bei der HZK im Jahre 2002 nicht Mitglied einer anderen Krankenkasse geworden sei. Überdies sei auch von einer Beweislastumkehr auszugehen, wenn sich das Vorliegen der Voraussetzungen für die Auffangversicherung nicht mehr feststellen lasse. Im Übrigen könnten vom GKV-Spitzenverband, vom Bundesgesundheitsministerium und/oder vom Bundesversicherungsamt vertretene Rechtsauffassungen die eindeutige Rechtslage nicht ändern.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 4.105,06 Euro nebst Zinsen in Höhe von 2 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 03.04.2020 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Durchführung einer Mitgliedschaft nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V sei ohne Mitwirkung des Patienten nicht möglich. Weder aufgrund der geltenden Rechtsprechung, noch aufgrund der Empfehlungen des GKV-Spitzenverbandes. Die Durchführung einer Mitgliedschaft nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V sei gegenüber anderen Versicherungstatbeständen absolut nachrangig. Nach § 206 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V seien Versicherte oder die, die als Versicherte in Betracht kämen, gegenüber der Krankenkasse auskunftspflichtig. Die Verantwortung und Initiative für eine ordnungsgemäße Prüfung und ggf. Durchführung des Kranken- und Pflegeversicherungsschutzes auf Basis der gesetzlichen Regelungen des § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V obliege einzig dem potenziellen Versicherungspflichtigen durch Anzeige eines derzeit nicht bestehenden Krankenversicherungsschutzes bzw. anderweitigen Anspruchs auf Absicherung im Krankheitsfall und habe von diesem potenziellen Versicherungspflichtigen auszugehen. Mit der Einführung des § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V sei das politische Ziel der Koalitionsfraktionen umgesetzt, dass in Deutschland niemand ohne Krankenversicherungsschutz sein solle. Zum anderen sei die Versicherungspflicht insofern aufgeweicht, als dass sowohl das Bundesministerium für Gesundheit als auch das Bundesversicherungsamt im Jahr 2008 zu der Auffassung gelangt seien, dass diese Versicherungspflicht nur unter der Voraussetzung eintrete, dass die Betroffenen auch mitwirkten (Verweis auf Schreiben des BMG an den GKV-Spitzenverband vom 17.07.2008, Az. 222-44031-3/6). Als Folge hieraus hätten vielfach ungeklärte Mitgliedschaften beendet werden müssen, obwohl kein Nachweis über eine Folgeabsicherung vorgelegen habe. Die Beklagte habe dem Patienten mit Schreiben vom 09.06.2020 eine „Anzeige für Nichtversicherte nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V" zukommen lassen. Bisher sei darauf trotz einer Erinnerung keine Reaktion erfolgt.
Das Gericht hat die gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen angeschrieben und befragt, ob der Patient dort in der Zeit von 2002 bis zum 10.05.2016 Mitglied war. Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Sitzungsniederschrift, die Gerichtakte und die Verwaltungsakte verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die von der Klägerin erhobene (echte) Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG ist im hier bestehenden Gleichordnungsverhältnis zulässig (stRspr, vgl. u.a. BSG, Urteil vom 16. Dezember 2008 – B 1 KN 1/07 KR R, Rn. 9; BSG, Urteil vom 30. Juni 2009 – B 1 KR 24/08 R, Rn. 12) und begründet.
1.) Die Klägerin hat einen Anspruch auf Zahlung der geltend gemachten 4.105,06 Euro nebst Zinsen i.H.v. 2 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 03.04.2020 gegen die Beklagte.
Die Zahlungsverpflichtung einer Krankenkasse für Krankenhausbehandlung entsteht – unabhängig von einer Kostenzusage – unmittelbar mit Inanspruchnahme der Leistung durch die Versicherten kraft Gesetzes, wenn die Versorgung - wie hier - in einem zugelassenen Krankenhaus erfolgt und i.S. von § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V erforderlich und wirtschaftlich ist. Rechtsgrundlage des Vergütungsanspruchs der Klägerin ist § 109 Abs. 4 Satz 3 SGB V i.V.m. § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) und § 17b Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG). Der Anspruch wird auf Bundesebene durch Normsetzungsverträge (Normenverträge, Fallpauschalenvereinbarungen - FPVn) konkretisiert. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und der Verband der privaten Krankenversicherung gemeinsam vereinbaren nach § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KHEntgG mit der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) als "Vertragsparteien auf Bundesebene" mit Wirkung für die Vertragsparteien nach § 11 KHEntgG einen Fallpauschalen-Katalog einschließlich der Bewertungsrelationen sowie Regelungen zur Grenzverweildauer und der in Abhängigkeit von diesen zusätzlich zu zahlenden Entgelten oder vorzunehmenden Abschläge. Ferner vereinbaren sie insoweit Abrechnungsbestimmungen in den FPVn auf der Grundlage des § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 KHEntgG (vgl. u.a. BSG, Urteil vom 19. November 2019 – B 1 KR 6/19 R – juris, Rn. 10, m.w.N.; vgl. zu den Grundlagen der Kodierung auch Lungstras/Bockholdt, Einführung in das Krankenhausvergütungsrecht, NZS 2021, 1 ff.).
Vorliegend ist zwischen den Beteiligten nicht streitig, dass die Rechnung vom 19.03.2020 zutreffend erstellt wurde und die Klägerin richtigerweise die DRG I32D zugrunde legte. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist der Patient aber zum Zeitpunkt der stationären Behandlung Mitglied bei ihr gewesen. Dabei liegen nach Auffassung der Kammer die Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 13 Buchst. a) SGB V vor (vgl. hierzu unter a.). Doch auch wenn man davon ausgeht, dass das Vorliegend der Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 13 Buchst. a) SGB V nicht abschließend zu klären ist, geht dies nach Auffassung der Kammer zu Lasten der Beklagten (vgl. hierzu unter b.). Die Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 Buchst. a) SGB V tritt zudem kraft Gesetzes ein. Es bedarf insoweit keines Antrags durch den Versicherten (vgl. hierzu unter c.). Daran ändert auch eine abweichende Rechtsauffassung des BMG oder des GKV-Spitzenverbandes nichts (vgl. hierzu unter d.). Die Beklagte ist damit der zuständige Kostenträger (vgl. hierzu unter e.).
a.) Der Patient war nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 Buchst. a) SGB V pflichtversichertes Mitglied bei der Beklagten. Danach Personen versicherungspflichtig die keinen anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall haben und zuletzt gesetzlich krankenversichert waren. Unstreitig war der Patient bis zum Jahr 2002 bei der HZK – einer Rechtsvorgängerin der Beklagten – gesetzlich krankenversichert. In dem Zeitraum von 2002 bis zum Beginn der stationären Behandlung am 10.05.2016 bestand nach der Überzeugung der Kammer kein anderweitiger Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall. Dies ergibt sich aus den von der Kammer durchgeführten Ermittlungen. Es wurden sämtliche gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen angeschrieben. Alle Rückläufer waren negativ: Bei keiner der Krankenversicherungen war der Patient in dieser Zeit Mitglied gewesen. Jedoch haben nicht alle Krankenversicherungen geantwortet. Nach Auffassung der Kammer ist es jedoch sehr unwahrscheinlich, dass der Patient ausgerechnet bei einer der wenigen Krankenversicherungen, die nicht geantwortet haben, Mitglied war. Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass die Voraussetzungen des § 13 Abs. 1 Nr. 13 Buchst. a) SGB V erfüllt sind.
Doch auch wenn man die gerichtlichen Ermittlungen als unvollständig ansieht und annimmt, dass nicht abschließend geklärt ist, ob der Patient zuletzt anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall hatte, führt dies vorliegend zu keinem anderen Ergebnis. Ungeachtet dessen, dass hier Vieles dafür spricht, dass es grundsätzlich der Beklagten obliegt, im Rahmen ihrer Amtsermittlungspflicht nach § 20 SGB X diesbezüglich umfassende Ermittlungen vorzunehmen (vgl. auch LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 11. Mai 2017 – L 9 KR 494/14 –, Rn. 42, juris), greift vorliegend auch der Grundsatz des Anscheinsbeweises (Prima-Facie-Beweis). Dieser Beweiswürdigungsgrundsatz ist auch im sozialgerichtlichen Verfahren anwendbar (vgl. u.a. Keller, in: Meyer/Ladewig/Keller/Schmidt, 13. Aufl. 2020, § 128 Rn. 9, m.w.N. aus der Rspr.).und ermöglicht auch im Sozialrecht bei typischen Geschehensabläufen den Schluss auf bestimmte Tatsachen. Im Zusammenhang mit der Prüfung, ob kein anderweitiger Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall i.S.v. § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V besteht, liegt hierbei die Bildung von Fallgruppen nahe, etwa für langjährig Obdachlose, für zuvor versicherungspflichtige EU-Bürger mit nunmehr unbekanntem Aufenthalt oder auch für schwerkranke Personen, die ohne nachvollziehbaren Grund auf die Beantragung von Sozialleistungen, welche einen Krankenversicherungsschutz nach sich zögen, verzichten (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 11. Mai 2017 – L 9 KR 494/14 –, Rn. 31, juris, m.w.N.). Der Patient war zum Zeitpunkt der stationären Aufnahme obdachlos. Dafür, dass die Obdachlosigkeit erst seit kurzer Zeit bestand, sind keine Anhaltspunkte ersichtlich. Der Patient ist deshalb der Gruppe langjähriger Obdachloser zuzurechnen (vgl. hierzu auch LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 26. März 2015 – L 16 KR 820/12 –, juris). Den Anscheinsbeweis für das Fehlen eines Anspruchs auf anderweitige Absicherung im Krankheitsfall hat die Beklagte nicht erschüttert. Im Gegenteil weisen die gerichtlichen Ermittlungen deutlich darauf hin, dass der Patient seit 2002 nicht anderweitig krankenversichert war. Der Anscheinsbeweis erbringt den vollen Beweis, solange nicht durch festgestellte konkrete Tatsachen ein von der Typik abweichender Geschehensablauf möglich erscheint. Solche Tatsachen sind weder dem Vorbringen der Beklagten zu entnehmen noch anderweitig ersichtlich.
b.) Selbst, wenn man den Nachweis, dass der Patient damals über keinen Anspruch auf anderweitige Absicherung im Krankheitsfall verfügte, als nicht erbracht ansähe, wäre zu Lasten der Beklagten nach den Grundsätzen der objektiven Beweislast auszugehen. Die Kammer geht vorliegend nach eigener Prüfung unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des LSG Berlin-Brandenburg davon aus, dass in dem Fall, in denen die Ermittlungen einen Anspruch des Krankenhauspatienten auf anderweitige Absicherung im Krankheitsfall nicht beweisen können, die Krankenkasse, bei der zuletzt eine Krankenversicherung festgestellt wurde, einen bei verständiger Betrachtung und nach allgemeiner Lebenserfahrung naheliegenden Sachverhalt darlegen muss, aus dem sich eine anderweitige Absicherung ergeben kann. Kommt sie dem nach, trägt das Krankenhaus die Beweislast dafür, diesen Sachverhalt nicht widerlegen zu können (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 11. Mai 2017 – L 9 KR 494/14 –, Rn. 36 ff., juris). Im vorliegenden Fall hat die Beklagte einen solchen Sachverhalt nicht dargelegt.
Soweit die Beklagte bezüglich der o.g. Entscheidung des LSG Berlin-Brandenburg einwendet, diese Rechtsprechung sei auf die vorliegende Fallkonstellation nicht übertragbar, weil die dortige Patientin – anders als der Patient im hier zu beurteilenden Fall – verstorben sei, kann sie damit nach Auffassung der Kammer nicht durchdringen. Denn es ist nicht ersichtlich, aus welchem Grund die dargestellten Beweislastregelungen deshalb nicht greifen sollten, weil der Patient nicht verstorben, sondern (nur) unauffindbar ist. Richtig ist zwar, dass es grundsätzlich möglich ist, dass der Patient irgendwann wieder auftaucht und Auskunft über die Zeit von 2002 bis zum 10.05.2016 geben kann. Aktuell ist jedoch vom Patienten keinerlei Auskunft zu erwarten, so dass nach Auffassung des Gerichts nichts gegen die Anwendbarkeit der Entscheidung des LSG Berlin-Brandenburg auch auf den vorliegenden Fall spricht.
c.) Entgegen der Auffassung der Beklagten ist für die Durchführung der Versicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V auch die Mitwirkung des Patienten nicht erforderlich. Dabei ist der Beklagten zwar dahingehend zuzustimmen, dass grundsätzlich bei der Prüfung, ob die Tatbestandsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V vorliegen, die Mithilfe der Versicherten hilfreich ist. Entsprechend sieht das SGB V auch Mitwirkungspflichten vor, auf die die Beklagte insoweit zu Recht verweist. Nach § 206 Abs. 1 Satz 1 SGB V hat, wer versichert ist oder als Versicherter in Betracht kommt, der Krankenkasse, soweit er nicht nach § 28o des Sozialgesetzbuches Viertes Buch (SGB IV) auskunftspflichtig ist, (1.) auf Verlangen über alle für die Feststellung der Versicherungs- und Beitragspflicht und für die Durchführung der der Krankenkasse übertragenen Aufgaben erforderlichen Tatsachen unverzüglich Auskunft zu erteilen und (2.) Änderungen in den Verhältnissen, die für die Feststellung der Versicherungs- und Beitragspflicht erheblich sind und nicht durch Dritte gemeldet werden, unverzüglich mitzuteilen. Die Konsequenz aus der fehlenden Mitwirkung der Betroffenen ist aber (lediglich), dass die Krankenkassen dann, wenn durch die Verletzung der Mitwirkungs- und Auskunftspflicht der Krankenkasse zusätzliche Aufwendungen entstehen, sie vom Verpflichteten die Erstattung verlangen kann (§ 206 Abs. 2 SGB V). Der Verstoß gegen die Mitwirkungspflichten nach § 206 Abs. 1 SGB V stellt zudem nach § 397 Abs. 2 Nr. 2 und 3 SGB V eine Ordnungswidrigkeit dar. Darüber hinaus kann ggf. nicht vollständig abschließend ermittelt werden, ob die Voraussetzungen der gesetzlichen Versicherungspflicht tatsächlich vorliegen. Genau dafür stehen jedoch die oben dargestellten und angewandten Grundsätze des Anscheinsbeweises und der Beweislastumkehr zur Verfügung.
Wird durch Ermittlungen, wie sie vorliegend vorgenommen wurden oder durch die Anwendung der Grundsätze des Anscheinsbeweises und /oder der Beweislastumkehr jedoch festgestellt, dass die Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 13 Buchst. a) SGB V vorliegen, tritt die Versicherung ohne weitere Mitwirkung des Betroffenen kraft Gesetzes ein. Entgegen der Auffassung der Beklagten besteht die Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V unabhängig von einem Beitritt oder einer Anzeige. Genau dies macht die Versicherungspflicht kraft Gesetzes aus (BSG, Urteil vom 12. Januar 2011 – B 12 KR 11/09 R –, Rn. 10, juris). Auch wenn weder der Versicherte noch die Krankenkasse bei der Inanspruchnahme der Leistung Kenntnis von der Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V hatten, besteht die Versicherung und die Leistungen sind als Sachleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung zu werten (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 24. April 2012 – L 11 KR 3057/10 –, Rn. 20 ff., juris).
Dafür, dass eine Anzeige des Versicherten für die Durchführung der Versicherung nicht erforderlich ist, spricht auch die Regelung hinsichtlich der Beiträge bei einer Versicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V in § 256a SGB V. Zeigt ein Versicherter das Vorliegen der Voraussetzungen der Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V erst nach einem der in § 186 Abs. 11 Satz 1 und 2 SGB V genannten Zeitpunkte an, soll die Krankenkasse die für die Zeit seit dem Eintritt der Versicherungspflicht nachzuzahlenden Beiträge angemessen ermäßigen; darauf entfallende Säumniszuschläge nach § 24 des SGB IV sind vollständig zu erlassen (§ 256a Abs. 1 SGB V). Erfolgte die Anzeige dagegen bis zum 31.12.2013, soll die Krankenkasse den für die Zeit seit dem Eintritt der Versicherungspflicht nachzuzahlenden Beitrag und die darauf entfallenden Säumniszuschläge nach § 24 SGB IV erlassen (§ 256a Abs. 2 SGB V). Ersichtlich geht der Gesetzgeber mit dieser Regelung davon aus, dass die Versicherungspflicht auch schon vor der Anzeige durch den Versicherten eintritt. Andernfalls wäre es nicht erforderlich, Beiträge, die schon vor dem Zeitpunkt der Anzeige eingetreten sind, zu erlassen bzw. zu ermäßigen.
d.) Anderes ergibt sich auch nicht aus dem von der Beklagten zitierten Schreiben des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) an den GKV-Spitzenverband vom 17.07.2008 (Az. 222-44031-3/6). Dort heißt es wörtlich (zitiert aus dem Schriftsatz des Beklagten): „Die behördliche Ermittlungspflicht findet dort ihre Grenze, wo eine weitere Aufklärung des Sachverhalts ohne eine Mitwirkung des Antragsstellers/Betroffenen unmöglich ist. Diese Grenze ist insbesondere in den Fällen zu sehen, in denen Mitwirkungs- oder Auskunftspflichten normiert sind. […] Die Normierung dieser Pflichten und die Androhung eines Bußgeldes bei Nichtbeachtung bringt die gesetzgeberische Wertung zum Ausdruck, dass die Kasse allein kaum in der Lage ist, die für die Versicherungspflicht relevanten Daten zu erlangen. Daher dienen sie letztlich der ordnungsgemäßen Durchführung der gesetzlichen Krankenversicherung. Kann die Krankenkasse mangels Mitwirkung des Versicherten den entscheidungserheblichen Sachverhalt nicht klären, gelten die allgemeinen Beweislastregeln. Danach kann die Versicherungspflicht nicht angenommen oder möglicherweise gar unterstellt werden." Diese Schreiben besagt nicht, dass – beim Vorliegen der Voraussetzungen – die Versicherungspflicht nicht kraft Gesetzes, sondern nur durch einen Antrag des Versicherten eintritt. Es betrifft vielmehr die vorgelagerte Frage, inwieweit der Versicherte zur Mitwirkung bei der Ermittlung der Tatbestandsvoraussetzungen verpflichtet ist und wer die Beweislast bei nicht möglicher vollständiger Aufklärung trägt. Dies ist nach Auffassung des BMG und wohl auch des GKV-Spitzenverbandes und des Bundesversicherungsamtes (entsprechende Rechtsauffassungen erwähnt die Beklagte nur, ohne sie genau zu benennen) nicht die Krankenkasse, hier dann also das Krankenhaus. Die diesbezüglich von der Rechtsprechung abweichenden Auffassungen sieht das Gericht vorliegend nicht als bindend an. Dadurch wird die oben dargestellte Argumentation auch nicht wiederlegt.
e.) Vor dem Hintergrund der obigen Ausführungen war der Patient im Zeitpunkt der stationären Behandlung im Krankenhaus der Klägerin Mitglied bei der Beklagten. Nach § 174 Abs. 3 SGB V werden Versicherungspflichtige nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V abweichend von § 173 SGB V (allgemeines Wahlrecht) Mitglied der Krankenkasse oder des Rechtsnachfolgers der Krankenkasse, bei der sie zuletzt versichert waren, andernfalls werden sie Mitglied der von ihnen nach § 173 Abs. 1 SGB V gewählten Krankenkasse. Die Beklagte ist die Rechtsnachfolgerin der HZK, bei der der Patient zuletzt gesetzliche krankenversichert war. Nachdem der Patient keine anderweitige Krankenkasse gewählt hat und zuletzt bei der HZK versichert war, wurde er zum 01.04.2007 Mitglied bei der Beklagten (§ 186 Abs. 11 SGB V).
2.) Der Zinsanspruch folgt aus dem zwischen den Beteiligten weiterhin geltenden § 12 Abs. 5 des Vertrages über Allgemeine Bedingungen der Krankenhausbehandlung zwischen diversen Krankenkassen und Krankenkassenverbänden und der Berliner Krankenhausgesellschaft e.V. vom 01.11.1994 in der Fassung der Ergänzungsvereinbarung vom 22.12.1997 (Krankenhausbehandlungsvertrag), wonach das Krankenhaus ab Fälligkeitstag ohne vorherige Mahnung Zinsen in Höhe von zwei Prozentpunkten über dem Basiszinssatz berechnen kann.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Die Festsetzung des Streitwerts erfolgt nach den §§ 52 Abs. 1 und 3, 63 Abs. 2 Gerichtskostengesetz (GKG).