In dem Rechtsstreit
A. B.,
C. D., E. F.
– Kläger –
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte G. und H.,
I. J., K. L.
gegen
M.,
vertreten durch die Geschäftsführung,
N., O.
– Beklagte –
hat die 1. Kammer des Sozialgerichts Lüneburg am 7. November 2022 gemäß § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch den Richter am Sozialgericht P. für Recht erkannt:
1.) Der Bescheid der Beklagten vom 13.09.2021 und der Wider-
spruchsbescheid vom 12.04.2022 werden aufgehoben
2.) Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
Streitig ist eine Beitragsforderung i. H. v. insgesamt 6.036,36 €, die im Rahmen einer Betriebsprüfung gem. § 28 p Viertes Buch Sozialgesetzbuch (= SGB IV) für den Zeitraum vom 01.01.2017 - 31.12.2020 nacherhoben wurde.
Der Kläger betreibt ein landwirtschaftliches Unternehmen. Für die Ernte beschäftigt er Saisonarbeitskräfte aus osteuropäischen Ländern.
Ab dem 20.05.2021 führte die Beklagte beim Kläger eine Betriebsprüfung gem. § 28 p SGB IV durch. Im Rahmen der Betriebsprüfung legte der Kläger hinsichtlich der streitgegenständlichen Beschäftigungsverhältnisse der Arbeitnehmer Q., R. und S. T. jeweils ein von diesen ausgefüllten und unterschriebenen zweisprachigen Fragebogen zur Feststellung der Versicherungspflicht/-freiheit vor. Auf diesem Formular haben die Betroffenen jeweils angegeben, dass sie in ihrem Heimatland „Hausfrau/Hausmann“ seien. Die Antwort war von ihrer Heimatgemeinde jeweils abgestempelt worden. Vor dem Unterschriftsfeld befindet sich in den Fragebögen die folgende Erklärung: „Ich versichere, dass ich sämtliche Angaben in diesem Vordruck nach besten Wissen gemacht habe. Mir ist bekannt, dass wissentlich falsche Angaben zu einer strafrechtlichen Verfolgung führen können“.
Nach Durchführung einer Anhörung mit Schreiben vom 27.05.2021 forderte die Beklagte mit dem Bescheid vom 13.09.2021 vom Kläger Beiträge i. H. v. insgesamt 6.036,36 € nach. Darin enthalten waren Säumniszuschläge i. H. v. 1.153,30 €. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass im Prüfzeitraum die Arbeitnehmer Q. (03.09.2018 – 24.10.2018), R. (01.09.2020 – 28.10.2020) und U. (27.09.2017 – 30.10.2017) unzutreffenderweise versicherungs- und beitragsrechtlich im Rahmen von versicherungsfreien geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen angemeldet und abgerechnet worden seien. Der Kläger als Arbeitgeber sei fälschlicherweise davon ausgegangen, dass keine Berufsmäßigkeit i. S. des § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV vorgelegen habe. Die Arbeitnehmer hätten zwar im Fragebogen den Status „Hausmann“ angegeben. Die persönliche Lebens- und Erwerbssituation der jeweiligen Arbeitnehmer werde jedoch durch das Ankreuzen des Feldes „Hausmann“ nicht hinreichend belegt. Im Übrigen seien die Beschäftigungen der Arbeitnehmer Q. und V. schon deshalb berufsmäßig ausgeübt worden, weil die Beschäftigungszeiten im Laufe eines Kalenderjahres insgesamt mehr als 3 Monate oder 70 Arbeitstage betragen hätten.
Mit dem hiergegen erhobenen Widerspruch wurde geltend gemacht, dass nicht nachzuvollziehen sei, wie Beklagte zu der Annahme gelange, dass die Arbeitnehmer W. und X. im Laufe eines Kalenderjahres mehr als 3 Monate oder 70 Arbeitstage beschäftigt gewesen sein. Im Übrigen ergebe sich aus der Statuserklärung der früheren Mitarbeiter jeweils eindeutig, dass diese ausschließlich Hausmänner gewesen seien. Dieser Umstand sei sogar durch die jeweils örtlich zuständige polnische Kommunalbehörde bestätigt worden. Außerdem habe der Kläger alles in seiner Macht Stehende unternommen, um aufzuklären, ob seine Mitarbeiter berufsmäßig tätig seien. Er habe dies insbesondere mit sämtlichen Arbeitnehmern im Einzelnen besprochen und sich von diesen jeweils glaubhaft versichern lassen, dass diese ausschließlich als Hausmann tätig seien. Es sei nicht im Ansatz erkennbar gewesen, dass die früheren Mitarbeiter des Klägers falsche Angaben gemacht hätten. Nach der ober- und höchstrichterlichen Rechtsprechung sei die Behörde beweisbelastet, dass die Mitarbeiter berufsmäßig tätig waren. Bereits im Anhörungsverfahren sei geltend gemacht worden, dass entsprechend dem Urteil des Sozialgerichts (= SG) Freiburg vom 19.08.2020 (Az: S 12 BA 265/18) vorliegend nicht von einer Berufsmäßigkeit der Arbeitskräfte ausgegangen werden könne. Somit habe Versicherungsfreiheit vorgelegen. Auch die Voraussetzung für die Erhebung von Säumniszuschlägen seien nicht erfüllt. Der Widerspruch wurde mit dem Widerspruchsbescheid vom 12.04.2022 zurückgewiesen. Zur Begründung wurde im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:
Versicherungsfrei ist unter anderem, wer eine kurzfristige Beschäftigung nach § 8 Abs. 1 Nummer 2 SGB IV ausübt. Eine kurzfristige Beschäftigung liegt vor, wenn die Beschäftigung innerhalb eines Kalenderjahres auf längstens 2 Monate oder 50 Arbeitstage nach ihrer Eigenart begrenzt zu sein pflegt oder im Voraus vertraglich begrenzt ist. Eine kurzfristige Beschäftigung liegt nicht mehr vor, wenn die Beschäftigung berufsmäßig ausgeübt wird und das Arbeitsentgelt aus dieser Beschäftigung 450,00 € monatlich überschreitet. In der Zeit vom 01.01.2015 bis zum
31.12.2018 galten abweichend 3 Monate statt 2 Monate und 70 Arbeitstage anstatt von 50 Arbeitstagen (§ 115 SGB IV).
Die Beurteilung ob die Voraussetzung einer versicherungsfreien Beschäftigung vorliegen, ist vom Arbeitgeber zu Beginn der jeweiligen Beschäftigung vorzunehmen. Gemäß § 8 Abs. 1 S. 1 Nr. 9 Beitragsverfahrensverordnung (= BVV) hat der Arbeitgeber die für die Versicherungsfreiheit und die Befreiung von der Versicherungspflicht maßgebenden Angaben in die Entgeltunterlagen aufzunehmen und Unterlagen darüber zu den Entgeltunterlagen zu nehmen (§ 8 Abs. 1 Nummer 1 BVV). Daneben gehören nach § 8 Abs. 2 Nr. 6 BVV auch die Niederschrift nach § 2 des Nachweisgesetzes sowie nach Nr. 7 auch die Erklärung des kurzfristig geringfügig Beschäftigten über weitere kurzfristige Beschäftigungen zu den vorzulegenden Entgeltunterlagen. Bei den ausländischen Saisonarbeitnehmern gehört neben dem Fragebogen zur Feststellung der Versicherungspflicht/Versicherungsfreiheit auch die Erklärung für kurzfristig geringfügig Beschäftigte über weitere kurzfristige Beschäftigung zu den erforderlichen Unterlagen. Mit diesem Fragebogen wird nachgewiesen, zu welcher Personengruppe (Arbeitnehmer, Arbeitsloser, Hausmann, etc.) der betreffende Arbeitnehmer gehört und somit auch, ob die Beschäftigung gegebenenfalls berufsmäßig ausgeübt wird. Dieser muss jedoch bereits bei Beschäftigungsbeginn vollständig ausgefüllt und unterschrieben vorliegen, damit vorausschauend geprüft werden kann, ob die Voraussetzung eine versicherungsfreie Beschäftigung erfüllt werden. Die Prüfung der Berufsmäßigkeit ist anhand von Indizien zu prüfen. Eine kurzfristige Beschäftigung die von einer Person, die grundsätzlich dem Personenkreis der Erwerbstätigen zuzuordnen ist, ausgeübt wird, ist immer als berufsmäßig anzusehen. Entgegen der Annahme des Widerspruchsführers liegt nach den Grundsätzen der BSG-Rechtsprechung die Beweislast für den Nachweis der Versicherungsfreiheit beim Arbeitgeber, soweit er sich darauf beruft. Sofern ein Arbeitgeber zum Zeitpunkt der Aufnahme der Beschäftigung davon ausgeht, dass deutsches Recht nicht anzuwenden sei, hätte er die Zahlung von Beiträgen der polnischen Sozialversicherungsrecht überprüfen müssen, sofern nicht eindeutige Unterlagen vorliegen. Eine derartige Prüfung erfolgte nicht….
Wenn ein Arbeitnehmer falsche oder unzureichende Angaben bei der Aufnahme einer Beschäftigung macht, kann dies nicht zu Lasten der Sozialversicherung gehen. Generell haben Arbeitgeber neben der Überprüfung der korrekt und vollständig ausgefüllten Fragebögen der Arbeitnehmer die Möglichkeit, sich bzgl. Vorbeschäftigungszeiten bei der Einzugsstelle zu informieren.
Hinsichtlich der Arbeitnehmer W. und X. wurde jeweils ausgeführt, dass sich während der Betriebsprüfung herausgestellt habe, dass diese vor der Beschäftigungsaufnahme beim Kläger bereits eine Beschäftigung in einem anderen landwirtschaftlichen Betrieb ausgeübt hätten. Somit liege bei diesen Arbeitnehmern Versicherungspflicht bereits wegen Überschreiten der Kurzfristigkeit vor. Aus Datenschutzgründen sei eine Weitergabe oder Veröffentlichung des Namens des Arbeitgebers nicht möglich.
Soweit es den Arbeitnehmer Y. betrifft, habe dieser einen Fragebogen verwendet, der am 31.08.2020 nicht mehr gültig gewesen sei. Vielmehr sei seit März 2020 ein aktualisierter Fragebogen zu verwenden, in dem explizit gefragt werde, wovon der Lebensunterhalt tatsächlich bestritten werde. Herr Y. habe zwar angegeben, seit 2005 Hausmann zu sein. Es seien aber während der Betriebsprüfung wie auch im Anhörungsverfahren keine entsprechenden Unterlagen eingereicht worden, wovon er seinen Lebensunterhalt bestreite. Somit sei weiterhin von Berufsmäßigkeit auszugehen. Der Kläger sei daher seinen Aufzeichnungspflichten nach der BVV nicht nachgekommen und habe somit billigend in Kauf genommen, dass Sozialversicherungsbeiträge nicht bzw. nicht in korrekter Höhe ermittelt und abgeführt werden könnten. Es liege somit kein objektiver Nachweis für das Bestehen von Versicherungsfreiheit vor, sodass die geforderten Beiträge nachzuentrichten seien. Auch die Voraussetzungen für die Erhebung von Säumniszuschlägen seien erfüllt. Dies wäre nur dann nicht der Fall gewesen, sofern der Beitragsschuldner glaubhaft gemacht habe, dass er unverschuldet keine Kenntnis von der Zahlungspflicht gehabt habe. Diesen Nachweis habe er jedoch nicht erbracht. Er habe sich dabei das Verschulden seines Steuerberaters zurechnen zu lassen.
Hiergegen haben die Prozessbevollmächtigten des Klägers am 20.05.2022 beim SG Lüneburg Klage erhoben. Mit dem Schriftsatz vom 22.06.2022, eingegangen am 23.06.2022, hat die Beklagte die Verwaltungsakte übersandt.
Mit dem Schreiben vom 27.07.2022 hat die Kammer die Beklagte darauf hingewiesen, dass die Berufung auf die Beweis- und Feststellungslast erst dann möglich ist, wenn sich nach Ausschöpfung aller Ermittlungsmöglichkeiten keine entsprechenden Feststellungen treffen lassen. Die Beklagte selbst habe jedoch keine eigenen Ermittlungen vorgenommen und habe daher bei Zugrundelegung ihrer eigenen Beweismaßstäbe bei der Bescheiderteilung gegen das Verbot des vorzeitigen Verfahrensabschlusses verstoßen. Auf die Möglichkeit einer Entscheidung nach §§ 105 und 131 Abs. 5 SGG wurde hingewiesen.
Im Schriftsatz vom 25.08.2022 vertrat die Beklagte die Auffassung, dass ihre Ermittlungen ausreichend gewesen seien. Bei der in Bezug genommenen Entscheidung des SG Freiburg, die im Übrigen noch nicht rechtskräftig sei, habe es sich um eine Einzelfallentscheidung gehandelt. Mit diesem Schriftsatz wurden auch im Wesentlichen geschwärzte Unterlagen übersandt, die nach Auffassung der Beklagte als Beleg dafür anzusehen seien, dass die Arbeitnehmer X. und W. im streitigen Zeitraum auch in anderen Arbeitsverhältnissen standen.
Der Prozessbevollmächtigte des Klägers beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 13.09.2021 und den
Widerspruchsbescheid vom 12.04.2022 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Entscheidung lagen die Gerichtsakten und die Akten der Beklagten zugrunde. Auf ihren Inhalt wird Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist begründet. Die angefochtene Entscheidung ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Sie war daher aufzuheben.
Nach § 131 Abs. 5 S. 1 und 2 Hs. 1 Sozialgerichtsgesetz (= SGG) kann das Gericht, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, einen Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, wenn es weitere Sachaufklärung für erforderlich hält, die noch erforderlichen Ermittlungen nach Art oder Umfang erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt:
Gem. § 20 Abs. 1 S. 1 SGB X ermittelt die Behörde den Sachverhalt von Amts wegen. Zwar bestimmt grundsätzlich die Behörde die Art und den Umfang der Ermittlungen, wobei sie an die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden ist (§ 20 Abs. 1 S. 2 SGB X). Dies kann jedoch nicht dazu führen, dass sie die Ermittlungstätigkeit - aus welchen Gründen auch immer – in unzulässiger Weise verschlankt. Sie hat vielmehr alle für den Einzelfall bedeutsamen Umstände zu berücksichtigen (§ 20 Abs. 2 SGB X) und darf das Verfahren erst abschließen, wenn die Sach- und Rechtslage vollständig geklärt ist (Verbot des vorzeitigen Verfahrensabschlusses, vgl. Siefert in von Wulffen/Schütze, Kommentar zum SGB X, 8. Aufl., § 20 Rz. 12, m. w. N.).
Dies war hier jedoch nicht der Fall. Mit dem angefochtenen Bescheid hat die Beklagte für die dort näher bezeichneten Arbeitnehmer Beiträge und Säumniszuschläge i. H. v. insgesamt 6.036,36 € nachgefordert, weil sie davon ausging, dass diese fälschlicherweise als versicherungsfrei eingeordnet worden seien. Gem. § 8 Abs. 1 SGB IV liegt eine geringfügige - und damit versicherungs- und beitragsfreie - Beschäftigung vor, wenn
1.) das Arbeitsentgelt aus dieser Beschäftigung regelmäßig im Monat 450,00 €
nicht übersteigt,
2.) die Beschäftigung innerhalb eines Kalenderjahres auf längstens 2 Monate
oder 50 Arbeitstage nach ihrer Eigenart begrenzt zu sein pflegt oder im Voraus
vertraglich begrenzt ist, es sei denn, dass die Beschäftigung berufsmäßig
ausgeübt wird und ihr Entgelt 450,00 € im Monat übersteigt.
Streitig ist vorliegend im Wesentlichen, ob die in dem angefochtenen Bescheid in Bezug genommenen Arbeitskräfte ihre Beschäftigung berufsmäßig ausgeübt haben. Eine solche Feststellung konnte bzw. kann hier jedoch nicht getroffen werden, da aus den Angaben der jeweiligen Saisonarbeitskräfte in den Entgeltunterlagen und im Fragebogen sowie aus den sonstigen Umständen eine Berufsmäßigkeit jedenfalls derzeit nicht abgeleitet werden kann.
Die Beklagte verkennt wesentliche Prinzipien des Amtsermittlungsgrundsatzes (§ 20 SGB X). In diesem Zusammenhang hat die Beklagte ausgeführt, dass die Prüfung der Berufsmäßigkeit anhand von Indizien zu prüfen sei, wobei eine kurzfristige Beschäftigung, die von einer Person, die grundsätzlich dem Personenkreis der Erwerbstätigen zuzuordnen ist, ausgeübt werde, immer als berufsmäßig anzusehen sei. Nach den Grundsätzen der BSG-Rechtsprechung würde außerdem der Nachweis der Versicherungsfreiheit beim Arbeitgeber liegen, sofern er sich darauf berufen würde. Diese Prämissen geben jedoch die Rechtslage unzutreffend wieder.
So reichen Indizien für die Feststellung von Versicherungspflicht bzw. -freiheit grundsätzlich nicht aus. Vielmehr müssen die einzelnen Tatbestandsvoraussetzungen im Vollbeweis belegt sein. Es gibt auch keine Beweisregel, nach dem eine kurzfristige Beschäftigung, die von einer Person, die grundsätzlich dem Personenkreis der Erwerbstätigen zuzuordnen ist, ausgeübt wird, immer als berufsmäßig anzusehen sei. Vielmehr sind die Voraussetzungen im Einzelfall zu prüfen, wobei nach den vom BSG aufgestellten Grundsätzen die Feststellungslast (Beweislast) den Arbeitgeber nur hinsichtlich der Regelmäßigkeit i. S. der Nr. 1 des § 8 Abs. 1 SGB IV und des Grundtatbestandes der Nr. 2 des § 8 Abs. 1 SGB IV (Unterschreiten der darin genannten Zeitgrenzen) trifft. Demgegenüber trägt der Versicherungsträger die Feststellungslast für die Berufsmäßigkeit, die im Rahmen eines Streits um die Versicherungspflicht nach § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV eine die Geringfügigkeit möglicherweise ausschließende und damit den angefochtenen Beitragsbescheid stützende Tatsache darstellt (BSG, Urt. v. 11.05.1993 – 12 RK 23/91 –SozR 3-2400 § 8 Nr. 3, SozR 3-2200 § 441 RVO Nr. 1, Rz. 25). Dies ergibt sich bereits aus der Formulierung „es sei denn…“, die als Generalindikator für eine geänderte Beweislast dient. Vor diesem Hintergrund nimmt die Kammer die Ausführungen der Beklagten zur Feststellungslast der Berufsmäßigkeit mit Erstaunen zur Kenntnis, zumal in dem in ihrer Akte befindlichen Urteil des SG Freiburg vom 19.08.2020 (S 12 BA 252/18) die einschlägigen Grundsätze ausführlich dargestellt wurden. Auch aus dem im Widerspruchsbescheid zitierten Urteil des Landessozialgerichts (= LSG) Niedersachsen-Bremen vom 19.12.2018 (Az. L 2 BA 36/18) ergibt sich nichts Anderes. Im Gegenteil: darin wurde vielmehr herausgehoben, dass bei dem Personenkreis der Hausmänner und Hausfrauen die Feststellung, ob die Saisonarbeit in Deutschland berufsmäßig oder nicht berufsmäßig ausgeübt wird, nur einzelfallbezogen anhand der jeweiligen persönlichen Lebens- und Erwerbssituation getroffen werden kann. Das LSG führt weiter aus, dass eine entsprechende Angabe (= Hausmann/Hausfrau) nicht zwingend so verstanden werden müsse, dass der Betroffene außerhalb der zu beurteilenden Aushilfstätigkeiten keiner anderen beruflichen Tätigkeit nachgehe, sondern lediglich die Annahme nahelegen könne, dass er sich ausschließlich der Haushaltsführung, der Kindererziehung oder der Betreuung pflegebedürftiger Angehörigen widmen würde. Aus dem genannten LSG-Urteil ergibt sich daher keine Abweichung von den oben genannten Grundsätzen. Es wird lediglich ausgeführt, dass eine pauschale Einordnung nicht möglich ist und auf die Umstände des jeweiligen Einzelfalls abzustellen ist.
Weiterhin ist zu beachten, dass die Berufung auf die objektive Beweis- und Feststellungslast erst dann möglich ist, wenn sich nach Ausschöpfung aller Ermittlungsmöglichkeiten keine entsprechenden Feststellungen treffen lassen (St. Rspr., vgl. BSG, Urt. v. 08.09.2010 – B 11 AL 4/09 R; Böttiger/Waschull in Diering/Timme, Kommentar zu SGB X, 4. Aufl. 2016, § 20 SGB X, Rz. 29, m. n. N.). Hiervon abzuweichen besteht für den Bereich der Betriebsprüfungen i. S. von § 28 p SGB IV kein Anlass. Da die Behörde – wie ausgeführt - die Art und den Umfang der Ermittlungen selbst bestimmt, steht es ihr grundsätzlich frei, den Angaben der Arbeitskräfte in den Fragebögen Glauben zu schenken. Sofern sie dies jedoch nicht für angezeigt hält, muss sie - auch wenn sie die Ansicht vertritt, dass den Kläger die Feststellungslast für das Kriterium der Berufsmäßigkeit trifft - die von ihr für erforderlich gehaltenen Ermittlungen selbst durchführen bzw. nachholen. Dies ist hier jedoch nicht erfolgt, so dass die Beklagte – bei Zugrundelegung ihrer eigenen Beweismaßstäbe - bei der Bescheiderteilung gegen das Verbot des vorzeitigen Verfahrensabschlusses verstoßen hat.
Es kommt somit nicht darauf an, ob der Kläger seine Aufzeichnungspflichten verletzt hat. Entscheidend ist vorliegend vielmehr, dass die vom LSG Niedersachsen-Bremen für erforderlich gehaltene Einzelfallprüfung von der Beklagten auch nicht ansatzweise durchgeführt wurde. Es ist insbesondere nicht erkennbar, dass die Beklagte insoweit an die o. g. Saisonarbeitskräfte oder an irgendeine andere Stelle herangetreten ist, um den Sachverhalt weiter aufzuklären.
Es handelt sich insbesondere in Ansehung des Arbeitnehmers Y. um einen vollständigen Ermittlungsausfall (vgl. Sächsisches LSG, Urt. v. 26.10.2005 - L 6 SB 36/05; LSG Rheinland-Pfalz, Urt. v 14.06.2006 - L 4 SB 24/06).
Dies wäre im Übrigen nach den o. g. Beweisgrundsätzen auch dann erforderlich gewesen, wenn der Kläger seine Aufzeichnungspflichten verletzt hätte bzw. den falschen Fragebogen benutzt hat. Es ist allerdings nicht erkennbar, dass der Kläger dergestalt gegen Aufzeichnungspflichten verstoßen hat, dass dies eine Umkehr der Beweislast gerechtfertigt hätte. Zwar hat der Arbeitgeber gem. § 8 Abs. 1 S. 1 Nr. 9 BVV in den Entgeltunterlagen in Bezug auf den Beschäftigten die für die Versicherungsfreiheit oder Befreiung von der Versicherungspflicht maßgebenden Angaben aufzunehmen. Er kann dazu auch seine Arbeitnehmer dazu anhalten, die hierzu herausgegebenen Fragebögen ordnungsgemäß auszufüllen. Darüber hinaus bietet jedoch § 8 BVV bzw. das Gesetz keine ausreichende Grundlage, den Arbeitgeber zu komplexen rechtlichen Wertungen und weiteren umfangreichen Ermittlungen zu verpflichten. Die Beklagte kann insbesondere einem Arbeitgeber nicht die Vorgabe machen, bestimmten Angaben seiner Arbeitnehmer von vorneherein keinen Glauben zu schenken. Die Kammer hält dies zum einen für eine unzulässige, vorweggenommene Beweiswürdigung und zum anderen in Bezug auf osteuropäische Arbeitskräfte für diskriminierend. Ohne eine eindeutige und klare Rechtsgrundlage ist es außerdem einem Arbeitgeber nicht gestattet, die privaten Lebensumstände seiner Arbeitnehmer auszuforschen. Ebenso wenig ist der Arbeitnehmer verpflichtet, dem Arbeitgeber seine persönlichen Verhältnisse zu offenbaren. Sofern die Beklagte an dem Wahrheitsgehalt der Angaben der Saisonarbeitnehmer Zweifel hat, liegt es vielmehr ausschließlich in ihrem Kompetenzbereich, ergänzende Ermittlungen vorzunehmen, wobei allerdings auch sie die rechtlichen Vorgaben aufgrund von datenschutzrechtlichen Regelungen, des internationalen bzw. zwischenstaatlichen Rechts und der allgemeinen Grundsätze der Beweiswürdigung, zu beachten hat. Die Beklagte hat somit im Rahmen des Amtsermittlungsgrundsatzes die Ermittlungen selbst vorzunehmen und kann ihre Ermittlungspflichten nicht zur Gänze auf den Arbeitgeber abwälzen. Dieser ist keine Behörde i. S. der §§ 1 Abs. 2, 20 SGB X und besitzt demzufolge auch keine Ermittlungsbefugnisse oder das Recht, andere Behörden um Amtshilfe zu ersuchen (§§ 3 – 7 SGB X). Die Beklagte muss daher die Frage, ob die o. g. Saisonarbeitskräfte in den streitigen Zeiträumen als Hausmänner bzw. berufsmäßig tätig waren, selbst klären – etwa durch ergänzende Befragung der Saisonarbeitskräfte und Beiziehung der von ihr für erforderlich gehaltenen Belege und Bestätigungen. Sofern dies nicht gelingt, geht nach der o. g. höchstrichterlichen Rechtsprechung die Nichtfeststellbarkeit der Berufsmäßigkeit zu Lasten der Beklagten.
Die Zurückverweisung ist auch sachdienlich i. S. des § 131 Abs. 5 SGG. Sachdienlich ist eine Zurückverweisung dann, wenn die begründete Möglichkeit besteht, dass die noch erforderlichen, erheblichen Ermittlungen wegen der personellen und sachlichen Ausstattung der Behörde schneller vor sich gehen als bei Gericht. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Dabei kann dahinstehen, ob die Arbeitnehmer X. und W. schon deshalb nicht als versicherungsfrei anzusehen waren, weil sie wegen anderer Beschäftigungsverhältnisse die Kurzzeitigkeitsgrenze überschritten haben. Ob dies zutrifft sei dahingestellt, da die von der Beklagten erst im Klageverfahren übersandten und geschwärzten Unterlagen sich jedenfalls derzeit nicht überprüfen lassen. Vielmehr hält die Kammer allein schon in Ansehung des Arbeitnehmers Y. die von der Beklagten unterlassenen Ermittlungen und anschließenden rechtlichen Bewertungen für zu komplex, als dass sie durch das Sozialgericht in sinnvoller und zügiger Art und Weise nachgeholt werden könnten. Die Beklagte kann die Ermittlungen demgegenüber wegen der Nichtförmlichkeit des Verwaltungsverfahrens (§ 9 SGB X) schneller durchführen. Da sich jede Abweichung auf die Berechnung der Säumniszuschläge und der Gesamtforderung auswirken würde, kann die Beklagte außerdem mögliche Neuberechnungen mit der ihr zur Verfügung stehenden EDV ohne größeren Aufwand vornehmen. Diese Möglichkeit besitzt die Kammer nicht. Die vorzunehmenden Ermittlungen sind daher auch nach Art und Umfang erheblich und auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich (§ 131 Abs. 5 S. 1 SGG). Aus diesen Gründen ist eine Zurückverweisung gem. § 131 Abs. 5 SGG hier sachgerecht. Mit dieser Vorschrift sollen den Gerichten zeit- und kostenintensive Ermittlungen erspart werden, die eigentlich bei den Behörden liegen und von diesen unterlassen wurden.
Die Zurückverweisung liegt schließlich auch innerhalb der Sechsmonatsfrist des § 131 Abs. 5 S. 5 SGG, da die Akten der Beklagten am 23.06.2022 beim SG Lüneburg eingegangen sind und daher zum Entscheidungszeitpunkt die bis zum 23.12.2022 laufende Frist noch nicht ausgeschöpft war.
Die Entscheidung konnte durch Gerichtsbescheid erfolgen, da der Sachverhalt - soweit es die Entscheidung gem. § 131 Abs. 5 SGG betrifft – geklärt ist und die Beteiligten hierzu gehört wurden (§ 105 SGG). Es handelt sich auch nicht um eine Sache, die in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht besondere Schwierigkeiten aufweist, da der Umfang der Amtsermittlungspflicht und Voraussetzungen unter denen eine Berufung auf die objektive Beweis- und Feststellungslast möglich sind, bereits seit langem durch die höchstrichterliche Rechtsprechung geklärt sind.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO.