Die Klage wird abgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, wann die freiwillige Versicherung in der Arbeitslosenversicherung aufgrund des Eintritts der Versicherungsfreiheit bei Vollendung des „Lebensjahres“ für den Anspruch auf Regelaltersrente geendet hat.
Die 1955 geborene Klägerin ist selbstständige Rechtsanwältin.
Sie war ab 2007 in der Arbeitslosenversicherung auf Antrag versichert. Dementsprechend wurden Beiträge festgesetzt, zuletzt ab 1. Januar 2020 i.H.v. 76,44 € monatlich/ 917,29 € jährlich mit Änderungsbescheid vom 25. November 2019, ab 1. Januar 2021 i.H.v. 78,96 € monatlich/ 947,52 € jährlich mit Änderungsbescheid v. 24. November 2020, ab 1. Januar 2022 in gleicher Höhe mit Änderungsbescheid vom 22. November 2021.
Am 21. Dezember 2021 erhob die Klägerin mit zwei Schreiben Widerspruch gegen den Änderungsbescheid vom 24. November 2020 und den Änderungsbescheid vom 22. November 2021. Sie habe am XX. Dezember 2020 das 65. Lebensjahr vollendet, weshalb das Versicherungsverhältnis bereits im Dezember 2020 geendet habe. Bezüglich des Änderungsbescheids vom 24. November 2020 stellte sie zudem vorsorglich einen Antrag auf Überprüfung.
Mit Widerspruchsbescheid vom 27. Januar 2022 verwarf die Beklagte den Widerspruch gegen den Änderungsbescheid vom 24. November 2020 wegen Fristversäumnis als unzulässig.
Den Änderungsbescheid vom 22. November 2021 hob die Beklagte mit Abhilfebescheid vom 2. Februar 2022 auf und führte aus, dass die im Verfahren entstandenen Kosten erstattet würden.
Am 2. Februar 2022 erging zudem ein Rücknahmebescheid, wonach der Bescheid vom „24. November 2010“ zurückgenommen werde.
Mit Bescheid vom 17. März 2022 hob die Beklagte die Zulassung zur freiwilligen Versicherung in der Arbeitslosenversicherung ab 1. Oktober 2021 auf. Es bestehe ein Anspruch der Klägerin auf Erstattung der ab 1. Oktober 2021 überzahlten Beiträge. Die Beklagte zahlte an die Klägerin 236,92 € aus.
Hiergegen erhob die Klägerin erneut Widerspruch. Die Zulassung zur freiwilligen Versicherung sei bereits ab dem 1. Januar 2021 aufzuheben. Sie habe Anspruch auf Erstattung der weiteren für das Jahr 2021 gezahlten Beiträge i.H.v. 710,64 €. Zudem sei der Abhilfebescheid vom 2. Februar 2022 abzuändern, da dieser sich auf einen Bescheid aus dem Jahr 2010 beziehe.
Die Beklagte wies den Widerspruch gegen die Bescheide vom 2. Februar 2022 und vom 17. März 2022 mit Widerspruchsbescheid vom 13. April 2022 als unbegründet zurück. Soweit mit Bescheid vom 2. Februar 2022 ein Bescheid aus dem Jahr 2010 zurückgenommen worden sei, werde dies berichtigt. Zurückgenommen werde der Bescheid vom „24.11.2020“. Das Versicherungspflichtverhältnis der Klägerin habe wegen der stufenweisen Anhebung des Renteneintrittsalters am 30. September 2021 (65 Jahre und neun Monate) geendet, nicht zuvor.
Hiergegen hat die Klägerin am 16. Mai 2022 Klage am Sozialgericht Frankfurt am Main erhoben.
Die Klägerin verweist darauf, dass sie das maßgebliche Lebensjahr für den Renteneintritt zum 1. Januar 2021 erreicht habe.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, die Bescheide vom 24.11.20 (Änderungsbescheid), vom 02.02.22 (Rücknahme Änderungsbescheid vom 24.11.20) und vom 17.03.22 (Aufhebungsbescheid) in Gestalt des Widerspruchsbescheides der Beklagten vom 13.04.22 aufzuheben und abzuändern;
die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin den weiteren Beitrag in Höhe von 710,64 € zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie bezieht sich hinsichtlich ihres Vortrags auf die Ausführungen in den Bescheiden und Widerspruchsbescheid.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage gegen den Bescheid vom 17. März 2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13. April 2022 ist statthaft als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage nach §§ 54 Abs. 1, 55 Abs. 1, 56 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Es bedarf keiner Verpflichtung der Beklagten nach § 54 Abs. 1 SGG, durch Verwaltungsakte das Ende der Versicherungspflicht festzustellen, da kein Fall des § 48 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) vorliegt. Spiegelbildlich zur antragsabhängigen Versicherungspflicht nach § 28a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB III, die bei Vorliegen der Voraussetzungen kraft Gesetzes eintritt (vgl. BSG Urt. v. 03.06.2009 – B 12 AL 1/08 R), endet umgekehrt diese Versicherungspflicht nach § 28a Abs. 5 SGB III kraft Gesetzes, unabhängig davon, ob die Behörde dies in einer gesonderten Regelung durch Verwaltungsakt feststellt (vgl. BSG Urt. v. 30.03.2011 – B 12 AL 2/09 R; Urt. v. 04.12.2014 – B 5 AL 2/14 R).
Das Gericht legt den Klageantrag entsprechend § 123 SGG dahingehend aus, dass die Klägerin die Feststellung begehrt, dass sie ab 1. Januar 2021 nicht mehr der Versicherung auf Antrag in der Arbeitslosenversicherung unterlag. Einer Auslegung steht insbesondere nicht die eigene juristische Ausbildung der Klägerin, die zudem Rechtsanwältin ist, entgegen.
Die darauf gerichtete, im Übrigen zulässige Klage ist unbegründet. Es ist nicht festzustellen, dass die Klägerin nur bis 31. Dezember 2020 der Versicherung auf Antrag in der Arbeitslosenversicherung unterlag. Der Bescheid vom 17. März 2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13. April 2022 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Seit dem 1. Januar 2007 können Personen auf Antrag unter bestimmten Voraussetzungen nach § 28a Abs. 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) ein Versicherungsverhältnis in der Arbeitslosenversicherung auch dann begründen, wenn die Voraussetzungen der §§ 24 bis 26 SGB III nicht erfüllt sind. Die Regelung füllte die Lücke, die aufgrund der Aufhebung der bis 31. Dezember 2002 gültigen Verlängerung der Rahmenfrist in § 124 Abs. 3 Nr. 3 SGB III (i.d.F. v. 21.07.1999 BGBl. I 1648 v. 01.08.1999) entstanden war (vgl. BT-DrS 15/1515 v. 05.09.2003, S. 78).
Dieses Versicherungsverhältnis auf Antrag nach § 28a Abs. 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) endet nach § 28a Abs. 5 SGB III
1. wenn die oder der Versicherte eine Entgeltersatzleistung nach § 3 Abs. 4 Nr. 1 bis 3 SGB III bezieht,
2. mit Ablauf des Tages, an dem die Voraussetzungen nach § 28a Abs. 1 SGB III letztmals erfüllt waren,
3. wenn die oder der Versicherte mit der Beitragszahlung länger als drei Monate in Verzug ist, mit Ablauf des Tages, für den letztmals Beiträge gezahlt wurden,
4. in den Fällen des § 28 SGB III,
5. durch Kündigung der oder des Versicherten; die Kündigung ist erstmals nach Ablauf von fünf Jahren zulässig; die Kündigungsfrist beträgt drei Monate zum Ende eines Kalendermonats
Nach § 28 Abs. 1 SGB III sind versicherungsfrei Personen,
1. die das Lebensjahr für den Anspruch auf Regelaltersrente im Sinne des Sechsten Buches vollenden, mit Ablauf des Monats, in dem sie das maßgebliche Lebensjahr vollenden,
2. die wegen einer Minderung ihrer Leistungsfähigkeit dauernd nicht mehr verfügbar sind, von dem Zeitpunkt an, an dem die Agentur für Arbeit diese Minderung der Leistungsfähigkeit und der zuständige Träger der gesetzlichen Rentenversicherung volle Erwerbsminderung im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung festgestellt haben,
3. während der Zeit, für die ihnen eine dem Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung vergleichbare Leistung eines ausländischen Leistungsträgers zuerkannt ist.
Nach diesen Grundsätzen endete das Versicherungsverhältnis auf Antrag mit Ablauf des 30. September 2021 aufgrund des Erreichens des Zeitpunkts, ab dem die Klägerin einen Anspruch auf Regelaltersrente nach §§ 35, 235 Abs. 2 S. 2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI). Andere Beendigungsgründe sind nicht ersichtlich.
In verständiger Auslegung des § 28 Abs. 1 Nr. 1 SGB III ist der Begriff des „Lebensjahres“ dahingehend auszulegen, dass das Versicherungsverhältnis mit Erreichen der „Regelaltersgrenze“ für den Anspruch auf Regelaltersrente endet. Es handelt sich zur Überzeugung des Gerichts in § 28 Abs. 1 Nr. 1 SGB III um eine gesetzgeberische Fehlformulierung. Dies ergibt sich aus einer Auslegung der Regelung im Hinblick auf die Systematik, die Historie und den Sinn und Zweck. Lediglich der Wortlaut der Regelung spricht vom „Lebensjahr“, was bei Personen, die der monatsweisen Anhebung der Regelaltersgrenze nach § 235 Abs. 2 S. 2 SGB VI unterfallen, zu einem Auseinanderfallen zwischen Versicherungsverhältnis und Anspruch auf Regelaltersrente führt. Dieser Wortlaut des § 28 Abs. 1 Nr. 1 SGB III korrespondiert zudem mit dem Ausschluss von Arbeitslosengeld an Personen nach § 136 Abs. 2 SGB III sowie der veränderten Beitragserhebung bei solchen beschäftigten Personen nach § 346 Abs. 3 SGB III.
Demgegenüber sprechen jedoch die Gesetzgebungshistorie, die Systematik und der Sinn und Zweck der Regelung erheblich gegen die Auslegung, dass es tatsächlich auf das Lebensjahr und nicht die Regelaltersgrenze ankomme. § 28 Abs. 1 Nr. 1 SGB III bezweckt die Beendigung des Versicherungsverhältnisses zu dem Zeitpunkt, in welchem ein Wechsel des Sicherungssystems stattfindet, mithin, ab dem ein Anspruch aus der Gesetzlichen Rentenversicherung dem Grunde nach wegen des Alters, ungeachtet der Erfüllung der Anwartschaftszeit, besteht (so auch die einstimmige Literaturmeinung, vgl. Schneil in: BeckOGK, SGB III, § 28 Rn. 4; Brand in: Brand, SGB III, 9. Aufl. 2021, Rn. 3; Timme in: Hauck/Noftz, SGB III, § 28 Rn. 6; Wehrhahn in: jurisPK-SGB III, § 28 Rn. 8 f.).
Historisch hat § 28 Abs. 1 Nr. 1 SGB III seinen aktuellen Wortlaut aufgrund Art. 3 Nr. 1 des Gesetzes zur Anpassung der Regelaltersgrenze an die demografische Entwicklung und zur Stärkung der Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz) vom 20. April 2007 (BGBl. I 2007, S. 554) mit Wirkung ab 1. Januar 2008 erhalten. Die zuvor geltende Regelung des § 28 Abs. 1 Nr. 1 SGB III, die den Eintritt der Versicherungsfreiheit mit Erreichen des 65. Lebensjahres vorsah, musste aufgrund der ab 1. Januar 2008 umgesetzten schrittweisen Anhebung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre angepasst werden. Hierbei beabsichtigte der Gesetzgeber keine inhaltliche Änderung zum status quo, wonach erst ab dem Zeitpunkt, ab welchem der Anspruch auf Regelaltersrente bestand die Versicherung in der Arbeitslosenversicherung entfiel. Der Gesetzgeber führte hierzu aus: „Die zugrunde liegende Regelung des § 28 Abs.1 Nr. 1 dient zusammen mit der Regelung in § 117 Abs. 2 (heute § 136 Abs. 2 SGB III) der Abgrenzung des Schutzbereiches der Arbeitslosenversicherung gegenüber dem Schutzbereich der gesetzlichen Rentenversicherung. Danach sind Personen, die das Lebensalter erreicht haben, das zum Bezug der Regelaltersrente berechtigt, nicht mehr in den Schutzbereich der Arbeitslosenversicherung einbezogen. Ihre soziale Sicherung erfolgt grundsätzlich durch die gesetzliche Rentenversicherung. Für diesen Personenkreis entfallen die Versicherungspflicht und die Leistungsberechtigung in der Arbeitslosenversicherung. Die Regelungen werden an die stufenweise Anhebung der Regelaltersgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung angepasst“ (BT-DrS 2/07, S. 113). Der Gesetzgeber setzte damit die bereits seit 1. Januar 1989 bestehende Rechtslage, begonnen mit §§ 169c Nr. 1 bis 3, 169d des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) fort (BT-DrS. 11/3583; vgl. zur Fortführung bei der Neuregelung in § 28 ab 01.01.1998 BT-DrS. 13/4941 v. 16.06.1996, S. 159).
Im Einklang mit dieser Auslegung stehen die weiteren Beendigungstatbestände des § 28 Abs. 1 SGB III, die ebenfalls darauf abstellen, dass ein Wechsel des Sicherungssystems eingetreten ist bzw. der Bezug von Arbeitslosengeld als Äquivalent zur Beitragszahlung grundsätzlich ausgeschlossen ist. Denn Nr. 2 stellt auf die Minderung der Erwerbsfähigkeit und den Wegfall der Verfügbarkeit i.S.d. § 138 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 5 Nr. 1 SGB III sowie die Anerkennung der vollen Erwerbsminderung korrespondierend hierzu durch den Rentenversicherungsträger ab, Nr. 3 auf die Zuerkennung einer Leistung äquivalent zur Rente wegen voller Erwerbsminderung durch einen ausländischen Versicherungsträger. Bei voller Erwerbsminderung (Leistungsfähigkeit von unter drei Stunden täglich) treten die Sicherungssysteme der Gesetzlichen Rentenversicherung (SGB VI) bzw. der Grundsicherung (SGB XII) ein.
Aufgrund der bis 30. September 2021 bestehenden Versicherung in der Arbeitslosenversicherung hat die Klage gegen den Bescheid vom 2. Februar 2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13. April 2022 bereits keinen Erfolg. Auf eine Entscheidung, ob im Bescheid vom 2. Februar 2022 eine die Klägerin belastende Regelung durch eine Neufestsetzung der Beiträge vom 1. Januar 2021 bis 30. September 2021 vorliegt, kommt es daher nicht an.
Die Klage gerichtet auf weitere Erstattung von gezahlten Beiträgen hat entsprechend ebenso keine Aussicht auf Erfolg.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens.
Die Berufung ist nicht statthaft, § 144 Abs. 1 SGG.