1. Zur Frage, ob es für ein Überprüfungsverfahren nach § 44 SGB X an einem erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis fehlt, solange gegen den zur Überprüfung gestellten Bescheid noch Widerspruch eingelegt oder Klage erhoben werden kann.
2. § 142 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB III ist nicht nur aufgrund seines klaren, eindeutigen Wortlautes sondern auch aufgrund der Entstehungsgeschichte und der Regelungsintention nicht dergestalt erweiternd auslegbar, dass alle Arbeitslosen, die die Voraussetzungen aus § 142 Abs. 1 SGB III nicht erfüllen, unter den Anwendungsbereich der Sonderregelung in § 142 Abs. 2 SGB III fallen können.
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Chemnitz vom 5. Dezember 2019 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen einen Gerichtsbescheid, mit dem seine auf die Gewährung von Arbeitslosengeld gerichtete Klage abgewiesen wurde.
Der 1969 geborene Kläger schloss mit der Y....-schule gGmbH in A.... am 26./27. März 2020 einen Arbeitsvertrag. Als Beginn des Arbeitsverhältnisses war der 1. April 2020 vereinbart (vgl. § 1 Abs. 1 des Vertrages). Das Arbeitsverhältnis war zum Zwecke der Erprobung "zunächst auf ein Jahr befristet" (vgl. § 1 Abs. 2 Satz 1 des Vertrages). Die Fortführung als unbefristetes Arbeitsverhältnis war angestrebt (vgl. § 1 Abs. 2 Satz 2 und 3 des Vertrages). Die (eigentliche) Probezeit betrug drei Monate (vgl. § 1 Abs. 3 des Vertrages). Als durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit waren 20 Zeitstunden "und damit 50 % der vollen Wochenarbeitszeit von 40 Stunden" vereinbart (vgl. § 5 Abs. 1 Satz 1 des Vertrages). Das monatliche Bruttogehalt betrug 2.211,20 EUR, das jährliche Bruttogehalt betrug "entsprechend 26.534,34€" (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 1 des Vertrages).
Der Kläger soll ausweislich zweier Schreiben der Beklagten an die Y....-schule gGmbH vom 10. und 17. Februar 2021 bis 9. Januar 2021 dort beschäftigt gewesen sein.
Der Kläger beantragte durch seinen Prozessbevollmächtigten mit zwei Schriftsätzen vom 11. Januar 2021 bei der Beklagten Arbeitslosengeld sowie Arbeitslosengeld II. In dem einen beantragte er ferner eine vorschussweise Bewilligung. Er teilte mit, dass er seit April 2020 über ein Bruttoeinkommen von monatlich 2.200,00 EUR und ein Nettoeinkommen von 1.736,59 EUR verfüge. Ebenfalls am 11. Januar 2021 meldete sich der Kläger online arbeitssuchend.
Mit Schreiben vom 10. Februar 2021 forderte die Beklagte bei der Y....-schule gGmbH eine Arbeitsbescheinigung für den Kläger mit Frist bis zum 3. März 2021 an. Diese reagierte hierauf nicht.
Der Klägerbevollmächtigte richtete mit Schriftsatz vom 23. Februar 2021 an die Beklagte eine "Zweite Erinnerung".
Die Beklagte lehnte den Antrag auf Arbeitslosengeld mit Bescheid vom 23. Februar 2021 ab. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld, weil er in den letzten 30 Monaten vor dem 11. Januar 2021 weniger als zwölf Monate versicherungspflichtig beschäftigt gewesen sei und die Anwartschaftszeit deshalb nicht erfüllt habe.
Der Kläger ließ mit Schriftsatz vom 26. Februar 2021 Widerspruch einlegen, der auch später nicht begründet wurde.
Mit Schreiben vom 1. März 2021 wies die Beklagte den Kläger darauf hin, dass über den Arbeitslosengeldantrag erst entschieden werden könne, wenn alle zur Entscheidung erforderlichen Unterlagen vollständig vorliegen würden. Der Antrag sei unvollständig ausgefüllt und nicht unterschrieben. Außerdem würden die Arbeitsbescheinigung der Y....-schule gGmbH sowie Arbeitsbescheinigungen bis 31. März 2020 fehlen. In einer E-Mail vom selben Tag wurde der Klägerbevollmächtigte darüber informiert, dass der Kläger Arbeitslosengeld II beim Jobcenter A.... beantragen müsse, und dass er seinen Antrag zurückerhalte, weil dieser unvollständig ausgefüllt sei.
In der am 5. März 2021 übersandten Arbeitsbescheinigung vom 1. März 2021 gab die Y....-schule gGmbH unter anderem an, dass das Arbeitsverhältnis bis zum 30. März 2021 befristet gewesen sei. Der Kläger sei bei ihr vom 1. April 2020 bis zum 24. Dezember 2020 beschäftigt gewesen. Das Arbeitsverhältnis sei am 21. Dezember 2020 nach einer Abmahnung am 7. Dezember 2020 zum 24. Dezember 2020 arbeitgeberseitig gekündigt worden. Die vereinbarte wöchentliche Arbeitszeit habe zunächst 21,6 Stunden betragen, sei ab 1. Juli 2020 auf 30 Stunden angehoben und ab 1. August 2020 auf 25 Stunden herabgesetzt worden.
Der Kläger gab am 23. März 2021 in der "Erklärung als vorläufigen Ersatz einer Arbeitsbescheinigung" unter anderem an, dass das Arbeitsverhältnis durch den Arbeitgeber am 21. Dezember 2020 fristlos gekündigt worden sei. Das monatliche Bruttoarbeitsentgelt habe 2.211,20 EUR betragen.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 16. April 2021 zurück. Der Kläger sei innerhalb der Rahmenfrist vom 11. Juli 2018 bis zum 10. Januar 2021 nur an 268 Kalendertagen beschäftigt gewesen und habe damit nicht mindestens 12 Monate (= 360 Kalendertage) in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden. Der Kläger erhob hiergegen keine Klage.
Der Klägerbevollmächtigte erinnerte mit Schriftsatz vom 7. Mai 2021 an die Entscheidung über den Arbeitslosengeldantrag. Der Kläger nehme "die 'Sonderregelung verkürzte Anwartschaftszeit', § 142 Abs. 2 SGB III, für Arbeitslose", die die reguläre Anwartschaftszeit nicht erfüllten, in Anspruch. Dies gelte bis zum 31. Dezember 2022 als verkürzte Anwartschaftszeit von sechs Monaten.
Die Beklagte lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 10. Mai 2021 ab. Die Anwartschaftszeit nach § 142 Abs. 2 des Sozialgesetzbuches Drittes Buch – Arbeitsförderung – (SGB III) sei nicht erfüllt. Innerhalb der Rahmenfrist sei die Zahl der Tage in Beschäftigungen, die auf höchstens vierzehn Wochen befristet gewesen seien, nicht größer als die Zahl der Tage in Beschäftigungen, die unbefristet oder länger als vierzehn Wochen befristet gewesen seien.
Den Widerspruch im Schriftsatz vom 19. Mai 2021 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 1. Juli 2021 zurück.
Der Kläger hat am 2. Juli 2021 Klage erheben lassen. Das "Rechtsschutzinteresse" aus dem Vorverfahren werde weiter verfolgt.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 6. Oktober 2021 abgewiesen und auf die Begründung des Ablehnungsbescheides vom 10. Mai 2021 verwiesen.
Der Kläger hat am 12. Oktober 2021 Berufung einlegen lassen. Der Klägerbevollmächtigte hat vorgetragen, dass das "Rechtsschutzinteresse" aus dem Vorverfahren weiter verfolgt werde. Es werde eine Kündigungsschutzklage mit Aussicht auf Erfolg geführt, sodass die Anwartschaftszeiten für das Arbeitslosengeld erreicht würden.
Der Kläger, der schriftsätzlich keinen Antrag formuliert hat, beantragt sinngemäß:
Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichtes Dresden vom 6. Oktober 2021 wird aufgehoben. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 10. Mai 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Juli 2021 verpflichtet, den Bescheid vom 23. Februar 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. April 2021 aufzuheben und dem Kläger Arbeitslosengeld ab dem 11. Januar 2021 zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt unter Verweis auf die Ausführungen im angefochtenen Gerichtsbescheid,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten aus beiden Verfahrenszügen sowie die beigezogene Verwaltungsakte (eAkte, 76 Dokumente) der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I. Das Gericht konnte trotz Ausbleibens des Klägers verhandeln und entscheiden, weil er hierauf in der Ladung hingewiesen worden ist (vgl. § 153 Abs. 1 i. V. m. § 110 Abs. 1 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes [SGG]).
II. Das mit der Klage verfolgte Rechtsschutzbegehren des Klägers bedarf der Auslegung (vgl. § 123 SGG).
Ausgangspunkt des gerichtlichen Verfahrens ist der Schriftsatz des Klägerbevollmächtigten vom 7. Mai 2021, in dem er an die Entscheidung über den Arbeitslosengeldantrag erinnerte. Der Antrag vom 11. Januar 2021 war jedoch bereits mit dem Bescheid vom 23. Februar 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. April 2021 abgelehnt worden. Die Erinnerung im Schriftsatz vom 7. Mai 2021 ist deshalb als Überprüfungsantrag im Sinne von § 44 des Sozialgesetzbuches Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) zu verstehen. In diesem Sinne und nicht als neuen Antrag oder als eine konkludente, bei ihr eingereichten Klage hat die Beklagte den Schriftsatz behandelt.
Für diese Auslegung und gegen einen neuen Antrag sprechen zudem zwei weitere Gesichtspunkte. Zum einen kann zwar gemäß § 324 Abs. 1 SGB III Arbeitslosengeld noch nachträglich beantragt werden. Jedoch wird gemäß § 325 Abs. 2 Satz 1 SGB III, vorbehaltlich der Sonderregelung in § 325 Abs. 2 Satz 2 SGB III, nicht rückwirkend geleistet. Wenn in dem Schriftsatz vom 7. Mai 2021 ein neuer Antrag auf Bewilligung von Arbeitslosengeld zu sehen wäre, könnte der Kläger kein Arbeitslosengeld rückwirkend zum 11. Januar 2021 erhalten. Zum anderen enthält § 142 Abs. 2 SGB III, auf den sich der Klägerbevollmächtigte beruft, keine eigenständige Anspruchsgrundlage, sondern lediglich eine Sonderregelung zu den allgemeinen Regelungen in § 142 Abs. 1 SGB III betreffend die Anwartschaftszeit.
Dass der Kläger am 7. Mai 2021 noch Klage hätte erheben können, weil die einmonatige Klagefrist (vgl. § 151 Abs. 1 SGG) gegen den Widerspruchsbescheid vom 16. April 2021 noch nicht abgelaufen war, ist unerheblich. Denn der Anwendungsbereich des §§ 44 SGB X ist nach seinem Wortlaut nicht auf unanfechtbare Verwaltungsakte beschränkt (vgl. BSG, Urteil vom 30. Oktober 2013 – B 7 AY 7/12 R – BSGE 114, 302 ff. = SozR 4-3520 § 1a Nr. 1 = juris, jeweils Rdnr. 19; BSG, Urteil vom 26. Oktober 2017 – B 2 U 6/16 R – SozR 4-2200 § 547 Nr. 1 = juris, jeweils Rdnr. 15; vgl. auch Baumeister, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X [2. Aufl., 2017], § 44 SGB X Rdnr. 35; Merten, in: Hauck/Noftz SGB X [1. Erg.-Lfg. 2022], § 44 Rdnr. 51; a. A. Schütze, in: Schütze, SGB X [9. Aufl., 2020], § 44 Rdnr. 3).
Es kann auch dahingestellt bleiben, ob es für eine Überprüfungsverfahren nach § 44 SGB X an einem erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis fehlt, solange gegen den zur Überprüfung gestellten Bescheid noch Widerspruch eingelegt oder Klage erhoben werden kann (vgl. hierzu z. B. BSG, Urteil vom 30. Oktober 2013, a. a. O.; Baumeister, a. a. O., Rdnr. 144 ff.; Merten, a. a. O.; für eine Unzulässigkeit des Überprüfungsantrages, wenn der zur Überprüfung gestellte Bescheid Gegenstand eines Widerspruchs-, Klage- oder Berufungsverfahrens ist: Bay. LSG, Urteil vom 22. Juli 2020 – L 13 R 566/19 – juris Rdnr. 16 f.; LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 9. September 2020 – L 13 KG 4/19 – juris Rdnr. 38; dagegen: Baumeister, a. a. O., Rdnr. 145.1 ff.). Das Rechtsschutzbedürfnis ist eine allgemeine Sachurteilsvoraussetzung, die bei jeder Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung gegeben sein muss. Der Begriff des Rechtsschutzbedürfnisses bedeutet, dass nur derjenige, der mit dem von ihm angestrengten gerichtlichen Rechtsschutzverfahren ein rechtsschutzwürdiges Interesse verfolgt, einen Anspruch auf eine gerichtliche Sachentscheidung hat (vgl. Sächs. LSG, Urteil vom 17. Oktober 2019 – L 3 AS 330/17 – juris Rdnr. 24, m. w. N.). Die Sachurteilsvoraussetzungen müssen im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vorliegen (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG [13. Aufl., 2020], Vor § 51 Rdnr. 20; Böttiger, in: Fichte/Jüttner, SGG [3. Aufl., 2020], § 54 Rdnr. 21). Im Falle des Klägers lag das Rechtsschutzbedürfnis bereits am 6. Oktober 2021, als der angefochtene Gerichtsbescheid erlassen wurde, vor. Denn zu diesem Zeitpunkt war die Bestandskraft des Bescheides vom 23. Februar 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. April 2021 eingetreten.
III. Die in diesem Sinne verstandenen Berufung ist zulässig, jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht hat im Ergebnis zu Recht die Klage abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rücknahme des Bescheides vom 10. Mai 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Juli 2021 sowie Erbringung von Arbeitslosengeld. Denn dieser Bescheid ist rechtmäßig, weil der Kläger keinen Anspruch auf Gewährung von Arbeitslosengeld hat.
Anspruchsgrundlage für das Überprüfungsbegehren des Klägers ist § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Danach ist der Verwaltungsakt, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen.
Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Rücknahmeregelung sind im Falle des Klägers nicht gegeben.
1. Bei dem Erlass des Bescheides vom 23. Februar 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. April 2021 ist das Recht nicht unrichtig angewandt worden. Der Kläger erfüllte weder die allgemeinen Voraussetzungen für einen Anspruch auf Arbeitslosengeld bei Arbeitslosigkeit (a) noch in Bezug auf die Anwartschaftszeiten die Voraussetzungen der Sonderregelung in § 142 Abs. 2 SGB III (b).
a) Anspruch auf Arbeitslosengeld bei Arbeitslosigkeit (vgl. § 136 Abs. 1 Nr. 1 SGB III) hat, wer
1. arbeitslos ist,
2. sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet (vgl. § 141 SGB III) und
3. die Anwartschaftszeit erfüllt hat.
Arbeitslos ist gemäß § 138 Abs. 1 SGB III, wer Arbeitnehmerin oder Arbeitnehmer ist und
1. nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht (Beschäftigungslosigkeit),
2. sich bemüht, die eigene Beschäftigungslosigkeit zu beenden (Eigenbemühungen), und
3. den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit zur Verfügung steht (Verfügbarkeit).
Die Anwartschaftszeit hat gemäß § 142 Abs. 1 Satz 1 SGB III erfüllt, wer in der Rahmenfrist (vgl. § 143 SGB III) mindestens zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden hat. Die Rahmenfrist beträgt 30 Monate und beginnt mit dem Tag vor der Erfüllung aller sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld (vgl. § 143 Abs. 1 SGB III).
Die Beklagte hat im Widerspruchsbescheid vom 16. April 2021 zutreffend ausgeführt, dass der Kläger die sonstigen Anspruchsvoraussetzungen am 11. Januar 2021 erfüllt hat. Aus diesem Grund reicht die zweijährige Rahmenfrist vom 10. Januar 2021 zurück bis zum 11. Juli 2018. In dieser Zeit war der Kläger nach der zutreffenden Feststellung der Beklagten jedoch nur an 268 Kalendertagen versicherungspflichtig beschäftigt. Dies ist klägerseits nicht bestritten worden.
In diesem Zusammenhang kann dahingestellt bleiben, ob der Kläger bei der Y....-schule gGmbH bis zum 24. Dezember 2020 (so die Arbeitsbescheinigung vom 1. März 2021) oder bis zum 9. Januar 2021 (so die Schreiben der Beklagten vom 10. und 17. Februar 2021) beschäftigt war. Denn in beiden Fällen stand er nicht die erforderlichen mindestens zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis.
b) Für Arbeitslose, die – wie der Kläger – die Anwartschaftszeit nach § 142 Abs. 1 SGB III nicht erfüllen, enthält § 142 Abs. 2 Satz 1 SGB III eine Sonderregelung. Danach gilt für sie, soweit sie darlegen und nachweisen, dass
1. sich die in der Rahmenfrist zurückgelegten Beschäftigungstage überwiegend aus versicherungspflichtigen Beschäftigungen ergeben, die auf nicht mehr als 14 Wochen im Voraus durch Arbeitsvertrag zeit- oder zweckbefristet sind, und
2. das in den letzten zwölf Monaten vor der Beschäftigungslosigkeit erzielte Arbeitsentgelt das 1,5fache der zum Zeitpunkt der Anspruchsentstehung maßgeblichen Bezugsgröße nach § 18 Abs. 1 des Sozialgesetzbuches Viertes Buch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung – (SGB IV) nicht übersteigt,
bis zum 31. Dezember 2022, dass die Anwartschaftszeit sechs Monate beträgt.
Der Klägerbevollmächtigte übersieht bei seinem Verweis auf die Sonderregelung des § 142 Abs. 2 Satz 1 SGB III, dass dort die Anwartschaftszeit nicht bis zum 31. Dezember 2022 vorbehaltlos auf sechs Monate verkürzt wird. Vielmehr hängt die Anwendbarkeit dieser Regelung von den beiden genannten Tatbestandsvoraussetzungen ab. Im Falle des Klägers ist bereits die in § 142 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB III geforderte Voraussetzung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung, "die auf nicht mehr als 14 Wochen im Voraus durch Arbeitsvertrag zeit- oder zweckbefristet" ist, nicht gegeben. Der mit dem Kläger geschlossene Arbeitsvertrag war nach § 1 Abs. 2 Satz 1 des Vertrages „zunächst auf ein Jahr befristet". Lediglich für die Probezeit war eine dreimonatige Befristung vereinbart (vgl. § 1 Abs. 3 des Vertrages).
§ 142 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB III ist nicht nur aufgrund seines klaren, eindeutigen Wortlautes sondern auch aufgrund der Entstehungsgeschichte und der Regelungsintention (vgl. hierzu eingehend Öndül, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB III [2. Aufl., 2019, Stand: 14. Mai 2020], § 142 Rdnr. 5 bis 8) nicht dergestalt erweiternd auslegbar, dass alle Arbeitslosen, die die Voraussetzungen aus § 142 Abs. 1 SGB III nicht erfüllen, unter den Anwendungsbereich der Sonderregelung in § 142 Abs. 2 SGB III fallen können.
Die früher unter § 123 SGB III angesiedelte Vorschrift betreffend die Anwartschaftszeit wurde zum 1. August 2009 um einen zweiten Absatz ergänzt (vgl. Artikel 2b Nr. 2 des Gesetzes vom 15. Juli 2009 [BGBl. I S. 1939]). In § 123 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB III wurde gefordert, dass Arbeitslose, die die Anwartschaftszeit nach § 123 Abs. 1 SGB III nicht erfüllten, darlegten und nachwiesen, dass sich die in der Rahmenfrist zurückgelegten Beschäftigungstage überwiegend aus versicherungspflichtigen Beschäftigungen ergaben, die auf nicht mehr als sechs Wochen im Voraus durch Arbeitsvertrag zeit- oder zweckbefristet waren. Im Zuge der Neufassung des SGB III zum 1. April 2012 wurden die Regelungen aus § 123 SGB III inhaltlich unverändert in § 142 SGB III überführt (vgl. Artikel 2 Nr. 18 des Gesetzes vom 20. Dezember 2011 [BGBl. I S. 2854]). Die Höchstbeschäftigungsdauer wurde zum 1. August 2012 von sechs auf zehn Wochen (vgl. Artikel 4a Nr. 1 des Gesetzes vom 21. Juli 2012 [BGBl. I S. 1613]) und zum 1. Januar 2020 nochmals auf 14 Wochen erhöht (vgl. Artikel 2 Nr. 1a Buchst. a des Gesetzes vom 18. Dezember 2018 [BGBl. I S. 2651]). Die jeweils zeitlich befristete Sonderregelung gilt derzeit bis zum 31. Dezember 2022.
Mit der Sonderregelung in § 123 Abs. 2 SGB III verfolgte der Gesetzgeber das Ziel, die soziale Sicherung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu verbessern, die berufsbedingt oder wegen der Besonderheiten des Wirtschaftszweiges, in dem sie beschäftigt waren, überwiegend nur auf kurze Zeit befristete Beschäftigungen ausüben konnten und deshalb die Anwartschaftszeit für einen Anspruch auf Arbeitslosengeld von mindestens zwölf Monaten innerhalb der zweijährigen Rahmenfrist nicht erfüllen konnten. Für sie sollte der Zugang zum Arbeitslosengeld durch eine kürzere Anwartschaftszeit (sechs statt zwölf Monate) erleichtert werden. Der Gesetzgeber hatte insbesondere auch die besonderen Bedingungen von Kulturschaffenden von Augen (vgl. BT-Drs. 16/13424 S. 32; kritisch zu letzterem Regelungsziel: Söhngen, in Eicher/Schlegel, SGB III [Stand: April 2014], § 142 Rdnr. 42; Valgolio, in: Hauck/Noftz SGB III [3. Erg.-Lfg. 2022], § 142 Rdnr. 126). Die Anhebung der Höchstbeschäftigungsdauer auf zehn Wochen zum 1. August 2012 begründete der Gesetzgeber mit ersten Erfahrungen aus dem Monitoring der Regelung für den Zeitraum vom 1. August 2009 bis zum 31. März 2011 (vgl. BT-Drs. 17/9992 S. 31). Die letzte Änderung zum 1. Januar 2020 fand im Rahmen der parlamentarischen Beratungen Eingang in den Gesetzentwurf, ohne dass hierfür jedoch eine Begründung gegeben wurde.
Daraus wird deutlich, dass vom Anwendungsbereich des § 142 Abs. 2 SGB III nur ein begrenzter Kreis von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern erfasst werden soll. Mit § 142 Abs. 2 SGB III wird nicht das Ziel verfolgt, allen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die nicht die erforderliche Anwartschaftszeit aus § 142 Abs. 1 SGB III erfüllen, den Zugang zum Arbeitslosengeld zu eröffnen.
2. Die Beklagte ist auch nicht von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen.
Das versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnis des Klägers bei der Y....-schule gGmbH dauerte vom 1. April 2020 bis zum 24. Dezember 2020 oder 9. Januar 2021. Damit stand der Kläger nicht, wie bereits festgestellt, mindestens zwölf Monate in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis.
Soweit der Klägerbevollmächtigte nunmehr auf einen Kündigungsschutzprozess verweist, ist ein solches Gerichtsverfahren bislang lediglich behauptet, aber trotz Aufforderung weder näher bezeichnet noch nachgewiesen. Unabhängig davon hätte ein solches arbeitsgerichtliches Verfahren nur Auswirkung auf die Entscheidung über den geltend gemachten Arbeitslosengeldanspruch, wenn dieses Gerichtsverfahren zugunsten des Klägers ausgehen würde und rechtskräftig abgeschlossen wäre.
Das Gericht ist nicht gehalten, das Berufungsverfahren auszusetzen, bis das behauptete arbeitsgerichtliche Verfahren abgeschlossen ist. Denn nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X besteht eine Pflicht zur Rücknahme des Verwaltungsaktes erst, wenn sich ein Sachverhalt „als unrichtig erweist". Es ist nicht ausreichend, dass sich ein Sachverhalt möglicherweise in der Zukunft noch als unrichtig erweisen wird.
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.
V. Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.