B 8 SO 11/20 R

Land
Bundesrepublik Deutschland
Sozialgericht
Bundessozialgericht
Sachgebiet
Sozialhilfe
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 20 SO 66/13
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 20 SO 397/19
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 8 SO 11/20 R
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Die Kosten für die Beschaffung eines ausländischen Passes sind von Leistungsberechtigten in stationären Einrichtungen nicht aus dem Barbetrag zu decken, sondern vom Sozialhilfeträger als weiterer notwendiger Lebensunterhalt zu übernehmen.

2. Die Deckung von aktuellen Bedarfen des Lebensunterhalts durch die Bewilligung eines Darlehens scheidet für Leistungsberechtigte in Einrichtungen aus.

 

Auf die Revision des Klägers werden die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 16. März 2020 und des Sozialgerichts Aachen vom 16. Juli 2013 sowie der Bescheid des Beklagten vom 6. Dezember 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25. März 2013 aufgehoben und der Beklagte verurteilt, dem Kläger unter Abänderung des Bescheids vom 25. Juli 2012 211 Euro zu zahlen.

Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers in allen Rechtszügen.

 

G r ü n d e :

I

1
Der Kläger, der in einer stationären Einrichtung lebt, begehrt die Übernahme der Kosten für die Beschaffung eines Passes in Höhe von 211 Euro als Zuschuss.

2
Der 1978 geborene und unter Betreuung stehende Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Seit 1998 war er im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis, seit dem 1.1.2005 einer Niederlassungserlaubnis. Er leidet an einer Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis, lebte zunächst in Hessen und seit 2008 in Aachen in einer Außenwohngruppe eines Wohnheims. Er bezieht seit 2004 durchgehend Leistungen der stationären Eingliederungshilfe einschließlich eines monatlichen Barbetrages in Höhe von rund 100 Euro vom Beklagten, ua bewilligt für den Zeitraum vom 1.6.2012 bis zum 31.5.2014 (Bescheid vom 25.7.2012).

3
Im Oktober 2012 beantragte er beim Beklagten die Übernahme von Passbeschaffungskosten in Höhe von zunächst 162 Euro. Der Beklagte bewilligte ein Darlehen und lehnte einen Zuschuss ab (Bescheid vom 6.12.2012; Widerspruchsbescheid vom 25.3.2013). Der Kläger beschaffte sich im April 2013 den Pass und konkretisierte die angefallenen Kosten auf 211 Euro (Rechnung vom 11.4.2013). Das Darlehen in dieser Höhe wurde durch einen vom Beklagten vorgenommenen monatlichen Einbehalt aus dem Barbetrag getilgt.

4
Die Klage gegen die Ablehnung des Zuschusses hat keinen Erfolg gehabt (Urteil des Sozialgerichts <SG> Aachen vom 16.7.2013; Urteil des Landessozialgerichts <LSG> Nordrhein-Westfalen vom 16.3.2020). Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, das Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch  Sozialhilfe  (SGB XII) sehe einen Anspruch auf zuschussweise Übernahme von Beschaffungskosten für einen türkischen Pass nicht vor. Eine Übernahme der Passbeschaffungskosten als weiterer notwendiger Lebensunterhalt oder durch Erhöhung des Barbetrages komme nicht in Betracht. Zwar enthalte § 27b Abs 2 SGB XII eine Öffnungsklausel, die eine abweichende Bedarfsbemessung erlaube und Passbeschaffungskosten seien grundsätzlich dem weiteren notwendigen Lebensunterhalt iS des § 27b Abs 2 SGB XII zuzuordnen, jedoch falle der Bedarf schon nicht notwendig an, da der Kläger auf die Beantragung eines Ausweisersatzes verwiesen werden könne. Als (sonstiger) weiterer notwendiger Lebensunterhalt sei außerdem allenfalls dasjenige zu leisten, was außerhalb stationärer Leistungen als Teil des Regelsatzes gewährt würde, dazu zähle aber der Bedarf für die Passbeschaffung gerade nicht, andernfalls würden Leistungsberechtigte in Einrichtungen begünstigt.

5
Mit seiner Revision macht der Kläger eine Verletzung von § 27b Abs 2 SGB XII geltend. Er erhalte in der Einrichtung keinen Regelsatz zur Deckung des Regelbedarfs; im Barbetrag seien Passbeschaffungskosten nicht berücksichtigt. Die Beschaffung eines Ausweisersatzes sei nicht möglich, denn die allgemeinen Gebühren für die Passbeschaffung führten nicht zur Unzumutbarkeit der Passerlangung (§ 5 Abs 2 Nr 4 Aufenthaltsverordnung <AufenthV>).

6
Der Kläger beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 16. März 2020 und des Sozialgerichts Aachen vom 16. Juli 2013 sowie den Bescheid des Beklagten vom 6. Dezember 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25. März 2013 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihm unter Abänderung des Bescheids vom 25. Juli 2012 211 Euro zu zahlen.

7
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

8
Er hält die Entscheidungen der Vorinstanzen für zutreffend.


II

9
Die zulässige Revision ist begründet (§ 170 Abs 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz <SGG>). Die Urteile des LSG Nordrhein-Westfalen vom 16.3.2020 und des SG Aachen vom 16.7.2013 sowie der Bescheid des Beklagten vom 6.12.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.3.2013 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten. Zu Unrecht hat es der Beklagte abgelehnt, den Bescheid vom 25.7.2012 wegen einer wesentlichen Änderung im April 2013 abzuändern. Der Kläger hat einen Anspruch auf Übernahme der Passbeschaffungskosten in Höhe von 211 Euro, die ihm als weiterer notwendiger Lebensunterhalt zuschussweise zustehen.

10
Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 6.12.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.3.2013 (§ 95 SGG; abweichend von § 116 Abs 2 SGB XII ohne beratende Beteiligung sozial erfahrener Dritter, vgl § 8 Abs 2 Hessisches Ausführungsgesetz zum SGB XII <HAG/SGB XII> vom 20.12.2004 <GVBl I 488>), mit dem der Beklagte nicht nur die Übernahme von Passbeschaffungskosten als Zuschuss abgelehnt und lediglich ein Darlehen bewilligt, sondern in der Sache auch die zuvor konkludent beantragte Abänderung des Bescheids vom 25.7.2012 abgelehnt hat. Den geltend gemachten Anspruch auf Übernahme der Passbeschaffungskosten unter Abänderung des Bescheids vom 25.7.2012 wegen einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse verfolgt der Kläger nach vollständiger Tilgung des erhaltenen Darlehens mit seiner Klage, die von Beginn an als kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 Alt 1 und 2, Abs 4, § 56 SGG) auszulegen war. Entsprechend hat der Kläger im Revisionsverfahren seinen Antrag klargestellt (vgl zur Auslegung von Anträgen nach den §§ 133, 157 Bürgerliches Gesetzbuch <BGB> und nach dem Meistbegünstigungsgrundsatz Bundessozialgericht <BSG> vom 27.7.2021  B 8 SO 10/19 R  SozR 41500 § 88 Nr 4 RdNr 9; BSG vom 10.11.2011  B 8 SO 18/10 R  SozR 43500 § 44 Nr 2 RdNr 13; BSG vom 10.3.1994  7 RAr 38/93  BSGE 74, 77SozR 34100 § 104 Nr 11 S 47 mwN).

11
Der angefochtene Bescheid ist formell rechtmäßig. Der Beklagte ist der für die begehrte Leistung  und damit auch für eine Abänderung des Dauerverwaltungsakts vom 25.7.2012 (§ 48 Abs 4 Satz 1, § 44 Abs 3 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch  Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz  <SGB X>)  sachlich und örtlich zuständige Sozialhilfeträger. Die sachliche Zuständigkeit des Beklagten als überörtlicher Träger der Sozialhilfe (§ 97 Abs 2 bis 4 SGB XII; § 1 Abs 1 Satz 2 HAG/SGB XII) ergibt sich nach den Feststellungen des LSG aus dem Fehlen abweichender Regelungen im hessischen Landesrecht (vgl § 97 Abs 3 Nr 1 SGB XII); die sachliche Zuständigkeit für eine stationäre Leistung umfasst auch die sachliche Zuständigkeit für gleichzeitig zu erbringende Leistungen nach anderen Kapiteln des SGB XII (§ 97 Abs 4 SGB XII). Vor dem erstmaligen Eintritt in eine Einrichtung hatte der Kläger nach den Feststellungen des LSG seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Hessen, weshalb der Beklagte als örtlich zuständiger Sozialhilfeträger auch für die Leistungserbringung in Aachen zuständig ist (§ 98 Abs 2 Satz 1 und 2 SGB XII).

12
Materiell-rechtlich misst sich die Rechtmäßigkeit des Bescheids vom 6.12.2012 an § 48 SGB X. Nach § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Er soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse ua aufgehoben werden, soweit die Voraussetzungen des Abs 1 Satz 2 vorliegen. Eine solche Änderung in den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen des Bescheids vom 25.7.2012 ist mit der Fälligkeit der Kosten für die Passbeschaffung eingetreten. Mit den vom Heimatland erhobenen Gebühren für die Ausstellung eines neuen Passes ist im April 2013 ein weiterer Bedarf in Höhe von 211 Euro entstanden. Da dieser Bedarf vom Kläger entgegen der Auffassung des Beklagten nicht aus den bereits bindend für die Zeit vom 1.6.2012 bis zum 31.5.2014 bewilligten Mitteln zu decken war, sondern ein Anspruch auf seine gesonderte Deckung besteht, ist eine Änderung zugunsten des Klägers erfolgt (Fall des § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB X).

13
Anspruchsgrundlage für die Übernahme der Passkosten ist § 19 Abs 1, § 27b Abs 1, Abs 2 Satz 1 SGB XII (jeweils in der ab 1.1.2011 geltenden Fassung des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24.3.2011, BGBl I 453). Der Kläger lebt auf Grundlage der bindenden Feststellungen des LSG dauerhaft im Bundesgebiet in einer stationären Einrichtung (vgl § 13 Abs 2 SGB XII); für ihn als Inhaber einer Niederlassungserlaubnis (§ 101 Abs 1 Aufenthaltsgesetz <AufenthG>) kommt damit das SGB XII uneingeschränkt zur Anwendung (vgl § 23 Abs 1 Satz 4 SGB XII). Der Anwendungsbereich des § 73 SGB XII ist nicht eröffnet, weil wegen der Kosten für die Passbeschaffung bei Ausländern keine atypische Bedarfslage gegeben ist. Zwar erhält der Kläger selbst keinen Regelsatz zur Deckung der Regelbedarfe; denn Leistungen nach dem Vierten Kapitel bzw nach § 27a SGB XII scheiden für Leistungsberechtigte in stationären Einrichtungen aus (dazu sogleich). Es handelt sich bei Passbeschaffungskosten gleichwohl um Kosten, die dem Regelbedarf zuzuordnen sind (vgl BSG vom 29.5.2019  B 8 SO 8/17 R  SozR 44200 § 24 Nr 8 RdNr 14; BSG vom 29.5.2019  B 8 SO 14/17 R  FEVS 71, 221) und die deshalb dem Dritten Kapitel (hier als notwendiger Lebensunterhalt in Einrichtungen) und nicht dem Neunten Kapitel des SGB XII unterfallen.

14
Nach § 19 Abs 1 SGB XII ist Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel Personen zu leisten, die ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere aus ihrem Einkommen und Vermögen, bestreiten können. Für den Kläger, der auf Grundlage der Feststellungen des LSG einkommens- und vermögenslos ist, bestehen Ansprüche auf notwendigen Lebensunterhalt in Einrichtungen, der den darin erbrachten sowie in stationären Einrichtungen zusätzlich den weiteren notwendigen Lebensunterhalt umfasst (§ 27b Abs 1 Satz 1 SGB XII). Nach § 27b Abs 2 Satz 1 SGB XII beinhaltet der weitere notwendige Lebensunterhalt insbesondere Kleidung und einen angemessenen Barbetrag zur persönlichen Verfügung; wegen der fehlenden Verweisung in § 42 SGB XII werden diese Bedarfe auch ggf dem Grunde nach Grundsicherungsberechtigten als Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt, nicht als solche der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach §§ 41 ff SGB XII gewährt (vgl BSG vom 15.11.2012  B 8 SO 25/11 R  SozR 4-3500 § 35 Nr 3 RdNr 13 mwN; Kirchhoff in Hauck/Noftz, SGB XII, K § 42 RdNr 15, Stand Februar 2022).

15
Die allgemein vom Heimatland erhobenen Gebühren für die Ausstellung eines neuen Passes sind nicht dem sog inkludierten Lebensunterhalt (§ 27b Abs 1 Satz 1 SGB XII), sondern dem weiteren notwendigen Lebensunterhalt iS von § 27b Abs 1, Abs 2 Satz 1 SGB XII zuzuordnen, weil die Einrichtung Kosten für den Pass nicht erbringt. Der Bedarf an notwendigem Lebensunterhalt als in die stationäre Leistung eingeschlossener Bedarf gemäß § 27b Abs 1 Satz 1 SGB XII entspricht als Rechenposten insgesamt dem Umfang der Leistungen der Grundsicherung nach § 42 Nr 1, 2 und 4 SGB XII (idF des Gesetzes zur Änderung des SGB XII vom 20.12.2012, BGBl I 2783, vgl BSG vom 23.3.2021  B 8 SO 16/19 R  BSGE 132, 41 = SozR 43500 § 27b Nr 2, RdNr 21). Wie oben dargestellt, gehören die Kosten für Ausweispapiere zwar zum Regelbedarf iS des § 42 Nr 1 iVm § 28 SGB XII (vgl BSG vom 29.5.2019  B 8 SO 8/17 R  SozR 44200 § 24 Nr 8 RdNr 14; BSG vom 29.5.2019  B 8 SO 14/17 R  FEVS 71, 221) und fließen damit in den "Rechenposten" ein. Vom inkludierten Lebensunterhalt sind im Einzelfall aber nur solche Bedarfe für den Lebensunterhalt abgedeckt, die die Einrichtung tatsächlich erbringt. Dies gilt unabhängig davon, ob  was wegen der Passkosten allerdings ausscheidet  die Einrichtung zur Erbringung solcher Leistungen verpflichtet wäre (dazu BSG vom 23.8.2013  B 8 SO 17/12 R  BSGE 114, 147 = SozR 43500 § 92a Nr 1, RdNr 40-41).

16
Der vom inkludierten Lebensunterhalt zu unterscheidende weitere notwendige Lebensunterhalt in stationären Einrichtungen, der dem Leistungsberechtigten im Grundsatz als Geldleistung ausgezahlt wird, umfasst insbesondere Kleidung und einen angemessenen Barbetrag zur persönlichen Verfügung (§ 27b Abs 2 Satz 1 Halbsatz 1 SGB XII). Die Formulierung "insbesondere" in § 27b Abs 2 Satz 1 SGB XII macht deutlich, dass es sich bei Bekleidung und angemessenem Barbetrag nicht um eine abschließende Aufzählung, sondern lediglich um Beispiele handelt (BSG vom 11.12.2007  B 8/9b SO 22/06 R  SozR 43500 § 35 Nr 1 RdNr 13). Mit dem weiteren notwendigen Lebensunterhalt im Rahmen der Hilfe zum Lebensunterhalt in stationären Einrichtungen ist grundsätzlich alles gemeint, was nicht bereits Teil des in der Einrichtung erbrachten notwendigen Lebensunterhalts nach § 27b Abs 1 SGB XII und nicht vom Barbetrag (und den Kosten für Kleidung, jetzt Bekleidungspauschale) zu decken ist. Umfasst sind damit alle anderen aktuellen Bedarfe, die ohne die stationäre Unterbringung als Hilfe zum Lebensunterhalt zu leisten wären und von der Einrichtung selbst nicht erbracht werden (vgl bereits BSG vom 15.11.2012  B 8 SO 25/11 R  SozR 43500 § 35 Nr 3 RdNr 14; BSG vom 23.8.2013  B 8 SO 17/12 R  BSGE 114, 147 = SozR 43500 § 92a Nr 1, RdNr 39; Gebhardt in BeckOK Sozialrecht, § 27b RdNr 2, Stand 1.12.2021; Armborst in LPK-SGB XII, 12. Aufl 2020, § 27b RdNr 10).

17
Die Passbeschaffungskosten sind nicht dem Barbetrag zuzuordnen. Die jeweiligen Zwecke des Barbetrages und des Regelsatzes sind verschieden. Der Barbetrag dient (nur) der Erfüllung persönlicher Bedürfnisse neben den in der Einrichtung selbst erbrachten Leistungen und ist als "kleines Spiegelbild" derjenigen Bedarfsteile, die überhaupt in den Deckungsbereich der stationären Einrichtung fallen, kein Auffangbecken für alle weiteren Bedarfe des Lebensunterhalts (vgl BSG vom 23.8.2013  B 8 SO 17/12 R  BSGE 114, 147 = SozR 43500 § 92a Nr 1, RdNr 36). Er deckt die Bedarfe, die persönlichen Bedürfnissen entspringen, die im Rahmen einer freien und selbstgestalteten und bestimmten Lebensführung entstehen. Er wird in Einrichtungen gezahlt, um dem Hilfebedürftigen so ein Mindestmaß an Selbstbestimmung zu belassen (vgl zum Ganzen BSG vom 23.3.2021  B 8 SO 16/19 R  BSGE 132, 41 = SozR 43500 § 27b Nr 2, RdNr 25 ff; Bieback, jurisPRSozR 25/2021 Anm 5). Zu solchen persönlichen Bedürfnissen gehört die regelmäßig notwendig werdende Beschaffung von Ausweispapieren nicht.

18
Da der geltend gemachte Bedarf "Passbeschaffung" in den Bereich des sozialhilferechtlich relevanten Regelbedarfs fällt (vgl BSG vom 29.5.2019  B 8 SO 8/17 R  SozR 44200 § 24 Nr 8 RdNr 14; BSG vom 29.5.2019  B 8 SO 14/17 R  FEVS 71, 221), vom Barbetrag jedoch nicht erfasst wird, ist er für Hilfebedürftige in Einrichtungen als im Einzelfall weiterer notwendiger Lebensunterhalt im Rahmen des § 27b Abs 2 SGB XII zu leisten (vgl BSG vom 23.3.2021  B 8 SO 16/19 R  BSGE 132, 41 = SozR 43500 § 27b Nr 2, RdNr 31). Dies ist Ausfluss des Bedarfsdeckungsprinzips, wonach auch in stationären Einrichtungen ein Anspruch darauf besteht, dass der individuell notwendige Bedarf zum Lebensunterhalt umfassend sichergestellt wird. Dabei handelt es sich nicht nur um laufende Bedarfe, wie der Hinweis auf § 31 SGB XII zeigt (vgl Scheider in Schellhorn/Hohm/Scheider/Busse, SGB XII, 21. Aufl 2023, § 27b RdNr 19).

19
Die Deckung von aktuellen Bedarfen des Lebensunterhalts durch die Bewilligung eines Darlehen scheidet für Leistungsberechtigte in Einrichtungen  von dem in § 38 SGB XII gesetzlich geregelten Ausnahmefall abgesehen  dabei aus. Im Barbetrag als laufende Geldleistung an den Leistungsberechtigten in Einrichtungen sind keine Ansparbeträge eingestellt, über die er einerseits Beträge für die Deckung einmalig anfallender Bedarfe ansparen müsste und aus denen er andererseits durch Einbehalt von der Regelleistung Rückzahlungen für ein Darlehen bestreiten könnte (vgl bereits BSG vom 23.3.2021  B 8 SO 16/19 R  BSGE 132, 41 = SozR 43500 § 27b Nr 2, RdNr 33 f). Die gesetzgeberische Konzeption, wonach bei vorübergehenden Spitzen eines vom Regelbedarf umfassten Bedarfs (nur) die Gewährung eines Darlehens nach § 37 Abs 1 SGB XII in Betracht kommt, trägt aber nur dort, wo Leistungsberechtigte die Mittel, die auf der statistischen Ermittlung des Regelbedarfs beruhen, zur Bedarfsdeckung eigenverantwortlich ausgleichen und ansparen können (im Einzelnen zuletzt BSG vom 19.5.2022  B 8 SO 1/21 R  RdNr 18 ff; zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen). Deckt der Barbetrag, dessen Höhe nicht auf einer nachvollziehbaren Bedarfsermittlungsmethode beruht (vgl BSG vom 23.3.2021  B 8 SO 16/19 R  BSGE 132, 41 = SozR 43500 § 27b Nr 2, RdNr 25), aber statistisch keine Ansparmöglichkeiten ab, darf der Leistungsberechtigte nicht auf ein Darlehen verwiesen werden.

20
Der mit der Fälligkeit der Rechnung im April 2013 angefallene Bedarf ist im Fälligkeitsmonat zu berücksichtigen. Es handelt sich auch um einen notwendigen, unabweisbaren Bedarf. Der Kläger hätte der Ausweispflicht insbesondere nicht durch einen Ausweisersatz iS des § 48 Abs 2 AufenthG genügen können. Es lag im Hinblick auf die Tragung der allgemeinen Gebühren des passausstellenden Staates keine Unzumutbarkeit der Passerlangung iS von § 48 Abs 2 AufenthG vor.

21
Voraussetzung für die Ausstellung eines Ausweisersatzes nach § 48 Abs 2 AufenthG ist, dass der Ausländer einen Pass seines Heimatlandes nicht auf zumutbare Weise erlangen kann (vgl auch § 55 Abs 1 Satz 1 Nr 1 AufenthV). Eine Unzumutbarkeit, sich um die Ausstellung eines Nationalpasses des Heimatstaates zu bemühen, ist nach der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung im Hinblick auf den ordnungsrechtlichen Hintergrund und mit der Ausstellung eines Passes verbundenen Eingriff in die Personalhoheit eines anderen Staates nur in Ausnahmefällen gegeben. Es ist nicht zu beanstanden, wenn die Ausländerbehörde den Ausländer vorrangig auf die Ausstellung eines Passes durch seinen Heimatstaat verweist (vgl Bayerischer Verwaltungsgerichtshof <Bayerischer VGH> vom 14.1.2022  10 C 21.3219 , vom 25.11.2021  19 B 21.1789  RdNr 55 und vom 28.12.2020  10 ZB 20.2157; Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht <OVG> vom 18.3.2021  8 LB 97/20  RdNr 27 - Asylmagazin 2021, 346; OVG Nordrhein-Westfalen vom 17.5.2016  18 A 951/15  NVwZRR 2016, 678). Nach § 5 Abs 2 Nr 4 AufenthV gilt es insbesondere als zumutbar, für behördliche Maßnahmen die vom Herkunftsstaat allgemein festgelegten Gebühren zu zahlen. Der Senat hat allerdings darauf hingewiesen, dass an der Zumutbarkeit der Beschaffung eines Passes für Empfänger von Sozialhilfe wegen der damit verbundenen Kosten, jedenfalls soweit sie die allgemein vom Heimatland erhobenen Gebühren erheblich übersteigen, Zweifel bestehen, weil eine zuschussweise Gewährung von Leistungen nach dem SGB XII ausscheidet (vgl BSG vom 29.5.2019  B 8 SO 8/17 R  SozR 44200 § 24 Nr 8 RdNr 19 ff). Unabhängig davon, ob dies auch gilt, wenn nur vergleichsweise geringe Kosten darlehensweise abgedeckt werden müssten, liegt die beschriebene Konstellation bei Leistungsberechtigten in Einrichtungen gerade nicht vor. Leistungsberechtigte in Einrichtungen können  anders als Leistungsberechtigte außerhalb von Einrichtungen  die Passbeschaffungskosten (zuschussweise) als Teil des weiteren notwendigen Lebensunterhalts verlangen und zumutbar zur Passbeschaffung einsetzen. Es liegt mit der zitierten Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte also kein Fall nach § 48 Abs 2 AufenthG vor. Die Auffassung des LSG, Leistungsberechtigte in Einrichtungen würden damit im Ergebnis besser gestellt als Leistungsberechtigte außerhalb von Einrichtungen, ist nicht zutreffend. Die Sachverhalte sind aufgrund der unterschiedlichen Struktur von weiterem notwendigen Lebensunterhalt, der die Gewährung von Darlehen ausschließt, und Regelsatz nicht vergleichbar.

22
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Rechtskraft
Aus
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