S 38 KA 180/20

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 38 KA 180/20
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

I. Die Dokumentation ärztlicher Leistungen dient vor allem dem Patienten im Rahmen von Strafverfahren oder im Rahmen eines Arzthaftungsprozesses, aber auch dem Vertragsarzt im Rahmen der Abrechnung vertragsärztlicher Leistungen zur Nachweisführung. Erfolgt keine Dokumentation oder kann der Nachweis einer Dokumentation nicht geführt werden, gelten die Leistungen als nicht erbracht (BayLSG, Urteil vom 7.7.2004, Az L 3 KA 510/02; SG Marburg, Urteil vom 13.9.2017, S 12 KA 349/16; SG München, Urteil vom 25.07.2018, Az S 38 KA 645/16). Aus dem bloßen Ansatz einer Gebührenordnungsposition folgt nicht, dass die Leistung erbracht wurde und dass der Leistungsinhalt erfüllt ist. Vielmehr ist so zu dokumentieren, dass ein fachkundiger Außenstehender ohne Weiteres in der Lage ist, zu beurteilen, ob die jeweiligen Leistungsbestandteile erfüllt sind.

II. Nach § 45 Abs. 4 S. 2 SGB X ist eine Rücknahme eines Verwaltungsaktes mit Wirkung für die Vergangenheit nur innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen zulässig, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes rechtfertigen. Mit der Übersendung von angeforderten Unterlagen und/oder einer Stellungnahme durch den Vertragsarzt kommt es regelmäßig noch nicht zu einer positiven und vollständigen Kenntnis aller Tatsachen im weitesten Sinne, die für die Entscheidung der Behörde über die Rücknahme relevant sind oder sein können. Denn diese Unterlagen müssen erst gründlich gesichtet und ausgewertet werden. Je komplexer die Sach-und Rechtslage ist, umso längere Zeit wird für eine Überprüfung benötigt, bis die Behörde zu einem abschließenden, der eventuellen Rücknahme eines Verwaltungsaktes zu Grunde zu legenden Ergebnis gelangen kann.


I. Die Klage wird abgewiesen.


II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.


T a t b e s t a n d :

Gegenstand der zum Sozialgericht München eingelegten Klage ist der Ausgangsbescheid zusammen mit einem Ergänzungsbescheid in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 27.07.2020 über die Plausibilitätsprüfung in den Quartalen 1/12 bis 1/17. Von der A. mit zwei Allgemeinärzten als Gesellschafter (S. und R.) wurde nach Aufhebung der Honorarbescheide und Neufestsetzung der Honorare ein Betrag in Höhe von 751.986,97 € zurückgefordert.
Parallel dazu wurde ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren in F-Stadt durchgeführt, das gegen Zahlung eines Betrages in Höhe von 10.000 € gem. § 170 Abs. 2 StPO eingestellt wurde.
Dem Widerspruch gegen den Ausgangsbescheid wurde teilweise abgeholfen und die Rückforderung geringfügig (10 %) reduziert. Die Beklagte machte geltend, die Klägerin habe gegen die Grundpflicht zur peinlich genauen Leistungsabrechnung verstoßen. Sie legte dabei mehrere Sachverhalte zugrunde. Zum einen handle es sich um eine Abrechnung von Leistungen während eines stationären Aufenthalts und Abrechnung von Leistungen bei bereits verstorbenen Patienten. Des Weiteren habe eine fehlerhafte Abrechnung von Besuchsleistungen (01410, 01411 (N), 01413, 01415 (N) und Wegepauschalen 40220, 40222, 40224, 40226, 40228 und 40230) stattgefunden.
Festzustellen sei eine hohe Überschreitung im Vergleich zur Fachgruppe (bis zu 618 %). Dies stelle ein Indiz dafür dar, dass die Klägerin nicht ordnungsgemäß abgerechnet habe. Es gebe auch eine hohe Anzahl von nicht eingelesenen Versichertenkarten. Sowohl bei S., als auch bei R. seien hohe Tagesarbeitszeiten festzustellen (bis zu 23,6 Stunden). Über mehrere Seiten in dem angefochtenen Widerspruchsbescheid listete die Beklagte für alle Quartale Beispiele für Falschabrechnungen auf. Darüber hinaus seien nicht ordnungsgemäß erbrachte Vertreterleistungen durch S1. zur Abrechnung gelangt. Für diese liege aber keine Genehmigung zur Anstellung vor. Auch komme sie nicht als Vertreterin in Frage. S1. sei nicht im Arztregister eingetragen.
Folge der Falschabrechnung sei, dass die Garantiewirkung der Sammelerklärung weggefallen sei, sodass die Honorarbescheide aufgehoben, die Honorare neu festgesetzt werden mussten verbunden mit einer Rückforderung in der genannten Höhe. Bei der Berechnung der Rückforderung werde ein Sicherheitsabschlag in Höhe von 20 % gewährt.
Die Klägerin könne sich hinsichtlich der Quartale 1/12-2/13 auch nicht auf eine Verjährung berufen. Nach der Rechtsprechung der Sozialgerichte wäre eine Berufung hierauf als rechtsmissbräuchlich anzusehen. Ungeachtet dessen könne eine Berichtigung auch nach Ablauf von vier Jahren erfolgen. Die Voraussetzungen nach § 45 SGB X lägen vor.
Ferner sei von einem schuldhaften Pflichtverstoß auszugehen.
Dagegen ließ die Klägerin Klage zum Sozialgericht München einlegen. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin wies darauf hin, es sei ein Ergänzungsbescheid über eine Rückforderung in Höhe von 51.039,50 € erlassen worden, der Gegenstand des Widerspruchsverfahrens nach § 86 SGG geworden sei. Was Besuchsleistungen in der Seniorenresidenz Stein betreffe, so sei darauf aufmerksam zu machen, dass die Bewohner nicht vollständig dem Heimrecht unterlägen. Es gebe 37 Pflegeplätze, aber im Übrigen auch reine Apartments, die als eigenständige Wohnungen anzusehen seien. Für das Quartal 1/12 habe auch eine Wirtschaftlichkeitsprüfung stattgefunden. Diese sei Gegenstand eines Verfahrens vor dem Sozialgericht München unter dem Az S 55 KA 642/15 gewesen. Außerdem sei geltend zu machen, dass S1. nie für die Klägerin vertragsärztlich tätig gewesen sei.
In ihrer Replik trug die Beklagte vor, auf die Frage, ob es sich um Besuche im Heim oder Hausbesuche gehandelt habe, komme es nicht an. Denn die Dokumentation sei entweder mangelhaft, oder gar nicht vorhanden. Dies habe zur Folge, dass die Leistungen als nicht erbracht gelten würden. Was den Vortrag des Prozessbevollmächtigten der Klägerin zur stattgefundenen Wirtschaftlichkeitsprüfung im Quartal 1/12 betreffe, so würden sich Wirtschaftlichkeitsprüfung und Plausibilitätsprüfung nicht gegenseitig ausschließen. Sie könnten parallel geführt werden, da sie unterschiedliche Ziele verfolgten. Zum Vortrag des Prozessbevollmächtigten der Klägerin, betreffend S1. wies die Beklagte darauf hin, diese sei für die Klägerin tätig gewesen, wie sich aus der Ermittlungsakte und den Zeugenaussagen ergebe. Soweit geltend gemacht werde, es sei bezüglich der Rückforderung, betreffend die Quartale 1/12-2/13 Verjährung eingetreten, treffe dies nach Ansicht der Beklagten nicht zu. In dem Zusammenhang sei auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 10.05.1995, Az 6/14a RKa 3/93) hinzuweisen. Im Übrigen komme, wie bereits im angefochtenen Widerspruchsbescheid ausgeführt, § 45 SGB X nach Ablauf der Vierjahresfrist zur Anwendung. Auch die Jahresfrist nach § 45 Abs. 4 S. 2 SGB X sei gewahrt. Denn die Beklagte habe erst im Dezember 2017 die unveränderten und damit für eine korrekte Überprüfung geeigneten Dokumentationen erhalten. Am 07.02.2018 sei dann auch der Ausgangsbescheid erlassen worden.
In der mündlichen Verhandlung am 04.05.2023 machte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin geltend, die Leiterin der Seniorenresidenz könne die Visiten, wahrgenommen durch die S. und R., im Seniorenheim bestätigen. Die Abrechnungsziffern seien somit korrekt abgerechnet worden. Eine Nachfrage bei der damaligen Gruppenleiterin der Staatsanwaltschaft habe auch ergeben, dass diese die Zeugenaussagen vor der Kriminalpolizei anders "gesehen" habe. Aus dem Gutachten des F1. folge, dass der Schaden auf maximal ca. 200.000 € zu veranschlagen sei.
Nach Auffassung der Beklagten würden mehrere Aussagen, nämlich der Arzthelferinnen bzw. Mitarbeiter in der Gemeinschaftspraxis und der Pflegedienstleitung für die Auffassung der Beklagten sprechen. Keine einzige Pflegedienstleitung in den vier Heimen habe sich an die Tätigkeit von der S. und R. erinnern können. Die Beklagte gehe davon aus, dass keiner der Ärzte in der Diakoniestation  R1-Stadt, dem AWO-Pflegeheim  R2-Stadt und dem Pflegeheim G-Stadt tätig waren, in der G1. nur S1.. Beispielhaft seien Leistungen an einer Patientin im AWO-Pflegeheim (Patientin: E. G.) abgerechnet worden, die nie im Heim aufgenommen war. Eine andere Patientin (Patientin: L. B.) habe sich nur vier Wochen in dieser Einrichtung aufgehalten. In diesen vier Wochen sei keine Abrechnung erfolgt, wohl aber über Quartale hinweg in anderen Zeiträumen. Auch aus der Einstellungsverfügung gehe hervor, dass die Leistungen nicht korrekt abgerechnet wurden. Im Übrigen sei S1. bereits seit 15 Jahren bei der Klägerin beschäftigt gewesen. Die Vertreterinnen der Beklagten betonten in der mündlichen Verhandlung, es seien insgesamt ca. 2.600 Ansätze von Besuchsleistungen ausgewertet worden. Es habe Fehlerquoten in Höhe von 100 % gegeben. Deshalb seien die Besuchsleistungen auch komplett gestrichen worden. Gleichwohl sei ein Sicherheitsabschlag gewährt worden, zunächst in Höhe von 10 %. Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens sei dieser von 10 % auf 20 % erhöht worden, um alle Unwägbarkeiten abzudecken. Grundlage der Berechnung der Rückforderung sei auch nicht das Gutachten des F1. gewesen. Dieses habe sich nur auf zwei Abrechnungsziffern bezogen. In dem Ergänzungsbescheid, der Gegenstand des Vorverfahrens nach § 86 SGG wurde, seien ebenfalls alle Leistungen gestrichen worden.
In der mündlichen Verhandlung am 04.05.2023 stellte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin den Antrag aus dem Schriftsatz vom 20.08.2020.
Die Vertreterinnen der Beklagten beantragten, die Klage abzuweisen.
Beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren die Beklagtenakten. Im Übrigen wird auf den sonstigen Akteninhalt, insbesondere die Schriftsätze der Beteiligten sowie die Sitzungsniederschrift vom 04.05.2023 verwiesen.


E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Die zum Sozialgericht München eingelegte Klage ist zulässig, erweist sich aber als unbegründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Rechtsgrundlagen für die Plausibilitätsprüfung sind §§ 75 Abs. 1, 83 Satz 1 SGB V, § 7 Abs. 1 Gesamtvertrag-Primärkassen bzw. § 8 Gesamtvertrag Ersatzkassen in Verbindung mit der Anlage 8 Gesamtvertrag-Ersatzkassen, § 106a Abs. 2 SGB V, § 46 Bundesmantelvertrag-Ärzte (= BMV-Ä) bzw. § 42 Arzt/Ersatzkassen-Vertrag (= A-EKV) bzw. § 50 Abs. 1 SGB X. Danach ist die Beklagte generell berechtigt, die Abrechnungen der Vertragsärzte auf ihre Plausibilität hin zu überprüfen. Im Fall der Klägerin hat eine solche Prüfung zunächst in den Quartalen 1/12 bis 1/17 stattgefunden.
Eine Plausibilitätsprüfung findet grundsätzlich dann statt, wenn aufgrund von Aufgreifkriterien der Verdacht der Implausibilität besteht. Abrechenbar und vergütungsfähig sind nur solche Leistungen, die in Übereinstimmung mit den für die vertragsärztliche Versorgung geltenden Vorschriften, vor allem dem EBM, dem HVV bzw. dem HVM und den sonstigen Abrechnungsbestimmungen erbracht werden. Wird eine Implausibilität festgestellt, erfolgt die Rückforderung der zu Unrecht abgerechneten Leistungen gemäß § 50 Abs. 1 SGB X.
Für die erfolgte Plausibilitätsprüfung liegen mehrere Aufgreifkriterien vor. Zum einen handelt es sich um eine hohe Überschreitung im Vergleich zur Fachgruppe bei den Besuchsleistungen nach den Ziffern 01412 und 01415. Die Überschreitungen betrugen beispielsweise im Quartal 3/14 sogar 707 % (maximale Überschreitung) und bis auf die Quartale 2/12 und 1/17 nicht unter 300 %. Bereits dies legt nahe, dass die Abrechnungen implausibel sind.
Ferner ist auffällig, dass auch für einen großen Anteil von Patienten die Versichertenkarten nicht eingelesen wurden. Dies bezieht sich insbesondere auf Heimpatienten in der I-Straße in N-Stadt. Dort wurden in den Quartalen 1/14, 2/14, 3/14, 4/14 und 4/15 zu 100 % Versichertenkarten nicht eingelesen. Es mag sein, dass in vereinzelten Fällen Versichertenkarten - aus welchen Gründen auch immer - nicht eingelesen werden. Für das Gericht ist aber eine solche Häufigkeit nicht nachvollziehbar. So wurde auch bei manchen Patienten, bei denen viele Besuche abgerechnet wurden, kein einziges Mal eine Versichertenkarte eingelesen. Hinzu kommen bei den Gesellschaftern der A. hohe Tagesarbeitszeiten. So stellte die Beklagte bei R. in ihrer tabellarischen Auflistung Tagesarbeitszeiten nicht unter 14 Stunden bis zu 20,75 Stunden fest. Bei S. wurde sogar einmal eine Tagesarbeitszeit von 23,6 Stunden ermittelt. Die Klägerin rechnete auch Leistungen bei Patienten ab, die in dem Zeitraum stationär untergebracht waren. Ferner erfolgten Abrechnungen bei bereits verstorbenen Personen. Außerdem fanden Abrechnungen von Leistungen statt, die an Heimpatienten erbracht worden sein sollen, die sich überhaupt nicht oder jedenfalls nicht zu dem Zeitpunkt der vorgegebenen Leistungserbringung in diesem Heim befanden.
Es ist somit festzuhalten, dass zahlreiche Sachverhalte vorliegen, aus denen Aufgreifkriterien für eine Plausibilitätsprüfung abgeleitet werden können und sich die Vermutung mehr als aufdrängt, dass Leistungen nicht ordnungsgemäß abgerechnet wurden.
Die Klägerin hat gegen die Pflicht zur peinlich genauen Abrechnung verstoßen. Hierbei handelt es sich um eine Grundpflicht und eine der tragenden Säulen des vertrauensbasierten Vertragsarztsystems. Diese Pflicht, die sich aus § 32 Abs. 1 S. 1 Ärzte-ZV, § 15 Abs. 1 S. 1 BMV-Ä, § 14 Abs. 1 S. 1 EKV-Ä ergibt, ist aus der Überlegung heraus entwickelt worden, dass nur ein geringer Teil der Abrechnungen überprüft werden kann. Sie ist grundlegend für die Funktionsfähigkeit der vertragsärztlichen Versorgung und gilt nicht nur für die Behandlungs-sondern auch für die Verordnungstätigkeit (BSG, Urteil vom 20.03.2013, Az B 6 KA 17/12 R, Rn. 43 nach juris).
Soweit die Klägerin Leistungen abrechnete, die sich auf Personen während eines stationären Aufenthalts bezogen oder auf bereits verstorbene Personen, liegt hierin ein eklatanter Verstoß gegen die Pflicht zur persönlichen Leistungsabrechnung vor. Diesbezüglich ist auch keine Entgegnung durch die Klägerin erfolgt.
Aber auch im Übrigen liegt, was den Ansatz der Besuchsleistungen samt den Wegepauschalen betrifft, ein Verstoß gegen die Pflicht zur persönlichen Leistungserbringung vor. Wie die Beklagte in einem ihrer Schriftsätze im Rahmen des Klageverfahrens ausgeführt hat, kommt es nicht darauf an, ob Besuchsleistungen in Heimen oder zu Hause erbracht wurden. Denn die Dokumentation der erbrachten Leistungen ist notleidend, weil entweder überhaupt nicht vorhanden oder unzureichend. Die Beklagte hat in diesem Zusammenhang im angefochtenen Widerspruchsbescheid auf sieben Seiten Beispielsfälle genannt. Danach wurde durch die Beklagte in vielen Fällen festgestellt, dass außer der Angabe der Leistungsziffer keine Dokumentation erfolgte. Auch das mit zwei Ärzten fachkundig besetzte Gericht hat im Rahmen der mündlichen Verhandlung mehrere von der Beklagten vorgelegte Dokumentationen durchgesehen und konnte im Ergebnis die Feststellung der Beklagten vollumfänglich bestätigen. Dass die Beklagte 2.600 Ansätze von Besuchsleistungen überprüft hat, zeugt davon, dass diese umfangreichste Ermittlungen angestellt hat und insofern ihrer Ermittlungspflicht mehr als notwendig nachgekommen ist. Hierzu erfolgte durch die Klägerseite ebenfalls keinerlei Vortrag. Die Karteikartendokumentation gehört zu den am aussagekräftigsten und essenziellen Unterlagen, die zu einer Prüfung auf sachlich-rechnerische Richtigkeit neben anderen Unterlagen (z.B. Op-Berichte und Röntgenaufnahmen) herangezogen werden können. Der Dokumentation ärztlicher Leistungen kommt große Bedeutung zu. Sie dient vor allem dem Patienten im Rahmen von Strafverfahren oder im Rahmen eines Arzthaftungsprozesses, aber auch dem Vertragsarzt im Rahmen der Abrechnung vertragsärztlicher Leistungen zur Nachweisführung. Erfolgt keine Dokumentation oder kann der Nachweis einer Dokumentation nicht geführt werden, gelten die Leistungen als nicht erbracht (BayLSG, Urteil vom 7.7.2004, Az L 3 KA 510/02; SG Marburg, Urteil vom 13.9.2017, S 12 KA 349/16; SG München, Urteil vom 25.07.2018, Az S 38 KA 645/16). Aus dem bloßen Ansatz eine Gebührenordnungsposition folgt nicht, dass die Leistung erbracht wurde und dass der Leistungsinhalt erfüllt ist. Vielmehr ist so zu dokumentieren, dass ein fachkundiger Außenstehender ohne weiteres in der Lage ist, zu beurteilen, ob die jeweiligen Leistungsbestandteile erfüllt sind. Nach § 57 BMV-Ä bzw. § 10 Abs. 1 der Berufsordnung für die Ärzte Bayerns und Art. 18 Abs. 1 Ziffer 3 Heilberufekammergesetz (HKaG) besteht eine allgemeine Dokumentationspflicht.
Auch ist eine Umsetzung der Leistungen nach der GOP 01415 in die GOP 01410 nicht in Betracht zu ziehen. Zutreffend hat die Beklagte darauf hingewiesen, dass eine solche Umsetzung im Hinblick auf die völlig unzureichende Dokumentation nicht möglich ist.
Soweit Besuchsleistungen in den Heimen durch S1. erfolgt sein sollen, hat die Beklagte zutreffend darauf hingewiesen, dass deren Leistungen den Gesellschaftern der Klägerin nicht zurechenbar sind. Zwar wurde klägerseits geltend gemacht, S1. habe nie Leistungen an GKV-Patienten erbracht. Dabei wurde auf den Arbeitsvertrag vom 01.04.2014, insbesondere § 14 Abs. 6 hingewiesen. Danach umfasst die Tätigkeit von S1. die Behandlung von Privatpatienten. Auch wenn sich diese Tätigkeitsbeschreibung nicht auf GKV-Patienten bezieht, ist dadurch nicht ausgeschlossen, dass faktisch auch GKV-Patienten behandelt wurden. In dem Zusammenhang fällt auf, dass ein Arbeitsvertrag mit Datum vom 01.04.2014 vorgelegt wird, obwohl S1. bereits seit 15 Jahren in der Praxis tätig sein soll. Eindeutig ist vielmehr die Aussage von B. A., einer Mitarbeiterin der Praxis vor der Kriminalpolizei am 15.03.2017, wonach S1. sowohl Kassen-als auch Privatpatienten behandelt haben soll. Dies weist darauf hin, dass der Arbeitsvertrag anders "gelebt" wurde, als dessen Inhalt ist. Auch in der Einstellungsverfügung vom 07.06.2022 durch die Generalstaatsanwaltschaft A-Stadt (Az 113 Js 10196/20) vom 07.06.2022 wird zur Tätigkeit von Dr. Schw. wie folgt ausgeführt:
"Nach dem Ergebnis der Ermittlungen und den Angaben der Beschuldigten S1. und S. kann somit belegt werden, dass auch durch die Beschuldigte S1. ohne kassenärztliche Zulassung Leistungen an gesetzlich versicherten Patienten im G1 erbracht wurden und diesbezüglich eine Abrechnung gegenüber der gesetzlichen Krankenkasse erfolgte."
Auch eine Tätigkeit von S1. als Vertreterin ist nicht in Betracht zu ziehen. S1. war nach dem Vortrag der Beklagten nicht ins Arztregister eingetragen. Es ist nicht bekannt und wurde von der Klägerseite auch nicht vorgetragen, ob S1. die Voraussetzungen für eine zulässige Vertretung nach § 32 Abs. 1 Ärzte-ZV in Verbindung mit § 3 Abs. 2 Ärzte-ZV erfüllt sowie, ob Vertretungsgründe im Sinne von § 32 Abs. 1 S. 2 Ärzte-ZV vorlagen.
Die Aufhebung der Honorarbescheide und deren Neufestsetzung, verbunden mit einer Rückforderung ist auch nicht für die Quartale 1/12-2/13 ausgeschlossen. Diesbezüglich wurde Verjährung geltend gemacht. Es kann dahinstehen, ob eine solche Geltendmachung rechtsmissbräuchlich wäre, worauf das Bundessozialgericht in einer weiter zurückliegenden Entscheidung abstellte (BSG, Urteil vom 10.05.1995, Az 6/14a RKa 3/93). Jedenfalls ist auch nach Ablauf von vier Jahren (Frist, innerhalb der die Abrechnungen sachlich-rechnerisch berichtigt werden können) eine Aufhebung von Honorarbescheiden unter den Voraussetzungen des § 45 SGB X möglich. Nach § 45 Abs. 1 SGB V darf ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt) auch, nachdem er unanfechtbar geworden ist, unter den Einschränkungen nach den Abs. 2-4 mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Gemäß § 45 Abs. 2 SGB X besteht grundsätzlich ein Vertrauensschutz des Begünstigten, was aber eine Schutzwürdigkeit voraussetzt. Eine solche Schutzwürdigkeit besteht nach § 45 Abs. 2 S. 3 Ziff 2 SGB X dann nicht, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat. Wer, wie die Klägerin, elementarste Grundsätze des Vertragsarztrechts (hier: Grundsatz der persönlichen Leistungserbringung; Dokumentationspflichten) in so eklatanter Weise verstößt, handelt grob fahrlässig, wenn nicht sogar vorsätzlich. Insofern ist das Vertrauen in den Bestand des Verwaltungsaktes nicht schutzwürdig. Als weitere Einschränkung der Rücknahmemöglichkeit lässt § 45 Abs. 4 S. 2 SGB X eine Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit nur innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen zu, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes rechtfertigen. Für den Beginn der Jahresfrist gilt § 31 Abs. 1 in Verbindung mit § 187 Abs. 1 BGB, für das Ende § 188 Abs. 2 erste Alternative BGB. Erforderlich ist die positive und vollständige Kenntnis aller Tatsachen im weitesten Sinn, die für die Entscheidung der Behörde über die Rücknahme relevant sind oder sein können - einschließlich der für die zu treffende Ermessensentscheidung uU relevanten Tatsachen (vgl Kopp/Ramsauer, Kommentar zum Verwaltungsverfahrensgesetz, Rn. 137 zu § 48). Mit der Übersendung von angeforderten Unterlagen und/oder einer Stellungnahme durch den Vertragsarzt kommt es regelmäßig noch nicht zu einer positiven und vollständigen Kenntnis aller Tatsachen im weitesten Sinne, die für die Entscheidung der Behörde über die Rücknahme relevant sind oder sein können. Denn diese Unterlagen müssen erst gründlich gesichtet und ausgewertet werden. Je komplexer die Sach-und Rechtslage ist, umso längere Zeit wird für eine Überprüfung benötigt, bis die Behörde zu einem abschließenden, der eventuellen Rücknahme eines Verwaltungsaktes zu Grunde legenden Ergebnis gelangen kann.
Zwar hat die Beklagte bereits mit Schreiben vom 12.05.2016 eine Abrechnungsprüfung für die Quartale 1/12-4/13 eingeleitet und diese später mit Schreiben vom 06.10.2017 bis zum Quartal 1/17 ausgedehnt. Sie hat aber die Stellungnahme und die Dokumentationen erst nach Fristverlängerung mit Anwaltsschreiben vom 13.12.2017 erhalten. Nach Auffassung des Gerichts liegt hier eine durchaus komplexe Sach-und Rechtslage vor, sodass von einer positiven und vollständigen Kenntnis aller Tatsachen erst weit nach dem Dezember 2017 (Übersendung der Unterlagen und der Stellungnahme) auszugehen ist. Auf jeden Fall ist der Ausgangsbescheid, mit dem die Honorarbescheide zurückgenommen, die Honorare neu festgesetzt und die Rückforderungen festgesetzt wurden (Bescheid vom 07.02.2018) rechtzeitig innerhalb der Jahresfrist des § 45 Abs. 4 S. 2 SGB V erfolgt.
Der Plausibilitätsprüfung im Quartal 1/12 steht auch nicht entgegen, dass bereits eine Wirtschaftlichkeitsprüfung in dem genannten Quartal stattfand (Verfahren vor dem Sozialgericht München, Az S 55 KA 642/15). Denn die Wirtschaftlichkeitsprüfung hat eine andere Zielsetzung als die Plausibilitätsprüfung. Insofern schließt eine Wirtschaftlichkeitsprüfung eine Plausibilitätsprüfung nicht aus.
Der Verstoß gegen die Pflicht zur peinlich-genauen Abrechnung hat zur Folge, dass damit die Garantiewirkung der Abrechnungs-Sammelerklärung (§ 35 Abs. 2 BMV-Ä, § 34 Abs. 1, § 35 Abs. 2 EKV-Ä) entfällt. Die Abgabe einer ordnungsgemäßen Abrechnungs-Sammelerklärung ist eine eigenständige Voraussetzung für die Entstehung eines Anspruchs eines Vertragsarztes auf Vergütung der von ihm erbrachten Leistungen. Entfällt die Garantiewirkung der Abrechnungs-Sammelerklärung, weil der Vertragsarzt nachweislich falsch abgerechnet hat, fehlt die Voraussetzung für den Honoraranspruch des Vertragsarztes, sodass der auf die Abrechnungs-Sammelerklärung folgende Honorarbescheid rechtswidrig ist (vgl. zum Ganzen BSG, Urteil vom 17.09.1997, Az 6 RKa 86/95 Rn. 19f. (juris); BSG, Urteil vom 22.03.2006, Az B 6 KA 76/04 R).
Voraussetzung für die Plausibilitätsprüfung ist schließlich, dass die Pflichtverletzung schuldhaft erfolgt ist. Die Beklagte geht sogar von einer vorsätzlichen Abgabe einer falschen Sammelerklärung aus. Nach Auffassung des Gerichts ist es als besonders schwerwiegend zu erachten, dass Abrechnungen von Leistungen bei bereits verstorbenen Patienten, bei in stationärer Behandlung befindlichen Patienten, bei Patienten, die nie in einem Heim untergebracht waren und solchen, die jedenfalls zu dem Zeitpunkt der angegebenen Leistungserbringung dort nicht waren, abgerechnet wurden. Hierbei sogar von Vorsatz auszugehen, hält einer gerichtlichen Überprüfung stand. Im Übrigen sprechen die zahlreichen und eindeutigen Verstöße gegen die Dokumentationspflicht, aber auch die Abrechnung nicht oder nicht ordnungsgemäß erbrachter Vertretungsleistungen zumindest für eine grobe Fahrlässigkeit, jedenfalls nicht für eine einfache Fahrlässigkeit (Versehen). Für ein Verschulden der Pflichtverletzung reicht eine grobe Fahrlässigkeit aus.
Was die Berechnung der Rückforderung betrifft, hat die Beklagte ein weites Schätzungsermessen. Es ist nicht ersichtlich, dass die Beklagte sich diesbezüglich ermessensfehlerhaft verhalten hat. Dies betrifft sowohl die Rückforderung von Leistungen, die an verstorbenen und stationär untergebrachten Patienten erbracht wurden, als auch Besuchsleistungen und Pflegeleistungen sowie die Abrechnung nicht oder nicht ordnungsgemäß erbrachter Vertretungsleistungen. Cent-genau hat die Beklagte in ihrem Widerspruchsbescheid (Seite 46) aufgelistet, welche Beträge dem Rückforderungsanspruch zugrunde zu legen sind. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass hierbei Rechenfehler aufgetreten sind.
Die Beklagte hat der Klägerin auch einen Sicherheitsabschlag in Höhe von 20 % im Hinblick auf eventuelle Unwägbarkeiten gewährt. Auch dies ist rechtlich nicht zu beanstanden. Die Höhe des Sicherheitsabschlages entspricht dem, der auch bei weniger eindeutigen implausiblen Abrechnungen generell in Ansatz gebracht wird. Es wäre auch angesichts der Eindeutigkeit der Sach-und Rechtslage vertretbar gewesen, einen niedrigeren Sicherheitsabschlag zu gewähren.
Aus den genannten Gründen war zu entscheiden, wie geschehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.v.m. § 154 Abs. 1 VwGO.

 

 

 

 

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