L 4 SO 169/20 ZVW

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Frankfurt (HES)
Sachgebiet
Sozialhilfe
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 20 SO 203/09
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 SO 169/20 ZVW
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Die von § 103 Abs. 1 Satz 1 SGB XII vorausgesetzte Kausalität des Verhaltens für die Bedürftigkeit bzw. Leistungspflicht kann aufgrund eines Beratungsfehlers der Behörde entfallen. Sie entfällt, wenn die Behörde beratungsfehlerhaft gehandelt hat und nach wertender Abwägung zwischen dem Verhalten (hier: Unterlassen) des Hilfebedürftigen oder Dritten und dem Beratungsfehler sowie ggf. weiteren Ursachen das Verhalten des Hilfebedürftigen oder Dritten nicht als wesentlich ursächlich angesehen werden kann.


Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 24. August 2017 vollständig aufgehoben. 

Der Bescheid des Beklagten vom 3. Dezember 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Juli 2009 wird auch hinsichtlich der Kostenersatzpflicht dem Grunde nach für vom Beklagten erbrachten Leistungen der Hilfe zur Pflege aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens aller Instanzen einschließlich der Kosten der Revision.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.


Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Frage, ob der Beklagte den Kläger auf der Grundlage von § 103 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch – Sozialhilfe – (SGB XII) zum Ersatz der Kosten der Sozialhilfe heranziehen darf, die ihm entstanden sind, weil der Kläger als Betreuer nicht verhindert hat, dass die freiwillige Versicherung der von ihm Betreuten in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung auf Grund von Zahlungsrückständen endete, und der Beklagte deswegen Leistungen an die Betreute zu erbringen hat. Nach einer Teilaufhebung des Senatsurteils vom 13. März 2019 und einer Zurückverweisung durch das Bundessozialgericht mit Urteil vom 3. Juli 2020 – B 8 SO 2/19 R – steht nur noch die Kostenersatzpflicht dem Grunde nach für die vom Beklagten erbrachte Leistungen der Hilfe zur Pflege im Streit.

Der Kläger ist Berufsbetreuer und wurde im Jahr 2002 zum Betreuer der chronisch alkoholkranken und an einem hirnorganischen Abbau leidenden Frau C. C., geboren 1952, bestellt; sein Aufgabenkreis erstreckte sich unter anderem auf die Sorge für die Gesundheit und die Vermögenssorge (vgl. den Betreuerausweis vom 11. November 2002, Bl. 25 der zur Betreuten geführten Leistungsakte des Beklagten – im Folgenden: LA –). 

Die Betreute erhielt auf Grund eines Vermächtnisses ihres verstorbenen Lebensgefährten monatliche Zahlungen in Höhe von 1.512,65 €; konkret handelte es sich um die hälftigen Pachteinnahmen aus einem Grundstück, das dem Lebensgefährten gehört hatte. Zahlungsverpflichtete war Frau D. H., eine Nichte des Lebensgefährten der Betreuten, auf die das Grundstück übergegangen war. Wegen der Einzelheiten wird auf das notarielle Testament des verstorbenen Lebensgefährten vom 17. März 2000 (LA Bl. 28 ff.) Bezug genommen.

Die Betreute, die bei der AOK Hessen (AOK) freiwillig in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung versichert war, wurde im Februar 2003 in das Alten- und Pflegeheim M. in C-Stadt aufgenommen. Aufgrund eines Abhilfebescheides vom 14. Februar 2005 erhielt die Betreute Hilfe zur Pflege in Form der Übernahme der Heimkosten für die Zeit vom 10. Februar bis 31. August 2003. Ab 1. September 2003 war sie – nach Auflösung der zuvor von ihr bewohnten Wohnung – in der Lage, ihren Lebensunterhalt einschließlich der Unterbringung im Pflegeheim aus eigenen Mitteln zu finanzieren, so dass der Kläger den Antrag auf Sozialhilfe entsprechend beschränkte.

Im Frühjahr 2005 unterbrach Frau D. H. die Weiterleitung der hälftigen Pachtzahlungen, so dass das Konto der Betreuten ab März keine ausreichende Deckung für die per Lastschrift eingezogenen Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung mehr aufwies. Die AOK mahnte die rückständigen Beträge für März 2005 mit Schreiben an die Betreute vom 22. April 2005 (vgl. LA Bl. 80 f.) an und teilte mit, dass sie das Lastschriftverfahren vorsorglich einstelle. Dem Kläger übersandte die AOK am gleichen Tag ein Duplikat. Mit Schreiben an den Kläger vom 20. Mai 2005 (vgl. Gerichtsakte – im Folgenden: GA – Bl. 19) und ähnlich nochmals mit Schreiben an die Betreute vom 25. Mai 2005 (vgl. LA Bl. 84 f.) – ebenfalls als Duplikat am gleichen Tage an den Kläger übermittelt – meldete sich die AOK erneut, wies auf die durch die Nichtzahlung der Beiträge für April weiter angewachsenen Rückstände sowie das drohende Ende der freiwilligen Mitgliedschaft bei Nichtzahlung der Beiträge für zwei Monate hin und räumte eine Nachfrist für die Zahlung bis zum 15. Juni 2005 ein. Nachdem auch bis dahin keine Zahlung erfolgt war, endete die Mitgliedschaft der Betreuten in der AOK.

Am 6. September 2005 wandten sich sowohl der Kläger als auch das Pflegeheim wegen der aufgrund der ausbleibenden Leistungen der Pflegeversicherung aufgelaufenen Rückstände und des fehlenden Krankenversicherungsschutzes an den Beklagten, wobei der Kläger um einen Termin bat (LA Bl. 77). Am 8. September 2005 teilte das Pflegeheim die Kündigung durch die AOK dem Beklagten mit (LA Bl. 78). Der Kläger erläuterte das Geschehen mit Schreiben vom 23. September 2005 aus seiner Sicht: Danach habe Frau H. aus ihm nicht nachvollziehbaren Gründen die Zahlungen des hälftigen Pachtanteils im März 2005 plötzlich eingestellt, was er zunächst nicht erfahren habe. Ende Mai 2005 habe er ein Schreiben der АОK erhalten, dass noch offene Rechnungen existierten und die Mitgliedschaft gefährdet sei. Frau H. habe ihm dazu, als er sie Anfang Juni erreicht habe, erklärt, dass sie die Gelder zurückgehalten habe, weil sie von ihm in regelmäßigen Abständen über den Gesundheitszustand der Betreuten habe informiert werden wollen. Erst nach Hinweis auf seine Schweigepflicht habe sie sich bereiterklärt, die zurückbehaltenen Gelder zu überweisen. Von diesem Gespräch habe er das Pflegeheim und die Krankenkasse informiert. Danach habe er einen 14-tägigen Urlaub angetreten. Letztendlich habe Frau H. erst am 6. Juli 2005 6.050,60 € überwiesen. Wegen der Einzelheiten wird auf LA Bl. 87 Bezug genommen.

In der Folge übersandte der Beklagte erstmals mit Schreiben vom 14. September 2005 und später regelmäßig Kostengarantiescheine zur Sicherstellung der medizinischen Versorgung der Betreuten an das Pflegeheim und übernahm entsprechende Rechnungen. Mit Bescheid vom 15. Mai 2006 (vgl. LA Bl. 111 ff.) bewilligte er Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt in Einrichtungen, Hilfe zur Pflege und Hilfen zur Gesundheit und übernahm konkret die Heimkosten für die Zeit vom 6. September 2005 bis 31. Dezember 2006. Die Betreute verpflichtete er dabei zum Einsatz ihres Einkommens in Höhe von 1.512,65 € monatlich, wobei er den gegenüber Frau H. bestehenden Anspruch mit Schreiben vom gleichen Tage auf sich überleitete. Die Kostenzusage wurde später regelmäßig verlängert.

Im Frühjahr 2006 wurde Herr Rechtsanwalt E. K. zum neuen Betreuer von Frau C. bestellt (vgl. den Betreuerausweis vom 17. Mai 2006, LA Bl. 134 f.); der Kläger wurde aus dem Betreueramt entlassen. Nachdem sich der neue Betreuer erfolglos um die Wiederaufnahme der Betreuten in die Kranken- und Pflegeversicherung bemüht hatte, hörte der Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 20. Februar 2008 zu einer Kostenersatzpflicht bei schuldhaftem Verhalten nach § 103 SGB XII für die seit dem 6. September 2005 und in der Zukunft entstehenden Krankenhilfeleistungen sowie die nicht vereinnahmten Leistungen der Pflegeversicherung an. Der Kläger äußerte sich hierzu mit Schreiben seiner Bevollmächtigten vom 26. März 2008 (LA Bl. 337). Er machte nunmehr geltend, mit Schreiben vom 22. April 2005 habe der Krankenversicherer lediglich darauf hingewiesen, dass das Geldinstitut die Beiträge für den Monat März 2005 nicht habe einlösen können und das Lastschriftverfahren vorsorglich gelöscht habe. Bis zu seinem Urlaubsantritt Ende April sei für ihn nicht erkennbar gewesen, dass der Ausschluss der Betreuten aus der freiwilligen Krankenversicherung gedroht habe. Üblicherweise würden zwei bis drei Versuche unternommen, bevor das Lastschriftverfahren eingestellt werde. Demzufolge habe für ihn auch keine Notwendigkeit bestanden, vor Urlaubsantritt weitere Maßnahmen zu ergreifen. Nach seiner Rückkehr aus dem Urlaub habe er festgestellt, dass Frau H. die Überweisung des hälftigen Pachtzinses eigenmächtig eingestellt gehabt habe. Erst durch das weitere Schreiben der AOK vom 20. Mai 2005 – bei dessen Zugang er sich noch im Jahresurlaub befunden habe – habe er erfahren, dass der Kranken- und Pflegeversicherungsschutz der Betreuten gefährdet gewesen sei. Er sei daher darum bemüht gewesen, umgehend Kontakt zu Frau H. aufzunehmen, und habe auch zeitnah einen Termin beim zuständigen Sachbearbeiter des Beklagten, Herrn G., wahrgenommen und einen Antrag auf Leistungen für die Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge gestellt. Als es ihm endlich gelungen sei, Kontakt zu Frau H. aufzunehmen, habe diese, allerdings erst nachdem er sie hinsichtlich ihres Wunsches nach Informationen über den Gesundheitszustand der Betreuten auf seine Schweigepflicht hingewiesen habe, die offenen Beträge überwiesen. An der Einstellung der Überweisung des hälftigen Pachtzinses und damit an der mangelnden Deckung des Kontos treffe ihn kein Verschulden.

Mit Bescheid vom 3. Dezember 2008 forderte der Beklagte vom Kläger Kostenersatz bei schuldhaftem Verhalten gemäß § 103 SGB XII dem Grunde nach „für die seit dem 6. September 2005 und in der Zukunft entstehenden Krankenhilfeleistungen sowie die nicht vereinnahmten Leistungen und der Pflegeversicherung“. Nach § 103 SGB XII könne auch ein Betreuer zum Kostenersatz verpflichtet sein, wenn er durch sozialwidriges Verhalten die Voraussetzungen für Leistungen der Sozialhilfe an den Betreuten herbeigeführt habe. Indem er trotz mehrfacher Erinnerungsschreiben und der Ausschlussandrohung der AOK nicht sichergestellt habe, dass die Kranken- und Pflegeversicherungsbеiträge rechtzeitig und in der erforderlichen Höhe geleistet würden, habe der Kläger die im Verkehr erforderliche Sorgfalt besonders schwer verletzt. Als Betreuer hätte es ihm oblegen, die Zahlung der Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge sicherzustellen, notfalls durch kurzfristige und rechtzeitige Beantragung beim Träger der Sozialhilfe. Er hätte sich zumindest im April unverzüglich mit der Krankenkasse in Verbindung setzen und eine eindeutige Klärung herbeiführen müssen, damit diese den angedrohten Ausschluss nicht vollziehe. Stattdessen habe er seinen Urlaub angetreten, ohne ausreichende Maßnahmen zu ergreifen. Wegen der Einzelheiten wird auf LA Bl. 389 ff. verwiesen.

Mit Schreiben seiner Bevollmächtigten legte der Kläger am 23. Dezember 2008 Widerspruch ein und wiederholte im Wesentlichen sein Vorbringen aus dem Anhörungsverfahren. Wegen der Einzelheiten wird auf LA Bl. 483 ff. Bezug genommen.

Der Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 9. Juni 2009 zurück. Dabei führte er unter Vertiefung seiner Argumentation aus dem Ausgangsbescheid insbesondere aus, ein Betreuer habe die Angelegenheiten des Betreuten so zu besorgen, wie es dem Wohl des Betreuten entspreche (§ 1901 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch – BGB –). Der Kläger habe bereits durch das Schreiben der AOK vom 22. April 2005 erkennen müssen, dass der Kranken- und Pflegeversicherungsschutz der Betreuten durch das Ausbleiben der Beitragszahlungen zumindest gefährdet sei. Zudem habe die AOK ausgeführt, dass bis auf Weiteres keine monatlichen Zahlungen mehr abgebucht würden. Der Kläger habe dennoch Ende April 2005 seinen Urlaub angetreten, ohne auf das Schreiben der AOK reagiert zu haben. Er habe es auch versäumt, seinen Verhinderungsbetreuer für die Zeit seines Urlaubs mit der Klärung dieser erkennbar wichtigen Angelegenheit zu beauftragen. Seine Behauptung, dass er die relevanten Kontoauszüge zum damaligen Zeitpunkt nicht regelmäßig genug erhalten habe, sei für die Beurteilung zweitrangig. Überdies sei es seine Aufgabe, sich jeweils möglichst aktuelle Kenntnis vom Stand des Vermögens zu verschaffen. Ferner habe der Kläger nach Zugang des Schreibens der AOK vom 22. April 2005 mit dem Beklagten keine Rücksprache gehalten. Auch habe er nach Eingang des Schreibens der AOK vom 25. Mai 2005 offenbar keinen Kontakt mit dieser zwecks Aufschub der Frist beziehungsweise Klärung des Sachverhaltes aufgenommen, obwohl er, wie er selbst argumentiere, mit Frau H. nach seinem Urlaub offensichtlich erst keinerlei Kontakt habe herstellen können. Insgesamt sei festzustellen, dass er grob fahrlässig gehandelt habe. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf LA Bl. 501 ff. Bezug genommen. 

Nachdem der Beklagte den Widerspruchsbescheid zunächst an die Adresse der früheren Kanzlei der Bevollmächtigten des Klägers übermittelt hatte, erließ er den Widerspruchsbescheid inhaltlich unverändert – nunmehr unter dem Datum des 6. Juli 2009 – erneut (vgl. LA Bl. 531 ff.). 

Nach dessen Zustellung am 9. Juli 2009 hat der Kläger mit Eingang noch am gleichen Tag Klage zum Sozialgericht Frankfurt am Main erhoben. 

Zur Begründung hat er sein bisheriges Vorbringen vertieft und dabei unter anderem ausgeführt, erst mit Schreiben vom 25. Mai 2005 habe die AOK auf die Möglichkeit der Übernahme der Beiträge durch den Sozialhilfeträger hingewiesen. Wegen der langen Bearbeitungsdauer von Sozialhilfeanträgen habe er alles darangesetzt, Frau H. zu einer schnellen Zahlung zu veranlassen. Die Auffassung des Beklagten, er habe bei der Bank der Betreuten einen Überbrückungskredit beantragen müssen, sei lebensfremd. In der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht hat der Kläger dann geltend gemacht, er habe sich ab dem 21. Mai 2005 für drei Wochen im Urlaub befunden.

Der Beklagte hat sich auf die Gründe des angefochtenen Bescheides berufen. Eine Kontaktaufnahme des Klägers mit dem zuständigen Sachbearbeiter des Beklagten sei aus der Akte nicht ersichtlich.

Das Sozialgericht hat die Klage durch Urteil vom 24. August 2017 abgewiesen. Zur Begründung hat es insbesondere ausgeführt, zum Ersatz der Kosten der Sozialhilfe sei nach § 103 SGB XII verpflichtet, wer nach Vollendung des 18. Lebensjahres für sich oder andere durch vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten die Voraussetzungen für die Leistungen der Sozialhilfe herbeigeführt habe. Der volljährige Kläger habe als Betreuer von Frau C. durch sein Verhalten gegenüber Frau H. als Schuldnerin seiner Betreuten und gegenüber der AOK die Voraussetzungen dafür herbeigeführt, dass seine Betreute sozialhilfebedürftig geworden sei. Er sei in den Monaten April, Mai und Juni 2005 untätig gewesen, obwohl sich, wie das Sozialgericht im Einzelnen ausgeführt hat, ein Tätigwerden gegenüber Frau H., der AOK und dem Beklagten aufgedrängt hätte.

Der Kläger hat gegen das am 25. September 2017 zugestellte Urteil am 20. Oktober 2017 Berufung eingelegt. 

Er hat zunächst vorgetragen, sein Verhalten sei nicht sozialwidrig. Der Verlust des Krankenversicherungsschutzes sei vorliegend dadurch herbeigeführt worden, dass Frau H. ohne Vorankündigung und Angabe von Gründen die Zahlungen an die Betreute eingestellt habe. Er habe sich darum bemüht, Frau H. zur Wiederaufnahme der Zahlungen zu bewegen, und sei nach entsprechender Zusage in Urlaub gefahren. Erst nach dem Urlaub habe er feststellen können, dass sich Frau H. nicht an die Zusage gehalten habe. Er habe auch telefonisch Kontakt zur AOK gehabt und die Situation dort geschildert.

Der Beklagte hat sich auf die Begründung seines Bescheides und die Entscheidung des Sozialgerichts berufen. Insbesondere sei die Angelegenheit durch den vom Kläger zwischenzeitlich geltend gemachten zeitlichen Ablauf nicht anders zu bewerten. Die Sozialwidrigkeit des Verhaltens des Klägers sei zu bejahen. So sei anerkannt, dass die Kündigung einer Krankenversicherung ein sozialwidriges Verhalten darstelle (Hinweis auf SG Gotha, Urteil vom 2. Juni 2008 – S 14 SO 3481/06 –, juris, Rn. 36). Die vorsätzliche oder grob fahrlässige Herbeiführung einer Kündigung durch die Gegenseite sei dabei mit einer eigenen Kündigung vergleichbar. Dem Kläger sei überdies die Sozialwidrigkeit seines Verhaltens bewusst, zumindest aber auf Grund grober Fahrlässigkeit nicht bewusst gewesen, da das Bestehen von Kranken- und Pflegeversicherungsschutz ein geradezu unabdingbarer Bestandteil einer verantwortungsbewussten Lebensgestaltung eines jeden sei. Das gelte insbesondere, wenn – wie hier bei der Betreuten – fortlaufend in erheblichem Umfang medizinische und pflegerische Betreuung benötigt werde. So habe sich der Kostenaufwand im vorliegenden Fall zwischen 2005 und 2017 auf 231.969,10 € belaufen.

Die Berichterstatterin hat den Kläger im Rahmen eines Erörterungstermins am 25. April 2018 angehört. Hinsichtlich des Ergebnisses der Anhörung wird auf das Protokoll (Bl. 114-115 d.A) Bezug genommen.

Der Senat hat mit Urteil vom 13. März 2019 das Urteil des Sozialgerichts vom 24. August 2017 sowie den Bescheid des Beklagten vom 3. Dezember 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Juli 2009 aufgehoben. Zur Begründung hat der Senat ausgeführt, die Anfechtungsklage sei zulässig und begründet, da die Voraussetzungen des § 103 Abs. 1 Satz 1 SGB XII nicht erfüllt seien. Das Verhalten des Klägers sei nicht sozialwidrig. Es könne offen bleiben, ob die Sozialwidrigkeit bereits deshalb ausgeschlossen sei, weil es „nur“ darum gegangen sei, dass der Sozialhilfeträger statt eines anderen Sozialleistungsträgers, nämlich der Kranken- und der Pflegeversicherung, die Aufwendungen zu tragen habe. Jedenfalls bestünden Betreuerpflichten regelhaft nur im Verhältnis zum Betreuten und nur ausnahmsweise gegenüber Dritten. Dies sei insbesondere in den Blick zu nehmen, wenn es, wie im vorliegenden Verfahren, um ein Unterlassen gehe. Dem Betreuer komme keine Garantenstellung für die Vermögensinteressen des Sozialhilfeträgers zu. Dies führe zwar nicht dazu, dass Pflichtverletzungen eines Betreuers unbegrenzt auf den Sozialhilfeträger abgewälzt werden könnten. Vielmehr sei denkbar, dass ein Schadensersatzanspruch der Betreuten gegen den Betreuer über § 116 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) – auf den Sozialhilfeträger übergehe. Dabei handle es sich jedoch um einen anderen Streitgegenstand als den Kostenersatzanspruch nach § 103 SGB Xll, für den zudem die Zivilgerichte zuständig seien.

Auf die durch den Senat zugelassene Berufung des Beklagten hat das Bundessozialgericht durch Urteil vom 3. Juli 2020 das Senatsurteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen, soweit Kostenersatz für erbrachte Leistungen der Hilfe zur Pflege verlangt werde. lm Übrigen hat es die Revision zurückgewiesen. Der angefochtene Bescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheids sei bereits mangels hinreichender Bestimmtheit (§ 33 SGB X) formell rechtswidrig und aufzuheben, soweit hierin wegen „nicht vereinnahmten Leistungen“ Kostenersatz verlangt werde. Wegen des Kostenersatzes für „nicht vereinnahmte Leistungen“ werde nicht klar, welche (Sozialhilfe-)Leistungen davon erfasst sein sollen, bzw. inwiefern sich infolge dieser „nicht vereinnahmten Leistungen" Sozialhilfebedürftigkeit der H ergeben habe und deshalb Leistungen vom Beklagten erbracht worden seien. Soweit Kostenersatz für die vom Beklagten erbrachte Hilfe zur Pflege geltend gemacht werde, sei die Formulierung zwar auch insoweit („… nicht vereinnahmten Leistungen und der Pflegeversicherung") nicht eindeutig; denn Leistungen der Pflegeversicherung nach dem Sozialgesetzbuch Elftes Buch - Soziale Pflegeversicherung - (SGB XI) erbringe der Beklagte gerade nicht, sondern an deren Stelle nachrangige Hilfe zur Pflege. Ausgehend vom objektiven Empfängerhorizont sei die Verfügung aber jedenfalls unter Berücksichtigung der Begründung des Kostenersatzanspruchs im Widerspruchsbescheid so zu verstehen, dass neben der Kosten für die Krankenbehandlung der H auch Kostenersatz für die geleistete Hilfe zur Pflege verlangt werde.

Die materielle Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids messe sich an § 103 Abs. 1 Satz 1 SGB XII (in der seit dem 1. Januar 2005 unverändert geltenden Normfassung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27. Dezember 2003, BGBl. I 3022). Einem Anspruch des Beklagten auf Kostenersatz wegen von ihm aufgewendeter Kosten für die geleistete Hilfe bei Krankheit (§ 48 Satz 1 iVm § 52 SGB XII) durch Ausstellen sog „Kostengarantiescheine“ stehe bereits entgegen, dass Kostenersatz nur dann verlangt werden könne, wenn die Hilfe rechtmäßig erbracht worden sei. H sei mit Beginn des Leistungsbezugs am 6. September 2005 dem in § 264 Abs. 2 SGB V genannten Personenkreis der sog „Quasiversicherten“ unterfallen. Nur soweit keine Leistungen über die „Quasiversicherung“ erbracht werden müssten bzw. erbracht würden, kämen (Einzel-)Hilfen nach den §§ 47 ff. SGB XII in Betracht. Nachdem der Beklagte ausdrücklich keinen Kostenersatz für die eingetretene “Quasiversicherung“ verlange, jedoch nicht berechtigt sei, durch die Bewilligung von Leistungen nach §§ 48, 52 SGB XII die Voraussetzungen für einen Kostenersatzanspruch gegen den Kläger zu schaffen, komme es auf die Frage, ob und wie sich Kosten der „Sozialhilfe“ im Fall der Absicherung über eine Quasiversicherung bestimmen lasse, nicht an (vgl. zum Streitstand bereits BSG vom 5. September 2019 - B 8 SO 15/18 R - Rn. 16, insoweit nicht tragend).

Inwieweit der Kläger zum Kostenersatz für die Kosten der Hilfe zur Pflege (einschließlich inkludierter Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts; Hinweis auf BSG vom 27. Februar 2019 - B 8 SO 15/17 R - SozR 4-3500 § 102 Nr. 3 Rn. 26) verpflichtet sei, könne der Senat nicht abschließend entscheiden. Soweit der Beklagte allerdings Hilfe zur Pflege nur vorläufig „analog § 19 Abs. 5 SGB XII" bewilligt habe (so der Bescheid vom 15. Mai 2006 für die Zeit ab dem 6. September 2005), scheide ein Kostenersatzanspruch aus, weil - anders als der Beklagte meine - das mögliche Bestehen eines Ersatzanspruchs gegen den Kläger kein „begründeter Fall“ im Sinne der Norm sei. Der Beklagte habe in der Sache abschließend über den Anspruch der H auf Hilfe zur Pflege entscheiden können. Die Möglichkeit einer Bewilligung von „vorläufigen“ Leistungen ohne weitere Voraussetzungen eröffne § 19 Abs. 5 SGB XII nicht. Einen etwaigen Ersatzanspruch der H gegen den Kläger hätte der Beklagte vielmehr nach § 93 SGB XII auf sich überleiten müssen. Die Streitfrage, ob im Fall einer rechtmäßigen Bewilligung gegen Aufwendungsersatz nach § 19 Abs. 5 SGB XII überhaupt ein Kostenersatz nach § 103 SGB XII geltend gemacht werden könne, könne damit hier offen bleiben. Das LSG werde deshalb zu prüfen haben, ob die Hilfe zur Pflege für spätere Zeiträume, für die ein Kostenersatz noch nicht ausgeschlossen (§ 103 Abs. 3 SGB XII) sei, vorbehaltlos oder weiterhin „vorläufig“ nach § 19 Abs. 5 SGB XII bewilligt worden seien. Es werde ggf. auch die übrigen Voraussetzungen für einen Anspruch auf Hilfe zur Pflege prüfen müssen.

Sollten die Leistungen der Hilfe zur Pflege rechtmäßig erbracht worden sein, sei der Anwendungsbereich des § 103 SGB XII entgegen der Auffassung des LSG auch gegenüber dem rechtlichen Betreuer als „Drittem“ erfüllt. Dessen Inanspruchnahme setze ein sozialwidriges, vorsätzliches bzw. grob fahrlässiges Verhalten voraus. Das LSG habe aus seiner rechtlichen Sicht hierzu keine tatsächlichen Feststellungen treffen müssen, und wird diese ggf. nachzuholen haben. Ein Kostenersatz scheide auch aus, wenn ein solches Verhalten des Klägers nicht kausal für die Hilfebedürftigkeit der H war. Schließlich fehlten hinreichende Feststellungen des LSG, die dem Senat die erforderliche Prüfung des Vorliegens einer Härte i.S. des § 103 Abs. 1 Satz 3 SGB XII erlauben würden, deren Bestehen dem Erlass eines Grundlagenbescheids ebenfalls entgegenstehen könnte.

Der Kläger gehöre in seiner Funktion als Betreuer als „Dritter“ bereits nach dem Wortlaut („für sich oder andere“) aber auch nach Sinn und Zweck des § 103 Abs. 1 SGB XII zum Adressatenkreis der Norm, ohne dass es dafür weiterer übergesetzlicher Voraussetzungen, wie z.B. einer vom LSG angenommenen (und im Ergebnis verneinten) Garantenstellung bezogen auf den Beklagten bedürfte.

Der Ausgangspunkt des LSG, Voraussetzung einer Haftung sei zudem eine „Garantenstellung“ des Dritten gegenüber den Vermögensinteressen des Sozialhilfeträgers, insbesondere dann, wenn dem Dritten ein Unterlassen vorgeworfen werde, sei mit Sinn und Zweck der Norm nicht zu vereinbaren. Dieser liege in der Herstellung des Nachrangs der Sozialhilfe nach § 2 SGB XII. Damit schreibe § 103 SGB XII jedem, der - auch als Dritter - die Hilfebedürftigkeit unter den Voraussetzungen des § 103 Abs. 1 SGB XII herbeiführe (gleichgültig ob durch aktives Tun oder Unterlassen, dazu: BVerwG vom 10. April 2003 - 5 C 4/02 - BVerwGE 118, 109 -, juris Rn. 16), eine Verantwortung für die von der Gemeinschaft der Steuerzahler (als Solidargemeinschaft) aufgebrachten Mittel der Sozialhilfe zu. Etwas anderes lasse sich insbesondere nicht mit der „Deliktsähnlichkeit“ des Kostenersatzanspruchs begründen. Denn diese Begrifflichkeit solle nur der Begrenzung der Haftung des Ersatzpflichtigen dienen, gerade aber nicht die Voraussetzungen deliktischer Haftungstatbestände in § 103 SGB XII inkorporieren.

Sei der Anwendungsbereich des § 103 SGB XII im Grundsatz eröffnet, könne Kostenersatz allerdings seit Einführung des § 92a BSHG nur noch bei vorsätzlichem und grob fahrlässigem Verhalten - sei es einem Tun oder einem Unterlassen - verlangt werden. Dazu trete als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal das Erfordernis der „Sozialwidrigkeit“ des zum Kostenersatz führenden Verhaltens, dessen Vorliegen in jedem Einzelfall zu beurteilen sei. Mit diesem zusätzlichen Kriterium habe das BVerwG den Kostenersatz auf einen „engen deliktsähnlichen Ausnahmetatbestand“ beschränkt (BVerwG vom 30. August 1967 - V C 192.66 - BVerwGE 27, 319; BVerwG vom 24. Juni 1976 - V C 41.74 - BVerwGE 51, 61 ff, 63; BVerwG vom 14. Januar 1982 - 5 C 70/80 - BVerwGE 64, 318 und BVerwG vom 23. September 1999 - 5 C 22/99 - BVerwGE 109, 331).

Ob ein Verhalten sozialwidrig sei, sei nach den Umständen des Einzelfalles zu beurteilen. Erforderlich sei eine spezifische Beziehung zwischen dem Verhalten selbst und dem Erfolg. Es könne nur ein Verhalten sozialwidrig sein, das in seiner Handlungstendenz auf die Herbeiführung von Hilfebedürftigkeit bzw. der Leistungserbringung gerichtet sei bzw. hiermit in „innerem Zusammenhang“ stehe oder bei dem ein spezifischer Bezug zu anderen nach den Wertungen des SGB XII zu missbilligenden Verhaltensweisen bestünde. Voraussetzung sei weiter, dass Sozialhilfebedürftigkeit nicht nur tatsächlich eintrete, sondern dieser Erfolg vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt werde. Mit dieser Maßgabe sei das in § 103 Abs. 1 SGB XII normierte Erfordernis „vorsätzlichen oder grobfahrlässigen“ Verhaltens zu lesen. Schuldhaft, d.h. vorsätzlich oder grob fahrlässig i.S. von § 103 Abs. 1 SGB XII verhalte sich also nur, wer sich auch der Sozialwidrigkeit seines Verhaltens bewusst oder grob fahrlässig nicht bewusst sei (BVerwG vom 10. April 2003 - 5 C 4/02 -, BVerwGE 118, 109, 111).

Ob ausgehend von diesen Grundsätzen gegenüber dem Kläger die besondere Vorwerfbarkeit (im Sinne der „Sozialwidrigkeit“) seines Verhaltens bzw. Unterlassens bejaht werden könne, werde das LSG deshalb anhand der Gesamtumstände, ggf. nach Anhörung des Klägers, prüfen müssen. Ein Verhalten, das zum Fortfall der sozialen Pflegeversicherung führe, würde dabei im Ausgangspunkt als (objektiv) sozialwidrig anzusehen sein (vgl. bereits BVerwG vom 23. September 1999 - 5 C 22/99 - BVerwGE 109, 331 zur Aufgabe des Krankenversicherungsschutzes). Weiter werde das LSG zu beurteilen haben, ob der auf Kostenersatz in Anspruch genommene Kläger bei Anwendung der ihm als Betreuer gebotenen Sorgfalt hätte erkennen können und müssen (zum Maßstab der groben Fahrlässigkeit ausgehend von der Legaldefinition des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X Hinweis auf BSG vom 13. März 2019 - B 8 SO 85/18 B -, juris Rn. 6 m.w.N.), dass Sozialhilfebedürftigkeit eintrete und ihm tatsächlich und rechtlich ein Alternativverhalten möglich und zumutbar gewesen sei (so Simon, in: Schlegel/Voelzke (Hrsg.), jurisPK-SGB XII, 3. Aufl. 2020 § 103 Rn. 20). Dabei werde das LSG ausgehend von dem subjektiven Fahrlässigkeitsbegriff, wie er in der Rechtsprechung des BSG herausgebildet worden sei, auch die persönliche Urteils- und Kritikfähigkeit und das Einsichtsvermögen des Klägers zu berücksichtigen haben.

Der Vorwurf der Sozialwidrigkeit sei nicht bereits deshalb ausgeschlossen, weil H ggf. auch im Fall eines „rechtmäßigen Alternativverhaltens“ des Klägers sozialhilfebedürftig geworden wäre. Ein möglicher Anspruch auf Schadensersatz der H gegen den Kläger nach § 1908i BGB iVm § 1833 BGB, den der Beklagte ebenfalls nach § 93 SGB XII auf sich hätte überleiten können, schließe das Bestehen eines Kostenersatzanspruchs nach § 103 SGB XII nicht aus.

Ein Kostenersatz scheide allerdings aus, wenn das Verhalten (bzw. Unterlassen) des Klägers nicht kausal für die Hilfebedürftigkeit der H gewesen sei. Dies könnte in Bezug auf die geleistete Hilfe zur Pflege unter dem Gesichtspunkt eines Beratungsfehlers des Beklagten in Betracht kommen, der ggf. wesentlich für den Eintritt der Hilfebedürftigkeit sei. Denn nach § 26 Abs. 1 Satz 1 SGB XI (in der Fassung des Gesetzes zur Beendigung der Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Gemeinschaften vom 16. Februar 2001, BGBl I 266) könnten sich Personen, die aus der Versicherungspflicht nach § 20 oder § 21 SGB XI ausgeschieden seien und in den letzten fünf Jahren vor dem Ausscheiden mindestens 24 Monate oder unmittelbar vor dem Ausscheiden mindestens zwölf Monate versichert gewesen seien, auf Antrag in der sozialen Pflegeversicherung weiterversichern, sofern für sie keine Versicherungspflicht nach § 23 Abs. 1 SGB XI eintritt. Der Antrag sei innerhalb von drei Monaten nach Beendigung der Mitgliedschaft bei der zuständigen Pflegekasse zu stellen (§ 26 Abs. 1 Satz 3 SGB XI). H sei durch das Ende ihrer freiwilligen Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung zum 15. Juni 2005 auch aus der sozialen Pflegeversicherung ausgeschieden, weil diese in ihrem Bestehen an die freiwillige Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung geknüpft gewesen sei (§ 20 Abs. 3 SGB XI). Sie sei auch nicht versicherungspflichtig in der privaten Pflegeversicherung nach § 23 Abs. 1 und 4 SGB XI gewesen. Die für eine Weiterversicherung notwendigen Vorversicherungszeiten nach § 26 Abs. 1 Satz 1 SGB XI seien erfüllt. Als der Beklagte am 6. September 2005 Kenntnis vom Ende der Mitgliedschaft H in der freiwilligen Kranken- und der sozialen Pflegeversicherung zum 15. Juni 2005 erhalten habe, sei die Frist von drei Monaten nach Beendigung der Mitgliedschaft für einen Antrag auf Weiterversicherung noch nicht abgelaufen gewesen, mit der Folge, dass ein Antrag auf Weiterversicherung nach entsprechender Beratung (§ 14 Satz 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - Allgemeiner Teil - <SGB I>, § 11 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 und 3 SGB XII) durch den Kläger noch fristgerecht gestellt und damit die Leistung von Hilfe zur Pflege hätte vermieden werden können. Ob eine Beratung des Klägers erfolgt sei, ggf. welchen Inhalt sie gehabt habe und ob bzw. wie der Kläger daraufhin reagiert habe, sei vom LSG jedoch nicht festgestellt.

Dem Beklagten hätte eine Beratungspflicht gegenüber dem Kläger oblegen. § 14 Satz 1 SGB I, wonach jeder Anspruch auf Beratung über seine Rechte und Pflichten nach dem Sozialgesetzbuch hat, sei umfassend zu verstehen; die Beratungspflicht bestehe insbesondere dann, wenn die in Frage stehenden Leistungen verfahrensrechtlich miteinander verknüpft seien (vgl. BSG vom 24. Juli 1985 - 10 Rkg 5/84 - SozR 1200 § 14 Nr. 19, juris Rn. 17). Daneben regele § 11 SGB XII spezielle Beratungspflichten der Träger der Sozialhilfe. Nach § 11 Abs. 2 Satz 3 SGB XII seien die Leistungsberechtigten ua auch für den Erhalt von (anderen) Sozialleistungen zu „befähigen“. Der Umstand, dass der Kläger als Betreuer ggf. selbst um die Möglichkeiten einer Weiterversicherung hätte wissen müssen, hätte den Beklagten jedenfalls nicht von einer solchen Beratung freigestellt. Denn bereits aus den ihm bekannten, zum Verlust des Kranken- und Pflegeversicherungsschutzes führenden Umständen hätte sich entsprechender Beratungsbedarf geradezu aufdrängen müssen.

Das LSG werde schließlich auch das Vorliegen einer Härte zu prüfen haben.

Der Kläger hat nach der Zurückverweisung auf den richterlichen Hinweis des hiesigen Berichterstatters vom 21. September 2020 nicht ergänzend vorgetragen.

Er beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 24. August 2017 sowie den Bescheid des Beklagten vom 3. Dezember 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Juli 2009 vollständig aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte trägt vor, auf der Grundlage der Entscheidung des Bundessozialgerichts sei die Sozialwidrigkeit des klägerischen Verhaltens eindeutig gegeben. Der Kläger habe billigend in Kauf genommen, dass aufgrund seines Verhaltens Sozialhilfebedürftigkeit in erheblichem Maße eingetreten sei. Er sei trotz wiederholter Hinweise der Krankenversicherung auf den drohenden Verlust der Kranken-und Pflegeversicherung und des Hinweises auf die Möglichkeit der Inanspruchnahme von Sozialhilfe in einen mehrwöchigen Urlaub gefahren, ohne sicherzustellen, dass die Beiträge tatsächlich gezahlt würden. Insbesondere habe er weder den Sozialhilfeträger informiert noch seine Urlaubsvertretung sichergestellt. Allein die Kontaktaufnahme zu Frau H. sei nicht ausreichend.

Die vom Bundessozialgericht angeführte Beratungspflicht greife nicht. Die Voraussetzungen des § 26 SGB XI hätten nicht vorgelegen. Die Leistungsberechtigte sei freiwilliges Mitglied in der Kranken-und Pflegeversicherung gewesen, so dass die an eine Pflichtversicherung anknüpfende Regelung des § 26 SGB XI keine erneute freiwillige Versicherung auf Antrag ermögliche. Demgemäß habe auch die Krankenversicherung zu Recht in ihrem Schreiben vom 25. Mai 2005 die Leistungsberechtigte bzw. den Kläger darüber informiert, dass für den Fall, dass der ausstehende Beitrag nicht schnellstmöglich gezahlt werde, der Versicherungsschutz zur Kranken- und Pflegeversicherung zum 15. Juni 2005 ende und dass eine wegen Zahlungsverzugs beendete freiwillige Krankenversicherung von keiner Kasse fortgeführt werden dürfe.

Hinsichtlich des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung vom 22. Februar 2023, insbesondere wegen der persönlichen Anhörung des Klägers, wird auf das Protokoll verwiesen.


Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung ist im jetzt noch anhängigem Umfang begründet.

Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist nach der Teilaufhebung und Zurückverweisung nur noch die im Bescheid vom 3. Dezember 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Juli 2009 geregelte Kostenersatzpflicht dem Grunde nach für die vom Beklagten erbrachten Leistungen der Hilfe zur Pflege. Die Aufhebung der Festsetzung einer Kostenersatzforderung für Leistungen der Krankenhilfe sowie „nicht vereinnahmter Leistungen“ durch das Senatsurteil vom 13. März 2019 ist durch die Zurückweisung der Revision des Beklagten in Rechtskraft erwachsen.

I. Die den Kläger noch in diesem Umfang beschwerende Festsetzung im Bescheid vom 3. Dezember 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Juli 2009, an deren formeller Rechtmäßigkeit keine Zweifel bestehen (siehe BSG, Urteil vom 3. Juli 2020 – B 8 SO 2/19 R – Rn.16-17), ist materiell rechtswidrig, da die Voraussetzungen des § 103 Abs. 1 Satz 1 SGB XII für die hier noch im Streit stehende Festsetzung nicht erfüllt sind. Nach § 103 Abs. 1 Satz 1 SGB XII ist zum Ersatz der Kosten der Sozialhilfe verpflichtet, wer nach Vollendung des 18. Lebensjahres für sich oder andere durch vorsätzliches oder grob fahrlässiges und – als ungeschriebenes Kriterium – sozialwidriges Verhalten (1.a), d.h. das objektiv (dazu 1.b) wie subjektiv (1.c) als sozialwidrig zu qualifizieren sein muss, die Voraussetzungen für die Leistungen der Sozialhilfe kausal herbeigeführt hat (hierzu 2.). An der Kausalität fehlt es.

1.a) Der die Kostenersatzpflicht begründende Tatbestand gliedert sich in objektive wie subjektive Kriterien. Kostenersatz kann nur bei vorsätzlichem und grob fahrlässigem Verhalten - sei es einem Tun oder einem Unterlassen - verlangt werden (zum Folgenden: BSG, Urteil vom 3. Juli 2020 – B 8 SO 2/19 R – Rn. 27-28 m.w.N., auch zur Rechtsprechungsgeschichte). Dazu tritt als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal das Erfordernis der „Sozialwidrigkeit“ des zum Kostenersatz führenden Verhaltens, dessen Vorliegen in jedem Einzelfall zu beurteilen ist. Mit diesem zusätzlichen Kriterium hat das Bundesverwaltungsgericht, dem das Bundessozialgericht und der Senat insoweit folgen, den Kostenersatz auf einen „engen deliktsähnlichen Ausnahmetatbestand“ beschränkt. Nur ein als „sozialwidrig“ bezeichnetes Verhalten, das dem Grundsatz der Eigenverantwortung vor Inanspruchnahme der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem BSHG bzw. SGB XII widerspricht, soll ausreichend, aber auch notwendig für einen Kostenersatz sein.

Ob ein Verhalten sozialwidrig ist, ist nach den Umständen des Einzelfalles zu beurteilen. Erforderlich ist eine spezifische Beziehung zwischen dem Verhalten selbst und dem Erfolg. Es kann nur ein Verhalten sozialwidrig sein, das in seiner Handlungstendenz auf die Herbeiführung von Hilfebedürftigkeit bzw. der Leistungserbringung gerichtet ist bzw. hiermit in „innerem Zusammenhang“ steht oder bei dem ein spezifischer Bezug zu anderen nach den Wertungen des SGB XII zu missbilligenden Verhaltensweisen besteht (ähnlich zu § 34 SGB II BSG, Urteil vom 2. November 2012 – B 4 AS 39/12 RBSGE 112, 135 = SozR 4-4200 § 34 Nr. 1 Rn. 17 ff; BSG, Urteil vom 16. April 2013 – B 14 AS 55/12 R - SozR 4-4200 § 34 Nr. 2 Rn. 18 ff). Voraussetzung ist weiter, dass Sozialhilfebedürftigkeit nicht nur tatsächlich eintritt, sondern dieser Erfolg vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt ist. Mit dieser Maßgabe ist das in § 103 Abs. 1 SGB XII normierte Erfordernis „vorsätzlichen oder grobfahrlässigen“ Verhaltens zu lesen. Schuldhaft, d.h. vorsätzlich oder grob fahrlässig i.S. von § 103 Abs. 1 SGB XII verhält sich also nur, wer sich auch der Sozialwidrigkeit seines Verhaltens bewusst oder grob fahrlässig nicht bewusst ist (BVerwG, Urteil vom 10. April 2003 – 5 C 4/02BVerwGE 118, 109 <111>).
b) aa) Das Verhalten des Klägers war gemessen an diesem Maßstab objektiv sozialwidrig. Im konkreten Fall der zu Betreuenden war offensichtlich, dass sich das Risiko der Pflegebedürftigkeit zum Zeitpunkt der Kündigung der freiwilligen Mitgliedschaft in der Gesetzlichen Krankenversicherung mit der Folge des Verlusts des Pflegepflichtversicherungsschutzes bereits in der Weise realisierte, dass die Betreute laufend Leistungen der Pflegeversicherung in Anspruch nahm. Insoweit trifft auf den Kläger als die Betreute vertretenden Dritten, der gleichermaßen Adressat von § 103 SGB XII ist (BSG, Urteil vom 3. Juli 2020 – B 8 SO 2/19 R – Rn. 25), die nachfolgend wiedergegebene Bewertung aus einer der o.g. Leitentscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts zu: „Wer sich nicht […] versichert, obwohl er finanziell dazu in der Lage ist, hat die Folgen dieses Verhaltens selbst zu tragen. Nimmt er die von der Allgemeinheit für den Notfall zur Verfügung gestellten Mittel in Anspruch, so trifft ihn eine Ersatzverpflichtung. Auch wenn jemand für den Krankheitsfall [oder hier: Pflegefall] etwa durch finanzielle Rücklagen eigenständig Vorsorge trifft, so ist es gerechtfertigt, daß er, sollte diese Vorsorge im Krankheitsfall nicht ausreichen und er auf Sozialhilfe in Form von Krankenhilfe angewiesen sein, diese […]  im Wege der finanziellen Nachsorge zu ersetzen hat“ (BVerwG, Urteil vom 23. September 1999 – 5 C 22/99 –, BVerwGE 109, 331-336, zit. nach juris Rn. 13).

bb) Auf der Grundlage des o.g. Maßstabes kann es den Kläger nicht entlasten, dass es – anders als in Fällen, in denen der Betroffene unmittelbar eigene Selbsthilfemöglichkeiten beseitigt – „nur“ darum geht, dass der Sozialhilfeträger statt eines anderen Sozialleistungsträgers, nämlich der Kranken- und der Pflegeversicherung, Aufwendungen zu tragen hat. Denn entgegen den letztlich nicht tragenden Erwägungen des Senats im vorausgehenden Urteil kann sich die Sozialwidrigkeit wegen der Bedeutung des Nachranggrundsatzes auch daraus herleiten lassen, dass die Aufwendungen für die pflegerische Versorgung statt (in erster Linie) aus Versicherungsbeiträgen aus Steuermitteln finanziert wird. Der Vorwurf der Sozialwidrigkeit ist auch nicht bereits deshalb ausgeschlossen, weil die Betreute u.U. auch im Fall eines „rechtmäßigen Alternativverhaltens“ des Klägers sozialhilfebedürftig geworden wäre. Denn ein im Sinne der Wiederherstellung des Nachrangs der Sozialhilfe rechtfertigender Ersatzanspruch nach § 103 Abs. 1 SGB XII besteht auch dann, wenn bei einem rechtmäßigen Alternativverhalten nur eine weniger kostenaufwändige Sozialhilfeleistung selbst in Frage steht (BVerwG, Urteil vom 14. Januar 1982 – 5 C 70/80BVerwGE 64, 318 Rn. 9; anders wohl für § 34 SGB II in der bis 31.7.2016 geltenden Fassung BSG vom 8. Februar 2017 – B 14 AS 3/16 R – SozR 4-4200 § 34 Nr. 3 Rn. 24; seitdem aber ausdrücklich geregelt in § 34 SGB II in der seit 1.8.2016 geltenden Fassung). So liegt der Fall hier, denn die vorübergehende Übernahme der Beiträge zur freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung nach § 32 SGB XII durch Mittel der Sozialhilfe bis zur Wiederaufnahme der Zahlungen durch Frau H. ist (ggf. bei gleichzeitiger Überleitung eines Anspruchs der Betreuten gegenüber Frau H. nach § 93 SGB XII) in ihrer Summe geringer als die vom Beklagten seit 6. September 2005 zu leistenden monatlichen Zahlungen (so BSG, Urteil vom 3. Juli 2020 – B 8 SO 2/19 R – Rn. 30).

cc) Schließlich kann es den Kläger nicht von der Sozialwidrigkeit entlasten, dass ihm „nur“ ein Unterlassen zur Last gelegt wird und er insoweit keine „Garantenstellung“ gegenüber dem Beklagten habe. Dies hatte der Senat in der vorangegangenen Entscheidung noch angenommen, er folgt indes nunmehr den bindenden Rechtssätzen der aufhebenden und zurückverweisenden Entscheidung des Bundessozialgerichts. Zwar hat der Senat seine Rechtssätze hierzu gerade nicht im Rahmen der Möglichkeit der Schuldnerschaft eines „Dritten“ oder als eigene weitere Übertragung aus dem Deliktsrecht aufgestellt, wie es das Bundessozialgericht in Rn. 26 ausgeführt hat. Vielmehr wollte der Senat den Begriff der Sozialwidrigkeit in konsequenter Fortführung der bundesverwaltungsgerichtlichen Herleitung der Sozialwidrigkeit aus der Deliktsähnlichkeit für Fälle des Unterlassens weiter konkretisieren (vgl. dazu auch die kritische Anmerkung zur BSG-Entscheidung von Kellner, NZS 2021, 301 <301 f.>). Dieses mögliche Missverständnis beeinträchtigt indes nicht die Bindung des Senats an die Entscheidung des Bundessozialgerichts, denn das Bundessozialgericht hat keine Überlegungen angestellt, ob die Überlegungen an anderer dogmatischer Stelle als tragfähig angesehen werden könnten, was nur als beredtes Schweigen verstanden werden kann. Einer entsprechenden Einschränkung der Haftung im Rahmen des Kriteriums der Sozialwidrigkeit steht mithin ebenfalls der Sinn und Zweck des § 103 SGB XII entgegen (zum Folgenden BSG, Urteil vom 3. Juli 2020 – B 8 SO 2/19 R – Rn. 26): Dieser liegt in der Herstellung des Nachrangs der Sozialhilfe nach § 2 SGB XII. Damit schreibt § 103 SGB XII jedem, der - auch als Dritter - die Hilfebedürftigkeit unter den Voraussetzungen des § 103 Abs. 1 SGB XII herbeiführt (gleichgültig ob durch aktives Tun oder Unterlassen), eine Verantwortung für die von der Gemeinschaft der Steuerzahler (als Solidargemeinschaft) aufgebrachten Mittel der Sozialhilfe zu.

c) Das Verhalten des Klägers war auch subjektiv grob fahrlässig und sozialwidrig. Der Kläger hätte vor dem Hintergrund seiner persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit und seines Einsichtsvermögens bei Anwendung der ihm als Betreuer gebotenen Sorgfalt erkennen können und müssen, dass Sozialhilfebedürftigkeit eintritt und ihm tatsächlich und rechtlich ein Alternativverhalten möglich und zumutbar war. 
Dies steht zur Überzeugung des Senats fest aufgrund der persönlichen Anhörungen des Klägers im Erörterungstermin am 25. April 2018 und in der mündlichen Verhandlung vom 22. Februar 2023.

Denn der Kläger hätte nicht einfach darauf vertrauen dürfen, dass nach einem erst am 13. Juni 2005 stattgefundenen Gespräch mit Frau H. diese die Zahlungen so rechtzeitig wiederaufnimmt, dass der Kläger spätestens am 15. Juni 2005 die ausstehenden Beiträge an die Kranken- und Pflegeversicherungsträger überweisen kann. Aus der Anhörung im Erörterungstermin und in der mündlichen Verhandlung ging viel mehr deutlich hervor, dass er keinen „Plan B“ hatte und allein darauf vertraut hat, dass Beseitigung der „Hauptursache“ – so der Kläger – der ausbleibenden Zahlungen durch Frau H. hinreichend sei. Diese Annahme des Klägers erweist sich als extrem sorglos und lebensfremd vor dem Hintergrund, dass die AOK gar keine Versuche der Einziehung der Beiträge mehr unternehmen wollte und der Kläger die Überweisung hätte aktiv sicherstellen müssen. Ihm als Betreuer hätte es sich daher aufdrängen müssen, eine Vorkehrung dafür zu treffen, dass einige Tage vor dem 15. Juni 2005 eine von ihm vorgenommene Überweisung an die AOK nicht scheitert. Das hat er nicht im Ansatz getan, obwohl ihm alle Informationen hierfür aufgrund der Schreiben durch die AOK vorlagen, was der Kläger im Rahmen der Anhörungen auch nicht in Abrede gestellt hat.

Dies steht für den Senat fest aufgrund der eigenen Angaben des Klägers Im Rahmen der mündlichen Verhandlung hat der Kläger u.a. erklärt, ihm sei letztlich nicht bewusst gewesen, was der Termin 15. Juni 2005 für ein kritisches Datum gewesen sei. Er habe auf die Zusage von Frau H. vertraut und auch keinen Alternativplan wegen des Sozialamts oder der Krankenkasse gehabt. Er könne heutzutage überhaupt nicht mehr sagen, ob er sich wegen einer Beratung durch einen Rechtsanwalt oder die Betreuungsbehörde Gedanken gemacht habe, auch nicht, welche Vorstellungen er im Frühjahr 2005 gehabt habe, für den Fall, was die Probleme mit den ausstehenden Zahlungen zu den Leistungen des Pflegeheims und der AOK bedeuten würden.

Die darin zum Ausdruck kommende Sorglosigkeit des Klägers rechtfertigt den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit wie auch der Sozialwidrigkeit. Auch vor dem Hintergrund des in der mündlichen Verhandlung geschilderten individuellen Ausbildungsstandes des Klägers hätte es nur einer einfachsten Überlegung bedurft, um zu verstehen, dass die Kranken- und Pflegeversicherung mit Ablauf des 15. Juni 2005 endet. Über die Konsequenz des Sozialhilfebezuges hat sich der Kläger keine Gedanken gemacht. Ein Nichtwissen entlastet ihn nicht. Die dem Betreuer obliegende Sorgfalt hätte es notwendig gemacht, sich Rechtsrat zu beschaffen. Gerade die Gleichgültigkeit gegenüber der drohenden Bedürftigkeit zeigt die Sozialwidrigkeit im Sinne einer Missachtung des hinter dem Nachranggrundsatz stehenden Gedankens.

2. Die Kostenersatzpflicht scheidet indes aus, da das Verhalten des Klägers nicht wesentlich kausal für die Hilfebedürftigkeit der Betreuten war.
Ein Kostenersatz scheidet aus, wenn das Verhalten (bzw. Unterlassen) des Leistungsempfängers oder Dritten nicht kausal für die Hilfebedürftigkeit ist, wobei die Kausalität auch aufgrund eines Beratungsfehlers des Beklagten entfallen kann (BSG, Urteil vom 3. Juli 2020 – B 8 SO 2/19 R – Rn. 32; Simon, in: Schlegel/Voelzke (Hrsg.), jurisPK-SGB XII, 3. Aufl., § 103 SGB XII <Stand: 4. Januar 2021> Rn. 36.1), nämlich, wenn die Inanspruchnahme der Sozialhilfe durch eine gebotene Beratung seitens des Sozialhilfeträgers hätte vermieden werden können. Angesprochen ist damit die Relevanz einer Mehrfachkausalität (Tun oder Unterlassen des Betroffenen im Verhältnis zum Beratungsunterlassen der Behörde) bei der wertenden Zurechnung, insbesondere beim Unterlassen (vgl. allgemein Puppe, Rechtswissenschaft 2011, 400 <432 ff.>). Auch insoweit bedarf es einer wertenden Betrachtung, denn allein eine Beratung lässt den „Erfolg“ im Sinne einer unterlassenen Antragstellung mit der Folge eines gesteigerten Sozialhilfebedarfs nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit entfallen. Umgekehrt kann nicht jeder Erfolg dem Unterlassen einer Person zugrechnet werden, wenn eine Behörde durch pflichtgemäßes Handeln den Erfolgseintritt hätte verhindern können. Insoweit ist allgemein anerkannt, dass auch über das Kriterium der Sozialwidrigkeit hinaus bei der Kausalitätsprüfung Einschränkungen unter Zurechnungs-, Wesentlichkeits- und Adäquanzgesichtspunkten in Betracht kommen (vgl. Simon, in: Schlegel/Voelzke (Hrsg.), jurisPK-SGB XII, 3. Aufl., § 103 SGB XII (Stand: 04.01.2021) Rn. 34-36.1; zur Adäquanztheorie Decker, in: Knickrehm/Deinert, BeckOGK-SGB, (Stand 1. März 2014), § 103 SGB XII Rn. 20). Neben der Adäquanztheorie oder der Lehre von der wesentlichen Bedingung (BSG, Urteil vom 12. Mai 2021 – B 4 AS 66/20 R – juris Rn. 27 zu § 34a SGB II) unterliegt die Kausalitätsprüfung auch der Einschränkung unter dem Schutzzweck der Norm (Bieback, in: Grube/Wahrendorf/Flint, SGB XII, 7. Aufl. 2020, § 103 Rn. 24 und 26 m.w.N.). Eine fehlende Wesentlichkeit hat auch der 4. Senat des Bundessozialgerichts bezüglich eines Verhaltens eines Betreuers erwogen, wenn die Bedürftigkeit auch auf einer unzureichenden Sachbearbeitung in Gestalt eines fehlenden Hinweises auf die Möglichkeit einer Antragstellung beruht und diese fehlerhafte Sachbearbeitung nicht hinweg gedacht werden könne, ohne dass der Erfolg entfiele (BSG, Urteil vom 12. Mai 2021 – B 4 AS 66/20 R – juris Rn. 30-31 zu § 34a SGB II).
Der Senat teilt im Grundsatz diese dogmatische Verortung der Problematik eines Beratungsfehlers im Kontext eines fehlenden Zurechnungszusammenhangs. 
Hiernach fehlt es an der Ursächlichkeit des Verhaltens für die Leistungspflicht, wenn die Behörde beratungsfehlerhaft gehandelt hat und nach wertender Abwägung zwischen Unterlassen des Hilfebedürftigen oder Dritten und dem Beratungsfehler sowie ggf. weiteren Ursachen das Verhalten des Hilfebedürftigen oder Dritten nicht als wesentlich ursächlich angesehen werden kann.

Der Beklagte hat sich beratungsfehlerhaft verhalten.

Nach § 26 Abs. 1 Satz 1 SGB XI (in der Fassung des Gesetzes zur Beendigung der Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Gemeinschaften vom 16. Februar 2001, BGBl. I 266) können sich Personen, die aus der Versicherungspflicht nach § 20 oder § 21 SGB XI ausgeschieden sind und in den letzten fünf Jahren vor dem Ausscheiden mindestens 24 Monate oder unmittelbar vor dem Ausscheiden mindestens zwölf Monate versichert waren, auf Antrag in der sozialen Pflegeversicherung weiterversichern, sofern für sie keine Versicherungspflicht nach § 23 Abs. 1 SGB XI eintritt. Der Antrag ist innerhalb von drei Monaten nach Beendigung der Mitgliedschaft bei der zuständigen Pflegekasse zu stellen (§ 26 Abs. 1 Satz 3 SGB XI). Die Betreute ist mit Ablauf des 15. Juni 2005 aus der sozialen Pflegeversicherung ausgeschieden. Denn die freiwillige Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung endete zu diesem Datum nach § 191 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB V in der bis zum Ablauf des 31. März 2007 geltenden Fassung. Ein früheres Ausscheiden kann wegen des nach § 191 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB V a.F. erforderlichen Hinweises mit angemessener Nachfristsetzung (vgl. BSG, Beschluss vom 27. Januar 2000 – B 12 KR 21/99 B; LSG Baden-Württemberg, Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 24. April 2002 – L 4 KR 26/01) ausgeschlossen werden; zuletzt im Schreiben vom 25. Mai 2005 wurde eine Zahlungsmöglichkeit bis zum 15. Juni 2005 eingeräumt. Das Ausscheiden aus der Pflegeversicherung erfolgte ebenfalls mit Ablauf des 15. Juni 2005, weil die Mitgliedschaft in der Pflegeversicherung in ihrem Bestehen an die freiwillige Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung geknüpft war (§ 20 Abs. 3 SGB XI). Die Betreute war auch nicht versicherungspflichtig in der privaten Pflegeversicherung nach § 23 Abs. 1 und 4 SGB XI. Die für eine Weiterversicherung notwendigen Vorversicherungszeiten nach § 26 Abs. 1 Satz 1 SGB XI hatte sie erfüllt. 

Als der Beklagte aufgrund des Anrufes des Klägers am 6. September 2005, spätestens aber mit Eingang der Mitteilung des Pflegeheims vom 8. September 2005 Kenntnis vom Ende der Mitgliedschaft der Betreuten in der freiwilligen Kranken- und der sozialen Pflegeversicherung mit Ablauf des 15. Juni 2005 erhalten hatte, war die Frist von drei Monaten nach Beendigung der Mitgliedschaft für einen Antrag auf Weiterversicherung noch nicht abgelaufen mit der Folge, dass ein Antrag auf Weiterversicherung nach entsprechender Beratung (§ 14 Satz 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - Allgemeiner Teil - <SGB I>, § 11 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 und 3 SGB XII) durch den Kläger noch fristgerecht gestellt und damit die Leistung von Hilfe zur Pflege hätte vermieden werden können. 

Zu Unrecht wendet der Beklagte ein, die Weiterversicherung des § 26 SGB XI könne nicht nach der Beendigung einer freiwilligen Krankenversicherung wegen Zahlungsverzuges erfolgen. § 26 Abs. 1 Satz 1 SGB XI setzt lediglich das Ende einer Pflegeversicherungspflicht nach § 20 SGB XI voraus, damit ist ausdrücklich auch das Ende einer an die freiwillige Krankenversicherung nach § 20 Abs. 3 SGB XI anknüpfende Pflegeversicherungspflicht eingeschlossen. Auf die Ursachen für das Ende der Versicherungspflicht kommt es grundsätzlich nicht an, so dass das Ende der Pflegeversicherungspflicht auch vom Versicherten (selbst) zu vertreten sein kann (Bernsdorff, in: Schlegel/Voelzke (Hrsg.), jurisPK-SGB XI, 3. Aufl., § 26 SGB XI <Stand: 1. Oktober 2021> Rn. 11). Daher haben nach wohl einhelliger Ansicht der Literatur auch freiwillige Mitglieder der GKV, deren Pflegeversicherung nach § 20 Abs. 3 SGB XI endet, weil die freiwillige Mitgliedschaft wegen Zahlungsverzugs oder durch Austrittserklärung nach § 191 Nr. 3 oder 4 SGB V endet, das Recht zur freiwilligen Weiterversicherung in der Pflegeversicherung (Vossen, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung/ Pflegeversicherung, § 26 SGB XI <107. EL Juli 2020> Rn. 3; Bernsdorff a.a.O.).

Auf den richterlichen Hinweis des Berichterstatters vom 21. September 2020 hat der Beklagte nicht erklärt, dass er den Kläger entsprechend beraten hat, sondern allein das Bestehen einer entsprechenden Beratungspflicht bestritten. Auch aus der Stellungnahme der Beklagtenvertreterin in der mündlichen Verhandlung hat sich nichts Anderes ergeben.

Es bestand indes eine Verpflichtung auf die o.g. Möglichkeit der Anschlussversicherung hinzuweisen.

§ 14 Satz 1 SGB I, wonach jeder Anspruch auf Beratung über seine Rechte und Pflichten nach dem Sozialgesetzbuch hat, ist umfassend zu verstehen (BGH, Urteil vom 2. August 2018 – III ZR 466/16 – juris; zum Folgenden auch BSG, Urteil vom 3. Juli 2020 – B 8 SO 2/19 R – Rn. 33 m.w.N.). Die Beratungspflicht besteht insbesondere dann, wenn die in Frage stehenden Leistungen verfahrensrechtlich miteinander verknüpft sind. Daneben regelt § 11 SGB XII spezielle Beratungspflichten der Träger der Sozialhilfe. Nach § 11 Abs. 2 Satz 3 SGB XII sind die Leistungsberechtigten u.a. auch für den Erhalt von (anderen) Sozialleistungen zu „befähigen“. Hieraus folgt, dass die Beratungspflicht nicht auf das vom betreffenden Sozialleistungsträger anzuwendende Recht beschränkt ist (vgl. zu § 14 SGB I: BGH a.a.O., Rn. 15; Öndül in: Schlegel/Voelzke (Hrsg.), jurisPK-SGB I, 3. Aufl., § 14 SGB I (Stand: 25. April 2022), Rn. 44.1). Letztlich dürfte diese spezielle Beratungspflicht alle Möglichkeiten umfassen, den Nachranggrundsatz der Sozialhilfe zu verwirklichen. Fehlt es an einem konkreten Beratungsersuchen des Betroffenen – hier: des Klägers -, so besteht eine Pflicht zur sog. Spontanberatung dann, wenn anlässlich einer konkreten Sachbearbeitung dem jeweiligen Mitarbeiter eine naheliegende Gestaltungsmöglichkeit ersichtlich wird, die ein verständiger Betroffener wahrnehmen würde, wenn sie ihm bekannt wäre; das Ersichtlichwerden einer naheliegenden Gestaltungsmöglichkeit, ist allein nach objektiven Merkmalen zu bestimmen (BSG, Urteil vom 18. Januar 2011 – B 4 AS 29/10 R –, Rn. 14 m.w.N.). Auf den Kenntnisstand oder die Aufmerksamkeit des jeweiligen Mitarbeiters kommt es daher nicht an.

Alle Umstände, die zum Verlust des freiwilligen Krankenversicherungsschutzes und des Pflegeversicherungsschutzes bei der Betreuten führen, waren dem Beklagten spätestens mit Eingang des Schreibens des Pflegeheims am 8. September 2005 aktenkundig. Der Sachbearbeitung lag somit der vollständige Sachverhalt vor, wonach der Nachrang der Sozialhilfe im Bereich der Leistungen zur Pflege zu diesem Zeitpunkt allein durch die Antragstellung nach § 26 SGB XI hätte verwirklicht werden können. Aufgrund der o.g. Tatsachenfeststellungen teilt der Senat die Einschätzung des Bundessozialgerichts im aufhebenden und zurückverweisenden Urteil – dort Rn. 33 -, dass bereits aus den dem Beklagten bekannten, zum Verlust des Kranken- und Pflegeversicherungsschutzes führenden Umständen sich ihm ein entsprechender Beratungsbedarf geradezu aufdrängen musste, zumal der Kläger am 6. September 2005 um einen Gesprächstermin gebeten hat. Der Umstand, dass der Kläger als Betreuer selbst um die Möglichkeiten einer Weiterversicherung hätte wissen müssen, kann den Beklagten nicht von einer solchen Beratung freistellen.
Es ist kein vernünftiger Grund erkennbar, warum sich der Kläger dieser Lösung hätte verweigern können. Dies hat die Befragung des Klägers in der mündlichen Verhandlung am 22. Februar 2023 auch bestätigt. Daher kann im Verhalten des Klägers in Abwägung mit dem Beratungsfehler des Beklagten keine wesentliche Ursache für die Begründung der Bedürftigkeit gesehen werden. Dieses Ergebnis wird auch nicht dadurch in Zweifel gezogen, dass dann immer noch die Bedürftigkeit im Bereich der Krankenhilfe bzw. zur Begründung von Leistungen nach § 264 SGB V fortbestehen würde. Anders als bei der oben diskutierten Frage einer bestehenden Bedürftigkeit bei einem rechtmäßigen Alternativverhalten kommt es bei der Frage der Zurechnung immer nur auf den Zurechnungszusammenhang zu den konkreten zu ersetzenden Kosten an, also hier: zu den Hilfen zur Pflege.

3. Lediglich ergänzend weist der Senat daraufhin, dass der Anspruch allein an der fehlenden Ursächlichkeit scheitert. Aufgrund des Vortrag des Klägers steht zur Überzeugung des Senats fest, dass keine Umstände vorliegen, die eine Härte i.S. des § 103 Abs. 1 Satz 3 SGB XII begründen könnten.

II.  Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 Halbs. 3 SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Weder der Kläger noch der Beklagte gehören im hiesigen Verfahren zu den nach § 183 SGG hinsichtlich der Kosten privilegierten Personen. Daher handelt es sich um ein gerichtskostenpflichtiges Verfahren (§ 197a Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 SGG); für die Kostenverteilung sind über § 197a Abs. 1 Satz 1 Halbs. 3 SGG die Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung maßgeblich. Angesichts des vollständigen Obsiegens des Klägers ergibt sich die Kostenfolge zwingend aus § 154 Abs. 1 VwGO. Da der Beklagte auch nach Zurückverweisung unterlegen ist, hat er auch die Kosten der Revision zu tragen. Dabei kann der Senat auch die erstinstanzliche Kostenentscheidung, die offenbar auf der Annahme beruht, es handele sich um ein Verfahren nach § 183 SGG, korrigieren.

III. Revisionszulassungsgründe sind nach der Klärung aller problematischen Rechtsfragen durch BSG, Urteil vom 3. Juli 2020 – B 8 SO 2/19 R – nicht ersichtlich.
 

Rechtskraft
Aus
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