Der Freibetrag i.S.d. § 226 Abs. 2 Satz 2 SGB V ist von den monatlichen beitragspflichtigen Einnahmen nach § 229 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB V abzuziehen. Bei den monatlichen beitragspflichtigen Einnahmen nach § 229 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB V handelt es sich um den kompletten monatlichen Zahlbetrag der Versorgungsbezüge ohne Begrenzung auf die Beitragsbemessungsgrenze.
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichtes Stuttgart vom 21.05.2021 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen die Nichtberücksichtigung des Freibetrages bei der Erhebung von Beiträgen zur gesetzlichen Krankenversicherung aus einer einmaligen Kapitalleistung einer Direktversicherung.
Der 1956 geborene Kläger bezieht seit März 2019 Altersrente (bis 30.06.2019: 2.217,04 €; ab 01.07.2019: 2.287,77 €; ab 01.07.2020: 2.366,68 €) und ist bei der Beklagten in der Krankenversicherung der Rentner (KVdR) versichert. Die Beiträge aus der Rente werden vom Rentenversicherungsträger unmittelbar an die Beklagte abgeführt.
Am 30.06.2019 zahlte die S1 GmbH dem Kläger aus der betrieblichen Direktversicherung als Leistung der betrieblichen Altersversorgung einen Betrag in Höhe von 1.361.649 € aus. Mit Bescheid vom 18.07.2019 setzte die Beklagte - auch im Namen der Pflegekasse - monatliche Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung (im Folgenden KV und PV) aufgrund der ausgezahlten Kapitalleistung in Höhe von 425,80 € monatlich ab Juli 2019 fest und teilte hierzu mit, Renten und rentenähnliche Einkommen (z.B. Versorgungsbezüge) seien beitragspflichtig. Dafür werde maximal zehn Jahre lang pro Monat 1/120 der ausgezahlten Summe berücksichtigt, im Fall des Klägers ein Betrag in Höhe von 8.333,33 €. Das Einkommen des Klägers übersteige die Beitragsbemessungsgrenze von 4.537,50 € und werde daher nur bis zu diesem Betrag herangezogen. Es sei ein Einkommen in Höhe von 2.320,46 € aufgrund der ausgezahlten Kapitalleistung zu berücksichtigen (4.537,50 € abzgl. 2.217,04 € Rente). Unter Berücksichtigung einer höheren Altersrente setzte die Beklagte - auch im Namen der Pflegekasse - mit einem weiteren Bescheid vom 23.07.2019 unter Zugrundelegung eines Einkommens aus der ausgezahlten Kapitalleistung in Höhe von 2.249,73 € (4.537,50 € abzgl. 2.287,77 € Rente) ab Juli 2019 monatliche Beiträge zur KV/PV in Höhe von nunmehr insgesamt 412,83 € fest.
Aufgrund einer Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze für das Jahr 2020 auf 4.687,50 € setzte die Beklagte - auch im Namen der Pflegekasse - mit Bescheid vom 06.01.2020 Beiträge für die Zeit ab Januar 2020 zur KV und PV in Höhe von insgesamt 440,35 € monatlich (350,36 € zur KV, 16,80 € Zusatzbeitrag, 73,19 € zur PV) aufgrund eines zu berücksichtigenden Einkommens aus der ausgezahlten Kapitalleistung von 2.399,73 € (4.687,50 € abzgl. 2.287,77 € Rente) fest.
Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 23.01.2020 Widerspruch ein. Die Beklagte habe den vom Gesetzgeber beschlossenen Freibetrag für Einkünfte aus einer Betriebsrentenversicherung nicht berücksichtigt. Eine Beitragsberechnung, die die neuen gesetzlichen Vorgaben berücksichtige, sei nicht sehr schwierig. Er werde deshalb - beginnend mit dem 15.02.2020 - nur noch 417,91 € überweisen. Mit Schreiben vom 21.02.2020 mahnte die Beklagte ausstehende Beiträge für Januar 2020 in Höhe von 24,44 € beim Kläger an. Hiergegen legte der Kläger ebenfalls mit Schreiben vom 13.03.2020 Widerspruch ein und wiederholte seine Begründung aus dem Widerspruchsschreiben vom 25.01.2020. Mit einem weiteren Schreiben vom 20.03.2020 mahnte die Beklagte ausstehende Beiträge in Höhe von 53,88 € (Mahnkosten 5,00 €) an. Zudem lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 24.03.2020 den telefonischen Antrag des Klägers vom 23.03.2020 auf Aussetzung der Vollziehung ab, wogegen der Kläger mit Schreiben vom 29.04.2020 ebenfalls Widerspruch einlegte.
Aufgrund einer Rentenerhöhung des Klägers setzte die Beklagte mit Bescheid vom 04.06.2020 die monatlichen Beiträge - auch im Namen der Pflegekasse - ab dem 01.07.2020 in Höhe von insgesamt 425,88 € (338,84 € zur KV, 16,25 € Zusatzbeitrag, 70,79 € zur PV) aufgrund eines zu berücksichtigenden Einkommens aus der ausgezahlten Kapitalleistung von 2.320,82 € (4.687,50 € abzgl. 2.366,68 € Rente) fest. Auch hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 27.06.2020 Widerspruch ein.
Der Widerspruchsausschuss der Beklagten wies sodann die Widersprüche des Klägers gegen die Bescheide vom 06.01.2020, 24.03.2020 und 04.06.2020 mit Widerspruchsbescheid vom 20.08.2020 als unbegründet zurück. Die dem Kläger ausgezahlte Kapitalleistung stelle eine einmalige Leistung der betrieblichen Altersversorgung dar und resultiere aus einer vom ehemaligen Arbeitgeber zu Gunsten des Klägers abgeschlossenen Direktversicherung. Bei versicherungspflichtigen Rentnern würden der Beitragsbemessung der Zahlbetrag der Rente der Gesetzlichen Rentenversicherung (GRV), der Zahlbetrag der Versorgungsbezüge und das Arbeitseinkommen zugrunde gelegt (§ 237 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch [SGB V]). Trete an die Stelle der Versorgungsbezüge eine nicht regelmäßig wiederkehrende Leistung oder sei eine solche Leistung vor Eintritt des Versicherungsfalls vereinbart oder zugesagt worden, gelte 1/120 der Leistung als monatlicher Zahlbetrag der Versorgungsbezüge, längstens jedoch für 120 Monate (§ 229 Abs. 1 Satz 3 SGB V). Ab dem 01.01.2020 gelte infolge des GKV-BRG für Versorgungsbezüge nach § 229 Abs. 1 Nr. 5 SGB V bei der Bemessung der Beiträge in der GKV ein Freibetrag. Eine Änderung der Beitragsbemessung aus der Kapitalleistung ab dem 01.01.2020 ergebe sich für den Kläger daraus jedoch nicht, da seine beitragspflichtigen Einnahmen die Beitragsbemessungsgrenze bei weitem überstiegen. Der Freibetrag sei von der dem Grunde nach beitragspflichtigen Leistung der betrieblichen Altersversorgung abzuziehen. Die Ablehnung der Aussetzung der Vollziehung sei zudem zutreffend erfolgt, da eine offensichtliche Rechtswidrigkeit der Beitragsforderung, unbillige Härte oder ein überwiegendes Interesse an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung gegenüber dem Vollzugsinteresse der Beklagten nicht vorliege.
Am 04.09.2020 hat der Kläger, vertreten durch seine Prozessbevollmächtigte, Klage beim Sozialgericht Stuttgart (SG) erhoben und zur Begründung vorgetragen, auch in seinem Fall müsse das Betriebsrentenfreibetragsgesetz umgesetzt werden und zu einer Beitragsentlastung führen. Das Gesundheitsministerium gehe seiner Ansicht nach davon aus, dass nur der Versorgungsbezug über dem 1/20 der Bezugsgröße bis zur Beitragsbemessungsgrenze zu verbeitragen sei. Die Ziele des Gesetzgebers würden konterkariert, wenn der gesetzliche Freibetrag nur denjenigen zugutekommen würde, deren Versorgungsbezug betragsmäßig unter der Beitragsbemessungsgrenze liege.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat auf ihre Ausführungen im Widerspruchsbescheid verwiesen.
Aufgrund einer Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze sowie einer Erhöhung des Zusatzbeitrages hat die Beklagte mit Bescheid vom 19.12.2020 - auch im Namen der Pflegekasse - die monatlichen Beiträge ab dem 01.01.2021 zur KV und PV in Höhe von insgesamt 465,75 € (360,74 € zur KV, 29,65 € Zusatzbeitrag, 75,36 € zur PV) aufgrund eines zu berücksichtigenden Einkommens aus der ausgezahlten Kapitalleistung von 2.470,82 € (4.837,50 € abzgl. 2.366,68 € Rente) festgesetzt. Das monatliche Einkommen aus Betriebsrenten werde bei der Berechnung der Beiträge zur KV maximal um einen Freibetrag von monatlich 164,50 € gemindert. In der PV werde der Freibetrag nicht berücksichtigt. Da das Einkommen des Klägers die Beitragsbemessungsgrenze überschreite, habe der Freibetrag keine Auswirkungen auf das zu berücksichtigende Einkommen. Der Kläger wurde zudem über sein Sonderkündigungsrecht informiert.
Mit Bescheid vom 06.01.2021 hat die Beklagte den Kläger über das Ende seiner Mitgliedschaft am 28.02.2021 informiert. Für Dezember 2020 sei noch ein Betrag in Höhe von 425,88 € und für Januar und Februar 2021 ein Betrag in Höhe von 465,75 € zu zahlen.
Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 21.05.2021 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, allein streitig sei die Frage, ob der zum 01.01.2020 neu eingeführte Freibetrag aus § 226 Abs. 2 Satz 2 SGB V von dem monatlichen Zahlbetrag der Kapitalleistung (1/120 der Leistung) oder von der für den vorliegenden Fall Anwendung findenden Beitragsbemessungsgrenze in Abzug zu bringen sei. Nach § 226 Abs. 2 Satz 2 SGB V sei der Freibetrag in Höhe von 1/20 der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) von den monatlichen beitragspflichtigen Einnahmen nach § 229 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB V in Abzug zu bringen. Bei den beitragspflichtigen Einnahmen nach § 229 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB V handele es sich aber um den Zahlbetrag im Ganzen. Der Begriff der beitragspflichtigen Einnahme werde in keiner Weise von der Beitragsbemessungsgrenze beschränkt. Dies ergebe sich bereits aus § 223 Abs. 3 Satz 1 SGB VI. Hiernach seien die beitragspflichtigen Einnahmen bis zu einem Betrag von 1/360 der Jahresarbeitsentgeltgrenze nach § 6 Abs. 7 SGB V für den Kalendertag zu berücksichtigen (Beitragsbemessungsgrenze). Die Gesetzessystematik zeige daher eindeutig auf, dass zunächst (sämtliche) beitragspflichtigen Einnahmen zu ermitteln seien und erst im Nachgang bei der konkreten Beitragsermittlung nur bis zu dem Betrag der Beitragsbemessungsgrenze Berücksichtigung finden sollten. Somit werde deutlich, dass der Begriff der beitragspflichtigen Einnahmen nach § 229 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB VI losgelöst von der Beitragsbemessungsgrenze zu verstehen sei. Da der Gesetzgeber in der gesetzlichen Regelung des Freibetrags ausdrücklich auf die beitragspflichtigen Einnahmen nach § 229 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB V verweise, verbleibe keinerlei Raum für eine andere und somit über den ausdrücklichen Wortlaut der Norm hinausgehende Auslegung. Der Freibetrag komme auch dem Kläger zu Gute. Er sei von der Beklagten berücksichtigt worden, habe jedoch lediglich beitragsmäßig keine Entlastung gebracht. Die vorliegende gesetzliche Regelung konterkariere auch nicht die Ziele des Gesetzgebers, die Attraktivität der betrieblichen Altersversorgung zu stärken. Die hier streitige Problematik betreffe lediglich wenige Empfänger von erheblichen Kapitalleistungen. Konkret betroffen von einem gänzlichen „Leerlaufen“ der gesetzlichen Neuregelung seien die Personen, die im Jahr 2020 eine monatliche Zahlleistung von mindestens 4.846,75 € (beitragspflichtiges Entgelt bis zur Beitragsbemessungsgrenze in Höhe von 4.687,50 € + Freibetrag in Höhe von 159,25 €) erhielten. Für eine Kapitalleistung bedeute dies - ausgehend von den Beitragssätzen für das Jahr 2020 - eine Einmalzahlung in Höhe von mindestens 581.610,00 €. Der Argumentation des Klägers stehe bereits der ausdrückliche Wortlaut entgegen. Die Beklagte habe die Vorschrift rechtsfehlerfrei angewandt.
Gegen den seiner Prozessbevollmächtigten am 25.05.2021 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 17.06.2021 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt und zur Begründung ausgeführt, § 226 Abs. 2 Satz 1 SGB V stelle durch seine Formulierung klar, dass nur Beiträge aus Versorgungsbezügen zu erheben seien, wenn die beitragspflichtigen Einnahmen insgesamt 1/20 der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 SGB IV überstiegen. Deshalb könne nur der den 20. Teil der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 SGB V übersteigende Versorgungsbezug zur Beitragsbemessung herangezogen werden. Der Freibetrag komme damit jedem Versicherten, der Einnahmen nach § 226 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und 4 SGB V habe, zugute. In § 226 Abs. 2 Satz 2 SGB V sei insofern eine wiederholende Regelung enthalten, die nicht notwendig gewesen wäre und lediglich eine ergänzende Klarstellung hinsichtlich der Versorgungsbezüge aus betrieblicher Altersvorsorge gemäß § 229 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB V enthalte. Die vom SG gewählte Auslegung, bei der betrieblichen Altersvorsorge sei von diesen Einnahmen der Freibetrag nur rein mathematisch abzuziehen, widerspreche § 226 Abs. 2 Satz 1 SGB V, wonach eben ein Beitrag zu entrichten sei, wenn die Einnahme den 20. Teil der monatlichen Bezugsgröße übersteige. Sie widerspreche auch den Veröffentlichungen des Gesundheitsministeriums bzw. des Gesundheitsministers Jens Spahn. In diesen Veröffentlichungen werde ausdrücklich erwähnt, dass die Entlastung alle Bezieher von betrieblicher Altersvorsorge betreffen sollte. Die strittige Problematik treffe nicht nur wenige Empfänger von erheblichen Kapitalleistungen. Das Verhältnis von § 226 Abs. 2 Satz 1 zu § 226 Abs. 2 Satz 2 SGB V werfe insofern grundsätzliche Fragen auf. § 226 Abs. 2 Satz 2 SGB V könne nicht isoliert betrachtet werden. Im Übrigen seien die vom SG vorgenommenen Berechnungen zum Kreis der Betroffenen falsch. Sie berücksichtigten nicht, dass die allermeisten Versicherten neben Einnahmen aus der betrieblichen Altersvorsorge noch über weitere Bezüge verfügten, die ebenfalls zur Beitragsbemessung heranzuziehen seien. Die Beitragsbemessungsgrenze gelte für die Summe aller Einnahmen, nicht für die Einnahmen aus betrieblicher Altersvorsorge gesondert. Dementsprechend würde der Kläger bei Anwendung der Auslegung des SG neben seiner Altersrente in Höhe von 2.287,77 € brutto bereits ab einer Kapitalleistung aus betrieblicher Altersvorsorge in Höhe von 307.077,60 € nicht mehr vom Freibetrag profitieren. Abgezinst auf eine Lebenserwartung von noch 22 Jahren, würde man 1.163,17 € aus der betrieblichen Altersvorsorge als monatliche Rente ansetzen. Dies entspräche mit einem Gesamtbetrag von 3.450,94 € einer Beamtenpension entsprechend A12. Der betroffene Personenkreis dürfte daher deutlich größer sein, als vom SG angenommen. Auch die Beklagte sei zunächst von seiner Rechtsauffassung ausgegangen. So habe es im Schreiben vom 28.01.2020 wörtlich geheißen: "Das bedeutet, dass für Leistungen aus der betrieblichen Altersvorsorge erst Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung zu zahlen sind, wenn der Versorgungsbetrag den Freibetrag übersteigt."
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichtes Stuttgart vom 21.05.2021 sowie die Bescheide vom 06.01.2020 und 04.06.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.08.2020 sowie den Bescheid vom 19.12.2020 aufzuheben, soweit in diesen höhere beitragspflichtige Einnahmen als Bemessungsgrundlage für die Ermittlung der Beiträge zur Krankenversicherung herangezogen wurden, als sich bei Abzug des Freibetrages i.S.d. § 226 Abs. 2 Satz 2SGB V von der Beitragsbemessungsgrenze ergeben,
hilfsweise die Revision zuzulassen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung hat sie auf die angefochtene Entscheidung verwiesen.
Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie die beigezogene Akte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
1. Die Berufung des Klägers ist zulässig. Sie ist gemäß § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft und gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegt. Die Berufung bedurfte gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG auch nicht der Zulassung, da sich der Kläger gegen die Höhe von Beitragsfestsetzungen für mehr als ein Jahr wendet (vgl. § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).
2. Streitgegenständlich sind im vorliegenden Verfahren die Bescheide vom 06.01.2020 und 04.06.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.08.2020 (§ 95 SGG) sowie der Bescheid vom 19.12.2020, mit denen die Beklagte Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung im noch streitigen Zeitraum vom 01.01.2020 bis 28.02.2021 aus einem Versorgungsbezug festgesetzt hat. Der Kläger wendet sich hierbei allein gegen die Höhe des Krankenversicherungs-beitrages (inklusive Zusatzbeitrag), insbesondere die Anwendung des ab dem 01.01.2020 in § 226 Abs. 2 Satz 2 SGB V geregelten Freibetrages durch die Beklagte, die bei ihm zu keiner Beitragsentlastung führt.
Da für die zur sozialen Pflegeversicherung zu zahlenden Beiträge § 226 Abs. 2 Satz 2 SGB V aufgrund einer bewusst fehlenden Verweisung in § 57 Abs. 1 Satz 1 SGB XI (Änderung der bisherigen umfassenden Bezugnahme auf § 226 SGB V zu einer differenzierenden Bezugnahme nur auf § 226 Abs. 1, 2 Satz 1 und Abs. 3 und 4 SGB V zum 01.01.2020 durch Art. 2 GKV-Betriebsrentenfreibetragsgesetz vom 21.12.2019, BGBl I 2019, 2913., vgl. hierzu auch Beschlussempfehlung und Bericht, BT-Drs. 19/15877, S. 14) nicht gilt, ist vorliegend allein die Höhe der Krankenversicherungsbeiträge streitig, weshalb sich die Klage auch nur gegen die beklagte Krankenkasse richtet.
Der bereits während des Klageverfahrens ergangene Bescheid vom 19.12.2020 ist gemäß § 96 Abs. 1 SGG Verfahrensgegenstand geworden. Nach § 96 Abs. 1 SGG wird ein neuer Verwaltungsakt nach Klageerhebung dann Gegenstand des Klageverfahrens, wenn er nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangen ist und den angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt. Da der Bescheid vom 19.12.2020 zur Regelung desselben Rechtsverhältnisses ergangen ist, indem er die Beitragshöhe dem ab dem 01.01.2021 geltenden Beitragssatz angepasst und somit den Bescheid vom 04.06.2020 ersetzt hat, ist er vorliegend Gegenstand des Klageverfahrens geworden (vgl. B. Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 96 Rn. 4). Zeitlich begrenzt wird der hier noch streitige Zeitraum durch das Ende der Mitgliedschaft des Klägers bei der Beklagten zum 28.02.2021 (vgl. Bescheid vom 06.01.2021).
Der Bescheid vom 24.03.2020, mit welchem die Beklagte den telefonischen Antrag des Klägers vom 23.03.2020 auf Aussetzung der Vollziehung abgelehnt hat, in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.08.2020 (§ 95 SGG) ist nicht mehr Streitgegenstand, nachdem der Kläger an einer Anfechtung dieses Bescheids in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nicht mehr festgehalten hat.
3. Die Berufung des Klägers ist unbegründet. Die Bescheide vom 06.01.2020 und 04.06.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.08.2020 (§ 95 SGG) sowie der Bescheid vom 19.12.2020 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine geringere Festsetzung seiner Beiträge im streitigen Zeitraum vom 01.01.2020 bis 28.02.2021.
Der Kläger ist als Rentner in der Krankenversicherung der Rentner (§ 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V) und damit ebenso in der sozialen Pflegeversicherung pflichtversichert (§ 20 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 11 SGB XI). Daher sind seine Versorgungsbezüge beitragspflichtig. Nach § 237 Satz 1 SGB V werden bei versicherungspflichtigen Rentnern der Beitragsbemessung in der gesetzlichen Krankenversicherung neben dem Zahlbetrag der Rente der gesetzlichen Rentenversicherung (Nr. 1) und dem Arbeitseinkommen (Nr. 3) der Zahlbetrag der der Rente vergleichbaren Einnahmen (Nr. 2) zugrunde gelegt. § 226 Abs. 2 SGB V und die §§ 228, 229, 231 SGB V gelten nach § 237 Satz 4 SGB V entsprechend. Zu den der Rente vergleichbaren Einnahmen (Versorgungsbezüge) im Sinne des § 237 Satz 1 Nr. 2 SGB V gehören auch - wie vorliegend die Leistung der S1 GmbH - Renten der betrieblichen Altersversorgung im Sinne von § 229 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB V. Tritt an die Stelle der Versorgungsbezüge eine nicht regelmäßig wiederkehrende Leistung oder ist eine solche Leistung vor Eintritt des Versicherungsfalls vereinbart oder zugesagt worden, gilt nach § 229 Abs. 1 Satz 3 SGB V als monatlicher Zahlbetrag der Versorgungsbezüge 1/120 der Leistung, längstens jedoch für 120 Monate. Entsprechend § 226 Abs. 2 Satz 1 SGB V sind Beiträge nur zu entrichten, wenn die monatlichen Einnahmen aus Versorgungsbezügen und Arbeitseinkommen insgesamt 1/20 der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 SGB IV übersteigen. Dies gilt nach § 57 Abs. 1 Satz 1 SGB XI auch für die Beitragserhebung zur sozialen Pflegeversicherung.
Nach § 226 Abs. 2 Satz 2 SGB V in der ab dem 01.01.2020 geltenden Fassung (Art. 1 Ziff. 2 des GKV-Betriebsrentenfreibetragsgesetz vom 21.12.2019) ist von den monatlichen beitragspflichtigen Einnahmen nach § 229 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB V ein Freibetrag in Höhe von 1/20 der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 SGB IV abzuziehen, wenn die monatlichen beitragspflichtigen Einnahmen nach § 226 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und 4 SGB V insgesamt 1/20 der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 SGB IV überschreiten; der abzuziehende Freibetrag ist der Höhe nach begrenzt auf die monatlichen beitragspflichtigen Einnahmen nach § 229 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB V. Wie das SG bereits zutreffend ausgeführt hat, handelt es sich bei den monatlichen beitragspflichtigen Einnahmen nach § 229 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB V um den kompletten monatlichen Zahlbetrag der Versorgungsbezüge ohne Begrenzung auf die Beitragsbemessungsgrenze. Eine Begrenzung der beitragspflichtigen Einnahmen auf die Höhe der Beitragsbemessungsgrenze nach § 223 Abs. 3 SGB V erfolgt erst in einem zweiten Schritt nach Bestimmung der monatlich beitragspflichtigen Beträge nach Abzug des Freibetrages gemäß § 226 Abs. 2 Satz 2 SGB V.
Dies ergibt sich bereits aus dem klaren Wortlaut des § 226 Abs. 2 Satz 2 SGB V, wonach der Freibetrag von den monatlichen beitragspflichtigen Einnahmen nach § 229 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB V abzuziehen ist. Gemäß § 226 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB V ist hierbei der Zahlbetrag der der Rente vergleichbaren Einnahmen (Versorgungsbezüge) der Beitragsbemessung zugrunde zu legen. Dies ist der sich nach Anwendung einschlägiger Versagungs-, Kürzungs- oder Ruhensvorschriften ergebende Bruttobetrag (Klaus Peters in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl. 2023, § 229 Rn. 115; Mecke, in: Becker/Kingreen, 8. Aufl. 2022, SGB V § 226 Rn. 7, 8).
Diese Auslegung ergibt sich auch aus der Gesetzessystematik. Der Zweite Titel (§§ 226–240) des Ersten Abschnitts des Achten Kapitels des SGB V regelt die beitragspflichtigen Einnahmen der Mitglieder. Kern und Ausgangspunkt der Regelung ist § 226 Abs. 1 Satz 1 SGB V zu den vier Arten der beitragspflichtigen Einnahmen von versicherungspflichtig Beschäftigten: Arbeitsentgelt, Renten der GRV, Versorgungsbezüge und Arbeitseinkommen. Diese Einnahmearten werden an anderen Stellen legaldefiniert: Arbeitsentgelt (aus abhängiger Beschäftigung) in § 14 SGB IV, Arbeitseinkommen (aus selbständiger Tätigkeit) in § 15 SGB IV, Renten in § 228 SGB V und Versorgungsbezüge in § 229 SGB V. In § 226 SGB V wird die Heranziehung der Einnahmearten zu Beiträgen bei versicherungspflichtigen Beschäftigten präzisiert und modifiziert (BeckOGK/Beck, Stand 01.03.2022, SGB V § 226 Rn. 4). Die hiernach bestimmten beitragspflichtigen Einnahmen sind Grundlage der Beitragsbemessung (§ 223 Abs. 2 Satz 1 SGB V) und sind bis zu einem Betrag von 1/360 der Jahresarbeitsentgeltgrenze nach § 6 Abs. 7 SGB V für den Kalendertag zu berücksichtigen (§ 223 Abs. 3 Satz 1 SGB V).
Während § 226 Abs. 2 Satz 1 SGB eine Bagatellgrenze definiert, wonach Beiträge hieraus nur zu zahlen sind, wenn die monatlichen beitragspflichtigen Einnahmen aus Versorgungsbezügen und Arbeitseinkommen gemeinsam 1/20 der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 SGB IV übersteigen, normiert § 226 Abs. 2 Satz 2 SGB V einen Freibetrag, wonach Einnahmen in Höhe von 1/20 der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 SGB IV beitragsfrei bleiben, jedoch keine Obergrenze, bis zu der Einnahmen überhaupt der Beitragsbemessung unterworfen werden sollen (so auch Vossen, in: Krauskopf, 116. EL September 2022, SGB V § 226 Rn. 14; a.A. Peters, NZS 2021, 207, 210). Durch den Freibetrag des § 226 Abs. 2 Satz 2 SGB V wurde gerade nicht die Beitragsbemessungsgrenze für die Einnahmen aus Renten der betrieblichen Altersversorgung i.S.d. § 229 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB V herabgesetzt, sondern ein von den beitragspflichtigen Einnahmen abzusetzender Freibetrag eingeführt. Wäre dies anders beabsichtigt gewesen, hätte der Wortlaut des § 226 Abs. 2 Satz 2 SGB V eine entsprechende Formulierung enthalten müssen.
Die Ausführungen im Gesetzesentwurf (Drucksache 19/15438) stehen dem nicht entgegen. Die Entwurfsverfasser formulierten zwei Ziele: Einerseits sollen die aktuellen Beitragszahler entlastet werden, andererseits soll die Attraktivität betrieblicher Altersvorsorge gestärkt werden (BT-Drs. 19/15438, S. 11). Inwieweit der Gesetzgeber hierbei auch die Betriebsrentner im Blick hatte, bei denen die Beitragsbemessungsgrenze unter Anwendung des § 238 SGB V überschritten wird, ist dem Gesetzentwurf nur dergestalt zu entnehmen, dass davon ausgegangen wurde, dass auch Betriebsrentner mit Leistungen der betrieblichen Altersversorgung von derzeit mehr als 320,00 € jährlich um 300,00 € entlastet würden (BT-Drs. 19/15438, S. 8). Weiter ist dem Gesetzesentwurf Folgendes zu entnehmen: „Zwar reduziert sich mit steigender betrieblicher Rente der prozentuale Entlastungsbetrag. Vor dem Hintergrund, dass die Mindereinnahmen von allen übrigen gesetzlich Krankenversicherten zu finanzieren sind, ist eine Begrenzung des Entlastungsvolumens bei Rentnerinnen und Rentnern mit hohen Betriebsrenten mit Blick auf die Verteilungsgerechtigkeit gleichwohl sachgerecht.“ (BT-Drs. 19/15438, S. 12).
Dem Gesetzesentwurf ist nicht zu entnehmen, dass sich der Gesetzgeber mit der Problematik der über der Beitragsbemessungsgrenze liegenden Einnahmen auseinandergesetzt hätte und dies entsprechend berücksichtigen wollte. Insbesondere ist in dem Entwurf an anderer Stelle auch folgende Formulierung enthalten: „Der neu eingeführte Freibetrag ist ausschließlich auf die Gesamtsumme der Versorgungsbezüge nach § 229 Absatz 1 Satz 1 Nummer 5 erster Halbsatz anzuwenden.“ (BT-Drs. 19/15438, S. 11). Eine Begrenzung dieser „Gesamtsumme“ auf die Höhe der Beitragsbemessungsgrenze ist dem gerade nicht zu entnehmen. Aufgrund dieser uneindeutigen Formulierungen im Gesetzesentwurf stehen diese dem eindeutigen Wortlaut des § 226 Abs. 2 Satz 2 SGB V jedenfalls nicht entgegen, selbst wenn der Gesetzgeber eine Entlastung aller Betriebsrentner angestrebt haben sollte. Letztlich kommt der Freibetrag auch dem Kläger zugute und wird von seinen Einnahmen abgezogen. Dies wirkt sich nur - aufgrund der deutlich über der Beitragsbemessungsgrenze liegenden Einnahmen - nicht auf die Beitragshöhe aus.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.
5. Die Revision wird zugelassen. Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG). Insbesondere liegt keine höchstrichterliche Rechtsprechung zu der Frage vor, ob die monatlichen beitragspflichtigen Einnahmen nach § 229 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB V, auf welche § 226 Abs. 2 Satz 2 SGB Bezug nimmt, durch die Beitragsbemessungsgrenze der Höhe nach - vor Anwendung des Freibetrages - begrenzt werden.