Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Oldenburg vom 13.1.2022 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Klägerin begehrt von der Beklagten Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung nach dem SGB XI entsprechend dem Pflegegrad 3.
Die 1933 geborene, bei ihrem Sohn und der Schwiegertochter in einem Haus in Ganderkesee lebende Klägerin ist bei der Beklagten gesetzlich pflegeversichert und erhält seit 2007 Pflegegeld nach der Pflegestufe I bzw. ab 2017 nach dem Pflegegrad 2. 1991 erlitt sie bei einem Autounfall u.a. ein Thorax- sowie ein Schädel-Hirntrauma und eine Sternumfraktur. Des Weiteren leidet sie u.a. Morbus Parkinson, einem Pankreastumor und einer Herzschwäche sowie an einer Harn- und Stuhlinkontinenz. Am 27.2.2020 stellte sie bei der Beklagten einen Antrag für Höherstufung des Pflegegrades. Daraufhin beauftragte die Beklagte ihren medizinischen Dienst (MD). Dieser ermittelte auf der Grundlage eines Telefon-Interviews mit Gutachten vom 27.3.2020 unter Berücksichtigung der seitens der Klägerin insbesondere im Wirbelsäulenbereich geklagten Schmerzen, einer hypochondrischen Störung, Rippenprellungen, Doppelbildern, Kurzatmigkeit bei Belastung, eines auf Schwindel basierenden unsicheren Gangbildes sowie nächtlicher Bein- und Fingerkrämpfe und hieraus resultierender erheblicher Unterstützungsbedarfe in der Mobilität und bei der Selbstversorgung sowie geringer Beeinträchtigungen der Selbständigkeit und der Fähigkeiten 28,75 pflegegeldrelevante (gewichtete)Punkte.
Hierauf gestützt lehnte die Beklagte den Höherstufungsantrag mit Bescheid vom 14.4.2020 ab. Um Pflegeleistungen entsprechend dem Pflegegrad 3 zu erzielen seien mindestens 47,5 Punkte erforderlich. Aufgrund des hiergegen gerichteten Widerspruch der u.a. auf ein Bauchtrauma und eine Instabilität auch der Stütz- und Sinneszellen hinweisenden Klägerin holte die Beklagte ein weiteres Gutachten des MD vom 17.7.2020 ein. Die Zweitgutachterin kam nach Aktenlage erneut zu dem Ergebnis, dass bei der Klägerin 28,75 pflegerelevante Punkte zu berücksichtigen seien. Die Beklagte wies den Widerspruch daraufhin mit Widerspruchsbescheid vom 29.10.2020 als unbegründet zurück.
Die Klägerin hat hiergegen am 4.11.2020 bei dem Sozialgericht (SG) Oldenburg Klage erhoben und hiermit ihr Begehren auf Pflegeleistungen entsprechend dem Pflegengrad 3 weiterverfolgt. Zur Begründung hat sie unter Vorlage einer Vielzahl von (zumeist älteren) ärztlichen Berichten die Ansicht vertreten, dass der bisherige Pflegegrad 2 nicht ausreichend sei. Die Ursache des zu den Stand- und Gangunsicherheiten führenden Schwindels liege in einer bei ihr vorliegenden zentralen Hirnstammverletzung und einer Rückenmarksverletzung. Kopf- und Körperbewegungen verursachten viele Verkrampfungen mit Druckschmerz.
Das Gericht hat Befundberichte der die Klägerin behandelnden Ärzte eingeholt (Dr. C. vom 30.1.2021, Dr. D. vom 10.2.2021, Dr. E., undatiert) und sodann ein medizinisches sGutachten der Pflegesachverständigen Prof. Dr. F. vom 31.7.2020 einegeholt. Diese stellte nach Durchführung eines Hausbesuches bei der Klägerin insgesamt 40 gewichtete Punkte fest. Die höhere Punktzahl beruhe darauf, dass eine Verschlechterung in der Mobilität und eine erhöhte Sturzgefahr eingetreten seien. Die Klägerin sei im Frühjahr 2021 schwer gestürzt. Sie sei nicht nur nachts, sondern insgesamt stuhlinkontinent und überwiegend unselbstständig, da sie mehrmals täglich Anleitung bzw. Beaufsichtigung benötige. Hierbei sei zu berücksichtigen, dass sie selbstständig einen Toilettenstuhl im Wohn- und Esszimmer benutze, wenn die Schwiegertochter nicht vor Ort sei und sie schnell zur Toilette müsse.
Mit Gerichtsbescheid vom 13.1.2022 hat das SG die Klage abgewiesen. Bei der Klägerin bestünden nach den überzeugenden Feststellungen der Sachverständigen keine gesundheitlich bedingten Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten, die zu einem Gesamt-punktwert von mindestens 47,5 Punkten führten. Die Voraussetzungen für die begehrte Einstufung in den Pflegegrad 3 lägen mithin nicht vor.
Die Klägerin hat am 18.1.2022 Berufung eingelegt. Zur Begründung trägt sie unter Wiederholung und Vertiefung ihres bisherigen Vortrags vor, dass bei ihr entgegen der Auffassung des SG ein zum Pflegegrad 3 führender Unterstützungsbedarf bestehe. Insbesondere der Zeitaufwand für ihre Stuhlinkontinenz in flüssiger Form sei nicht hinreichend berücksichtigt worden. Ihre gesamte Mobilität sei gestört. Sie leide an Sprach-, Gedächtnis- und Wortfindungsstörungen. Ruhen und Schlafen seien ihr kaum mehr möglich.
Die Klägerin beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
- den Gerichtsbescheid des SG Oldenburg vom 13.1.2022 sowie den Bescheid der Beklagten vom 14.4.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.10.2020 aufzuheben,
- die Beklagte zu verurteilen, ihr ab Antragstellung Leistungen entsprechend dem Pflegegrad 3 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verweist auf ihre angefochtenen Bescheide und die erstinstanzliche Entscheidung.
Der Senat hat eine ergänzende Stellungnahme von Prof. Dr. G. vom 3.9.2022 eingeholt, die ihre im o.g. Gutachten vertretenen Einschätzungen aufrecht erhält.
Die Beteiligten haben sich schriftsätzlich mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der Entscheidung geworden sind.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung, über die gemäß § 155 Abs. 3 i.V.m. Abs. 4 SGG und § 124 Abs. 2 SGG mit Einverständnis der Beteiligten der Berichterstatter ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheidet, ist nicht begründet.
Der Gerichtsbescheid des SG vom 13.1.2022 sowie der Bescheid der Beklagten vom 14.4.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.10.2020 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung von Pflegeleistungen nach dem Pflegegrad 3 ab dem 27.2.2020.
Die Voraussetzungen gem. § 37 Abs. 1 i.V.m. §§ 14, 15 SGB XI für die Annahme einer zur Gewährung von Leistungen nach dem Pflegegrad 3 geforderten Pflegebedürftigkeit der Klägerin sind vorliegend nicht erfüllt. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird gem. § 153 Abs. 2 SGG auf die umfassenden und in jeder Hinsicht zutreffenden Ausführungen des SG in dessen mit der vorliegenden Berufung angefochten Entscheidung sowohl zu den einschlägigen Rechtsvorschriften mit dem hierzu entwickelten pflegfachlichen Begutachtungsinstrument als auch zu den im Falle der Klägerin nicht erfüllten Mindestanforderungen für den Pflegegrad 3, nämlich dem Erreichen von mindestens 47,4 (gewichteten) Gesamtpunkten verwiesen.
Das Vorbringen der Klägerin im Berufungsverfahren gibt keinen Anlass von dem Ergebnis des erstinstanzlichen Klageverfahrens abzuweichen. Soweit sie hier – wie bereits im erstinstanzlichen Verfahren - vorträgt, dass sie an erheblicheren Gesundheitsstörungen leide, als seitens der Gutachter und der Sachverständigen festgestellt worden sei, so hat dem die bereits erstinstanzliche gutachterlich tätig gewordene Pflegesachverständige Prof. Dr. G. für den Senat zutreffend entgegenhalten, dass für die Feststellung der Pflegegrades nicht die Anzahl der medizinischen Diagnosen maßgeblich ist, sondern die hieraus ggf. folgende Pflegebbedürftigkeit und die Fähigkeit, Alltagsaktivitäten mehr oder weniger selbständig durchführen zu können. Die Gleichgewichtsstörungen und Bewegungseinschränkungen wurden in den hierfür einschlägigen Modulen 1 und 4 für die Mobilität und die Selbstversorgung zutreffend berücksichtigt. Darüber hinaus sind erhebliche Einschränkungen in den Modulen 2 und 3 (kognitive und kommunikative Fähigkeiten, Verhaltensweisen und psychische Problemlagen) mit plausibler und den Senat überzeugender Begründung nicht festgestellt worden.
Die für die Beurteilung der Pflegebedürftigkeit (allein) maßgeblichen gesundheitlich bedingten Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit bzw. der Fähigkeiten der Klägerin i.S. von § 14 Abs. 2 SGB XI sind durch die seitens der Beklagten veranlassten Gutachten und die zur Akte gelangten ärztlichen Berichte und Stellungnahmen erschöpfend ermittelt und dokumentiert. Der Senat sieht sich nicht zu einer Sachverhaltsaufklärung durch Einholung weiterer pflegefachlicher und/oder medizinischer Gutachten oder Stellungnahmen gehalten.
Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 183, 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision, § 160 Abs. 2 SGG, liegen nicht vor.