L 11 AL 10/22

Land
Niedersachsen-Bremen
Sozialgericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
1. Instanz
SG Stade (NSB)
Aktenzeichen
S 16 AL 54/18
Datum
2. Instanz
LSG Niedersachsen-Bremen
Aktenzeichen
L 11 AL 10/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Der Bezug von Übergangsgeld wegen beruflicher Rehabilitation begründet keine Versicherungspflicht nach § 26 Abs. 2 Nr. 1 SGB III und ist dementsprechend nicht anwartschaftsbegründend i.S.d. § 142 SGB III. Dies ist auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (Anschluss an BSG, Urteil vom 4. Dezember 2014 B 5 AL 1/14 R). Zur Unmittelbarkeit i.S.d. § 26 Abs. 2 letzter Halbsatz SGB III (hier: verneint bei einem zeitlichen Abstand von ca. 15,5 Monaten zwischen einem ersten und einem zweiten Zeitraum des Bezugs von Verletztengeld bei Unterbrechung durch den Bezug von Übergangsgeld wegen beruflicher Rehabilitation)

Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Stade vom 10. November 2011 wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Gewährung von Arbeitslosengeld (Alg) nach Maßgabe des Sozialgesetzbuchs Drittes Buch – Arbeitsförderung – (SGB III). Streitig ist insbesondere die Erfüllung der Anwartschaft.

Nachdem der 1962 geborene Kläger zuletzt in der Zeit von Mai bis Dezember 2009 Alg bezogen hatte, war er vom 1. Januar 2010 bis 18. September 2011 bei der H. GmbH als Montageleiter beschäftigt. In diesem Arbeitsverhältnis erlitt er am 1. August 2011 einen Arbeitsunfall, aufgrund dessen ihm eine Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 30 % bewilligt wurde (vgl. Bescheid der Berufsgenossenschaft Energie Textil Elektro Medienerzeugnisse – BG ETEM – vom 8. Dezember 2015). Unmittelbar im Anschluss an das Beschäftigungsverhältnis bei der H. GmbH war der Kläger bis zum 28. Februar 2012 als Serviceleiter bei der I. GmbH beschäftigt. Aufgrund arbeitsunfallbedingter Arbeitsunfähigkeit bezog er vom 1. März 2012 bis 8. Januar 2013 Verletztengeld. Anschließend absolvierte er vom 9. Januar 2013 bis 25. April 2014 eine von der BG getragene berufliche Reha-Maßnahme (Umschulung zum Technischen Betriebswirt), während der er Übergangsgeld bezog. Nach einem erneuten Bezug von Verletztengeld wegen arbeitsunfallbedingter Arbeitsunfähigkeit (26. April 2014 bis 30. September 2015) war der Kläger als Ausbilder (Dozent) bei der J. GmbH beschäftigt. Die am 1. Oktober 2015 aufgenommene Beschäftigung endete noch während der Probezeit durch arbeitgeberseitige Kündigung zum 29. März 2016.

Den vom Kläger für die Zeit ab 30. März 2016 gestellten Alg-Antrag lehnte die Beklagte mit der Begründung ab, dass der Kläger die zwölfmonatige Anwartschaftszeit nicht erfüllt habe (Bescheid vom 14. April 2016).

Hiergegen erhob der Kläger am 6. Mai 2016 Widerspruch und machte geltend, dass der Bezug von Verletztengeld lediglich durch das während der Umschulung zum Technischen Betriebswirt bezogene Übergangsgeldbezug unterbrochen worden sei. Er sei sowohl vor als auch nach den beiden Verletztengeldbezugszeiten versicherungspflichtig beschäftigt gewesen, so dass die Anwartschaftszeit erfüllt sei.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit der ergänzenden Begründung zurück, dass die Zeit des Übergangsgeldbezugs (9. Januar 2013 bis 25. April 2014) nicht anwartschaftsbegründend sei, weil es sich hierbei um eine berufliche und nicht um eine medizinische Rehabilitation gehandelt habe. Der nach Abschluss der beruflichen Rehabilitation erfolgte erneute Verletztengeldbezug (26. April 2014 bis 30. September 2015) sei ebenfalls nicht anwartschaftsbegründend, da der Kläger nicht unmittelbar zuvor versicherungspflichtig gewesen sei, sondern eine berufliche Rehabilitation absolviert habe (mit Bezug von Übergangsgeld). Eine solche berufliche Reha-Maßnahme führe zwar zu einer entsprechenden Verlängerung der für die Anwartschaftszeit maßgeblichen Rahmenfrist um die Anzahl der Tage der Reha-Maßnahme (hier: 472 Tage; maßgebliche Rahmenfrist somit: 14. Dezember 2012 bis 29. März 2016). In dieser verlängerten Rahmenfrist sei der Kläger jedoch lediglich an 207 Tagen versicherungspflichtig gewesen, nämlich 26 Tage wegen des Bezugs von Verletztengeld und 181 Tage aufgrund der Beschäftigung bei der J. GmbH. Somit werde die für einen Alg-Bezug erforderliche Anwartschaftszeit von 360 Tagen nicht erfüllt (Widerspruchsbescheid vom 10. Mai 2016, Eingang beim Bevollmächtigten des Klägers am 17. Mai 2016).

Am 15. Juni 2016 hat der Kläger beim Sozialgericht (SG) Stade sowohl Klage erhoben als auch einstweiligen Rechtsschutz beantragt. Das Eilverfahren ist erst- und zweitinstanzlich erfolglos geblieben. Das SG und der 12. Senat des erkennenden Gerichts haben einen Anordnungsanspruch mit u.a. der Begründung verneint, dass der Kläger unmittelbar vor dem zweiten Verletztengeldbezug nicht versicherungspflichtig gewesen sei, so dass der zweite Verletztengeldbezug keine Anwartschaft auf Alg begründet habe (Beschlüsse des SG sowie des LSG Niedersachsen-Bremen vom 31. August 2016 – S 16 AL 5/16 ER und 14. Oktober 2016 – L 12 AL 54/16 B ER).

Mit seiner Klage hat der Kläger geltend gemacht, sowohl während seiner Verletztengeldbezugszeiten als auch während seiner abhängigen Beschäftigung versicherungspflichtig gewesen zu sein. Der Verletztengeldbezug sei einheitlich auf den Arbeitsunfall vom 1. August 2011 zurückzuführen. Infolge des Arbeitsunfalls sei der Kläger „durchgehend und ohne Änderungen arbeitsunfähig“ gewesen. Der Bezug von Arbeitsentgelt (zunächst von der H. GmbH und anschließend von der I. GmbH), Verletztengeld, Übergangsgeld, erneutem Verletztengeld und nachfolgendem Arbeitsentgelt aus der neuen Beschäftigung (J. GmbH) sei lückenlos gewesen. Die Versicherungspflicht des zweiten Verletztengeldbezugs (26. April bis 30. September 2015) ergebe sich aus dem unmittelbar vorangegangenen versicherungspflichtigen ersten Verletztengeldbezug (1. März 2012 bis 8. Januar 2013). Gegen eine Unmittelbarkeit der beiden Verletztengeldbezugszeiten spreche auch nicht der zwischenzeitliche Bezug von Übergangsgeld wegen beruflicher Rehabilitation (also vom 9. Januar 2013 bis 25. April 2014), weil nach der neueren Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) für das Tatbestandsmerkmal „unmittelbar“ nicht starr auf einen einmonatigen Zeitraum, sondern auf eine Wertung im Einzelfall abzustellen sei ( Bezugnahme auf BSG, Urteile vom 23. Februar 2017 – B 11 AL 3/16 R sowie B 11 AL 4/16 R –; wegen dieser beiden Revisionsverfahren hatten die Beteiligten das erstinstanzliche Klageverfahren zeitweise ruhend gestellt). Zugunsten des Klägers sei zu berücksichtigen, dass es sich vor Eintritt der Arbeitslosigkeit um einen durchgehenden Rehabilitationsvorgang gehandelt habe. Der Kläger habe sich gerade nicht – wie vom BSG für eine Unterbrechung der Unmittelbarkeit gefordert – von der Arbeitslosenversicherung abgekehrt.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 10. November 2021 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass der Kläger die erforderliche Anwartschaftszeit von mindestens 12 Monaten innerhalb der verlängerten Rahmenfrist (14. Dezember 2012 bis 29. März 2016) nicht erfüllt habe. In diesem Zeitraum sei der Kläger nur vom 1. Oktober 2015 bis 29. März 2016 (Beschäftigungsverhältnis bei der K. GmbH – 181 Tage) sowie vom 14. Dezember 2012 bis 8. Januar 2013 (Verletztengeldbezug – 26 Tage) versicherungspflichtig gewesen.

Während der beruflichen Reha-Maßnahme habe keine Versicherungspflicht bestanden, da es sich um eine berufliche und nicht um eine medizinische Rehabilitation gehandelt habe (§ 26 Abs. 2 Nr. 1 SGB III). Die Regelung im SGB III, wonach Zeiten einer beruflichen Rehabilitation nicht anwartschaftsbegründend seien, sondern (lediglich) zur Verlängerung der Rahmenfrist führen, sei auch nach der Rechtsprechung des BSG nicht zu beanstanden (vgl. hierzu im Einzelnen: Seite 7 des Urteils). Der auf die berufliche Rehabilitation folgende zweite Verletztengeldbezug (vom 26. April 2014 bis 30. September 2015) sei nicht anwartschaftsbegründend gewesen, da keine Versicherungspflicht nach § 26 Abs. 2 Nr. 1 SGB III bestanden habe. Hierzu wäre erforderlich gewesen, dass unmittelbar vor Beginn des zweiten Verletztengeldbezugs Versicherungspflicht bestanden hätte. Die vor Beginn des zweiten Verletztengeldbezugs absolvierte berufliche Reha-Maßnahme sei jedoch nicht versicherungspflichtig gewesen.

Entgegen der Auffassung des Klägers könne der zweite Verletztengeldbezug nicht i.S.d. § 26 Abs. 2 Nr. 1 SGB III als auf den ersten Verletztengeldbezug unmittelbar folgend angesehen werden. Auch wenn nach der aktuellen Rechtsprechung des BSG insoweit keine starre einmonatige Grenze gelte, sei der Abstand von 15 Monaten zwischen dem Ende des ersten und dem Beginn des zweiten Verletztengeldbezuges zu lang, um eine Unmittelbarkeit i.S.d. § 26 Abs. 2 SGB III begründen zu können. Der Vortrag des Klägers, durchgehend Sozialleistungen aufgrund des Arbeitsunfalls bezogen und nie aus dem Kreis der Versichertengemeinschaft ausgeschieden zu sein, führe zu keinem anderen Ergebnis. Den leistungsrechtlichen Nachteilen, die sich aus der fehlenden Versicherungspflicht für berufliche Reha-Maßnahmen ergeben, werde bereits durch die Verlängerung der Rahmenfrist Rechnung hinreichend Rechnung getragen. Eine solche Verlängerung wäre nicht erforderlich, wenn ein sich an eine berufliche Reha-Maßnahme anschließender Bezug von Entgeltersatzleistungen in jedem Fall zur Versicherungspflicht führen würde. Die Kammer folge insoweit nicht der Rechtsauffassung des SG Berlin aus seinem Urteil vom 6. Dezember 2019 – S 58 AL 646/19.

Gegen das dem Kläger am 24. Januar 2022 zugestellte Urteil richtet sich seine am 15. Februar 2022 eingelegte Berufung. Der Rechtsauffassung des SG zur Unmittelbarkeit i.S.d. § 26 Abs. 2 Nr. 1 SGB III könne nicht gefolgt werden. Auf ein Zeitmoment komme es in der vorliegenden Fallgestaltung nicht an. Ebenso wenig existiere eine gefestigte Rechtsprechung dazu, ob in dieser Fallkonstellation ein Zeitmoment erforderlich sei bzw. wie lang dieses sein müsse. In Anlehnung an die Urteile des BSG vom 23. Februar 2017 habe das SG Berlin entschieden, dass ein mehrere Monate andauernder Bezug von Übergangsgeld wegen beruflicher Rehabilitation der Unmittelbarkeit des Bezugs von Verletztengeld sowohl vor als auch nach der beruflichen Reha-Maßnahme nicht entgegenstehe (Urteil vom 6. Dezember 2019 – S 58 AL 646/19). Durch § 26 SGB III solle gerade sichergestellt werden, dass Anwartschaftszeiten ohne Beschäftigung nur Personen zu Gute kommen, die sich von der Arbeitslosenversicherung noch nicht abgekehrt haben. Ebenso wenig spreche § 143 Abs. 3 SGB III gegen die Anerkennung der beiden Verletztengeldbezugszeiten als Versicherungszeiten. Der Gesetzgeber habe mit dieser Regelung eine beitragsfreie Aufrechterhaltung des Versicherungsschutzes geschaffen. Die Teilnahme an einer beruflichen Reha-Maßnahme solle sich nicht negativ auf eine bereits zuvor erarbeitete Anwartschaft auswirken. Hierzu komme es aber, wenn man nur die der beruflichen Reha vorausgehenden Verletztengeldbezugszeiten als Versicherungszeiten nach § 26 Abs. 2 SGB II anerkenne. Maßgeblich sei der sachliche Zusammenhang der verschiedenen Zeiten, nicht dagegen allein eine zeitliche Komponente (wie z.B. die Dauer der beruflichen Reha-Maßnahme). Ausreichend sei, dass es für den Betroffenen kennzeichnend sei, dass er, obwohl er einer versicherungspflichtigen Beschäftigung nicht nachgehe, doch ursprünglich zum Kreis der Versicherungspflichtigen gehört habe bzw. gehören würde, wenn er nicht durch besondere Umstände (hier: Arbeitsunfall) an einer Beschäftigung und damit am Bezug von Erwerbseinkommen gehindert worden wäre.

 

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stade vom 10. November 2021 sowie den Bescheid der Beklagten vom 14. April 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Mai 2016 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm für die Zeit ab dem 30. März 2016 Arbeitslosengeld nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

 

       die Berufung zurückzuweisen.

Sie bezieht sich zur Begründung auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid sowie in der erstinstanzlichen Entscheidung. Das SG habe die Rechtsprechung des BSG überzeugend berücksichtigt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des übrigen Vorbringens der Beteiligten wird auf die den Kläger betreffende Verwaltungsakte der Beklagten sowie auf die erst- und zweitinstanzliche Gerichtsakte verwiesen. Diese sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.

 

Entscheidungsgründe

Der Senat entscheidet mit Zustimmung der Beteiligten (vgl. Schriftsätze vom 2. und 9. Dezember 2022) ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG -).

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, jedoch unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Alg für die Zeit ab 30. März 2016.

Nach § 137 Abs. 1 SGB III hat Anspruch auf Alg bei Arbeitslosigkeit (§ 136 Abs. 1 Nr. 1 SGB III), wer arbeitslos ist, sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet und die Anwartschaftszeit erfüllt hat.

Die Anwartschaftszeit hat erfüllt, wer in der Rahmenfrist, die nach § 143 SGB III (hier: in der bis zum 31. Dezember 2019 geltenden Fassung) zwei Jahre beträgt und mit dem Tag vor der Erfüllung aller sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Alg beginnt, mindestens 12 Monate (= 360 Tage, vgl. hierzu: § 339 SGB III) in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden hat (§ 142 Abs. 1 Satz 1 SGB III). In die Rahmenfrist werden Zeiten nicht eingerechnet, in denen die oder der Arbeitslose von einem Rehabilitationsträger Übergangsgeld wegen einer berufsfördernden Maßnahme bezogen hat. In diesem Fall endet die Rahmenfrist spätestens fünf Jahre nach ihrem Beginn (§ 143 Abs. 3 Satz 1 und 2 SGB III).

1.

Die Beklagte hat die im Grundsatz zweijährige Rahmenfrist (30. März 2014 bis 29. März 2016) in Anwendung von § 143 Abs. 3 SGB III zutreffend um die Zahl der Tage des Übergangsgeldbezugs verlängert (= 472 Tage), so dass die für den Kläger maßgebliche Rahmenfrist am 14. Dezember 2012 begann und am 29. März 2016 endete. Diese Rahmenfrist ist zwischen den Beteiligten auch unstreitig.

2.

Innerhalb dieser Rahmenfrist stand der Kläger lediglich an 207 Tagen in einem Versicherungspflichtverhältnis, nämlich während des ersten Bezugs von Verletztengeldes (nur) in der Zeit vom 14. Dezember 2012 (erster Tag der Rahmenfrist) bis 8. Januar 2013 (letzter Tag des Verletztengeldbezugs vor Aufnahme der beruflichen Rehabilitation am 9. Januar 2013) – also für 26 Tage - sowie während seiner Beschäftigung bei der J. GmbH (vom 1. Oktober 2015 bis 29. März 2016 – also für weitere 181 Tage). Die Versicherungspflicht für den Bezug von Verletztengeld für die Zeit vom 14. Dezember 2012 bis 8. Januar 2013 beruht auf § 26 Abs. 2 Nr. 1 SGB III (Versicherungspflicht für die Zeit des Bezugs von Verletztengeld bei unmittelbar vor Beginn der Leistung bestehender Versicherungspflicht), weil der Kläger unmittelbar vor Beginn des ersten Verletztengeldbezugs als Beschäftigter der I. GmbH versicherungspflichtig i.S.d. § 24 Abs. 1 SGB III war (Beschäftigungsverhältnis vom 19. September 2011 bis 28. Februar 2012; Beginn des ersten Verletztengeldbezugs am 1. März 2012). Die Versicherungspflicht der Beschäftigung bei der J. GmbH ergibt sich aus § 24 Abs. 1 SGB III.

Mit diesen 207 Tagen Versicherungspflicht erreicht der Kläger nicht die in § 142 Abs. 1 SGB III für einen Alg-Anspruch vorgeschriebene Mindestanzahl von 360 Tagen Versicherungspflicht.

3.

Entgegen der Auffassung des Klägers stand er innerhalb der maßgeblichen Rahmenfrist (14. Dezember 2012 bis zum 29. März 2016) an keinen weiteren Tagen in einem Versicherungspflichtverhältnis i.S.d. § 142 Abs. 1 SGB III.

a.

Während des Bezugs von Übergangsgeld wegen Teilnahme an der Umschulung zum Technischen Betriebswirt (also in der Zeit vom 1. Oktober 2015 bis 29. März 2016) stand der Kläger in keinem Versicherungspflichtverhältnis i.S.d. §§ 24ff. SGB III.

Er war in dieser Zeit unstreitig kein versicherungspflichtiger Beschäftigter oder Auszubildender i.S.d. §§ 24, 25 SGB III. Es bestand auch kein Versicherungspflichtverhältnis nach § 26 Abs. 2 Nr. 1 SGB III. Nach dieser Vorschrift sind Personen in der Zeit versicherungspflichtig, für die sie von einem Leistungsträger Mutterschaftsgeld, Krankengeld, Versorgungskrankengeld, Verletztengeld oder von einem Träger der medizinischen Rehabilitation Übergangsgeld beziehen, wenn sie unmittelbar vor Beginn der Leistung versicherungspflichtig waren oder Anspruch auf eine laufende Entgeltersatzleistung nach dem SGB III hatten.

Der Kläger bezog während der Umschulung zum Technischen Betriebswirt von der BG ETEM Übergangsgeld wegen beruflicher Rehabilitation, nicht dagegen – wie in § 26 Abs. 2 Nr. 1 SGB III vorausgesetzt – von einem Träger der medizinischen Rehabilitation. Die Gewährung von Übergangsgeld von einem Träger der beruflichen Rehabilitation kann nach der Rechtsprechung des BSG auch nicht dem Bezug von Übergangsgeld von einem Träger der medizinischen Rehabilitation gleichgestellt werden (BSG, Beschluss vom 21. März 2007 - B 11a AL 171/06 B). Dieser Rechtsprechung des BSG wird allgemein gefolgt (vgl. etwa Luik, jurisPR-SozR 17/2007; Schneil in: beck-online.GROSSKOMMENTAR (Gagel), Stand: Dezember 2021, § 26 SGB III Rn. 22), auch vom erkennenden Senat (vgl. Urteile vom 29. September 2020 und vom 7. März 2022 - L 11 AL 60/19 und L 11 AL 5/21). Bereits in der Gesetzesbegründung zur Vorgängervorschrift war ausdrücklich klargestellt worden, dass Zeiten des Bezugs von Übergangsgeld wegen der Teilnahme an einer berufsfördernden Maßnahme zur Rehabilitation nicht als Zeiten eines Versicherungspflichtverhältnisses berücksichtigt werden sollen (BT-Drs. 13/4941, Seite 158). Stattdessen und zur Vermeidung sozialer Härten führt der Bezug von Übergangsgeld wegen beruflicher Rehabilitation zu einer Verlängerung der Rahmenfrist (§ 143 Abs. 3 SGB III, vgl. auch insoweit die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 13/4941, Seite 158), im vorliegenden Fall also zur Verlängerung der im Grundsatz zweijährigen Rahmenfrist um 472 Tage (s.o. Abschnitt 1.).

Die Beschränkung der Versicherungspflicht nach § 26 Abs. 2 Nr. 1 SGB III auf Zeiten des Bezugs von Übergangsgeld wegen medizinischer Rehabilitation ist auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. hierzu im Einzelnen: BSG, Urteil vom 4. Dezember 2014 - B 5 AL 1/14 R). Da der Gesetzgeber in seiner sozialpolitischen Gestaltung weitgehend frei ist, kommt es auch nicht darauf an, ob eine andere Regelung – etwa: die Wertung von Zeiten des Bezugs von Übergangsgeld während einer beruflichen Rehabilitation als versicherungspflichtig - sozialpolitisch wünschenswerter wäre (vgl. hierzu nochmals: BSG, Urteil vom 4. Dezember 2014, a.a.O.).

 

b.

Entgegen der Auffassung des Klägers war der der beruflichen Reha-Maßnahme nachfolgende zweite Verletztengeldbezug nicht versicherungspflichtig und somit auch nicht anwartschaftsbegründend.

Dies ergibt sich – worauf die Beklagte und das SG zutreffend hingewiesen haben – aus § 26 Abs. 2 Nr. 1 SGB III. Nach dieser Vorschrift führt ein Verletztengeldbezug nur dann zur Versicherungspflicht, wenn der Betroffene unmittelbar vor Beginn des Verletztengeldes versicherungspflichtig war oder Anspruch auf eine laufende Entgeltersatzleistung nach dem SGB III hatte.

Der Kläger hatte unmittelbar vor dem 26. April 2014 (= erster Tag des zweiten Verletztengeldbezugs) Übergangsgeld wegen beruflicher Rehabilitation nach Maßgabe des SGB VII bezogen, nämlich vom 9. Januar 2013 bis 25. April 2014. Bei diesem Übergangsgeld handelt es sich weder um eine laufende Entgeltersatzleistung nach dem SGB III noch war der Kläger während des Bezugs des Übergangsgeldes versicherungspflichtig (s.o. Abschnitt a.).

Soweit der Kläger vor dem Übergangsgeld bereits (erstmalig) Verletztengeld bezogen hatte (nämlich vom 1. März 2012 bis 8. Januar 2013), handelte es sich bei diesem ersten Verletztengeldbezug zwar um ein Versicherungspflichtverhältnis (s.o. Abschnitt 2.). Allerdings lag dieser am 8. Januar 2013 beendete Verletztengeldbezug nicht – wie nach § 26 Abs. 2 letzter Halbsatz SGB III für eine Versicherungspflicht erforderlich - „unmittelbar vor“ dem am 26. April 2014, also erst ca. 15,5 Monate später beginnenden zweiten Verletztengeldbezug.

Zwar weist der Kläger zutreffend daraufhin, dass – entgegen der früheren Verwaltungspraxis der Beklagten – für das in § 26 Abs. 2 Nr. 1 letzter Halbsatz SGB III genannte Tatbestandsmerkmal „unmittelbar vor Beginn der Leistung“ nicht auf einen starren einmonatigen Zeitraum abgestellt werden darf, sondern eine wertende Betrachtung vorzunehmen ist (vgl.: BSG, Urteile vom 23. Februar 2017 – B 11 AL 3/16 R und B 11 AL 4/16 R). Allerdings kommt der Dauer der Unterbrechung eine indizielle Bedeutung zu, insbesondere wenn sich die Unterbrechung als besonders lange darstellt (BSG, Urteil vom 23. Februar 2017 – B 11 AL 3/16 R -, Rn. 25 unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 28. August 2007 - B 7/7a AL 50/06 R, Rn. 16, die Unmittelbarkeit bei einer dreijährigen Unterbrechung verneinend).

In Übereinstimmung mit dem SG wertet auch der erkennende Senat die zeitliche Dauer der Unterbrechung des Verletztengeldbezugs über mehr als 15,5 Monate (nämlich vom 9. Januar 2013 bis 25. April 2014) als ein gewichtiges Indiz gegen die in § 26 Abs. 2 Nr. 1 SGB III zwingend vorgeschriebene Unmittelbarkeit.

Soweit das BSG in seinen Entscheidungen vom 23. Februar 2017 – B 11 AL 3/16 R sowie B 11 AL 4/16 R – Zeiträume von 53 Tagen (zwischen vorherigem Alg-Bezug und dem Beginn einer Erwerbsminderungsrente) bzw. 38 Tagen (zwischen dem Ende der Versicherungspflicht und dem Beginn des Bezugs von Krankengeld) als für das Tatbestandsmerkmal „unmittelbar“ unschädlich angesehen hat, gilt dies nicht für eine Unterbrechung des Verletztengeldbezugs durch eine – wie im vorliegenden Fall - mehr als 15,5-monatige berufliche Rehabilitation. Hiergegen spricht zunächst, dass das BSG die im vorliegenden Fall entscheidungserhebliche Frage nach der rechtlichen Bedeutung einer Unterbrechung mehrerer Leistungen i.S.d. § 26 Abs. 2 Nr. 1 SGB II (hier: erster und zweiter Verletztengeldbezug des Klägers) durch einen dazwischenliegenden Bezug von Übergangsgeld wegen beruflicher Rehabilitation ausdrücklich offengelassen hat (vgl. BSG, Urteil vom 23. Februar 2017 - B 11 AL 4/16 R -, Rn. 15). Auch sind die Zeiträume, für die das BSG noch eine Unmittelbarkeit bejaht hat (38 bzw. 53 Tage) deutlich kürzer als der mehr als 15,5 Monate andauernde Übergangsgeldbezug des Klägers. Dies gilt auch für andere Fälle, in denen von der Rechtsprechung für Zeiträume von mehr als einem Monat eine Unmittelbarkeit i.S.d. § 26 Abs. 2 Nr. 1 SGB III noch bejaht wurde (45 Tage bzw. sechs Wochen, vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21. November 2018 – L 3 AL 2273/18 sowie LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 27. September 2018 – L 1 AL 3/17). Die vom Kläger ausdrücklich angeführte Entscheidung des SG Berlin vom 6. Dezember 2019 – S 58 AL 646/19 betrifft ebenfalls einen deutlich kürzeren als den im vorliegenden Verfahren streitbefangenen ca. 15,5-monatigen Zeitraum, nämlich unter vier Monate (vgl. nochmals zur Indizwirkung der Dauer der Unterbrechung für das Tatbestandsmerkmal „Unmittelbarkeit“: BSG, Urteil vom 23. Februar 2017 – B 11 AL 3/16 R, Rn. 25).

Zusätzlich spricht – worauf bereits das SG zutreffend hingewiesen hat – die Sonderregelung des § 143 Abs. 3 SGB III dagegen, zwei durch einen mehr als 15 Monate andauernden Übergangsgeldbezug unterbrochene Verletztengeldbezugszeiten (noch) als unmittelbar i.S.d. § 26 Abs. 2 Nr. 1 SGB III anzusehen. Mit § 143 Abs. 3 SGB III hat der Gesetzgeber für Zeiten des Übergangsgeldbezugs wegen beruflicher Rehabilitation eine spezielle und damit abschließende Regelung getroffen. Danach führt der Bezug von Übergangsgeld wegen beruflicher Rehabilitation nicht zur Versicherungspflicht nach § 26 SGB III (vgl. hierzu oben Abschnitt 3.a.), sondern (nur) zu einer Verlängerung der für die Anwartschaftszeit maßgeblichen Rahmenfrist (vgl. oben Abschnitt 1.). Diese Regelung ist aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden (vgl. BSG, Urteil vom 4. Dezember 2014 – B 5 AL 1/14 R sowie oben Abschnitt 3.a.). Bei der in § 143 Abs. 3 SGB III enthaltenen Regelung handelt es sich um die vom Gesetzgeber gewollte (einzige) Kompensation für etwaige Nachteile, die hinsichtlich der Anwartschaftszeit aus der Versicherungsfreiheit während des Bezugs von Übergangsgeld wegen beruflicher Rehabilitation auftreten können. Es wäre widersinnig, zwar eine Abkehr von der Arbeitslosenversicherung für die Zeit des Bezugs von Übergangsgeld wegen beruflicher Rehabilitation zu bejahen (nämlich aufgrund der vom Gesetzgeber ausdrücklich gewollten diesbezüglichen Versicherungsfreiheit gemäß § 26 Abs. 2 Nr. 1 SGB III, vgl. hierzu oben bereits Abschnitt), andererseits aber für einen diesem Zeitraum der Abkehr von Arbeitslosenversicherung nachfolgenden Zeitraum (hier: zweiter Verletztengeldbezug nach mehr als 15,5-monatigem Verletztengeldbezug wegen beruflicher Rehabilitation) eine Abkehr von der Arbeitslosenversicherung zu verneinen oder eine „Rückkehr“ zur Arbeitslosenversicherung anzunehmen. Der anderslautenden Rechtsprechung des SG Berlin (Urteil vom 6. Dezember 2019, a.a.O.) folgt der erkennende Senat dementsprechend nicht.

4.

Der Kläger kann einen Alg-Anspruch für die im vorliegenden Verfahren streitbefangene Zeit ab 30. März 2016 auch nicht auf etwaige Restansprüche eines früheren Alg-Anspruchs stützen. Der letzte Alg-Anspruch des Klägers war am 1. Mai 2009 entstanden und somit bereits vor dem 30. März 2016 erloschen (§ 161 Abs. 2 SGB III).

5.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG), liegen nicht vor. ----------------------

Rechtskraft
Aus
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