I. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.003,24 € nebst Zinsen in Höhe von 4 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 14.07.2021 zu zahlen.
II. Die Klägerin trägt 45% der Kosten des Verfahrens, die Beklagte 55%.
III. Der Streitwert wird auf 1.895,95 € festgesetzt.
T a t b e s t a n d :
Die Parteien streiten um die Kosten stationärer Krankenhausbehandlung iHv 1.003,24 €.
Die Klägerin betreibt ein nach § 108 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V) zur Versorgung der Versicherten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zugelassenes Krankenhaus.
Sie behandelte die bei der Beklagten Versicherten G., F. und H. in den Jahren 2017 bzw. 2019 stationär. Die Beklagte bezahlte alle ursprünglichen Rechnungen der Klägerin, verrechnete aber eine von ihr geltend gemachte (Teil-) Überzahlung zu den jeweiligen Behandlungsfällen mit anderen unstreitigen Forderungen der Klägerin.
Mit ihrer am 27.12.2021 erhobenen Klage machte die Klägerin ursprünglich einen Betrag von insgesamt 3.023,08 € geltend. Die Klage bezüglich einer Rückforderung in Sachen H. nahm die Klägerin mit Schreiben vom 01.03.2022 zurück (892,71 €). Die Kammer hat mit Beschluss vom 12.10.2022 das Verfahren in Höhe von 1.127,13 € (Verrechnung in Sachen F.) abgetrennt.
Die Klägerin behandelte die Versicherte G. vollstationär im Zeitraum 16.08.2019 bis 20.08.2019 wegen des Verdachts auf Schlafanfall in der Stroke Unit. Nach Abschluss der Behandlung rechnete sie die DRG B69C zu einem Gesamtbetrag iHv 3.699,05 € ab.
Die Beklagte beglich die Forderung, beauftragte jedoch den Medizinischen Dienst (MD) mit der Prüfung zur Frage, ob alle Voraussetzungen für die Kodierung der OPS 8-981.0 (neurologische Komplexbehandlung des akuten Schlaganfalls, mindestens 24 bis höchstens 72 Stunden) erfüllt worden seien.
Der MD kam in seinem Gutachten vom 09.11.2020 zu dem Ergebnis, dass die Voraussetzungen für die Kodierung der OPS nicht vorlägen. Die Dokumentation der mind. 6-stündlichen (nachts 8-stündlichen) ärztlichen Nachuntersuchungen sei nicht ausreichend, da keine Befunderhebung zur Sensibilität angegeben worden sei. Die Klinik akzeptierte dieses Ergebnis nicht, so dass die Beklagte erneut den MD um Stellungnahme ersuchte. Der MD blieb in seiner Stellungnahme vom 06.06.2021 bei der Ansicht, dass die in der OPS geforderten ärztlichen neurologischen Nachuntersuchungen unvollständig seien. Die geforderte regelmäßige neurologische Nachuntersuchung diene der Früherkennung einer Schlaganfallprogression, eines erneuten Schlaganfalls bzw. einer anderen Komplikation während des Überwachungszeitraumes im Rahmen der Schlaganfallkomplexbehandlung. Die Nachuntersuchung sollte daher den gesamten Neurostatus umfassen und nicht nur die initial betroffenen Bereiche. Um dies zu gewährleisten seien mindestens eine neurologische Befunderhebung zu Bewusstsein, Fazialisparese, Motorik Arm/ Motorik Bein, Sprache und Sensibilität gefordert.
Unter Bezug auf das MD-Gutachten verrechnete die Beklagte ihren behaupteten Rückforderungsanspruch aus diesem Behandlungsfall am 12.07.2021 mit einer anderen unstreitigen Forderung der Klägerin gegenüber der Beklagten und zeigte dies mit Schreiben vom 12.07.2021 an. Wörtlich heißt es dort: "wir haben daher den Kürzungsbetrag in Höhe von 1.003,24 € von einer anderen Rechnung abgesetzt."
Die Klägerin ist der Ansicht, dass die streitige OPS keine zwingenden Vorgaben mache, wie die dort vorgegebene "sechsstündliche Überwachung und Dokumentation des neurologischen Befundes durch den Arzt zur Früherkennung von Schlaganfallprogression (...)" zu erfolgen habe. Bei ihr erfolge die Erhebung des neurologischen Befundes patientenindividuell und symptomorientiert. Das Fehlen von Angaben zur Sensibilität sei unerheblich für die Kodierbarkeit der streitigen OPS. Eine Erstattungsforderung aus dem Behandlungsfall habe der Beklagten daher nicht zugestanden. Im Übrigen habe die Aufrechnung auch gegen das gesetzliche Aufrechnungsverbot verstoßen.
Die Klägerin beantragt,
Die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 1.003,24 € nebst Zinsen in Höhe von 4 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14.07.2021 zu zahlen.
Die Beklagte beantragte,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung werde auf die Ausführungen im MD-Gutachten verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Akten der Beteiligten Bezug genommen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
Die Klage ist zulässig. Die Klägerin hat mit der erhobenen (echten) Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG die richtige Klageart gewählt (ständige Rechtsprechung u.a. BSG 14.10.2014, B 1 KR 25/13, juris; BSG 14.10.2014, B 1 KR 26/13 R, SozR 4-2500 § 301 Nr. 3). Es handelt sich um einen sogenannten Parteienstreit im Gleichordnungsverhältnis, in dem eine Regelung durch Verwaltungsakt nicht in Betracht kommt, kein Vorverfahren durchzuführen und eine Klagefrist nicht zu beachten ist (BSG 28.11.2013, B 3 KR 33/12 R, SozR 4-5562 § 9 Nr. 5).
Die Klage ist zudem vollumfänglich begründet, denn die Klägerin hat Anspruch auf Zahlung der Vergütung in beantragter Höhe und dementsprechend auch auf die Zahlung von Zinsen.
1.
Die Klägerin hat einen (weiteren) Vergütungsanspruch für die Behandlung des bei der Beklagten versicherten Patienten, mit dessen Vergütungsanspruch die Beklagte die behauptete Erstattungsforderung aus dem Behandlungsfall G. am 12.07.2021 aufgerechnet hat. Der Streitgegenstand der Leistungsklage ist der prozessuale Anspruch, nämlich der von der Klägerin auf Grund eines bestimmten Sachverhalts an das Gericht gerichtete Begehren der im Klageantrag bezeichneten Entscheidung (vgl. MKLS/B. Schmidt, 13. Aufl. 2020, SGG § 95 Rn. 5 mit weiteren Nachweisen (mwN)). Der Streitgegenstand wird damit ganz wesentlich durch die gestellten Anträge sowie die Klagebegründung und dem ermittelten Lebenssachverhalt bestimmt (vgl. Eschner in Jansen, Sozialgerichtsgesetz, Kommentar, SGG, § 94 Rn. 13 mwN). Überträgt man diese Grundsätze auf das vorliegende Verfahren, leitet die Klägerin ihren geltend gemachten Zahlungsanspruch aus der unstreitigen Forderung her, mit welchem die Beklagte ihren behaupteten Erstattungsanspruch aufgerechnet hat. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG bedarf es hinsichtlich der unstreitigen Forderung auf Vergütung der Krankenhausbehandlung, mit welchem die Beklagte aufgerechnet hat, keiner näheren Prüfung durch das Gericht, so dass es hierzu auch keines weiteren Sachvortrags durch die Klägerin bedarf (BSG, Urteil vom 21.04.2015 - B 1 KR 8/15 R -, juris m.w.N.).
2.
Diese Forderung aus dem unstreitigen Behandlungsfall ist durch die Aufrechnung mit einem öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch wegen Überzahlung der Vergütung für die Krankenhausbehandlung der Versicherten G. nicht analog § 387 Bürgerliches Gesetzbuch erloschen (zur entsprechenden Anwendung auf überzahlte KH-Vergütung vgl. z.B. BSG, Urteil vom 08.11.2011 - B 1 KR 8/11 R -, SozR 4-5560 § 17b Nr. 2 m.w.N.), da der ordnungsgemäßen Aufrechnung ein gesetzliches Aufrechnungsverbot entgegensteht und auch nicht durch eine Ausnahme hiervon gerechtfertigt ist.
Unter Anwendung der Normen des BGB kann gem.§ 387 BGB jeder Schuldner seine Forderung gegen die Forderung des anderen Teils aufrechnen, wenn sich zwei Personen einander Leistungen schulden, die ihrem Gegenstand nach gleichartig sind, sobald die Person die ihm gebührende Leistung fordern und die ihm obliegende Leistung bewirken kann (BSG, Urteil vom 25. Oktober 2016 - B 1 KR 9/16 R -, SozR 4-5562 § 11 Nr. 2, SozR 4-5560 § 18 Nr. 2, SozR 4-7610 § 271 Nr. 1, SozR 4-7610 § 387 Nr. 4, Rn. 10).
Eine solche Aufrechnung ist entsprechend wirksam, wenn bei bestehender Aufrechnungslage (§ 387 BGB) die Aufrechnung erklärt wird (§ 388 BGB) und keine Aufrechnungsverbote entgegenstehen (vgl. dazu im Einzelnen etwa BSG, Urteil vom 30.07.2019 -B 1 KR 31/18 R Rn. 11 ff.).
3.
Der Aufrechnung durch die Beklagte steht nach Ansicht der Kammer ein gesetzliches Aufrechnungsverbot entgegen, das auch nicht durch eine vertragliche Ausnahme ausgenommen worden ist. Im Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung im Juli 2021 existierte das gesetzliche Aufrechnungsverbot des § 109 Abs. 6 SGB V.
a.
Durch das Gesetz für bessere und unabhängigere Prüfungen (MDK Reformgesetz) vom 14.12.2019 (BGBl. I S. 2789) hat der Gesetzgeber mit Wirkung zum 01.01.2020 in § 109 Abs. 6 Satz 1 SGB V ein gesetzliches Aufrechnungsverbot normiert. Danach können Krankenkassen gegen Forderungen von Krankenhäusern, die aufgrund der Versorgung von ab dem 1. Januar 2020 aufgenommenen Patientinnen und Patienten entstanden sind, nicht mit Ansprüchen auf Rückforderung geleisteter Vergütungen aufrechnen.
Zur Begründung des gesetzlichen Aufrechnungsverbots hat sich der Gesetzgeber wie folgt geäußert:
"In der Vergangenheit haben Krankenkassen Rückforderungsansprüche gegen Krankenhäuser wegen überzahlter Vergütungen in der Regel nicht durch Klage vor dem Sozialgericht geltend gemacht, sondern mit Rückforderungsansprüchen gegen unbestrittene Forderungen des Krankenhauses auf Vergütung erbrachter Leistungen aufgerechnet. Dies hat zu erheblichen Liquiditätsengpässen auf Seiten der Krankenhäuser geführt, da mit Erklärung der Aufrechnung die Krankenkassen die Möglichkeit haben, ihre Forderungen sofort zu befriedigen, während gleichzeitig die Vergütungsforderung des Krankenhauses erlischt. Durch die Aufrechnung wird außerdem das Prozessrisiko, Vergütungsansprüche im Wege der Klage durchsetzen zu müssen, auf die Krankenhäuser verlagert,
da das Krankenhaus die Krankenkasse auf Zahlung der ungeschmälerten Vergütung verklagen muss, wenn es das Bestehen eines Rückforderungsanspruchs bestreitet. Um diese negativen Folgen von Aufrechnungen zu begrenzen, wird die Möglichkeit der Krankenkassen, mit Rückforderungsansprüchen gegen Vergütungsansprüche der
Krankenhäuser aufzurechnen, ausgeschlossen. Erfasst sind alle nach § 108 zur Krankenhausbehandlung zugelassenen Krankenhäuser, mit denen ein Versorgungsvertrag abgeschlossen worden ist oder bei denen das Vorliegen eines Versorgungsvertrags fingiert wird. In der Vergangenheit waren die Sozialgerichte mit Klagen der Krankenhäuser zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit von Aufrechnungen der Krankenkassen konfrontiert. Diese Klagen entfallen künftig. Sofern Krankenkassen in der Zukunft verstärkt den Klageweg beschreiten werden, um ihre Forderungen durchzusetzen, dürfte die Zahl streitiger Abrechnungsfälle durch die Umkehr des Prozessrisikos für sich allein nicht spürbar vergrößert werden. Der Ausschluss der Aufrechnungsmöglichkeit gilt nur für Vergütungsansprüche der Krankenhäuser, die nach dem Inkrafttreten der Regelung entstanden sind. Andernfalls wäre nicht auszuschließen, dass Krankenkassen bis zum Inkrafttreten verstärkt von der noch bestehenden Aufrechnungsmöglichkeit Gebrauch machen würden, verbunden mit entsprechenden Folgen für die Liquidität der Krankenhäuser." (BT-Drs. 19/13397, 54).
Es entspricht mithin dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers, dass eine Aufrechnung in der Regel nicht zulässig ist, was entsprechend in § 109 Abs. 6 Satz 1 SGB V deutlich zum Ausdruck kommt. § 109 Abs. 6 Satz 1 SGB V ist vorliegend auch anwendbar. Nach dem Wortlaut kann "gegen Forderungen von Krankenhäuser, die aufgrund der Versorgung von ab dem 01.01.2020 aufgenommenen Patientinnen und Patienten entstanden sind," nicht mit Rückforderungsansprüchen aufgerechnet werden. Die aufgerechnete Forderung der Klägerin, die hier letztlich streitig ist, ist aufgrund einer Behandlung einer Patientin entstanden, die im Jahr 2021 bei der Klägerin behandelt worden ist. Unerheblich ist dabei, dass der vermeintliche Rückforderungsanspruch aufgrund der Behandlung der Versicherten G. im Jahr 2019 behauptet wird.
b.
Die von der Beklagten erklärte Aufrechnung ist auch nicht von der gesetzlichen Ausnahme des § 109 Abs. 6 Satz 2 SGB V gedeckt. Danach ist die Aufrechnung abweichend von Satz 1 möglich, wenn die Forderung der Krankenkasse vom Krankenhaus nicht bestritten wird oder rechtskräftig festgestellt wurde. Nach Satz 3 können in der Vereinbarung nach § 17c Absatz 2 Satz 1 des KHG abweichende Regelungen vorgesehen werden. Während die ursprüngliche Gesetzesfassung lediglich eine Ausnahme von Satz ein durch eine Vereinbarung nach § 17c KHG vorsah und als Beispiele für eine mögliche Ausnahme "etwa bei unbestrittenen oder rechtskräftig festgestellten Vergütungsforderungen" (BT-Drs. 19/13397, 54) in der Gesetzesbegründung nannte, sind durch die Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss) zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung - Drucksachen 19/13397, 19/13547 - die vormals nur in der Gesetzesbegründung genannten Ausnahmen explizit in Satz 2 mit in das Gesetz aufgenommen worden.
Jedoch ist die Erstattungsforderung der Beklagten weder unbestritten, noch rechtskräftig festgestellt, so dass die gesetzliche Ausnahme von gesetzlichen Aufrechnungsverbot vorliegend nicht greift.
c.
Die Beklagte kann sich auch nicht auf eine zulässige vertragliche Ausnahme von dem gesetzlichen Aufrechnungsverbot stützen.
aa.
Gem. § 109 Abs. 6 Satz 3 SGB V können in der Vereinbarung nach § 17c Absatz 2 Satz 1 des KHG abweichende Regelungen vom gesetzlichen Aufrechnungsverbot des Satzes 1 vorgesehen werden. § 17c Abs. 2 Satz 1 KHG lautet:
"Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und die Deutsche Krankenhausgesellschaft regeln das Nähere zum Prüfverfahren nach § 275c Absatz 1 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch; in der Vereinbarung sind abweichende Regelungen zu § 275c Absatz 1 Satz 1 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch möglich."
Auf dieser Basis vereinbart der GKV- Spitzenverband mit der Deutschen Krankenhausgesellschaft eine Prüfverfahrensvereinbarung. In der Prüfverfahrensvereinbarung (PrüfvV) vom 03.02.2016 ist in § 10 Satz 1 geregelt, das die Krankenkasse einen nach Beendigung des Vorverfahrens einvernehmlich als bestehend festgestellten oder nach § 8 mitgeteilten Erstattungsanspruch mit einem unstreitigen Leistungsanspruch des Krankenhauses aufrechnen kann. Im Hinblick auf das MDK-Reformgesetz haben die Vertragspartner am 10.12.2019 eine Übergangsvereinbarung beschlossen. In der Präambel steht:
"Dabei besteht Einvernehmen zwischen den Vereinbarungspartnern, insbesondere die bisher bestehenden Möglichkeiten der Korrektur von Datensätzen und ggf. Rechnungen sowie die Aufrechnungsregeln zunächst unverändert aufrecht zu erhalten."
In Art 1 heißt es weiter:
"() Für die Überprüfung bei Patienten, die ab dem 01.01.2020 in ein Krankenhaus
aufgenommen werden, gilt die PrüfvV vom 03.02.2016 mit den Maßgaben nach Nr. 1
bis 7 dieser Übergangsvereinbarung und im Übrigen unverändert fort. Damit finden
insbesondere die Regelungen zur Korrektur von Datensätzen nach § 5 Absatz 1 und
§ 7 Absatz 5 PrüfvV sowie die Aufrechnungsregeln nach § 10 PrüfvV weiterhin
Anwendung.
Außerhalb eines Prüfverfahrens vorgenommene, nach Maßgabe der geltenden
Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes zulässige Rechnungskorrekturen sind
weiterhin zulässig. Außerhalb eines Prüfverfahrens vorgenommene, nach Maßgabe
der geltenden Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zulässige Aufrechnungen
von Erstattungsansprüchen der gesetzlichen Krankenkassen gegen
Vergütungsansprüche der Krankenhäuser sind ebenfalls weiterhin möglich".
Unter Anwendung dieser Übergangsvorschriften der PrüfvV wäre eine Aufrechnung zulässig, jedoch ist die Regelung einer vollständigen Aushebelung des gesetzlichen Aufrechnungsverbots nicht von der Ermächtigungsgrundlage des § 17c KHG gedeckt.
Die PrüfvV ist ein untergesetzlicher Normvertrag der gemeinsamen Selbstverwaltungen der Krankenhäuser und Krankenkassen. Für diesen bedarf es einer gesetzlichen Rechtsgrundlage, wie sie in § 17c KHG gegeben ist. Jedoch muss der vereinbarte Normvertrag auch von der Reichweite der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage für den Abschluss des Normvertrags gedeckt sein.
bb.
Unerheblich ist es nach Ansicht der Kammer, dass die Vertragsparteien bereits die "Verlängerung" der Aufrechnungsmöglichkeit (nämlich am 10.12.2019) vereinbart haben, noch bevor das gesetzliche Aufrechnungsverbot bzw. die Ermächtigungsgrundlage zur Regelung von Ausnahmen zum gesetzlichen Aufrechnungsverbot in Kraft getreten ist (01.01.2020). Das partielle Fehlen einer wirksamen gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage im Zeitpunkt des Vertragsschlusses auf schuldrechtlicher Ebene schließt nach der Rechtsprechung des BSG die spätere Wirksamkeit des intendierten Normvertrags in Gänze ab 2020 ohne erneuten, bestätigenden Vertragsschluss nicht aus (BSG, Urteil vom 10. November 2021 - B 1 KR 36/20 R -, BSGE 133, 126, SozR 4-2500 § 275 Nr. 36, Rn. 16).
cc.
Die in einer Prüfverfahrensvereinbarung regelungsfähigen Inhalte sind in § 17c KHG abschließend geregelt. Nach § 17c Abs. 2 Satz 1 KHG regeln die dort genannten Vertragspartner "das Nähere zum Prüfverfahren nach § 275c Abs. 1 SGB V". Nach § 17 Abs. 2 Satz 2 Nr. 7 KHG haben sie auch Regelungen zur Abwicklung von Rückforderungen zu treffen. Die Vertragspartner können daher - jedenfalls sobald eine Rückforderung nach Abschluss eines Prüfverfahrens unstreitig besteht - zu deren Rückabwicklung eine Vereinbarung treffen. "Das Nähere zum Prüfverfahren" kann Regelungen ab der Einleitung bis zum Ende des Prüfverfahrens und mithin auch bis zur Rückabwicklung eines Erstattungsanspruchs der Krankenkasse umfassen (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung eines Gesetzes zur Beseitigung sozialer Überforderung bei Beitragsschulden in der Krankenversicherung, BT-Drucks 17/13947 S 38; BSG, Urteil vom 30. Juli 2019 - B 1 KR 31/18 R -, BSGE 129, 1-10, SozR 4-7610 § 366 Nr. 2, SozR 4-2500 § 109 Nr. 79, SozR 4-5560 § 17c Nr. 4, Rn. 12 - 13).
Nicht mit § 109 Abs. 6 Satz 1 SGB V vereinbar ist dagegen nach Ansicht der Kammer eine vertragliche Vereinbarung, die das ab 01.01.2020 bestehende gesetzliche Aufrechnungsverbot des § 109 Abs. 6 SGB V generell aushebelt und damit ins Leere laufen lässt. Es ist für die Beurteilung der vorliegenden Sachlage daher unerheblich, dass nach dem eindeutigen Wortlaut der Übergangs-PrüfvV eine generelle Aufrechnung weiterhin über den 01.01.2020 zulässig sein soll. Zwar unterliegt nach der Rechtsprechung des BSG die Anwendung der normenvertraglichen Bestimmungen der PrüfvV den allgemeinen für Gesetze geltenden Auslegungsmethoden der Rechtswissenschaft. Es ist mithin nicht auf den subjektiven Willen der Beteiligten, sondern auf die objektive Erklärungsbedeutung abzustellen (BSG, Urteil vom 18. Mai 2021 - B 1 KR 34/20 R -, BSGE 132, 152-162, SozR 4-2500 § 301 Nr 10). Nach dem ausdrücklichen Wortlaut der PrüfvV ist trotz gesetzlichem Aufrechnungsverbot weiterhin jede Forderung aufrechenbar mit Gegenforderungen, unabhängig von der Tatsache, ob bei der Gegenforderung auch ein Prüfverfahren eingeleitet worden ist. Diese Regelung ist nach Ansicht der Kammer mangels entsprechender Ermächtigungsgrundlage, das gesetzliche Aufrechnungsverbot vollständig abzubedingen, unwirksam, eine darauf gestützte Aufrechnungserklärung geht ist leere und verstößt gegen das gesetzliche Aufrechnungsverbot des § 109 Abs. 6 Satz 1 SGB V.
Dies ergibt sich aus folgenden Gesichtspunkten:
Nach § 109 Abs. 6 Satz 3 SGB V können in der Vereinbarung nach § 17c Absatz 2 Satz 1 KHG abweichende Regelungen vorgesehen werden. Satz 3 schließt sich an Satz 2 an, welcher ausdrücklich zwei Ausnahmen vom gesetzlichen Aufrechnungsverbot enthält, nämlich bei unbestrittenen oder rechtskräftig festgestellten Forderungen. Der Satz 2 des Absatzes 6 wurde erst im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens explizit eingefügt, in der Vorfassung waren die nunmehr in Satz 2 explizit geregelten Ausnahmen zum Aufrechnungsverbot als Beispiel für die nun in Satz 3 enthaltenen "abweichenden Regelungen" zum Aufrechnungsverbot genannt. Der Gesetzgeber wollte mithin die Vertragsparteien ermächtigen, über die in Satz 2 explizit genannten Ausnahmen weitere (sinnvolle) Ausnahmen vom Verbot zu regeln. Das gesetzliche Aufrechnungsverbot wird jedoch durch Satz 3 nicht vollständig in die Dispositionsbefugnis der Vertragsparteien gestellt (so wohl auch Dr. Frank Bockholdt in: Hauck/Noftz SGB V, § 109 Abschluss von Versorgungsverträgen mit Krankenhäusern, Rn. 221g). Nach dem reinen Wortlaut "abweichende Regelungen" bleibt offen, ob das gesetzliche Aufrechnungsverbot vollständig dispositiv ist. Der Begriff abweichende Regelungen könnte einen kompletten Ausschluss enthalten, oder aber dahingehend zu verstehen sein, dass lediglich einzelne Ausnahmen geregelt werden dürfen. Ausnahmevorschriften wie § 109 Abs. 6 Satz 3 SGB V sind aber grundsätzlich eng auszulegen (exceptio est strictissimae interpretationis). Systematisch Schließt sich Satz 3 an Satz 2 an, welcher explizite Ausnahmen zum Aufrechnungsverbot regelt, so dass nach der Stellung im Gesetz und Gefüge davon ausgegangen werden kann, das Satz 3 ermächtigt, weitere Ausnahmen zu Satz 1 zu vereinbaren, die über die in Satz 2 genannten hinausgehen, nicht jedoch Satz 1 vollständig abzubedingen. Gleiches gilt im Übrigen für § 17c Abs. 2 Satz 1 KHG, der den Vertragsparteien "abweichende Regelungen" von § 275c SGB V gestattet, nicht aber die vollständige Abbedingung desselben. Gestützt wird die systematische Auslegung zudem durch die historische, in den Bundestagsdrucksachen kommt klar zum Ausdruck, das Satz 3 (vormals im Entwurf Satz 2) die Parteien lediglich zur Regelung konkreter einzelner Ausnahmen ermächtigen soll.
§ 109 Abs. 6 Satz 3 SGB V ermächtigt daher nach Ansicht der Kammer allenfalls zur Vereinbarung über die in Satz 2 explizit genannten Ausnahmen zum gesetzlichen Aufrechnungsverbot, Satz 1 ist steht aber nicht zur völligen Disposition. Das gesetzliche Aufrechnungsverbot darf nicht durch eine Vereinbarung nach Satz 3 vollständig ausgehebelt werden.
Die im Juli 2021 erklärte Aufrechnung der Beklagten mit einer Forderung aus einem im Jahr 2021 entstandenen Behandlungsfalls verstößt mithin gegen das gesetzliche Aufrechnungsverbot des § 109 Abs. 6 Satz 1 SGB V und geht folglich ins Leere. Überdies verstieße die Aufrechnung bei Anwendbarkeit der damals geltenden PrüfvV auch gegen deren Wortlaut. Nach § 10 Satz 2 derselben sind bei der Aufrechnung "der Leistungsanspruch und der Erstattungsanspruch genau zu benennen". Eine solche genaue Benennung hat die Beklagte vorliegend auch bei großzügiger Auslegung nicht vorgenommen.
4.
Lediglich ergänzend wird ausgeführt, dass der Beklagten auch materiell-rechtlich kein Erstattungsanspruch zustand, denn die Klägerin hat zu Recht die DRG B39C abgerechnet. Die Kodierung der OPS 8-981 ist rechtlich nicht zu beanstanden. Gestritten wird um die Erfüllung des Mindestmerkmals "6-stündlicher (maximaler Abstand nachts 8 Stunden) Überwachung und Dokumentation des neurologischen Befundes durch den Arzt zur Früherkennung von Schlaganfallprogression, -rezidiv und anderen Komplikationen". Dieses ist nach Ansicht der Kammer erfüllt. Ausweislich der vorhandenen Dokumentation ist der neurologische Befund der Patientin sechsstündlich (nachts achtstündlich) ärztlich erhoben bzw. überwacht worden. Die Anforderung der Erhebung des neurologischen Befundes unter Verwendung eines standardisierten Verfahrens (z.B. des NHISS) lässt sich nicht aus dem Wortlaut oder der Systematik ableiten. Vielmehr sind Kodierbestimmungen nach der Rechtsprechung des BSG (BSG, Urteil vom 26. September 2017 - B 1 KR 9/17 R, Rn. 14) streng nach dem Wortlaut auszulegen und nur ergänzend die Systematik heranzuziehen. Der Wortlaut der OPS enthält keinerlei Vorgaben dazu, wie der neurologische Befund ärztlich zu erheben ist (so auch Sozialgericht Nürnberg, Urteil vom 12.07.2021 - S 7 KR 928/21 mit weiteren Ausführungen). Das patientenindividuelle Vorgehen der Klägerin entspricht mithin ebenso den Vorgaben der OPS 8.981, wie die Nutzung beispielsweise des Erhebungsbogens NIHSS.
Der Klage war mithin unter jedem rechtlichen Gesichtspunkt stattzugeben.
5.
Der Zinsanspruch ergibt sich aus der Pflegesatzvereinbarung der Beteiligten.
6.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG in Verbindung mit §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) und trägt dem Umstand Rechnung, dass die Klage in Höhe von 1.003,24 € erfolgreich gewesen ist, jedoch mit einem Teilbetrag von 892,71 € zurückgenommen worden ist.
7.
Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit dem Gerichtskostengesetz (GKG). Da der Klageantrag auf eine bezifferte Geldleistung gerichtet war, ist deren Höhe maßgeblich (§ 52 Abs. 3 GKG).