L 4 AS 179/20

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 20 AS 3523/18
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 4 AS 179/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

An eine Leistungsbezieherin nach dem SGB II ausgezahltes Mutterschaftsgeld gemäß § 19 Abs. 1 MuSchG und § 24i Abs. 1 SGB V ist nicht deshalb eine laufende Einnahme i.S.d. § 11 Abs. 2 SGB II, weil ihm Lohnersatzfunktion zukommt. Es ist auch nicht deshalb eine laufende Einnahme, weil Mutterschaftsgeld, das für die nachgeburtliche Schutzfrist i.S.v. § 3 Abs. 2 MuSchG gezahlt wird, gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BEEG auf das Elterngeld angerechnet wird (a.A. LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 20.11.2019 – L 2 AS 693/15 – juris Rn. 63). Maßgebliches Abgrenzungskriterium ist, ob Mutterschaftsgeld wiederkehrend geleistet, mithin regelmäßig ausgezahlt wird.

 

Es spricht vieles dafür, dass ausgezahltes Mutterschaftsgeld i.S.d. § 19 Abs. 1 MuSchG und § 24i Abs. 1 SGB V eine einmalige Einnahme i.S.d. § 11 Abs. 3 SGB II darstellt. Fließt das von der gesetzlichen Krankenkasse in ständiger Verwaltungspraxis in zwei Teilleistungen gewährte Mutterschaftsgeld in einem größeren als monatlichen Zeitabstand zu, findet § 11 Abs. 2 Satz 3 SGB II Anwendung, ohne dass es darauf ankommt, ob das Mutterschaftsgeld eine einmalige Leistung ist oder nicht.

 

Kostenerstattungen der gesetzlichen Krankenversicherung aus dem in deren Satzung vorgesehenen SchwangerschaftPLUS-Paket für von der Versicherten selbstbeschaffte, nicht verschreibungspflichtige, apothekenpflichtige Arzneimittel mit dem Wirkstoff Magnesium sind keine als Einkommen anzurechnende Einnahme i.S.d. § 11 SGB II.

      1. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 22. Januar 2020 abgeändert.

Der Bescheid vom 2. August 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. Oktober 2018 wird aufgehoben, soweit der Beklagte mit diesem die Leistungsbewilligung aus dem Änderungsbescheid vom 18. Juni 2018 für den Zeitraum vom 1. Juli 2018 bis 31. Juli 2018 um mehr als 0,21 EUR aufgehoben und die Erstattung von mehr als 0,21 EUR verlangt hat.

Im Übrigen wird die Berufung des Beklagten zurückgewiesen und die Klage abgewiesen.

      1. Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Rechtszügen.
      2. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

 

Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit eines Aufhebungs- und Erstattungsbescheides des Beklagten vom 02.08.2018 in der Gestalt dessen Widerspruchsbescheids vom 30.10.2018. Mit diesem hob der Beklagte die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für Juli 2018 ganz im Umfang von 324,57 EUR auf und verlangte von der Klägerin die Erstattung.

 

Die 1983 geborene Klägerin bezog im Jahr 2018 laufend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes vom Beklagten. Auf ihren Antrag vom 12.10.2017 bewilligte dieser ihr mit Bescheid vom 07.11.2017 sowie mit den weiteren bestandskräftigen Änderungsbescheiden vom 25.11.2017 und zuletzt vom 18.06.2018 endgültig Leistungen unter anderem für Juli 2018 i.H.v. insgesamt 324,57 EUR. Der Beklagte berücksichtigte die tatsächlichen Kosten für Unterkunft und Heizung i.H.v. 220,86 EUR. Zudem bewilligte er neben dem Regelbedarf aufgrund angezeigter Schwangerschaft einen Mehrbedarf für werdende Mütter. Ausweislich der aktenkundigen Bestätigung des Beklagten vom 07.06.2018 über die Vorlage des Mutterpasses war danach der voraussichtliche Entbindungstermin für den 10.09.2018 vorgesehen. Dem Gesamtbedarf wurde ausgehend von den letzten bekannten Gehaltsabrechnungen bedarfsmindernd Erwerbseinkommen i.H.v. von brutto 766,00 EUR/ netto 616,21 EUR angerechnet. Die Leistungen für Juli 2018 wurden der Klägerin im Voraus ausgezahlt.

 

Mit Schreiben vom 04.07.2018, das die Klägerin dem Beklagten am 16.07.2018 zusandte, informierte die AOK Plus als zuständige Krankenkasse die Klägerin über den anstehenden Bezug von Mutterschaftsgeld ab dem 30.07.2018 i.H.v. maximal 13,00 EUR pro Tag. Am 23.07.2018 stellte der Beklagte deshalb die Zahlungen vorläufig ein, hob die Verfügung aber aufgrund eines Gespräches mit der Klägerin vom 27.07.2018 wieder auf.

 

Die Krankenkasse bewilligte der Klägerin mit Schreiben vom 27.07.2018 ankündigungsgemäß für die letzten sechs Wochen vor der Geburt – mithin vom 30.07.2018 bis 09.09.2018 – Mutterschaftsgeld i.H.v. 13,00 EUR kalendertäglich. Der Gesamtbetrag i.H.v. 546,00 EUR (42x 13,00 EUR) wurde der Klägerin am 30.07.2018 auf ihrem Konto gutgeschrieben. Bereits am 23.07.2018 erstattete die Krankenkasse der Klägerin Kosten für den Kauf eines Medikaments „Magnesiocard Retard“ i.H.v. 31,55 EUR. Ausweislich der beigezogenen Kontoauszüge und der aktenkundigen Gehaltsabrechnung für Juni 2018 überwies die Arbeitgeberin der Klägerin am 16.07.2018 aufgrund des unveränderten Bruttoverdienstes i.H.v. 766,00 EUR für den Monat Juni 2018 ein Nettogehalt i.H.v. 616,42 EUR auf deren Konto. Am 25.07.2018 überwies der Beklagte zudem mit Bescheid vom 20.07.2018 bewilligte Leistungen nach dem SGB II für Erstausstattung i.H.v. 476,00 EUR. Weitere Einkünfte erzielte die Klägerin im Juli 2018 nicht.

 

Mit streitigem Bescheid vom 02.08.2018 hob der Beklagte ohne vorherige Anhörung aufgrund der Anrechnung des Mutterschaftsgeldes die Leistungen für Juli 2018 ganz auf und setzte einen entsprechenden Erstattungsbetrag gegen die Klägerin fest.

 

Gegen den Bescheid erhob die Klägerin mit Schreiben vom 10.08.2018 Widerspruch und trug vor, das Mutterschaftsgeld sei eine einmalige Einnahme und könne nach den gesetzlichen Regelungen erst im Folgemonat angerechnet werden.

 

Am 13.09.2018 hat die Klägerin ihren Sohn geboren.

 

Mit Widerspruchsbescheid vom 30.10.2018 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück und führte aus, es könne sich nicht um eine einmalige Einnahme handeln, da es keine Nachzahlung, sondern eine Vorauszahlung sei. Das Mutterschaftsgeld sei als laufende Einnahme im Monat des Zuflusses zu berücksichtigen. Demnach habe die Klägerin im Juli 2018 bedarfsdeckendes Einkommen erzielt. Die Leistungsbewilligung sei wegen der Erzielung von Einkommen, das zum Wegfall des Leistungsanspruches geführt habe, für Juli 2018 gemäß § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) i.V.m. § 330 Abs. 3 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) aufzuheben. Die eingetretene Überzahlung habe die Klägerin gemäß § 50 Abs. 1 SGB X zu erstatten.

 

Am 06.11.2018 hat die Klägerin dagegen Klage zum Sozialgericht Chemnitz erhoben und diese damit begründet, dass es dahinstehen könne, ob das Mutterschaftsgeld eine einmalige oder eine laufende Einnahme sei, da sie in einem größeren als monatlichen Zeitabstand zufließe und somit jedenfalls § 11 Abs. 2 Satz 3 SGB II einschlägig sei. Der Beklagte hat demgegenüber weiterhin die Auffassung vertreten, dass es sich um eine laufende Einnahme handele. Sie sei im Monat des Zuflusses zu berücksichtigen, zumal Mutterschaftsgeld eine Lohnersatzleistung darstelle. Es werde für die ersten sechs Wochen vor der Entbindung und acht Wochen nach der Entbindung als Ausgleich für den entfallenden Lohn gezahlt. Das Mutterschaftsgeld sei demnach eine Leistung, die von Trägern der gesetzlichen Krankenversicherung regelmäßig monatlich zu erbringen sei, weil es in rechtlicher Hinsicht dem Arbeitsentgelt gleichzustellen sei.

 

Mit Urteil vom 22.01.2020 hat das Sozialgericht den Bescheid vom 02.08.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.10.2018 antragsgemäß aufgehoben und die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen. Ob eine laufende Einnahme oder aber eine einmalige Einnahme i.S.d. § 11 Abs. 3 SGB II vorliege, hänge davon ab, ob die Einnahme ihrer Art nach üblicherweise wiederkehrend gezahlt werde. Laufende Einnahmen seien solche, die auf demselben Rechtsgrund beruhten und regelmäßig erbracht würden, bei einmaligen Einnahmen erschöpfe sich das Geschehen in einer einzigen Leistung. Ob Mutterschaftsgeld unter den genannten Voraussetzungen eine einmalige oder eine laufende Einnahme darstelle, könne dahinstehen, da § 11 Abs. 2 Satz 3 SGB II regele, dass auch für laufende Einnahmen, die in größeren als monatlichen Zeitabständen geleistet würden, § 11 Abs. 3 SGB II entsprechend gelte. Mutterschaftsgeld werde in größeren als monatlichen Abständen gezahlt und sei somit wie eine einmalige Einnahme anzurechnen, vorliegend gemäß § 11 Abs. 3 Satz 3 SGB II somit im Folgemonat. Mutterschaftsgeld werde auf Grundlage von § 19 Abs. 1 Mutterschutzgesetz (MuSchG) von den Krankenkassen geleistet. Dem Beklagten sei insoweit zuzustimmen, dass es sich beim Mutterschaftsgeld um eine Lohnersatzleistung handele. Dennoch sei es der Lohnzahlung rechtlich nicht gleichzustellen, da die Zahlungsweise, die entscheidend für die Beurteilung der Einnahme als laufende oder als einmalige sei, eine gänzlich andere sei. Das Mutterschaftsgeld werde entgegen der Lohnzahlung nicht monatlich gewährt. Nach § 24i Abs. 3 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) werde es für die letzten sechs Wochen vor dem voraussichtlichen Tag der Entbindung, den Entbindungstag und für die ersten acht Wochen nach der Entbindung gezahlt. Weitere Regelungen enthalte das Gesetz zur Auszahlung von Mutterschaftsgeld nicht. In der Praxis habe sich die einmalige Auszahlung der Leistungen für die sechs Wochen vor der Entbindung und die weitere einmalige Auszahlung der Leistungen für die acht Wochen nach der Entbindung etabliert, ohne dass es hierfür eine rechtlich konkrete Grundlage gebe. Folglich werde für einen längeren als monatlichen Zeitraum Leistungen erbracht, nämlich einmal für sechs und später dann für acht Wochen. Folglich sei die Anrechnung des Mutterschaftsgeldes im Juli 2018 rechtswidrig. Die Anrechnung habe im nächsten Monat erfolgen müssen.

 

Gegen das Urteil, das dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten am 30.01.2020 zugestellt worden ist, hat der Beklagte am 26.02.2020 Berufung eingelegt. Er wiederholt, das Mutterschaftsgeld bestehe aus mehreren Teilen, nämlich einer Leistung vor und nach der Entbindung. Insoweit könne es sich nicht um eine einmalige Leistung handeln. Des Weiteren habe noch der Zuschuss zum Mutterschaftsgeld des Arbeitgebers nach § 14 Mutterschutzgesetz vorgelegen. Die Leistung der Krankenkasse sei unter Hinweis auf §§ 19, 21 MuSchG eine Lohnersatzleistung. Sie werde von der Krankenkasse als Ausgleich für den entfallenen Lohn gezahlt. Das Mutterschaftsgeld trete daher an die Stelle der Entgeltzahlung durch den Arbeitgeber und müsse rechtlich gleichbehandelt werden.

 

Ein weiteres Argument für die Einordnung als laufende Einnahme ergebe sich aus der Verknüpfung von Mutterschafts- und Elterngeld. Denn das gleichzeitig dem Grunde nach zustehende Elterngeld habe ebenfalls Entgeltersatzcharakter. Auf das Elterngeld werde das gleichzeitig zustehende Mutterschaftsgeld angerechnet, es gelte durch die Zahlung von Mutterschaftsgeld als erfüllt. Auf das funktionsgleich zum Mutterschaftsgeld zu zahlende Elterngeld bestünden laufende Zahlungsansprüche. Es werde für auf die Geburt des Kindes folgenden Monate gezahlt. Im vorliegenden Fall sei eine an sich laufend zu erbringende Leistung in Gestalt des Elterngeldes vorschüssig in Form von Mutterschaftsgeld erbracht worden. Damit handele es sich der Sache nach um die Gewährung laufender Leistungen. Die vom Sozialgericht bemühte Rechtsprechung des Bayerischen Landessozialgerichts (L 7 AS 755/13) beruhe zudem auf der Rechtslage vor dem 01.08.2016. Für die Abgrenzung zwischen laufender und einmaliger Einnahme komme es maßgeblich auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 24.04.2015 – B 4 AS 32/14 R – an.

 

Der Beklagte beantragt,

 

das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 30.01.2020 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

 

 

Die Klägerin beantragt,

 

            die Berufung zurückzuweisen.

 

Sie verteidigt die Rechtsauffassung des Sozialgerichts.

 

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird gemäß § 153 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 136 Abs. 2 Satz 1 SGG auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten (3 Bände) verwiesen.

 

Entscheidungsgründe

 

Der Senat kann ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erteilt haben (§ 153 Abs. 1 SGG i.V.m. § 124 Abs. 2 SGG).

 

Die vom Sozialgericht mit Bindungswirkung für den Senat (§ 144 Abs. 3 SGG) zugelassene Berufung des Beklagten ist im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben (vgl. § 151 SGG), in der Sache jedoch weit überwiegend unbegründet. Das Sozialgericht hat zutreffend entschieden, dass die Anrechnung des von der Klägerin am 30.07.2018 bezogenen Mutterschaftsgeldes nicht im Monat Juli 2018 erfolgen durfte. Die Berufung hat nur insoweit Erfolg, als die Klägerin im streitigen Monat statt 616,21 EUR netto tatsächlich 616,42 EUR Erwerbseinkommen bezogen hat und deshalb im Zeitraum vom 01.07.2018 bis 31.07.2018 ein um 0,21 EUR verminderter Leistungsanspruch bestanden hat. Insoweit war die Aufhebungs- und Erstattungsentscheidung rechtmäßig.

 

Gegenstand des Berufungsverfahrens ist neben der vorinstanzlichen Entscheidung der Bescheid des Beklagten vom 02.08.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.10.2018, gegen den sich die Klägerin zutreffend mit der isolierten Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG) wendet. Denn durch den streitigen Bescheid wurde die Leistungsbewilligung aus den ursprünglichen Bescheiden vom 07.11.2017, vom 25.11.2017 und zuletzt vom 18.06.2018 für die vorbenannte Zeit vom 01.07.2018 bis 31.07.2018 ganz aufgehoben und von der Klägerin die Erstattung von insgesamt 324,57 EUR verlangt.

 

              1. Der streitige Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 02.08.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30.10.2018 ist formell rechtmäßig ergangen.

 

Dem steht nicht entgegen, dass die Klägerin vor Erlass des Bescheides nicht dazu angehört worden ist. Nach § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II i.V.m. § 24 Abs. 1 SGB X ist, bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, diesem Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Davon kann nach Abs. 2 Nr. 5 der Vorschrift jedoch – wie hier geschehen – abgesehen werden, wenn (lediglich) einkommensabhängige Leistungen den geänderten Verhältnissen angepasst werden sollen. Dies war nach der insoweit maßgeblichen Sicht des Beklagten vorliegend der Fall. Denn dieser beabsichtigte wegen des Bezuges von Einkommen aus Mutterschaftsgeld nach Erlass des letzten Änderungsbescheides die Leistungsbewilligung für Juli 2018 an eine geänderte Sachlage anzupassen.

 

Der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid genügt ferner den Anforderungen an die Bestimmtheit von Verwaltungsakten. Als materielle Rechtmäßigkeitsvoraussetzung verlangt das Bestimmtheitserfordernis nach § 33 Abs. 1 SGB X, dass der Verfügungssatz nach seinem Regelungsgehalt in sich widerspruchsfrei ist. Dieses Erfordernis bezieht sich sowohl auf den Verfügungssatz der Entscheidung als auch auf den Adressaten des Verwaltungsaktes. Der Betroffene muss bei Zugrundelegung der Erkenntnismöglichkeiten eines verständigen Empfängers und unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände des Einzelfalls in die Lage versetzt werden, die in ihm getroffene Rechtsfolge vollständig, klar und unzweideutig zu erkennen und sein Verhalten daran auszurichten. Ausreichende Klarheit kann auch dann bestehen, wenn zur Auslegung des Verfügungssatzes auf die Begründung des Verwaltungsaktes, auf früher zwischen den Beteiligten ergangene Verwaltungsakte oder auf allgemein zugängliche Unterlagen zurückgegriffen werden muss (vgl. BSG, Urteil vom 10.09.2013 – B 4 AS 89/12 R – juris Rn. 15). Bereits der streitige Ausgangsbescheid beziffert im Verfügungssatz eindeutig, welche der Klägerin bewilligten Leistungen zur Aufhebung gebracht werden und welche gewährten Leistungen von ihr deshalb zu erstatten sind.

 

  1. Der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 02.08.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30.10.2018 ist nur insoweit materiell rechtmäßig, als die Leistungsbewilligung an die gegenüber dem Ausgangsbescheid geänderten Nettoarbeitseinkünfte der Klägerin im Juli 2018 anzupassen war. Hinsichtlich des Bezuges von Mutterschaftsgeld ist im streitigen Bewilligungszeitraum demgegenüber keine wesentliche Änderung der Verhältnisse eingetreten.

 

Rechtsgrundlage für die Aufhebung der mit Bescheiden vom 07.11.2017, vom 25.11.2017 und zuletzt vom 18.06.2018 für den Zeitraum vom 01.07.2018 bis 31.07.2018 abschließend und damit insbesondere nicht nach § 41a SGB II bewilligten Leistungen bildet § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II (in der Neufassung des SGB II vom 13.05.2011; BGBl. I S. 850) i.V.m. § 330 Abs. 3 Satz 1 SGB III i.V.m. § 48 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 3 SGB X.

 

Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Wesentlich ist die Änderung dann, wenn sie Auswirkungen auf die bewilligte Leistung hat. Der Verwaltungsakt ist nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X – ohne Ausübung von Ermessen (vgl. § 330 Abs. 3 Satz 1 SGB III) – mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben, soweit nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde.

 

Bezogen auf den maßgeblichen Änderungsbescheid vom 18.06.2018, der als Bewilligungsbescheid von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II für die Zeit vom 01.07.2018 bis 31.07.2018 einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung darstellt, ist unter Berücksichtigung der maßgebenden objektiven, tatsächlichen Verhältnisse, die bei Erlass des Bewilligungsbescheides vorgelegen haben (vgl. BSG, Urteile vom 10.09.2013 – B 4 AS 89/12 R – juris Rn. 18 und vom 21.06.2011 – B 4 AS 22/10 R – juris Rn. 16), nach dessen Bekanntgabe eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen der Klägerin insoweit eingetreten als diese tatsächlich 616,42 EUR netto und nicht wie ursprünglich angenommen 616,21 EUR Erwerbseinkommen erzielt hat, was wiederum zu einer Minderung des Anspruchs auf Leistungen nach dem SGB II geführt hat.

 

Die Klägerin erfüllte die Grundvoraussetzungen hinsichtlich des Alters, der Erwerbsfähigkeit und des gewöhnlichen Aufenthalts in Deutschland, um Arbeitslosengeld II zu erhalten (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II i.d. Fassung des Gesetzes zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt vom 20.12.2011; BGBl. I S. 2854). Auch lag kein Ausschlusstatbestand vor. Der Beklagte ist ferner zutreffend von einem monatlichen Regelbedarf i.H.v. 416,00 EUR entsprechend der Regelbedarfsstufe 1 gemäß § 20 Abs. 1a SGB Il i.d.F. des Neunten Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen sowie zur Änderung des Zweiten und Zwölften Gesetzbuches vom 22.12.2016 (BGBl. I S. 3159) i.V.m. § 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Ermittlung der Regelbedarfe nach § 28 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz - RBEG) i.V.m. § 2 der Verordnung zur Bestimmung des für die Fortschreibung der Regelbedarfsstufen nach den §§ 28a und 134 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch maßgeblichen Prozentsatzes sowie zur Ergänzung der Anlage zu § 28 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch für das Jahr 2018 (Regelbedarfsstufen-Fortschreibungsverordnung 2018 - RBSFV 2018) ausgegangen. Zutreffend hat der Beklagte außerdem den Mehrbedarf wegen Schwangerschaft i.H.v. 70,72 EUR gemäß § 21 Abs. 2 SGB II und darüber hinaus entsprechend der tatsächlich entstehenden Aufwendungen Kosten der Unterkunft und Heizung gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II i.H.v. 220,86 EUR berücksichtigt.

 

Unstreitig stand dem Gesamtbedarf i.H.v. 707,58 EUR anrechenbares Einkommen aus zu dieser Zeit laufender Erwerbstätigkeit der Klägerin aus Juni 2018 gegenüber, das im Juli 2018 zugeflossen ist und deshalb auch im streitigen Monat anzurechnen war (vgl. § 11 Abs. 2 Satz 1 SGB II). Von dem maßgeblichen Bruttoeinkommen i.H.v. 766,00 EUR (vgl. § 2 Abs. 1 der Verordnung zur Berechnung von Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim Arbeitslosengeld II/Sozialgeld, Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung – ALG II-V i.d.F. vom 01.08.2016; jetzt Bürgergeld-V) sind gemäß § 11 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 SGB II die auf das Einkommen entrichteten Steuern sowie die Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung einschließlich der Beiträge zur Arbeitsförderung, insgesamt also 149,58 EUR, in Abzug zu bringen. Abzugsfähig war ferner der Erwerbstätigenfreibetrag i.H.v. 133,20 EUR nach § 11b Abs. 1 Nr. 6, Abs. 3 SGB II sowie der Pauschalbetrag i.H.v. 100,00 EUR gemäß § 11b Abs. 2 Satz 1 SGB II. Bei erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, die erwerbstätig sind, ist danach anstelle der Beträge nach § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 bis 5 SGB II ein Betrag von insgesamt 100,00 EUR monatlich von dem Einkommen aus Erwerbstätigkeit abzusetzen. Beträgt das monatliche Einkommen aus Erwerbstätigkeit mehr als 400,00 EUR, gilt Satz 1 nicht, wenn die oder der erwerbsfähige Leistungsberechtigte nachweist, dass die Summe der Beträge nach § 11 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 bis 5 SGB II den Betrag von 100,00 EUR übersteigt (§ 11b Abs. 2 Satz 2 SGB II). Den Nachweis derartiger Aufwendungen hat die Klägerin aber nicht erbracht. Folglich war Einkommen i.H.v. 383,22 EUR (766,00 EUR – 149,58 EUR – 133,20 EUR – 100,00 EUR) anrechenbar.

 

Der ungedeckte Bedarf und damit der Leistungsanspruch für Juli 2018 betrug deshalb 324,36 EUR, wohingegen der Beklagte mit Änderungsbescheid vom 18.06.2018 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes i.H.v. 324,57 EUR bewilligt hatte. Infolge der Änderung der Einkommensverhältnisse ist eine Verringerung des Leistungsanspruches von 0,21 EUR eingetreten.

 

Weitere wesentliche Änderungen der Einkommensverhältnisse der Klägerin sind nicht eingetreten.

 

Soweit der Beklagte der Klägerin am 25.07.2018 die mit Bescheid vom 20.07.2018 bewilligten Leistungen für eine Erstausstattung i.H.v. 476,00 EUR überwiesen hat, sind diese Zahlungen nach dem SGB II nicht auf ihren Leistungsanspruch anzurechnen (§ 11a Abs. 1 Nr. 1 SGB II). Dasselbe gilt für die Erstattung der Kosten eines Magnesiumpräparates durch die AOK Plus Sachsen aufgrund § 11a ihrer Satzung aus dem SchwangerschaftPLUS-Paket, wonach schwangere Versicherte im Rahmen des eingeräumten Budgets von 500,00 EUR die Erstattung von Kosten für die Selbstbeschaffung von allen nichtverschreibungspflichtigen apothekenpflichtigen Arzneimitteln mit den Wirkstoffen Jodid, Eisen, Magnesium und/oder Folsäure als Monopräparate oder Kombinationspräparate beanspruchen konnten. Hierbei handelt es sich um Leistungen, die aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften zu einem ausdrücklich genannten Zweck i.S.d. § 11a Abs. 3 Satz 1 SGB II, nämlich hier der Prävention in Bezug auf das Neugeborene, erbracht werden. Da es sich bei der gegenständlichen Zahlung aus dem SchwangerschaftPLUS-Paket zwar um eine freiwillige Satzungsleistung auf Erstattungsbasis und nicht eine Sachleistung, gleichwohl aber um eine gesetzliche Krankenversicherungsleistung nach dem SGB V handelt, besteht auch keine Zweckidentität mit den Regelleistungen nach dem SGB II. Denn die im Regelsatz unter Abteilung 6 (Gesundheitspflege) kalkulierten Kosten umfassen Aufwendungen, die durch die gesetzliche Krankenversicherung nicht getragen werden.

 

Darüber hinaus stellt auch die Gutschrift des Mutterschaftsgeldes i.H.v. 546,00 EUR am 30.07.2018 auf dem Konto der Klägerin keine für die Leistungsbewilligung im Zeitraum vom 01.07.2018 bis 31.07.2018 wesentliche Änderung dar. Denn die Zahlung hat nicht zum Wegfall oder zur weiteren Minderung des Anspruchs auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II in diesem Monat geführt.

 

Ob die Auszahlung des hier streitigen Mutterschaftsgeldes eine laufende oder vielmehr eine einmalige Einnahme darstellt, die, nachdem die Leistungen für Juli 2018 bereits zum Monatsanfang ausgezahlt worden waren, nach Maßgabe des § 11 Abs. 3 Satz 3 SGB II i.d.F. des Neunten Gesetzes zur Änderung des SGB II – Rechtsvereinfachung – sowie zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht vom 26.07.2016 (BGBl. I S. 1824) erst im Folgemonat des Zuflusses, also im August 2018 angerechnet werden durfte und im Falles des Entfallens des Leistungsanspruches nach Maßgabe des § 11 Abs. 3 Satz 4 SGB II zu verteilen war, muss nicht abschließend entschieden werden. Denn selbst wenn man von einer laufenden Einnahme i.S.d. § 11 Abs. 2 SGB II ausginge, würde es sich im konkreten Fall um eine solche handeln, die in größeren als monatlichen Abständen zugeflossen ist, sodass § 11 Abs. 3 SGB II und damit die Vorschrift über einmalige Einnahmen dennoch Anwendung finden würde (§ 11 Abs. 2 Satz 3 SGB II).

 

Laufende Einnahmen sind solche, die auf demselben Rechtsgrund beruhen und regelmäßig erbracht also gezahlt werden, wogegen sich bei einmaligen Einnahmen das Geschehen in einer einzigen Leistung erschöpft (so schon BSG, Urteile vom 30.07.2008 – B 14 AS 26/07 R – juris Rn. 27 und vom 16.05.2012 – B 4 AS 154/11 R – juris Rn. 21). Maßgeblich ist dabei der Rechtsgrund (vgl. BSG, Urteil vom 24.04.2015 – B 4 AS 32/14 R – juris Rn. 17), wobei unter demselben Rechtsgrund nicht dieselbe Rechtsnorm, sondern die Grundlage der Zahlung, d.h. das Rechtsverhältnis gemeint ist (vgl. Schmidt in: Eicher/Luik/Harich, SGB II, 5. Auflage, Stand: 2021, § 11 Rn. 34).

 

Das an die Klägerin gezahlte Mutterschaftsgeld ist eine Sozialleistung und findet seine Rechtsgrundlage in § 19 Abs. 1 MuSchG vom 23.05.2017 (BGBl. I S. 1228) i.V.m. § 24i SGB V. Es entspricht in seinen Wesenszügen der bis zum 30.10.2012 gültigen Vorgängerregelung in § 200 Reichsversicherungsordnung (RVO) (vgl. zur Gesetzesentwicklung BeckOGK/Nolte, Stand: 01.12.2018, SGB V, § 24i Rn. 1).

 

Zwar hat das Mutterschaftsgeld, wie der Beklagte zutreffend feststellt, Lohnersatzfunktion (vgl. BSG, Urteil vom 10.10.1978 – 3 RK 17/17 – juris Rn. 25 noch zu § 200 RVO). Dies bedeutet aber nicht, dass die Sozialleistung ihren Rechtsgrund im Arbeitsverhältnis der Klägerin hat. Auch aus der Entgeltersatzfunktion selbst folgt nicht, dass das Mutterschaftsgeld zwingend wie Arbeitseinkommen zu behandeln ist, es sich damit zwingend um eine laufende Einnahme handelt. Maßgeblich ist allein, ob die Sozialleistung selbst regelmäßig wiederkehrend erbracht wird. Demgemäß hat das BSG im Jahr 2008 entschieden, dass die letzte Krankengeldzahlung „in einer Reihe kontinuierlicher Zahlungen“ als laufende Leistung im Monat des Zuflusses zu berücksichtigen ist, unabhängig von der Einordnung als Entgeltersatzleistung (vgl. BSG, Urteil vom 16.12.2008 – B 4 AS 70/07 R – juris Rn. 20). Später hat es zudem ausgezahltes Insolvenzgeld nach § 183 Abs. 1 SGB III in der bis zum 31.03.2012 geltenden Fassung (a.F.), das als Sozialleistung der Insolvenzversicherung in einem Betrag an den Arbeitnehmer ausgezahlt wird, als einmalige Einnahme bewertet, obwohl es in rechtlicher und wirtschaftlicher Hinsicht unmittelbar an die Stelle des monatlichen Arbeitseinkommens tritt (vgl. BSG, Urteil vom 13.05.2009 – B 4 AS 29/08 R – juris Rn. 12 bis 19). Der vom Beklagten gezogene Schluss folgt auch nicht aus der Wechselbeziehung zwischen Mutterschaftsgeld und Elterngeld. Denn das Elterngeld stellt nicht deshalb eine laufende Einnahme dar, weil es eine Entgeltersatzfunktion hat, sondern weil es gemäß § 4 Abs. 2 Satz 1 Bundeselterngeldgesetz (BEEG) in Monatsbeiträgen für Lebensmonate des Kindes und damit selbst monatlich wiederkehrend geleistet wird. Auch der Umstand, dass ohnehin ausschließlich das für die nachgeburtliche Schutzfrist i.S.v. § 3 Abs. 2 MuSchG gezahlte und damit hier nicht betroffene Mutterschaftsgeld gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BEEG auf das Elterngeld angerechnet wird (vgl. Brose in Brose/Weth/Volk, Mutterschutzgesetz und Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz, 9. Auflage 2020, § 3 Rn. 10 m.w.N.), lässt nach Ansicht des Senats keine rechtlich bindenden Rückschlüsse darauf zu, ob Mutterschaftsleistungen einmalige oder laufende Einnahmen i.S.d. SGB II darstellen bzw. wie Arbeitseinkommen zu behandeln sind (a.A. Landessozialgericht [LSG] Sachsen-Anhalt, Urteil vom 20.11.2019 – L 2 AS 693/15 – juris Rn. 63). Die zeigt sich bereits daran, dass der Gesetzgeber durch die Einfügung von § 11 Abs. 3 Satz 2 SGB II ab 01.08.2016 als Nachzahlungen zufließende (laufende) Einnahmen, die nicht für den Monat des Zuflusses erbracht werden, generell zu einmaligen Einnahmen bestimmt hat, unabhängig davon inwieweit sie auf andere Leistungen anzurechnen oder mit anderen Einkommen vergleichbar sind. Insoweit scheidet der vom Beklagten hergeleitete Zusammenhang aus.

 

Nicht zuletzt hat das Sozialgericht zutreffend darauf hingewiesen, dass eine rechtliche Verknüpfung des Mutterschaftsgeldes mit dem Arbeitsentgelt der Klägerin unter dem Gesichtspunkt der Ersatzfunktion bereits daran scheitert, dass der Klägerin im Juli 2018 tatsächlich sowohl Einkommen aus Erwerbstätigkeit im Juni 2018 als auch Mutterschaftsgeld zugeflossen ist, die „Ersatzfunktion“ im Juli 2018 also nicht eintreten konnte.

 

Kommt es demnach maßgeblich darauf an, ob Mutterschaftsgeld wiederkehrend geleistet, mithin regelmäßig ausgezahlt wird, ist zunächst festzustellen, dass es gemäß § 24i Abs. 3 Satz 1 SGB V für die letzten sechs Wochen vor dem voraussichtlichen Tag der Entbindung, den Entbindungstag und für die ersten acht Wochen nach der Entbindung gezahlt wird. Bei Früh- und Mehrlingsgeburten sowie in Fällen, in denen vor Ablauf von acht Wochen nach der Entbindung bei dem Kind eine Behinderung i.S.v. § 2 Abs. 1 Satz 1 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch ärztlich festgestellt und ein Antrag nach § 3 Abs. 2 Satz 4 MuSchG gestellt wird, verlängert sich der Zeitraum der Zahlung des Mutterschaftsgeldes nach Satz 1 – namentlich also das nachgeburtlichen Mutterschaftsgeld – auf die ersten zwölf Wochen nach der Entbindung (§ 24i Abs. 3 Satz 2 SGB V). Wird bei Frühgeburten und sonstigen vorzeitigen Entbindungen der Zeitraum von sechs Wochen vor dem voraussichtlichen Tag der Entbindung verkürzt, so verlängert sich die Bezugsdauer nach Satz 3 um den Zeitraum, der vor der Entbindung nicht in Anspruch genommen werden konnte. Für die Zahlung des Mutterschaftsgeldes vor der Entbindung ist nach Satz 4 das Zeugnis eines Arztes oder einer Hebamme maßgebend, in dem der voraussichtliche Tag der Entbindung angegeben ist. Bei Entbindungen nach dem voraussichtlichen Tag der Entbindung verlängert sich die Bezugsdauer bis zum Tag der Entbindung entsprechend (§ 24i Abs. 3 Satz 5 SGB V).

 

Das Anspruch auf Mutterschaftsgeld besteht somit für drei, nur sprachlich differenzierte Zeitabschnitte. Da der Entbindungstag und das nachgeburtliche Beschäftigungsverbot jedoch die Schutzfrist nach der Entbindung i.S.d. § 3 Abs. 2 MuSchG bilden, umfasst der Mutterschaftsgeldanspruch tatsächlich nur zwei insofern rechtlich abgegrenzte Abschnitte, nämlich die vorgenannte nachgeburtliche Schutzfrist sowie die Schutzfrist vor der Entbindung i.S.d. § 3 Abs. 1 MuSchG. Anders als beim Krankengeld (vgl. § 47 Abs. 1 Satz 6, 7 SGB V), welches kalendertäglich zu zahlen und für den Fall, dass es für einen ganzen Kalendermonat zu gewähren ist, mit 30 Tage berechnet werden muss, existiert beim Mutterschaftsgeld zur Überzeugung des Senats keine Fälligkeitsbestimmung, weder in § 24i SGB V noch in § 19 MuSchG (so auch LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 20.11.2019 – L 2 AS 693/15 – juris Rn. 63). Die Vorschrift des § 24i Abs. 2 SGB V bestimmt lediglich die kalendertäglichen Bemessungsgrundlagen. Die tatsächliche Leistungsgewährung der Krankenkasse als Vorschuss in zwei Auszahlungen, wobei zunächst das vorgeburtliche Mutterschaftsgeld und nach der Geburt das Mutterschaftsgeld für den Entbindungstag und das nachgeburtliche Beschäftigungsverbot in einem geleistet werden, entspricht einer geübten Verwaltungspraxis, die keine gesetzliche Stütze hat, sich aber gleichwohl an den gesetzlichen Abgrenzungen des § 3 Abs. 1 und 2 MuSchG orientiert.

 

Nach Ansicht des Senats spricht vieles dafür, dass es sich beim Mutterschaftsgeld um eine einmalige Leistung handelt. Denn Leistungsgrund für das Mutterschaftsgeld ist die bestehende Schwangerschaft und das Einsetzen der Phase der besonderen Schutzbedürftigkeit der werdenden Mutter und damit der Beginn der vorgeburtlichen Mutterschutzfrist (vgl. BSG, Urteil vom 10.10.1978 – 3 RK 17/17 – juris Rn. 12 zu § 200 RVO). Der Schutz der durch Schwangerschaft und Entbindung körperlich geschwächten Frau ist der tragende Rechtsgrund für die Sozialleistung. Die Leistungen sollen Frauen in der Zeit der Schutzfristen wirtschaftlich absichern. Sie sollen der Höhe nach dieselben Einkünfte wie zuvor erhalten. Hierdurch soll den Frauen zum Wohle der Gesundheit von Mutter und Kind jeglicher Anreiz genommen werden, während der Beschäftigungsverbote zur Sicherung des bisherigen Lebensstandards einer Beschäftigung nachzugehen (Bundesarbeitsgericht [BAG], Urteil vom 22.08.2012 – 5 AZR 652/11 – juris Rn. 22; Herrmann in Brose/Weth/Volk, Mutterschutzgesetz und Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz, 9. Auflage 2020, § 19 Rn. 1 unter Hinweis auf Erfk/Schlachter MuSchG § 19 Rn. 1; HK-MuSchG/Pepping § 13 Rn. 1; KassKomm/Nolte SGB V § 24i Rn. 2). Da Mutterschaftsgeld anlässlich der bevorstehenden Entbindung für die in § 24i Abs. 3 Satz 1 SGB V genannten Zeitabschnitte bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen ohne später hinzutretende materielle Bedingung dem Grunde nach beansprucht werden kann, könnte es von den Trägern der gesetzlichen Krankenversicherung z.B. grundsätzlich auch in einem Betrag ausgezahlt werden, sobald der Entbindungstermin gesichert feststeht. Vermutlich liegen der in der Verwaltungspraxis üblichen Auszahlung in zwei Tranchen praktische Überlegungen (Förderung der wirtschaftlichen Absicherung durch vorschussweise Zahlung, ggf. Berücksichtigung zusätzlicher Tage bei späterer Entbindung, Früh- und Mehrlingsgeburten, o.Ä.) zugrunde.

 

Unabhängig davon könnten rechtliche Zweifel bestehen, ob die geübte Auszahlungspraxis der Krankenkasse, das Mutterschaftsgeld in zwei (ggf. vorschussweise gewährten) Zahlbeträgen zu gewähren, den Begriff einer regelmäßigen, also wiederkehrenden und damit laufenden Einnahme überhaupt erfüllt. Schließlich wäre denkbar, dass zwei einmalige Leistungen auf unterschiedlichem Rechtsgrund vorliegen, weil die schwangere und sodann entbindende Mutter jeweils in die beiden Schutzfristen nach § 3 Abs. 1 MuSchG bzw. nach § 3 Abs. 2 MuSchG eintritt.

 

Dies muss im Fall der Klägerin indes nicht abschließend entschieden werden. Denn auch für laufende Einnahmen, die in größeren als monatlichen Zeitabständen zufließen, gilt gemäß § 11 Abs. 2 Satz 3 SGB II die Vorschrift des § 11 Abs. 3 SGB II entsprechend, sodass in selber Weise die Regelungen zu einmaligen Einnahmen Anwendung finden würden.

 

Für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 11 Abs. 2 Satz 3 SGB II kommt es allerdings nicht darauf an, ob die Krankenkasse Mutterschaftsgeld für die Dauer von mehr als einem Monat ausgezahlt hat (so aber wohl Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 13.02.2014 – L 7 AS 755/13 NZB – juris Rn. 15). Maßgeblich ist, dass nach ihrem Rechtsgrund wiederkehrende Leistungen in einem größeren Abstand als monatlichen Zeitabständen zufließen (vgl. BSG, Urteil vom 24.08.2017 – B 4 AS 9/16 R – juris Rn. 17 ff.). Dies wäre im Fall der Klägerin gegeben, wenn man die hier streitige Zahlung als erste von unstreitig nur zwei laufenden Einnahmen aus Mutterschaftsgeld bewertet. Die Klägerin hat am 30.07.2018 Mutterschaftsgeld für die Zeit vom 30.07.2018 bis 09.09.2018 erhalten. Am 13.09.2018 hat sie ihren Sohn geboren. Die zweite Zahlung der Krankenkasse erfolgte damit frühestens im September 2018, sodass die beiden Zahlungen regulär und nicht etwa infolge einer Leistungsstörung in größerem Abstand als monatlich erfolgten.

 

Nach alledem war entsprechend des Tenors zu entscheiden.

 

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und orientiert sich am Ausgang des Verfahrens. Der geringfügige Erfolg des Beklagten und das geringfügige Unterliegen der Klägerin rechtfertigen eine abweichende Entscheidung nicht.

 

Die Revision war nicht zuzulassen, weil Gründe i.S.d. § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG nicht vorliegen. Die Rechtssache hat insbesondere keine grundsätzliche Bedeutung. Dies gilt auch unter Beachtung des Umstandes, dass sich das BSG – soweit ersichtlich – zu den aufgeworfenen Rechtsfragen zur Einordnung von Mutterschaftsgeld als einmalige oder laufende Einnahme noch nicht geäußert hat. Gemäß § 11a Abs. 1 Nr. 6 SGB II (in der ab dem 01.07.2023 geltenden Fassung des Zwölften Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze – Einführung eines Bürgergeldgesetzes [Bürgergeld-Gesetz] vom 16.12.2022) ist Mutterschaftsgeld nach § 19 MuSchG nicht mehr als Einkommen zu berücksichtigen, sodass sich Rechtsfragen zur Anrechnung nicht mehr stellen werden. Demnach betreffen die hier erörterten Streitfragen nur noch auslaufendes Recht, sodass eine Klärungsbedürftigkeit in der Regel zu verneinen ist, es sei denn, es ist über eine erhebliche Zahl von Fällen noch zu entscheiden (vgl. die Rechtsprechungsübersicht von Leitherer in: Mayer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Auflage, Stand 2020, § 160 Rn. 8). Hierfür liegen keine Anhaltspunkte vor.

 

Rechtskraft
Aus
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