Die Regelungen in § 82 Abs. 4, 5 SGB XII und in § 82a SGB XII zur Absetzung von Freibeträgen von Einkommen aus zusätzlicher Altersvorsorge und von Einkommen aus der gesetzlichen Rentenversicherung bei ausreichend Grundrentenzeiten verstoßen nicht gegen das Gleichbehandlungsgebot des Grundgesetzes.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand
Die im November 1963 geborene, erwerbsgeminderte Klägerin begehrt höhere Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des SGB XII. Sie bezieht von der Deutschen Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See eine Witwenrente und von der Deutschen Rentenversicherung Hessen seit dem 01. August 2019 eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung.
Am 18. Juni 2019 hatte sie bei dem Beklagten ergänzende Leistungen beantragt, da die Renten in Höhe von 163,26 € (Erwerbsminderungsrente) und 167,30 € (Witwenrente) ihren Lebensunterhalt nicht deckten. Der Beklagte hat Hilfe zum Lebensunterhalt ab Juli 2019 bewilligt (Bescheid vom 15. Juli 2019, ersetzt durch den Abhilfebescheid – im Hinblick auf die Höhe der Unterkunftskosten – vom 19. November 2020; Änderungsbescheid vom 14. Januar 2021 ab Januar 2021). Von dem Gesamtbedarf aus jeweiligem Regelbedarf, Mehrbedarf für Warmwasserbereitung und Unterkunftskosten hat er die Renten in jeweils nachgewiesener voller Höhe abgesetzt.
Am 19. Juli 2021 beantragte die Klägerin die Überprüfung der Leistungsbescheide ab Juli 2019. Nach der Neufassung des § 82 Abs. 4 SGB XII zum 01. Januar 2018 stünden ihr anrechnungsfrei 100,00 € auf alle Rentenarten zu.
Nach Anhörung mit Schreiben vom 20. Juli 2021 lehnte der Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 30. August 2021 ab. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Absetzung eines Freibetrages von dem Renteneinkommen der Klägerin lägen nicht vor, da sie nicht über Einkünfte aus zusätzlicher Altersvorsorge wie Riesterrente oder eine betriebliche Altersvorsorge verfüge.
Dagegen erhob die Klägerin am 17. September 2021 Widerspruch und machte geltend, dass seit der Neufassung des § 82 SGB XII 100 € auf alle Rentenarten anrechnungsfrei seien. Das gelte auch für die Erwerbsminderungsrente. Außerdem habe ihr die Deutsche Rentenversicherung bestätigt, dass ihr 30 € anrechnungsfrei für gesetzlich vorgeschriebene Versicherungen zustünden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 29. März 2022 wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Die von ihr bezogenen Renten gehörten als Einkommen nach § 82 Abs. 1 SGB XII zu den anrechenbaren Einkünften. Ausnahmetatbestände von der Anrechnung seien nicht erfüllt. Aufwendungen, die gemäß § 82 Abs. 2 SGB XII abzusetzen wären, seien nicht nachgewiesen worden. Ein Freibetrag gemäß § 82 Abs. 4 SGB XII sei nicht zu berücksichtigen, weil die Voraussetzungen der Anrechnungsfreiheit nicht vorlägen. Abzusetzen sei ein Freibetrag von einer zusätzlichen Altersvorsorge. Bei den von der Widerspruchsführerin bezogenen Renten handele es sich jedoch um gesetzliche Renten und nicht um eine zusätzliche Altersvorsorge, deren Voraussetzungen in Absatz 5 der Vorschrift beschrieben würden.
Dagegen hat die Klägerin am 02. Mai 2022 Klage erhoben. Es komme zwar in Betracht, dass nach den zitierten gesetzlichen Vorgaben die Zuerkennung des dort normierten Freibetrages nicht möglich sei. Die Klägerin vertrete jedoch die Auffassung, dass durch diese Form der Gesetzesnormierung verfassungsrechtliche Grundsätze verletzt würden. Die Klägerin, die tatsächlich nicht über eine private Zusatzrente verfüge und auch keine rentenrechtliche Wartezeit erfülle, sei aufgrund ihrer gesundheitlichen Einschränkungen, die zu einer dauerhaften Erwerbsunfähigkeit führten, nicht mehr in der Lage, diese Voraussetzungen durch weitere Renteneinzahlungen von sich aus zu erfüllen. Da es sich um die Gewährung von sozialstaatlich garantierten Leistungen zur Sicherung der Grundbedürfnisse auf der Grundlage des Existenzminimums handele, erscheine die gesetzliche Regelung der Zuerkennung von Rentenfreibeträgen nur allein für die vom Gesetzgeber ausgewählten Personenkreise als willkürlich und unwirksam. Es führe zu einer nicht hinnehmbaren Ungerechtigkeit, wenn aufgrund gesundheitlicher Einbußen ein Beschäftigter gar keiner Beschäftigung mehr nachgehen kann und somit nicht mehr in der Lage sei, aus seinem Einkommen am Existenzminimum überhaupt noch Einzahlungen für eine Privatvorsorge aufzubringen. Aus Klägersicht sei dieser Fall durch den Gesetzgeber nicht hinreichend bedacht wurden und führe im Ergebnis zu Grundrechtsverletzungen.
Die Klägerin beantragt,
1. Der Bescheid des Beklagten vom 30. August 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. März 2022 wird aufgehoben.
2. Der Beklagte wird verpflichtet, die Bescheide vom 19. November 2020 und vom 14. Januar 2021 zu ändern und der Klägerin ab dem 1. Juli 2019 höhere Hilfe zum Lebensunterhalt unter Berücksichtigung eines Freibetrages von ihrem Renteneinkommen entsprechend § 82 Abs. 4 SGB XII zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er wiederholt und vertieft die Ausführungen in dem Widerspruchsbescheid. Auf der gesetzlichen Grundlage sei die Berücksichtigung eines Freibetrages nicht möglich. Die Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Regelung falle nicht in die Zuständigkeit des Beklagten. Dieser sei an die gesetzlichen Bestimmungen gebunden. Die Hilfe zum Lebensunterhalt werde somit in gesetzlicher Höhe erbracht.
Die Beteiligten haben sich mit Schriftsätzen vom 02. Dezember 2022 (Klägerin) und vom 08. Dezember 2022 (Beklagter) mit einer Entscheidung des Gerichts ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt von Gerichts- und Verwaltungsakte Bezug genommen, der Gegenstand der Beratung und Entscheidungsfindung gewesen ist.
Entscheidungsgründe
Das Gericht durfte gemäß § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden, nachdem die Beteiligten sich damit ausdrücklich einverstanden erklärt haben.
Die als kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage statthafte und auch im Übrigen zulässige Klage ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Aufhebung des angegriffenen Überprüfungsbescheides in der Gestalt des Widerspruchsbescheides und Verpflichtung des Beklagten zur Änderung seiner Leistungsbescheide vom 19. November 2020 und vom 14. Januar 2021 sowie Gewährung höherer Hilfe zum Lebensunterhalt.
Gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind.
Für Leistungszeiträume im Jahr 2019 Ist eine Änderung und Gewährung höherer Leistungen bereits wegen § 116 Nr. 2 SGB XII ausgeschlossen. Danach gilt § 44 des Zehnten Buches mit der Maßgabe, dass anstelle des Zeitraums von vier Jahren nach Absatz 4 Satz 1 ein Zeitraum von einem Jahr tritt. Nach § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X werden Sozialleistungen nach den besonderen Teilen dieses Gesetzbuches bei Rücknahme eines Verwaltungsakts mit Wirkung für die Vergangenheit längstens für einen Zeitraum von bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht, wobei der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet wird, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird, bei Rücknahme auf Antrag von Beginn des Jahres der Antragstellung an, § 44 Abs. 4 Satz 2, 3 SGB X. Angesichts des hier am 19. Juli 2021 gestellten Antrags könnte eine Rücknahme somit frühestens ab dem 01. Januar 2020 erfolgen.
Unabhängig davon hat die Klägerin auch dem Grunde nach keinen Anspruch auf Rücknahme der bestandskräftig gewordenen Bescheide und Zahlung höherer Leistungen, denn der Beklagte ist weder von einem falschen Sachverhalt ausgegangen noch hat er das Recht unrichtig angewandt. Die Bescheide waren vielmehr rechtmäßig.
Gemäß § 19 Abs. 1 i. V. m. § 27 Abs. 1 SGB XII ist Personen Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel zu leisten, die ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere aus ihrem Einkommen und Vermögen, bestreiten können. Eigene Mittel sind nach § 27 Abs. 2 Satz 1 SGB XII insbesondere das eigene Einkommen und Vermögen. Der für die Gewährleistung des Existenzminimums notwendige Lebensunterhalt umfasst nach § 27a Abs. 1 Satz 1 SGB XII insbesondere Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Haushaltsenergie ohne die auf Heizung und Erzeugung von Warmwasser entfallenden Anteile, persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens sowie Unterkunft und Heizung.
Der Beklagte hat der Ermittlung des Leistungsanspruchs der Klägerin jeweils in korrekter Höhe den Regelbedarf, den Mehrbedarf für Warmwasserbereitung und – seit dem Abhilfebescheid vom 19. November 2020 – ihre vollständigen Unterkunftskosten zugrunde gelegt, §§ 27a, 28, 30 Abs. 7, 35 SGB XII. Davon hat er zu Recht die bezogenen Renten als vorrangig einzusetzende eigene Mittel abgezogen, § 27 Abs. 1, 2 i. V. m. § 82 Abs. 1 Satz 1 SGB XII, um den verbleibenden Bedarf zu ermitteln.
Soweit die Klägerin mit ihrem Widerspruch vorgetragen hat, ihr stünde ein Betrag von 30,00 € für Versicherungen zu, gilt dieser Absetzbetrag nur für Leistungen nach dem SGB II (Grundsicherung für Arbeitsuchende, dort nach § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 i. V. m. § 6 Abs. 1 Nr. 1 der Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung; jeweils in der Fassung bis 31. Dezember 2022). Im SGB XII ist kein derartiger Abzug einer Versicherungspauschale vorgesehen. Absetzungen sind hier bei tatsächlich anfallenden und nachgewiesenen Versicherungen möglich, § 82 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB XII, die von der Klägerin jedoch nicht angegeben wurden.
Von dem Renteneinkommen sind auch keine Freibeträge nach § 82 Abs. 4 und Abs. 5 SGB XII und ebenso wenig nach § 82a SGB XII abzusetzen.
Nach § 82 Abs. 4 SGB XII ist bei der Hilfe zum Lebensunterhalt und Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung ein Betrag von 100 Euro monatlich aus einer zusätzlichen Altersvorsorge der Leistungsberechtigten zuzüglich 30 vom Hundert des diesen Betrag übersteigenden Einkommens aus einer zusätzlichen Altersvorsorge der Leistungsberechtigten, höchstens jedoch 50 vom Hundert der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28 abzusetzen. Nach Absatz 5 der Vorschrift ist Einkommen aus einer zusätzlichen Altersvorsorge im Sinne des Absatzes 4 jedes monatlich bis zum Lebensende ausgezahlte Einkommen, auf das der Leistungsberechtigte vor Erreichen der Regelaltersgrenze auf freiwilliger Grundlage Ansprüche erworben hat und das dazu bestimmt und geeignet ist, die Einkommenssituation des Leistungsberechtigten gegenüber möglichen Ansprüchen aus Zeiten einer Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung nach den §§ 1 bis 4 des Sechsten Buches, nach § 1 des Gesetzes über die Alterssicherung der Landwirte, aus beamtenrechtlichen Versorgungsansprüchen und aus Ansprüchen aus Zeiten einer Versicherungs¬pflicht in einer Versicherungs- und Versorgungseinrichtung, die für Angehörige bestimmter Berufe errichtet ist, zu verbessern. Als Einkommen aus einer zusätzlichen Altersvorsorge gelten auch laufende Zahlungen aus einer betrieblichen Altersversorgung im Sinne des Betriebsrentengesetzes, einem nach § 5 des Altersvorsorgeverträge-Zertifizierungsgesetzes zertifizierten Altersvorsorgevertrag und einem nach § 5a des Altersvorsorgeverträge-Zertifizierungsgesetzes zertifizierten Basisrentenvertrag.
Die Klägerin verfügt jedoch nicht über eine zusätzliche Altersvorsorge.
Nach § 82a SGB XII wird von Renteneinkünften aus der gesetzlichen Rente ein Freibetrag in gleicher Höhe für Personen abgesetzt, die mindestens 33 Jahre an Grundrentenzeiten nach § 76g Abs. 2 SGB VI oder in gleichgestellten Versorgungssystemen erreicht haben. An rentenrechtlichen Zeiten sind in dem Versicherungsverlauf der Klägerin bis zum Eintritt der Erwerbsminderung insgesamt lediglich 92 Monate (= 7 Jahre und 8 Monate) Pflichtbeitragszeiten und danach 126 Monate (= 10 Jahre und 6 Monate) Zurechnungszeiten ab Eintritt der Erwerbsminderung festgestellt, so dass es auf die Qualifizierung der Zeiten im Einzelnen nicht ankommt; 33 Jahre werden keinesfalls erreicht.
Dass die Voraussetzungen der gesetzlichen Freibetragsregelungen nicht vorliegen, ist zwischen den Beteiligten unstreitig und bedarf daher keiner weiteren Ausführungen.
Eine entsprechende Anwendung der Vorschriften auf die Situation der Klägerin kommt angesichts der ausdrücklichen gesetzgeberischen Regelungen, die bewusst und gezielt bestimmte Privilegierungstatbestände geschaffen haben, nicht in Betracht. Eine für eine analoge Anwendung erforderliche planwidrige Regelungslücke besteht hier nicht.
Das Gericht ist auch nicht der Überzeugung, dass diese unter konkreten Gesichtspunkten erfolgten Privilegierungen und umgekehrt die Nichtberücksichtigung eines entsprechenden Freibetrages bei der Klägerin verfassungswidrig ist, so dass das Verfahren auszusetzen und dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes (GG) zur Entscheidung vorzulegen wäre.
Zunächst bestehen bereits in tatsächlicher Hinsicht keine Anhaltspunkte für den Vortrag der Klägerin, sie werde deshalb ungerecht behandelt, weil sie gerade aus gesundheitlichen Gründen in Zusammenhang mit ihrer Erwerbsminderung nicht in der Lage sei, eine zusätzliche Altersvorsorge aufzubauen oder grundrentenfähige Zeiten zu erlangen. Der Versicherungsfall für ihre Erwerbsminderungsrente wurde mit dem 03. Januar 2019 festgestellt. Nach 17 Monaten Pflichtbeitragszeiten bis September 1982 vor der Geburt ihrer Kinder und sodann wegen Kindererziehung und Mutterschutz weist der Versicherungsverlauf ausschließlich Zeiten geringfügiger nicht versicherungspflichtiger Beschäftigungen sowie – mit Ausnahme von 12 Monaten im Jahr 2016 – nur noch Pflichtbeitragszeiten wegen Sozialleistungsbezuges auf. Für Zeiten im November 1982 und von Juni 1985 bis November 1992 konnten Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung nicht anerkannt werden, weil die Klägerin eine mehr als geringfügige selbständige Tätigkeit ausgeübt habe und keine Pflichtbeiträge vorhanden seien. Auch freiwillige Beiträge hat sie währenddessen nicht gezahlt. Dass die Klägerin irgendwann vor Beginn ihrer Erkrankung außer der gesetzlichen Pflichtversicherung eine eigene Altersvorsorge aus ihrer Erwerbstätigkeit oder aus unabhängig davon gezahlten eigenen Beiträgen betrieben hätte, ist nicht erkennbar. Daher ist auch nicht nachvollziehbar, dass sie daran später gerade wegen ihrer Erkrankung gehindert gewesen sein sollte. Der Gesetzgeber wäre darüber hinaus auch nicht verpflichtet, jegliche durch das Schicksal einer Erkrankung eintretenden Nachteile bei Betroffenen auszugleichen. Der verfassungsrechtlich erforderliche Ausgleich der gesundheitsbedingt fehlenden Einnahmen erfolgt über die Gewährung der Erwerbsminderungsrente und, wo diese nicht ausreicht, ergänzend die Bewilligung von Sozialhilfeleistungen.
Aber auch unabhängig davon sind die Freibetragsregelungen zur Überzeugung der Kammer nicht verfassungswidrig; insbesondere liegt kein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG vor.
Nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG folgt aus dem Gebot des Art. 3 Abs. 1 GG, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln, dass wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln ist. Damit ist dem Gesetzgeber allerdings nicht jede Differenzierung untersagt. Wenn eine Regelung zu einer Ungleichheit führt, bedarf dies jedoch stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Ziel der Regelung und dem Ausmaß der damit verbundenen Ungleichheit angemessen sind. Der dabei zu beachtende, am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierte verfassungsrechtliche Prüfungsmaßstab lässt sich nicht abstrakt, sondern nur nach den jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereichen bestimmen. Er reicht von auf das Willkürverbot beschränkten Bindungen bis hin zu strengen Verhältnismäßigkeitsanforderungen. Die Bindung des Gesetzgebers ist umso strenger, je eher Freiheitsrechte betroffen und je weniger die zur Ungleichheit führenden Merkmale für die Einzelnen verfügbar sind (vgl. etwa BVerfG, Beschlüsse vom 28. April 2022, Az. 1 BvL 12/20, Rn. 9, 10 m. w. N.; und vom 27. Juli 2016, Az. 1 BvR 371/11, Rn. 69 m. w. N.; sämtliche Zitate nach juris). Im Bereich der gewährenden Staatstätigkeit besteht regelmäßig ein weiter Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, der entsprechend zurückhaltend verfassungsrechtlich zu überprüfen ist. Insbesondere prüft das Bundesverfassungsgericht – und damit auch das Sozialgericht bei der Frage der Vorlagepflicht – nicht, ob der Gesetzgeber im Einzelnen die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung gefunden hat (vgl. BVerfG Az. 1 BvL 12/20, Rn. 19; ebenso bereits Urteil vom 23. Januar 1990, Az. 1 BvL 44/86, Rn. 167; Beschluss vom 10. Dezember 1985, Az. 2 BvL 18/83, Rn. 51). Gerade dies ist Gegenstand insbesondere der sozialpolitischen Diskussion, nicht aber des Verfassungsrechts.
Vorliegend wird die Klägerin zwar anders behandelt als Versicherte, die entweder die Voraussetzungen des § 82a SGB XII mit mindestens 33 Jahren Grundrentenzeiten erfüllen oder aber Betroffene, die neben ihrer gesetzlichen Altersvorsorge freiwillig zusätzlich vorgesorgt haben. Jedoch ist diese unterschiedliche Behandlung nach den dargestellten Grundsätzen nicht verfassungswidrig.
Dabei kann dahingestellt bleiben, ob an die Regelungen über das reine Willkürverbot hinausgehende Anforderungen zu stellen sind, denn der Gesetzgeber hat mit den genannten Privilegierungstatbeständen jedenfalls jeweils einen hinreichend gewichtigen Zweck verfolgt. Dass er keine darüber hinausgehenden Privilegierungen vorgenommen hat, obliegt seiner gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit im Rahmen der Gewährung von Sozialleistungen (BVerfG a. a. O.). Aus Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG ergibt sich ein Anspruch auf Sicherung des soziokulturellen Existenzminimums (vgl. BVerfG, Urteil vom 09. Februar 2010, Az. 1 BvL 1/09, Rn. 133ff). Dieser ist jedoch gedeckt, wenn Betroffenen insgesamt Einnahmen zustehen, die in ihrer Höhe den Gesamtbedarf abdecken. Dem Gesetzgeber ist es verfassungsrechtlich nicht verwehrt, existenzsichernde Sozialleistungen nur insoweit zur Verfügung zu stellen, wie Menschen ihre Existenz nicht vorrangig selbst sichern können (vgl. BVerfG a. a. O., Az. 1 BvL 12/20 Rn. 21; Az. 1 BvR 371/11, Rn. 39; Urteile vom 09. Februar 2010, Az. 1 BvL 1/09, Rn. 125; vom 05. November 2019, Az. 1 BvL 7/16, Rn. 123) Dementsprechend erfolgt eine Absetzung des eigenen Einkommens, weil im Ergebnis der Berechtigten in der Summe aus eigenem Einkommen und aufstockender Hilfe zum Lebensunterhalt Einnahmen in Höhe ihres Gesamtbedarfs zur Verfügung stehen.
Die oben genannten Privilegierungstatbestände führen dazu, dass den davon Erfassten höhere Leistungen zustehen, also solche, die über den grundlegenden Bedarf zur Sicherung des soziokulturellen Existenzminimums hinausgehen. In diesem Bereich der Gewährung zusätzlicher Sozialleistungen hat der Gesetzgeber wie ausgeführt einen weiten Gestaltungsspielraum. Wenn das soziokulturelle Existenzminimum dem Grunde nach gedeckt ist, obliegt es seiner Einschätzung, welchen Personenkreis er unter welchen Voraussetzungen zusätzlich privilegieren will. Insoweit ist es jedenfalls nicht willkürlich, sondern dient zumindest einem legitimen Ziel, wenn er mit dem Gesetz zur Stärkung der betrieblichen Altersvorsorge und zur Änderung anderer Gesetze (Betriebsrentenstärkungsgesetz) vom 17. August 2017 (BGBl. I S. 3214) bezweckt hat, die Verbreitung zusätzlicher Altersvorsorge neben der gesetzlichen Rentenversicherung gerade auch bei Beschäftigten mit geringem Einkommen zu fördern und flankierend dazu durch den eingeführten Freibetrag ein gesamtgesellschaftliches Signal setzen wollte, dass sich freiwillige Altersvorsorge in jedem Fall lohnt (vgl. Gesetzesbegründung in BT-Drs. 780/16 S. 25f, 29f, 43ff; vgl. auch Hessisches Landessozialgericht <LSG>, Beschluss vom 05. Mai 2020, Az. L 4 SO 231/19 B, Rn. 8). Die Voraussetzungen des Freibetrages sind insofern auch grundsätzlich selbst beeinflussbar (anders als z. B. Alter oder Geschlecht), wenngleich nicht zu verkennen ist, dass es gerade Menschen mit geringen Einkommen umso schwerer fällt, zusätzlich Aufwendungen für eine Altersvorsorge zu erbringen. Dennoch können sie darüber grundsätzlich selbst entscheiden und der Gesetzgeber hat sich entschieden, gerade für diese Personengruppe, die damit rechnen muss, mit einer späteren Rente ihren Lebensunterhalt nicht ohne aufstockende Grundsicherungsleistungen decken zu können, durch den Freibetrag einen Anreiz für die ergänzende Vorsorge zu schaffen. Das obliegt seiner Beurteilung.
Ebenso ist es nicht willkürlich, sondern dient einem legitimen sozialpolitischen Ziel, wenn der Gesetzgeber mit der Einführung des Freibetrags in § 82a SGB XII durch das Gesetz zur Einführung der Grundrente für langjährige Versicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung mit unterdurchschnittlichem Einkommen und für weitere Maßnahmen zur Erhöhung der Alterseinkommen (Grundrentengesetz) vom 12. August 2020 (BGBl. I S. 1879) Betroffene, die über wesentliche Teile ihres Erwerbslebens grundrentenberechtigende Ansprüche erworben und damit wesentliche Anstrengungen im Hinblick auf ihre eigene Existenzsicherung unternommen sowie während ihrer Beitragszahlungszeiten in der Vergangenheit wie auch insbesondere durch Kindererziehung für die Zukunft zur Finanzierung der gesetzlichen Rentenversicherung beigetragen haben, gegenüber solchen privilegiert, bei denen das nicht oder nur in geringem Umfang der Fall war. Damit sollen gerade in den Fällen von geringen Arbeitsverdiensten der tatsächliche Einsatz der eigenen Arbeitskraft und darüber hinaus sonstige Leistungen im Interesse der gesamten Gesellschaft wie Kindererziehung und Pflege von Angehörigen oder anderen pflegebedürftigen Menschen gewürdigt werden (vgl. Gesetzesbegründung in BT-Drs. 19/18473 S. 2, 21f). Der Freibetrag soll dafür sorgen, dass auch in den Fällen, in denen die Grundrente den Grundsicherungsbedarf nicht deckt, eine Einkommensverbesserung erzielt und vermieden wird, dass die Verbesserung in der Rente durch eine Anrechnung in den bedarfsorientierten Fürsorgesystemen bzw. einkommensabhängigen Sozialleistungen aufgezehrt wird (vgl. BT-Drs. 19/18473 S. 4, 23, 50).
Ob diese Würdigung erst ab der erheblichen Grenze von 33 grundrentenfähigen Jahren einsetzen sollte oder nicht auch bereits früher – ggf. mit abweichender Gestaltung des Freibetrages – gerechtfertigt und „gerecht“ wäre, ist wiederum eine sozialpolitische Frage, die dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers unterfällt. Willkürlich ist die an den Voraussetzungen des Anspruchs auf eine Grundrente nach § 76g SGB VI orientierte Grenze jedenfalls nicht.
Nach alledem entspricht die Leistungsgewährung den gesetzlichen Regelungen, von deren Verfassungswidrigkeit die Kammer nicht überzeugt ist. Die Klage war daher abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG und folgt dem Ergebnis in der Sache.