L 28 BA 12/23 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Betriebsprüfungen
Abteilung
28.
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 28 BA 3/23 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 28 BA 12/23 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

1.. Remote-Arbeit ist daher kein Alleinstellungsmerkmal und damit kein taugliches Abgrenzungsmerkmal für eine selbständige Tätigkeit. Umso mehr Gewicht erlangen in solchen Fällen die übrigen Merkmale der funktionalen/arbeitsteiligen Eingliederung in einen Betrieb, der Umfang der persönlichen Gestaltungsfreiheit und des Unternehmerrisikos.

 

2. Wird aus einer bei einem Arbeitgeber ursprünglich abhängig ausgeübten Beschäftigung eine selbständige Tätigkeit bei demselben Auftraggeber, muss für die neue Tätigkeit anhand der zur sozialversicherungsrechtlichen Abgrenzung heranzuziehenden Merkmale (u.a. des Unternehmerrisikos und der Eingliederung) für Dritte ein klarer Unterschied erkennbar sein.

 

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 2. Februar 2023 wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

 

Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 23.462,22 Euro festgesetzt.

 

 

Gründe

 

I.

 

Die Antragstellerin begehrt mit ihrer Beschwerde noch die Anordnung der aufschiebenden Wirkung für einen Teil ihres Widerspruchs gegen einen Betriebsprüfungsbescheid der Antragsgegnerin.

 

Nach Anhörung der Antragstellerin, eines Unternehmens für Gebäude-, Fassaden-, Büro- und Baureinigung sowie Schnee- und Eisbeseitigung, stellte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 11. November 2022 u. a. fest, dass Herr JS seit 2017 jeweils in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis gegen Arbeitsentgelt i.  S.  der Sozialversicherung zur Antragstellerin stehen. Sie setzte für den Zeitraum ab dem 1.  Januar 2017 bis zum 31. Dezember 2021 gegenüber der Antragstellerin eine Nachforderung unter Berücksichtigung einer weiteren Mitarbeiterin in Höhe von insgesamt 70.386,66 Euro fest. Darin enthalten sind Säumniszuschläge in Höhe von 14.545,50 Euro. Für Herrn S als IT-Fachkraft bestehe – so der Bescheid –  mindestens seit dem 1. Januar 2017 Versicherungs- und Beitragspflicht in allen vier Zweigen der Sozialversicherung. Die Beiträge betreffend Herrn S betrugen nach der Feststellung der Antragsgegnerin 7.661,64 Euro für das Jahr 2017, 6.498,12 Euro für das Jahr 2018, 4.924,04 Euro für das Jahr 2019 und 11.484,96 Euro für das Jahr 2020.

 

Mit ihrem Widerspruch beantragte die Antragstellerin die Aussetzung der Vollziehung. Dies lehnte die Antragsgegnerin am 19. Dezember 2022 ab.

 

Die Antragstellerin hat am 6. Januar 2023 beim Sozialgericht Berlin beantragt, die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs, hilfsweise die Aussetzung der Vollziehung der mit dem Bescheid festgestellten Beitragsforderung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über Widerspruch und Klage.

 

Zur Begründung hat sie ausgeführt, die von der Antragstellerin vorgenommenen Feststellungen stimmten in wesentlichen Bereichen nicht mit den eingereichten Fragebögen von Herrn S überein, im Übrigen seien Teile der Auskünfte unzutreffend. Herr S sei für 14 weitere verschiedene Auftraggeber tätig geworden. Er sei neben seiner Tätigkeit als Einzelunternehmer (S IT-Service) auch als Mitgesellschafter der Firma s GbR für die Antragstellerin tätig geworden. Herr S sei zudem nicht in den betrieblichen Arbeitsablauf der Antragstellerin eingegliedert, er habe keine vorgegebenen Arbeitszeiten gehabt, überwiegend „Remote“ IT-Dienstleistungen, Beratungsleistungen sowie Serviceleistungen erbracht. Er habe zur Ausführung der Tätigkeiten keine Weisungen zu befolgen gehabt. Sämtliche Arbeitsmittel seien von der Firma S zur Verfügung gestellt worden. Die IT-Tätigkeit stehe in keinem Zusammenhang mit einer vor 15 Jahren beendeten geringfügigen Tätigkeit der Belegaufbereitung, die Herr S für die Antragstellerin ausgeübt habe.

 

Mit Beschluss vom 2. Februar 2023 hat das Sozialgericht den Antrag zurückgewiesen. Laut der Beschreibungen in den von Herrn S ausgestellten Rechnungen habe seine Tätigkeit neben der Wartung und Ersatz der Hardware, der Software-Pflege und Pflege des Buchhaltungsprogrammes sowie der Kommunikation mit den Anbietern auch die regelmäßig vorbereitende Buchführung und Zuarbeiten für den Administrator der Antragstellerin beinhaltet. Er sei damit in das Unternehmen der Antragstellerin eingegliedert. Ferner sei er nach Stunden entlohnt worden, dabei sei bei einer Höhe von 15,00 (bis 31. März 2020) bzw. 20,00 Euro pro Arbeitsstunde nicht ersichtlich, dass diese Vergütung verhandelt worden sei. Selbst wenn die Aktenlage dafür spreche, dass Herr S auch für andere Auftraggeber tätig gewesen und die Antragsgegnerin in dem angefochtenen Bescheid insoweit von unzutreffenden Tatsachen ausgegangen sei, spreche dies im Rahmen der summarischen Prüfung nicht gegen eine Eingliederung. Die Tätigkeit als Selbständiger sei schließlich erfolgt, nachdem er bei der Antragstellerin beschäftigt gewesen sei. Auch bei Berücksichtigung einer hochqualifizierten und spezialisierten Tätigkeit sei eine Eingliederung gerade nicht auszuschließen. Soweit die Antragsgegnerin davon ausgehe, Herr S sei „im Winterdienst für die Antragstellerin“ auf der Basis von pauschalen Honorarverträgen tätig gewesen, sei das zwar unzutreffend. Die stattdessen von der Antragstellerin dargelegte Tätigkeit der Pflege und des Supports des Softwareprogrammes sowie das Einpflegen von Kundendaten für den Winterdienst (der Antragstellerin) sei aber nicht zwingend selbständig, sondern auch im Rahmen einer Eingliederung möglich.

 

Gegen den am 3. Februar 2023 zugestellten Beschluss richtet sich die von der Antragstellerin am 16. Februar 2023 zunächst vollumfänglich erhobene Beschwerde, die sie zuletzt nach Hinweis des Senats noch auf den Widerspruch betreffend die Feststellungen und Nachforderungen für Herrn J S beschränkt hat.

 

Entgegen der Einschätzung des Sozialgerichts habe Herr S mit der Antragsgegnerin den Stundenlohn der Höhe und Struktur nach vor Aufnahme der Tätigkeit verhandelt. Nicht nachvollziehbar sei, warum die Tatsache, dass Herr S auch weitere Auftraggeber habe, nicht gegen eine Eingliederung in den Betrieb der Antragstellerin spreche. Gerade für eine hochqualifizierte Tätigkeit habe das Bundessozialgericht ausgeführt, dass bei sog. Diensten höherer Art das Weisungsrecht auf das Stärkste eingeschränkt sein könne. Dennoch könne eine solche Dienstleistung fremdbestimmt sein, wenn sie ihr Gepräge von der Ordnung des Betriebs erhalte, in deren Dienst die Arbeit verrichtet werde. Ein insoweit relevantes Weisungsrecht liege im vorliegenden Fall gerade nicht vor. Es fehle an Anhaltspunkten für eine Eingliederung von Herrn S, nachdem auch das Sozialgericht anerkannt habe, dass es unzutreffend sei, dass pauschale Honorararbeiten für den Winterdienst nur eingegliedert in den Betrieb der Antragstellerin wahrgenommen werden könnten.

 

Die Antragstellerin habe zwischenzeitlich mit der zuständigen Einzugstelle eine Ratenzahlungsvereinbarung dahingehend vereinbart, dass der Gesamtbetrag aus dem angefochtenen Betriebsprüfungsbescheid in 23 Raten zu jeweils 3.000,00 Euro pro Monat sowie einer Schlussrate (1.386,66 Euro) ab dem 27. Januar 2023 beglichen werde. Darauf beruhend unterbreite die Antragstellerin der Antragsgegnerin (im Beschwerdeverfahren) ein Vergleichsangebot, dass sie bereit wäre, die Feststellungen betreffend der weiteren Mitarbeiterin (Frau H) in Rechtskraft erwachsen zu lassen, wenn die Antragsgegnerin im Gegenzug die Feststellung betreffend Herrn S und die entsprechenden Nachforderungen aufhebe.

 

Nachdem die Antragsgegnerin den Vergleichsvorschlag nicht angenommen hat, beantragt die Antragstellerin unter Teilrücknahme ihrer Beschwerde im Übrigen noch,

 

den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 2. Februar 2023 teilweise aufzuheben und die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin vom 14. Dezember 2022 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 11. November 2022 hinsichtlich der Feststellungen betreffend Herrn J S (Ziffer 2. des Bescheides) anzuordnen.

 

Die Antragsgegnerin beantragt,

 

die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 2.  Februar 2023 als unbegründet kostenpflichtig zurückzuweisen.

 

II.

 

Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg. Das Sozialgericht hat zu Recht die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die unter Ziffer 2 des Bescheides vom 11. November 2022 getroffene Feststellung zur Versicherungspflicht des Herrn J S und die darauf beruhende Festsetzung einer Nachforderung nebst Säumniszuschlägen abgelehnt.

 

Der Antrag der Antragstellerin auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, aber ohne Erfolg.

 

1. Es besteht für den Antrag ein Rechtsschutzbedürfnis, obwohl die Antragstellerin sich mit der zuständigen Einzugstelle auf eine Ratenzahlung der festgesetzten Beitragsnachforderung geeinigt hat. Denn die Antragstellerin könnte mit der teilweisen Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs einen rechtlichen wie tatsächlichen Vorteil erlangen (Burkiczak, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl., § 86b SGG - Stand: 08.03.2023 -, Rn. 153). Die Festsetzung der Beitragsnachforderung ist gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG sofort vollziehbar, die Antragsgegnerin hat eine Aussetzung der Vollziehung explizit abgelehnt. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung würde die Zahlungspflicht beseitigen, diese sofortige Fälligkeit der Beitragsforderung ist Grundlage der Ratenzahlungsvereinbarung und damit der monatlichen Zahlungsverpflichtung von 3.000,00 Euro.

2. Unter Berücksichtigung und Würdigung der mit der Beschwerde vorgebrachten Argumente besteht kein Anspruch auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung hinsichtlich der Feststellungen und Beitragsnachforderungen betreffend die Tätigkeit von Herrn J S. Nach summarischer Prüfung besehen derzeit deutliche Anhaltspunkte dafür, dass Herr S für die Antragstellerin zwischen Januar 2017 und dem 31. Dezember 2020 als Beschäftigter gegen Entgelt Tätigkeiten in Gestalt von IT-Dienstleistungen erbracht hat (§  7  Viertes  Buch  Sozialgesetzbuch – SGB IV) und die Antragsgegnerin zu Recht die Versicherungspflicht in allen vier Zweigen der Sozialversicherung für o. g.  Tätigkeit festgestellt und darauf beruhend Beiträge nacherhoben hat. Der Senat verweist zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Gründe des erstinstanzlichen Beschlusses (§ 153 Abs. 2 SGG).

 

Für eine nach dem Vortrag der Antragstellerin zumindest seit 2017 ausgeübte selbständige Tätigkeit liegen keine entsprechenden schriftlichen Verträge vor. Die übrigen Umstände sprechen für eine Beschäftigung. Prima facie lässt sich keine selbständige Tätigkeit belegen. Denn es ist derzeit nicht geklärt, wie sich die Tätigkeiten, die Herr S zwischen 2017 und 2020 erbracht hat, von den Arbeiten, die er bis 2007 als Beschäftigter der Antragstellerin geleistet hat, in Inhalt, Struktur und der Frage der Eingliederung tatsächlich unterscheiden. Wird aus einer bei einem Arbeitgeber ursprünglich abhängig ausgeübten Beschäftigung eine selbständige Tätigkeit bei demselben Auftraggeber, muss für die neue Tätigkeit anhand der zur sozialversicherungsrechtlichen Abgrenzung heranzuziehenden Merkmale (u. a.  des Unternehmerrisikos und der Eingliederung) ein klarer Unterschied erkennbar sein. Werden z. B.  für die neue Tätigkeit keine schriftlichen Verträge geschlossen, aus denen sich die Bedingungen der Leistungserbringung, z. B.  auch der Vergütung, für Dritte klar ablesen lassen, gehen Zweifel daran, ob eine im Hinblick auf § 7 SGB IV qualitativ andere Tätigkeit vorliegt, zu Lasten der Vertragsparteien.

 

Gemessen daran lassen die schriftlichen Angaben der Beteiligten in streitigen Fall nicht klar erkennen, welchen Inhalt die zunächst abhängige Beschäftigung hatte und wie sich diese von den IT-Dienst- und Serviceleistungen im streitigen Zeitraum unterschied. Einerseits gibt Herr S auf seinem „XING-Profil“ (https://www.xing.com/profile/J_S4, Bl. I/54 f. Verwaltungsakte) zu seinem beruflichen Werdegang an, dass er „4 Jahre und 6 Monate, Aug. 2002 - Jan. 2007“ „Controlling, Qualitätsmanagementbeauftragter bei Gebäudemanagementsysteme Pr Gebäudereinigung GmbH“ war und davor seit dem Jahr 2000 - 2002 im Rahmen der Buchhaltung bei diesem Unternehmen gearbeitet hat. Andererseits hat er im Verfahren der Betriebsprüfung schriftlich erklärt, er habe im Rahmen der geringfügigen Beschäftigung für die Antragstellerin im Zeitraum Mai 2001 – März  2007 Belegaufbereitung für deren Buchhaltung vorgenommen (Angabe im Fragebogen zur Feststellung des sozialversicherungsrechtlichen Status – Auftragnehmer - vom 14. September 2021, Bl. 13 Rückseite BiA-Unterlagen der Antragsgegnerin). Im Gegensatz dazu gab die Antragstellerin ihrerseits auf dem entsprechenden Fragebogen für Auftraggeber an, Herr S sei vor der streitgegenständlichen Tätigkeit überhaupt nicht als abhängig Beschäftigter bei ihr tätig gewesen (Bl. 7 BiA-Unterlagen, Angabe vom 16. November 2021). Auch die Angaben zu den Umständen der zwischen 2017 und 2020 ausgeübten Tätigkeit und ihrer Vergütung sind in sich mehrdeutig und im Vergleich widersprüchlich. Die Angabe der Antragstellerin, wonach Herr S seine Preise nicht frei gestaltete, die Vergütung sowohl in Form eines Fixums gewährt wurde als auch pro Auftrag und pro Stunde (als Beratungshonorar), stehen im Widerspruch zu den eigenen Angaben von Herrn S, wonach er über die Vergütung normale Preisverhandlungen führte und es sich um ein Honorar und kein Fixum handelte. Im Gegensatz zu Herrn S Angabe, wonach er die Arbeiten persönlich auszuführen hatte, gab die Antragstellerin schließlich schriftlich an, das sei nicht der Fall gewesen (Bl. 9 und Bl.  14 Rückseite BiA-Unterlagen). Im Gegensatz zu Herrn S, der im Rahmen des Verwaltungsverfahrens angegeben hat, dass er Arbeitszeitnachweise in Gestalt von Stundenzetteln mit Tätigkeitsdokumentation zu führen hatte (Bl. 14 BiA-Unterlagen) hat die Antragstellerin vorgetragen, er habe keine Arbeitszeitnachweise zu führen gehabt (Bl. 7 BiA-Unterlagen). Diese widersprüchlichen Angaben begründen Zweifel an der Tragfähigkeit der Angaben zu den Umständen der Tätigkeit im Bereich IT-Service insgesamt. Die Widersprüche sind nur zum Teil damit erklärbar, dass ein unterschiedliches Begriffsverständnis der Beteiligten geherrscht haben könnte und auch die aktenkundigen monatlichen Abrechnungen von Herrn S für verschiedene Leistungen unterschiedliche Vergütungsmodi enthalten (Stundenabrechnungen und Pauschale).

 

Konzentriert sich der Senat vor diesem Hintergrund – wie auch bereits das Sozialgericht – auf die übereinstimmenden Angaben zu den Umständen der Tätigkeit und auf die aktenkundigen Rechnungen, so ergeben sich klare Anhaltspunkte dafür, dass die Tätigkeit abhängig war. Die Tätigkeit im Bereich IT-Service kann sowohl im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses als auch als Beschäftigter ausgeübt werden. Ist die nach dem Vertrag geschuldete Leistung derart unbestimmt, dass sie erst durch weitere Vorgaben oder eine Eingliederung in den Betrieb konkretisiert wird, ist dies ein gewichtiges Indiz für eine abhängige Beschäftigung (Segebrecht, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IV, 4. Aufl., § 7 Abs. 1 SGB IV  - Stand: 06.09.2021 -, Rn. 223). Im Fall der Antragstellerin wurden die Arbeitsaufträge, da ein schriftlicher Vertrag mit Herrn S nicht existierte, erst durch weitere Vorgaben konkretisiert.

 

Ferner bestand zwar eine räumliche Eingliederung nur punktuell, weil Herr S überwiegend von außerhalb der Betriebsräume der Antragstellerin tätig wurde, eine funktionelle Eingliederung bestand dagegen schon. Dabei kann der Senat unterstellen, dass Herr S seine Arbeit zeitlich überwiegend in Gestalt einer „Remote-Arbeit“ ausführte. Diese ist allgemein gerade dadurch gekennzeichnet, dass Mitarbeiter ihre Aufgaben an anderen, oftmals beliebigen Orten als den von Arbeitgebern bereitgestellten Arbeitsplätzen erledigen. Ein Internetanschluss genügt insoweit, um tätig zu werden. Bei der sog. „Remote Work“ hat der Arbeitnehmer nur den Arbeitsauftrag, den er erledigen muss. Arbeitszeiten und Arbeitsplätze kann er selbst festlegen (vgl. https://www.haufe.de/arbeitsschutz/gesundheit-umwelt/neue-arbeitsformen-was-bedeutet-remote-work_94_526480.html). Als Oberbegriff hat sich u. a.  Homeoffice für alle Formen von bürobezogener Erwerbsarbeit von zu Hause aus etabliert. Die ab März 2020 infektionsschutzrechtlich begründeten Lockdown bzw. die Homeoffice-Pflicht während der Corona-Pandemie haben dieser Arbeitsform einen enormen Vorschub geleistet (vgl. https://www.haufe.de/arbeitsschutz/gesundheit-umwelt/neue-arbeitsformen-was-bedeutet-remote-work_94_526480.html).

 

Unter Berücksichtigung einer seit Jahren zunehmenden Weiterentwicklung der Betriebs- und Arbeitswelt kann aus dem Ort, an dem eine Tätigkeit für einen anderen regelmäßig erledigt wird, auch im Kontext von § 7 SGB IV gerade nicht quasi schematisch auf eine fehlende Eingliederung in einen Betrieb geschlossen werden. Die Remote-Arbeit ist daher kein Alleinstellungsmerkmal und damit kein taugliches Abgrenzungsmerkmal für eine selbständige Tätigkeit. Umso mehr Gewicht erlangen in solchen Fällen die übrigen Merkmale, so der Aspekt der funktionalen/arbeitsteiligen Eingliederung in einen Betrieb, der Umfang der persönlichen Gestaltungsfreiheit (dazu BSG, Urteil vom 14. März 2018 – B  12  KR  12/17 R) und vor allem die Frage, ob die Tätigkeit durch ein relevantes Unternehmerrisiko im Einzelfall gekennzeichnet ist.

 

Gemessen daran war Herr S zwar nach derzeitigem Verfahrensstand (Widerspruchsverfahren) nur punktuell und anlassbedingt oder im Rahmen eines konkreten eng umrissenen Projektes in den Betriebsräumen der Antragstellerin und war im Übrigen an einem eigenen Arbeitsplatz Nplatz , 10178 B für die Antragstellerin tätig. Er war allerdings in die betrieblichen Abläufe der Antragstellerin eingegliedert und es fehlen derzeit Anhaltspunkte dafür, dass er mit der Antragstellerin als externer IT-Spezialist „auf Augenhöhe“ arbeitete, weil er mit gestalterischen Freiheiten mitbestimmte. Schließlich ist ein relevantes Unternehmerrisiko nicht belegt.

 

Bereits nach eigenen Angaben der Antragstellerin hat er auch für die Rechtsvorgängerin der Klägerin regelmäßige IT-Dienstleistungen erbracht. Er pflegte die Hard- und Software, behob Unregelmäßigkeiten, kümmerte sich um die Diensttelefone der Mitarbeiter. Diese von Herrn S regelmäßig und fortlaufend ausgeführten Tätigkeiten sind für das Funktionieren der Abläufe in einem Unternehmen zentral, sie erfolgen bereits nach ihrer Struktur bis zu einem gewissen Maß eingegliedert in die Organisation. Anhand der Aktenlage ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass Herr S in den Tätigkeiten, wie sie auch Gegenstand der Rechnungen sind, einen eigenen relevanten Gestaltungsspielraum hatte, woraus sich entnehmen ließe, dass er quasi „auf Augenhöhe“ mit der Antragstellerin zusammenarbeitete. Allein ein faktisch bestehendes Herrschaftswissen oder besondere Fachkompetenz begründet bei konkret bestimmten Aufträgen noch keine eigene Gestaltungsmacht (zu dem Aspekt der freien Gestaltungsmacht, vgl. BSG, Urteil vom 14. März 2018 – B 12 KR 12/17 R – Rn. 35).

 

Ein relevantes Unternehmerrisiko von Herrn S ist im Übrigen nach Aktenlage nicht erkennbar. Er wurde überwiegend nach Arbeitsstunden entlohnt. Soweit in den Unterlagen der Betriebsprüfung auch pauschale Abrechnungen von S IT-Service vorliegen, bleibt derzeit noch im Dunkeln, was Grundlage des jeweiligen vereinbarten Rechnungsbetrags war. Nennenswertes eigenes Kapital setzte Herr S für die Tätigkeit bei der Antragstellerin nicht ein. Die Anschaffungskosten der Hard- und Software, die er als Betriebsmittel benannte, sind nicht bekannt. Soweit er ein Auto als Betriebsmittel anführt, fehlen Angaben dazu, ob dieses rein betrieblich genutzt wird. Die von ihm schließlich benannten „immateriellen Wirtschaftsgüter“ sind weder ihrem Gegenstand nach bezeichnet, noch kann ihnen ein Wert i. S. eines marktgängigen Wagniskapitals zugeordnet werden. Sollte er damit allein seine Kenntnisse und die Arbeitskraft umschreiben, wurde beides nach derzeitigem Stand nicht mit dem Risiko eingesetzt, keine Vergütung zu erhalten. Für Herrn S ist schließlich derzeit nicht erkennbar, dass er eine Möglichkeit besaß, durch etwaige Entscheidungen die Höhe seines Verdienstes (bei der Antragstellerin) zu beeinflussen. Im Hinblick darauf, dass es lediglich auf eine Betrachtung der konkreten Tätigkeit ankommt, kann nicht darauf abgestellt werden, dass er noch andere Kunden hatte, denn es gibt sozialversicherungsrechtlich kein einheitliches Berufsbild des Selbständigen. Maßgeblich sind vielmehr die einzelnen Auftragsverhältnisse.

 

Die weiteren Merkmale, wonach Herr S nicht an Schulungen und Dienstbesprechungen teilnehmen musste, nicht mit anderen Mitarbeitenden, außer dem Administrator, zusammengearbeitet hat, keine Dienstkleidung getragen hat und  keinen Kundenkontakt für die Antragstellerin nach außen hatte, treten in den Hintergrund.

 

Nicht gänzlich geklärt ist die Frage, ob Herr S auch in der Kranken- und der Sozialen Pflegeversicherung der Versicherungspflicht unterlag oder ob er gemäß §  5  Abs. 5 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) als hauptberuflich Selbständiger insoweit nicht versicherungspflichtig ist. Voraussetzung wäre, dass die selbständige Tätigkeit von ihrer wirtschaftlichen Bedeutung und dem zeitlichen Aufwand her die übrigen Erwerbstätigkeiten zusammen deutlich übersteigt und den Mittelpunkt der Erwerbstätigkeit darstellt (Felix, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl., § 5 SGB V – Stand: 30.11.2022 – Rn. 147_1).

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Herr S war halbtags bzw. 15 Wochenstunden (so Stellungnahme der Antragstellerin vom 30. Juni 2022) im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses bei der s GmbH mit einem monatlichen Einkommen von 1.350,55 Euro (brutto) tätig. Bei der Antragstellerin hat er nach eigenen Angaben wöchentlich 12 Stunden gearbeitet, das entspricht einer durchschnittlichen täglichen Arbeitszeit von 2,5 Stunden. Ob die übrigen Tätigkeiten für die weiteren Kunden, die er in der streitigen Zeit hatte, die beiden o. g. Tätigkeiten zeitlich und nach dem Einkommen überwogen, ist nicht bekannt. Einen Steuerbescheid, aus der sich das Verhältnis zwischen den Einnahmen aus selbständiger und abhängiger Tätigkeit ableiten ließe, hat Herr S bislang nicht eingereicht. Nach der für S IT Service vorgelegten Einnahmenüberschussrechung für das Jahr 2018 hatte er Betriebseinnahmen in Höhe von 15.582,85 Euro angegeben. Dem steht Einkommen aus unstreitig abhängiger Beschäftigung in Höhe von 16.206,60  Euro (12 x 1.350,55 Euro, s GmbH) gegenüber. Unter Berücksichtigung der aktenkundigen der Antragstellerin monatlich in Rechnung gestellten Arbeitsstunden für das Jahr 2018 (466,42 Stunden) nebst der pauschal erfolgen Vergütung für weitere geleistete IT-Dienstleistungen für die Antragstellerin ergibt sich ein weiteres Einkommen aus abhängiger Beschäftigung. Wird dieses von den o. g. Betriebseinnahmen abgezogen, übersteigen die Einnahmen aus abhängiger Beschäftigung die Betriebseinnahmen aus selbständiger Tätigkeit. Da im Übrigen die materielle Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen des §  5  Abs. 5 SGB V bei demjenigen liegt, der sich darauf beruft, sind die Voraussetzungen derzeit für Herrn S nicht nachgewiesen.

 

Einwände gegen die Höhe von der Antragsgegnerin für die Berechnung der Beiträge herangezogenen Entgelte hat die Antragstellerin nicht erhoben. Die Höhe ergibt sich zum Teil aus den monatlich von Herrn S abgerechneten Stunden und ist schon deshalb nicht zu beanstanden. Soweit die Antragsgegnerin darüber hinaus auch die nach den Rechnungen pauschal abgerechneten Leistungen (wie z. B. die Rechnung „Honorararbeiten Datenbankpflege Winterdienst“ vom 14. Februar 2017 für den Leistungszeitraum Januar 2017, Bl. 95 BiA-Unterlagen) ebenfalls bei der Beitragserhebung berücksichtigt, ist das nach derzeitigem Sachstand nicht fehlerhaft. Herr S war auch insoweit in den Betrieb der Antragstellerin eingegliedert. Es scheint sich bei diesen Honorarrechnungen eher um solche für abgrenzbare Zusatzaufgaben gehandelt zu haben, welche nicht regelmäßig anfielen und daher extra vergütet wurden. Es obliegt der Antragstellerin darzulegen, wie sich die Umstände dieser Leistungen von den stundenweise abgerechneten Leistungen und die Höhe des pauschal abgerechneten Honorars dergestalt unterschieden, dass jeweils von einem selbständigen Auftragsverhältnis auszugehen ist. Auch diesbezüglich sind die bisherigen Angaben der Beteiligten mehr als unzureichend, um eine selbständige Tätigkeit zu belegen. Die von der weiteren GbR („systemiker“), deren Gesellschafter Herr S war/ist, gestellten Rechnungsbeträge hat die Antragsgegnerin schließlich nicht in die Beitragsberechnung einbezogen.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung.

 

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 197a Abs. 1 SGG i. V. m. § 47, §  52  Abs.  1, § 53 Abs. 2 Nr. 4, § 63 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes. Danach berücksichtigt der Senat das wirtschaftliche Interesse der Antragstellerin, welches in Betriebsprüfungsverfahren nach den §§ 28p ff. SGB IV in der Regel der Höhe der zu erwartenden Beitragsnachforderung nebst Säumniszuschlägen entspricht. In den Fällen des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 86b Abs. 1 SGG ist die Hälfte des Streitwerts der Hauptsache grundsätzlich angemessen. Im Fall der Antragstellerin entspricht die Höhe der erstinstanzlichen Festsetzung (§ 47 Abs. 2 Satz 1 Gerichtskostengesetz). Von der Änderung des erstinstanzlich festgesetzten Streitwertes wird für dieses Mal abgesehen [vgl. BVerwG, Beschluss vom 17.  März  2021 – 4 BN 61/20, 4 BN 61/20 (4 BN 11/20) – Rn. 9 ff.].

 

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).

 

 

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