L 8 SO 214/22

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Sozialhilfe
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 12 SO 13/20
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 8 SO 214/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Bei einer Änderung der Verhältnisse nach einem längeren Zeitraum (hier: mehrere Jahre), in dem die Unterkunftskosten des Leistungsberechtigten in tatsächlicher Höhe berücksichtigt worden sind, bedarf es einer (nochmaligen) Kostensenkungsaufforderung, um die Unterkunftskosten erneut nur mehr in dem als angemessen erachteten Umfang zu berücksichtigen.

 

I. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 9. Juni 2022, der Bescheid des Beklagten vom 12. April 2019 in der Fassung des Bescheids vom 23. Dezember 2019 sowie der Bescheid vom 13. Januar 2020, beide in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. Januar 2020, in der Fassung des Bescheids vom 27. Januar 2021 geändert und der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger für November und Dezember 2019 jeweils weitere 110,70 EUR sowie für Januar bis Juni 2020 und für August 2020 bis Januar 2021 jeweils weitere 82,10 EUR an Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung zu zahlen. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

II. Der Beklagte hat neun Zehntel der außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.


T a t b e s t a n d :

Streitig ist im Berufungsverfahren noch, ob der Kläger Anspruch auf höhere Leistungen nach dem Vierten Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch - Sozialhilfe - (SGB XII) für die Kosten der Unterkunft und Heizung im Zeitraum von Oktober 2019 bis Januar 2021 hat.

Der 1966 geborene Kläger beantragte erstmals im Januar 2016 beim Beklagten Sozialhilfe. Damals wohnte er noch in V (Lkr. P) und es war ein Grad der Behinderung (GdB) von 60 ohne Merkzeichen anerkannt. Der Kläger erhielt laufende Leistungen vom Jobcenter P, doch ging der Ärztliche Dienst von einer Erwerbsfähigkeit unter drei Stunden täglich aus. Die Deutsche Rentenversicherung Bayern Süd (DRV) kam schließlich auch zu dem Ergebnis, dass der Kläger jedenfalls seit 05.11.2015 unabhängig von der Arbeitsmarktlage auf Dauer voll erwerbsgemindert ist (Stellungnahme vom 26.04.2016); ein Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung bestand aber nicht, da die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt waren (Rentenauskunft der DRV vom 22.12.2015).

Zum 01.02.2016 mietete der Kläger seine aktuelle 3-Zimmer-Wohnung in A mit einer Wohnfläche von 63,70 qm, die über zwei Etagen geht. Für die Wohnung waren monatlich eine Grundmiete i.H.v. 350 EUR sowie Vorauszahlungen für Nebenkosten i.H.v. 103,90 EUR und für Heizkosten i.H.v. 72,10 EUR geschuldet (Mietvertrag vom 21.11.2015 und Mietbescheinigung vom 27.01.2016).

Außerdem ist der Kläger privat kranken- und pflegeversichert (Beiträge zusammen monatlich 402,31 EUR, ab Januar 2020 428,82 EUR) und unterhält eine Sterbegeldversicherung (Monatsbeitrag 16,38 EUR).

Nachdem zunächst das Jobcenter Landkreis D dem Kläger Arbeitslosengeld II für die Zeit von Februar 2016 bis Juli 2016 - unter Berücksichtigung von Kosten für Unterkunft und Heizung i.H.v. monatlich 384,10 EUR - bewilligt hatte (Bescheid vom 16.03.2016), bewilligte der Beklagte dem Kläger schließlich Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (Grundsicherung) für die Zeit von Februar 2016 bis Januar 2017 (Bescheid vom 01.08.2016). Dabei berücksichtigte er als Bedarf für Unterkunft und Heizung ebenfalls lediglich 384,10 EUR (312 EUR Miete und 72,10 EUR Heizkosten) und die Sterbegeldversicherung gar nicht. Aufgrund eines Erstattungsanspruchs des Jobcenters wurden die Leistungen für die Monate Februar bis Juli 2016 an das Jobcenter ausbezahlt.

Ab August 2016 vermietete der Kläger ein Zimmer seiner Wohnung an Frau B für monatlich 100 EUR Kaltmiete und 50% der Heiz- und Betriebskostenvorauszahlung (undatierter Untermietvertrag zwischen dem Kläger und Frau B).

Daraufhin änderte der Beklagte die Grundsicherungsbewilligung ab August 2016 (Bescheid vom 19.08.2016) und berücksichtigte nunmehr als Bedarf für Unterkunft und Heizung beim Kläger monatlich 338 EUR (250 EUR Miete, 51,95 EUR Nebenkosten und 36,05 EUR Heizkosten). Für die Folgezeit (Februar 2017 bis Januar 2020) wurde die Leistungsbewilligung bezüglich der Unterkunfts- und Heizkosten in gleicher Weise vorgenommen (Bescheide vom 31.01.2017, 21.12.2017 und 28.01.2019).

Beim Kläger wurde ab 17.09.2018 Pflegegrad 1 anerkannt (Schreiben der A1 vom 18.09.2018).

In der Vermögenserklärung vom 24.10.2018 im Rahmen des Weitergewährungsantrags gab der Kläger an, ein Kraftfahrzeug (Kfz) mit Erstzulassung Oktober 2001 zu haben. Später ergänzte der Kläger, er habe das Fahrzeug seit einem Multiorganversagen bei Sepsis im September 2017 als Mitfahrgelegenheit, Halterin sei Frau B; er beteilige sich zu 50% an den Versicherungskosten. Das Kfz habe einen Wert von etwa 500 EUR (Fragebogen Kfz vom 22.11.2018).

Ab dem 17.12.2018 wurde beim Kläger ein GdB von 100 mit den Merkzeichen G, B und aG festgestellt (Zentrum Bayern Familie und Soziales - Versorgungsamt - Bescheid vom 20.02.2019 und Widerspruchsbescheid vom 13.08.2019).

Ab Januar 2019 erhöhte sich die Grundmiete der Wohnung des Klägers auf monatlich 367,50 EUR und die Vorauszahlung für die Nebenkosten sank auf 158,50 EUR (Schreiben des Vermieters vom 18.11.2018 - BA 318).

Zum 31.03.2019 zog die Untermieterin des Klägers aus.

Mit Bescheid vom 12.04.2019 hob der Beklagte den Bescheid vom 28.01.2019 ab März 2019 auf und bewilligte dem Kläger für März 2019 Grundsicherung i.H.v. 1.236,39 EUR und für die Monate April 2019 bis Januar 2020 i.H.v. jeweils 1.313,69 EUR. Ab März 2019 werde ein Mehrbedarf wegen der Schwerbehinderung mit Merkzeichen G gewährt. Ab April 2019 ergebe sich eine Änderung der Unterkunftskosten wegen des Auszugs von Frau B. Die Wohnung des Klägers sei aus sozialhilferechtlicher Sicht für eine Person zu groß und zu teuer. Nach den Richtlinien der Sozialhilfe sei eine Wohnung bis zu ca. 50 qm Wohnfläche und einer Gesamtmiete einschließlich Nebenkosten ohne Heizung und Warmwasser von 312 EUR angemessen. Ab April 2019 würden bei der Berechnung der Grundsicherungsleistungen als Kosten der Unterkunft nur die Wohngeldobergrenze zuzüglich 10% Sicherungszuschlag (monatlich 343,20 EUR) und die tatsächlichen Heizkosten festgesetzt.

Dagegen legte der Kläger Widerspruch ein. Die Kosten der Unterkunft seien in voller Höhe zu berücksichtigen. Er sei bislang nicht zur Kostensenkung aufgefordert worden (Schriftsätze seiner Bevollmächtigten vom 13.05.2019 und 16.07.2019).

Aufgrund des Weitergewährungsantrags des Klägers vom 14.11.2019 erfuhr der Beklagte von der am 23.09.2019 erfolgten Gutschrift i.H.v. 508,90 EUR aus der Heiz- und Betriebskostenabrechnung für 2018. Ferner ergaben sich aus den vorgelegten Kontoauszügen u.a. Scheckeinreichungen i.H.v. 278,84 EUR am 21.10.2019 und i.H.v. 173,21 EUR am 29.10.2019.

Mit Bescheid vom 23.12.2019 änderte der Beklagte die Leistungsbewilligung für Januar 2020 auf 1.378,16 EUR. Die Mietobergrenzen würden ab Januar 2020 auf 371,80 EUR (neue Mietobergrenze in A für einen 1-Personen-Haushalt zuzüglich 10% Sicherungszuschlag) und die tatsächlichen Heizkosten angehoben.

Ferner bewilligte der Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 13.01.2020 Grundsicherung i.H.v. monatlich 1.378,16 EUR für die Zeit von Februar 2020 bis Januar 2021. Es wurden ebenfalls monatlich 371,80 EUR als Bedarf an Unterkunftskosten und 72,10 EUR an Heizkosten berücksichtigt.

Die Regierung von Niederbayern wies den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 12.04.2019, geändert mit Bescheid vom 23.12.2019, und den Folgebescheid vom 13.01.2020 mit Widerspruchsbescheid vom 23.01.2020 zurück. Der Kläger habe keinen Anspruch auf höhere Leistungen für die Kosten der Unterkunft. Eine Zusicherung des ehedem zuständigen Jobcenters habe er nicht eingeholt. Durch den Wechsel vom Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) ins SGB XII habe auch keine Verpflichtung bestanden, den Kläger zur Senkung seiner Unterkunftskosten aufzufordern. Ebenso spiele es keine Rolle, dass der Kläger später durch Untervermietung seine Unterkunftskosten zeitweise auf das angemessene Maß gesenkt habe.

Zusammen mit dem Weitergewährungsantrag reichte der Kläger im Januar 2021 Kontoauszüge ein, aus denen u.a. Scheckeinreichungen am 28.10.2020 i.H.v. 371,53 EUR, am 05.11.2020 i.H.v. 120,93 EUR und am 24.11.2020 i.H.v. 100,26 EUR ersichtlich sind. Ferner ergab sich, dass dem Kläger am 02.06.2020 ein Guthaben i.H.v. 289,96 EUR aus der Heiz- und Betriebskostenabrechnung für 2019 überwiesen wurde.

Mit Bescheid vom 27.01.2021 erhöhte der Beklagte die Grundsicherungsleistungen für Januar 2021 auf 1.394,54 EUR. Hinsichtlich der Bedarfe für Unterkunft und Heizung erfolgte keine Änderung.

Darüber hinaus änderte der Beklagte die Leistungsbewilligung für Juni 2020 mit Bescheid vom 01.03.2021 auf 1.088,20 EUR und forderte vom Kläger eine Überzahlung i.H.v. 289,96 EUR zurück. Aus der Betriebskostenabrechnung für 2019 sei dem Kläger ein Guthaben zugeflossen. Dieses werde im Juni 2020 als Einkommen angerechnet.

Bereits am 24.02.2020 hat der Kläger beim Sozialgericht Landshut (SG) Klage gegen den Widerspruchsbescheid vom 23.01.2020 erhoben. Er bewege sich mit dem Rollator und einem elektrischen Rollstuhl fort. Außerdem leide er unter mehrmals täglichen unwillkürlichen Harnabgängen. Er habe Pflegegrad 1. Weiterhin sei er psychisch erkrankt. Die Beiträge zur Sterbegeldversicherung seien als weiterer Bedarf anzuerkennen. Außerdem seien die Unterkunfts- und Heizkosten in voller Höhe zu berücksichtigen. Unstreitig sei er zu keinem Zeitpunkt zur Kostensenkung aufgefordert worden. Mangels Aufklärung sei es ihm subjektiv unmöglich gewesen, seine Kosten auf das angemessene Maß zu senken. Seiner Pflicht zur Kostensenkung sei er durch die Untervermietung eines Teils seiner Wohnung nachgekommen. Wenn aber eine ursprünglich angemessene Miete durch den Tod oder Auszug eines Mitbewohners unangemessen werde, greife die sechsmonatige Schonfrist. Zudem sei ihm ein Umzug in eine andere Wohnung aus gesundheitlichen Gründen nicht zuzumuten gewesen, weil seine Familie in der Nähe wohne und ihm aufgrund seiner Pflegebedürftigkeit im Alltag helfe. Auch seien jedenfalls nicht die Angemessenheitswerte für einen 1-Personen-Haushalt heranzuziehen, da er auf einen Rollator sowie elektrischen Rollstuhl angewiesen sei. Aufgrund seiner Pflegebedürftigkeit bestehe auch ein erhöhter Wohnflächenbedarf. Wenn er in der Nacht stürze oder auf die Toilette müsse, komme sein Bruder, der Rentner sei, aus dem Nachbarhaus. Überdies wohnten eine Cousine und ein Neffe in der Nähe.

Der Beklagte hat erwidert, die sechsmonatige Frist zur Senkung der Unterkunftskosten sei für Fälle gedacht, in denen die Leistungsbezieher vor Hilfebeginn in einer zu teuren Wohnung lebten oder während des Leistungsbezugs eine ehemals angemessene Unterkunft unangemessen teuer werde. Eine solche Situation habe beim Kläger nicht vorgelegen. Die Wohnung sei von Anfang an sowohl hinsichtlich der Größe als auch des Mietpreises unangemessen gewesen. Es könne zudem nicht nachvollzogen werden, dass die Wohnung den Bedürfnissen des Klägers gerecht werde. Eine Unterstützung könne auch in einer anderen Wohnung am jetzigen Wohnort erfolgen.

Auf Anfrage des SG hat der Vermieter des Klägers einen Grundriss der Wohnung übersandt und mitgeteilt, dass sich die Vorauszahlung i.H.v. 158,50 EUR in 70 EUR für Heizkosten und Warmwasser sowie 88,50 EUR für Nebenkosten aufteile (Schreiben vom 16.10.2021 und 11.02.2022).

Den Vergleichsvorschlag des SG vom 17.02.2022 hat der Kläger nicht angenommen.

Mit Urteil vom 09.06.2022 hat das SG den Bescheid des Beklagten vom 01.03.2021 aufgehoben (Ziffer I.), den Beklagten verurteilt, dem Kläger Grundsicherung i.H.v. weiteren 25,13 EUR für den Monat März 2019, weiteren 127,08 EUR monatlich für den Zeitraum von April 2019 bis September 2019 sowie weiteren 14,28 EUR monatlich für den Zeitraum von November 2019 bis Juni 2020 sowie von August 2020 bis Januar 2021 zu gewähren (Ziffer II.), und im Übrigen die Klage abgewiesen (Ziffer III.). Die zulässige Klage sei teilweise begründet. Im Zeitraum von April bis einschließlich September 2019 seien die tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung als Bedarf anzuerkennen. Offen bleiben könne, ob beim Kläger wegen seiner Behinderung bzw. seiner Pflegebedürftigkeit eine größere Wohnung als angemessen zugrunde zu legen sei. Die derzeit bewohnte Wohnung könne das diesbezügliche Platzbedürfnis nicht behindertengerecht erfüllen. Sie erstrecke sich über zwei Geschosse und sei nicht barrierefrei mit dem Rollator bzw. dem elektrischen Rollstuhl zugänglich. Es erschließe sich nicht, weshalb dann ein höherer Flächenbedarf zugrunde zu legen sein solle. Der Kläger habe weder das Jobcenter noch den Beklagten über den Abschluss des Mietvertrages informiert und keine der Behörden habe dem Umzug zugestimmt. Voraussetzung dafür, dass der Leistungsberechtigte nicht auf eine kostengünstigere Unterkunft verwiesen werden dürfe, sei grundsätzlich, dass er seine bisherige Wohnung schon bewohne oder dass die Miete während des Bezugs von Hilfe in den Bereich des Unangemessenen erhöht werde. Der Leistungsberechtigte solle nicht gezwungen sein, sofort bei Eintritt der Hilfebedürftigkeit seine bisherige Wohnung aufzugeben. So sei es im Fall des Klägers gewesen. Er sei seiner Verpflichtung zur Senkung der Unterkunftskosten nachgekommen und habe einen Teil der Wohnung untervermietet. Nach dem Auszug der Untermieterin müsse dem Kläger daher ein gewisser Zeitraum eingeräumt werden, um die Kosten der Unterkunft erneut auf ein angemessenes Maß zu senken. Gründe für ein Abweichen von der Sechs-Monats-Frist seien nicht zu erkennen. Dass dem Kläger auch eine Untervermietung nicht zuzumuten sei, sei nicht ersichtlich. Daher komme es nicht darauf an, ob ihm ein Umzug aus gesundheitlichen Gründen unzumutbar sei. Dem Bescheid vom 12.04.2019 seien die maßgeblichen Angemessenheitsgrenzen zu entnehmen. Die Notwendigkeit einer ausdrücklichen Kostensenkungsaufforderung sei weder normiert noch sonst formelle Voraussetzung für die Weigerung, mehr als die angemessenen Kosten zu übernehmen. Der Kläger habe nach dem Auszug der Untermieterin das angemessene Maß erkennen und die Kosten entsprechend senken können. Ferner seien die Beiträge zur Sterbegeldversicherung als zusätzlicher Bedarf anzuerkennen, soweit sie nicht vom Einkommen abzusetzen seien. Im Oktober 2019 und im Juli 2020 habe der Kläger aus Betriebskostennachzahlungen Einkommen erzielt. In diesen Monaten seien die Beiträge zur Sterbegeldversicherung und zur Haftpflichtversicherung abzusetzen. Die Beiträge zur Rechtsschutzversicherung und zur Zahnzusatzversicherung seien dagegen nicht vom Einkommen abzusetzen. Das Pflegegeld (Entlastungsbetrag von 125 EUR) sei nicht als Einkommen zu berücksichtigen, weil es nicht der Sicherung des allgemeinen Lebensunterhalts diene. Aus der Nebenkostenabrechnung für 2018 habe der Beklagte bisher kein Einkommen angerechnet, so dass offen bleiben könne, dass dem Kläger das Guthaben von 508,90 EUR insgesamt zugeflossen sein dürfte. Die Anrechnung im Oktober 2019 würde allenfalls zu einer Reduzierung des Anspruchs führen. Das Guthaben aus der Betriebskostenabrechnung für 2019 sei in voller Höhe als Einkommen anzurechnen. Es sei am 02.06.2020 ausbezahlt worden und daher im Juli 2020 als Einkommen zu berücksichtigen. Die mit Bescheid vom 01.03.2021 erfolgte Änderung und Erstattung sei rechtswidrig, da die Anrechnung nicht im Juni 2020, sondern im Juli 2020 zu erfolgen habe.

Hiergegen hat der Kläger Berufung beim Bayer. Landessozialgericht eingelegt. Das SG hätte ein zusätzliches behinderungsbedingtes Platzbedürfnis nicht einfach verneinen dürfen. Er halte sich zwar, wenn er allein sei, v.a. im Erdgeschoss seiner Wohnung auf. Allerdings benutze er auch die Terrasse, weil er so mit dem Rollstuhl die Wohnung verlassen könne. Das Obergeschoss nutze er ebenfalls; dort werde er gewaschen. Zudem übernachte dort sein Bruder, der ihn pflege. Im Übrigen handle es sich beim Wohnflächenmehrbedarf um eine typisierende Berechnung. Ferner habe er etwa eine Rampe und einen Badewannengriff einbauen lassen, so dass die Wohnung durchaus behindertengerecht umgebaut worden sei. Eine Senkung der Unterkunftskosten durch Vermieten sei ihm darüber hinaus nicht zumutbar. Die Untervermietung bedürfe der Zustimmung des Vermieters und wäre mit mietvertraglichen Pflichten verbunden. Seine frühere Untermieterin sei auch seine Pflegeperson gewesen. Zudem habe sich sein Gesundheitszustand seit Anfang 2019 verschlechtert. Die Aufnahme einer fremden Person sei ihm nicht zuzumuten, weil er mit den Pflichten als Vermieter überfordert und ein Zusammenleben wegen der Auswirkungen seiner Krankheiten, z.B. Harn- und Stuhlinkontinenz, Panik- und Angstattacken, nicht möglich wäre. Über die Möglichkeiten zur Kostensenkung sei er zu keinem Zeitpunkt konkret informiert worden. Die Angaben im Bescheid vom 12.04.2019 genügten dazu nicht. Die Aufklärungs- und Warnfunktion einer Kostensenkungsaufforderung sei damit nicht erfüllt. Überdies sei der maßgebliche örtliche Vergleichsraum nicht unter Berücksichtigung seines Rechts auf Verbleib im sozialen Umfeld abgegrenzt worden. Aufgrund seines Pflegebedarfs, welcher durch seinen in unmittelbarer Nähe wohnenden Bruder und seine Cousine sichergestellt werde, sei der örtliche Vergleichsraum sehr stark reduziert. Ob insofern ausreichend Wohnungen zur Verfügung gestanden hätten, sei ungeklärt. Der Vergleichsraum sei ohnehin so klein, dass ein Umzug nicht verlangt werden könne. Er habe auch immer wieder über sein Handy nach Wohnungen in der Nähe gesucht, aber keine mit einer Kaltmiete unter 350 EUR bzw. 367,50 EUR finden können. Bei den Scheckeinreichungen handle es sich um Zahlungen der Krankenversicherung.

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 09.06.2022 sowie den Bescheid des Beklagten vom 12.04.2019 in der Fassung des Bescheids vom 23.12.2019 sowie den Bescheid vom 13.01.2020 beide in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.01.2020 in der Fassung des Bescheids vom 27.01.2021 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger für den Zeitraum von Oktober 2019 bis Januar 2021 höhere Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, nämlich im Umfang der tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung, zu bewilligen.

Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf die vorgelegten Behördenakten sowie die Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.


E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist auch im Übrigen zulässig (§§ 143, 144, 151 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG) und hat in der Sache zum größten Teil Erfolg. Dem Kläger sind unter Abänderung des Urteils des SG für die Zeit von November 2019 bis Juni 2020, von August bis Oktober 2020 und für Januar 2021 weitere Leistungen für die Kosten der Unterkunft und Heizung zuzusprechen - zusätzlich zu den vom SG zugesprochenen weiteren Leistungen, welche den Bereich des Regelbedarfs betreffen.

Streitgegenstand ist im Berufungsverfahren noch das Begehren des Klägers nach höheren Leistungen der Grundsicherung von Oktober 2019 bis Januar 2021 unter Berücksichtigung seiner tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung und nicht nur der vom Beklagten als angemessen erachteten Kosten. Das folgt eindeutig aus dem im Erörterungstermin bzw. in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat gestellten Antrag seiner anwaltlichen Bevollmächtigten. Die Klage kann auch zulässigerweise auf die Leistungen für Unterkunft und Heizung beschränkt werden, weil es sich dabei - so auch hier - um einen abtrennbaren Streitgegenstand handelt (vgl. BSG, Urteil vom 17.12.2015 - B 8 SO 10/14 R - juris). Sein Rechtsschutzziel kann der Kläger mittels Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und 4, § 56 SGG) erreichen, die auf ein Grundurteil gerichtet sein kann (vgl. BSG, a.a.O.). Die Klage richtete sich gegen den Bescheid des Beklagten vom 12.04.2019 in der Fassung des Bescheids vom 23.12.2019 sowie den Bescheid vom 13.01.2020 - dieser ist analog § 86 SGG Gegenstand des Widerspruchsverfahrens gegen den Bescheid vom 12.04.2019 geworden (vgl. BSG, Urteil vom 09.12.2016 - B 8 SO 14/15 R - juris) - beide in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.01.2020. Ebenfalls einbezogen (gemäß § 96 Abs. 1 SGG) ist der Bescheid vom 27.01.2021, denn damit hat der Beklagte die Höhe der Grundsicherungsleistungen für Januar 2021 neu geregelt, also auch hinsichtlich der allein noch streitigen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung eine ersetzende Regelung getroffen. Soweit das SG dem Kläger weitere Leistungen für andere Bedarfe als Unterkunft und Heizung zugesprochen hat, ist diese Entscheidung weder vom Kläger noch vom Beklagten angefochten worden. Gleiches gilt für den vom SG mit seinem Urteil (Ziffer I.) aufgehobenen Bescheid vom 01.03.2021.

Mit diesem Inhalt ist die Klage zulässig und hat in der Sache ganz überwiegend Erfolg. Der Kläger hat - neben den vom SG zugesprochenen Leistungen - für die Monate November 2019 bis Juni 2020 sowie August 2020 bis Januar 2021 Anspruch auf weitere Leistungen der Grundsicherung unter Berücksichtigung seiner tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung. Insofern sind der Bescheid des Beklagten vom 12.04.2019 in der Fassung des Bescheids vom 23.12.2019 sowie den Bescheid vom 13.01.2020 beide in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.01.2020 und in der Fassung des Bescheids vom 27.01.2020 rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten.

Für die geltend gemachten Ansprüche ist der Beklagte örtlich und sachlich zuständig gemäß § 46b Abs. 1 SGB XII i.V.m. Art. 81 Abs. 1 und Art. 82 des (bayer.) Gesetzes zur Ausführung der Sozialgesetze (AGSG - in der Fassung des Gesetzes vom 09.01.2018, GVBl S. 2, bzw. vom 23.12.2019, GVBl S. 747) i.V.m. § 3 Abs. 2 Satz 1 SGB XII. Der Kläger hatte im streitgegenständlichen Zeitraum seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Gebiet des Beklagten, da er sich seit dem Umzug in seine gegenwärtige Wohnung im Februar 2016 zukunftsoffen in A aufgehalten hat. Auch bezog er allein Leistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII.

Der Kläger hat im streitgegenständlichen Zeitraum von Oktober 2019 bis Januar 2021 dem Grunde nach Anspruch auf Grundsicherung, denn er erfüllte die Leistungsvoraussetzungen gemäß § 19 Abs. 2 Satz 1 SGB XII i.V.m. § 41 Abs. 1 und 3 SGB XII (in der Fassung des Gesetzes vom 21.12.2015, BGBl. I, 2557, bzw. vom 10.12.2019, BGBl. I, 2135). Demnach ist Grundsicherung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII Personen mit gewöhnlichem Aufenthalt im Inland (dazu oben) und einer dauerhaften vollen Erwerbsminderung zu leisten sofern sie ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere aus ihrem Einkommen und Vermögen, bestreiten können. Ausweislich der Stellungnahme der DRV vom 26.04.2016 lag beim Kläger eine dauerhafte volle Erwerbsminderung unabhängig von der Arbeitsmarktlage mindestens seit Anfang November 2015 vor. Für das Vorliegen eines Ausschlussgrundes (§ 41 Abs. 4 SGB XII) sind keine Anhaltspunkte ersichtlich.

Die Grundsicherung umfasst neben dem Regelsatz nach den Regelbedarfsstufen (beim alleinstehenden Kläger Regelbedarfsstufe 1) und etwaigen Bedarfen nach dem Zweiten Abschnitt des Dritten Kapitels des SGB XII die Bedarfe für Unterkunft und Heizung (§ 42 Nr. 4 Buchstabe a, § 42a i.V.m. § 35 SGB XII). Von dem so sich ergebenden monatlichen Gesamtbedarf sind einzusetzendes Einkommen und Vermögen abzuziehen (§ 43 Abs. 1 SGB XII). Der Kläger verfügte im streitgegenständlichen Zeitraum mit Ausnahme der Rückzahlungen aus Betriebskostenabrechnungen (dazu noch unten) über kein einzusetzendes Einkommen, insbesondere bezog er mangels Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen keine Rente wegen Erwerbsminderung. Zu verwertendes Vermögen hatte der Kläger ebenso wenig. Nach den Angaben in der Vermögenserklärung vom 24.10.2018 hatte der Kläger zwar ein Kfz, dieses war aber nur mehr etwa 500 EUR wert; der Senat zweifelt angesichts der Erstzulassung des Kfz im Oktober 2001 nicht an diesen Angaben. Damit überschritt das Vermögen des Klägers insgesamt nicht den damaligen Freibetrag i.S.d. § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII i.H.v. 5.000 EUR. Seinen Bedarf konnte der Kläger nicht bzw. nicht vollständig decken, weswegen ihm der Beklagte mit den streitgegenständlichen Bescheiden auch Grundsicherung bewilligt hat.

Hinsichtlich der allein streitgegenständlichen Bedarfe für Unterkunft und Heizung stehen dem Kläger für die Monate November 2019 bis Juni 2020, August bis Oktober 2020 und Januar 2021 weitere Leistungen über die insofern bereits bewilligten Beträge hinaus zu. Da der Kläger im Zeitraum von Oktober 2019 bis Januar 2021 alleine wohnte - seine vormalige Untermieterin Frau B war Ende März 2019 ausgezogen - und die Voraussetzungen des § 42a Abs. 3 bis 5 SGB XII nicht gegeben waren, bestimmte sich dieser Bedarf nach § 42 Nr. 4 Buchstabe a (in der Fassung des Gesetzes vom 23.12.2016, BGBl. I, 3234 bzw. vom 10.12.2019, BGBl. I, 2135), § 42a Abs. 1 i.V.m. § 35 SGB XII (in der Fassung des Gesetzes vom 21.12.2016, BGBl. I, 3159, bzw. vom 30.11.2019, BGBl. I, 1948). Wie § 35 Abs. 1 Satz 1 SGB XII vorsieht, werden Bedarfe für die Unterkunft in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen übernommen. Jedoch schränkt § 35 Abs. 2 Satz 1, 2 und 4 SGB XII dies dahin ein, dass dann, wenn die Aufwendungen für die Unterkunft den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang übersteigen, sie insoweit als Bedarf der Personen, deren Einkommen und Vermögen nach § 27 Abs. 2 SGB XII zu berücksichtigen sind, anzuerkennen sind, solange es diesen Personen nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate. Sind die Aufwendungen für die neue Unterkunft unangemessen hoch, ist der Träger der Sozialhilfe nur zur Übernahme angemessener Aufwendungen verpflichtet, es sei denn, er hat den darüber hinausgehenden Aufwendungen vorher zugestimmt. Im Fall eines Umzuges benötigt demzufolge der Leistungsempfänger keine Zustimmung oder Genehmigung durch den Sozialhilfeträger - ausgenommen die Frage der Übernahme von Wohnungsbeschaffungskosten, Mietkaution und Umzugskosten (§ 35 Abs. 2 Satz 5 SGB XII). Jedoch besteht bei fehlender Genehmigung nur ein Anspruch auf Übernahme angemessener Aufwendungen (vgl. Grube in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 6. Aufl., § 35 Rn. 55 ff.). Hinsichtlich der Bedarfe für Heizung und zentrale Warmwasserversorgungskosten gilt, dass sie anerkannt werden, soweit sie angemessen sind (§ 35 Abs. 4 SGB XII).

Über eine Zusicherung des Beklagten oder des kommunalen Trägers eines Jobcenters - für die Zeit des Leistungsbezugs nach dem SGB II findet sich eine dem § 35 SGB XII entsprechende Regelung in § 22 SGB II (in der Fassung des Gesetzes vom 17.07.2017, BGBl. I, 2541) - verfügte der Kläger nicht. Den Mietvertrag vom 21.11.2015 über seine gegenwärtige Wohnung hat er vor Abschluss weder dem Jobcenter P noch dem Jobcenter Landkreis D noch dem Beklagten vorgelegt. Dementsprechend hat das Jobcenter Landkreis D dem Kläger auch für die Monate Februar bis Juli 2016 zunächst Arbeitslosengeld II nur unter Berücksichtigung der als angemessen erachteten Kosten für Unterkunft und Heizung i.H.v. monatlich 384,10 EUR, davon 312 EUR für Grundmiete und kalte Betriebskosten und 72,10 EUR für Heizkosten, bewilligt (Bescheid vom 16.03.2016). Ebenso bewilligte der Beklagte dem Kläger Grundsicherung für die Zeit von Februar 2016 bis Januar 2017 für die Bedarfe für Unterkunft und Heizung lediglich in diesem Umfang (Bescheid vom 01.08.2016).

Einen Anspruch auf Berücksichtigung seiner tatsächlichen Aufwendungen - diese beliefen sich ab Oktober 2019 auf monatlich 526 EUR (Grundmiete i.H.v. 367,50 EUR und Vorauszahlungen i.H.v. 88,50 EUR für Nebenkosten und i.H.v. 70 EUR für Heizkosten) - kann der Kläger nicht aus der Sonderregelung in § 141 Abs. 1 und 3 SGB XII (in der Fassung des Gesetzes vom 27.03.2020, BGBl. I, 575, bzw. vom 09.12.2020, BGBl. I, 2855) herleiten. Nach § 141 Abs. 1 SGB XII wurden die Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel des SGB XII für Bewilligungszeiträume, die in der Zeit vom 01.03.2020 bis zum 31.03.2021 (letztlich verlängert bis 31.12.2022) begannen, nach Maßgabe der Absätze 2 bis 4 erbracht. In § 141 Abs. 3 SGB XII wiederum wurde bestimmt, dass abweichend von § 35 und § 42a Abs. 1 SGB XII die tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung für die Dauer von sechs Monaten als angemessen gelten. Zum einen begann aber keiner der hier streitigen Bewilligungszeiträume in der Zeit ab März 2020, sondern ab April 2019 (Bescheide vom 12.04.2019 und 23.12.2019) bzw. ab Februar 2020 (Bescheide vom 13.01.2020 und 27.01.2021). Und zum anderen galt die Sonderregelung nicht in den Fällen, in denen im vorangegangenen Bewilligungszeitraum die angemessenen und nicht die tatsächlichen Aufwendungen als Bedarf anerkannt wurden. Das war beim Kläger jedoch der Fall, denn der Beklagte hatte nur die angemessenen Aufwendungen berücksichtigt (Bescheid vom 28.01.2019).

Jedoch folgt ein Anspruch des Klägers auf Berücksichtigung der tatsächlichen Kosten für Unterkunft - hinsichtlich der Heizkosten hat der Beklagte ohnehin sogar mehr als die tatsächlichen Aufwendungen (diese beliefen sich laut der vom SG eingeholten Auskunft des Vermieters vom 11.02.2021 auf monatlich 70 EUR), nämlich 72,10 EUR pro Monat, anerkannt - aus § 35 Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB XII. Demnach sind auch die Aufwendungen für die Unterkunft, die den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang übersteigen, als Bedarf so lange anzuerkennen, als es dem Leistungsberechtigten nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate. Zwar ist dem Beklagten darin Recht zu gegeben, dass sich der Kläger bei Anmietung der Wohnung im Leistungsbezug (nach dem SGB II) befand und daher gemäß § 35 Abs. 2 Satz 4 SGB XII mangels Zusicherung einer weitergehenden Übernahme von Kosten bei Beginn des Leistungsbezugs nach dem SGB XII ab Februar 2016 zunächst nur Anspruch auf Berücksichtigung der angemessenen Kosten der Unterkunft hatte (vgl. Löcken in jurisPK-SGB XII, § 35, Stand: 25.05.2021, Rn. 164).

Allerdings bedurfte es nach der Zeit der Untervermietung von August 2016 bis März 2019 und dem Auszug der Untermieterin des Klägers Ende März 2019 einer Kostensenkungsaufforderung. Dem Leistungsberechtigten obliegt es zwar, die Kosten seiner Unterkunft auf das angemessene Maß zu senken, soweit sie dieses übersteigen. Das setzt jedoch voraus, dass er Kenntnis von dieser Obliegenheit hat. Dazu muss ihn der Sozialhilfeträger konkret darauf hinweisen, dass die Aufwendungen nicht angemessen sind (vgl. Scheider in Schellhorn/Hohm/Scheider/Busse, SGB XII, 21. Aufl., § 35 Rn. 61). Eine solche Aufforderung hat Aufklärungs- und Warnfunktion und soll der leistungsberechtigten Person Klarheit über die aus Sicht der Behörde angemessenen Aufwendungen und die maßgebliche Rechtslage verschaffen und sie damit in die Lage versetzen, ihr Verhalten in Bezug auf die für angemessen erachteten Bedarfe einzustellen. Ferner gewährleistet die Senkungsaufforderung, dass sich die Normadressaten auf - künftige - Entscheidungen der Verwaltung einstellen können (vgl. BSG, Urteil vom 02.09.2021 - B 8 SO 13/19 R unter Bezugnahme auf BSG, Urteil vom 19.05.2021 - B 14 AS 57/19 R - alle nach juris). Tritt die Situation einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse ein, ist daher gegebenenfalls auch eine erneute Kostensenkungsaufforderung geboten (vgl. ThürLSG, Urteil vom 08.01.2020 - L 4 AS 1246/16 - juris). Eine solche Situation, in der eine Kostensenkungsaufforderung geboten ist, nimmt der Senat für den Fall des Klägers an. Nachdem vorliegend der Beklagte aufgrund der Untervermietung von August 2016 bis einschließlich März 2019 die (verbleibenden) Unterkunftskosten des Klägers in voller Höhe als Bedarf berücksichtigt hat, konnte und musste der Kläger aufgrund des langen Zeitraums nicht mehr wissen, dass seine Unterkunftskosten weiterhin als unangemessen hoch betrachtet würden. Diesbezüglich kann daher bei ihm eine "Bösgläubigkeit" (vgl. BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 19/09 R - juris) betreffend die Unangemessenheit seiner Unterkunftskosten für die Zeit ab April 2019 nicht angenommen werden. Insbesondere kann während eines mehrjährigen Zeitraums, wie er hier vorlag, jederzeit eine Änderung in den Angemessenheitswerten eintreten; das zeigt nicht zuletzt auch die Anhebung der Mietobergrenze ab Januar 2020. Ferner ist nicht zu erkennen, dass ein erheblicher Unterschied zu der Konstellation vorliegt, dass die Wohnung einer Person im laufenden Bezug von existenzsichernden Leistungen etwa aufgrund einer Mieterhöhung sich über die Angemessenheitsgrenze hinaus verteuert und damit das Kostensenkungsverfahren einzuleiten wäre. Im Fall des Klägers war deshalb ebenfalls eine - nun erstmalige - Kostensenkungsaufforderung notwendig.

Es wäre dem Kläger im Zeitraum März/April 2019 noch möglich und zumutbar gewesen, sich um eine andere, preisangemessene Wohnung zu bemühen oder seine Kosten durch erneute Untervermietung zu senken, er hat aber keinerlei derartige Bemühungen unternommen. Auch ein Umzug wäre noch möglich gewesen, denn weder der nach wie vor anerkannte Pflegegrad 1 und die Betreuung durch Familienangehörige noch seine gesundheitlichen Beeinträchtigungen standen dem zur Überzeugung des Senats entgegen. Die gesundheitlichen Einschränkungen des Klägers und seine Pflegebedürftigkeit bzw. die Pflege durch in der Nähe wohnende Angehörige hätten allerdings dahin gehend berücksichtigt werden müssen, dass der Suchradius eingeschränkt wäre. Nachdem aber Suchbemühungen des Klägers für den Senat nicht nachgewiesen sind - der bloße Verweis auf eine Suche per Handy genügt nicht - und keine allgemeine Wohnungsnot im Bereich des Beklagten herrschte, ist nicht davon auszugehen, dass der Kläger keine andere angemessene Wohnung hätte finden können.

Dies kann aber dahin stehen, da keine Kostensenkungsaufforderung erfolgt ist. Ein als derartige Aufforderung anzusehendes Vorgehen ist weder vom Beklagten behauptet worden noch ist dies sonst nachgewiesen. Entgegen der Auffassung des SG erfüllen auch die Angaben zur Mietobergrenze im Bescheid vom 12.04.2019 den Zweck der zu fordernden Kostensenkungsaufforderung im hier zu entscheidenden Fall nicht. Der Kläger konnte aus den Ausführungen im Bescheid vom 12.04.2019 allein erkennen, dass der Beklagte seine Unterkunftskosten als unangemessen ansah. Die Aufklärungsfunktion einer Kostensenkungsaufforderung könnte damit noch als erfüllt betrachtet werden. Es fehlt aber die Erfüllung der Warnfunktion. Das Thema der Unangemessenheit der Unterkunftskosten war für den Kläger während der mehrjährigen Dauer der Untervermietung beim Leistungsbezug nicht mehr relevant. Dieses kam erst wieder infolge des Auszugs seiner Untermieterin auf. Da der Beklagte aber mit dem Bescheid vom 12.04.2019 ab April 2019 sogleich die Unterkunftskosten nur mehr i.H.v. monatlich 312 EUR als Bedarf berücksichtigte, konnte der Kläger sein Verhalten - zumal rückwirkend - nicht mehr auf die geänderte Situation einstellen; für eine Warnung war es daher schlicht zu spät.

Infolgedessen war dem Kläger nicht nur eine sechsmonatige Übergangsfrist zuzubilligen, sondern der Kläger hat für den gesamten im Berufungsverfahren noch streitgegenständlichen Zeitraum von Oktober 2019 bis Januar 2021 Anspruch auf Berücksichtigung seiner tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung als Bedarf bei der Bemessung der Grundsicherungsleistungen.

Dies führt in den Monaten November 2019 bis Juni 2020 und August 2020 bis Januar 2021 zu einem höheren Leistungsanspruch als bislang bewilligt. Im Oktober 2019 und im Juli 2020 steht dem entgegen, dass der Kläger aufgrund von Erstattungen aus den Betriebskostenabrechnungen für 2018 bzw. 2019 keinen weitergehenden Anspruch hat.

Im September 2019 ist dem Kläger aus der Betriebskostenabrechnung für das Jahr 2018 ein Guthaben i.H.v. 508,90 EUR zugeflossen. Dabei handelt es sich zweifellos um Einkommen in Form einer einmaligen Einnahme i.S.d. § 82 Abs. 1 und 7 SGB XII (vgl. BSG, Urteil vom 24.06.2020 - B 4 AS 8/20 R - juris, das diesbezüglich auf das SGB XII zu übertragen ist; Hohm in Schellhorn/Hohm/Scheider/Busse, SGB XII, 21. Aufl., § 82 Rn. 34), das zur Bedarfsdeckung einzusetzen ist (§ 43 Abs. 1 i.V.m. § 82 SGB XII). Von dem Guthaben hat der Beklagte erst im Zuge des Weitergewährungsantrages erfahren, den der Kläger Mitte November 2019 gestellt hat. Zu diesem Zeitpunkt waren die mit Bescheid vom 12.04.2019 für September 2019 bewilligten Grundsicherungsleistungen bereits ausbezahlt worden. Somit war das im September 2019 dem Kläger überwiesene Guthaben i.H.v. 508,90 EUR im Folgemonat zur Bedarfsdeckung einzusetzen (§ 82 Abs. 7 SGB XII), denn das Eingreifen einer Ausnahme von der Anrechenbarkeit ist nicht ersichtlich, insbesondere greift § 82 Abs. 1 Satz 2 SGB XII nicht ein, da der Kläger im Jahr 2018 keine Unterkunfts- oder Heizkostenanteile aus dem Regelsatz aufgebracht hat. Es ist auch nicht vorgetragen oder sonst ersichtlich, dass der Kläger einen Teil des Guthabens an seine vormalige Untermieterin Frau B ausbezahlt hat. Vielmehr hat er das Guthaben insgesamt vereinnahmt. Da der Bedarf des Klägers im Oktober 2019 von 1.313,69 EUR (Bescheid vom 12.04.2019) zuzüglich der vom SG anerkannten Sterbegeldversicherung, insofern wird gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf das Urteil vom 09.06.2022 Bezuggenommen, weder unter Berücksichtigung des Betriebskostenguthabens noch der Scheckeinreichungen i.H.v. 278,84 EUR und 173,21 EUR vollständig gedeckt worden wäre, ist keine Aufteilung auf weitere Monate gemäß § 82 Abs. 7 Satz 2 oder 3 SGB XII vorzunehmen. Aufgrund des somit zu berücksichtigenden Einkommens scheidet ein Anspruch auf weitere Grundsicherungsleistungen für die Bedarfe für Unterkunft und Heizung daher für Oktober 2019 aus - ungeachtet dessen, dass der Beklagte mit 72,10 EUR für die Heizkosten bereits mehr als die tatsächlichen Aufwendungen i.H.v. nur 70 EUR (siehe die vom SG eingeholten Auskünfte des Vermieters vom 16.10.2021 und 11.02.2022) anerkannt hat.

Gleiches gilt für den Juli 2020. Im Juni 2020 ist dem Kläger aus der Betriebskostenabrechnung für das Jahr 2019 ein Guthaben i.H.v. 289,96 EUR überwiesen worden. Hiervon hat der Beklagte erst im Januar 2021 erfahren, als die Leistungen für Juli 2020 längst bewilligt (Bescheid vom 13.01.2020) und ausbezahlt waren. Auch dieses Guthaben ist im Folgemonat, hier also im Juli 2020, in voller Höhe als Einkommen in Form einer einmaligen Einnahme gemäß § 43 Abs. 1 i.V.m. § 82 Abs. 7 SGB XII bedarfsmindernd zu berücksichtigen. Aufgrund der Höhe des Guthabens ist für Juli 2020 ein über den bewilligten Betrag i.H.v. 1.378,16 EUR (Bescheid vom 13.01.2020) hinausgehender weiterer Leistungsanspruch ausgeschlossen, denn dem Kläger stünden für die Bedarfe für Unterkunft und Heizung lediglich 82,10 EUR mehr zu.

Soweit auf den Kontoauszügen des Klägers Scheckeinreichungen zu verzeichnen waren - im Oktober 2020 sind dem Kläger 371,53 EUR und 120,93 EUR und im November 100,26 EUR zugeflossen -, handelt es sich um kein einzusetzendes Einkommen. Der Kläger hat ausreichend nachgewiesen, dass es sich bei den betreffenden Zuflüssen um Zahlungen seiner Krankenversicherung zur Erstattung von Behandlungskosten handelt. Den Zuflüssen stehen somit Aufwendungen des Klägers in entsprechender Höhe gegenüber (§ 82 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 SGB XII), so dass jedenfalls kein anzurechnendes Einkommen verbleibt.

Daraus folgt, dass dem Kläger für November und Dezember 2019 jeweils weitere 110,70 EUR, für Januar bis Juni 2020 und für August 2020 bis Januar 2021 jeweils weitere 82,10 EUR an Grundsicherungsleistungen zustehen.

Die Berufung hat nach alledem in diesem Umfang Erfolg und es ist wie tenoriert zu entscheiden.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG und folgt dem Ausgang in der Sache.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.

 

Rechtskraft
Aus
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