L 6 AS 90/23 B ER

Land
Niedersachsen-Bremen
Sozialgericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
1. Instanz
SG Hannover (NSB)
Aktenzeichen
S 49 AS 354/22 ER
Datum
2. Instanz
LSG Niedersachsen-Bremen
Aktenzeichen
L 6 AS 90/23 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

Leitsatz: 1. Bei der Bewilligung eines Darlehens zur Deckung aufgelaufener Mietschulden tritt auch ein wirtschaftlich unvernünftiges und vorwerfbares Verhalten des Hilfebedürftigen regelmäßig zurück. Etwas anderes gilt jedoch in Missbrauchsfällen. Hiervon kann bei zumindest bedingt vorsätzlicher Herbeiführung von Rückständen für Unterkunftskosten auszugehen sein, insbesondere wenn es trotz entsprechender Unterstützung in der Vergangenheit wiederholt zu Rückständen gekommen und kein Selbsthilfewillen zu erkennen ist.
2. Ein der Darlehensgewährung auch unter Berücksichtigung der Belange von zwei minderjährigen Kindern entgegenstehender Missbrauch liegt vor, wenn elf bzw acht Jahre vor der Entstehung der Mietrückstände bereits zwei Darlehen in Höhe von mehr als 7.300,- Euro zur Deckung von Energieschulden gewährt wurden. Die noch durch laufende Aufrechnung getilgt werden, der Auftrag an den Leistungsträger zur unmittelbaren Zahlung an den Vermieter widerrufen, die Mietzahlungen mit der Folge von Mietrückständen in Höhe von über 9.600,- Euro nahezu eingestellt, mehrere Ratenzahlungskäufe über hochpreisige Konsumgüter getätigt und die Mietschulden deutlich übersteigende Barabhebungen vorgenommen werden, deren Verwendungszweck oder Empfänger auch auf gerichtliche Aufforderung nicht erklärt werden.

Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Sozialgerichts Hannover vom 8. Februar 2023 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe zur Durchführung des Beschwerdeverfahrens unter Beiordnung von Frau Rechtsanwältin Nana Steinke, Hildesheimer Straße 49, 30880 Laatzen, wird abgelehnt.

Gründe

I.

 

Die Antragsteller begehren im Rahmen eines Leistungsverhältnisses nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die darlehensweise Übernahme von Mietrückständen.

 

Die Antragsteller beziehen seit 2005 im Anschluss an Sozialhilfe bzw seit ihrer Geburt Leistungen nach dem SGB II. Sie bewohnen seit Januar 2011 eine 88 qm großen 4-Zimmer-Mietwohnung in der I. in J.. Im September 2011 und November 2014 wurden der 1984 geborenen Antragstellerin zu 1. Darlehen in Höhe von 3.212,06 Euro und 4.115,31 Euro zur Tilgung von Rückständen beim Energieversorgungsunternehmen bewilligt. Diese Darlehen werden bis gegenwärtig durch Aufrechnung mit Ansprüchen der Antragstellerin zu 1. auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts getilgt; daneben bestehen gegenwärtig noch ungetilgte Darlehensverpflichtungen aus der Ersatzbeschaffung von Möbeln und Einrichtungsgegenständen sowie für die Wohnungsrenovierung.

 

Die Antragstellerin zu 1. lebte zunächst in einer Bedarfsgemeinschaft mit ihrer - nicht verfahrensbeteiligten - 2001 geborenen Tochter K. und ihren beiden weiteren, 2010 und 2015 geborenen Kindern, den Antragstellern zu 2. und 3. Im Januar 2021 zog der – nicht verfahrensbeteiligte - 1983 geborene Kindsvater der Antragsteller zu 2. und 3., L., in die Wohnung ein; dieser ist auch neben der Antragstellerin zu 1. Hauptmieter der Wohnung. Im Oktober 2021 nahm die 2001 geborene Tochter ein Fernstudium im Bachelor-Studiengang Psychologie auf und zog in eine eigene Unterkunft.

 

Für die von den Antragstellern bewohnte Wohnung war bis Oktober 2021/ab November 2021 eine monatliche Gesamtmiete von 820,-/840,- Euro (Miete 542,-/562,- Euro; Heiz-/Betriebskostenvorauszahlung unverändert 98,- bzw 180,- Euro) zu zahlen. Die Leistungen für Unterkunft und Heizung wurden bis September 2021 vom Antragsgegner unmittelbar an den Vermieter und das Energieversorgungsunternehmen gezahlt. Die Leistungen für Oktober 2021 wurden aufgrund eines Erfassungsfehlers des Antragsgegners auf das Konto der Antragstellerin zu 1. überwiesen. Für November 2021 erfolgte wieder eine Direktzahlung an den Vermieter und das Energieversorgungsunternehmen. Mit E-Mail vom 9. November 2021 bat die Antragstellerin zu 1. darum, die gesamten Leistungen auf ihr Konto auszuzahlen. Der Antragsgegner erklärte sich hierzu bereit und wies auf die nunmehr eigenverantwortlich zu leistenden Zahlungen an Vermieter und Energieversorger hin (Schreiben vom 9. November 2021). Für Unterkunft und Heizung berücksichtigte der Antragsgegner einen Gesamtbedarf in Höhe von 840,- Euro und überwies die Leistungen für die Monate ab Dezember 2021 auf das Konto der Antragstellerin zu 1.

 

Die Antragstellerin zu 1. nahm ab 24. November 2021 eine bis zum 23. Februar 2022 befristete Beschäftigung als Reinigungskraft mit einer Wochenarbeitszeit von 30 Stunden auf bei einem Bruttostundenlohn von 11,10 Euro auf. Der Arbeitsvertrag wurde nicht verlängert. Herr M. nahm im Dezember 2021 eine Beschäftigung als Hausmeister mit einer Wochenarbeitszeit von 40 Stunden auf bei einem Bruttostundenlohn von 12,85 Euro. Die erzielten Erwerbseinkünfte wurden vom Antragsgegner berücksichtigt; die Antragsteller verblieben jedoch nahezu durchgehend im Leistungsbezug.

 

Die Antragstellerin zu 1. leistete ab Dezember 2021 - mit Ausnahme von Zahlungen iHv 420,- Euro im Januar 2022 und 840,- Euro im April 2022 - keine Miet-, Heiz- oder Nebenkostenzahlungen mehr. Neben unbar bezahlten Einkäufen in Geschäften des täglichen Bedarfs und Versandhandelskäufen auf Ratenzahlungsbasis bei der N. GmbH & Co KG (ua ein Notebook für 215,10 Euro im November 2021, ein iPhone 13 Pro für 1.466,96 Euro im April 2022, ein iPhone 12 Mini für 924,79 Euro im April 2022 und ein Trekkingfahrrad für 773,72 Euro im Juli 2022) hob die Antragstellerin zu 1. von ihrem Konto im Zeitraum von August 2021 bis Dezember 2022 insgesamt über 12.000,- Euro in bar ab. Vorauszahlungen für Energieversorgung wurden dagegen termingerecht geleistet.

 

Der Vermieter wies erstmals im Oktober 2022 auf die zwischenzeitlich aufgelaufenen Miet- und Nebenkostenrückstände hin und drohte die fristlose Kündigung des Mietverhältnisses an. Die Antragstellerin zu 1. beantragte am 20. Oktober 2022 beim Antragsgegner ein Darlehen für Mietrückstände und bat um Direktzahlung der Miete. Zur Begründung führte sie aus, sie habe nach fast zwei Jahren extremer Corona-Krise ihren Kindern, ohne wirklich darüber nachzudenken, viele Unternehmungen und Wünsche erfüllt. Sie habe über ihre Verhältnisse gelebt und bereue ihr Verhalten zutiefst. Ab November 2022 zahlte der Antragsgegner wieder Miete und Heiz-/Nebenkostenvorauszahlungen unmittelbar an den Vermieter.

 

Herr M. zog am 25. November 2022 aus; sein Aufenthaltsort ist nicht bekannt; es besteht aber Kontakt zur Antragstellerin zu 1.

 

Der Vermieter kündigte das Mietverhältnis fristlos wegen der Zahlungsrückstände, die er mit 9.640,- Euro bezifferte und forderte die Antragstellerin zu 1. auf, die Wohnung zu räumen (Schreiben vom 22. Dezember 2022).

 

Der Antragsgegner lehnte die Bewilligung eines Darlehens ab (Bescheid vom 4. November 2022): Für die Bewilligung sei ein Eigenverschulden zwar grundsätzlich unerheblich. Hier liege jedoch ein missbräuchliches Verhalten vor, weil die Antragstellerin zu 1. die Leistungen für andere Zwecke verwendet habe in der Erwartung, dass der Antragsgegner die Schulden übernehmen werde. Hiergegen legte die Antragstellerin zu 1. am 23. November 2022 Widerspruch ein, über den noch nicht entschieden ist.

 

Nach Übersendung der Nebenkostenabrechnung für 2021 berücksichtigte der Antragsgegner bei der Bedarfsgemeinschaft für Januar 2023 neben dem laufenden Unterkunftskostenbedarf in Höhe von insgesamt 840,- Euro eine nach Abzug der von ihm bereits erbrachten Leistungen verbleibende Nachzahlung iHv 221,29 Euro (Änderungsbescheid vom 20. Dezember 2022).

 

Am 30. Dezember 2022 haben die Antragsteller beim Sozialgericht (SG) Hannover einstweiligen Rechtsschutz beantragt mit dem Ziel, den Antragsgegner zur Übernahme des zunächst sinngemäß mit 9.640,- Euro und nach Rücksprache mit dem Vermieter mit 9.221,78 Euro bezifferten Mietrückstandes als Darlehen zu verpflichten. Zur Begründung haben sie ausgeführt, die Antragstellerin zu 1. sei aufgrund ihrer Erwerbstätigkeit davon ausgegangen, nicht mehr vom Antragsgegner abhängig zu sein. Diese Erwartung habe sich nicht erfüllt. Im Hinblick auf die fristlose Kündigung drohe den Antragstellern Obdachlosigkeit. Sie habe keine Luxusgüter gekauft oder größere Reisen gemacht. Sie habe mit ihren Kindern Ausflüge in den Zoo und ins Kino unternommen. Sie habe Kleidung neu und nicht gebraucht gekauft und ihren Kindern Spielzeug „außer der Reihe“ gekauft. Auch sei sie mit den Kindern mal in ein Restaurant gegangen. Dies sei auch passiert, um die eigenen Beziehungsprobleme und die damit verbundenen ständigen Streitigkeiten für die Kinder zu kompensieren. Sie bereue ihr unüberlegtes Verhalten. Der Vorwurf missbräuchlichen Verhaltens gehe aber zu weit. Sie habe das Geld nicht für Drogen, Alkohol oder sonstige sozialwidrige Verhaltensweisen ausgegeben. Es handele sich um das erste Darlehen für Mietschulden.

 

Das SG hat zunächst von der Antragstellerin zu 1. Kontoauszüge angefordert und sodann den Antrag abgelehnt (Beschluss vom 8. Februar 2023). Zur Begründung hat es ausgeführt, eine Schuldenübernahme sei nicht gerechtfertigt. Zwar müsse der Leistungsempfänger nicht unverschuldet in Zahlungsrückstand geraten, da Schulden in der Regel immer durch ein Verschulden entstünden. Es liege jedoch missbräuchliches Verhalten der Antragstellerin zu 1. vor. Sie habe selbst veranlasst, dass der Antragsgegner die Direktzahlung der Kosten für Unterkunft und Heizung eingestellt und die Leistungen auf ihr Konto überwiesen habe. Ihrem Vortrag, sie habe gedacht, nach Aufnahme ihrer Erwerbstätigkeit nicht mehr im Leistungsbezug bei dem Antragsgegner zu stehen, könne nicht gefolgt werden, weil es sich um ein befristetes Arbeitsverhältnis gehandelt habe. Die Antragstellerin zu 1. habe zudem einen Weitergewährungsantrag gestellt und Unterlagen zur Leistungsberechnung eingereicht. Zudem habe die Miete unabhängig vom Leistungsbezug gezahlt werden müssen. Sie habe die Miete bereits im ersten Monat nach der Umstellung der Zahlung durch den Antragsgegner nicht mehr gezahlt. Soweit sie pauschal vorgetragen habe, sie habe ihren Kindern nach den pandemiebedingten Einschränkungen und aufgrund der Beziehungsprobleme mit dem Kindsvater Wünsche erfüllt und viele Ausflüge unternommen sowie viel Geld in den Einkauf (Lebensmittel, Spielzeug, Kleidung etc) investiert, rechtfertige dies die fehlenden Mietzahlungen über diesen langen Zeitraum gerade nicht. Die Antragstellerin zu 1. habe sich bewusst dafür entschieden, das Geld für einen längeren Zeitraum für nicht existentielle Anschaffungen auszugeben und damit unnötigerweise den Erhalt ihrer Wohnung gefährdet. Es handele sich auch nicht um das erste Darlehen. Zwar sei bisher kein Darlehen zur Tilgung von Mietrückständen beantragt worden, jedoch zur Tilgung von Energieschulden. Das Vorbringen der Antragstellerin zu 1., sie habe den Überblick über ihre finanziellen Verhältnisse verloren und daher nicht die Miete gezahlt, sei nicht glaubhaft. Dagegen spreche bereits, dass der Abschlag an die Stadtwerke regelmäßig gezahlt worden sei. Aus welchem Grund sie lediglich den Überblick über die Zahlungen an den Vermieter verloren haben sollte, sei nicht nachvollziehbar. Auch der Umstand, dass eine Bedarfsgemeinschaft mit den minderjährigen Antragstellern zu 2. und 3. bestehe, führe zu keinem anderen Ergebnis. Zwar komme bei der Beurteilung der Rechtfertigung einer Darlehensgewährung gemäß § 22 Abs 8 Satz 1 und 2 SGB II dem Schutz von Kindern vor Obdachlosigkeit oder anderweitiger Unbenutzbarkeit der Wohnung besonderes Gewicht zu. Dies könne aber nicht dazu führen, dass bei einem – wie hier – missbräuchlichen Verhalten der erwerbsfähigen Antragsteller allein bei Vorhandensein minderjähriger Kinder der Leistungsträger gleichwohl zum Ausgleich der Schulden durch die Gewährung eines Darlehens verpflichtet werden könne. Vorrangig sei die Antragstellerin zu 1. als Personensorgeberechtigte verpflichtet, sich um die Versorgung ihrer minderjährigen Kinder zu kümmern. Es könne letztlich nicht zu Lasten des Antragsgegners gehen, wenn sie dieser Aufgabe nicht in ausreichendem Maße nachkomme. Ausreichende Selbsthilfebemühungen der Antragstellerin zu 1. seien nicht erkennbar. Weder habe die Antragstellerin die Forderung des Vermieters geprüft, noch ein Gespräch mit dem Vermieter gesucht, sondern unmittelbar ein Darlehen bei dem Antragsgegner beantragt. Soweit die Antragsteller vorgetragen hätten, sie müssten bei Ablehnung ihres Antrages in eine Obdachlosenunterkunft ausweichen, sei dieser Umstand nicht bei der Prüfung, ob der Tatbestand des § 22 Abs 8 SGB II erfüllt sei, zu berücksichtigen. Auch stehe nicht fest, ob tatsächlich eine Obdachlosenunterkunft in Anspruch genommen werden müsse, da ggf eine - noch nicht erhobene - Räumungsklage ohne Erfolg bliebe oder die Antragsteller zeitweise bei Familienangehörigen oder Freunden wohnen könnten.

 

Gegen den den Antragstellern am 9. Februar 2023 zugestellten Beschluss richtet sich ihre am 16. Februar 2023 eingelegte Beschwerde, mit der sie ihr Begehren weiterverfolgen: Die Antragstellerin zu 1. habe nicht auf den Erhalt eines Darlehens spekuliert. Das zeige sich schon daran, dass sie Zahlungen an den Energieversorger geleistet habe. Sofern sie in Erwartung eines Darlehens gehandelt hätte, hätte sie wohl diese Zahlungen ebenfalls nicht vorgenommen. Das SG gehe zu Unrecht davon aus, dass missbräuchliches Verhalten bereits dann vorliege, wenn die Leistungen nicht ausschließlich für existenzielle Dinge aufgewendet werden. Die Grenze sei dort zu ziehen, wo die Grenze zu Luxusaufwendungen überschritten werde. Ein missbräuchliches Verhalten könne schon nicht angenommen werden, weil sie davon ausgegangen sei, nicht mehr von der Beschwerdegegnerin abhängig zu sein und mit dieser zukünftig keinen Kontakt mehr zu haben. Sie könne als Nichtleistungsbezieherin nicht darauf vertrauen, ein Darlehen zu bekommen. Es bleibe unklar, welche Art von Selbsthilfewillen das SG erwarte. Telefonate mit dem Vermieter seien jedenfalls ergebnislos geblieben. Die im Zuge der Darlehen aus 2011 und 2014 erfolgten Hinweise seien nach so langer Zeit nicht mehr zu berücksichtigen; zudem bezögen die Darlehen sich auf Energieschulden und nicht auf Mietschulden. Eine Kostensenkungsaufforderung sei nach zwei Jahren neu auszusprechen. Die Rückzahlung dauere mit mehreren Jahren auch nicht zu lange, da sie nicht die Verjährung von Darlehensforderungen überschreite. Der Hinweis auf den Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit überzeuge nicht. Die Summe sei in Relation zu den monatlichen Mietkosten zu sehen; hier betrage die Summe etwas mehr als elf Monatsmieten. Zudem seien Folgekosten zu beachten. Die Einweisung in eine Obdachlosenwohnung werde Kosten in beträchtlicher Höhe verursachen, die als Zuschuss zu übernehmen seien. Sie wisse, dass sie einen Fehler gemacht habe und bereue ihr Verhalten. Deshalb wünsche sie ein Darlehen und keinen Zuschuss. Sie wolle die Verantwortung für ihr Handeln tragen. Die Antragsteller haben zur Durchführung des Beschwerdeverfahrens Prozesskostenhilfe beantragt.

 

Die Antragsteller beantragen sinngemäß,

  1. den Beschluss des Sozialgerichts Hannover vom 8. Februar 2023 aufzuheben,
  2. den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der Antragstellerin zu 1. vorläufig und unter dem Vorbehalt der Rückforderung 9.881,73 Euro als Darlehen zu bewilligen und dieses zur Deckung der Zahlungsrückstände auf Miete, Heiz- und Betriebskosten unmittelbar an die Hausverwaltung Dr O., auszuzahlen,

3.  ihnen zur Durchführung des Beschwerdeverfahrens Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Frau Rechtsanwältin P. zu bewilligen.

 

Der Antragsgegner beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

 

Er hält die angefochtene Entscheidung des SG für richtig.

 

Auf Anfrage des Senats hat der Vermieter mitgeteilt, es bestehe ein Zahlungsrückstand aus Mietzahlungen und der Betriebskostenabrechnung iHv 9.881,73 Euro. Eine Räumungsklage sei noch nicht erhoben worden. Im Falle einer Zahlung der Rückstände bis zum 31. März 2023 werde er das Mietverhältnis ohne abweichende Bedingungen fortsetzen.

 

Der Senat hat die Antragsteller zu verschiedenen Auskünften aufgefordert, ua der Antragstellerin zu 1. aufgegeben, den Verbleib von im Zeitraum zwischen August 2021 und Dezember 2022 von ihrem Konto bar abgehobenen Beträgen von insgesamt 11.900,- Euro zu erläutern. Hierauf hat die Antragstellerin zu 1. mitgeteilt, die Barabhebungen seien zur allgemeinen Lebensführung getätigt worden. Sie habe schon immer mit Haushaltsgeld gewirtschaftet. Sie habe keine Quittungen von Q., R. oder S. aufgehoben. Die Barabhebungen in Höhe von ca 990,- Euro monatlich erschienen bei einem Regelbedarf von 1.026,- Euro für drei Personen nicht übersetzt. In einer privatschriftlichen Erklärung hat die Antragstellerin zu 1. erklärt, sie habe die Barabhebungen für die Bezahlung von Lebensmitteln, Schulmaterialien und Klamotten, Schuhe der Kinder benötigt.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten des Antragsgegners Bezug genommen.

 

II.

 

Die zulässige Beschwerde der Antragsteller ist nicht begründet. Die Entscheidung des SG ist zutreffend. Die Antragsteller können kein Darlehen zur Deckung der aufgelaufenen Rückstände auf Miete, Heiz- und Nebenkosten beanspruchen.

 

Der Senat nimmt zunächst gemäß § 142 Abs 2 Satz 3 SGG auf die ausführliche Begründung des angefochtenen Beschlusses Bezug und sieht insoweit von weiteren Ausführungen ab.

 

Ergänzend weist der Senat auf Folgendes hin:

 

Ein Anordnungsanspruch liegt nicht vor. Der Antragsgegner hat Leistungen für Unterkunft und Heizung in zutreffender Höhe bewilligt. Die Rückstände wurden allein durch die Nichtzahlung der dem Vermieter geschuldeten Miete und der Abschläge auf Heiz- und Nebenkosten für die von den Antragstellern genutzten Wohnung verursacht (hierzu 1.). Das insofern allein in Betracht kommende Darlehen nach § 22 Abs 8 SGB II kann aber nicht beansprucht werden, weil die Antragstellerin zu 1. die Zahlungsrückstände in der Erwartung ihrer darlehensweisen Übernahme durch den Antragsgegner missbräuchlich verursacht hat (hierzu 2.).

1.    Der Antragsgegner hat bei den Antragstellern im Zeitraum ab August 2021 stets die mietvertraglich geschuldete Gesamtmiete von 820,- bzw 840,- Euro berücksichtigt und die Leistungen – wenn auch teilweise verzögert – an den Vermieter bzw an die Antragstellerin zu 1. ausgezahlt. Die an den Vermieter zu leistende Nachzahlung ist daher nicht durch eine Minderleistung des Antragsgegners verursacht worden.

2.    Handelt es sich bei den von den Antragstellern verfolgten Geldleistungen somit nicht um Minderleistungen, sondern um Schulden, richtet sich deren Übernahme nach § 22 Abs 8 SGB II.

 

       Es spricht zwar vieles dafür, muss hier aber nicht entschieden werden, ob die Antragstellerin zu 1. den Anspruch in voller Höhe verfolgen kann, auch wenn sie neben Herrn M. aus dem Mietvertrag zivilrechtlich verpflichtet ist und dieser auch noch während der Entstehung der Mietschulden und auch zum Zeitpunkt des Darlehensantrages mit ihr gemeinsam die Wohnung bewohnte (vgl hierzu Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 18. November 2014 - B 4 AS 3/14 R - Rn 28). Unter den hier vorliegenden Umständen kommt die Bewilligung eines Darlehens schon aus anderen Gründen nicht in Betracht.

 

Nach der – vom SG zutreffend berücksichtigten - Rechtsprechung des BSG tritt bei der Gesamtabwägung nach § 22 Abs 8 Satz 2 SGB II auch ein wirtschaftlich unvernünftiges und vorwerfbares Handeln des Hilfebedürftigen, das die drohende Wohnungslosigkeit mitverursacht haben kann, regelmäßig zurück (BSG, Urteil vom 17. Juni 2010 – B 14 AS 58/09 R – Rn 31). Miet- oder Energieschulden entstehen in aller Regel durch ein – gegebenenfalls auch nicht nachvollziehbares - Fehlverhalten des Leistungsberechtigten. Die Regelung zur Schuldenübernahme würde im Wesentlichen leerlaufen, wenn darauf abgestellt werden würde, ob die Schulden vorwerfbar entstanden sind. Der Senat teilt ausdrücklich die vom SG ebenso wie heute wohl allgemein vertretene Auffassung, dass Verschuldensgesichtspunkte im Rahmen der Ermessensausübung regelmäßig zurücktreten, wenn minderjährige Kinder betroffen sind, weil ein erwachsener Leistungsberechtigter in Ausnahmefällen auf die übergangsweise Nutzung einer Notunterkunft verwiesen werden darf, nicht aber minderjährige Kinder bei einem fehlerhaften Verhalten ihrer Eltern (so etwa Landessozialgericht [LSG] Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 19. April 2016 - L 7 AS 170/16 B ER - mwN). Von Ausnahmefällen abgesehen muss die Mietschuldengewährung erfolgen. Es ist regelmäßig keine andere Entscheidung als die Übernahme der Schulden denkbar, um den Anspruch des Hilfebedürftigen auf eine angemessene Unterkunft zu sichern. Die Gesichtspunkte, die im Anwendungsbereich des Satzes 1 in die Entscheidung mit einfließen können (etwa die Höhe der Schulden im Vergleich zu den im Falle eines Umzugs vom Träger aufzuwendenden Folgekosten), treten zurück, schon weil die Alternative einer konkreten Unterkunftsmöglichkeit in diesen Fällen nicht (mehr) besteht (Krauß in: Hauck/Noftz, SGB II, Stand: 2. EL 2023, § 22 Rn 423).

 

Etwas anderes gilt jedoch ausnahmsweise in sog Missbrauchsfällen. Hiervon kann im Einzelfall jedenfalls bei zumindest bedingt vorsätzlicher Herbeiführung von Rückständen für Unterkunftskosten auszugehen sein, insbesondere wenn es trotz entsprechender Unterstützung in der Vergangenheit wiederholt zu Rückständen gekommen und kein Selbsthilfewille erkennbar ist. Von einem derartigen besonderen Ausnahmefall eines sozialwidrigen und auch gegenüber ihren Kindern verantwortungslosen Verhaltens der Antragstellerin zu 1. geht der Senat im vorliegenden Fall aus.

 

  1. Die Antragstellerin zu 1. hat insoweit nicht einmal im Ansatz glaubhaft gemacht, dass eine Darlehensgewährung zur Tilgung der Mietschulden gemäß § 22 Abs 8 SGB II objektiv geeignet ist, sie zukünftig zu einem anderen Verhalten zu veranlassen und somit die bisherige Wohnung für sie und ihre Kinder dauerhaft zu sichern.

 

Es sind bereits wiederholt Rückstände auf zu zahlende Unterkunftskosten entstanden. Die Antragstellerin hatte im September 2011 und November 2014 bereits von dem Antragsgegner zwei Darlehen für die Tilgung von Energiekostenrückständen in Höhe von insgesamt über 7.300,- Euro erhalten, die sie bis heute durch Aufrechnung tilgt. Zwar sind – worauf die Antragsteller mehrfach hingewiesen haben – in den sieben Jahren danach keine neuen Schulden entstanden, weil der Antragsgegner die Abschläge direkt an den Energieversorger gezahlt hat. Trotz anwaltlicher Vertretung rechtsirrig ist aber ihr Einwand, eine Kostensenkungsaufforderung sei nach zwei Jahren neu auszusprechen. Es geht hier nicht um unangemessen hohe Unterkunftskosten, sondern allein um Mietschulden. Der weitere Einwand der Antragsteller, es handele sich um das erste beantragte Darlehen zur Deckung eines Mietrückstandes, dokumentiert deutlich ihr bis gegenwärtig mangelndes Problembewusstsein. Insbesondere die Antragstellerin zu 1. muss akzeptieren, dass es sich bei der Zahlung von Unterkunftskosten um existenzielle „Kardinalpflichten“ auch gegenüber ihren Kindern handelt, die sie nicht im Interesse eigener oder auch drittbegünstigender Konsumbedürfnisse ignorieren und in der Folge - in durchaus strafrechtlich relevanter Weise (vgl OLG Zweibrücken Beschluss vom 11. Februar 2023 <1 Ss 3/03> zu der Erlangung von Wohngeld und der Absicht, Mietzahlungen nicht zu leisten – im Vertrauen auf den erneuten Eintritt des Antragsgegners Schulden in annähernd fünfstelliger Höhe anhäufen kann.

 

Der Senat ist überzeugt, dass ohne grundlegende Änderung des Verhaltens der Antragstellerin zu 1. durch eine wiederholte Übernahme von Schulden auf Unterkunftskosten keine dauerhafte Sicherung der Wohnsituation der Antragsteller gewährleistet wird. Die Antragstellerin zu 1. ist nicht aufgrund eines plötzlichen Ereignisses vorübergehend zur Sicherstellung des eigenen Lebensunterhaltes und das ihrer Kinder auf staatliche Unterstützung angewiesen. Vielmehr befindet sie sich langjährig im Bezug von Grundsicherungsleistungen und musste deshalb schon lange ihre Lebensweise darauf einrichten, mit den gesetzlich vorgesehenen Leistungen auszukommen. Der Senat verkennt nicht, dass die wirtschaftliche Lage und die Auswirkungen der Corona-Pandemie die Antragsteller belastet haben und sie über Jahre Wünsche und Erwartungen zurückstellen mussten. Das Verhalten der Antragstellerin zu 1. in Bezug auf die Mietzahlungen lässt sich jedoch für den Senat überzeugend nur damit erklären, dass sie die vom Antragsgegner erhaltenen Leistungen bewusst und in Kenntnis der durch die Nichtzahlung eintretenden Gefährdung der Unterkunft zweckwidrig verwendet hat, um dann bei zugespitzter Notlage eine Schuldenübernahme beim Antragsgegner zu verlangen. Die Antragstellerin zu 1. kann nicht damit gehört werden, sie habe bei monatlichen Barabhebungen von rund 1.000,- Euro neben den zahlreichen unbaren Verfügungen bei Leistungen in Höhe von insgesamt monatlich rund 1.500,- Euro lediglich den Überblick über ihre Finanzen verloren; dies auch im Hinblick darauf, dass der Antragstellerin zu 1. bis zum Widerruf der Direktzahlung der Miete lediglich nur rund 800,- Euro für die Lebenshaltung zur Verfügung standen. Gerade vor dem Hintergrund des langjährigen Leistungsbezuges hält es der Senat vielmehr für zumindest gut möglich, dass die Antragstellerin zu 1. bei ihren Überlegungen sogar berücksichtigt hat, dass sie ein Darlehen für Mietschulden auf absehbare Zeit nicht einmal durch Aufrechnungen würde tilgen müssen, nachdem die zuvor bis in die jüngste Zeit gewährten Darlehen weiterhin zu tilgen sind. Auch die Bewertung der Antragstellerin zu 1., sie habe mit den zweckwidrig verwendeten Mitteln keine Luxusausgaben getätigt, erscheint bereits angesichts der Ratenzahlungskäufe bei der N. GmbH & Co KG - ua ein iPhone 13 Pro für 1.466,96 Euro im April 2022, ein iPhone 12 Mini für 924,79 Euro im April 2022 und ein Trekkingfahrrad für 773,72 Euro im Juli 2022 – für eine Bezieherin von Grundsicherungsleistungen nicht mehr vertretbar. Das Verhalten der Antragstellerin zu 1. kann unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der Schuldenübernahme gemäß § 22 Abs 8 SGB II keine Leistungspflicht des SGB II-Trägers auslösen, sondern allenfalls die Einschaltung von für Familien- und Jugendhilfe zuständigen Stellen.

 

  1. Die Antragstellerin zu 1. hat letztlich auch ihre Selbsthilfemöglichkeiten zur Behebung ihrer Notlage nicht ausgeschöpft. Das SG hat bereits zutreffend darauf hingewiesen, dass die Antragstellerin zu 1. die vom Vermieter erhobenen Forderungen des Vermieters offensichtlich nicht kontrolliert hat und es an belegbaren Versuchen fehlt, die Mietschulden zumindest teilweise – sei es auch nur symbolisch - zu reduzieren. Dieses für den Senat am ehesten mit anhaltender Gleichgültigkeit zu erklärende Verhalten hat sich bis heute nicht geändert. Auch die vom Vermieter nunmehr gegenüber dem Senat mit 9.881,73 Euro bezifferten Rückstände erscheinen nicht plausibel, nachdem der Antragsgegner mit seinem Änderungsbescheid vom 20. Dezember 2022 auf die Betriebskostenabrechnung weitere 221,29 Euro bewilligt und direkt an den Vermieter gezahlt hat. Die Antragstellerin zu 1. ist insoweit – trotz anwaltlicher Vertretung – erneut nicht tätig geworden.

 

Einen unzureichenden Willen zur Selbsthilfe dokumentiert aber auch, dass die Antragstellerin zu 1. trotz eindringlichen Hinweises des Senats nicht dazu bereit war, den Verbleib der Barabhebungen auch nur ansatzweise plausibel zu machen und dadurch insbesondere jegliche Möglichkeiten bewusst außer Acht lässt, Zuwendungen oder Darlehen zumindest teilweise zurückzufordern. Der Vortrag der Antragstellerin zu 1. erscheint dem Senat in keiner Weise glaubhaft. Die pauschale Behauptung, sie habe die Barabhebungen für die „Bezahlung der Lebensmittel“ benötigt, ist vor dem Hintergrund, dass sich in den aktenkundigen Kontoauszügen zahlreiche Buchungen über EC-Karten-Verfügungen in Geschäften des täglichen Bedarfs finden (T., U., Schuh-Center usw), und der von Monat zu Monat teils erheblich schwankenden Höhe der Barverfügungen nicht mit der Barabhebung von „Haushaltsgeld“ zu erklären. Ebenso ist die pauschal behauptete Anschaffung von „Schulmaterialien und Klamotten, Schuhe der Kinder“ vor dem Hintergrund der den Kontoauszügen zu entnehmenden unbaren Zahlungen nicht plausibel. Es mag sein, dass die Antragstellerin zu 1. mit den Barabhebungen auch tägliche Bedarfe gedeckt hat. Das erklärt aber den großen Umfang der Verfügungen, die deutlich höher als die Mietrückstände sind, allerdings nicht. Sofern Belege nicht (mehr) vorhanden sind, hätte die Verwendung auf andere Weise glaubhaft gemacht werden können; der Senat hat in anderen Fällen einer zweckwidrigen Verwendung zB Angaben zu den erworbenen Gegenständen und den erinnerlichen Kaufpreisen genügen lassen. Insoweit hat sich die Antragstellerin zu 1. allerdings jedes Versuchs enthalten.

 

  1. Angesichts dessen muss der Senat nicht mehr der Frage nachgehen, ob die Bewilligung eines Darlehens auch an der Höhe der aktuell entstehenden Unterkunftskosten scheitert. Die die Bewilligung eines Darlehens gemäß § 22 Abs 8 SGB II rechtfertigende drohende Wohnungslosigkeit setzt voraus, dass die Übernahme der Schulden dem Erhalt einer kostenangemessenen Wohnung dient. Gegen die Angemessenheit spricht jedenfalls nach dem Auszug des Herrn M. die Wohnungsgröße und der Umstand nachzuzahlender Betriebskosten in erheblicher Höhe.

 

III.

 

Die Antragsteller haben auch keinen Anspruch auf die Bewilligung von Prozesskostenhilfe. Bereits die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewilligung sind nicht glaubhaft gemacht. Die nach § 73a Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) iVm § 117 Abs 2 Zivilprozessordnung (ZPO) einzureichende Erklärung der Beteiligten über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sind in höchstem Maße unvollständig ausgefüllt und nicht mit Belegen versehen. Die Antragstellerin zu 1. hat sich letztlich darauf beschränkt, den Kontostand ihres Girokontos mitzuteilen und für die Antragsteller zu 2. und 3. eigene Formulare ohne jegliche Erklärungen einzureichen. Der Senat hat trotz der Unvollständigkeit der Erklärung davon abgesehen, die Antragsteller zur Ergänzung aufzufordern. Die gesetzlichen Voraussetzungen gemäß § 73a SGG in Verbindung mit § 114 Abs 1 Satz 1 ZPO sind aus den zuvor dargelegten Gründen für das Beschwerdeverfahren nicht erfüllt.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.

 

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).

Rechtskraft
Aus
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