L 15 AS 48/23 B

Land
Niedersachsen-Bremen
Sozialgericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
1. Instanz
SG Bremen (NSB)
Aktenzeichen
34 AS 1671/19
Datum
2. Instanz
LSG Niedersachsen-Bremen
Aktenzeichen
L 15 AS 48/23 B
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

1. Ein zwar rechtzeitig gestellter, aber gemäß § 105 Abs 2 S 2 SGG unstatthafter Antrag auf mündliche Verhandlung, bewirkt nicht, dass der Gerichtsbescheid als nicht ergangen gilt (§ 105 Abs 3 Halbs. 2 SGG). Über einen derartigen Antrag hat das Sozialgericht durch Beschluss zu entscheiden.
2. Auch für den Antrag auf mündliche Verhandlung nach § 105 Abs 2 S 2 SGG gilt das Erfordernis einer Beschwer.
3. Ein Antrag auf mündliche Verhandlung nach § 105 Abs 2 S 2 SGG ist nicht statthaft, wenn sich der Beteiligte isoliert gegen die aus seiner Sicht unzutreffende Kostenentscheidung des Gerichtsbescheides wehrt.

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

 

Gründe

Die Beschwerde ist nach § 172 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft, da das Sozialgericht (SG) Bremen nicht durch Urteil, sondern durch Beschluss entschieden hat. Unerheblich ist die Frage, ob das Sozialgericht durch Urteil hätte entscheiden müssen, da es nach § 172 Abs. 1 SGG auf die tatsächliche Entscheidungsform ankommt.

Die Beschwerde ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere ist sie frist- und formgerecht (§ 173 SGG) erhoben worden. Die Beschwerde ist aber unbegründet. Das SG hat den von der Klägerin gestellten Antrag auf Durchführung der mündlichen Verhandlung zu Recht durch Beschluss abgelehnt, denn der ausschließlich auf die Überprüfung der Kostenquote gerichtete Antrag ist unzulässig.

Gem. § 105 Abs. 1 SGG kann das Gericht durch Gerichtsbescheid entscheiden, wenn die Sache keine besonderen Schwierigkeiten aufweist und die Beteiligten gehört wurden. Aus § 105 Abs. 2 SGG folgt, dass die Beteiligten nach Entscheidung des SG durch Gerichtsbescheid innerhalb eines Monats nach dessen Zustellung das Rechtsmittel einlegen können, das zulässig wäre, wenn das Gericht durch Urteil entschieden hätte. Ist die Berufung nicht gegeben, kann mündliche Verhandlung beantragt werden. Wird sowohl ein Rechtsmittel eingelegt als auch mündliche Verhandlung beantragt, findet mündliche Verhandlung statt. Nach § 105 Abs. 3 SGG wirkt der Gerichtsbescheid als Urteil; wird rechtzeitig mündliche Verhandlung beantragt, gilt er als nicht ergangen. Dabei führt nach ganz herrschender Auffassung in der Literatur und obergerichtlichen Rechtsprechung ein Antrag auf mündlichen Verhandlung nur dann zu der Rechtsfolge, dass der Gerichtsbescheid nicht ergangen ist, wenn der Antrag rechtzeitig gestellt oder nicht aus sonstigen Gründen unzulässig ist (Müller in: beck-online-GK-SGG, Stand 1. Februar 2023 § 105 Rn. 32; im Ergebnis auch Burkiczak in: jurisPK-SGG, § 105 Rn. 143, 149; Bundessozialgericht [BSG], Beschluss vom 31. Januar 2017 – B 13 R 33/16 BH – juris Rn. 18; BSG, Beschluss vom 12. Juli 2012 – B 14 AS 31/12 B – juris Rn. 6).

In Rechtsprechung und Literatur besteht hingegen keine Einigkeit darüber, ob ein Antrag auf mündliche Verhandlung, den das SG für unzulässig erachtet, von diesem durch Beschluss (so etwa Landessozialgericht [LSG] Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 23. Juni 2017 - L 20 AS 675/17 B - juris Rn. 15; LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 23. August 2017 - L 13 AS 133/17 - juris Rn. 14 f.; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 28. Februar 2018 – L 9 AS 299/17 B; Bienert, SGb 2014, 365 (372); Kühl in: Breitkreuz/Fichte, SGG, § 105 Rn. 6; Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 105 Rn. 24 m. w. N.; Müller a.a.O. 105 Rn. 43) oder Urteil (so etwa LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 21. Februar 2017 - L 13 AS 3192/16 B - juris Rn. 14 ff.; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 18. September 2017 - L 18 AS 419/17 B, L 18 AS 1867/17 NZB; jetzt auch Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 105 Rn. 24; Burkiczak in: juris-PK, SGG, § 105 Rn. 119) zu verwerfen ist.

Jedenfalls bei einem unzweifelhaft verfristeten oder aus sonstigen Gründen unzulässigen Antrag auf mündliche Verhandlung ist eine Verwerfung durch Beschluss nach Auffassung des Senats als richtige Entscheidungsform anzusehen. Dies folgt aus Sinn, Zweck und Systematik der Regelung des § 105 SGG. Die Regelung des § 105 Abs. 3 Hs. 2 SGG ist nur einschlägig, wenn der Rechtsbehelf des § 105 Abs. 2 Satz 2 SGG gegeben ist (so auch LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 23. August 2017 - L 13 AS 133/17). Entsprechend geht auch das BSG offenkundig davon aus, dass die Wirkung des § 105 Abs. 3 Hs. 2 SGG - also dass der Gerichtsbescheid als nicht ergangen gilt - nur eintritt, wenn der Antrag auf mündliche Verhandlung fristgerecht erfolgt und im Übrigen zulässig ist (vgl. BSG, Urteil vom 12. Juli 2012 - B 14 AS 31/12 B - juris Rn. 6 Beschluss vom 31. Januar 2017 – B 13 R 33/16 BH – juris Rn. 18). Wird die mündliche Verhandlung nicht rechtzeitig beantragt oder ist sie aus sonstigen Gründen unzulässig, bleibt der Gerichtsbescheid folglich wirksam und wirkt nach § 105 Abs. 3 Hs 1 SGG als Urteil. Dann liegt allerdings eine Entscheidung vor, die das erstinstanzliche Verfahren beendet. Es verbleibt folglich kein Rechtsstreit, über den das Gericht nach § 125 SGG noch durch Urteil entscheiden könnte. Wenn aber die Entscheidungsform Urteil nicht mehr zur Verfügung steht, verbleibt letztlich nur noch die Möglichkeit, durch Beschluss zu entscheiden. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus § 105 Abs. 4 SGG, wonach das Gericht in dem Urteil von einer weiteren Darstellung des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe absehen kann, wenn mündliche Verhandlung beantragt wird. Daraus kann nicht der Schluss gezogen werden, dass das Gericht stets durch Urteil entscheiden muss, wenn mündliche Verhandlung beantragt wird. Geregelt ist hier lediglich der Fall des § 105 Abs. 3 Hs 2 SGG, nämlich, dass der Gerichtsbescheid aufgrund rechtzeitig beantragter mündlicher Verhandlung bzw. statthaftem Antrag auf mündliche Verhandlung als nicht ergangen gilt und deshalb durch Urteil entschieden werden muss. § 105 Abs. 4 SGG schafft aber keine eigenständige Rechtsgrundlage dafür, dass bei Beantragung der mündlichen Verhandlung durch Urteil entschieden werden muss.

Der Antrag auf mündliche Verhandlung war vorliegend unzulässig, da die Klägerin keine Beschwer in der Hauptsache geltend macht, sondern sich isoliert gegen die aus ihrer Sicht unzutreffende Kostenentscheidung wehrt (vgl. zur Entscheidung durch Beschluss nach § 158 SGG bei isolierter Anfechtung einer Kostenentscheidung eines Gerichtsbescheids: BSG, Beschluss vom 8. April 2014 – B 8 SO 22/14 B – juris Rn. 7). Auch für den Antrag auf mündliche Verhandlung gilt das Erfordernis einer Beschwer (vgl. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Auflage, 2020 § 105 Rn. 19). Ein vollständig obsiegender Beteiligter kann deshalb keine mündliche Verhandlung zulässigerweise beantragen (vgl. Burkiczak in: jurisPK-SGG, 2. Auflage 2022, § 105 Rn. 128). Eine Beschwerde ist nur dann gegeben, wenn dem Hauptantrag oder einem vorrangig gestellten Hilfsantrag nicht stattgegeben worden ist (vgl. Wehrhahn in juris-PK SGG, 2. Auflage 2022, § 143 Rn. 15). Das ist vorliegend nicht der Fall, denn die Klägerin hat mit ihrem Hauptantrag voll obsiegt. Bei der Auslegung von Prozesserklärungen ist § 133 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) heranzuziehen. Danach ist bei der Auslegung der wirkliche Wille zu erforschen und nicht am Wortlaut zu haften. Maßgebend ist, wie die Erklärung nach den Gesamtumständen zu verstehen ist. Dabei sind alle Umstände zu beachten (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Auflage 2020, Vor § 60, Rn. 11a). Die Klägerin hat mit der ursprünglichen Klage zunächst neben der vollständigen Aufhebung der Erstattungsverfügung noch über die vorläufige Festsetzung vom 1. März 2019 hinausgehende endgültige Leistungen nach dem SGB II beansprucht. Nachdem der Beklagte mit Schriftsatz vom 2. Juli 2020 auf den durch die vorliegenden Kontoauszüge belegten Zufluss des Einkommens i. H. v. 712,80 € hingewiesen hat, ist das Klagebegehren dahingehend angepasst worden, dass bei verständiger Würdigung des Vortrags der Klägerin nur noch eine endgültige Festsetzung in geringerer Höhe als vorläufig erfolgt und eine Teilaufhebung der Erstattungsverfügung beansprucht worden ist.

Zutreffend hat das SG in den Entscheidungsgründen im Gerichtsbescheid vom 21. Oktober 2022 dieses Begehren erkannt und ausgeführt, dass es der Klägerin ausweislich ihres Vorbringens (vgl. insbesondere im Schriftsatz vom 9. Februar 2022) darum gehe, dass im März 2019 die doppelten Freibeträge aus § 11b Abs. 2 und 3 SGB II Berücksichtigung fänden. Diesem Begehren hat das SG vollständig stattgegeben, denn es hat bei den beiden im Monat März 2019 zugeflossenen Einkommen aus nichtselbständiger Tätigkeit die begehrten Freibeträge in Abzug gebracht – allerdings auch aus Sicht des Senats zutreffend ohne Berücksichtigung der Beiträge für die Arbeitnehmerkammer, die vom Grundfreibetrag umfasst sind. Diesen Hauptsachenausspruch hat die Klägerin auch offensichtlich als ausreichend erkannt, denn den mit Schriftsatz vom 1. Dezember 2022 gestellten Antrag auf mündliche Verhandlung hat sie ausschließlich zwecks Überprüfung der Kostenquote gestellt, nicht hingegen mit der Begründung, dass sie durch die Einkommensanrechnung des SG – die im Übrigen im Hinblick auf das von der Beklagten im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde (Aktenzeichen L 15 AS 278/22 NZB) aufgezeigte Urteil des 13. Senats des LSG Niedersachsen-Bremen vom 6. April 2021 – L 13 AS 93/20 – zweifelhaft ist – beschwert sei.  

Entgegen der Auffassung der Klägerin stellt die Kostenquote des Gerichtsbescheids auch keinen Grund dar, nur von einem teilweisen Obsiegen der Klägerin in der Hauptsache auszugehen und begründet auch keinen logischen Widerspruch. Insoweit übersieht die Klägerin, dass das SG im Rahmen seiner nach § 193 SGG zu treffenden Kostenentscheidung zutreffend den Umstand berücksichtigt hat, dass die Klage zunächst auf die vollständige Aufhebung der Erstattungsforderung und darüber hinaus noch auf die Gewährung weiterer Leistungen nach dem SGB II gerichtet gewesen (vgl. Schriftsatz vom 21. April 2020) und im weiteren Verlauf beschränkt worden ist. Diese teilweise Rücknahme hat das SG zutreffend mit einer Kostenquote abgebildet, die die Klägerin jedenfalls nicht beschwert (409,44 € zu 648,75 €). Einer Abweisung der Klage im Übrigen durch das SG bedurfte es aufgrund des erkennbar eingeschränkten Klagebegehrens nicht.

Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Diese Entscheidung ist nach § 177 SGG unanfechtbar.

Rechtskraft
Aus
Saved