Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 28.04.2022 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Der Kläger begehrt im Wege eines Überprüfungsverfahrens Rente wegen Erwerbsminderung ab Februar 2014.
Der 1957 geborene Kläger erlernte den Beruf des Kfz-Mechanikers und war im Anschluss daran als Monteur, LKW-Fahrer und zuletzt bis Februar 2012 als Gebietsverkaufsleiter versicherungspflichtig beschäftigt. Im Anschluss daran bezog er mit Unterbrechung durch eine versicherungspflichtige Beschäftigung zwischen dem 01.10.2012 und 28.02.2013 bis 05.10.2013 Arbeitslosengeld. Ab 06.10.2013 erhielt er Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und war auch immer wieder geringfügig, nicht versicherungspflichtig beschäftigt.
Am 19.02.2014 beantragte der Kläger die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte beauftragte hierauf B mit der Erstellung eines Gutachtens. B diagnostizierte in seinem Gutachten vom 10.03.2014 aufgrund einer Untersuchung am selben Tag eine Alkoholkrankheit mit aktueller Abstinenz und ohne körperliche Folgeerkrankung, einen Zustand nach Resektion der Aorta ascendens mit Aortenklappenrekonstruktion, Implantation einer Rohrprothese und arterieller Bypass-Operation zum RIVA 3/2010 wegen Aortenektasie bei biskuspider Aortenklappe und koronarer 3-Gefäßerkrankung und ein Schlafapnoe-Syndrom mit Heimbeatmung mit CPAP-Gerät. Die Wirbelsäulenfunktion sei bei subjektiv im Vordergrund stehenden LWS-Beschwerden nicht wesentlich eingeschränkt. Von Seiten der Psyche sei der Kläger bewusstseinsklar, voll orientiert. Die Stimmungslage sei unauffällig. Inhaltliche oder formale Denkstörungen oder Störung von Gedächtnis, Aufmerksamkeit und Konzentration bestünden nicht. Der Kläger sei noch in der Lage, leichte bis mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes ohne besonderen Zeitdruck und ohne Nachtschicht mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten. Gestützt hierauf lehnte die Beklagte den Rentenantrag mit Bescheid vom 23.05.2014 ab. Der Kläger ging hiergegen mit Widerspruch vor. Zur Begründung führte er aus, dass er vom 16.05. bis 20.05.2014 wegen seiner Herzprobleme im Krankenhaus gewesen sei. Außerdem leide er seit 2011 an Depressionen und müsse zweimal täglich Antidepressiva einnehmen. Aufgrund der körperlichen Beschwerden durch den Arbeitsunfall 1990 (mit u.a. Beckenfraktur) und den sonstigen Leiden sehe er sich nicht in der Lage, einer Beschäftigung nachzugehen. Die Beklagte hörte erneut B und wies anschließend mit Widerspruchsbescheid vom 13.12.2016 den Widerspruch zurück. Sie führte begründend aus, unter Berücksichtigung aller Gesundheitsstörungen des Klägers und den sich daraus ergebenden funktionellen Einschränkungen seien keine Auswirkungen ersichtlich, die sein Leistungsvermögen für Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zeitlich einschränkten. Dem Kläger seien noch leichte bis mittelschwere Tätigkeiten ohne Nachtschichtarbeit und ohne besonderen Zeitdruck sechs Stunden und mehr täglich zumutbar. Volle bzw. teilweise Erwerbsminderung liege daher nicht vor. Der Kläger sei auch nicht berufsunfähig, da er mit seiner zuletzt ausgeübten Beschäftigung zum Kreis der ungelernten Arbeiter zähle und daher auf alle gesundheitlich zumutbaren ungelernten Tätigkeiten verwiesen werden könne, wobei die konkrete Benennung einer Tätigkeit angesichts der Vielzahl der auf dem Arbeitsmarkt vorhandenen ungelernten Tätigkeiten nicht erforderlich sei. Die vom Kläger dagegen erhobene Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG) verwarf das SG wegen Versäumung der Klagefrist mit Gerichtsbescheid vom 28.04.2017 als unzulässig (S 4 R 1482/17).
Am 28.03.2017 beantragte der Kläger erneut die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Er trug vor, er halte sich wegen psychischer Probleme, Äthylismus und Herzproblemen für erwerbsgemindert. Die Beklagte hörte hierzu H-Z, die in ihrer sozialmedizinischen Stellungnehme vom 12.09.2017 nach Auswertung der Krankenhausberichte aus den Jahren 2015 bis 2017 unter Zugrundelegung der Diagnosen Alkoholabhängigkeit, häufige stationäre Entgiftungen, arteriosklerotische Encephalopathie, Verdacht auf akute Durchblutungsstörungen vertebrobasilär 3/2017, Bluthochdruck, operativ behandelte koronare 3-Gefäßerkrankung und Aortenerweiterung 3/2010 sowie mehrfache Tablettenintoxikation zu dem Ergebnis kam, dass der Kläger ab Antragstellung nur noch unter drei Stunden täglich erwerbstätig sein könne. Ergänzend gab H-Z unter dem 10.10.2017 an, dass konkrete Angaben zum Leistungsfall schwer zu machen seien. Ihres Erachtens könne das Rentenantragsdatum in Betracht gezogen werden. Mit Bescheid vom 27.11.2017 gewährte die Beklagte dem Kläger hierauf ab dem 01.03.2017 Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer.
In dem bei der Beklagten am 11.05.2018 eingegangenen Schreiben vom 08.05.2018 stellte sich der Kläger auf den Standpunkt, dass der Leistungsfall früher eingetreten sei und beantragte die Überprüfung des Bescheids vom 23.05.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13.12.2016.
Dies lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 27.06.2018 ab. Ein früherer Leistungsfall als der bisher angenommene (28.02.2017) komme nicht in Betracht.
Seinen dagegen am 11.07.2018 erhobenen Widerspruch begründete der Kläger damit, dass er bereits seit Februar 2014 voll erwerbsgemindert sei. Sein Krankheitszustand habe sich seit diesem Zeitpunkt nicht geändert.
Die Beklagte hörte hierzu ihren Beratungsarzt S und wies den Widerspruch sodann mit Widerspruchsbescheid vom 19.12.2018 zurück. Zur Begründung führte sie aus, unter Berücksichtigung aller Gesundheitsstörungen des Klägers und den sich daraus ergebenden funktionellen Einschränkungen bei der Ausübung von Erwerbstätigkeiten sei der Kläger nach den Feststellungen des sozialmedizinischen Dienstes zwar nur noch in der Lage, leichte Arbeiten unter drei Stunden täglich zu verrichten. Diese Beeinträchtigung bestehe aber erst seit dem Zeitpunkt der Antragstellung am 28.02.2017. Hinweise darauf, dass die medizinischen Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung bereits vor dem 28.02.2017 eingetreten seien, ergäben sich nicht. Sofern besondere Ereignisse wie etwa eine akute Erkrankung oder ein Unfall für den Eintritt der Leistungsminderung nicht ursächlich seien, könne der Tag der Antragstellung den Zeitpunkt des Leistungsfalles bestimmen, weil zu der objektiven und unter Umständen bereits länger bestehenden Leistungsminderung die subjektive Empfindung der Leistungseinschränkung seitens des Versicherten in Gestalt des Rentenbegehrens hinzukomme.
Hiergegen hat der Kläger am 16.01.2019 Klage zum SG erhoben. Er hat geltend gemacht, sein gesundheitlicher Zustand sei von 2014 bis 2017 im Wesentlichen gleichbleibend gewesen.
Die Beklagte ist der Klage unter Vorlage sozialmedizinischer Stellungnahmen der W-H vom 18.11.2019 und 04.12.2019 entgegengetreten.
Das SG hat die den Kläger behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen gehört. Der Hausarzt des Klägers G, hat unter dem 04.06.2019 ausgeführt, dass er den Kläger seit Juni 2014 etwa zwei- bis dreimal pro Jahr behandele. Das beim Kläger vorliegende Prostataadenom, die arterielle Hypertonie und die koronare Dreigefäßerkrankung behandele er medikamentös. Wegen der Alkoholabhängigkeit sei es wiederholt zu Vorstellungen in der Psychiatrie K zum Entzug gekommen. Eine Therapie wegen Depressionen sei ihm nicht bekannt. Während der Zeiten des starken Alkoholgenusses sei die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit des Klägers massiv beeinträchtigt gewesen. Da er sich jeweils nur kurz in der Praxis vorgestellt habe, sei das Ausmaß in wieweit ein einigermaßen normales Leben im häuslichen Umfeld möglich gewesen sei, nicht abzuschätzen. In den von G beigefügten Arztbriefen über die Behandlung der Herzerkrankung in den Jahren 2014 und 2015 ist jeweils unter Diagnosen angegeben, dass ein Ex-Alkoholabusus bestehe. Im von der M beigefügten Arztbrief ist unter dem 16.01.2015 unter Diagnosen u.a. eine Depression und ein chronischer Alkoholabusus angeführt. H, m-Klinik, hat unter dem 23.06.2021 angegeben, der Kläger sei laut elektronischer Krankenakte der m-Klinik K seit 2011, damals im Vorgänger-Krankenhaus P, in stationärer Behandlung gewesen. Weitere Aufenthalte habe es 2012, zweimal 2013, dreimal 2015, zweimal 2016, 2018, zweimal 2019, dreimal 2021 und erneut seit dem 11.06.2021 gegeben. Dazwischen hätten zahlreiche Entzugsbehandlungen in der Inneren Abteilung stattgefunden. Überwiegend sei der Kläger in deutlich alkoholintoxikierten Zuständen und im Rahmen einer Entgiftungs- und Motivationstherapie stationär behandelt worden. Diagnostiziert worden seien schwerpunktmäßig eine Alkoholabhängigkeit, eine Alkoholintoxikation und ein Alkoholentzugssyndrom. Zu Beginn sei wiederholt medikamentengestützt ein körperlicher Entzug durchgeführt worden. Dieser sei zuletzt überwiegend mit Diazepam und bedarfsweise unterstützend antidelirant mit Haloperidol erfolgt. Zeitweise habe der Kläger ein anschließendes Motivationsprogramm im Krankenhaus abgelehnt und nach der körperlichen Entgiftung auf seine Entlassung gedrängt. Zuletzt hätten sich die stationären Entgiftungen des Klägers, der initial überwiegend hochintoxikierte Zustandsbilder bei der Aufnahme im Krankenhaus aufgewiesen habe, gehäuft. Sein Krankheitsbild sei als ungebessert, im Verlauf an Schwere eher zunehmend, zu beschreiben. In den beigefügten Entlassungsberichten der Jahre 2015 bis 2017 im Zusammenhang mit geplanten stationären Aufenthalten vom 25.06.2015 und 10.01.2017 ist unter dem 09.02.2015 zum psychischen Befund ausgeführt, dass der Kläger bewusstseinsklar, zu allen Qualitäten orientiert gewesen sei. Wesentliche Aufmerksamkeits- und Gedächtnisstörungen hätten nicht bestanden. Das formale Denken sei geordnet. Es bestehe kein Anhalt für Wahnerleben, Sinnestäuschungen oder Ich-Störungen. Er sei affektiv ausgeglichen und schwingungsfähig, im Kontakt freundlich zugewandt, kooperativ und absprachefähig. Unter dem 24.06.2015 heißt es, er sei bewusstseinsklar, zu allen Qualitäten orientiert. Es bestehe eine leichte Konzentrationsminderung und er sei formal leicht eingeengt auf seinen Gesundheitszustand. Hinweise auf wahnhaftes Erleben, Sinnestäuschungen, Ich-Störungen bestünden nicht. Es bestehe eine indifferente Stimmungslage mit leicht reduzierter Schwingungsfähigkeit. Der Kläger sei im Kontakt zugewandt und freundlich. Im Entlassbericht vom 07.07.2016 ist vermerkt, der Kläger sei wach, zu allen Qualitäten orientiert, Aufmerksamkeit und Gedächtnis seien intakt. Es bestünden keine formalen Denkstörungen und es gebe keine Hinweise für Zwänge, Ängste, Wahnerleben oder Stimmenhören und Sinnestäuschungen sowie kein Anhalt für Ich-Störungen. Der Kläger sei freundlich zugewandt im Kontakt, der Antrieb eher gehemmt, die Stimmung deutlich gedrückt, herabgestimmt, affektiv wenig schwingungsfähig. Eine psychomotorische Unruhe bestehe nicht. Im Entlassbericht vom 10.01.2017 über den Aufenthalt vom 19.11. bis 01.12.2016 wird ausgeführt, der Kläger sei wach und ansprechbar, ausreichend orientiert. Die Aufmerksamkeit sei reduziert, das Gedächtnis intakt, Formale Denkstörungen bestünden nicht. Es gebe keine Hinweise für Zwänge oder Ängste, Wahnerleben oder Stimmenhören und auf Sinnestäuschungen. Einen Anhalt für Ich-Störungen gebe es ebenfalls nicht. Die Stimmung sei gedrückt depressiv mit gehemmtem Antrieb, er sei affektiv wenig schwingungsfähig, im Kontakt freundlich.
Sodann hat das SG den Arzt für Neurologie und Psychiatrie, Chefarzt der Klinik für Suchttherapie, Klinikum W, H1 mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt. H1 hat in seinem Gutachten vom 11.10.2021 eine ganz im Vordergrund seit Jahren vorliegende Alkoholabhängigkeit und unter Berücksichtigung des gesamten Verlaufs eine rezidivierende depressive Störung, derzeit remittiert, diagnostiziert. Zum Zeitpunkt der Untersuchung habe eine Alkoholisierung bestanden. Es seien 1,21 Promille gemessen worden. Der Kläger habe nicht berauscht gewirkt und habe auch keine Entzugssymptome aufgewiesen, Folgeerkrankungen auf psychiatrischem Fachgebiet hätten sich ebenfalls nicht gezeigt. Lediglich einzelne Jahreszahlen hätten nicht präzise zugeordnet werden können. Die Stimmungslage sei als euthym bei ausreichender affektiver Schwingungsfähigkeit zu beschreiben. Der Antrieb sei nicht reduziert. Die Psychomotorik ausreichend lebendig. Es ergäben sich gewisse qualitative Leistungseinschränkungen. Eine Überforderung durch Akkordarbeit, Nachtarbeit oder durch Arbeiten unter besonderem Zeitdruck müssten vermieden werden. Dies gelte gleichermaßen für besonders hohe Ansprüche an Auffassung und Konzentration sowie für eine besonders hohe Verantwortung und eine besonders hohe geistige Beanspruchung. Tätigkeiten mit einer das normale Maß deutlich übersteigenden Verantwortung oder mit einer das normale Maß deutlich übersteigenden geistigen Beanspruchung seien dem Kläger nicht möglich. Im Übrigen sollten auch Arbeiten vermieden werden, die mit einer Alkoholexposition einhergingen. Die skizzierten qualitativen Leistungseinschränkungen dürften seit Jahren bestehen. Eine ganz präzise Feststellung könne insoweit nicht getroffen werden. Unter Berücksichtigung dieser Einschränkungen könne der Kläger aber ohne unmittelbare Gefährdung der Gesundheit eine leichte körperliche Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mindestens sechs Stunden täglich ausüben.
Mit Urteil vom 28.04.2022 hat das SG die Klage abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 27.06.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.12.2018 und der (der Überprüfung zugrundeliegende ablehnende) Bescheid vom 23.05.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13.12.2016 seien rechtmäßig und verletzten den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger habe keinen Anspruch darauf, dass die Beklagte unter Abänderung des bestandskräftigen Verwaltungsakts vom 23.05.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13.12.2016 verurteilt werde, dem Kläger eine Rente wegen voller Erwerbsminderung ab Eingang des ersten Rentenantrags bei der Beklagten zuzüglich Verzugszinsen zu gewähren. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Gewährung der ihm seitens der Beklagten ab dem 01.03.2017 zuerkannten Rente wegen voller Erwerbsminderung vor dem 01.03.2017 zuzüglich Verzugszinsen. Insbesondere die vordergründig seit vielen Jahren vorliegende Alkoholabhängigkeit des Klägers begründe zur Überzeugung der Kammer keine quantitative Leistungsminderung. Es sei dem Kläger nach Ansicht der Kammer trotz dessen durchaus möglich (gewesen), eine erwerbsorientierte Lebensgestaltung zu realisieren. Dies ergebe sich aus den von H1 und B erstatteten Gutachten, die für das Gericht nachvollziehbar seien. Der Eintritt einer überdauernden quantitativen Leistungsminderung bereits zum Zeitpunkt der ersten Rentenantragstellung bzw. zu einem früheren Zeitpunkt als dem von der Beklagten nach erneuter Rentenantragstellung im Bescheid vom 27.11.2017 angenommenen Leistungsfallzeitpunkt sei nicht nachgewiesen. Wie H1 zutreffend ausgeführt habe, würden zwar naturgemäß im Falle einer höhergradigen Berauschung Zeiten der Arbeitsunfähigkeit auftreten, von einer überdauernden quantitativen Leistungsminderung könne jedoch – auch unter Berücksichtigung der seit 2010 in den Krankenhausentlassungsberichten der m-Klinik K/ Klinik P mitgeteilten Befunderhebungen – nicht ausgegangen werden. Dauerhafte gravierende Befunde / Funktionseinschränkungen, die nach Abklingen der jeweils hochintoxierten Zustandsbilder eine überdauernde quantitative Leistungsminderung begründen könnten, seien den Entlassberichten nicht zu entnehmen. Auch eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbeeinträchtigung, insbesondere aufgrund häufiger (ggf. nicht einplanbarer) Arbeitsunfähigkeit vor dem seitens der Beklagten angenommenen Leistungsfallzeitpunkt sei nicht nachgewiesen.
Gegen das dem Klägerbevollmächtigten am 22.06.2022 zugestellte Urteil richtet sich die am 02.07.2022 zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg erhobene Berufung des Klägers. Er führt unter ausführlicher Darstellung des bisherigen Verfahrensganges aus, dass die Beklagte fehlerhaft seine schweren depressiven Phasen, die bei ihm bereits seit Oktober 2010 fachärztlich diagnostiziert worden seien, bei der ersten Rentenablehnung nicht berücksichtigt habe. Das Vorhandensein der schweren Depressionen und der hauptsächlich damit in Verbindung stehende ständige Alkoholrückfall und auch alle anderen Krankheitsangaben habe er bereits im Jahr 2013 substantiiert und nachvollziehbar vorgetragen. Die Angaben rechtfertigten eine Rente wegen voller Erwerbsminderung spätestens ab Februar 2014. Das Gutachten des H1 sei in seiner Substanz nicht nachvollziehbar. Der vom SG gehörte H habe angegeben, dass sich der Kläger erstmals 2011 in stationärer Behandlung befunden habe und er habe auch ausdrücklich ausgeführt, dass sich das Krankheitsbild des Klägers nicht gebessert habe, vielmehr im Verlauf an Schwere eher zugenommen habe. Widersprüchlich sei mit Blick auf das Gutachten auch, dass im Gegensatz dazu H-Z im Dezember 2017 die Voraussetzungen für eine Rente wegen voller Erwerbsminderung als gegeben erachtet habe und in einem (beigefügten) Arztbrief des J, m-Klinik K, vom 23.05.2022 werde vorrangig von einer rezidivierenden depressiven Störung, gegenwärtig mit schwerer Episode ohne psychotische Symptome berichtet. Nicht außer Acht gelassen werden dürfe auch, dass ein Anspruch auf Erwerbsminderungsrente auch dann bestehe, wenn keine Wegefähigkeit mehr bestehe oder wenn eine extrem häufige Arbeitsunfähigkeit diagnostiziert werden könne.
Der Kläger beantragt - sachgerecht gefasst -,
das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 28.04.2022 sowie den Bescheid der Beklagten vom 27.06.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.12.2018 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihren Bescheid vom 23.05.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13.12.2016 zurückzunehmen und ihm eine Rente wegen voller Erwerbsminderung (auch) vom 01.02.2014 bis 28.02.2017 zuzüglich Verzugszinsen zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verweist auf ihren bisherigen Vortrag und die Ausführungen im angefochtenen Urteil.
Mit Schreiben vom 11.10.2022 sind die Beteiligten darauf hingewiesen worden, dass der Senat beabsichtigt, die Berufung nach § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Beschluss zurückzuweisen. Ihnen wurde Gelegenheit eingeräumt, sich hierzu zu äußern. Der Kläger hat sich hierzu mit Schriftsatz vom 25.10.2022 geäußert und insbesondere auf die bei ihm bereits seit lange vor dem Jahr 2014 bestehende schwere Depression, die rentenrechtlich relevant sei, hingewiesen. Außerdem hat er seine Einwände gegen das von H1 erstattete Gutachten noch einmal wiederholt. Im Anschluss daran hat der Senat dem Kläger eine Frist zur Vorlage weiterer Unterlagen bis zum 25.11.2022 eingeräumt. Der Kläger hat hierauf unter dem 17.11.2022 die von J unter dem 10.10.2022 im vor dem SG geführten Schwerbehindertenverfahren (S 25 SB 501/22) erteilte sachverständige Zeugenauskunft vorgelegt und insbesondere erneut darauf hingewiesen, dass er sich bereits vom 22.10.2010 bis 24.11.2010 das erste Mal wegen Depressionen und Alkohol in stationärer Behandlung befunden habe und sich die stationären Aufenthalte in den Folgejahren wiederholt hätten. Mit Schreiben vom 21.11.2022 hat der Senat die Beteiligten darauf hingewiesen, dass es bei der angekündigten Vorgehensweise verbleibe.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.
II.
Die form- und fristgerecht (vgl. § 151 Abs. 1 SGG) eingelegte Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG vom 28.04.2022 ist zulässig, führt jedoch für den Kläger nicht zum Erfolg.
Der Senat konnte die Berufung nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss zurückweisen, da er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Gründe für die Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurden – auch im Schreiben vom 17.11.2022 – nicht vorgebracht und sind dem Senat auch anderweitig nicht ersichtlich.
Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.
Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 27.06.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.12.2018, mit dem es diese abgelehnt hat, ihren Bescheid vom 23.05.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13.12.2016, mit dem sie die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit abgelehnt hat, nach § 44 SGB X zurückzunehmen.
Der Bescheid vom 27.06.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.12.2018 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
Die verfahrensrechtliche Grundlage des klägerischen Überprüfungsbegehrens findet sich in § 44 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X). Hiernach ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind, der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Im Falle der Zurücknahme für die Vergangenheit nach dieser Vorschrift werden nach § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuches längstens für einen Zeitraum von vier Jahren vor der Rücknahme geleistet.
Die Beklagte hat beim Erlass des Bescheides vom 23.05.2014 (in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.12.2016) weder das Recht unrichtig angewandt, noch ist sie von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen. Sie hat vielmehr in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht nicht zu beanstandender Weise entschieden, dass der Kläger keinen Anspruch auf eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit ab dem 01.02.2014 hat.
Nach § 43 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) in der ab dem 01.01.2008 geltenden Fassung des Gesetzes zur Anpassung der Regelaltersrente an die demografische Entwicklung und zur Stärkung der Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung vom 20.04.2007 (BGBl. I, 554) haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung (§ 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI) oder Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung (§ 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI), wenn sie voll bzw. teilweise erwerbsgemindert sind (Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr. 3).
Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Gemäß § 43 Abs. 3 SGB VI ist nicht erwerbsgemindert, wer - unabhängig von der Arbeitsmarktlage - unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann. Hieraus ergibt sich, dass grundsätzlich allein eine Einschränkung der beruflichen Leistungsfähigkeit in zeitlicher (quantitativer) Hinsicht eine Rente wegen Erwerbsminderung zu begründen vermag, hingegen der Umstand, dass bestimmte inhaltliche Anforderungen an eine Erwerbstätigkeit aufgrund der gesundheitlichen Situation nicht mehr verrichtet werden können, einen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung grundsätzlich nicht zu begründen vermag.
In Anlegung dieser Maßstäbe ist der Senat nicht davon überzeugt, dass der Kläger bereits am 01.02.2014 nicht mehr in der Lage gewesen ist, einer leichten Tätigkeit in einem zeitlichen Umfang von sechs Stunden täglich nachgehen zu können. Die beim Kläger bestehenden Gesundheitsstörungen rechtfertigten damals und auch in der Folgezeit (jedenfalls) bis zum 28.02.2017 keine quantitative Leistungsreduzierung. Der Senat sieht von einer weiteren eingehenden Darstellung der Entscheidungsgründe ab, weil er die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückweist (§ 153 Abs. 2 SGG). Der Vortrag des Klägers im Berufungsverfahren führt zu keinem anderen Ergebnis.
Der Senat verkennt insoweit nicht, dass der Kläger seit vielen Jahren alkoholkrank ist und deshalb erstmals in der Zeit vom 22.10.2010 bis 24.11.2010 eine stationäre Entgiftung und Entzugsbehandlung durchgeführt wurde. Bis Anfang 2017 waren drei weitere stationäre Aufenthalte im Jahr 2011, einer 2012 (so H; kein Aufenthalt nach der Auskunft von J), zwei 2013, drei 2015 und zwei 2016 erforderlich. Die Aufenthalte ab 2011 dauerten maximal drei Wochen. Teilweise war der Aufnahme ein Suizidversuch in alkoholisiertem Zustand vorausgegangen. Ausweislich der Entlassungsberichte über Aufenthalte des Klägers im Zusammenhang mit dem Alkoholismus in den Jahren 2015 bis (Ende) 2016 war der Kläger aber jeweils bewusstseinsklar, zu allen Qualitäten orientiert und ohne wesentliche Aufmerksamkeits- und Gedächtnisstörungen. Das formale Denken wurde als geordnet beschrieben und es habe keine Sinnestäuschungen oder Ich-Störungen gegeben. Er sei affektiv ausgeglichen und schwingungsfähig, im Kontakt freundlich zugewandt, kooperativ und absprachefähig gewesen (Bericht vom 09.02.2015). Auch unter dem 24.06.2015 heißt es, er sei bewusstseinsklar, zu allen Qualitäten orientiert. Es bestehe eine leichte Konzentrationsminderung und er sei formal leicht eingeengt auf seinen Gesundheitszustand. Hinweise auf wahnhaftes Erleben, Sinnestäuschungen, Ich-Störungen bestünden nicht. Es bestehe eine indifferente Stimmungslage mit leicht reduzierter Schwingungsfähigkeit. Der Kläger sei im Kontakt zugewandt und freundlich. Im Entlassbericht vom 07.07.2016 ist vermerkt, der Kläger sei wach, zu allen Qualitäten orientiert, Aufmerksamkeit und Gedächtnis seien intakt. Es bestünden keine formalen Denkstörungen und es gebe keine Hinweise für Zwänge, Ängste, Wahnerleben oder Stimmenhören und Sinnestäuschungen sowie kein Anhalt für Ich-Störungen. Der Kläger sei freundlich zugewandt im Kontakt, der Antrieb eher gehemmt, die Stimmung deutlich gedrückt, herabgestimmt, affektiv wenig schwingungsfähig. Eine psychomotorische Unruhe bestehe nicht. Im Entlassbericht vom 10.01.2017 über den Aufenthalt vom 19.11. bis 01.12.2016 wird schließlich ausgeführt, der Kläger sei wach und ansprechbar, ausreichend orientiert. Die Aufmerksamkeit sei reduziert, das Gedächtnis intakt, Formale Denkstörungen bestünden nicht. Es gebe keine Hinweise für Zwänge oder Ängste, Wahnerleben oder Stimmenhören und auf Sinnestäuschungen. Einen Anhalt für Ich-Störungen gebe es ebenfalls nicht. Die Stimmung sei gedrückt depressiv mit gehemmtem Antrieb, er sei affektiv wenig schwingungsfähig, im Kontakt freundlich. Diese Angaben in den Entlassberichten belegen, dass der Alkoholismus und auch die im Zusammenhang damit stehende depressive Symptomatik, die sich in Suizidversuchen in alkoholisiertem Zustand äußerte, beim Kläger in den akuten Phasen der massiven Berauschung zweifelsohne zu Zeiten der Arbeitsunfähigkeit führten. Außerhalb dieser Zeiten führt der in den Entlassungsberichten erhobene Befund jedoch nicht zu Einschränkungen des beruflichen Leistungsvermögens des Klägers in quantitativer Hinsicht. Dies gilt insbesondere auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Befunde in den akuten Phasen der Berauschung erhoben wurden. Außerhalb dieser Phasen dürfte der psychische Zustand des Klägers besser, auf jeden Fall aber auch nicht schlechter gewesen sein. Ein Beleg hierfür stellt auch die Tatsache dar, dass sich der Kläger nicht in ambulanter psychiatrischer Behandlung befand und auch keine Antidepressiva einnahm. Ebenso fiel den den Kläger wegen seiner Herzerkrankung behandelnden Ärzte ein Alkoholismus und eine Depression des Klägers nicht auf, sie führen in ihren Arztbriefen der Jahre 2014 und 2015 unter Diagnosen an, dass ein Ex-Alkoholabusus bestehe; Depressionen erwähnen sie nicht. Auch dem Hausarzt des Klägers G war ausweislich seiner sachverständigen Zeugenauskunft vom 04.06.2019 eine Therapie wegen Depressionen nicht bekannt. Anders verhält es sich insoweit nur mit Blick auf M, die in ihrem Arztbrief vom 16.01.2015 unter den Diagnosen u.a. eine Depression und einen chronischen Alkoholabusus anführt. Sie erhob indessen keinerlei Befunde, weshalb die von ihr gestellte Diagnose, abgesehen davon, dass sie fachfremd urteilt, nicht nachvollziehbar ist. Nicht außeracht gelassen werden darf bzgl. dieser Diagnosestellung auch, dass drei Tage nach der Untersuchung durch M ein erneuter stationärer Aufenthalt des Klägers in der m-Klinik K erforderlich wurde, wo bei Aufnahme am 19.01.2015 ein Atemalkoholspiegel von 1,52 Promille gemessen wurde. Bei der Vorstellung bei der Urologin dürfte sich in Anbetracht dieses zeitlichen Zusammenhangs eine erneute massive Phase des Alkoholkonsums abgezeichnet haben, die - wie bereits ausgeführt - freilich nur Arbeitsunfähigkeit bedingte. Der Senat ist deshalb insgesamt nicht davon überzeugt, dass der Alkoholismus des Klägers und die damit im Zusammenhang stehende depressive Erkrankung zur Folge gehabt hätten, dass die während eines Arbeitsjahres zu erbringenden Arbeitsleistungen nicht mehr den Mindestanforderungen entsprachen, die ein „vernünftig und billig denkender Arbeitgeber“ zu stellen berechtigt ist, sodass eine Einstellung des Klägers auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt praktisch ausgeschlossen gewesen wäre. Diese Mindestanforderungen sind erst dann nicht mehr als erfüllt anzusehen, wenn der Versicherte die Arbeitsleitung für einen Zeitraum von mehr als 26 Wochen (sechs Monate bzw. die Hälfte) im Jahr gesundheitsbedingt nicht mehr erringen kann (BSG, Beschluss vom 31.10.2012 - B 13 R 107/12 B -, in juris m.w.N.). Dies ist vorliegend nicht der Fall. Gehäufte Arbeitsunfähigkeitszeiten waren beim Kläger nicht zu verzeichnen. Die stationären Aufenthalte in den Jahren ab 2014 (bis 2017) dauerten nie länger als drei Wochen.
Soweit der Kläger das von H1 erstattete Gutachten beanstandet und für nicht nachvollziehbar hält, teilt der Senat – wie schon das SG – diese Einschätzung nicht. Die von H1, der als Chefarzt der Klinik für Suchttherapie als besonders kompetent zu erachten ist, vertretene Leistungseinschätzung auf der Grundlage der von ihm anlässlich der am 06.10.2021 durchgeführten Untersuchung ist für den Senat nachvollziehbar und überzeugend. Die von ihm erhobenen Befunde belegen sein Ergebnis. Im Gegensatz dazu hat H-Z im Jahr 2017 lediglich eine sozialmedizinische Stellungnahme ohne Untersuchung des Klägers abgegeben. Ob der Kläger zum Zeitpunkt der zweiten Rentenantragstellung im Jahr 2017 tatsächlich teilweise oder voll erwerbsgemindert gewesen ist, kann der Senat offen lassen. Dies ist nicht im Streit. Jedenfalls war auch H-Z nicht der Auffassung, dass der Kläger bereits vor dem 28.02.2017 quantitativ erwerbsgemindert war. Soweit H in seiner sachverständigen Zeugenauskunft vom 23.06.2021 angegeben hat, das Krankheitsbild des Klägers sei als ungebessert, im Verlauf an Schwere eher zunehmend zu beschreiben, steht auch dies nicht in Widerspruch zu der Leistungseinschätzung des H1. Zum einen gab H keine Leistungseinschätzung ab und zum anderen bestreitet auch H1 nicht, dass das Krankheitsbild des Klägers ungebessert ist; der Kläger leidet unter einem starken Alkoholismus. Dieser nimmt an Schwere im Lauf der Zeit auch zu. Auch davon ist auszugehen. Vor dem 28.02.2017 führte er aber noch nicht zu einer quantitativ eingeschränkten Leistungsfähigkeit des Klägers. J schließlich beschreibt in seinem Arztbrief vom 23.05.2022 den aktuellen Gesundheitszustand des Klägers. Auch in der zuletzt vorgelegten Zeugenauskunft vom 10.10.2022 berichtet er nur über die seit 2021 erhobenen Diagnosen. Im Übrigen äußert sich auch J nicht zum Leistungsvermögen des Klägers.
Die Gesundheitsstörungen des Klägers auf internistischem und angiologischem Gebiet hatten in der Zeit vom 01.02.2014 bis 28.02.2017 ebenfalls lediglich qualitative Leistungseinschränkungen zur Folge. Dies bestreitet der Kläger auch nicht.
Eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung lagen auch nicht vor.
Zwar wirkt, wie oben dargelegt, grundsätzlich nur eine Einschränkung der Leistungsfähigkeit in zeitlicher Hinsicht rentenbegründend, jedoch kann unter dem Gesichtspunkt des Vorliegens einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder einer spezifischen Leistungsbehinderung das Erfordernis resultieren, den Versicherten eine konkrete Verweisungstätigkeit zu benennen (vgl. BSG, Urteile vom 24.02.1999 - B 5 RJ 30/98 R - und vom 11.03.1999 - B 13 71/97 R -, jew. in juris). Grundlage der Benennungspflicht bildet in diesen Fällen der Umstand, dass von vornherein ernste Zweifel an einer Einsetzbarkeit in einem Betrieb aufkommen. Eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen ist in Betracht zu ziehen, wenn, neben einer qualitativen Leistungseinschränkung auf „leichte Tätigkeiten“, die Leistungsfähigkeit zusätzlich in erheblichem Umfang eingeschränkt ist (Niesel in Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, Band 1, § 43 SGB VI, Rn. 47). In diesem Sinne ist unter der Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen eine Häufung von Leistungseinschränkungen zu verstehen, die insofern ungewöhnlich ist, als sie nicht regelmäßig bei einer Vielzahl von Personen bis zum Erreichen der Altersgrenze für die Regelaltersrente angetroffen wird.
Eine solche ergibt sich nicht unter dem Aspekt eines etwaig verschlossenen Arbeitsmarktes. Bei vollschichtiger Leistungsfähigkeit ist grundsätzlich davon auszugehen, dass es für eine Vollzeittätigkeit hinreichend Arbeitsplätze gibt. Mithin obliegt bei einer vollschichtigen Einsatzfähigkeit das Arbeitsplatzrisiko der Arbeitslosenversicherung bzw. dem Versicherten, nicht aber der Beklagten (vgl. insofern § 43 Abs. 3 letzter Halbsatz SGB VI, der bestimmt, dass die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen ist).
Ausnahmsweise kann jedoch der Arbeitsmarkt als verschlossen gelten. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass eine Verweisung auf die verbleibende Erwerbsfähigkeit nur möglich ist, wenn nicht nur die theoretische Möglichkeit besteht, einen Arbeitsplatz zu erhalten. Der Arbeitsmarkt gilt in Ermangelung einer praktischen Einsatzfähigkeit nach der Rechtsprechung des BSG abschließend als verschlossen, wenn der Versicherte nicht unter den in den Betrieben üblichen Bedingungen arbeiten kann, der Versicherte entsprechende Arbeitsplätze aus gesundheitlichen Gründen nicht aufsuchen kann, der Versicherte nur in Teilbereichen eines Tätigkeitsfeldes eingesetzt werden kann, die in Betracht kommenden Tätigkeiten auf Arbeitsplätzen ausgeübt werden, die als Schonarbeitsplätze nicht an Betriebsfremde vergeben werden, die in Betracht kommenden Tätigkeiten auf Arbeitsplätzen ausgeübt werden, die an Betriebsfremde nicht vergeben werden, die in Betracht kommenden Tätigkeiten auf Arbeitsplätzen ausgeübt werden, die als Aufstiegspositionen nicht an Betriebsfremde vergeben werden oder entsprechende Arbeitsplätze nur in ganz geringer Zahl vorkommen.
Keine der genannten Fallkonstellationen war hier gegeben. Die qualitativen Leistungseinschränkungen des Klägers waren nicht als ungewöhnlich zu bezeichnen. Darin war weder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung noch eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen zu sehen. Dies ergibt sich insbesondere auch nicht wegen häufig aufgetretener Arbeitsunfähigkeitszeiten des Klägers. Zwar sind häufige, zeitlich nicht genau festliegende (nicht „einplanbare“), mit einer vollständigen Leistungsunfähigkeit verbundene Arbeitsunfähigkeitszeiten den „unüblichen Arbeitsbedingungen“ zuzuordnen; Gesundheitsstörungen mit entsprechenden Arbeitsunfähigkeiten können schwere spezifische Leistungseinschränkungen darstellen (BSG, Beschluss vom 31.10.2022 - B 13 R 107/12 B -, in juris, m.w.N.). Aber erst, wenn die (voraussichtlichen) Zeiten einer Arbeitsunfähigkeit „ernsthafte Zweifel“ begründen, ob der Versicherte noch unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes in einem Betrieb einsetzbar ist, ist eine Verweisungstätigkeit zu benennen. Dies ist vorliegend nicht der Fall. Es bestehen zur Überzeugung des Senats keine ernstlichen Zweifel, dass der Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum trotz der zu erwartenden Arbeitsunfähigkeitszeiten wegen seines Alkoholabhängigkeitssyndroms und auch seiner rezidivierenden Depressionen noch unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes in einem Betrieb einsetzbar war.
Auch die Wegefähigkeit des Klägers war zur Überzeugung des Senats nicht eingeschränkt. Neben der zeitlich ausreichenden Einsetzbarkeit des Versicherten am Arbeitsplatz gehört zur Erwerbsfähigkeit auch das Vermögen, eine Arbeitsstelle aufzusuchen. Eine gesundheitliche Beeinträchtigung, die dem Versicherten dies nicht erlaubt, stellt eine derart schwere Leistungseinschränkung dar, dass der Arbeitsmarkt trotz eines vorhandenen vollschichtigen Leistungsvermögens als verschlossen anzusehen ist (BSG, Beschluss des Großen Senats vom 19.12.1996 - GS 2/95 -, in juris). Diese Kriterien hat das BSG zum Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit entwickelt, wie ihn § 1247 Reichsversicherungsordnung (RVO) und § 44 SGB VI in der bis zum 31.12.2000 geltenden Fassung (a.F.) umschrieben hatten (vgl. BSG, Urteil vom 17.12.1991 - 13/5 RJ 73/90 -, in juris). Diese Maßstäbe gelten für den Versicherungsfall der vollen Erwerbsminderung (§ 43 Abs. 2 SGB VI) unverändert fort (vgl. BSG, Urteil vom 28.08.2002 - B 5 RJ 12/02 R -, in juris). Konkret gilt: Hat der Versicherte keinen Arbeitsplatz und wird ihm ein solcher auch nicht angeboten, bemessen sich die Wegstrecken, deren Zurücklegung ihm möglich sein müssen, - auch in Anbetracht der Zumutbarkeit eines Umzugs - nach einem generalisierenden Maßstab, der zugleich den Bedürfnissen einer Massenverwaltung Rechnung trägt. Dabei wird angenommen, dass ein Versicherter für den Weg zur Arbeitsstelle öffentliche Verkehrsmittel benutzen und von seiner Wohnung zum Verkehrsmittel sowie vom Verkehrsmittel zur Arbeitsstelle und zurück Fußwege absolvieren muss. Eine (volle) Erwerbsminderung setzt danach grundsätzlich voraus, dass der Versicherte nicht vier Mal am Tag Wegstrecken von über 500 m mit zumutbarem Zeitaufwand (also jeweils innerhalb von 20 Minuten) zu Fuß bewältigen und ferner zwei Mal täglich während der Hauptverkehrszeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren kann. Bei der Beurteilung der Mobilität des Versicherten sind alle ihm tatsächlich zur Verfügung stehenden Hilfsmittel (z. B. Gehstützen) und Beförderungsmöglichkeiten zu berücksichtigen (vgl. BSG, Urteil vom 17.12.1991 - 13/5 RJ 73/90 -, in juris). Dazu gehört z. B. auch die zumutbare Benutzung eines eigenen Kfz (zur Wegefähigkeit vgl. zuletzt BSG, Urteil vom 12.12.2011 - B 13 R 79/11 R -, in juris). Der Kläger war in der Lage, eine Gehstrecke von 500 Metern viermal in weniger als 20 Minuten täglich zurückzulegen und öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Aus den Entlassungsberichten über die stationären Aufenthalte des Klägers geht insoweit nichts Gegenteiliges hervor. Gegenüber dem Sachverständigen H1 gab der Kläger selbst an, er sei sechsmal am Tag jeweils eine halbe bis eine dreiviertel Stunde mit seinen Hunden unterwegs.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).
Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5.
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 26 R 344/19
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 R 1873/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Rechtskraft
Aus
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