1. Die Geltendmachung eines Erstattungsanspruchs des zweitangegangenen Rehabilitationsträgers i. S. v. § 14 SGB IX i. d. F. bis 31. Dezember 2017 bzgl. Leistungen für Zeiträume ab 1. Januar 2020 stellt eine Klageänderung i. S. v. § 99 Abs. 1 SGG auch dann dar, wenn der bis zum 31. Dezember 2019 für die Eingliederungshilfe nach dem 6. Kapitel des SGB XII zuständige Träger der Sozialhilfe seit 1. Januar 2020 nach landesgesetzlichen Regelungen Träger der Eingliederungshilfe geworden ist.
2. Der im Rehabilitationsrecht geltende Grundsatz der Leistungskontinuität, wird durch die Neuregelung des Rechts der Eingliederungshilfe ab 1. Januar 2020 als wesentliche Änderung des Teilhabegeschehens in rechtlicher Hinsicht mit der Folge durchbrochen, dass innerhalb der Regelung des § 14 SGB IX nicht von einer fortgesetzten Zuständigkeit ausgegangen werden kann
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 26. November 2020 geändert und der Beklagte verurteilt, der Klägerin die von ihr für die Unterbringung des Herrn A. A., geb. 1957, im Arbeitsbereich der Werkstatt für behinderte Menschen, H.-Werkstätten, A-Straße, A-Stadt, vom 1. November 2015 bis 31. Dezember 2019 erbrachten Aufwendungen in Höhe von 75.832,66 Euro zu erstatten.
Die Klage wird abgewiesen.
Von den Kosten des Verfahrens haben die Klägerin 1/7 und der Beklagte 6/7 zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Erstattung von Aufwendungen für Leistungen der Teilhabe am Arbeitsleben in der Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) für den Leistungsempfänger (LE) A. A. im Zeitraum vom 1. November 2015 bis 31. August 2020 in Höhe von 88.763,53 Euro.
Der 1957 geborene Leistungsempfänger (LE) A. A. hatte nach dem Hauptschulabschluss eine Ausbildung zum Schlachter/Härer absolviert. In diesem Beruf war er bis September 1976 und anschließend als Melker in der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG) „B.“ B-Stadt in der damaligen DDR tätig. Am 1. September 1978 erlitt er bei einem Arbeitsunfall Quetschverletzungen beider Beine mit mehreren Frakturen beidseits. Mit Unfall-Rentenbescheid vom 27. August 1978 bewilligte die Staatlichen Versicherung der DDR dem LE ab dem 1. August 1979 eine Unfallrente nach einem Grad des Köperschadens auf Grund der Unfallfolgen von 80 % (Bl. 12 Verwaltungsakten der Klägerin – VA Kl.). Als Unfallfolgen anerkannt wurden eine Oberschenkelamputation links in Schaftmitte mit Einschränkung der Bewegung und Belastung, ein abgeheilter Unterschenkelbruch rechts sowie ungünstige Narbenbildung nach schwerer Weichteilverletzung des rechten Fußes (Bl. 10 VA Kl.). Von Oktober 1986 bis April 1987 arbeitete der LE als Wächter, sodann nach einer Umschulung zum Telefonisten bis Ende September 1988 im Umschulungsberuf. Seit Juni 1991 war er arbeitssuchend gemeldet. In einem Antrag auf Leistungen der beruflichen Rehabilitation gab er am 3. Januar 1992 an, die letzte Tätigkeit aus persönlichen und gesundheitlichen Gründen (Bl. 12 BU Berufshilfeakte der Klägerin – BH-A Kl.) aufgegeben zu haben, ferner familiäre Gründe, seine Lebensgefährtin habe es nicht mehr geschafft, Arbeit, Haushalt und kleine Kinder „unter einen Hut“ zu bekommen (Bl. 13 BU – BH-A Kl.).
Ein am 6. Oktober 1992 für das Arbeitsamt Neubrandenburg erstelltes ärztliches Gutachten (Bl. 26 BU – BH-A Kl.) kam zum Ergebnis, dass der LE bei Beachtung der gesundheitlichen Einschränkungen leichte körperliche Arbeiten in Tagesschicht vollschichtig, sitzend, zeitweise stehend und gehend ohne häufiges oder ständiges Bücken, ohne schweres Heben und Tragen und ohne lange Wegstrecken verrichten könne, jedoch eine Tätigkeit im erlernten Beruf als Schlachter bzw. Melker nicht möglich sei. Nach dem psychologischen Gutachten vom 24. Juni 1992 (Bl. 28 BU – BH-A Kl.) verfügte der LE über intellektuelle Leistungsvoraussetzungen, die eine Umschulung auf relativ einfachem Niveau zulassen würden. Nach einer arbeitsmedizinischen Beurteilung des Ärztlichen Dienstes der Berufsförderungswerk C. GmbH vom 7. September 1993 (Bl. 53 BU – BH-A Kl.) im Rahmen einer Arbeitserprobung konnte der LE nur noch leichte Arbeiten ohne besondere Bück-Hebebelastung, ohne Körperzwangshaltung, in wechselnder Körperhaltung, überwiegend sitzend und unter Witterungsschutz verrichten. Dauerndes Stehen, Arbeiten auf Leitern und Gerüsten sowie an gefährlichen Maschinen, unter Zeitdruck, Schichtarbeit waren zu vermeiden bzw. ausgeschlossen, die bestehende Einschränkung des Sehvermögens sollte berücksichtigt werden. Gegen eine Ausbildung im kaufmännischen, zeichentechnischen und elektrotechnischen Bereich bestanden ärztlicherseits keine Bedenken. Sowohl aus leistungspsychologischer Sicht als auch aufgrund der während der Arbeitserprobung im kaufmännisch-verwaltenden, zeichentechnischen, elektrotechnischen und metallbearbeitenden Bereich gezeigten Leistungen konnten Umschulungen auf dem Niveau von Ausbildungsberufen nicht empfohlen werden. An möglichen einfachen Anlerntätigkeiten hatte der LE kein Interesse (Bl. 49 BU – BH-A Kl.).
Mit Bescheid vom 19. März 1999 bewilligte die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte eine unbefristete Rente wegen Erwerbsunfähigkeit unter Berücksichtigung der Verjährungsfristen seit 1. Januar 1995 bei Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen am 31. Dezember 1991 (Bl. 134 VA Kl.), weil gemäß § 302a SGB VI Invalidenrenten nach dem Recht des Beitrittsgebiets, auf die am 31. Dezember 1992 ein Anspruch bestand, ab dem 1. Januar 1992 als Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zu leisten waren (Bl. 839 VA Kl.).
Nach einem Gutachten des MDK Berlin-Brandenburg zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit gemäß SGB XI vom 1. Juli 2008 (Bl. 379 ff. VA Kl.) wurde eine erhebliche Einschränkung der Alltagskompetenz des LE aufgrund einer sonstigen, nicht näher bezeichneten organischen, psychischen Störung aufgrund einer Schädigung oder Funktionsstörung des Gehirns oder einer körperlichen Krankheit und Diabetes mellitus, insulinpflichtig festgestellt. Die Mobilität sei nicht pflegerelevant, eine Pflegestufe liege nicht vor.
Auf Kosten der DRV Bund wurde der LE ab 15. April 2013 zunächst im Eingangsverfahren und sodann im Berufsbildungsbereich der Hoffnungstaler Werkstätten in D-Stadt betreut. Ab 8. September 2014 bis 21. Oktober 2015 erfolgte die Fortsetzung im Berufsbildungsbereich der H.-Werkstätten in A-Stadt. Der LE wurde sodann ab 22. Oktober 2015 in den Arbeitsbereich der H.-Werkstätten (anerkannte Werkstatt für behinderte Menschen) in A-Stadt aufgenommen.
Am 7. August 2015 (Bl. 18 Verwaltungsakte des Beklagten – VA Bekl.) und nochmals am 13. Oktober 2015 (Bl. 635 VA Kl.) beantragte der LE bei dem Beklagten die Übernahme der Betreuungskosten (nebst Fahrtkosten) für den Arbeitsbereich der H.-Werkstätten ab 22. Oktober 2015. Diesen Antrag leitete der Beklagte mit Schreiben vom 21. Oktober 2015, eingegangen bei der Klägerin am 26. Oktober 2015 (Bl. 634 VA Kl.) gestützt auf § 14 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) an die Klägerin weiter. Dazu führte dieser aus, es sei erst nun aus den vorgelegten Unterlagen erkennbar geworden, dass der LE infolge eines Arbeitsunfalles behindert sei. Der Arbeitsunfall sei durch die Klägerin anerkannt worden und von ihr werde laufend eine Verletztenrente gezahlt. Mit am 30. Oktober 2015 eingegangenen Schreiben der Klägerin vom 28. Oktober 2015 (Bl. 30 VA Bekl.) reichte diese den Antrag an den Beklagten zurück. Die Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung seien nur nach einer Ursachenprüfung festzustellen, diese Prüfung sei regelmäßig nicht innerhalb der Frist nach § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IX durchführbar. Der Beklagte könne die Leistung ohne Rücksicht auf die Ursache erbringen. Die Klägerin bestätigte die Zahlung der Verletztenrente, es erschließe sich ihr jedoch nicht, warum die Folgen des Arbeitsunfalls nach über 20 Jahren nunmehr vordergründig für die Notwendigkeit der Erbringung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben durch sie spreche. Mit Schreiben vom 20. November 2015, bei der Klägerin eingangen am 24. November 2015 (Bl. 658 VA Kl.), übermittelte der Beklagte abermals den Antrag an die Klägerin und verwies darauf, dass die Weiterleitung eines Antrags grundsätzlich nur einmal möglich sei.
Mit Bescheid vom 27. Januar 2016 (Bl. 694 VA Kl.) lehnte die Klägerin gegenüber dem LE die Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben wegen der Folgen des Unfalls vom 1. September 1978 ab. Nach der eingeholten beratungsärztlichen Stellungnahme (Bl. 697 VA Kl.) sei die Umschulung zum Telefonisten leidensgerecht, der LE könne diese Tätigkeit auch mit den Unfallfolgen auf dem ersten Arbeitsmarkt wettbewerbsfähig ausüben. Eine Beschäftigung in einer Werkstatt für behinderte Menschen sei wegen der Unfallfolgen nicht notwendig. Dem hiergegen gerichteten Widerspruch des LE vom 26. Februar 2016 (Bl. 701 VA Kl.) half die Klägerin mit Bescheid vom 31. Mai 2016 (Bl. 728 VA Kl.) ab und übernahm im Rahmen des § 14 SGB IX vorläufig die Kosten für die Betreuung des LE in den H.-Werkstätten.
Mit Schreiben vom 2. Juni 2016 (Bl. 731 VA Kl.) machte die Klägerin gegenüber dem Beklagten (Eingang dort am 7. Juni 2016, Bl. 55 VA Bekl.) vorsorglich einen Erstattungsanspruch nach § 102 SGB X geltend. Mit weiteren Schreiben, beginnend mit Schreiben vom 1. August 2016 (Bl. 743 VA Kl.), legte sie dem Beklagten Rechnungskopien der Leistungserbringer vor und bat um die Erstattung der jeweiligen Beträge.
Nach einer Stellungnahme der Fachärztin für Innere Medizin und für öffentliches Gesundheitswesen Dr. E. des Gesundheitsamtes des Beklagten vom 12. Dezember 2016 (Bl. 95 f. VA Bekl.) sei nicht nachvollziehbar, warum die Klägerin in der Vergangenheit Leistungen bewilligt habe und dies nun nicht tue, ursächlich habe sich an den Gründen für die seinerzeit bewilligte Rente wegen Erwerbsunfähigkeit nichts geändert, obwohl im Zeitraum seit der letzten Bewilligung der Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben durch die BG weitere Erkrankungen beim LE hinzugetreten seien.
Mit Bescheid vom 14. Februar 2017 (Bl. 781 VA Kl.) bewilligte die Klägerin dem LE auf dessen von der Beklagten weitergeleiteten Antrag vom 6. Januar 2017 die Fahrkosten für einen Fahrdienst zu den H.-Werkstätten nach § 43 SGB VII i. V. m. § 53 SGB IX. Der LE sei auf Grund der Unfallfolgen auf die Nutzung eines Fahrdienstes angewiesen. Mit Schreiben vom 25. Januar 2018 (Bl. 815 VA Kl.) lehnte der Beklagte die Erstattung der Kosten ab. Hauptursache für die bestehende Behinderung des LE sei der Arbeitsunfall im Jahr 1978. Die Klägerin sei für die Folgen aus diesem Unfall nach § 5 Nr. 1 bis 4 SGB IX zuständig.
Am 3. April 2019 hat die Klägerin beim Sozialgericht Kassel Klage erhoben. Sie hat die Erstattung der für die Unterbringung des LE im Zeitraum 1. November 2015 bis 28. Februar 2019 erbrachten Aufwendungen i.H.v. 59.477,08 Euro sowie die Feststellung beantragt, dass der Beklagte auch die zukünftig anfallenden Kosten für die Unterbringung in der WfbM ab 1. März 2019 zu übernehmen habe. Seit dem 1. September 2020 ist der LE nicht mehr in der WfbM tätig gewesen.
Zur Klagebegründung hat die Klägerin ausgeführt, dass aufgrund der Unfallfolgen eine Unterbringung des Versicherten in einer WfbM nicht erforderlich sei. Auch die unbefristete volle Erwerbsminderung bestehe aus Sicht der Klägerin nicht aufgrund der Unfallfolgen. Neben diesen würden ein insulinpflichtigen Diabetes mellitus Typ 2, eine Polyneuropathie, eine chronische Refluxösophagitis und eine koronare Herzerkrankung mit Zustand nach PTCA und Stent sowie eine obstruktive Schlafapnoe und eine Fettleber bestehen. Der LE habe zwar aufgrund der Folgen seines Arbeitsunfalls Anspruch auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben gehabt, denn aufgrund der Unfallfolgen habe der LE die zum Zeitpunkt des Unfalls ausgeübte Tätigkeit nicht mehr ausüben können. Der LE habe aber noch leichte körperliche Arbeiten als Wächter, Pförtner und Telefonist ausüben können. Der Umfang der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben habe sich auf die Vermittlungen in einen leidensgerechten Arbeitsplatz beschränkt. Für die Unterbringung in einer Werkstatt für behinderte Menschen sei der Beklagte der zuständige Leistungsträger. Mit Bescheid vom 31. Mai 2016 habe sie nur vorläufig im Rahmen des § 14 SGB IX eine entsprechende Kostenübernahme erklärt. Da auch in Zukunft weitere Kosten für die Unterbringung des LE in der Werkstatt anfallen würden, werde auch für die Zukunft die grundsätzliche Feststellung der Kostenträgerschaft beantragt.
Der Beklagte hat ausgeführt, der Klägerin stehe ein Anspruch aus § 104 SGB X nicht zu. Die Klägerin sei nicht nachrangig verpflichtet, sondern für die Leistungserbringung zuständig. Dagegen sei seine Zuständigkeit nicht gegeben. Der LE habe bei ihm die Kosten für die Behindertenwerkstatt und die Übernahme der Transportkosten zur Werkstatt beantragt. Er - der Beklagte - sei jedoch hierfür nicht zuständig und habe den Antrag gemäß § 14 SGB IX an die Klägerin weitergeleitet. Diese habe zunächst ihre Zuständigkeit nicht anerkennen wollen. Im Rahmen eines Widerspruchsverfahrens seien dem LE dann mit Bescheid der Klägerin vom 31. Mai 2016 die begehrten Leistungen bewilligt worden. Er – der Beklagte – habe am 25. Januar 2018 eine Erstattung der Leistungen nach Prüfung abgelehnt. Mit der Klage würden neue rechtserhebliche Gesichtspunkte nicht vorgetragen.
Mit Urteil vom 26. November 2020 hat das Sozialgericht die Klage als unbegründet abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Klägerin sei nicht nur im Rahmen von § 14 Abs. 1 S. 2 SGB IX vorläufig für die Teilhabeleistungen an den LE zuständig, sondern im Rahmen der Bestimmungen der gesetzlichen Unfallversicherung nach dem Siebten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) endgültig. Erstattungsansprüche der Klägerin nach § 16 Abs. 1 SGB IX bzw. nach § 104 Abs. 1 SGB X bestünden nicht. Ein nach Maßgabe dieser Bestimmungen bestehender Erstattungsanspruch der Klägerin gegenüber dem Beklagten bestehe nicht, weil dessen vorrangige Leistungsverpflichtung zur Tragung der Aufwendungen für den LE in der WfbM nach Maßgabe der hier noch anzuwendenden §§ 53 ff. des Sechsten Kapitels SGB XII (in der Fassung bis 31. Dezember 2019) von der erkennenden Kammer nicht festgestellt werden könne. Vielmehr sei in Ansehung des vom LE auf dem Gebiet der ehemaligen DDR am 1. September 1978 erlittenen Arbeitsunfalls und dessen Folgen für die im Streitzeitraum ab 1. November 2015 entstandenen und noch entstehenden Aufwendungen für den LE in der WfbM die Klägerin zuständiger und verpflichteter Leistungsträger nach Maßgabe der Bestimmungen des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII). Hierbei stütze sich die erkennende Kammer auf die in den Verwaltungsakten der Klägerin befindlichen medizinischen Unterlagen, Gutachten und Entwicklungsberichte aus der WfbM, insbesondere auch auf die arbeitsamtsärztlichen Gutachten aus 1992. Unstreitig sei der LE vor dem am 1. September 1978 in einer LPG in der damaligen DDR erlittenen Arbeitsunfall in einem Beschäftigungsverhältnis auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in Vollzeit tätig gewesen. Diese Tätigkeit sei in erster Linie eine solche gewesen, die schweren körperlichen Einsatz erfordert habe, und die der LE offensichtlich auch mit der ihm zur Verfügung stehenden geistigen Leistungsfähigkeit zu bewältigen im Stande gewesen sei. Gegenteiliges lasse sich für das Gericht nicht feststellen. Die Unfallfolgen bezögen sich ausschließlich auf körperliche Beeinträchtigungen, die von Anfang an und fortlaufend mit einer im MdE von 80 vom 100 bewertet worden seien. Eine unmittelbar unfallbedingte Beeinträchtigung auf geistig/seelischem Gebiet lasse sich in all den Jahren nach dem Unfall nicht eruieren und lasse sich auch nicht den in den beigezogenen Akten der Beteiligten befindlichen medizinischen Unterlagen, so auch nicht dem für das Arbeitsamt am 24. Juni 1992 erstatteten psychologischen Gutachten entnehmen. Es ergebe sich für das Gericht indessen, dass der LE nach wie vor in der Lage wäre, leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes mit geringen geistigen Anforderungen und geringerer Verantwortung auszuführen. Nach seinem beruflichen Werdegang vor dem Unfall zu urteilen, handele es sich bei dem LE indes um einen Menschen, der eine Erwerbstätigkeit weniger durch Einsatz seiner geistigen Fähigkeiten, sondern vor allem für körperliche Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auszuüben in der Lage gewesen sei. Somit sei gerade in Folge des Arbeitsunfalls mit den ganz erheblichen körperlichen Einschränkungen ein wesentlicher für den allgemeinen Arbeitsmarkt und die individuellen Einsatzmöglichkeiten des LE bedeutsamer Teil der Erwerbsmöglichkeit entfallen, die es durch Leistungen des Unfallversicherungsträgers auszugleichen gegolten und gelte. Hieraus folge, dass für den ab 1. November 2015 beginnenden Streitzeitraum die Voraussetzungen für eine Leistungsverpflichtung des Beklagten im Rahmen der Eingliederungshilfe nach den bis 31. Dezember 2019 geltenden Bestimmungen der §§ 53 f. SGB XII nicht zu bejahen seien. Denn hierfür erforderliche, die Teilhabeleistungen des Sozialhilfeträgers auslösende wesentliche Beeinträchtigungen des LE außerhalb der Unfallfolgen seien für die erkennende Kammer nicht feststellbar. Die beim LE unstreitig vorhandene Erwerbsminderung sei in erster Linie auf den schon 1978 erlittenen Arbeitsunfall zurückzuführen, so dass für die vom LE zu beanspruchenden Teilhabeleistungen, auch in einer WfbM, die Leistungszuständigkeit der Klägerin bestehe.
Gegen das ihr am 26. November 2020 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 8. Dezember 2020 Berufung beim Hessischen Landessozialgericht eingelegt. Der Senat hat die Rentenakte des LE der Deutschen Rentenversicherung (DRV) Bund beigezogen, die dortigen Rehabilitationsakten sind nach Mitteilung der DRV Bund vom 21. März 2022 bereits vernichtet.
Die Klägerin macht nunmehr die Erstattung für Leistungen für den Zeitraum 1. November 2015 bis 31. August 2020 geltend, dabei beträgt die Erstattungsforderung für den Zeitraum 1. Januar 2020 bis 31. August 2020 12.930,87 Euro.
Die Klägerin trägt vor, sie habe ihren Antrag insoweit geändert, als dass der Feststellungsantrag entfalle, weil der LE seit dem 1. September 2020 nicht mehr im Arbeitsbereich der H.-Werkstätten tätig sei. Als Unfallfolgen seien eine Oberschenkelamputation links sowie ungünstige Narbenbildungen am rechten Fuß verblieben, der LE werde durch sie regelmäßig mit orthopädischen Schuhen und mit einer Beinprothese versorgt. Allein aufgrund der Unfallfolgen sei der LE jedoch weder voll erwerbsgemindert noch sei ihm dadurch der Einsatz auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt entfallen. Eine Oberschenkelamputation allein führe nicht zu einer vollen Erwerbsminderung, auch seien mit dieser Gesundheitseinschränkung zahlreiche Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt weiter möglich. So sei der LE in den Jahren 1986 bis 1988 auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt als Wächter tätig gewesen und nach einer Umschulung als Telefonist. Aus den Gutachten vom 6. Oktober 1992 und vom 24. Juni 1992 ergebe sich, dass der LE seinerzeit leichte Tätigkeiten in Vollzeit habe ausüben können. Seit 1995 sei der LE voll erwerbsgemindert, auch eine Schwerbehinderung liege vor. Neben den Unfallfolgen leide der LE an einer koronaren Hörerkrankung, Diabetes mellitus, arterieller Hypertonie, Polyneuropathie und einer Hörminderung. Die Tätigkeit im Arbeitsbereich einer Werkstatt für behinderte Menschen sei nicht unfallbedingt erforderlich. Zuständiger Leistungskläger sei der Beklagte.
Soweit sie mit Bescheid vom 14. Februar 2017 nach § 43 SGB VII bewilligt habe, sei Anspruchsgrundlage für den Erstattungsanspruch § 105 SGB X. Sie habe als unzuständige Leistungsträgerin die Fahrkosten erbracht. § 105 SGB X setze ein Verschulden nicht voraus, bestimmte Gründe für die Leistungserbringung seien nicht erforderlich. Der Erstattungsanspruch sei auch nicht aufgrund Rechtsmissbrauchs ausgeschlossen, weil sie in Kenntnis ihrer Unzuständigkeit geleistet habe. Aus dem zuvor ergangenen Bescheid vom 31. Mai 2016 über die Übernahme der Kosten für die Werkstatt für behinderte Menschen sei ersichtlich, dass sie im Rahmen des § 14 SGB IX vorläufig Leistungen habe erbringen wollen. Im Bescheid über die Fahrkosten vom 14. Februar 2017 habe sie durch Verwendung falscher Textbausteine versehentlich auf diesen Umstand gegenüber dem Versicherten nicht hingewiesen. Dem Beklagten sei dieser Umstand jedoch bekannt gewesen, denn sie dies mit Schreiben vom 2. Juni 2016 mitgeteilt habe.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 26. November 2020 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihr die von ihr für die Unterbringung des Herrn A. A., geb. 1957, im Arbeitsbereich der Werkstatt für behinderte Menschen, H.-Werkstätten, A-Straße, A-Stadt, vom 1. November 2015 bis 31. August 2020 erbrachten Aufwendungen in Höhe von 88.763,53 Euro zu erstatten.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte vertritt die Auffassung, die Berufung sei unbegründet und verweist auf die tragenden Gründe des angefochtenen Urteils.
Im Termin zur Erörterung des Sachverhalts am 1. März 2023 hat der Beklagte erklärt, der Klageänderung hinsichtlich der Erstattungsforderung für den Zeitraum ab März 2019 nicht zuzustimmen.
Die Beteiligten haben im Termin zur Erörterung des Sachverhalts am 1. März 2023 übereinstimmend ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Entscheidungsgründe
Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten sich hiermit übereinstimmend einverstanden erklärt haben, § 153 Abs. 1 i. V. m. § 124 Abs. 2, Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Die Berufung der Klägerin ist zulässig und begründet. Soweit der Senat (erstinstanzlich) auf Klage entscheidet, ist diese unbegründet.
Gegenstand des Verfahrens ist der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch auf Kostenerstattung für die dem LE erbrachten Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben für die Zeit vom 1. November 2015 bis 31. August 2020 in Höhe von 88.763,53 Euro.
Die mit der Berufung erstmals geltend gemachte Erstattungsforderung auch für den Zeitraum 1. März 2019 bis 31. Dezember 2019 ist gem. § 99 Abs. 3 Nr. 2 i. V. m. § 153 Abs. 1 SGG zulässiger Streitgegenstand, denn es handelt sich dabei um eine bloße Erweiterung des Klageantrags in der Hauptsache ohne Änderung des Klagegrundes.
Demgegenüber stellt sich die erstmalige Geltendmachung des Erstattungsanspruchs in Höhe von 12.930,87 Euro für den Zeitraum vom 1. Januar 2020 bis 31. August 2020 als Klageänderung gem. § 99 Abs. 1 i. V. m. § 153 Abs. 1 SGG dar. Es handelt sich insoweit nicht lediglich um eine Klageerweiterung i. S. v. § 99 Abs. 3 Nr. 2 SGG, weil durch die Änderung ein neuer prozessualer Anspruch zur Entscheidung gestellt und ein anderes, neues Prozessrechtsverhältnis begründet wird (BSG, Urteil vom 31. Juli 2002 – B 4 RA 20/01 R –, SozR 3-1500 § 29 Nr 1, SozR 3-1500 § 96 Nr 10, SozR 3-1500 § 99 Nr 3, Rn. 19; BeckOGK/Bieresborn, 1. Februar 2023, SGG § 99 Rn. 35), denn die Klägerin macht die Erstattung von Aufwendungen für Leistungen der Eingliederungshilfe in der Werkstatt für behinderte Menschen nach dem Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) – Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen geltend.
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (grundlegend BSG Urteil vom 28. Januar 2021 - B 8 SO 9/19 R, BSGE 131, 246, Rn. 19; a. A. LSG Sachsen, Urteil vom 13. Juli 2022 – L 4 SO 48/21, BeckRS 2022, 20334), ist aufgrund der Neukonzipierung des Rechts der Eingliederungshilfe durch das Inkrafttreten der Regelungen in Teil 2 des SGB IX mit dem Gesetz zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz <BTHG> vom 23. Dezember 2016, BGBl. I 3234) die ursprüngliche Zuständigkeit der Sozialhilfeträger für Eingliederungshilfeleistungen entfallen; zuständig sind nunmehr die Träger der Eingliederungshilfe gem. § 6 Abs. 1 Nr. 7 SGB IX. Auch die Wirkung des § 14 SGB IX umfasst die neue Eingliederungshilfe nach dem SGB IX nicht (in diesem Sinne wohl auch Eicher in jurisPK-SGB XII, Anhang zu § 19 SGB XII, Rn. 2.6; a. A. insoweit LSG Niedersachsen-Bremen Beschluss vom 10. November 2020 - L 8 SO 84/20 ER, Rn. 10, juris). Der Sozialhilfeträger ist kein Rehabilitationsträger mehr (§ 6 SGB IX). Die Leistungen der Eingliederungshilfe nach Teil 2 des SGB IX sind vielmehr ausdrücklich aus dem Recht der Sozialhilfe herausgelöst worden und werden auf Grundlage eines vom Gesetzgeber neu geschaffenen Leistungssystems von einem anderen Leistungsträger (Eingliederungshilfeträger) erbracht. Mit der Neuausrichtung der Eingliederungshilfe in Teil 2 des SGB IX und der strikten Trennung von Fachleistungen und Lebensunterhaltsleistungen als Grundprinzip ist ein vollständiger Systemwechsel erfolgt. Übergangsregelungen für die Zeit ab dem 1. Januar 2020, aus denen sich schließen ließe, dass der Eingliederungshilfeträger Funktionsnachfolger des Sozialhilfeträgers im bis zum 31. Dezember 2019 begründeten Rechtsverhältnis geworden ist und die unter altem Recht begründeten Leistungsfälle unter Geltung des neuen Rechts nur fortgeführt werden, bestehen nicht (vgl. insoweit auch Senatsurteil vom 24. März 2021, L 4 SO 227/19). Die Einführung eines Antragserfordernisses für Eingliederungshilfeleistungen in § 108 Abs. 1 SGB IX zum 1. Januar 2020 bestätigt den strikten Systemwechsel, denn ein Antrag wird - anders als bei sonstigen antragsabhängigen Leistungen des SGB XII - auch erforderlich, wenn die begehrten Leistungen der Sache noch bis zum 31. Dezember 2019 bezogen worden sind. Nicht entscheidend ist, ob sich die Rechtswirklichkeit für die Betroffenen nach der Rechtsänderung verändert darstellt. Leistungen der Eingliederungshilfe nach neuem Recht sind daher nach der Rechtsprechung des BSG nicht zulässiger Streitgegenstand eines Rechtsstreits, wenn der angegriffene Verwaltungsakt keine Regelung über Leistungen nach dem SGB IX enthält (BSG Beschluss vom 24. Juni 2021 - B 8 SO 19/20 B; LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 20. Oktober 2022 – L 9 SO 317/21 –, Rn. 30, juris). Ebenso verhält es sich im Kostenerstattungsverfahren, wenn – wie hier – der im Außenverhältnis nach § 14 SGB IX in der bis 31. Dezember 2019 geltenden Fassung endgültig zuständige zweitangegangene Rehabilitationsträger nach § 14 Abs. 4 Satz 1 SGB IX von dem materiell-rechtlich zuständigen Rehabilitationsträger Aufwendungsersatz verlangt. Der bis zum 31. Dezember 2019 für die Eingliederungshilfe nach dem 6. Kapitel des SGB XII zuständige Träger der Sozialhilfe ist seit 1. Januar 2020 nicht mehr Rehabilitationsträger i. S. v. § 6 SGB IX. Dies gilt auch, wenn – worauf die Klägerin zutreffend hingewiesen hat – der Beklagte seit 1. Januar 2020 nach § 1 des Gesetzes zur Ausführung des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (AG SGB IX) vom 25. September 2019 (GVBl für das Land Berlin 2019, 602) auch Träger der Eingliederungshilfe geworden ist (a. A. wohl LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 10. November 2020 – L 8 SO 84/20 ER –, Rn. 10, juris).
Gemäß § 99 Abs. 1 SGG ist eine Änderung der Klage nur zulässig, wenn die übrigen Beteiligten einwilligen oder das Gericht die Änderung für sachdienlich hält. Nach § 99 Abs. 2 SGG ist die Einwilligung der Beteiligten in die Änderung der Klage anzunehmen, wenn sie sich, ohne der Änderung zu widersprechen, in einem Schriftsatz oder in einer mündlichen Verhandlung auf die abgeänderte Klage eingelassen haben (§ 99 Abs. 2 SGG). Der Beklagte hat der Klageänderung im Erörterungstermin vom 1. März 2023 widersprochen.
Die Klageänderung ist indessen sachdienlich gem. § 99 Abs. 1 Alt. 2 SGG. Dies ist immer dann der Fall, wenn der Streitstoff im Wesentlichen derselbe bleibt und erwartet werden kann, dass der Streit zwischen den Beteiligten in einem Verfahren endgültig bereinigt und ein neuer Prozess vermieden werden kann. Maßgeblich sind das Interesse der Beteiligten sowie die Prozesswirtschaftlichkeit. (BeckOGK/Bieresborn, 1. Februar 2023, SGG § 99 Rn. 39). Wird hingegen das Verfahren auf eine völlig neue Grundlage gestellt, ist die Klageänderung nicht sachdienlich. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn der Rechtsstreit entscheidungsreif ist und aufgrund der Änderung die bisherigen Ergebnisse nicht verwertet werden können. (BeckOGK/Bieresborn, 1. Februar 2023, SGG § 99 Rn. 41). Unter dem Gesichtspunkt der Prozesswirtschaftlichkeit ist die Klageänderung hinsichtlich des Zeitraums ab 1. Januar 2020 sachdienlich, weil der Beklagte seither Träger der Eingliederungshilfe gem. § 6 Abs. 1 Nr. 7 SGB IX n. F. i. V. m. § 1 AG SGB IX ist. Der dem Rechtsstreit zugrundeliegende Streitstoff ist über den 1. Januar 2020 im Wesentlichen unverändert geblieben. Weiterhin sind im Streit die Aufwendungen für die Betreuung des LE im Arbeitsbereich der Werkstatt für behinderte Menschen einschließlich der hierfür aufgewandten Fahrkosten. Auch wenn mit der Neuausrichtung der Eingliederungshilfe in Teil 2 des SGB IX eine neue Leistung geschaffen wurde, führt die Rechtsänderung allein nicht zu einer völlig neuen Grundlage des Rechtsstreits, der sich auch hinsichtlich des ab 1. Januar 2020 in Streit stehenden Zeitraums als entscheidungsreif darstellt. Es ist darüber hinaus zu erwarten, dass der Streit der Beteiligten durch die Entscheidung in diesem Verfahren endgültig bereinigt wird. Der Senat entscheidet hierüber auf Klage.
Soweit die Klägerin im erstinstanzlichen Verfahren weiterhin die Feststellung beantragt hatte, dass der Beklagte auch die zukünftig anfallenden Kosten der Leistungserbringung zu übernehmen habe, hat sie den Feststellungsantrag nach der am 10. Dezember 2020 unbeschränkt eingelegten Berufung mit am 2. März 2021 eingegangenen Schriftsatz vom 7. Dezember 2020 (Bl. 56 Gerichtsakte – GA) nicht mehr weiterverfolgt und ausgeführt, dass der Feststellungsantrag aufgrund einer Änderung der Sachlage entfalle, der LE sei seit dem 1. September 2020 nicht mehr im Arbeitsbereich der Werkstatt tätig. Geltend gemacht werde ausschließlich ein Anspruch auf die Erstattung der Aufwendungen in der Zeit bis 31. August 2020. Damit hat die Klägerin die ursprünglich in objektiver Klagehäufung geltend gemachte Feststellungklage (§ 55 Abs. 1 SGG) im Berufungsverfahren zurückgenommen, ohne die Zurücknahme ausdrücklich zu erklären. Die der Auslegung zugängliche Erklärung der Klägerin in dem am 2. März 2021 eingegangenen Schriftsatz (vgl. zur Auslegung von Prozesshandlungen Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer/Schmidt, SGG. 13. Auflage 2020, Vor § 60 Rn. 11a) stellt sich bei verständiger Würdigung nach dem wirklichen Willen unter Berücksichtigung des objektiven Empfängerhorizonts (§ 133 Bürgerliches Gesetzbuch) als Zurücknahme der Feststellungsklage dar. Zwar wäre angesichts der dargelegten und objektiv eingetretenen Änderung der Sachlage durch das Ausscheiden des LE eine (hier einseitig gebliebene) Erledigungserklärung der Klägerin in Betracht zu ziehen, die Klägerin hat aber ausdrücklich erklärt, dass der Feststellungsantrag „entfällt“ und „ausschließlich“ der Anspruch auf die Erstattung der Aufwendungen, mithin der Leistungsantrag als einziger Streitgegenstand verbleibt. Bei der (wie hier) einseitig bleibenden Erledigungserklärung nimmt indessen der Kläger nicht nur – wie auch bei der Klagerücknahme – von seinem bisherigen Klagebegehren Abstand, sondern begehrt stattdessen die gerichtliche Feststellung, dass die Hauptsache erledigt sei (Schoch/Schneider/Clausing, 42. EL Februar 2022, VwGO § 161 Rn. 28). Ein solches Begehren ist allerdings weder dem Berufungsbegründungsschriftsatz der Klägerin vom 7. Dezember 2020 noch den weiteren schriftsätzlichen Äußerungen der Klägerin zu entnehmen, auch nicht, nachdem sich der Beklagte auf die Erklärung zum Feststellungsantrag in der Berufungserwiderung lediglich mit dem Antrag auf Zurückweisung der Berufung eingelassen hat.
Die auf die Erstattung der Aufwendungen für die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben für den LE in den H.-Werkstätten in der Zeit vom 1. November 2015 bis 31. August 2020 gerichtete Klage ist als Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG zulässig und in Höhe von 75.832,66 Euro begründet. Im Übrigen ist die Klage in Höhe von 12.930,87 Euro unbegründet, nämlich soweit der Zeitraum ab 1. Januar 2020 betroffen ist.
Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Erstattungsanspruch für die Zeit vom 1. November 2015 bis 31. Dezember 2019 ist § 14 Abs. 4 Satz 1 SGB IX i. d. bis zum 31. Dezember 2017 geltenden Fassung (des Gesetzes zur Förderung der Ausbildung und Beschäftigung schwerbehinderter Menschen vom 23. April 2004; BGBl. I 606, m. W. v. 1. Mai 2004, a. F.). Danach erstattet, wenn nach Bewilligung der Leistung durch einen Rehabilitationsträger nach Abs. 1 Satz 2 bis 4 festgestellt wird, dass ein anderer Rehabilitationsträger für die Leistung zuständig ist, dieser dem Rehabilitationsträger, der die Leistung erbracht hat, dessen Aufwendungen nach den für diesen geltenden Vorschriften. Die Vorschrift räumt dem zweitangegangenen Rehabilitationsträger gegenüber dem materiellrechtlich originär zuständigen Träger einen spezialgesetzlichen Anspruch ein, der die allgemeinen Erstattungsansprüche der §§ 102 ff. Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz verdrängt (BSG, Urteil vom 25. April 2013 – B 8 SO 12/12 R –, SozR 4-3250 § 14 Nr. 17, Rn. 10; BSG SozR 4-2500 § 33 Nr. 36 Rn. 11; SozR 4-3250 § 14 Nr. 10 Rn. 11 m. w. N.). Die allgemeinen Regelungen der §§ 106 ff. SGB X, insbesondere § 111 SGB X sind hingegen anwendbar (LSG Bayern Urteil vom 15. März 2017 – L 19 R 518/16, BeckRS 2017, 110496, beck-online).
Der Anspruch der Klägerin ist nicht gem. § 111 SGB X ausgeschlossen, denn die Leistungserbringung durch die Klägerin erfolgte im Zeitraum vom 1. November 2015 bis 31. Dezember 2019 bzw. 31. August 2020. Der Senat lässt offen, ob insoweit der Grundsatz der Leistungskontinuität (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 28. November 2019, B 8 SO 8/18 R, BSGE 129, 241, Rn. 14 ff.) eingreift und von einem einheitlichen Rehabilitationsgeschehen bis 31. August 2020 auszugehen ist, denn jedenfalls erfolgte die Geltendmachung des Erstattungsanspruchs rechtzeitig. Dies geschah zwar nicht mit Eingang des Schreibens der Klägerin vom 2. Juni 2016 am 7. Juni 2016 beim Beklagten, da es sich insoweit um eine lediglich vorsorgliche Anmeldung der Erstattungsforderung handelte, die nicht hinreichend den unbedingten Willen erkennen lässt, den Anspruch zumindest rechtssichernd geltend machen zu wollen (vgl. hierzu Schütze/Roller, 9. Aufl. 2020, SGB X § 111 Rn. 13). Jedoch jedenfalls mit Schreiben vom 1. August 2016, dem Beklagten am 4. August 2016 zugegangen, mit dem die Klägerin unter Vorlage von Rechnungskopien um Überweisung des für die Betreuung des LE verauslagten Betrages bat, war die Anmeldung des Erstattungsanspruchs rechtzeitig erfolgt.
Die Voraussetzungen von § 14 Abs. 4 SGB IX a.F. sind hinsichtlich der Aufwendungen für den Zeitraum vom 1. November 2015 bis 31. Dezember 2019 erfüllt, die Klägerin hat insoweit einen Anspruch auf Erstattung ihrer Aufwendungen.
Die Klägerin hat dem LE Leistungen der Teilhabe am Arbeitsleben gem. § 5 Nr. 2 i. V. m. §§ 39, 41 SGB IX a.F. in Form von Leistungen in Werkstatt für behinderte Menschen im Arbeitsbereich der H.-Werkstätten erbracht, vgl. Bescheid vom 31. Mai 2016 (Bl. 728 VA Kl.). Darüber hinaus hat sie in dem Zeitraum ebenfalls die Fahrkosten für den Transport des LE zwischen dessen Wohnung und der Werkstätte erbracht. Dabei handelt es sich um Reisekosten i. S. v. § 53 SGB IX a. F., welche zu der Hauptleistung akzessorisch sind. Soweit der Beklagte in dem insoweit maßgeblichen Bescheid vom 14. Februar 2017 (Bl. 784 VA Kl.) die Fahrkosten durch einen Fahrdienst auf § 43 SGB VII i. V. m. § 53 SGB IX stützt, ist dies für den Kostenerstattungsanspruch nicht erheblich.
Die Leistungserbringung erfolgte durch die Klägerin als zweitangegangener Rehabilitationsträger i. S. v. § 14 Abs. 1 Satz 2 bis 4 SGB IX. Der Beklagte hatte den Antrag des LE vom 13. Oktober 2015 mit Eingang am 26. Oktober 2015 an die Klägerin weitergeleitet. Bei den gewährten Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben handelt es sich um Leistungen, die im streitigen Zeitraum vom 1. November 2015 bis 31. Dezember 2019 ihrer Art nach auch von dem Beklagten erbracht wurden, der als Träger der Sozialhilfe gem. § 97 Abs. 1 SGB XII a. F. i. V. m. § 1 AG-SGB XII a. F. bis 31. Dezember 2019 Rehabilitationsträger i. S. v. § 6 Abs. 1 Nr. 7 SGB IX a. F. für Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben i. S. v. § 5 Nr. 4 SGB IX a. F. i. V. m. §§ 53, 54 Abs. 1 SGB XII a. F., § 42 Abs. 2 Nr. 4 SGB IX a. F. und gem. § 98 Abs. 1 SGB XII a. F. örtlich zuständig für die Leistungserbringung am Ort des tatsächlichen Aufenthalts des LE im streitgegenständlichen Zeitraum in A-Stadt war.
Entgegen der Auffassung des Beklagten bestand auch keine vorrangige Leistungsverpflichtung anderer Sozialleistungsträger für die Leistungen der Teilhabe am Arbeitsleben im Arbeitsbereich einer Werkstätte für Menschen mit Behinderungen, denn der Träger der gesetzlichen Rentenversicherung war nach § 6 Abs. 1 Nr. 4, §§ 5 Nr. 2 i. V. m. 42 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX a. F. nur zuständig für die - dem LE zuvor bereits erbrachten - Leistungen im Eingangsverfahren und im Berufsbildungsbereich der Werkstätten für behinderte Menschen. Einziger anderer – neben dem Beklagten – für die Leistungserbringung in Betracht kommender Rehabilitationsträger war die Klägerin, die als Träger der gesetzlichen Unfallversicherung gem. § 6 Abs. 1 Nr. 3 i. V. m. §§ 5 Nr. 2, § 42 Abs. 2 Nr. 1 SGB IX a. F. ebenfalls für die Erbringung von Leistungen im Arbeitsbereich zuständig war, indessen nach § 42 Abs. 2 Nr. 1 SGB IX a. F. lediglich „im Rahmen ihrer Zuständigkeit für durch Arbeitsunfälle verletzte und von Berufskrankheiten Betroffene“.
Die Klägerin war für die Leistungserbringung zwar im Außenverhältnis zum LE nach § 14 SGB IX a.F. zuständig, nicht jedoch nicht im Innenverhältnis vorrangig (§ 2 Abs. 1 SGB XII) gegenüber dem Beklagten, weil die Voraussetzungen für die Erbringung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben durch den Träger der Unfallversicherung in Bezug auf den LE nicht gegeben waren.
Rechtsgrundlage hierfür ist im streitgegenständlichen Zeitraum vom 1. November 2015 bis 31. Dezember 2019 § 26 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2 i. V. m. § 35 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII) in der bis zum 31. Dezember 2017 gültigen Fassung (a.F.).
Danach haben Versicherte nach Maßgabe der folgenden Vorschriften und unter Beachtung des Neunten Buches Anspruch auf Heilbehandlung einschließlich Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben und am Leben in der Gemeinschaft, auf ergänzende Leistungen, auf Leistungen bei Pflegebedürftigkeit sowie auf Geldleistungen. Der Unfallversicherungsträger hat nach § 26 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII a.F. mit allen geeigneten Mitteln möglichst frühzeitig den durch den Versicherungsfall verursachten Gesundheitsschaden zu beseitigen oder zu bessern, seine Verschlimmerung zu verhüten und seine Folgen zu mildern.
Vorliegend ist ein Versicherungsfall gegeben. Der LE hat am 1. September 1978 einen Arbeitsunfall i. S. v. § 8 SGB VII erlitten als dessen Unfallfolge anerkannt ist durch bestandskräftigen Bescheid vom 27. August 1978 der Zustand nach Oberschenkel-Amputation links in Schaftmitte mit Einschränkung der Bewegung und Belastung, ein abgeheilter Unterschenkelbruch rechts sowie ungünstige Narbenbildung nach schwerer Weichteilverletzung des rechten Fußes.
Die anerkannten Unfallfolgen sind jedoch nicht wesentlich kausal für den beim LE im streitgegenständlichen Zeitraum bestehenden Rehabilitationsbedarf, der auch zwischen den Beteiligten als solches unstreitig gegeben ist. Denn die Notwendigkeit der streitgegenständlichen Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Form von Leistungen im Arbeitsbereich beruht nicht auf der unfallbedingten Schädigung. Hierzu ist erforderlich, dass der eingetretene Schaden (haftungsausfüllend) Ursache für die Inanspruchnahme dieser Leistungen ist. Dies ist dann der Fall, wenn Art und Schwere der Folgen des Versicherungsfalls rechtlich wesentlich die Erbringung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben erfordern. Das ist der Fall, wenn der Versicherte auf Dauer seinen bisherigen Beruf/seine bisherige Tätigkeit nicht mehr wettbewerbsfähig ausüben kann. Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben sind allerdings auch dann zu gewähren, wenn der Versicherte zunächst in seiner bisherigen Tätigkeit verbleibt, später aber aus arbeitsmarktpolitischen Gründen die Tätigkeit wechselt und er letztere Tätigkeit aufgrund der Folgen des Versicherungsfalls nicht mehr verrichten kann. Demgegenüber besteht der ursächliche Zusammenhang nicht mehr, wenn der Versicherte dauerhaft beruflich eingegliedert ist und die aus dem Versicherungsfall resultierenden Nachteile überwunden hat, also einen Beruf ergriffen hat, der seiner vor Eintritt des Versicherungsfalls erreichten beruflichen Stellung entspricht (Padé in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VII, 3. Aufl., § 35 SGB VII [Stand: 15. Januar 2022], Rn. 21 m. w. N.). Die Leistungen sind so lange zu erbringen, wie zur Wiedereingliederung notwendig ist (BSG Urteil vom 20. März 2007 – B 2 U 18/05 R, BSG SozR 4–2700 § 35 Nr. 1).
Die haftungsausfüllende Kausalität in diesem Sinne ist nicht gegeben, denn nach dem Arbeitsunfall arbeitete der LE zunächst von Oktober 1986 bis April 1987 als Wächter und erfuhr sodann eine Umschulung zum Telefonisten. In dem Umschulungsberuf war der LE bis Ende September 1988 tätig und somit beruflich wiedereingegliedert. Soweit er in einem Antrag auf berufliche Rehabilitation am 3. Januar 1992 angab, diese Tätigkeit - neben persönlichen und familiären - auch aus gesundheitlichen Gründen aufgegeben zu haben, führt dies zu keiner anderen Beurteilung, weil das im Rahmen dem nachfolgend eingeholten ärztlichen Gutachten vom 6. Oktober 1992, dem psychologischen Gutachten vom 24. Juni 1992 und der arbeitsmedizinischen Beurteilung vom 7. September 1993 festgestellte damalige Restleistungsvermögen des LE für eine Tätigkeit als Telefonist ausreichend ist, nachdem dieser leichte körperliche Arbeiten in Tagesschicht vollschichtig, sitzend, zeitweise stehend und gehend ohne häufiges oder ständiges Bücken, ohne schweres Heben und Tragen und ohne lange Wegstrecken, bzw. leichte Arbeiten ohne besondere Bück-Hebebelastung, ohne Körperzwangshaltung, in wechselnder Köperhaltung, überwiegend sitzend, unter Witterungsschutz noch verrichten konnte, wobei dauerndes Stehen, Arbeiten auf Leitern und Gerüsten sowie an gefährlichen Maschinen, unter Zeitdruck und Schichtarbeit vermieden und die bestehende Einschränkung des Sehvermögens berücksichtigt werden sollte.
Welche konkreten körperlichen Einschränkungen sodann den Leistungen der Teilhabe am Arbeitsleben im Eingangsverfahren und sodann im Berufsbildungsbereich der Werkstatt für Menschen mit Behinderungen ab 15. April 2013 führten, lässt sich nicht mehr feststellen, da die entsprechenden Verwaltungsakten des damals leistenden Trägers der Rentenversicherung zwischenzeitlich vernichtet wurden. Allerdings ergeben sich bereits 2008 ausweislich des Gutachtens des MDK-Berlin-Brandenburg zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit gemäß SGB XI eine erhebliche Einschränkung der Alltagskompetenz und insulinpflichtiger Diabetes mellitus als pflegerelevante Funktionsstörung. Auf die Folgen des 1978 erlittenen Arbeitsunfalls stellt das MDK-Gutachten dabei nicht ab. Auch hinsichtlich der beim LE bestehenden koronaren Herzerkrankung, arteriellen Hypertonie, Polyneuropathie und Hörminderung sind keine Anhaltspunkte ersichtlich oder vorgetragen, dass diese Erkrankungen Folge des Arbeitsunfalls wären.
Indessen stellen diese Erkrankungen eine wesentliche Behinderung i. S. v. § 53 Abs. 1 SGB XII und rechtfertigen die Leistungsverpflichtung des Beklagten gem. §§ 53 Abs. 1, 54 SGB XII a. F. i. V. m. §§ 5 Nr. 4, 42 Abs. 2 Nr. 4 SGB IX a. F.
Die Klage ist allerdings hinsichtlich des Zeitraums vom 1. Januar 2020 bis 31. August 2020 unbegründet, die Klägerin hat insoweit keinen Anspruch auf Erstattung ihrer Aufwendungen.
Rechtsgrundlage ist insoweit § 16 SGB IX (in der ab 1. Januar 2018 geltenden Fassung des Bundesteilhabegesetzes – BTHG, BGBl. I, S.; n. F.). Hat danach ein leistender Rehabilitationsträger nach § 14 Abs. 2 Satz 4 SGB IX n. F. Leistungen erbracht, für die ein anderer Rehabilitationsträger insgesamt zuständig ist, erstattet der zuständige Rehabilitationsträger die Aufwendungen des leistenden Rehabilitationsträgers nach den für den leistenden Rehabilitationsträger geltenden Rechtsvorschriften.
Zunächst ist der Anwendungsbereich von § 16 SGB IX n. F. eröffnet, denn es handelt sich um einen Erstattungsanspruch zwischen Rehabilitationsträgern. Sowohl die Klägerin nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX n. F. als auch der Beklagte nach § 6 Abs. 1 Nr. 7 SGB IX n. F., § 94 Abs. 1 SGB IX n. F i. V. m. § 1 des Gesetzes zur Ausführung des Neuntens Buches Sozialgesetzbuch (AG SGB IX, GVBl. für das Land Berlin 2019, S. 602) sind Rehabilitationsträger.
Allerdings ist die Klägerin hinsichtlich der von ihr erbrachten Leistungen der Teilhabe am Arbeitsleben nicht leistender Rehabilitationsträger nach § 14 Abs. 2 Satz 4 SGB IX n. F., weil es bereits an der Weiterleitung eines Rehabilitationsantrags an die Klägerin fehlt. Diese ist nicht zweitangegangener Rehabilitationsträger. Die Weiterleitung des Rehabilitationsantrags vom 13. Oktober 2015 reicht hierfür wegen des nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts aufgrund der Neukonzipierung des Rechts der Eingliederungshilfe durch das Inkrafttreten der Regelungen in Teil 2 des SGB IX mit dem Gesetz zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz <BTHG> vom 23. Dezember 2016, BGBl. I 3234) ab 1. Januar 2020 geschaffenen Leistungssystems (BSG, Urteil vom 28. Januar 2021, B 8 SO 9/19 R, BSG 131, 246, Rn. 19) und der damit anderen Leistung (LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 30. Juni 2022, L 9 SO 388/20, juris Rn. 26) nicht aus. Der im Rehabilitationsrecht geltende Grundsatz der Leistungskontinuität, nach dem bei einem einheitlichen Rehabilitationsgeschehen die einmal nach §§ 14, 15 SGB IX begründete Zuständigkeit eines Rehabilitationsträgers bei wesentlich unveränderter Bedarfslage fortbesteht (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 28. November 2019, B 8 SO 8/18 R, BSGE 129, 241, Rn. 14f), wird durch die Neuregelung des Rechts der Eingliederungshilfe ab 1. Januar 2020 als wesentliche Änderung des Teilhabegeschehens in rechtlicher Hinsicht mit der Folge durchbrochen, dass innerhalb der Regelung des § 14 SGB IX nicht von einer fortgesetzten Zuständigkeit ausgegangen werden kann (vgl. BSG, Urteil vom 28. November 2019, B 8 SO 8/18 R, BSGE 129, 241, Rn. 15; vgl. auch Frerichs in: Hauck/Noftz SGB IX, § 94 Rn. 47 ff., a. A. Eicher, NDV 2023, 101, 102; s. a. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 10. November 2020 – L 8 SO 84/20 ER –, Rn. 10, juris). § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IX stellt auf die Zuständigkeit für „die Leistung“ ab und nimmt dabei auf das für den Träger geltende Leistungsgesetz Bezug. Das für den Beklagten bis 31. Dezember 2019 maßgebliche Leistungsgesetz - §§ 53, 54 SGB XII a. F. – ist jedoch mit Wirkung vom 1. Januar 2020 aufgehoben worden (a. A. Frerichs, jurisPR-SozR 8/2023 Anm. 5).
Als Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Erstattungsanspruch nicht in Betracht kommt § 16 Abs. 2 SGB IX n. F., insoweit liegt schon die Voraussetzung nicht vor, dass die Klägerin als leistender Rehabilitationsträger nach § 15 Abs. 3 Satz 2 SGB IX n. F. Leistungen erbracht hat; es fehlt jedenfalls das hierfür erforderliche Teilhabeplanverfahren (§ 19 SGB IX n. F.). Für unzuständige Rehabilitationsträger – wie hier die Klägerin – ist darüber hinaus gem. § 16 Abs. 4 Satz 1 SGB IX die Anwendung von § 105 SGB X ausgeschlossen, weil die Klägerin weder einen Rehabilitationsantrag nach § 14 Abs. 1 Satz 2 SGB IX n. F. weitergeleitet hat noch den Beklagten als Träger der Eingliederungshilfe nach § 15 SGB IX beteiligt hat.
Ein Erstattungsanspruch ist auch nach § 102 ff. Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – nicht gegeben, denn § 16 SGB IX n. F. ist lex specialis gegenüber §§ 102 ff. SGB X und regelt die Erstattung von erfolgten Rehabilitationsleistungen abschließend (BeckOK SozR/Kellner, 68. Ed. 1. März 2023, SGB IX § 16 Rn. 4a; s. auch Ulrich in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX, 3. Aufl., § 16 SGB IX [Stand: 27. Februar 2022], Rn. 24).
Die Kostengrundentscheidung folgt aus § 197a SGG i. V. m. § 155 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) und berücksichtigt das Obsiegen und Unterliegen der Beteiligten.
Gründe für die Zulassung der Revision gem. § 160 Abs. 2 SGG sind nicht gegeben.