L 8 BA 48/21 B ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Betriebsprüfungen
Abteilung
8
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 56 BA 15/21 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 8 BA 48/21 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Duisburg vom 25.03.2021 wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 98.310,11 Euro festgesetzt.

 

Gründe

 

Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts (SG) Duisburg vom 25.03.2021 ist nicht begründet. Das SG hat den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 04.10.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.02.2021 zu Recht abgelehnt.

 

Gemäß § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann das Gericht der Hauptsache in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, diese auf Antrag ganz oder teilweise anordnen. Widerspruch und Anfechtungsklage gegen eine – wie hier erfolgte – Entscheidung über Beitragspflichten und die Anforderung von Beiträgen sowie der darauf entfallenden Nebenkosten haben gem. § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG keine aufschiebende Wirkung.

 

Die Entscheidung, ob eine aufschiebende Wirkung ausnahmsweise gem. § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG durch das Gericht angeordnet wird, erfolgt aufgrund einer umfassenden Abwägung des Suspensivinteresses des Antragstellers einerseits und des öffentlichen Interesses an der Vollziehung des Verwaltungsakts andererseits (vgl. z.B. Senatsbeschl. v. 21.10.2020 – L 8 BA 143/19 B ER – juris Rn. 3). Im Rahmen dieser Interessenabwägung ist in Anlehnung an § 86a Abs. 3 S. 2 SGG zu berücksichtigen, in welchem Ausmaß Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen (hierzu unter 1.) oder ob die Vollziehung für den Antragsteller eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte (hierzu unter 2.).

 

1. Da § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG das Vollzugsrisiko bei Beitragsbescheiden grundsätzlich auf den Adressaten verlagert, können nur solche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides ein überwiegendes Suspensivinteresse begründen, die einen Erfolg des Rechtsbehelfs wahrscheinlich erscheinen lassen. Hierfür reicht es nicht schon aus, dass im Rechtsbehelfsverfahren möglicherweise noch ergänzende Tatsachenfeststellungen zu treffen sind. Maßgebend ist vielmehr, ob nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Eilentscheidung mehr für als gegen die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides spricht (st. Rspr. des Senats, vgl. z.B. Beschl. v. 21.10.2020 – L 8 BA 143/19 B ER – juris Rn. 4; Beschl. v. 12.02.2020 – L 8 BA 157/19 B ER – juris Rn. 5 m.w.N.).

 

Nach diesen Maßstäben ist die aufschiebende Wirkung der Klage nicht anzuordnen, da deren Erfolg nicht wahrscheinlich ist. Es spricht nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung derzeit nicht – wie erforderlich (vgl. z.B. Senatsbeschl. v. 21.10.2020 – L 8 BA 143/19 B ER – juris Rn. 4 m.w.N.) – mehr dafür als dagegen, dass sich der angefochtene Bescheid, mit dem die Antragsgegnerin von der Antragstellerin für den Zeitraum vom 01.01.2011 bis 30.06.2017 für diverse, einzeln benannte Personen Beiträge und Umlagen in Höhe von insgesamt 393.240,44 Euro einschließlich Säumniszuschlägen in Höhe von 127.390,00 Euro nachfordert, als rechtswidrig erweisen wird.

 

Rechtsgrundlage des aufgrund einer Betriebsprüfung ergangenen Bescheides und der darin festgesetzten Beitragsnachforderung einschließlich der Säumniszuschläge ist § 28p Abs. 1 S. 1 und S. 5 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV). Danach prüfen die Träger der Rentenversicherung bei den Arbeitgebern, ob diese ihre Meldepflichten und ihre sonstigen Pflichten nach dem SGB IV, die im Zusammenhang mit den Gesamtsozialversicherungs­beiträgen stehen, ordnungsgemäß erfüllen; sie prüfen insbesondere die Richtigkeit der Beitragszahlungen und der Meldungen (§ 28a SGB IV). Im Rahmen der Prüfung werden gegenüber den Arbeitgebern Verwaltungsakte (sog. Prüfbescheide) zur Versicherungs­pflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung einschließlich der Widerspruchsbescheide erlassen. § 10 Aufwendungsausgleichsgesetz stellt die Umlagen zum Ausgleichsverfahren insoweit den Beiträgen zur gesetzlichen Krankenversicherung gleich (vgl. BSG Urt. v. 10.12.2019 – B 12 R 9/18 R – juris Rn. 12).

 

Gemäß § 28e Abs. 1 SGB IV hat der Arbeitgeber den Gesamtsozialversicherungsbei­trag für die bei ihm Beschäftigten, d.h. die für diese zu zahlenden Beiträge zur Kranken-,

Renten-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung (§ 28d S. 1 und 2 SGB IV), zu entrichten. Der Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung unterliegen Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch [SGB V], § 20 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Elftes Buch [SGB XI], § 1 S. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch [SGB VI], § 25 Abs. 1 S. 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch [SGB III]).

 

Nach § 7 Abs. 1 S. 1 SGB IV ist Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers (§ 7 Abs. 1 S. 2 SGB IV). Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG setzt eine abhängige Beschäftigung eine persönliche Abhängigkeit des Arbeitnehmers vom Arbeitgeber voraus. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Diese Weisungsgebundenheit kann – insbesondere bei Diensten höherer Art – eingeschränkt und zur "funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess" verfeinert sein. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand beschäftigt oder selbstständig tätig ist, richtet sich danach, welche Umstände das Gesamtbild der Arbeitsleistung prägen und hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen (st. Rspr., vgl. z.B. BSG Urt. v. 04.06.2019 – B 12 R 11/18 R – juris Rn. 14 m.w.N.; zur Verfassungsmäßigkeit der Abgrenzung zwischen Beschäftigung und selbstständiger Tätigkeit vgl. BVerfG Beschl. v. 20.05.1996 – 1 BvR 21/96 – juris Rn. 6 ff.).

 

Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe und Abgrenzungskriterien sind Zweifel an der Rechtmäßigkeit der hier streitigen Bescheide nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung nicht in einem die Anordnung der aufschiebenden Wirkung rechtfertigenden Umfang gegeben.

 

Die im Bescheid bezeichneten Personen, für deren Tätigkeit die Antragsgegnerin Beiträge erhoben hat, waren bei der Antragstellerin ohne Zweifel gegen Arbeitsentgelt (§ 14 SGB IV) abhängig beschäftigt. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat auf die zutreffenden Gründe der angefochtenen Bescheide bzw. des Beschlusses des SG Bezug, denen er sich vollumfänglich anschließt (§§ 142 Abs. 1, 136 Abs. 3, 142 Abs. 2 S. 3 SGG).

 

Soweit sich die Antragstellerin gegen die Höhe der Beitragsforderung bezogen auf Verjährungstatbestände bzw. Säumniszuschläge auch im Beschwerdeverfahren mit der wiederholten und vertieften Behauptung wendet, die fehlende Beitragszahlung sei nicht vorsätzlich erfolgt, genügt ihr Vorbringen auch für eine teilweise Anordnung der aufschiebenden Wirkung im Eilverfahren nicht.

 

Bei der Bestimmung des Verschuldensmaßstabs in § 24 Abs. 2 SGB IV (Säumniszuschläge) bzw. § 25 Abs. 1 S. 2 SGB IV (Verjährung) ist auf bedingten Vorsatz abzustellen. Vorsätzlich in Form des bedingten Vorsatzes handelt, wer als Beitragspflichtiger seine Beitragspflicht zumindest für möglich gehalten, die Nichtabführung der Beiträge aber billigend in Kauf genommen hat (vgl. z.B. BSG Urt. v. 12.12.2018 – B 12 R 15/18 R – juris Rn. 17; Urt. v. 18.11.2015 – B 12 R 7/14 R – juris Rn. 27 mwN; Urt. v. 30.03.2000 – B 12 KR 14/99 R – juris Rn. 23; Senatsbeschl. v. 27.01.2020 – L 8 BA 203/19 B – juris Rn. 7 m.w.N.).

 

Zutreffend geht die Antragstellerin insoweit zwar davon aus, dass allein der Umstand, sie habe nach der Anhörung durch die Antragsgegnerin die Beschäftigten zur Sozialversicherung angemeldet, nicht als Indiz für einen (vorigen) Vorsatz herangezogen werden kann. So ist diese Anmeldung aktenkundig auf Anraten des hinzugezogenen Bevollmächtigten und in (konsequenter) Umsetzung der in der Anhörung durch die Antragsgegnerin mitgeteilten behördlichen Auffassung erfolgt. Ein Rückschluss auf vorige Zeiträume lässt sich daraus nicht ziehen.

 

Jedoch liegen erhebliche Anhaltspunkte dafür, dass die Antragstellerin eine notwendige Beitragsentrichtung mindestens im Sinne bedingten Vorsatzes für möglich gehalten hat, (bereits) infolge der Gründung ihres Einzelunternehmens bzw. spätestens mit der Akquise eigener „Subunternehmer“ vor. So ist regelmäßig davon auszugehen, dass auch – und sogar gerade – ein juristischer Laie, der eine Firma gründet, um mit dieser am kaufmännischen Verkehr teilzunehmen, spätestens dann, wenn er zur Erfüllung seiner vertraglichen Pflichten weitere (Hilfs-)Personen heranziehen will, Erkundigungen zu den hierfür geltenden rechtlichen Voraussetzungen ebenso einholt wie zu den allgemeinen Erfordernissen der Firmengründung selbst. Insbesondere in Geschäftszweigen wie vorliegend der Gebäudereinigung, bei denen die Personalkosten den vorrangigen Fokus einer gewinnorientierten Ausrichtung des Betriebs bilden, wird bei jeglicher Informationsbeschaffung zur Betriebsführung unmittelbar die Frage etwaig zu entrichtender Sozialversicherungsbeiträge zwingend ins Auge fallen. Werden für arbeitnehmerübliche Tätigkeiten in solchen Bereichen gleichwohl Einzelpersonen als „Subunternehmer“ beauftragt, ist entsprechend regelmäßig darauf zu schließen, dass der Firmeninhaber eine Verletzung möglicher Melde- und Beitragspflichten zur Sozialversicherung billigend in Kauf nimmt. Eine andere Beurteilung kann nur dann in Erwägung gezogen werden, wenn konkrete, belastbare Umstände vorgetragen und glaubhaft gemacht werden, die ausnahmsweise eine abweichende Einschätzung nahelegen, so z.B. wenn der Unternehmer auf die eingeholte Auskunft eines Steuerberaters vertraut hat, an deren Richtigkeit er nicht zweifeln musste und zudem in anderen rechtlichen Bereichen „Wohlverhalten“ bestand (vgl. z.B. Senatsbeschl. v. 13.06.2022 – L 8 BA 142/21 B ER – juris Rn. 20; Beschl. v. 10.07.2013 – L 8 R 205/13 B ER – juris Rn. 17).

 

Vertrauensbegründende besondere Umstände, insbesondere eine eventuelle Fehlberatung, hat die Antragstellerin weder substantiiert vorgetragen noch erst recht nicht – wie erforderlich – gem. §§ 86b Abs. 2 S. 4 SGG i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 Zivilprozessordnung – ZPO hinreichend glaubhaft gemacht (vgl. zu diesem Erfordernis zB. Senatsbeschl. v. 02.03.2022 – L 8 BA 16/22 B ER – juris Rn. 5 m.w.N.). Die (alleinige) Angabe in ihrer eidesstattlichen Versicherung vom 04.01.2020, ihre Steuerberaterin Leier habe sie zu keinem Zeitpunkt auf eine Versicherungspflicht hingewiesen, genügt schon deshalb nicht, um im Eilverfahren einen eventuellen Vertrauenstatbestand hinreichend zu begründen, weil die Antragstellerin – so ihre Angaben im Erörterungstermin des SG Düsseldorf – noch einen zweiten Steuerberater in Anspruch genommen hat. Darüber hinaus hätte es ihr oblegen, darzulegen und glaubhaft zu machen, dass die Mandatierung und auch Information der Steuerberater in einem Umfang erfolgt ist, der eine entsprechende Beratung hätte erwarten lassen dürfen.

 

Soweit die Antragstellerin einen bedingten Vorsatz mit der stetigen – im Übrigen von ihrer eidesstattlichen Versicherung nicht umfassten – Argumentation abstreitet, sich „nie tiefere Gedanken über die Begrifflichkeiten bzw. eventuelle sozialversicherungsrechtliche Probleme“ bzw. „überhaupt keine Gedanken über die Existenz oder auch Nicht-Existenz von Sozialversicherungsbeiträgen“ gemacht zu haben, sieht der Senat dies als bloße Schutzbehauptung an. Gleiches gilt für ihren Vortrag, sie habe „die rechtlichen Unterschiede zwischen einem Unternehmer und einem Nichtselbständigen nicht gekannt“ und „nie“ an die Möglichkeit gedacht, durch die Vertragsart „Subunternehmervertrag“ im Vergleich zum „Arbeitsvertrag“ zu eigenen Gunsten Sozialversicherungsbeiträge einsparen zu können. Gerade beim Betrieb eines personalintensiven Gewerbes wie hier in der Branche der Gebäudereinigung erachtet es der Senat wie dargelegt als praktisch unmöglich, selbst bei nur rudimentären Bemühungen nicht auf die Beitragspflicht zur Sozialversicherung, die den betrieblichen Gewinn und auch die Wettbewerbsfähigkeit auf diesem Markt maßgeblich bestimmt, aufmerksam zu werden. Dies gilt vorliegend umso mehr als es der Antragstellerin nach dem aktenkundigen Sachstand und auch ihren eigenen Einlassungen durchaus stets deutlich bewusst gewesen ist, dass Tätigkeiten sowohl selbstständig wie auch in abhängiger Beschäftigung ausgeübt werden können. Dass ihr dabei allein diese Unterscheidung, nicht jedoch deren sozialversicherungsrechtliche Folge zur Kenntnis gelangt sei soll, erscheint im Hinblick auf die zahlreichen Jahre ihrer Tätigkeit im Bereich der Gebäudereinigung als lebensfremd und abwegig. Die von ihr behauptete umfängliche Ahnungslosigkeit, die die Antragstellerin weiter damit begründet, sie habe ihrem in Polen selbstständigen Vater nacheifern wollen und mangels Relevanz der gewählten Vertragsart für die Sozialversicherungsbeiträge in Polen „noch nie von derartigen Problemen gehört“, ist aus dem gleichen Grund jahrelanger Tätigkeit in der Bundesrepublik nicht tragfähig. Dass ihre Angaben zur polnischen Sozialversicherung im Übrigen auch nicht zutrafen, hat das SG bereits im angefochtenen Beschluss dargelegt.

 

Ob die Antragstellerin – wie sie ausführt – „die feinjustierte Abgrenzung der sozialrechtlichen Behandlung von Selbstständigen und Nichtselbstständigen nicht verstanden“ haben mag, kann für die Beurteilung des Eventualvorsatzes dahinstehen, da dieser eine konkrete abschließende Kenntnis der Beitragspflicht nicht erfordert (vgl. BSG Urt. v. 12.12.2018 – B 12 R 15/18 R – juris Rn. 13).

 

Soweit die Antragstellerin schließlich als Indiz gegen ihre billigende Inkaufnahme einer möglichen Beitragshinterziehung geltend macht, dass ein derartiger Täter – anders als sie – die erkannte Scheinselbstständigkeit durch Verschleierungen, insb. Schwarzgeldabreden, verheimlichen wolle, vermag dies nicht zu überzeugen. Mitnichten ist davon auszugehen, dass ein Betriebsinhaber, der eine eventuelle Beitragspflicht in der Sozialversicherung billigend in Kauf nimmt, stets auch in jedem Fall noch eine zusätzliche aktive kriminelle Energie zur konkreten Verschleierung entwickelt. Dass die Antragstellerin sogar nach der ihr bekannt gewordenen Zollfahndung bei einem Gebäudereinigungsunternehmen in einem anderen Ortsteil gemeint haben will, „bei ihr sei alles in Ordnung“, ist in keiner Weise glaubhaft. Das unbeirrte Festhalten an ihrem Geschäftsmodell vermag sicherlich nicht eine stetige Unkenntnis der Beitragspflicht zu belegen, sondern bekräftigt vielmehr im Gegenteil eine (fortdauernde) billigende Inkaufnahme fehlender Beitragszahlungen.

 

Der Antragstellerin bleibt es unbenommen, im Hauptsacheverfahren konkretisiert zu der von ihr behaupteten unverschuldeten Unkenntnis bzw. ihres Vertrauens auf eine fehlende Beitragspflicht vorzutragen. Dabei wird zu berücksichtigen sein, dass sie hierfür die objektive Beweislast trägt (vgl. BSG Urt. v. 12.12.2018 – B 12 R 15/18 R – juris Rn. 25 m.w.N.).

 

Soweit die Antragstellerin ihr Begehren im Beschwerdeverfahren ergänzend darauf stützt, in anderen Fällen, z.B. den Honorararztentscheidungen des BSG sei kein dolus eventualis angenommen worden, bleibt dies ohne Relevanz. Zum einen scheidet eine allgemeine Berufung auf die Handhabung in anderen Verfahren schon deshalb aus, weil der Eventualvorsatz in jeder Fallkonstellation konkret anhand der einzelnen, individuellen Umstände zu beurteilen ist. Selbst wenn man aber unterstellte, gerade die hiesige Antragsgegnerin hätte in einem vergleichbaren Fall anders entschieden, könnte die Antragstellerin auch hieraus nichts zu ihren Gunsten herleiten. Sofern sie sich mit ihrer Argumentation wohl auf den Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung stützen möchte, verkennt sie dessen Anwendungsbereich. Die aus dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) abgeleitete Selbstbindung der Verwaltung verpflichtet eine Behörde, eine durch solche Verwaltungsvorschriften vorgegebene oder durch tatsächliche Übung entstandene Verwaltungspraxis bei der Ausübung eines Ermessensspielraums einzuhalten (vgl. z.B. BGH Beschl. vom 9.11.2021 – EnVR 36/20 – juris Rn. 56 m.w.N.). Vorliegend steht aber nicht die Ausübung von Ermessen im Streit. Vielmehr macht die Antragstellerin geltend, ein konkretes Tatbestandsmerkmal (hier: Eventualvorsatz) sei entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin nicht erfüllt. Im Übrigen begründet Art. 3 Abs. 1 GG auch keinen Anspruch auf eine „Gleichheit im Unrecht“ (vgl. BGH a.a.O.).

 

Soweit die Antragstellerin im erstinstanzlichen Verfahren noch geltend gemacht hat, die in § 24 SGB IV festgelegte Höhe von 1% für Säumniszuschläge, die teilweise Zinscharakter hätten, sei beim derzeitigen Zinsniveau verfassungswidrig, vermag sie hiermit im Eilverfahren ebenfalls keine für sie günstigere Entscheidung zu erlangen. Zunächst ist bereits fraglich, ob Säumniszuschläge einerseits und Verzinsungspflichten andererseits überhaupt als (teilweise) gleichlaufend angesehen werden können (vgl. verneinend zum Steuerrecht BFH Beschl. v. 18.01.2023 – II B 53/22 (AdV) – juris Rn. 15 ff. m.w.N.). Aber auch dann, wenn man dies bejahte und parallel zu der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 08.07.2021 (Az.: 1 BvR 2237/14) eine (Teil-)Verfassungswidrigkeit des § 24 SGB IV annähme, wäre die von der Antragstellerin begehrte aufschiebende Wirkung auch nicht insoweit anzuordnen. So ist eine Nichtigerklärung des § 24 SGB IV für den hier streitigen Zeitraum von Januar 2011 bis Juni 2017 vor dem Hintergrund wenig wahrscheinlich, dass das Bundesverfassungsgericht in der genannten Entscheidung zum Steuerrecht eine Fortgeltung des § 233a i.V.m. § 238 Abgabenordnung bis zum 31.12.2018 angeordnet hat.

 

2. Ihren früheren Vortrag, die Vollstreckung stelle eine unbillige Härte dar, hat die Antragstellerin im Beschwerdeverfahren nicht ausdrücklich wiederholt und im Übrigen auch keine Unterlagen zur Glaubhaftmachung vorgelegt.

 

Mit diesem Beschluss wird der Beschluss des Senats vom 28.04.2021 gegenstandslos.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung.

 

Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus §§ 197a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. §§ 47 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 4, 52 Gerichtskostengesetz und berücksichtigt, dass in Verfahren des vorläufigen Rechtschutzes, die Beitragsangelegenheiten betreffen, regelmäßig nur ein Viertel des Wertes der Hauptsache einschließlich etwaiger Säumniszuschläge als Streitwert anzusetzen ist (vgl. z.B. Senatsbeschl. v. 22.4.2020 – L 8 BA 266/19 B ER – juris Rn. 30 m.w.N.).

 

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).

 

Rechtskraft
Aus
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