Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragssteller vorläufig für den Zeitraum vom 25.11.2022 bis zum 28.02.2023 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II zu bewilligen.
Der Antragsgegner hat dem Antragsteller die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
I.
Der 1998 geborene Antragssteller ist slowenischer Staatsangehöriger und lebt in Bedarfsgemeinschaft mit seiner Lebensgefährtin Frau C. und den 2018 geborenen gemeinsamen Sohn D., die ebenfalls slowenische Staatsangehörige sind.
Der Antragssteller ist gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin und seinem Sohn im Februar 2022 nach Deutschland gekommen. Die Lebensgefährtin des Antragsstellers ist seit dem 01.09.2022 mit einer wöchentlichen Arbeitszahl von zehn Stunden bei einem Stundenlohn von 12 Euro bei der M. UG angestellt.
Auf den Antrag vom 31.08.2022 bewilligte der Antragsgegner der Bedarfsgemeinschaft mit Bewilligungsbescheid vom 26.09.2022 für die Zeit vom 01.09.2022 bis 28.02.2023 Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch – Zweites Buch (SGB II). Der Antragsgegner bewilligte dabei lediglich der Lebensgefährtin und dem Sohn des Antragsstellers Leistungen i. H. v. 409 Euro monatlich (Regelbedarf: 404 Euro und 285 Euro abzüglich des zu berücksichtigende Erwerbseinkommen der Lebensgefährtin i. H. v. 280 Euro). Eine Leistungserbringung für den Antragssteller lehnte der Antragsgegner ab.
Den am 12.10.2022 eingelegten Widerspruch wies der Antragsgegner mit Bescheid vom 22.11.2022 als unbegründet zurück.
Der Antragssteller stellte am 25.11.2022 beim Sozialgericht Frankfurt am Main einen Antrag auf einsteiligen Rechtsschutz. Begründet wurde der Antrag damit, dass der Leistungsausschluss gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II keine Anwendung finde, da sich der Antragssteller nicht alleine zur Arbeitssuche in Deutschland aufhalte, sondern ihm als sorgeberechtigtem Elternteil seines minderjährigen freizügigkeitsberechtigten Kindes ein Aufenthaltsrecht nach § 11 Abs. 14 S. 1 Freizügigkeitsgesetzes/ EU (FreizügG/EU) i.V.m. § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) und Art. 18 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) zustehe.
Der Antragssteller beantragt,
den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller ab Antragstellung für einen in das Ermessen des Gerichts gestellten Zeitraum Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Der Antragsgegner ist der Auffassung, dass dem Antragssteller kein von seinem, Sohn abgeleitetes Aufenthaltsrecht zukomme und der Antragssteller dem Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II unterliege.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichts- sowie der beigezogenen Verwaltungsakte des Antragsgegners Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag ist begründet.
Gemäß § 86b Abs. 2 S. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Eine derartige Anordnung muss ergehen, wenn durch das Vorbringen des Antragstellers erkennbar wird, dass das Begehren in der Sache überwiegend Aussicht auf Erfolg hat (Anordnungsanspruch) und die Anordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint (Anordnungsgrund). Diese Voraussetzungen müssen von dem Antragsteller glaubhaft gemacht werden (§ 86b Abs. 2 S. 2 SGG, § 920 Abs. 3 Zivilprozessordnung (ZPO)).
Das setzt voraus, dass dem Antragsteller der geltend gemachte Anspruch voraussichtlich zusteht und es ihm nicht zumutbar ist, den Ausgang des Hauptsacheverfahrens abzuwarten. Nur wenn der Antragsteller eine akute Notlage glaubhaft macht, die es rechtfertigt, das Hauptsacheverfahren vorwegzunehmen und der Antragsgegner zur vorläufigen Zahlung der beantragten Leistungen zu verpflichten, darf eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 S. 2 SGG erlassen werden (LSG Niedersachen Bremen, Beschluss vom 14. November 2007 – L 9 AS 551/07 ER ).
Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens - wenn etwa eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im einstweiligen Rechtsschutz nicht möglich ist - ist im Wege der Folgenabwägung zu entscheiden, welchem Beteiligten ein Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache eher zuzumuten ist. Dabei sind die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in der Abwägung zu berücksichtigen. Insbesondere bei Ansprüchen, die darauf gerichtet sind, als Ausfluss der grundrechtlich geschützten Menschenwürde das soziokulturelle Existenzminimum zu sichern (Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip), ist ein nur möglicherweise bestehender Anordnungsanspruch - vor allem wenn er eine für die soziokulturelle Teilhabe unverzichtbare Leistungshöhe erreicht und für einen nicht nur kurzfristigen Zeitraum zu gewähren ist - in der Regel vorläufig zu befriedigen, wenn sich die Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht vollständig klären ist. Denn im Rahmen der gebotenen Folgeabwägung hat dann regelmäßig das Interesse des Leistungsträgers ungerechtfertigte Leistungen zu vermeiden gegenüber der Sicherstellung des ausschließlich gegenwärtig für den Antragsteller verwirklichbaren soziokulturellen Existenzminimums zurückzutreten (Hessisches Landessozialgericht, Beschluss vom 15. Januar 2013, Az.: L 7 AS 46/12 B ER).
Unter Berücksichtigung des Erläuterten hat der Antragsteller einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.
Der Antragssteller hat einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Der Antragsteller hat gegen den Antragsgegner einen Anspruch nach § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II i.V.m. § 19 Abs. 1 S. 1 SGB II auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes.
Gemäß § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II i.V.m. § 19 Abs. 1 S. 1 SGB II erhalten Leistungen nach dem SGB II Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben (Nr. 1), erwerbsfähig sind (Nr. 2), hilfebedürftig sind (Nr. 3) und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte) (Nr. 4) soweit sie nicht nach § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgenommen sind.
Der Antragssteller hat das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht. Er ist erwerbsfähig, hilfebedürftig und hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland.
Der Antragssteller unterliegt auch nicht dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II. Danach sind Ausländerinnen und Ausländer, die kein Aufenthaltsrecht haben (lit. a) oder deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt (lit. b) vom Leistungsbezug nach dem SGB II ausgeschlossen. Abweichend davon erhalten nach § 7 Abs. 1 S. 4 SGB II Ausländerinnen und Ausländer und ihre Familienangehörigen Leistungen nach dem SGB II, wenn sie seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben; dies gilt nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Absatz 1 des FreizügG/EU festgestellt wurde.
Der Antragssteller ist selbst nicht erwerbstätig. Er kann auch nicht als Lebensgefährte einer Arbeitnehmerin ein Aufenthaltsrecht als Familienangehöriger aus einer analogen Anwendung des § 3 FreizügG/EU ableiten, da der Familiennachzug in § 3 FreizügG/EU abschließend geregelt ist (BSG, Urteil vom 30. Januar 2013 – B 4 AS 54/12 R –, juris Rn. 33; vgl. auch EUGH, Urteil vom 17.04.1986 - C-59/85 - wonach ein lediger Partner eines Arbeitnehmers kein Familienangehöriger ist).
Nach seinem eigenen Vortrag hält er sich zudem erst seit Februar 2022 in Deutschland auf, sodass er noch nicht seit mindestens fünf Jahren seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat und damit die abweichende Regelung des § 7 Abs. 1 S. 4 SGB II keine Anwendung findet.
Der Antragssteller hat jedoch als sorgeberechtigtes Elternteil seines minderjährigen freizügigkeitsberechtigten Kindes ein Aufenthaltsrecht nach § 11 Abs. 14 S. 1 FreizügG/EU i.V.m. § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AufenthG und Art. 18 AEUV.
Nach § 11 Abs. 14 S. 1 FreizügG/EU findet das AufenthG vorrangig vor dem FreizügG/EU Anwendung, wenn es eine günstigere Rechtsstellung vermittelt als das FreizügG/EU. § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AufenthG sieht vor, dass einem ausländischen Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen zur Ausübung der Personensorge eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen ist, wenn der Deutsche seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat. Aufgrund der Regelung in Art. 18 AEUV, der im Anwendungsbereich des Vertrages jedwede Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit verbietet, ist die analoge Anwendung des § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG auf minderjährige Unionsbürger, die über ein Aufenthaltsrecht nach dem FreizügG/EU verfügen, und ihre Eltern geboten (LSG NRW, Beschluss vom 30. Oktober 2018 – L 19 AS 1472/18 B ER -, juris Rn. 28 ff. m. w. N.; Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 29. Juni 2016 – L 25 AS 1331/16 B ER –, juris Rn. 5; Landessozialgericht für das Saarland, Urteil vom 7. September 2021 – L 4 AS 23/20 WA –, juris Rn. 35; a. A. Hessisches Landessozialgericht, Beschluss vom 21. August 2019 – L 7 AS 285/19 B ER –, juris Rn. 45 ff.; Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22. Mai 2017 – L 31 AS 1000/17 B ER –, juris Rn 2).
Hinzu kommt, dass die Frage nach dem Aufenthaltsrecht sorgeberechtigter Angehöriger eines minderjährigen, freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers auch die Wertungen der Art. 6 GG und Art. 8 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) berücksichtigen muss (vgl. insoweit auch BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 8. Juli 2020 – 1 BvR 932/20 –, juris Rn. 15). Nach Art. 6 Abs. 1 GG stehen Ehe und Familie unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung. Die Familie im Sinne von Art. 6 Abs. 1 GG ist die Gemeinschaft von Eltern und Kindern. Die Pflege und Erziehung der Kinder ist gemäß Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen, Art. 6 Abs. 3 GG. Nicht ausreichend dürfte sein, dass die Lebensgefährtin den gemeinsamen Sohn betreuen kann. Diese Auffassung, die dazu führt, dass der Antragssteller die Bundesrepublik verlassen muss oder mangels eigenem Leistungsanspruch zu Lasten der übrigen Familienmitglieder von deren gewährten Leistungen leben muss, ist nach Auffassung des Gerichtes nicht mit Art. 6 GG vereinbar (vgl. Landessozialgericht für das Saarland, Urteil vom 7. September 2021 – L 4 AS 23/20 WA –, juris Rn. 37).
Vorliegend hat der Antragsteller gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin das Sorgerecht für seinen minderjährigen Sohn, der Unionsbürger ist, inne und übt dieses auch aus. Der Sohn des Antragsstellers hat ein von seiner Mutter abgeleitetes Aufenthaltsrecht.
Dem Aufenthaltsrecht des Antragsstellers steht auch nicht entgegen, dass der Antragssteller seinen Lebensunterhalt nicht decken kann. Gemäß § 28 Abs. 1 Satz 2 AufenthG ist für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach Satz 1 Nr. 2 und 3 die Regelung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG, der einen gesicherten Lebensunterhalt voraussetzt, nicht anwendbar.
Der Antragssteller hat schließlich auch den erforderlichen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Denn dieser ergibt sich schon aus der Tatsache, dass es sich bei den streitgegenständlichen Leistungen um Leistungen mit existenzsichernden Charakter handelt und der Antragssteller offenkundig über kein Vermögen bzw. über kein Einkommen verfügt. In solchen Fällen ist nach Auffassung des Gerichts stets Eilbedürftigkeit für die Zeit ab Eingang des Eilantrages bei dem Sozialgericht anzunehmen.
Da keine besonderen Umstände ersichtlich sind, wird die einstweilige Anordnung auf den Ablauf des 28. Februar 2023 befristet.
Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.