L 8 BA 49/22 B ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Betriebsprüfungen
Abteilung
8
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 34 BA 75/21 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 8 BA 49/22 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Duisburg vom 31.03.2022 wird zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 14.701,07 Euro festgesetzt.

 

Gründe

 

Die zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts (SG) Duisburg vom 31.03.2022 ist nicht begründet.

 

Gemäß § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, diese auf Antrag ganz oder teilweise anordnen bzw. gemäß § 86b Abs. 1 S. 2 SGG eine schon vorgenommene Vollziehung aufheben. Widerspruch und Anfechtungsklage gegen die - wie hier erfolgte - Entscheidung über Versicherungs- und Beitragspflichten und die Anforderung von Beiträgen haben gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG keine aufschiebende Wirkung.

 

Die Entscheidung, ob eine aufschiebende Wirkung ausnahmsweise gem. § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG durch das Gericht angeordnet wird, erfolgt aufgrund einer umfassenden Abwägung des Suspensivinteresses des Antragstellers einerseits und des öffentlichen Interesses an der Vollziehung des Verwaltungsakts andererseits. Im Rahmen dieser Interessenabwägung ist in Anlehnung an § 86a Abs. 3 S. 2 SGG zu berücksichtigen, in welchem Ausmaß Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder ob die Vollziehung für den Antragsteller eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte (vgl. z.B. Senatsbeschl. v. 21.10.2020 – L 8 BA 143/19 B ER – juris Rn. 3).

 

Da § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG das Vollzugsrisiko bei Beitragsbescheiden grundsätzlich auf den Adressaten verlagert, können nur solche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides ein überwiegendes Suspensivinteresse begründen, die einen Erfolg des Rechtsbehelfs zumindest wahrscheinlich erscheinen lassen. Hierfür reicht es nicht schon aus, dass im Rechtsbehelfsverfahren möglicherweise noch ergänzende Tatsachenfeststellungen zu treffen sind. Maßgebend ist vielmehr, ob nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Eilentscheidung mehr für als gegen die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides spricht (st. Rspr. des erkennenden Senats, vgl. z.B. Beschl. v. 21.10.2020 – L 8 BA 143/19 B ER – juris Rn. 4 m.w.N.).

 

Tragen die Feststellungen des prüfenden Rentenversicherungsträgers seine beitragsrechtliche Bewertung im angefochtenen Bescheid nicht, so bestehen bereits deshalb überwiegende Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieses Bescheides. Einer Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines gegen den Bescheid erhobenen Rechtsbehelfs steht in diesem Fall nicht entgegen, dass sich der Bescheid unter Umständen aufgrund weiterer Ermittlungen doch noch im Ergebnis als rechtmäßig herausstellen kann (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. z.B. Beschl. v. 16.3.2022 – L 8 BA 141/21 B ER – juris Rn. 20 m.w.N.; Beschl. v. 14.4.2020 – L 8 BA 40/19 B ER – juris Rn. 5).

 

Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe hat das SG die aufschiebende Wirkung der Klage zu Recht angeordnet. Die von der Antragsgegnerin getroffenen Feststellungen stützen ihre Annahme, Herr O (im Folgenden: O) sei im Zeitraum vom 1.1.2016 bis 31.12.2019 für die Antragstellerin abhängig beschäftigt gewesen, nicht hinreichend. Dem folgend ist auch die hierauf gestützte Nachforderung von Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung sowie Umlagen in Höhe von insgesamt 58.804,29 Euro derzeit zweifelhaft.

 

Rechtsgrundlage der aufgrund einer Betriebsprüfung ergangenen Bescheide und der darin festgesetzten Beitragsnachforderung ist § 28p Abs. 1 S. 1 und S. 5 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV). Danach prüfen die Träger der Rentenversicherung bei den Arbeitgebern, ob diese ihre Meldepflichten und ihre sonstigen Pflichten nach dem SGB IV, die im Zusammenhang mit den Gesamtsozialversicherungsbeiträgen stehen, ordnungsgemäß erfüllen; sie prüfen insbesondere die Richtigkeit der Beitragszahlungen und der Meldungen (§ 28a SGB IV). Im Rahmen der Prüfung werden gegenüber den Arbeitgebern Verwaltungsakte (sog. Prüfbescheide) zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung einschließlich der Widerspruchsbescheide erlassen. § 10 Aufwendungsausgleichsgesetz stellt die Umlagen zum Ausgleichsverfahren insoweit den Beiträgen zur gesetzlichen Krankenversicherung gleich (vgl. BSG Urt. v. 10.12.2019 – B 12 R 9/18 R – juris Rn. 12).

 

Der Bescheid vom 31.7.2020 ist zwar formell rechtmäßig ergangen; insbesondere ist die Antragstellerin vor dessen Erlass mit Schreiben vom 10.6.2020 gem. § 24 Abs. 1 des Sozialgesetzbuchs Zehntes Buch (SGB X) angehört worden.

 

Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts in der Gestalt des Abhilfebescheides vom 25.2.2021 und des Widerspruchsbescheides vom 23.9.2021 sind aber in materiell-rechtlicher Hinsicht in einem die Anordnung der aufschiebenden Wirkung rechtfertigenden Umfang gegeben.

 

Gemäß § 28e Abs. 1 SGB IV hat der Arbeitgeber den Gesamtsozialversicherungsbeitrag für die bei ihm Beschäftigten, d.h. die für diese zu zahlenden Beiträge zur Kranken-, Renten-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung (§ 28d S. 1 und 2 SGB IV), zu entrichten. Der Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung unterliegen Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch [SGB V], § 20 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Elftes Buch [SGB XI], § 1 S. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch [SGB VI], § 25 Abs. 1 S. 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch [SGB III]).

 

Die – wenigen – von der Antragsgegnerin bisher ermittelten Umstände tragen deren Annahme, Herr O (im Folgenden: O) sei im streitbefangenen Zeitraum bei der Antragstellerin beschäftigt gewesen, nicht.

 

Das Vorliegen einer Beschäftigung beurteilt sich nach § 7 Abs. 1 SGB IV, wenn in Bindungswirkung erwachsene (§ 77 SGG) Feststellungen zum sozialversicherungs­rechtlichen Status fehlen. Solche Feststellungen, die ausschließlich in Verfahren nach §§ 7a, 28h Abs. 2, 28p Abs. 1 S. 5 SGB IV erfolgen können, liegen nicht vor.

 

Beschäftigung im Sinne des § 7 Abs. 1 SGB IV ist die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis (Satz 1). Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers (Satz 2). Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG setzt eine abhängige Beschäftigung eine persönliche Abhängigkeit des Arbeitnehmers vom Arbeitgeber voraus. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Diese Weisungsgebundenheit kann – insbesondere bei Diensten höherer Art – eingeschränkt und zur "funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess" verfeinert sein. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand beschäftigt oder selbstständig tätig ist, richtet sich danach, welche Umstände das Gesamtbild der Arbeitsleistung prägen und hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen (st. Rspr., vgl. z.B. BSG Urt. v. 4.6.2019 – B 12 R 11/18 R – juris Rn. 14 m.w.N.; zur Verfassungsmäßigkeit der Abgrenzung zwischen Beschäftigung und selbstständiger Tätigkeit vgl. BVerfG Beschl. v. 20.5.1996 – 1 BvR 21/96 – juris Rn. 6 ff.).

 

Bisher hat die Antragsgegnerin weder hinreichende Feststellungen zu einer die Tätigkeit des O prägenden Weisungsgebundenheit in zeitlicher, örtlicher und sachlicher Hinsicht getroffen noch Umstände benannt, die eine wesentliche Eingliederung in die Betriebsorganisation der Antragstellerin belegen.

 

Die im Verfahren stets ausgesprochen vage gehaltene Angabe der Antragstellerin, O habe „Auftragsakquise betrieben bzw. lediglich seine Kundenkontakte zur Verfügung gestellt und Aufträge weitergeleitet“, genügt für eine sozialversicherungsrechtliche Beurteilung nicht. Für eine solche hätte es der Antragsgegnerin vielmehr oblegen, substantiiert zur genauen Art, dem Umfang und insbesondere der konkreten Ausgestaltung etwaiger Arbeitsleistungen zu ermitteln. Dies gilt hier umso mehr als sich die behauptete Vertragsbeziehung zwischen O und der Antragstellerin nach den bekannten aktenkundigen Umständen einer hohen gleichbleibenden monatliche Vergütung bei wenig nachvollziehbarer Gegenleistung durchaus auch als Scheingeschäft herausstellen könnte.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 1, 161 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung.

 

Die Festsetzung des Streitwertes für das einstweilige Rechtsschutzverfahren vor dem SG und für das Beschwerdeverfahren folgt aus § 197a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. §§ 47 Abs. 1, 52, 53 Abs. 2 Nr. 4 Gerichtskostengesetz (GKG) und berücksichtigt, dass in Verfahren des vorläufigen Rechtschutzes, die Beitragsangelegenheiten betreffen, regelmäßig nur ein Viertel des Wertes der Hauptsache einschließlich etwaiger Säumniszuschläge als Streitwert anzusetzen ist (vgl. z.B. Senatsbeschl. v. 22.4.2020 – L 8 BA 266/19 B ER – juris Rn. 30 m.w.N.).

 

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).

 

Rechtskraft
Aus
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