L 9 AS 720/20

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
9
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 16 AS 546/18
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 AS 720/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 31. Januar 2020 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.


Tatbestand


Der Kläger begehrt im Berufungsverfahren noch die Zahlung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 01.07. bis 30.09.2017, nachdem ein Versagungsbescheid für diesen Zeitraum durch den Beklagten aufgehoben worden ist, sowie die Gewährung von Zinsen.

Der 1984 geborene Kläger war ab dem Wintersemester 2015/2016 als Student an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg eingeschrieben, für die Sommersemester 2016 und 2017 war er beurlaubt, zum Wintersemester 2018/2019 wurde er exmatrikuliert. Darüber hinaus befand sich der Kläger seit dem Jahr 2017 in einem Räumungsrechtsstreit mit seiner (früheren) Vermieterin – dem Studierendenwerk H -, der nach Angaben des Klägers schließlich am 25.10.2019 zur Zwangsräumung der Wohnung führte. Im streitigen Zeitraum war für das Wohnheimzimmer ein Mietzins in Höhe von 306,00 € zu entrichten.

Am 31.03.2017 stellte der Kläger bei dem Beklagten erstmals einen Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Mit Schreiben vom 05.09.2017 teilte der Beklagte dem Kläger mit, dass bei ihm am 29.07.2017 Antragsunterlagen zum formlosen Neuantrag vom 31.03.2017 eingegangen seien. Der Antrag vom 31.03.2017 sei mit Ablehnungsbescheid vom 12.05.2017 jedoch abgelehnt worden; hiergegen sei seitens des Klägers kein Widerspruch erhoben worden. Das früheste Antragsdatum sei damit der 29.07.2017, eine Leistungsbewilligung könne daher erst ab dem 01.07.2017 geprüft werden. Um über seinen erneuten Antrag entscheiden zu können, fehlten noch Unterlagen. Der Beklagte forderte den Kläger unter Fristsetzung bis zum 22.09.2017 auf, in dem Schreiben vom 05.09.2017 konkret bezeichnete Unterlagen einzureichen. Darüber hinaus wies der Beklagte auf die Möglichkeit der Versagung der Leistungen wegen fehlender Mitwirkung hin.

Mit Bescheid vom 06.10.2017 versagte der Beklagte die Leistungen ab dem 01.07.2017 vollständig, weil der Kläger die mit Schreiben vom 05.09.2017 angeforderten Unterlagen nicht eingereicht habe.

Mit beim Beklagten am 11.10.2017 eingegangenen Schreiben reichte der Kläger umfangreiche Unterlagen zu den Akten.

Gegen den Versagungsbescheid erhob der Kläger mit Schreiben vom 06.11.2017 Widerspruch, der den Eingangsstempel des Beklagten vom 10.11.2017 mit dem Zusatz „1. Leerung Hausbriefkasten“ trägt.

Unter dem 30.11.2017 teilte der Kläger dem Beklagten mit, dass er sein Studium auf ein Teilzeitstudium umgestellt habe und nunmehr auch Leistungen ab dem 01.10.2017 beantrage. Mit Bescheid vom 05.03.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05.06.2018 versagte der Beklagte auch für die Zeit ab 01.10.2017 Leistungen wegen fehlender Mitwirkung. Die hiergegen erhobene Klage wurde durch das Sozialgericht Mannheim (SG, S 16 AS 1893/18) mit Gerichtsbescheid vom 11.01.2021 abgewiesen, die Berufung durch den erkennenden Senat (L 9 AS 823/21) mit Urteil vom 15.03.2022 zurückgewiesen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 22.01.2018 wies der Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 06.10.2017 als unzulässig zurück. Der Bescheid gelte als mit dem dritten Tag nach Aufgabe zur Post, mithin am 06.10.2017, als bekannt gegeben, so dass die Widerspruchsfrist am 09.11.2017 geendet habe. Am 10.11.2017 sei die Widerspruchsfrist jedenfalls verstrichen gewesen.

Hiergegen hat der Kläger am 26.02.2018 Klage beim SG erhoben und zur Begründung im Wesentlichen vorgetragen, der von ihm persönlich erhobene Widerspruch sei nicht erst am 10.11.2017, sondern bereits am 09.11.2017 von ihm persönlich in den Hausbriefkasten des Beklagten eingeworfen und damit fristgerecht eingelegt worden. Darüber hinaus seien bereits seine Schreiben vom 10.10.2017 und vom 31.10.2017 als Widerspruch zu verstehen. Er beantrage, den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 06.10.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.01.2018 zu verurteilen, ihm für die Monate Juli, August und September 2017 Leistungen in gesetzlicher Höhe zu gewähren. Am 09.07.2019 hat der Kläger erklärt, er wende sich – soweit zulässig – klageerweiternd gegen den Widerspruchsbescheid vom 05.06.2018 oder 06.06.2018.

Mit Bewilligungsbescheid vom 10.01.2019 gewährte der Beklagte Leistungen für die Zeit vom 01.07.2017 bis 30.09.2017 in Höhe von 183,00 € für Juli 2017, 195,00 € für August 2017 und 545,00 € für September 2017.

Das SG hat den Beteiligten mitgeteilt, dass der Bescheid vom 10.01.2019 nicht Gegenstand des Verfahrens geworden sei; der Beklagte wurde aufgefordert, mitzuteilen, ob er den Versagungsbescheid formell aufhebe.

Mit Schriftsatz vom 12.11.2019 hat der Beklagte mitgeteilt, er hebe den Versagungsbescheid vom 06.10.2019 (gemeint 06.10.2017) auf.

Nach vorheriger Anhörung hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 31.01.2020 abgewiesen. Die Klage sei bereits unzulässig, wobei dahingestellt bleiben könne, ob eine kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage oder eine reine Anfechtungsklage statthaft sei. Denn in beiden Fällen sei das Rechtsschutzbedürfnis entfallen, der vom Kläger angegriffene Versagungsbescheid habe sich erledigt, weil der Beklagte ihn mit Schriftsatz vom 12.11.2019 aufgehoben habe. Die auf die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von Leistungen in gesetzlicher Höhe für den Zeitraum 01.07.2017 bis 30.09.2017 gerichtete Antrag des Klägers sei von Anfang an unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zulässig gewesen. Eine der vom Bundessozialgericht (BSG, Urteil vom 07.01.2009 - B 4 AS 78/08 R -, Juris) aufgeführten besonderen Fallkonstellationen, in denen ausnahmsweise bei einer Klage gegen einen Versagungsbescheid zusätzlich ein Antrag auf Leistungen in Betracht komme, seien vorliegend nicht gegeben. Mit Bescheid vom 10.01.2019, der nicht Gegenstand des Klageverfahrens geworden sei, seien dem Kläger für den streitigen Zeitraum 01.07.2017 bis 30.07.2017 bereits Leistungen bewilligt worden. Sofern der Kläger sich „klageerweiternd“ gegen den Widerspruchsbescheid vom 05.06.2018 gewandt habe, liege keine zulässige Klageerweiterung vor, da der Beklagte weder ausdrücklich noch stillschweigend einer Klageerweiterung zugestimmt habe. Der Widerspruchsbescheid vom 05.06.2018 sei darüber hinaus in dem Verfahren vor dem SG S 16 AS 1893/18 streitbefangen.

Gegen den ihm am 29.02.2020 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 28.02.2020 und am 19.03.2020 Berufung eingelegt, die Berufung aber nicht begründet.

Der Kläger beantragt wörtlich:

Der Beklagte wird verurteilt, unter Aufhebung der bisherigen Bescheide, Widerspruchsbescheide und Änderungsbescheide, dem Kläger Leistungen wie folgt zu bewilligen und zu zahlen:
I. 9.190,00 € (Regelsatz i. H. v. 404,00 € und Kosten der Unterkunft i. H. v. 306,00 € für die Monate April, Mai, Juni, Juli, August und September 2016, sowie Regelsatz i.H.v. 409,00 € und Kosten der Unterkunft i.H.v. 306,00 € und Kosten der Kranken- und Pflegeversicherung i.H.v. 228,00 € für die Monate April, Mai, Juni, Juli, August und September 2017, abzüglich der im Januar 2019 bewilligten und gezahlten 728,00 €)
II. Zinsen nach § 44 SGB I auf den unter I. genannten Betrag (9.190,00 €) zuzüglich der 728,00 €, die im Januar 2019 bewilligt und gezahlt wurden, auf somit insgesamt 9.918,00 € ab dem 01.10.2017 bis zum 31.12.2018.
III. Zinsen nach § 44 SGB I auf den unter I. genannten Betrag (9.190,00 €) ab dem 01.01.2019 bis zur Leistung.

Der Beklagte hat keinen Antrag gestellt.

Nach vorheriger Anhörung hat der Senat die Berufung mit Beschluss vom 24.06.2021 nach § 153 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) der Berichterstatterin übertragen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakten und der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe

1. Der Senat konnte über die Berufung des Klägers entscheiden, obwohl dieser in der mündlichen Verhandlung nicht anwesend war. Auf diese Möglichkeit ist der Kläger in der Ladung zum Termin hingewiesen worden (vgl. § 110 Abs. 1 Satz 2 SGG). Der Kläger ist mit der ihm am 24.02.2022 zugestellten Ladung im Sinne des § 110 Abs. 1 Satz 2 SGG darauf hingewiesen worden, dass auch im Falle seines Ausbleibens Beweis erhoben, verhandelt und entschieden werden könne. Dem Kläger war damit die Gelegenheit eingeräumt worden, sich zu dem der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt vor Erlass der Entscheidung in der mündlichen Verhandlung zu äußern. Die Anordnung des persönlichen Erscheinens nach § 111 Abs. 1 SGG war durch die Vorsitzende mit Blick auf die umfangreichen schriftlichen Hinweise und den aufgeklärten Sachverhalt nicht als erforderlich angesehen worden. Dem erst am Tag der Sitzung knapp 2,5 Stunden vor Sitzungsbeginn beim LSG Baden-Württemberg eingegangenen Terminverlegungsantrag war nicht stattzugeben und die mündliche Verhandlung nicht zu vertagen, weil der Kläger einen erheblichen Grund im Sinne des § 202 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 227 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) zwar vorgetragen, jedoch nicht ausreichend glaubhaft gemacht hat. Gerade bei – wie hier – sehr kurzfristig vor dem Termin gestellten Anträgen auf Terminverlegung bestehen hohe Anforderungen an die Glaubhaftmachung des geltend gemachten erheblichen Grundes (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Beschluss vom 28.09.2018, B 9 V 22/18 B, Juris m.w.N.). Diesen Anforderungen genügt der vom Kläger gestellte Antrag auf Terminsverlegung nicht. Zwar hat der Kläger gegenüber dem Senat vorgebracht, aus gesundheitlichen Gründen nicht zum Termin erscheinen zu können. Er hat jedoch die gesundheitlichen Gründe nicht glaubhaft gemacht. Er hat bis zum Sitzungsbeginn (und auch danach) entgegen seiner Ankündigung kein Attest vorgelegt. Es liegt keine ärztliche Bescheinigung vor, aus der sich die Art oder Schwere und die voraussichtliche Dauer der Erkrankung entnehmen, was das BSG jedoch in der zitierten Entscheidung gefordert hat (BSG, a.a.O.). Denn nur dann kann das Gericht die Frage der Verhandlungsfähigkeit selbst beurteilen. Aus dem Protokoll über den Termin vom 16.11.2021 geht hervor, dass zu prüfen sein wird, aufgrund welcher Befunde Verhandlungsunfähigkeit, wie von der Hausärztin bescheinigt, anzunehmen ist. Der Kläger konnte und durfte daher nicht davon ausgehen, dass das Attest der Hausärztin vom 29.10.2021 auch für künftige Termine ausreichend sein wird, um einem Antrag auf Terminverlegung zu entsprechen. Der Kläger hat trotz entsprechender Aufforderung vom 25.11.2021 schließlich keine Schweigepflichtentbindungserklärung vorgelegt, die dem Senat eigene Ermittlungen hinsichtlich seiner Verhandlungsfähigkeit ermöglicht hätte. Der Kläger durfte und musste, da er eine Terminsaufhebung nicht erhalten hat, auch davon ausgehen, dass der Termin stattfindet (BSG, Urteil vom 06.10.2010 - B 12 KR 58/09 B -, Juris). Aufgrund des kurzfristigen Terminverlegungsantrags, der erst 2,5 Stunden vor Sitzungsbeginn eingegangen ist, hätte der Kläger, etwa durch eine telefonische Rückfrage bei der Geschäftsstelle, klären müssen, ob der Termin zur mündlichen Verhandlung stattfindet oder aufgehoben wurde.

2. Die Berufung hat keinen Erfolg.

Die nach § 151 Abs. 1 und 2 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat nach Übertragung gemäß § 153 Abs. 5 SGG mit Beschluss vom 25.06.2021 durch die Berichterstatterin und die ehrenamtlichen Richter entschieden hat, ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe gemäß § 144 SGG liegen nicht vor.

Gegenstand des Berufungsverfahrens ist der Gerichtsbescheid des SG vom 31.01.2020, mit dem das SG über den Antrag des Klägers auf Aufhebung des Bescheids vom 06.10.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.01.2018 und die Gewährung von Leistungen in gesetzlicher Höhe für die Monate Juli, August und September 2017 entschieden hat. Mit dem Berufungsverfahren macht der Kläger wörtlich die Gewährung von Leistungen in Höhe von 9.190,00 € (Regelsatz i. H. v. 404,00 € und Kosten der Unterkunft i.H.v. 306,00 € für die Monate April, Mai, Juni, Juli, August und September 2016, sowie Regelsatz i.H.v. 409,00 € und Kosten der Unterkunft i.H.v. 306,00 € und Kosten der Kranken- und Pflegeversicherung i.H.v. 228,00 € für die Monate April, Mai, Juni, Juli, August und September 2017, abzüglich der im Januar 2019 bewilligten und gezahlten 728,00 €), Zinsen nach § 44 SGB I auf den unter I. genannten Betrag (9.190,00 €) zuzüglich der 728,00 €, die im Januar 2019 bewilligt und gezahlt wurden, auf somit insgesamt 9.918,00 € ab dem 01.10.2017 bis zum 31.12.2018 sowie Zinsen nach § 44 SGB I auf den unter I. genannten Betrag (9.190,00 €) ab dem 01.01.2019 bis zur Leistung geltend.

Der Kläger macht damit über den im erstinstanzlichen Verfahren bei Klageerhebung ausdrücklich formulierten Antrag (Leistungen für die Monate Juli, August und September 2017) hinaus weitere Leistungen (auch für April bis September 2016 und April, Mai und Juni 2017) sowie darüber hinaus Zinsen geltend. Im Berufungsverfahren nicht mehr beantragt hat er die Aufhebung des Versagungsbescheides.

Hinsichtlich der Geltendmachung von Leistungen auch für die Monate April bis September 2016 und für April, Mai und Juni 2017 und der Gewährung von Zinsen nach § 44 SGB I ist die Klageänderung /-erweiterung unzulässig.

Gemäß § 99 SGG ist eine Klageänderung nur dann zulässig, wenn die Beteiligten einwilligen oder das Gericht die Änderung für sachdienlich hält. Der Beklagte hat in die Klageänderung nicht eingewilligt. Der Senat hält eine entsprechende Änderung auch nicht für sachdienlich. In dem – ursprünglich – streitgegenständlichen Versagungsbescheid vom 06.10.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 06.10.2017 wurden die Leistungen ab dem 01.07.2017 versagt; für die Zeit vor dem 01.07.2017 wurde keine Entscheidung getroffen und es liegt keine anfechtbare Entscheidung des Beklagten vor. Für die Zeit vor dem 01.03.2017 liegt ebenfalls keine Verwaltungsentscheidung vor, wobei es aufgrund des erstmaligen Antrags des Klägers am 31.03.2017 bereits an der erforderlichen Antragstellung fehlt. Auch ein Anspruch auf Zinsen nach § 44 SGB I wäre zunächst bei dem Beklagten geltend zu machen und von diesem ggf. im Rahmen eines weiteren durchzuführenden Verwaltungsverfahrens zu bescheiden, bevor eine diesbezügliche Klage zulässig wäre. Da der Rechtsstreit insoweit auf eine völlig neue Grundlage gestellt wird, hält der Senat eine Einbeziehung weiterer Zeiträume sowie der Zinsforderungen nicht für sachdienlich (zu den Voraussetzungen vgl. B. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 99 Rdnr. 10a).

Es liegt auch keine rügelose Einlassung des Beklagte vor. Die Einwilligung der Beteiligten in die Änderung der Klage ist gemäß § 99 Abs. 2 SGG anzunehmen, wenn sie sich, ohne der Änderung zu widersprechen, in einem Schriftsatz oder in einer mündlichen Verhandlung auf die abgeänderte Klage eingelassen haben. Eine rügelose Einlassung liegt bereits vor, wenn der andere Beteiligte in der mündlichen Verhandlung oder in einem Schriftsatz einen Gegenantrag stellt oder sich zur Sache äußert, ohne durch eine Gegenerklärung die Zulässigkeit der Klageänderung wenigstens vorsorglich zu rügen. Ob er sich der Rechtsfolgen seiner Erklärung beziehungsweise seines Verhaltens bewusst war, ist dabei nicht erheblich (vgl. B. Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 99 Rdnr. 9 m.w.N). Eine solche rügelose Einlassung des Beklagten liegt hier nicht vor, da der Beklagte weder Stellung zu den Anträgen des Klägers genommen noch sich zur Sache geäußert hat.

Nachdem der Kläger die Zinsen nicht als Prozesszinsen, sondern ausdrücklich nach § 44 SGB I geltend macht, greift auch § 99 Abs. 3 Nr. 2 SGG, wonach es nicht als Änderung der Klage anzusehen ist, wenn ohne Änderung des Klagegrunds der Klageantrag in der Hauptsache oder in Bezug auf Nebenforderungen erweitert oder beschränkt wird, nicht.

Auch im Übrigen handelt es s ich nicht um eine bloße Erweiterung des Klageantrags in der Hauptsache, die gemäß § 99 Abs. 3 Nr. 2 SGG nicht als Klageänderung anzusehen wäre.

Die Abweisung der erweiterten Klage als unzulässig ist nicht erforderlich, da ihre – auflösend bedingte – Rechtshängigkeit mit der Entscheidung des Senats über die Unzulässigkeit der Klageänderung rückwirkend endet (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 25.06.2021 - L 4 R 3401/20 -, n.v.).

Soweit der Kläger die Gewährung von – höheren – Leistungen für die Monate Juli bis September 2017 begehrt, ist die Berufung zulässig, aber nicht begründet.

Das SG hat in der angefochtenen Entscheidung zutreffend dargelegt, dass der auf Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von Leistungen in gesetzlicher Höhe für den Zeitraum Juli bis September 2019 gerichtete Antrag des Klägers von Anfang an unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zulässig war. Die vom BSG in seiner Entscheidung vom 07.01.2009 (- B 4 AS 78/08 R -, Juris) aufgeführten besonderen Fallkonstellationen, in denen ausnahmsweise bei einer Klage gegen einen Versagungsbescheid zusätzlich ein Antrag auf Leistung in Betracht kommt, sind vorliegend nicht gegeben.

Der Bescheid vom 10.01.2019, mit dem dem Kläger für die Zeit vom 01.07.2017 bis 30.09.2017 Leistungen bewilligt worden sind, ist nicht gemäß § 96 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden, da er den Versagungsbescheid vom 06.10.2017 weder abändert noch ersetzt. Denn während der Bewilligungsbescheid vom 10.01.2019 den materiell-rechtlichen Leistungsanspruch des Klägers regelt, trifft der Versagungsbescheid vom 06.10.2017 selbst gerade keine Entscheidung über die Voraussetzung des Leistungsanspruchs; es kommt also nicht zu einer Prüfung der materiell-rechtlichen Anspruchsvoraussetzungen. Vielmehr wird der Versagungsbescheid nach dem Durchlaufen des in den §§ 60 ff. SGB I vorgesehenen Verfahrens allein drauf gestützt, dass die Voraussetzungen des § 66 SGB I wegen fehlender Mitwirkung vorliegen. Folglich bleibt das Stammrecht auf die Leistung erhalten (Bayerisches LSG, Urteil vom 19.07.2018 - L 7 AS 452/18 -, Juris).

Die Berufung war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.

 

Rechtskraft
Aus
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