L 8 BA 187/21

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Betriebsprüfungen
Abteilung
8
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 22 R 1146/14
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 8 BA 187/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 12.8.2015 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten im Berufungsrechtszug mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert für den Berufungsrechtszug wird auf 6.439,37 Euro festgesetzt.

 

 

Tatbestand

 

Streitig ist im Rahmen eines Betriebsprüfungsverfahrens nach § 28p Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) nach der Trennung des Verfahrens mit Beschluss vom 8.12.2011 vom Verfahren L 8 R 811/15 eine Beitragsforderung in Höhe von 6.439,37 Euro betreffend die Beigeladene für die Zeit vom 1.6.2009 bis 31.12.2012 und ob insbesondere die der Beigeladenen von dem Kläger gewährten Zahlungen in Form von Unterstützungsleistungen in Krankheitsfällen, von Zuschüssen für Kinderbetreuung, der Erstattung von Fahrtkosten für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte sowie von Zuschüssen zu den Aufwendungen für die private Internetnutzung dem beitragspflichtigen Arbeitsentgelt zuzurechnen sind.

 

Der nicht tarifgebundene Kläger ist freier Träger der Evangelischen Jugendhilfe und Jugendberufshilfe. Für die Dienstverhältnisse der zahlreichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Klägers gelten über einzelvertragliche Bezugnahmen die Arbeitsvertragsrichtlinien des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche in Deutschland (AVR) bzw. der Bundes-Angestellten-Tarifvertrag in kirchlicher Fassung für die Angestellten im Bereich der Evangelischen Kirche von Westfalen (BAT/KF) in der jeweils gültigen Fassung.

 

Der Kläger vereinbarte für die Zeit ab dem 1.6.2005 mit diversen Arbeitnehmern, u.a. mit der Beigeladenen, ab dem 1.6.2009 eine Änderung der Gehaltsstruktur (sog. Netto-Lohn-Gestaltung). Künftig wurden das Bruttogehalt um einen individuell bestimmten Betrag zwischen 307,33 Euro und 830,99 Euro gemindert und statt des Minderungsbetrags und diesen unterschreitend Teile des Gehalts als (vermeintlich) steuerfreie oder steuervergünstigte (pauschalbesteuerte) Sachbezüge und Leistungen gewährt, namentlich Gutscheine, Waren oder Dienstleistungen von Dritten im Wert von monatlich 44,00 Euro, Kostenerstattung für die private Internetnutzung mit einem privaten PC im privaten Umfeld, Erholungsbeihilfen, Erstattung von Fahrtkosten für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte in Höhe von 0,30 Euro je Entfernungskilometer für 15 Arbeitstage monatlich, Essenszuschüsse, Zuschüsse für Kinderbetreuung sowie Unterstützungsleistungen in Krankheitsfällen.

 

Die Vereinbarung über die Gewährung dieser Leistungen erfolgte über geänderte Dienstverträge. Darin ist – auszugsweise, hier beispielhaft für ein den AVR unterliegendes Dienstverhältnis – folgendes geregelt:

 

„§ 1

[N.N.] wird ab dem […] auf unbestimmte Zeit als […] beschäftigt. Die Ermittlung von Betriebszugehörigkeitszeiten erfolgt … eines Eintrittsdatums vom […; Datum des tatsächlichen Eintritts].

 

§ 2

Soweit dieser Vertrag nicht abweichende Regelungen enthält, sind Inhalt des Dienstvertrages: Für das Dienstverhältnis gelten die Arbeitsvertragsrichtlinien des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche in Deutschland (AVR) in der jeweils gültigen Fassung. […]

 

§ 3

[N.N.] ist bekannt, dass aufgrund des Einspardrucks und der wirtschaftlichen Situation des Dienstgebers (als Sanierungsbeitrag) vom AVR abweichende Vergütungsregeln gelten.

 

[N.N.] wird in […] eingruppiert. Der sich danach ergebende monatliche Bruttobetrag wird um einen monatlichen Abzug in Höhe von […] € reduziert.

 

[…]

 

§ 4

[N.N.] erhält ferner monatliche Zusatzleistungen gemäß beigefügter Anlage, welche Bestandteil dieses Vertrages ist. Dem Mitarbeiter ist bekannt, dass die Gewährung der Zusatzleistungen von persönlichen und/oder gesetzlichen Voraussetzungen abhängig ist und sich die Zusatzleistung bei Veränderung von persönlichen und/oder gesetzlichen Voraussetzungen verändern kann.

 

Bei Wegfall der persönlichen und/oder rechtlichen Voraussetzungen der gemäß Anlage 1 gewährten Zusatzleistungen verpflichtet sich der Dienstgeber eine entsprechende Zusatzleistung zu zahlen. Sollte die Gewährung entsprechender Zusatzleistungen aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht möglich sein, richtet sich die monatliche Vergütung ab dem Monat, der dem Wegfall der persönlichen und/oder rechtlichen Voraussetzungen folgt, nach den Bestimmungen des AVR.

 

Sollte der Mitarbeiter die vom Dienstgeber gewährten Zusatzleistungen des Abs. 1 nicht mehr wünschen, hat er dieses dem Dienstgeber schriftlich anzuzeigen. Nach Eingang der schriftlichen Anzeige richtet sich die monatliche Vergütung ab dem Monat, der der schriftlichen Anzeige folgt, nach den Bestimmungen des AVR.

 

[…]“

 

In der genannten Anlage zum Dienstvertrag sind die sog. Zusatzleistungen im Einzelnen benannt und beschrieben.

 

Bei Mitarbeitern, die die o.g. „Zusatzleistungen“ nicht in Anspruch nehmen wollten, erfolgte keine Kürzung des zu beanspruchenden Arbeitsentgelts.

 

Aufgrund vom Kläger angenommener Steuerfreiheit bzw. der angenommen Möglichkeit der Pauschalversteuerung wurden die gewährten „Zusatzleistungen“ bei der Ermittlung des beitragspflichtigen Arbeitsentgelts im Sinne der Sozialversicherung durch den Kläger nicht berücksichtigt. Die Auszahlung der genannten Leistungen erfolgte netto über die Lohn- und Gehaltsabrechnung und Gesamtsozialversicherungsbeiträge wurden hierfür nicht gezahlt. Die Gehaltsabrechnungen der Beigeladenen umfassten gleichermaßen diese „Zusatzleistungen“ und wiesen das frühere Gehalt, den Gehaltsverzicht als Minderungsbetrag und die jeweils ausgewählten „Zusatzleistungen aus.

 

Die Beigeladene erhielt an „Zusatzleistungen“ die Erstattung von Fahrtkosten für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte in Höhe von 72,00 Euro monatlich von Juni 2009 bis November 2010, in Höhe von 252,00 Euro im Dezember 2010 und in Höhe von 108,00 Euro von Januar 2011 bis Dezember 2012, die Kostenerstattung für die private Internetnutzung in Höhe von 50,00 Euro monatlich von Juni 2009 bis Dezember 2012, einen Zuschuss zu Kinderbetreuungskosten in Höhe von 112,50 Euro monatlich von November 2009 bis November 2010, in Höhe von 275,00 Euro im Dezember 2010 und in Höhe von 180,00 Euro von Januar 2011 bis Juli 2012 sowie Unterstützungsleistungen in Krankheitsfällen in Höhe von 50,00 Euro monatlich von Juni 2009 bis Dezember 2012. Den Betragsänderungen lagen jeweils Änderungsvereinbarungen zwischen Kläger und Beigeladener zugrunde.

 

Im Rahmen der seit dem 24.6.2013 durchgeführten Betriebsprüfung zog die Beklagte die Berichte des Finanzamtes (FA) Bielefeld vom 25.3.2011 über die Lohnsteuer-Außenprüfung betreffend den Prüfzeitraum vom 1.1.2006 bis 31.12.2008 und vom 29.4.2013 über die Lohnsteuer-Außenprüfung betreffend den Prüfzeitraum vom 1.1.2009 bis 31.12.2012 bei. In diesen Berichten führte das FA aus, die Zuschüsse zur privaten Internetnutzung und die Fahrtkostenzuschüsse für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte hätten nicht pauschalversteuert sowie die Zuschüsse zu Krankheitskosten und die Zuschüsse zu Kinderbetreuungskosten hätten nicht als steuerfrei behandelt werden können, da die gesetzlich jeweils verlangte Zusätzlichkeit nicht vorgelegen habe. Wo das Gesetz die Zusätzlichkeit verlange und keine Anrechnung auf andere freiwillige Sonderzahlungen möglich sei, liege eine schädliche Gehaltsumwandlung vor.

 

Der Kläger übernahm aufgrund des ihm gegenüber ergangenen und bestandskräftig gewordenen Haftungsbescheids der Finanzbehörden als Haftungsschuldner gem. § 42d Abs. 1 Nr. 1 Einkommensteuergesetz (EStG) die auf die „Zusatzleistungen“ entfallenden Lohnsteuern zuzüglich Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer.

 

Nach der am 4.7.2013 durchgeführten Schlussbesprechung forderte die Beklagte mit Bescheid vom 5.8.2013 für den Zeitraum vom 1.6.2005 bis 31.12.2012 Beiträge zur Sozialversicherung und Umlagen in Höhe von 471.629,75 Euro einschließlich Säumniszuschläge in Höhe von 37.832,50 Euro nach. Hierin war die vorliegend nur streitige Forderung in Höhe von 6.439,37 Euro für den Zeitraum vom 1.6.2009 bis 31.12.2012 betreffend die Beigeladene enthalten. Auch die sog. Zusatzleistungen seien dem beitragspflichtigen Arbeitsentgelt zuzurechnen. Es fehle an der geforderten zusätzlichen Zahlung der vermeintlich steuer- und beitragsfreien Bezüge zum ohnehin geschuldeten Arbeitsentgelt (Bezugnahme auf Bundesfinanzhof [BFH] Urt. v. 19.9.2012 – VI R 54 u. 55/11 – BStBl. 2010 II, 487). Vielmehr seien die (neu abgeschlossenen) Dienstverträge ganz bewusst so gestaltet worden, dass das aufgrund der Eingruppierung in die jeweilige Vergütungsgruppe des BAT/KF bzw. AVR zu beanspruchende Brutto-Arbeitsentgelt zu Gunsten der Vereinbarung von Zusatzleistungen gekürzt werde. Dies komme einer Umwandlung von beitragspflichtigem Arbeitsentgelt gleich. Die Zusätzlichkeit erfordere, dass die zweckbestimmte Leistung zu dem Arbeitslohn hinzukomme, den der Arbeitgeber arbeitsrechtlich schulde. Werde eine zweckbestimmte Leistung unter Anrechnung auf den arbeitsrechtlich geschuldeten Arbeitslohn oder durch dessen Umwandlung gewährt, liege keine zusätzliche Leistung vor. Es handele sich damit um eine „schädliche Gehaltsumwandlung“. Für das Zusätzlichkeitskriterium im Sinne des § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Sozialversicherungsentgeltverordnung (SvEV) reiche es zudem nicht aus, dass keine endgültige zukunftsgerichtete Änderung der Leistungspflicht des Arbeitgebers durch die „neu“ abgeschlossenen Dienstverträge erfolgt sei. Nach dessen § 4 könne jederzeit eine einseitige Abkehr von einzelnen oder sämtlichen Zusatzleistungen bei gleichzeitiger Rückkehr zu den ursprünglichen Verhältnissen erfolgen. Der Arbeitgeber sei bei Ausübung dieses Wahlrechts durch den Arbeitnehmer daran gebunden. Die Wahlmöglichkeit sei insofern in den „Neuverträgen“ bereits angelegt.

 

Mit dem am 27.8.2013 bei der Beklagten eingegangen Widerspruch des Klägers machte dieser geltend, das vom Bundessozialgericht (BSG) geforderte Erfordernis der Zusätzlichkeit liege vor. Das BSG meine, dass bei einer zukunftsgerichteten Neuerung (Novation) des Anstellungsvertrages das Erfordernis der Zusätzlichkeit gewährleistet sei. Eine solche Vertragsnovation, also eine Neufassung der Verträge mit Wirkung für die Zukunft, sei gegeben. Der Kläger habe von der Geschäftsführung der Beklagten ein von einer Rechtsreferendarin erstelltes Gutachten erhalten, nach dem die in Rede stehende Gestaltung grundsätzlich zulässig sei. Die Geschäftsleitung der Beklagten habe sich in dem Schreiben vom 10.7.2007 – das vom Kläger vorgelegt wurde – dieser Auffassung ausdrücklich angeschlossen.

 

Mit dem Bescheid vom 1.10.2013 half die Beklagte dem Widerspruch teilweise ab und reduzierte die Nachforderung auf 461.889,58 Euro, da für einige Arbeitnehmer des Klägers Beiträge und Umlagen doppelt nachgefordert wurden. Im Übrigen wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 23.10.2014 zurück. Das Zusätzlichkeitserfordernis sei nicht erfüllt, wenn ein Wahlrecht zwischen der „Zusatzleistung“ und dem „bisherigen“ Arbeitsentgeltbestandteil bestehe oder der Verzicht bzw. die Umwandlung durch den Arbeitnehmer widerrufen werden könne. Nach Vertrag und Praxis seien die vereinbarten Waren und Dienstleistungen nicht zusätzlich zum Gehalt, sondern an dessen Stelle gezahlt worden.

 

Mit seiner am 20.11.2014 zum Sozialgericht (SG) Detmold erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt. Er hat zu Begründung sein bisheriges Vorbringen wiederholt und vertieft. Ergänzend hat er vorgetragen, dafür, dass es auf das plötzlich von der Beklagten herbeigezogene Kriterium des „Wahlrechts“ ankommen solle, sei eine Grundlage nicht erkennbar. Die Auffassung der Beklagten, dass die Zusatzleistungen nicht „zusätzlich zu Löhnen und Gehältern“ gewährt worden seien, sei in einem früheren Widerspruchsverfahren in einem Schreiben der Beklagten vom 1.8.2007 – das vom Kläger ebenfalls beigebracht worden ist - revidiert worden. Auch während der Betriebsprüfung in 2010 für 2006 bis 2009 seien insoweit keine Beanstandungen erfolgt.[41] 

 

Der Kläger hat beantragt,

 

den Bescheid der Beklagten vom 5.8.2013 in der Fassung des Bescheides vom 1.10.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.10.2014 aufzuheben.

 

 

 

Die Beklagte hat beantragt,

 

die Klage abzuweisen.

 

Sie hat den Beitragsbescheid weiterhin für rechtmäßig gehalten und an ihren darin enthaltenen Ausführungen festgehalten.   

 

Das SG Detmold hat mit Urteil vom 12.8.2015 die streitgegenständlichen Bescheide für die Zeit vom 1.6.2005 bis 31.12.2008 und hinsichtlich der Säumniszuschläge aufgehoben und hinsichtlich der Nachforderung für den Zeitraum vom 1.1.2009 bis 31.12.2012 in Höhe von 208.386,91 Euro, die auch die streitbefangene Beitragsforderung betreffend die Beigeladene umfasst, die Klage abgewiesen. Auf die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils wird Bezug genommen.

 

Der Kläger hat gegen das ihm am 21.8.2015 zugestellte Urteil am 21.9.2015 Berufung eingelegt. Zur Begründung macht er unter Wiederholung und Vertiefung seines bisherigen Vorbringens geltend, die von ihm gewährten zusätzlichen Leistungen seien nicht als beitragspflichtiges Arbeitsentgelt im Sinne von § 14 Abs. 1 S. 1 SGB IV zu bewerten. Bei den an seine Mitarbeiter gewährten Leistungen handele es sich um zusätzliche Leistungen, die zu dem von ihm aufgrund der geschlossenen Arbeitsverträge geschuldeten Arbeitsentgelt zusätzlich geleistet worden seien. Der Beigeladenen sei kein Wahlrecht eingeräumt worden. Er könne sich zudem gegenüber der Beitragsforderung der Beklagten auf Verwirkung berufen. Maßgeblich sei das Schreiben der Beklagten vom 1.8.2007, das ein Verwirkungsverhalten der Beklagten darstelle. Er - der Kläger - habe darauf vertrauen müssen und habe auch darauf vertraut, dass das nach der nochmaligen Prüfung mitgeteilte Ergebnis Bestand habe. Ein Recht sei verwirkt, wenn der Berechtigte es längere Zeit nicht geltend gemacht habe und der Verpflichtete sich mit Rücksicht auf das gesamte Verhalten des Berechtigten darauf eingerichtet habe und sich darauf habe einrichten dürfen, dass dieser das Recht auch in Zukunft nicht mehr geltend machen werde. Die Verwirkung sei ein Fall der unzulässigen Rechtsausübung. Die Beklagte habe sich in ihrer Vorgehensweise extrem widersprüchlich verhalten. Sie habe ausdrücklich festgestellt und ihm mitgeteilt, dass die streitgegenständlichen Zusatzleistungen nicht der Beitragspflicht unterfielen, und selbige Zahlungen auch im Rahmen der Betriebsprüfung der Jahre 2006 bis 2009 gemäß ihrer Mitteilung vom 28.10.2010 erneut unbeanstandet gelassen. Der Bescheid, mit dem die Beklagte erstmals Nachforderungen geltend gemacht habe, datiere auf den 5.8.2013. Die Prüfung sei zuvor vom 24.6. bis zum 4.7.2013 erfolgt, also sechs Jahre nach der Mitteilung der Beklagten, Beiträge fielen nicht an. Dies sei der klassische Fall der Verwirkung, indem die Beklagte durch ein positives Handeln (ausdrückliche Mitteilung) bei dem Kläger einen Vertrauenstatbestand geschaffen habe, der dann über einen langen Zeitraum Bestand gehabt habe. Die Zahlung der Beiträge durch den Kläger stelle kein Anerkenntnis dar und stehe der Verwirkung nicht entgegen. Die Beklagte erhebe für Zeiträume Beiträge nach, für die bereits in Bestandskraft erwachsene Bescheide erteilt worden seien. Eine Nacherhebung von Beiträgen wäre jedoch nur dann möglich, wenn der ursprüngliche Bescheid entsprechend § 44 ff. Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) zuvor zurückgenommen worden wäre. Dies sei nicht geschehen.    

 

Der Kläger beantragt schriftsätzlich sinngemäß,

 

das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 12.8.2015 zu ändern und den Bescheid vom 5.8.2013 in der Gestalt des Bescheides vom 1.10.2013 und des Widerspruchsbescheides vom 23.10.2014 hinsichtlich der Beitragsforderung betreffend die Beigeladene, G, für die Zeit vom 1.6.2009 bis 31.12.2012 aufzuheben.

 

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Sie verteidigt das angefochtene Urteil, soweit das SG die Klage teilweise abgewiesen hat. Das Zusätzlichkeitserfordernis nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 SvEV sei schon dann nicht erfüllt, wenn ein Wahlrecht zwischen der Zusatzleistung und dem bisherigen Arbeitsentgelt bestehe. Ein solches Wahlrecht ergebe sich zweifellos aus § 4 der zwischen dem Kläger und seinen Arbeitnehmern geschlossenen Dienstverträge. Die Ausführungen des Klägers begründeten nicht das Rechtsinstitut der Verwirkung, sondern enthielten vertrauensschutzrelevante Erwägungen. Aus beanstandungsfrei verlaufenen Betriebsprüfungen könne kein Vertrauensschutz für Arbeitgeber hergeleitet werden (BSG Urt. v. 30.10.2013 – B 12 AL 2/11 R -). Ihre Rechtsauffassung werde durch das Urteil des BSG vom 23.2.2021 (B 12 R 21/18 R) bestätigt.

 

Der Senat hat folgende Unterlagen beigezogen:

 

  • Betriebsprüfungsbescheid vom 23.11.2006 zum Prüfzeitraum vom 1.12.2001 bis 31.12.2005
  • Betriebsprüfungsbescheid vom 19.10.2007 zum Prüfzeitraum vom 1.12.2001 bis 31.12.2005
  • Prüfmitteilung vom 28.10.2010 zum Prüfzeitraum vom 1.12.2006 bis 31.12.2009
  • Gehaltsabrechnungen betreffend die Beigeladene von 2009 bis 2012

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der Streitakten L 8 R 811/15 und der Verwaltungsakten der Beklagten, die Gegenstand der Beratung des Senats gewesen sind, Bezug genommen.

 

 

Entscheidungsgründe

 

Der Senat konnte über die Berufung des Klägers ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da sich die Beteiligten übereinstimmend hiermit einverstanden erklärt haben (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG).

 

Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Das SG Detmold hat die Klage hinsichtlich der streitigen Beitragsforderung zu Recht abgewiesen. Die Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen und Umlagen im Bescheid vom 5.8.2013 in der Gestalt des Bescheides vom 1.10.2013 und des Widerspruchsbescheids vom 23.10.2014 betreffend die Beigeladene in Höhe von 6.439,37 Euro für den Zeitraum vom 1.6.2009 bis 31.12.2012 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 S. 1 SGG in seinen Rechten.

 

Die vorgenannten Bescheide sind formell (dazu 1.) und materiell (dazu 2.) rechtmäßig.

 

1. Der Bescheid vom 5.8.2013 ist formell rechtmäßig. Die Beklagte hat den Kläger insbesondere vor seinem Erlass im Rahmen der Schlussbesprechung vom 4.7.2013 ordnungsgemäß angehört (§ 24 Abs. 1 SGB X).

 

2. Die streitgegenständlichen Bescheide sind auch in materieller Hinsicht nicht zu beanstanden.

 

Rechtsgrundlage der Beitragsfestsetzung ist § 28p Abs. 1 S. 1 und 5 SGB IV in den von 2009 bis 2012 geltenden Fassungen. Danach prüfen die Träger der Rentenversicherung bei den Arbeitgebern, ob diese ihre Meldepflichten und ihre sonstigen Pflichten nach dem SGB IV, die im Zusammenhang mit dem Gesamtsozialversicherungsbeitrag stehen, ordnungsgemäß erfüllen; sie prüfen insbesondere die Richtigkeit der Beitragszahlungen und der Meldungen (§ 28a SGB IV) mindestens alle vier Jahre (S. 1). Sie erlassen im Rahmen der Prüfung Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung einschließlich der Widerspruchsbescheide gegenüber den Arbeitgebern. § 10 Aufwendungsausgleichsgesetz stellt die Umlagen zum Ausgleichsverfahren insoweit den Beiträgen zur gesetzlichen Krankenversicherung gleich (BSG Urt. v. 10.12.2019 - B 12 R 9/18 R - juris Rn. 12).

 

In der Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung wird bei versicherungspflichtig Beschäftigten der Beitragsbemessung das Arbeitsentgelt zugrunde gelegt (§ 226 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch [SGB V], § 57 Abs. 1 S. 1 Elftes Buch Sozialgesetzbuch [SGB XI], § 162 Nr. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch [SGB VI], § 342 Drittes Buch Sozialgesetzbuch [SGB III], jeweils in den von 2009 bis 2012 geltenden Fassungen). Arbeitsentgelt sind nach § 14 Abs. 1 S. 1 SGB IV in den von 2009 bis 2012 geltenden Fassungen alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden. Der gesetzlich nicht definierte Begriff der Einnahmen umfasst jeden geldwerten Vorteil (vgl. BSG Urt. v. 14.7.2004 - B 12 KR 10/02 R – juris Rn. 19), der dem Versicherten in ursächlichem Zusammenhang mit einer Beschäftigung zufließt (BSG Urt. v. 26.4.2018 - B 5 R 26/16 R – juris Rn. 22 mwN). Hierzu gehören die Gegenleistungen des Arbeitgebers für die erbrachte Arbeitsleistung des Beschäftigten (BSG Urt. v. 7.3.2007 - B 12 KR 4/06 R - juris Rn. 15 mwN). Darunter fallen in erster Linie der tarif- oder einzelvertraglich vereinbarte Bruttoverdienst (vgl. BSG Urt. v. 14.7.2004 - B 12 KR 7/04 R – juris Rn. 19), aber auch Sachbezüge (vgl. BT-Drucks 7/4122 S 32), also Sachgüter in Geldeswert.

 

Die streitbefangenen Entgeltbestandteile der Unterstützungsleistungen in Krankheitsfällen [hierzu unter a)], der Zuschüsse zu Kinderbetreuungskosten [hierzu unter b)], der Erstattung von Fahrtkosten für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte [hierzu unter c)] und der Kostenerstattung für die private Internetnutzung [hierzu unter d)] sowie die auf diese Entgeltbestandteile von dem Kläger als Haftungsschuldner übernommenen Lohnsteuern, Solidaritätszuschläge und Kirchensteuern [hierzu unter e)] sind danach beitragspflichtiges Arbeitsentgelt.

 

a) Die Unterstützungsleistungen in Krankheitsfällen, die nach § 3 Nr. 11 EStG lohnsteuerfrei sein können, sind nicht nach § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Halbs. 1 SvEV in den von 2009 bis 2012 geltenden Fassungen von der Zurechnung zum Arbeitsentgelt gem. § 14 SGB IV ausgenommen.

 

Gemäß § 17 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB IV in den von 2009 bis 2012 geltenden Fassungen ist das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates zur Wahrung der Belange der Sozialversicherung und der Arbeitsförderung, zur Förderung der betrieblichen Altersversorgung oder zur Vereinfachung des Beitragseinzugs zu bestimmen, dass einmalige Einnahmen oder laufende Zulagen, Zuschläge, Zuschüsse oder ähnliche Einnahmen, die zusätzlich zu Löhnen oder Gehältern gewährt werden, und steuerfreie Einnahmen ganz oder teilweise nicht als Arbeitsentgelt gelten. Nach § 17 Abs. 1 S. 2 SGB IV ist dabei eine möglichst weitgehende Übereinstimmung mit den Regelungen des Steuerrechts sicherzustellen. Von dieser Ermächtigung ist durch Erlass der SvEV Gebrauch gemacht worden. Danach sind einmalige Einnahmen, laufende Zulagen, Zuschläge, Zuschüsse sowie ähnliche Einnahmen, die "zusätzlich zu Löhnen oder Gehältern" gewährt werden, nicht dem Arbeitsentgelt zuzurechnen, soweit sie lohnsteuerfrei sind (§ 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Halbs. 1 SvEV). Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt.

 

Die Unterstützungsleistungen in Krankheitsfällen wurden nicht gem. § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Halbs. 1 SvEV "zusätzlich zu Löhnen und Gehältern" gewährt.

 

Der 12. Senat des BSG hat das "Zusätzlichkeitserfordernis" der SvEV zwar dann angenommen, wenn im Rahmen der betrieblichen Altersvorsorge künftige Entgeltansprüche in eine wertgleiche Anwartschaft auf Versorgungsleistungen umgewandelt und vom Arbeitgeber Direktversicherungsbeiträge gezahlt wurden (BSG Urt. v. 14.7.2004 – B 12 KR 10/02 R – juris Rn. 27). Eine Entgeltumwandlung in diesem Sinne liegt hier aber nicht vor.

 

Zusätzlich zu Löhnen und Gehältern werden jedenfalls nicht Einnahmen gewährt, die als Gegenleistung für die erbrachte Arbeitsleistung Bestandteil des Vergütungsanspruchs sind (BSG Urt. v. 23.2.2021 – B 12 R 21/18 R – juris Rn. 19). Die Unterstützungsleistungen in Krankheitsfällen waren jedoch integrale Bausteine in der mit der Vertragsänderung herbeigeführten neuen Zusammensetzung des Entgelts. In der neu gestalteten Vergütungsstruktur wurden diese Arbeitgeberleistungen nicht zusätzlich zu der zuvor vereinbarten Entlohnung gewährt. Sie stellten vielmehr anteilige Surrogate für den Bruttolohnverzicht und damit nicht abtrennbare, integrale Bestandteile der insgesamt vereinbarten neuen Vergütung dar. Vor- und Nachteilseinräumung durch Entgeltverzicht auf der einen und ergänztes Leistungsspektrum auf der anderen Seite sind konnex und bilden eine einheitliche Vereinbarung, die insgesamt im Rahmen des gegenseitigen Austausches zustande gekommen und nicht trennbar ist. Die Gehaltsabrechnung umfasste auch gleichermaßen diese Anteile und wies das frühere Gehalt, den Gehaltsverzicht und die jeweils ausgewählten "neuen Gehaltsanteile" aus. Mithin ist aus objektiver Sicht der Vertragsparteien (§§ 133, 157 Bürgerliches Gesetzbuch – BGB) die neue Vergütung nur dann vollständig erfasst, wenn sämtliche Gehaltsanteile zusammengenommen betrachtet werden. Damit scheidet auch begrifflich eine "zusätzlich" gewährte Einnahme aus.

 

Die Regelung in § 4 Abs. 3 des Dienstvertrags verdeutlicht schließlich, dass auch die Vertragsparteien in inhaltlicher Hinsicht nicht von „Zusatzleistungen“ ausgingen, da es einer solchen Regelung nicht bedurfte hätte, wenn es sich tatsächlich um Zusatzleistungen gehandelt hätte. Diese Regelung bedeutet nicht den Verzicht auf Zusatzleistungen, sondern die Rückgängigmachung des Entgeltverzichts gem. § 3 Abs. 2 S. 2 des Dienstvertrags.

 

b) Die Zuschüsse zu Kinderbetreuungskosten, die nach § 3 Nr. 33 EStG lohnsteuerfrei sein können, sind ebenfalls nicht nach § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Halbs. 1 SvEV idF von 2009 bis 2012 von der Zurechnung zum Arbeitsentgelt gem. § 14 SGB IV ausgenommen. Auch sie wurden nicht „zusätzlich zu Löhnen und Gehältern gewährt. Auf die Ausführungen zu 2. a) wird verwiesen.

 

c) Die Erstattung von Fahrtkosten ist nicht nach § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SvEV idF von 2009 bis 2012 von der Zurechnung zum Arbeitsentgelt gem. § 14 Abs. 1 SGB IV ausgenommen.

 

Nach § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SvEV sind den sozialversicherungspflichtigen Arbeitsentgelt nicht zuzurechnende Zuwendungen die Einnahmen nach § 40 Abs. 2 EStG, soweit der Arbeitgeber die Lohnsteuer mit einem Pauschsteuersatz erheben kann und er die Lohnsteuer nicht nach den Vorschriften des § 39b, § 39c oder § 39d EStG erhebt (§ 1 Abs. 1 S. 2 SvEV). Der Arbeitgeber kann gem. § 40 Abs. 2 S. 2 EStG in den von 2009 bis 2012 geltenden Fassungen die Lohnsteuer mit einem Pauschsteuersatz von 15 Prozent für zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn geleistete Zuschüsse zu den Aufwendungen des Arbeitnehmers für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte erheben, soweit diese Bezüge den Betrag nicht übersteigen, den der Arbeitnehmer nach § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 und Absatz 2 EStG als Werbungskosten geltend machen könnte, wenn die Bezüge nicht pauschal besteuert würden.

 

aa) Die Voraussetzungen dieser Steuervergünstigungsvorschrift sind nicht erfüllt. Die Erstattung von Fahrtkosten wurde vom Kläger als Arbeitgeber nicht „zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn“ an die Beigeladene als deren Arbeitnehmerin gezahlt. Dieses Tatbestandsmerkmal liegt bereits deshalb nicht vor, weil der geänderte Dienstvertrag nicht zu einem endgültigen Gehaltsverzicht und einer endgültigen Vereinbarung der „Zusatzleistungen“ führte (vgl. BFH Urt. v. 1.8.2019 – VI R 32/18 – juris Rn. 30; Geserich, jurisPR-SteuerR 46/2019 Anm. 2; Schubert-Eib/Karst in: Schlewing/Henssler/Schipp/Schnitker, Arbeitsrecht der betrieblichen Altersversorgung, 40. Lieferung 01.2022, Steuerrechtliche Rahmenbedingungen juris Rn. 24; Hess. FG Urt. v. 19.1.2012 – 1 K 250/11 – juris Rn. 30). Nach § 4 Abs. 3 des „neu“ abgeschlossenen Dienstvertrags konnte jederzeit eine einseitige Abkehr durch die Beigeladene von einzelnen oder sämtlichen Zusatzleistungen bei gleichzeitiger Rückkehr zu den ursprünglichen Verhältnissen erfolgen. Die erforderliche Endgültigkeit der neuen Gehaltsregelungen ist daher nicht gegeben.

 

bb) Der Senat lässt es im Übrigen – da dies nach der Rechtsauffassung des Senats nicht entscheidungsrelevant ist – dahinstehen, ob der mit den Entscheidungen des BFH vom 1.8.2019 (VI R 32/18 u.a.) erfolgten Rechtsprechungsänderung zu folgen ist; für überzeugend hält er sie jedoch nicht. Der Gesetzgeber hat diese jedenfalls zum Anlass genommen, die Definition des Tatbestandsmerkmals „zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn“ in § 8 Abs. 4 EStG im Jahressteuergesetz 2020 abweichend zu regeln (BT-Drucks 19/22850, S. 82).

 

Mit seiner Rechtsprechungsänderung geht der VI. Senat des BFH nunmehr davon aus, dass der zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn i.S. der entsprechenden Vorschriften – wie § 40 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 oder § 40 Abs. 2 Satz 2 EStG – der Arbeitslohn ist, den der Arbeitgeber nur verwendungs- bzw. zweckgebunden leistet. Der ohnehin geschuldete Arbeitslohn i.S. der entsprechenden Vorschriften sei mithin derjenige, den der Arbeitnehmer verwendungsfrei und ohne eine bestimmte Zweckbindung (ohnehin) erhält (BFH a.a.O. juris Rn. 17). 

 

Soweit der BFH zur Begründung seiner geänderten Rechtsauffassung nunmehr wesentlich auf die Gesichtspunkte der Verwaltungsvereinfachung und der Förderung der verwendungsgebundenen Zwecke abstellt, wird zu Unrecht nicht berücksichtigt, dass die gesetzgeberischen Ziele nicht um jeden Preis erreicht werden sollten, insbesondere steuerliche Vorteile im Rahmen von Gehaltsumwandlungen stets ausgeschlossen sein sollten. So sollte z.B. nach der Begründung des Entwurfs des Gesetzes zur Bekämpfung des Missbrauchs und zur Bereinigung des Steuerrechts (BT-Drucks. 12/5764, S. 22) vom 27.9.1993 die Änderung des § 40 Abs. 2 Satz 2 EStG klarstellen, dass die Möglichkeit der Lohnsteuerpauschalierung nur für zusätzliche Fahrtkostenzuschüsse des Arbeitgebers gilt und die Umwandlung von Arbeitslohn in pauschal besteuerbare Leistungen damit ausgeschlossen wird. Ähnlich formulierte der Gesetzgeber 2000 zur Internetpauschale (BT-Drucks. 14/4921, S. 50 f) und 1993 zu den Zuschüssen zur Kinderbetreuung gem. § 3 Nr. 33 EStG (BT-Drucks. 12/5016, S. 85).

 

Soweit der VI. Senat des BFH schließlich nunmehr die Auffassung vertritt, das in § 11 Abs. 1 S. 1 u. 4 i.V.m. § 38a Abs. 1 S. 2 u. 3 EStG verankerte Zuflussprinzip stehe der bisherigen Rechtsprechung entgegen, überzeugt dies den erkennenden Senat ebenfalls nicht.

 

Zutreffend kann sich die Prüfung eines Steuervergünstigungstatbestandes nach dem Zuflussprinzip nur auf zugeflossene Einkünfte im Zeitpunkt der Lohnzahlung beziehen. Nach bisherigem Verständnis in der finanzgerichtlichen Rechtsprechung ist der „ohnehin geschuldete Arbeitslohn“ der geschuldete Arbeitslohn, nur freiwillige Leistungen sind zusätzliche. Dies kann ohne weiteres – wie vom BFH in seiner geänderten Rechtsprechung gefordert - bezogen auf den Zuflusszeitpunkt festgestellt werden, ohne dass es der Rechtsanwendung auf „fiktive“ oder „vergangene“ Sachverhalte bedarf. Vorliegend werden bezogen auf die jeweiligen Zuflusszeitpunkte alle gezahlten Entgeltbestandteile geschuldet, keiner wird damit zusätzlich geleistet, da keiner freiwillig ist. Ob dem ein Lohnformenwechsel voraus ging, ist vorliegend völlig unerheblich.

 

Die Ansicht des BFH, es sei nichts dafür ersichtlich, dass der Gesetzgeber bei der Auslegung des Zusätzlichkeitserfordernisses die in § 11 Abs. 1 S. 1 u. 4 i.V.m. § 38a Abs. 1 S. 2 u. 3 EStG angeordnete Maßgeblichkeit des Zuflusszeitpunkts für die steuerliche Beurteilung des Arbeitslohns habe außer Kraft setzen wollen (BFH Urt. v. 1.8.2019 – VI R 32/18 – juris Rn. 25), trifft nicht zu. Wie oben bereits dargelegt, hat der Gesetzgeber mehrfach deutlich gemacht mit, dass mit Gehaltsumwandlungen die Voraussetzungen der Steuervergünstigungsvorschriften nicht erfüllt werden können (z.B. zu § 40 Abs. 2 EStG BT-Drucks. 12/5764, S. 22).

 

Letztlich ist es auch regelungstechnisch keine Besonderheit, dass der Gesetzgeber ein für einen Rechtsbereich grundlegendes Prinzip für Ausnahmen durchbricht („lex specialis derogat legi generali“). So verfährt der Gesetzgeber auch im sozialversicherungsrechtlichen Beitragsrecht: Grundsätzlich gilt das Entstehungsprinzip (hinsichtlich des laufenden Arbeitsentgelts), ausnahmsweise das Zuflussprinzip (bei einmalig gezahltem Arbeitsentgelt, §§ 22 ff SGB IV).

 

d) Die Kostenerstattung für die private Internetnutzung ist ebenfalls nicht nach § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SvEV in den von 2009 bis 2012 geltenden Fassungen von der Zurechnung zum Arbeitsentgelt gem. § 14 Abs. 1 SGB IV ausgenommen.

 

Nach § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SvEV sind dem sozialversicherungspflichtigen Arbeitsentgelt nicht zuzurechnende Zuwendungen die Einnahmen nach § 40 Abs. 2 EStG, soweit der Arbeitgeber die Lohnsteuer mit einem Pauschsteuersatz erheben kann und er die Lohnsteuer nicht nach den Vorschriften des § 39b, § 39c oder § 39d EStG erhebt (§ 1 Abs. 1 S. 2 SvEV). Nach § 40 Abs. 2 S. 1 Nr. 5 S. 2 EStG idF von 2009 bis 2012 kann der Arbeitgeber abweichend von Abs. 1 die Lohnsteuer mit einem Pauschsteuersatz von 25 Prozente erheben, soweit er Zuschüsse zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn zu den Aufwendungen des Arbeitnehmers für die Internetnutzung zahlt.

 

Die Voraussetzungen dieser Steuervergünstigungsvorschriften sind nicht erfüllt. Die vorgenannten Entgeltbestandteile wurden vom Kläger als Arbeitgeber nicht „zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn“ an den Beigeladenen als dessen Arbeitnehmer gezahlt. Auf die Ausführungen zu 2. c) wird verwiesen.

 

e) Die von dem Kläger auf die streitbefangenen Entgeltbestandteile als Haftungsschuldnerin nach § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG übernommenen Lohnsteuern, Solidaritätszuschläge und Kirchensteuern sind ebenso beitragspflichtiges Arbeitsentgelt gem. § 14 Abs. 1 SGB IV (vgl. Werner in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IV, 4. Aufl., § 14 SGB IV, Rn. 311, Stand 1.8.2021). Der Arbeitgeber gewährt bei der – wie vorliegend - nachträglichen Übernahme der Lohnsteuerschuld des Arbeitnehmers einen zusätzlichen Vorteil (Draufgabe zum Arbeitsentgelt), jedoch keinen Nettolohn (Werner a.a.O.).

 

f) Vor dem Hintergrund der Ausführungen zu a) bis d) kann es letztlich dahinstehen, ob dem bestandskräftigen Haftungsbescheid des FA, mit dem das Bestehen der Lohnsteuerpflicht bzgl. der vorgenannten Entgeltbestandteile festgestellt wurde, für die beitragsrechtliche Bewertung im Bereich der Sozialversicherung Tatbestandswirkung zukommt, was in Rechtsprechung und Literatur kontrovers beurteilt wird (für Tatbestandswirkung vgl. LSG Baden-Württemberg Urt. v. 30.9.2020 – L 5 KR 1407/18 – juris Rn. 49; Zieglmeier, jurisPR-SozR 18/2021 Anm. 2; gegen Tatbestandswirkung vgl. LSG Berlin-Brandenburg Urt. v. 1.12.2017 – L 1 KR 86/17 – juris Rn. 20; Freudenberg, B+P 2019, 570-572). 

 

g) Die Höhe der Beitragsforderung ist von dem Kläger nicht beanstandet worden. Sachliche und rechnerische Unrichtigkeiten sind auch nicht ersichtlich.  

 

h) Die streitige Beitragsforderung ist weder verwirkt noch können ihr Vertrauensschutzgesichtspunkte entgegen gesetzt werden.

 

aa) Der Einwand unzulässiger Rechtsausübung (in der Gestalt des venire contra factum proprium oder eines zur Verwirkung führenden treuwidrigen Verhaltens) als Unterfall des § 242 BGB steht der Beurteilung der streitbefangenen Entgeltbestandteile als beitragspflichtiges Arbeitsentgelt nicht entgegen. Im Zusammenhang mit sog. Beitragsnachforderungsfällen hat der für Beitragsangelegenheiten zuständige 12. Senat des BSG wiederholt entschieden, dass der Arbeitgeber, sollte die Beurteilung der Beitragspflicht von Arbeitsentgelt zweifelhaft sein, zur Erlangung von Vertrauensschutz einen gesonderten Verwaltungsakt der (Beitrags-) Einzugsstelle nach § 28h Abs. 2 S. 1 SGB IV über die Beitragspflicht herbeiführen muss (vgl. BSG Urt. v. 18.12.2013 – B 12 R 2/11 R – juris Rn. 36 m.w.N., BSG Urt. v. 19.9.2019 – B 12 R 25/18 R – juris Rn. 30). An diese Entscheidung sind die Versicherungsträger nach Maßgabe der §§ 44 ff SGB X gebunden; ein Schutz getroffener Dispositionen findet insoweit (allein) über die gesetzlichen Regelungen zur Bestandskraft (§ 77 SGG) und zur Aufhebung von bestandskräftigen Verwaltungsakten statt. Sind solche Verwaltungsakte nicht ergangen, kann sich ein Arbeitgeber insbesondere bei unterbliebenen Beanstandungen nach Betriebsprüfungen (vgl. § 28p SGB IV) auf ein vertrauensbegründendes (Verwirkungs-) Verhalten des prüfenden Versicherungsträgers nicht berufen. Betriebsprüfungen bezwecken nämlich nicht, den Arbeitgeber als Beitragsschuldner zu schützen oder ihm – mit Außenwirkung – "Entlastung" zu erteilen; sie haben unmittelbar im Interesse der Versicherungsträger und mittelbar im Interesse der Versicherten nur den Zweck, die Beitragsentrichtung zu den einzelnen Zweigen der Sozialversicherung zu sichern (vgl. zu den "Rechtsfolgen" von Betriebsprüfungen - BSG Urt. v. 30.10.2013 - B 12 AL 2/11 R – juris Rn. 24, BSG Urt. v. 19.9.2019 – B 12 R 25/18 R – juris Rn. 30). Auch den Prüfberichten kommt keine andere Bedeutung zu (vgl. BSG Urt. v. 14.7.2004 – B 12 KR 10/02 R – juris Rn. 43).

 

Es liegen keine gem. § 77 SGG verbindlichen Verwaltungsakte von Versicherungsträgern – der Beklagten als nach § 28p SGB prüfender Rentenversicherungsträger bzw. der Einzugsstellen – über die Rechtmäßigkeit der Beitragszahlungen des Klägers im Beitragserhebungszeitraum 2009 bis 2012 und in Bezug auf die streitbefangenen Entgeltbestandteile, die (allein) einen Schutz der von ihm getroffenen Dispositionen begründen könnten, vor. Der Kläger hat Entsprechendes auch nicht geltend gemacht.

 

Weder die Betriebsprüfungsbescheide vom 23.11.2006 und 19.10.2007 noch die Prüfmitteilung vom 28.10.2010 enthalten Feststellungen zu den streitbefangenen Entgeltbestandteilen und zum Beigeladenen. Darüber hinaus kommt Prüfmitteilungen wie dargelegt grundsätzlich keine Verwaltungsakteigenschaft zu. Dies gilt umso mehr für einen im Rahmen einer Anhörung geführten Schriftwechsel, auch wenn der prüfende Rentenversicherungsträger hierin, wie im Schreiben vom 1.8.2007, eine für den geprüften Arbeitgeber günstige Rechtsansicht vertritt.

 

Da keine der streitigen Beitragsforderung auf der Grundlage der streitbefangenen Entgeltbestandteile entgegenstehenden bestandskräftigen Bescheide existieren, müssen solche auch nicht nach §§ 44 ff SGB X aufgehoben werden.

 

bb) Soweit eine Verwirkung von Beitragsnachforderungen in der früheren Rechtsprechung des BSG (s. Urt. v. 27.7.2011 – B 12 R 16/09 R – juris Rn. 35 ff) grundsätzlich für möglich gehalten wurde, liegen die Voraussetzungen einer Verwirkung vorliegend ebenfalls nicht vor.

 

Die Verwirkung setzt als Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung voraus, dass der Berechtigte die Ausübung seines Rechts während eines längeren Zeitraums unterlassen hat und weitere besondere Umstände hinzutreten, die nach den Besonderheiten des Einzelfalls und des in Betracht kommenden Rechtsgebietes das verspätete Geltendmachen des Rechts nach Treu und Glauben dem Verpflichteten gegenüber als illoyal erscheinen lassen. Solche, die Verwirkung auslösenden "besonderen Umstände" liegen vor, wenn der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten (Verwirkungsverhalten) darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nicht mehr geltend machen werde (Vertrauensgrundlage) und der Verpflichtete tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt wird (Vertrauenstatbestand) und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat (Vertrauensverhalten), dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde (BSG Urt. v. 27.7.2011 – B 12 R 16/09 R – juris Rn. 36).

 

Eine Verwirkung scheitert hier bereits am Fehlen des Zeitmoments, also eines längeren Zeitraums, in dem die Beklagte die Ausübung ihres Rechts zur Geltendmachung rückständiger Beiträge unterlassen hätte. Es widerspräche der gesetzgeberischen Wertung, wenn entgegen dem durch § 28p Abs. 1 S. 1 Halbs. 2 SGB IV (in der trotz zweimaliger Neubekanntmachung bisher unveränderten Fassung durch Gesetz vom 30.6.1995, BGBl I 890) angeordneten vierjährigen Prüfungsturnus bereits die – hier vorliegende – zeitnahe Geltendmachung von Nachforderungen aufgrund einer fristgerecht durchgeführten Prüfung ohne Weiteres als verspätetet anzusehen wäre. Eine Verwirkung scheitert vorliegend zudem daran, dass ein Verwirkungsverhalten der Beklagten, das zum Zeitablauf hinzutreten muss, nicht festzustellen ist. Ein Vertrauenstatbestand ergibt sich insbesondere nicht aus vorangegangenen Betriebsprüfungen, die Aussagen bezüglich der Beitragspflichten ausschließlich zu früheren, abgelaufenen Zeiträumen treffen, nicht jedoch für den streitbefangenen Zeitraum von 2009 bis 2012 (BSG Urt. v. 27.7.2011 – B 12 R 16/09 R – juris Rn. 37).

 

Die in dem Schreiben der Beklagten vom 1.8.2007 vertretene Rechtsauffassung konnte bei dem Kläger auch deshalb kein schutzwürdiges Vertrauen begründen, da zu diesem Zeitpunkt keine gefestigte Rechtsprechung des BFH existierte, die die Rechtsauffassung des Klägers in steuerrechtlicher Hinsicht gestützt hätte. Eine vertrauensstiftende gesicherte Rechtspraxis liegt schon dann nicht vor, wenn eine Rechtsfrage nicht abschließend geklärt ist (BSG Urt. v. 19.9.2019 – B 12 R 25/18 R – juris Rn. 27).

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 2, Abs. 3, 162 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung.

 

Gründe gem. § 160 Abs. 2 SGG für die Zulassung der Revision sind nicht gegeben.

 

Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 197a SGG i.V.m. §§ 47 Abs. 1 S. 1, 52 Abs.1, Abs. 3, 63 Abs. 2 S. 1 Gerichtskostengesetz.

 

Rechtskraft
Aus
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