S 12 BA 73/19

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Nürnberg (FSB)
Sachgebiet
Betriebsprüfungen
Abteilung
12
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 12 BA 73/19
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 6 BA 4/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

I. Der Bescheid der Beklagten vom 16.04.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.09.2019 in der Fassung des Bescheides vom 09.09.2020 wird aufgehoben und es wird festgestellt, dass der Kläger zu 1.) seine Tätigkeit für die Klägerin zu 2.) ab dem 08.01.2014 im Rahmen einer selbständigen Tätigkeit ausübt und nicht der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung unterliegt.

II. Die Beklagte erstattet der Klägerin zu 2.) die notwendigen außergerichtlichen Kosten.
Im Übrigen sind außergerichtlichen Kosten nicht zu erstatten.


T a t b e s t a n d :

Die Beteiligten streiten um den versicherungsrechtlichen Status des Klägers zu 1.) und um dessen Versicherungspflicht in der gesetzlichen Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung

Im vom Kläger zu 1.) gestellten Antrag auf Statusfeststellung vom 31.10.2018 gab dieser an, dass er seit Dezember 2007 bei der Klägerin zu 2.) als Dolmetscher und Übersetzer beschäftigt sei. Es habe auch schon eine Beschäftigung von 1999 bis Mitte 2001 stattgefunden. Grundlage der Tätigkeit sei die Rahmenvereinbarung über das Dolmetscherhonorar für Einzeldolmetscher, zuletzt mit Datum vom 12.08.2018. Er sei als Dolmetscher für die Sprachen Arabisch, Bad(h)ini und Sorani bei Anhörungen von Asylbewerbern überwiegend in der Außenstelle in XX. tätig und daneben als Übersetzer eingesetzt worden, wobei die Übersetzungen entweder während der Aufenthaltszeit in der jeweiligen Außenstelle oder zu Hause (als externe Übersetzungen) gefertigt worden seien. Die Einsatzorte und Einsatzzeiten seien vorgegeben. Die Abrechnungen erstelle die Klägerin zu 2.), er zeichne diese nur gegen. Zudem habe er keine weiteren Auftraggeber.
Der Kläger zu 1.) legte Abrechnung und diverse Rahmenvereinbarung vor. In der Rahmenvereinbarung zwischen der Klägerin zu 2.) und dem Kläger zu 1.) ab dem 13.08.2014 wurde ein pauschales Dolmetscherhonorar pro Stunde von 32,00 EUR festgelegt. Das Übersetzungshonorar pro Zeile betrug 1,20 EUR zuzüglich der Portokosten für die Rücksendung der Texte. Die Fahrzeit-/Fahrtkostenpauschale pro Einsatztag betrug für den Einsatzort  XX. 15,00 EUR und den Einsatzort H-Stadt, Flughafen 140,00 EUR. Für Einsätze in der Justizvollzugsanstalt erhielt der Kläger zu 2.) eine Fahrzeit-/Fahrtkostenpauschale von 0,80 EUR pro Kilometer (einfache Strecke von der Wohnung oder der Außenstelle zu Justizvollzugsanstalt) höchstens jedoch 80,00 EUR. Diese schriftliche Rahmenvereinbarung ist für alle Dolmetscher-/Übersetzungsaufträge und deren Honorarabwicklung allein maßgeblich. Eventuelle Änderungen bedürfen der vorherigen schriftlichen Bestätigung. Soweit Übersetzung außer Haus vergeben werden, verpflichtet sich der mit dem Übersetzungsauftrag betraute Dolmetscher, weder Kopien der Texte noch der Übersetzung zu erstellen, aufzubewahren oder weiterzugeben. Die Rahmenvereinbarung dient als Grundlage für die Erteilung von künftigen, bedarfsabhängigen Dolmetscher-/Übersetzungsaufträge und zu deren kassenmäßiger Abwicklung. Die Klägerin zu 2.) und der Kläger zu 1.) sind (ohne Angabe von Gründen) in ihrer Entscheidung frei Aufträge zu erteilen oder anzunehmen. Aus der Rahmenvereinbarung kann kein Anspruch auf Einsatz als Dolmetscher oder Übersetzer hergeleitet werden.
In der Rahmenvereinbarung ab dem 17.02.2011 bzw. ab dem 08.11.1999 sind die identischen Regelungen mit unterschiedlichen Pauschalen bzw. Honoraren zu finden.

Auf die Fragen der Beklagten im Rahmen des Verwaltungsverfahrens vom 11.12.2018 gab die Klägerin zu 2.) an, dass der Kläger zu 1.) bei ihr als freiberuflicher Dolmetscher/Übersetzer eingesetzt gewesen sei. Eine abhängige Beschäftigung habe er bei ihr noch nie ausgeübt. Ein Feststellungsverfahren bezogen auf ihn sei nicht eingeleitet worden. Der Kläger zu 1.) habe sich als freiberuflicher Dolmetscher beworben. Es sei zu Verhandlungen bezüglich der Einsatzkonditionen gekommen und anschließend zu einem Vertragsangebot seitens des Auftraggebers und der Annahme durch den Auftragnehmer. Der Vertrag sei vom Auftraggeber entworfen, Stundenhonorar, Fahrtkostenerstattung und Einsatzzeiten seien frei verhandelt worden.
Der Ablauf der Auftragsvergabe laufe wie folgt ab: In den Außenstellen des Auftraggebers, in denen der Auftragnehmer als Dolmetscher im Rahmen der persönlichen Anhörung des Asylantragstellers eingesetzt werde, werde der Anhörungstermin nach Rücksprache und Terminvereinbarung mit dem Auftragnehmer festgelegt. Die Mitarbeiter des Auftraggebers würden sich vorab erkundigen, an welchen Tagen der Auftragnehmer Kapazitäten habe. Erst wenn feststehe, dass ein Auftragnehmer einen Termin wahrnehmen könne, werde der Asylantragsteller zur Anhörung geladen. Dies sei also keine einseitige Zuweisung von Aufträgen durch den Auftraggeber. Der Auftraggeber sei vielmehr von der Terminplanung der Auftragnehmer abhängig. Seitens des Auftraggebers werde pro Einsatztag ein Laufzettel geführt, auf dem (zu vergütende) Einsatzzeiten und (nicht zu vergütende) Pausen- und Unterbrechungszeiten (Wahrnehmung von Einsätzen bei anderen Auftraggebern) zeitgenau festgehalten und im haushaltsrechtlichen Sinn festgestellt werden würden. Der Laufzettel werde bei Einsatzende vom Dolmetscher unterzeichnet, in Kopie übergeben und diene im Original als rechnungsbegründende Unterlage bei der Honorarberechnung. Die Einsätze würden ausschließlich bedarfsabhängig erfolgen. Es gebe keine regelmäßig garantierten Einsätze. Die Dolmetscherleistungen würden nur in den Räumlichkeiten des Auftraggebers erbracht werden. Ein Arbeitsplatz werde nicht zur Verfügung gestellt. Bei den Anhörungen befinde sich der Dolmetscher am Arbeitsplatz des Mitarbeiters des Auftraggebers. Der Dolmetscher könne die Aufträge nur selbst wahrnehmen. Er unterrichte bei Verhinderung den Auftraggeber und dieser beauftrage dann einen anderen geeigneten und zuverlässigen Auftragnehmer. Es bestehe keine freie Wahl einer Ersatzkraft. Der Auftragnehmer müsse nicht an Dienst- oder Teambesprechungen teilnehmen. Auch müsse er keine Urlaubs- oder Krankenvertretungen übernehmen. Eine Zusammenarbeit mit den Mitarbeitern des Auftraggebers erfolge nicht. Es sei eine eigenständige, objektive und unabhängige Dolmetscher-/Übersetzungsleistung zu erbringen. Der Auftragnehmer sei externer Sprachmittler und kein Mitarbeiter des Auftraggebers. Er trete Dritten gegenüber als Dolmetscher auf. Die festangestellten Mitarbeiter des Auftraggebers seien nicht mit dem Auftragnehmer austauschbar. Deren Aufgabe sei die Bearbeitung und Entscheidung der Asylverfahren. Aufgabe des Auftragnehmers sei ausschließlich das Dolmetschen oder Übersetzen. Für die Tätigkeit als Auftragnehmer würden keine Arbeitsmittel benötigt und auch keine zur Verfügung gestellt werden.
Zudem reichte die Klägerin zu 2.) die Rechnungen des Klägers zu 1.) ab dem 08.01.2014 ein.

In der Anhörung vom 22.01.2019, welche sowohl gegenüber dem Kläger zu 1.) als auch gegenüber der Klägerin zu 2.) erfolgte, gab die Beklagte an, dass beabsichtigt sei, für die Tätigkeit des Klägers zu 1.) bei der Klägerin zu 2.) als Dolmetscher seit dem 08.01.2014 eine abhängige Beschäftigung und Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung festzustellen.
Die Merkmale für eine abhängige Beschäftigung würden überwiegen. Es erfolge eine erfolgsunabhängige Vergütung ohne erkennbares Gewinn- oder Verlustrisiko, die Leistung sei ausschließlich persönlich zu erbringen und die Vertretung durch Dritte sei ausgeschlossen, da der Auftragnehmer bestimmte Voraussetzungen für seine Beschäftigung in eigener Person zu erbringen habe. Zudem erfolge die Bestimmung eines Vertreters bei Abwesenheit ausschließlich durch den Auftraggeber und die Arbeitszeiten würden sich an den Öffnungszeiten bzw. dem Bedarf des Auftraggebers orientieren und seien nicht frei wählbar. Die Abstimmung der Termine erfolge durch den Auftraggeber und hinsichtlich des Honorars bestehe kein bzw. nur ein geringer Gestaltungsspielraum. Die Stundensätze würden durch den Auftraggeber vorgegeben werden und Wartezeiten und Fahrtkosten würden zudem erstattet werden. Pro Einsatztag werde vom Auftraggeber ein Laufzettel geführt, auf dem Einsatzzeit, Pausen und Unterbrechungen zeitgenau festgehalten und vom Auftragnehmer gegengezeichnet werden würden. Im Ergebnis bestünden kein unternehmerisches Risiko, kein eigenes Kapital und keine eigenen Arbeitsmittel. Der Auftragnehmer trage ein für einen Arbeitnehmer typisches Entgeltrisiko.
Merkmale für eine selbständige Tätigkeit wären hingegen, dass keine Ausschließlichkeitsvereinbarung bestehe, dass die angebotenen Aufträge jederzeit auch ohne Angabe von Gründen abgelehnt werden könnten, dass der Auftragnehmer nach außen nicht als Mitarbeiter des Auftraggebers, sondern als unabhängiger Dolmetscher auftrete und dass eine ständige Kontrolle der Arbeitsergebnisse durch den Auftraggeber aufgrund mangelnder Fremdsprachenkenntnisse nicht erfolge.

In der Folge übersandte der Kläger zu 1.) u.a. eine Aufstellung der Einkünfte von Dezember 2008 bis September 2018. Daraus wird ersichtlich, dass er auch für andere Auftraggeber tätig war.
In weiteren Ausführungen gab der Kläger zu 1.) u.a. an, dass er immer mit den Mitarbeitern der Klägerin zu 2.) zusammengearbeitet habe und diese die Art und Weise der Auftragsführung bestimmt hätten. In der Regel habe er solange im Amt bleiben müsse, bis die Aufgabe (dolmetschen) zu Ende gewesen sei - außer er habe einen Termin gehabt und früher gehen müssen. Dies hätte er am Morgen um 8:00 Uhr dem Mitarbeiter der Klägerin zu 2.) mitteilen müssen oder bereits in dem Moment in dem er den Termin angenommen habe. Der Ort der Tätigkeit sei die Außenstelle vor allem in  XX. gewesen. Zudem habe er an einer Online-Dolmetscher-Videoschulung teilnehmen und die erfolgreiche Teilnahme an die Klägerin zu 2.) senden müssen. Ein unternehmerisches Auftreten am Markt sei nicht möglich gewesen, da er sich den Regeln, Vorschriften und Einweisungen des Amtes habe unterordnen müssen.

Mit Bescheid vom 16.04.2019, welcher sowohl gegenüber dem Kläger zu 1.) als auch der Klägerin zu 2.) erging, stellte die Beklagte fest, dass die Tätigkeit des Klägers zu 1.) bei der Klägerin zu 2.) als Dolmetscher seit dem 08.01.2014 eine abhängige Beschäftigung sei und Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung bestehe. Sie wiederholte die Argumentation aus der Anhörung.

In einer Stellungnahme vom 10.04.2019, eingegangen bei der Beklagten am 12.04.2019 und in der Widerspruchsbegründung vom 15.05.2019 gab die Klägerin zu 2.) u.a. an, dass keine Ausschließlichkeitsklausel bestehe. Dem Kläger zu 1.) sei es nicht untersagt gewesen für andere Auftraggeber tätig zu werden. Diese Möglichkeit habe der Kläger zu 1.) auch mehrfach genutzt. Er sei keineswegs persönlich abhängig gewesen, sondern habe frei über seine Arbeitskraft verfügen können. Zwischen den einzelnen Einsätzen hätten teilweise Abstände von bis zu 4 Wochen bestanden. Im Jahr 2018 sei der Kläger zu 1.) durchschnittlich an 5 bis 10 Tagen im Monat beauftragt worden (bei durchschnittlich Arbeitstage 21 pro Monat). Im September 2017 sei er an 5 von 21 Arbeitstagen tätig gewesen, im November 2016 an 13 von 21 Arbeitstagen. Dies gelte auch für Dezember 2016. Im Februar 2015 sei er an 10 von 20 Arbeitstagen und im März 2015 an 5 von 22 Arbeitstagen tätig gewesen. Im April 2015 hätten sich 4 von 20 Arbeitstagen, im August 14 von 21 Arbeitstagen ergeben. Im April 2014 sei der Kläger zu 1.) an 6 von 20 Arbeitstagen tätig gewesen. Es sei keine erfolgsunabhängige Vergütung gezahlt worden. Mit dem vereinbarten Stundenhonorar seien grundsätzlich nur die tatsächlich erbrachten Dolmetscherleistungen gezahlt worden. Das Honorar sei im Vorfeld vor etwaigen Einsätzen besprochen und ausgehandelt worden. Im Falle der Verhinderung sei ein anderer Dolmetscher von der Klägerin zu 2.) bestimmt worden, gegebenenfalls sei die Anhörung kurzfristig abgesagt worden. Die Dolmetscher hätten im Bewerbungsverfahren Angaben zur Person machen müssen und sie hätten die Zustimmung zur Überprüfung der Person durch Polizei- und Sicherheitsbehörden gegeben. Diese Angaben seien Voraussetzung für den Vertragsabschluss und hätten höchstpersönlich erbracht werden müssen. Dem Kläger zu 1.) habe es frei gestanden ein Dolmetscherbüro zu eröffnen und so bei Verhinderung einen Vertreter (der die persönlichen Voraussetzungen dann erbracht hätte) anzubieten.
Dolmetscher als Sprachmittler seien selbständige Sachverständige (§ 17 AsylG - für Sprachmittler seien die Ausschlussgründe für Sachverständige (§ 406 ZPO analog i.V.m. § 41 ZPO) entsprechend heranzuziehen). Sofern die Dolmetschenden Beschäftigte der Klägerin zu 2.) wären, wäre die Objektivität im Sinne eines Sachverständigengutachtens nicht mehr gegeben. Zudem liege es in der Natur der Sache, dass bei Übersetzungsaufträge, wie den vorliegenden, keine größeren Investitionen zu tätigen seien. Die Arbeitszeiten seien frei wählbar gewesen. Der Kläger zu 1.) habe selbst entscheiden könne, ob und in welchem zeitlichen Umfang er tätig werde. Eine Abstimmung der Termine zwischen Asylantragsteller und Sprachmittler könne aus Gründen des Datenschutzes und zur Wahrung der Objektivität des Asylverfahrens nicht stattfinden (§ 17 AsylG).

Auch der Kläger zu 1.) legte Widerspruch gegen den Bescheid vom 16.04.2019 ein und beantragte, den Bescheid insoweit abzuändern, als dass bereits vor dem 08.01.2014, insbesondere ab 01.12.2007 ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis ausgeübt worden sei und Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung und Arbeitsförderung bestand habe. Er sei seit Dezember 2007 weitaus überwiegend für die Klägerin zu 2.) als Übersetzer tätig gewesen. Daneben habe er nur in geringem Umfang Übersetzungstätigkeiten bei Polizeibehörden oder Gerichten erbracht. Eine sonstige nichtselbständige Beschäftigung habe ab Dezember 2007 nicht mehr bestanden.
Zudem sei seitens der Klägerin zu 2.) ab dem 01.07.1999 ein EDV-gestütztes Dolmetschersystem flächendeckend eingeführt worden. Von dort aus erfolge die Abrechnung der von den Dolmetschern wahrgenommenen Einsätzen und Übersetzungsaufträgen. Die Abrechnungen seien bei der Klägerin zu 2.) zentral gespeichert worden. Das entsprechende Schreiben der Klägerin zu 2.) von Juni 1999 wurde vorgelegt.

Der Widerspruch der Kläger zu 1.) und zu 2.) wurde jeweils mit Widerspruchsbescheid vom 12.09.2019 zurückgewiesen.
Gegenüber dem Kläger zu 1.) gab die Beklagte an, dass seit dem 08.01.2014 Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung bestehe und in der gesetzlichen Krankenversicherung die Versicherungspflicht ausgeschlossen sei. Einzelfallbezogene Beweise für eine frühere Beschäftigung als die seit dem 08.01.2014 würden nicht vorliegen.
Gegenüber der Klägerin zu 2.) gab die Beklagte an, dass die Feststellung, dass die Tätigkeit des Klägers zu 1.) als Dolmetscher bei der Klägerin zu 2.) seit dem 08.01.2014 im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt werde, bestehen bleibe. Der Kläger zu 1.) unterliege bezüglich Zeit, Dauer, Art und Ort der Arbeitsausführung dem Direktionsrecht der Klägerin zu 2.), da der Tätigkeitsort und der zeitliche Rahmen durch die Klägerin zu 2.) bzw. deren Kunden vorgegeben werde. Der zeitliche Rahmen der Tätigkeit sei zwar nicht exakt nach Tagen, Stunden oder Minuten bestimmt, aber doch derart hinreichend eingegrenzt, dass er als bestimmter zeitlicher Rahmen im Sinne der Rechtsprechung zur persönlichen Abhängigkeit eines Arbeitnehmers zu qualifizieren sei. Der Kläger zu 1.) setze hauptsächlich die eigene Arbeitskraft ein und sei funktionsgerecht dienend in eine fremde Arbeitsorganisation eingegliedert. Die Arbeitskraft werde für eine bestimmte Zeitdauer zur Verfügung gestellt, diese werden nach der Anzahl der Arbeitsstunden bezahlt und unterscheide sich insoweit grundsätzlich nicht von sonstigen Angestellten. Das Risiko, für Arbeit kein Geld zu erhalten bzw. bei nicht zufriedenstellender Arbeit nicht weiter beschäftigt bzw. beauftragt zu werden, stelle kein unternehmerisches Risiko im Sinne der Rechtsprechung dar. Die Abrechnung nach Stunden sei typisch für abhängige Beschäftigungsverhältnisse. Ein wesentliches Merkmal für eine Eingliederung in den Betrieb sei der Umstand, dass die Leistungserbringung nicht ohne die Benutzung der Einrichtungen des Betriebes möglich sei. Es bestehe vielmehr eine Abhängigkeit vom personellen und sachlichen Know-how des Betriebes. Der Kläger zu 1.) erbringe die vereinbarten Dienste unter kostenloser Nutzung der vorgegebenen Infrastruktur und der bereitgestellten Arbeitsmittel. Für eine selbständige Tätigkeit würde sprechen, wenn der Kläger zu 1.) für die Nutzung der Ressourcen ein Nutzungsentgelt entrichten würde.

Dagegen wendet sich die Prozessbevollmächtigte des Klägers zu 1.) mit ihrer am 14.10.2019 beim Sozialgericht Nürnberg erhobenen Klage. Der Rechtsstreit wurde unter dem Aktenzeichen S 12 BA 73/19 registriert.

Die Klägerin zu 2.) wendet sich mit ihrer am 15.10.2019 unter dem Aktenzeichen S 12 BA 74/19 beim Sozialgericht Nürnberg registrierten Klage gegen den Widerspruchsbescheid der Beklagten.

Die Verfahren wurden mit Beschluss vom 10.12.2019 zu gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden und unter dem Aktenzeichen S 12 BA 73/19 fortgeführt.

Die Klägerin zu 2.) gab im Rahmen des Klageverfahrens an, dass es sich nach der sozialgerichtlichen Rechtsprechung bei Übersetzungstätigkeiten um solche handle, die als qualifizierte Dienstleistung typischerweise von selbständigen Anbietern erbracht werden würden (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 17.01.2012, Az. L 11 R 5683/09). Vorliegend seien die Anhörungstermine nach Rücksprache mit den Dolmetschern festgelegt worden. Die Klägerin zu 2.) sei also von der Terminplanung der Dolmetscher abhängig. Es erfolge gerade keine einseitige Zuweisung. Auch der Einsatzort sei nicht einseitig zugewiesen worden, der Kläger zu 1.) habe vielmehr angeben können, an welchen Außenstellen er seine Tätigkeit anbietet wolle. Dass die Tätigkeit ausschließlich in den Räumlichkeiten der Klägerin zu 2.) durchgeführt worden sei, basiere auf dem gesetzlich in § 24 AsylG normierten asylrechtlichen Amtsermittlungsgrundsatz. Zudem erscheine fraglich, dass Gerichtsdolmetscher ein Nutzungsentgelt für die Nutzung der Betriebsstätte des Gerichts entrichten würden, insoweit sei fraglich, welche Arbeitsmittel bei einer Dolmetschertätigkeit zur Verfügung gestellt werden sollen. Auch sei die Höhe des Honorars von der Beklagten nicht ausreichend berücksichtigt worden. Nach dem Tarifvertrag über die Entgeltordnung des Bundes wäre der Kläger zu 1.) gemäß seiner ausgeübten Tätigkeit in die Entgeltgruppe 11 einzugruppieren. Danach würde er ein monatliches Entgelt je nach Stufe in Höhe von 3.312,60 EUR bzw. 3.656,01 EUR erhalten. Der Kläger zu 1.) habe im Jahr 2018 durchschnittlich ein Honorar in Höhe von 4.498,52 EUR erhalten. Dies habe damit deutlich über der Vergütung, welche einem abhängigen Beschäftigten gezahlt worden wäre, gelegen und lasse eine Eigenvorsorge zu.
Im weiteren Verlauf des Verfahrens übersandte die Klägerin zu 2.) die Abrechnungen des Klägers zu 1.) ab dem 05.07.2011.

In der mündlichen Verhandlung vom 09.09.2020 erließ der Beklagtenvertreter nach Rückfrage beim Kläger zu 1.) folgenden mündlichen Bescheid:
Der Bescheid vom 16.04.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.09.2019 wird abgeändert und es wird festgestellt, dass der Kläger zu 1.) seine Tätigkeit für die Klägerin zu 2.) ab dem 08.01.2014 im Rahmen einer abhängigen Beschäftigung ausgeübt hat und der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung unterlag.
Der Kläger zu 1.) hatte auf Nachfrage angegeben, dass er überwiegend für die Klägerin zu 2.) und nur gelegentlich für Gerichte, Polizei etc. tätig gewesen sei. Ohne die Tätigkeit bei der Klägerin zu 2.) hätte er nicht mit dem Dolmetschen angefangen.
Zudem gab der Kläger zu 1.) auf Befragung der Vorsitzenden an, dass er sich bezüglich der Höhe des Honorars an die Klägerin zu 2.) gewandt und dort nachgefragt habe. Die Rahmenvereinbarung habe bereits einige Jahre gegolten und er habe sich dann kümmern müssen, dass diese geändert werde. Er habe telefonisch vorgeschlagen das Honorar beispielsweise auf 30,00 EUR festzusetzen. Das sei für die Klägerin zu 2.) zu viel gewesen. Man habe sich dann auf 29,00 EUR geeinigt. Genauso sei z. B. die Tagespauschale für den A-Stadter Raum von 10,00 EUR auf 15,00 EUR erhöht worden. Die telefonische Vereinbarung sei danach schriftlich fixiert worden. Das sei dann die neue Rahmenvereinbarung gewesen.

Die Prozessbevollmächtigten des Klägers zu 1.) beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 16.04.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.09.2019 und des Bescheides vom 09.09.2020 dahingehend abzuändern, dass der Kläger zu 1.) seine Tätigkeit für die Klägerin zu 2.) ab dem 01.12.2007 im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt hat und der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie dem Recht der Arbeitsförderung unterliegt.

Die Klägerin zu 2.) beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 16.04.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.09.2019 in der Form des Bescheides vom 09.09.2020 aufzuheben und festzustellen, dass die Tätigkeit des Klägers zu 1.) kein abhängiges Beschäftigungsverhältnis darstellt und keine Versicherungspflicht seit dem 08.01.2014 besteht.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Die Beigeladenen stellen keine Anträge.

Die Klägerparteien und der Beklagtenvertreter erklärten ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Rechtsstreits durch Urteil ohne mündliche Verhandlung im Termin der mündlichen Verhandlung vom 09.09.2020. Die Beigeladene zu 3.) erklärte ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Rechtsstreits durch Urteil ohne mündliche Verhandlung mit Schriftsatz vom 21.09.2020 und die Beigeladenen zu 1.) und zu 2.) mit den Schriftsätzen vom 24.09.2020.

Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vortrags der Beteiligten wird auf den Inhalt der Akten des Sozialgerichts, auf den Inhalt der beigezogenen Akten sowie auf die Niederschrift über den Termin der mündlichen Verhandlung vom 09.09.2020 Bezug genommen.

 

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Das Sozialgericht Nürnberg ist sachlich und örtlich gemäß §§ 51, 57 SGG zuständig.

Eine Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 SGG konnte ergehen. Die Beteiligten erklärten ihr Einverständnis mit einer solchen Entscheidung des Rechtsstreits.

Die ordnungsgemäß und fristgerecht eingereichte Klage ist zulässig.

Der Bescheid vom 09.09.2020, welcher im Termin der mündlichen Verhandlung gegenüber dem Kläger zu 1.) und der Klägerin zu 2.) von der Beklagten erlassen wurde, ist nach § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden.
Nach § 96 Abs. 1 SGG wird ein nach Klageerhebung ergangener neuer Verwaltungsakt Gegenstand des Klageverfahrens, wenn er den mit der Klage angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt. Dies setzt voraus, dass der Regelungsgegenstand des neu einzubeziehenden Verwaltungsaktes mit dem des früheren identisch ist. Übereinstimmung muss hierbei auch in zeitlicher Hinsicht bestehen (siehe B. Schmidt in: Meyer-Ladewig/ Keller/ Leitherer/ Schmidt, Sozialgerichtsgesetz, 13. Auflage 2020, § 96, Rdnr 4, 4a). Der ursprüngliche Bescheid der Beklagten vom 16.04.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.09.2019 betraf die Feststellung einer abhängigen Beschäftigung des Klägers zu 1.) bei der Klägerin zu 2.) ab dem 08.01.2014 und einer bestehenden Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung. Der Bescheid vom 09.09.2020 weitete die Versicherungspflicht des Klägers zu 1.) auf die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung aus, da nach Ansicht der Beklagten der Kläger zu 1.) ab 08.01.2014 nicht hauptberuflich selbständig war (§ 5 Abs. 5 Satz 1 SGB V). Der ursprüngliche Bescheid vom 16.04.2019 wird damit durch den Bescheid vom 09.09.2020, der nach Erlass des Widerspruchsbescheides vom 12.09.2019 ergangen ist, im Sinne von § 96 Abs. 1 SGG abgeändert. Beide Bescheide betreffen den identischen Streitgegenstand, nämlich die Beurteilung des Status des Klägers zu 1.) für die Tätigkeit bei der Klägerin zu 2.). Für die Klägerparteien war zudem ohne weiteres der Wille der Beklagten erkennbar, dass der neue Verwaltungsakt zumindest teilweise an die Stelle des ursprünglichen Bescheides treten soll.


Die Klage ist nur zum Teil begründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 16.04.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.09.2019 in der Fassung des Bescheides vom 09.09.2020 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin zu 2.) in ihren Rechten.
Der Kläger zu 1.) übt seine Tätigkeit für die Klägerin zu 2.) ab dem 08.01.2014 im Rahmen einer selbständigen Tätigkeit aus und unterliegt nicht der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung. Insoweit wird dem Klagebegehren der Klägerin zu 2.) vollumfänglich stattgegeben und das Klagebegehren des Klägers zu 1.), die Abänderung der streitgegenständlichen Bescheide dahingehend, dass die festgestellte Versicherungspflicht bereits ab dem 01.12.2007 besteht, vollumfänglich abgewiesen.

Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung ist § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV. Beschäftigung ist danach die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers, § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IV. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Demgegenüber ist eine selbständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen. Maßgebend ist stets das Gesamtbild der Arbeitsleistung (ständige Rechtsprechung, siehe u.a. BSG, Urteile vom 29.08.2012, Az. B 12 R 14/10 R und vom 25.04.2012, Az. B 12 KR 24/10 R).

Nach dieser vorzunehmenden Gesamtabwägung steht nach Auffassung des Gerichts fest, dass der Kläger zu 1.) die streitgegenständliche Tätigkeit als Dolmetscher und Übersetzer für die Klägerin zu 2.) selbständig ausübt und nicht der Versicherungspflicht in den Zweigen der Sozialversicherung unterliegt.

Zu dieser Überzeugung gelangt das Gericht aufgrund des Vortrags der Parteien und der bereits im Verwaltungsverfahren eingereichten Unterlagen.

Die eingereichten Rahmenvereinbarungen zwischen dem Kläger zu 1.) und der Klägerin zu 2.) treffen Regelungen zum vereinbarten Honorar je nach Art und Ort der Tätigkeit und den Pflichten bei Übersetzungen außer Haus. Aus diesen Regelungen ergeben sich weder Indizien für oder gegen das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung. Vielmehr zeigt sich, dass mit der Rahmenvereinbarung ausschließlich die Honorarhöhe geregelt werden soll. Ein Anspruch des Klägers zu 1.) auf Einsätze als Dolmetscher oder Übersetzer, was für eine abhängige Beschäftigung sprechen würde, soll aus dieser Vereinbarung gerade nicht abzuleiten sein.

Insbesondere ergibt sich aus den eingereichten Unterlagen des Klägers zu 1.) über die Einkünfte von Dezember 2008 bis September 2018, dass er gerade nicht ausschließlich oder weit überwiegend für die Klägerin zu 2.) tätig war. Aus diesen Unterlagen ergeben sich Tätigkeiten des Klägers zu 1.) für die Klägerin zu 2.), für die Staatsanwaltschaft A-Stadt bzw. die Generalstaatsanwaltschaft H-Stadt, für verschiedene Gerichte in N., F., A., F., S., N., B., W., H. und K., für die Stadt R. und die Polizei. Der Kläger zu 1.) war demnach ab Januar 2009 für die verschiedensten Auftraggeber tätig. Im November 2010 verdiente er zudem deutlich mehr mit Aufträgen bei Gericht in N. als mit Aufträgen für die Klägerin zu 2.).
Auch wenn die Tätigkeit für weitere Auftraggeber kein entscheidendes Indiz für die Beurteilung des Status ist, ist allein die Einräumung der Möglichkeit für weitere Auftraggeber tätig zu werden ein Indiz für das Vorliegen einer selbstständigen Tätigkeit. Wird diese Möglichkeit dann, wie vom Kläger zu 1.) auch noch wahrgenommen, bestätigt sich das Vorliegen des Indizes für eine selbständige Tätigkeit.

Aus der wahrgenommenen Möglichkeit für die verschiedensten Auftraggeber tätig zu werden, wird auch sehr deutlich, dass der Kläger zu 1.) allein und völlig unabhängig von anderen über seine Arbeitszeit verfügen kann. Ihm steht es frei, Aufträge für die verschiedensten Auftraggeber anzunehmen. Auch bezüglich des Verhältnisses zur Klägerin zu 2.) besteht keine Weisungsgebundenheit hinsichtlich der Arbeitszeit. Die Klägerin zu 2.) fragt vielmehr beim Kläger zu 1.) an, ob und wann dieser Zeit hat und bestimmt danach die Anhörungstermine im Asylverfahren. Eine zeitlich weisungsgebundene Tätigkeit ist daraus keinesfalls zu entnehmen.
Der Kläger zu 1.) ist Dienstleiter. Er bietet die Dienste des Dolmetschens und des Übersetzens an. Die Tätigkeit des Dolmetschens und Übersetzens ist eine qualifizierte Dienstleistung, die typischerweise von selbständigen Anbietern erbracht wird (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 17.01.2012, Az. L 11 R 5683/09). Die Klägerin zu 2.) und auch andere Auftraggeber nehmen diese Dienste in Anspruch. Dafür vereinbart die Klägerin zu 2.) mit dem Kläger zu 1.) die entsprechenden Termine. Wie der Kläger zu 1.) im Rahmen des Verwaltungsverfahrens selbst angegeben hat, kann er früher gehen, wenn er einen anderen Termin hat. Dass er dies der Klägerin zu 2.) mitteilen muss, liegt in der Natur der Sache. Die Klägerin zu 2.) benötigt diese Information zur Planung der entsprechend der gesetzlichen Vorgaben ablaufenden Anhörungen im Asylverfahren. Auch in einem Gerichtsprozess bestimmt allein das Gericht die Dauer des Termins. Wenn ein Dolmetscher einen Anschlusstermin hat bzw. nicht zum Termin erscheinen kann, ist er verpflichtet dies vorab mitzuteilen. Dadurch wird aber keinesfalls eine abhängige Beschäftigung begründet.

Insbesondere die Höhe des Honorars, welches nachweislich verhandelt wurde, spricht für die Ausübung einer selbständigen Tätigkeit des Klägers zu 1.) für die Klägerin zu 2.).
Der Kläger zu 1.) hat in der mündlichen Verhandlung am 09.09.2020 erklärt, dass er sich um eine Erhöhung des Honorars kümmern musste. Dies stellt aus der Sicht des Gerichts ein reguläres und völlig normales Vorgehen eines selbständig Tätigen dar. Der Auftraggeber, hier die Klägerin zu 2.), wird von sich aus keine Erhöhung des Honorars vorschlagen. Wenn er dies tun würde, wäre es vielmehr ein Indiz für eine abhängige Beschäftigung. Selbständig Tätige Personen zeichnet aus, dass sie eigenständig über die Höhe des Honorars verhandeln, wobei sie dabei selbst bestimmen, wie und wann diese Verhandlungen zu führen sind. Vorliegend hat der Kläger zu 1.) bei der Klägerin zu 2.) angerufen und ein höheres Honorar vorgeschlagen. Es kam zu Verhandlungen und zu einer Einigung, welche dann in einer neuen Rahmenvereinbarung fixiert wurde. Dieses Vorgehen des Klägers zu 1.) stellt ein starkes Indiz für das Vorliegen einer selbständigen Tätigkeit dar.

Zudem liegt die Höhe des verhandelten Entgeltes deutlich über dem Entgelt, welches eine abhängig, beschäftigte Person bei der Klägerin zu 2.) erhalten hätte. Nach dem Tarifvertrag über die Entgeltordnung des Bundes wäre der Kläger zu 1.) gemäß seiner ausgeübten Tätigkeit in die Entgeltgruppe 11 einzugruppieren. Danach beträgt das monatliche Entgelt je nach Stufe zwischen 3.312,60 EUR und 3.656,01 EUR. Der Kläger zu 1.) hat dagegen im Jahr 2018 durchschnittlich ein Honorar in Höhe von 4.498,52 EUR erhalten. Ihm war es damit möglich, mit dem gewährten Honorar Eigenvorsorge zu betreiben und die entsprechenden Versicherungen abzuschließen und zu bezahlen. Auch dies ist ein starkes Indiz für das Vorliegen einer selbständigen Tätigkeit. Hieraus ist ohne Zweifel ein unternehmerisches Handeln des Klägers zu 1.) zu erkennen.

Dass ein pauschales Stundenhonorar zwischen dem Kläger zu 1.) und der Klägerin zu 2.) vereinbart wurde, stellt ebenfalls kein Indiz für eine abhängige Beschäftigung dar.
Eine andere Art der Abrechnung wäre bei Tätigkeit wie der Vorliegenden auch nicht sinnvoll gewesen. Bei der Übernahme eines Auftrages ist nicht abzusehen, wie lange der Auftrag dauert. Eine pauschale Vergütung wäre weder für den Kläger zu 1.) noch die Klägerin zu 2.), die zudem eine staatliche Behörde ist und an die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit gebunden ist, nicht sinnvoll.

Der Kläger zu 1.) stellt aufgrund der Art der ausgeübten Tätigkeit nur seine Arbeitskraft und seine Arbeitszeit zur Verfügung. Etwas anderes (Kapital etc.) wäre bei Tätigkeiten dieser Art (Dienstleistungstätigkeiten im Sinne von Übersetzungen und Dolmetschen) auch nicht möglich.
Über seine Arbeitskraft und Arbeitszeit verfügt der Kläger zu 1.) selbst und völlig unabhängig. Er bestimmt wann, wie lange und für wen er tätig wird. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der jeweiligen Rahmenvereinbarung mit der Klägerin zu 2.). Regelungen hierzu sind in den Rahmenvereinbarungen nicht enthalten. Die Termine werden mit dem Kläger zu 1.) abgesprochen, er bestimmt wann er Zeit hat Termine wahrzunehmen und danach richtet sich die Klägerin zu 2.). Dass der Kläger zu 1.) während eines Anhörungstermins nicht einfach Aufstehen und Gehen wollte, hängt damit zusammen, dass er wieder Aufträge von der Klägerin zu 2.) erhalten wollte. Wäre er aufgestanden und gegangen, hätte er das Risiko tragen müssen, keine Aufträge mehr zu erhalten. Er hätte dies aber grundsätzlich tun können. Insoweit unterlag er keinen Weisungen der Klägerin zu 2.) Anhaltspunkte, dass der Kläger zu 1.) sich für weitere Aufträge der Klägerin zu 2.) bereithalten muss, in dem Sinne, dass er für die Klägerin zu 2.) abrufbar sein muss, sind nicht ersichtlich.
In diesem Zusammenhang ist auch zu beachten, dass die Argumentation der Beklagten, das unternehmerische Risiko betreffend, nicht durchgreift. Gerade bei Tätigkeiten dieser Art liegt es in der Natur der Sache, dass kein Kapital eingesetzt wird. Der Kläger zu 1.) benötigt nur sein Sprachwissen. Weitere Arbeitsmittel von wirtschaftlichem Wert sind nicht nötig. Somit kann das fehlende unternehmerische Risiko weder für noch gegen eine abhängige Beschäftigung sprechen.

Das Gericht weist auch darauf hin, dass die Argumentation der Beklagten im Widerspruchsbescheid, das Nutzungsentgelt betreffend, überzogen und aus der Luft gegriffen ist. Ein Indiz für das Bestehen einer abhängigen Beschäftigung kann daraus nicht abgeleitet werden.
Ein wesentliches Merkmal für eine Eingliederung in den Betrieb ist, so meint die Beklagte, der Umstand, dass die Leistungserbringung nicht ohne die Benutzung der Einrichtungen des Betriebes möglich ist. Der Kläger zu 1.) würde die vereinbarten Dienste unter kostenloser Nutzung der vorgegebenen Infrastruktur und der bereitgestellten Arbeitsmittel erbringen. Das Gericht fragt sich, welche Arbeitsmittel und welche Infrastruktur die Beklagte hier genau meint. Der Kläger zu 1.) ist als Dolmetscher für die Klägerin zu 2.) tätig. Er benötigt hierfür weder Arbeitsmittel von wirtschaftlichem Wert noch eine Infrastruktur. Dem Gericht erschließt sich nicht für welche Ressourcen der Kläger zu 1.) ein Nutzungsentgelt entrichten soll. Insoweit ist den Ausführungen der Klägerin zu 2.) zu folgen. Gerichtsdolmetscher entrichten ebenfalls kein Nutzungsentgelt für die Nutzung der Betriebsstätte des Gerichts. Sie verrichten ihre Tätigkeit im Gericht, weil dies - wie auch bei der Klägerin zu 2.) - anders nicht möglich ist.

Dass die Bestimmung eines Vertreters des Klägers zu 1.) bei dessen Abwesenheit ausschließlich durch die Klägerin zu 2.) erfolgt, liegt in der Natur der Sache. Nach den Vorgaben des AsylG muss die Person des Dolmetschers für diese Art der Tätigkeit geeignet sein muss (Sicherheitsabfrage). Somit ist es bei der Beauftragung von Einzeldolmetschern überhaupt nicht möglich, dass der Einzeldolmetscher im Falle der Verhinderung einen (beliebigen) Vertreter entsendet. Die Klägerin zu 2.) muss demnach den Vertreter selbst bestimmen. Würde hier die Vorgabe gelten, dass der Dolmetscher - damit eine selbständige Tätigkeit angenommen werden kann - bei seiner Abwesenheit einen Vertreter entsendet, könnte die Klägerin zu 2.) nur mit Dolmetscherbüros zusammenarbeiten. Dies wäre wiederum aus Gründen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit und insbesondere auch aus Gründen die im Vergaberecht liegen nicht umsetzbar.

Die Vorgabe des Arbeitsortes für die Tätigkeit des Dolmetschens ergibt sich aus der Natur der Sache. Die Klägerin zu 2.) hat korrekt mitgeteilt, dass § 24 AsylG den asylrechtlichen Amtsermittlungsgrundsatz normiert. Die Tätigkeit des Dolmetschens bei Anhörungen im Asylverfahren ist in den Räumlichkeiten der Klägerin zu 2.) durchzuführen und nicht an beliebigen Orten nach Wahl des Klägers zu 1.). Hieraus kann also kein Indiz für eine abhängige Beschäftigung des Klägers zu 1.) abgeleitet werden. Zudem stand es dem Kläger zu 1.) frei Aufträge der Klägerin zu 2.) auch an anderen Orten anzunehmen. Die Rahmenvereinbarung enthielt sogar eine Honorarregelung für Tätigkeiten am Flughafen H-Stadt. Eine Weisungsgebundenheit des Klägers zu 1.) bezüglich des Ortes der Tätigkeit besteht daher nicht.
Auch konnte der Kläger Übersetzungen grundsätzlich auch zu Hause fertigen. Nicht umsonst gab es diesbezüglich Vorgaben in der Rahmenvereinbarung. Dass die Übersetzungen vorrangig in den Wartezeiten zwischen den einzelnen Anhörungen gefertigt wurden, ist eine ökonomische Entscheidung des Klägers zu 1.). So hat er die Möglichkeit in der Wartezeit eine höhere Vergütung zu erzielen, als er durch das pauschale Dolmetscherhonorar erzielt hätte. Zudem muss berücksichtigt werden, dass bestimmte Übersetzungen aufgrund der gesetzlichen Vorgaben nicht am heimischen PC des Klägers zu 1.) gefertigt werden dürfen, so dass diese vor Ort bei der Klägerin zu 2.) zu fertigen waren. Hieraus kann aber anders als es die Beklagte tut, kein Indiz für eine abhängige Beschäftigung abgeleitet werden.

Zusätzliche Indizien, die gegen die Ausübung einer abhängigen Beschäftigung sprechen, sind, dass der Kläger zu 1.) nicht an Dienst- oder Teambesprechungen der Klägerin zu 2.) teilnehmen muss. Auch muss er keine Urlaubs- oder Krankenvertretungen übernehmen. Zudem findet keine Zusammenarbeit mit den Mitarbeitern der Klägerin zu 2.) statt, da der Kläger zu 1.) und die festangestellten Mitarbeiter der Klägerin zu 2.) nicht austauschbar sind. Der Kläger zu 1.) erbringt vielmehr eine eigenständige, objektive und unabhängige Dolmetscher- bzw. Übersetzungsleistung als externer Sprachmittler. So tritt er Dritten gegenüber auch auf. Insoweit findet auch ein unternehmerisches Auftreten am Markt statt, da der Kläger zu 1.) gerade nicht als Mitarbeiter der Klägerin zu 2.) auftritt.

Bei der vom Kläger zu 1.) ins Feld geführten Online-Videoschulung handelt es sich um ein freiwilliges und kostenfreies Angebot der Weiterqualifizierung. Dies ergibt sich ohne Zweifel aus den vom Kläger zu 1.) eingereichten Unterlagen. Ein Indiz für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung ist hieraus nicht zu erkennen.

Dass die Abrechnung über ein von der Klägerin zu 2.) entwickeltes System erfolgt, ist der Natur der Sache geschuldet und kann weder für noch gegen das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung herangezogen werden. Aufgrund der Vielzahl der bei der Klägerin zu 2.) tätigen Dolmetscher und dem damit verbundenen Verwaltungsapparat ist ein einheitliches Abrechnungssystem sinnvoll und aus wirtschaftlichen Gründen notwendig. So kann die Klägerin zu 2.) dafür Sorge tragen, dass die erbrachte Dienstleistung der Dolmetscher überprüft und zeitnah bezahlt werden kann. Dass damit Laufzettel einhergehen, die zu führen sind und auf welche sich die Abrechnung stützt, ist wiederum dem von der Klägerin zu 2.) eingeführten System geschuldet und kein Argument für eine abhängige Beschäftigung.


Die oben beschriebene Gesamtabwägung hat neben der genauen Art und Weise der Ausübung der Tätigkeit und der Art der Tätigkeit an sich auch die jeweiligen (gesetzlichen) Hintergründe zu berücksichtigen. Insoweit sind standardisierte Argumente, wie sie in den Bescheiden der Beklagten häufig vorkommen, nicht hilfreich. Der vorliegende Fall zeigt deutlich, dass aufgrund der gegebenen konkreten Umstände eine andere Einschätzung vorzunehmen ist, als die Standardargumente der Beklagten zeigen.

Im Ergebnis steht für das Gericht unter Abwägung der Indizien dieses Einzelfalls fest, dass der Kläger zu 1.) seine Tätigkeit für die Klägerin zu 2.) ab dem 08.01.2014 im Rahmen einer selbständigen Tätigkeit ausübt und nicht der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Renten- , Kranken- und Pflegeversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung unterliegt.


Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183 Satz 1, 193 SGG und orientiert sich am Ergebnis der Hauptsache. Da die Beigeladenen keine Anträge gestellt und damit kein Kostenrisiko auf sich genommen haben, entspricht es der Billigkeit, dass sie ihre Kosten selbst tragen.

 

Rechtskraft
Aus
Saved