§ 204 Abs. 4 a S. 4 SGB V schließt einen Nachweis der tatsächlichen Einnahmen nach Ablauf dort bestimmten Frist im noch laufenden Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren nicht aus.
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom
3. April 2023 wird zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerinnen haben die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers im Beschwerdeverfahren zu erstatten.
Gründe
I.
Der Antragsteller ist als Selbstständiger bei der Antragsgegnerin zu 1 (nachfolgend nur noch: „die Antragsgegnerin“) freiwillig gesetzlich krankenversichert.
Die Antragsgegnerin setzte mit Bescheid vom 19. Dezember 2018 die Beiträge zur Kranken- und zur Pflegeversicherung für die Zeit ab 1. Januar 2019 auf monatlich insgesamt 214,92 € vorläufig fest. Das Schreiben enthält den Hinweis, dass nach Erhalt des Einkommensteuerbescheids die Beiträge anhand des tatsächlichen Einkommens rückwirkend für das entsprechende Jahr neu berechnet würden. Mit Schreiben vom 11. November 2021 unter dem Betreff „Bitte denken Sie an Ihren Einkommensteuer-Bescheid“ schrieb die Antragsgegnerin den Antragsteller an, noch eine Kopie aller Seiten des Einkommensteuerbescheides für 2019 zu benötigen. Ein weiteres Aufforderungsschreiben folgte am 20. September 2022. Der Antragssteller solle möglichst schnell antworten, damit ihm keine finanziellen Nachteile entstünden. Ein fast identisches Schreiben verfasste sie unter dem Datum 13. Oktober 2022.
Mit weiterem Aufforderungsschreiben vom 15. November 2022 „Bitte denken Sie an Ihren Einkommensteuer-Bescheid“ forderte sie ihn erneut zur Einreichung der Kopien auf. Falls der Antragsteller keine Steuererklärung abzugeben habe oder das Finanzamt sie noch bearbeite, brauche sie eine schriftliche Bestätigung des Finanzamtes. Die vollständigen Unterlagen würden bis zum 31. Dezember 2022 benötigt, sonst müsse sie die monatlichen Beiträge anhand der geltenden Beitragsbemessungsgrenze 2019 von 4.537,50 € endgültig festsetzen. Sei das Einkommen tatsächlich geringer, könne dies dann rückwirkend nicht mehr berücksichtigt werden. Das Schreiben enthielt ferner einen Link, um Unterlagen online einreichen zu können. Über diesen Link lud der Antragsteller am 21. Dezember 2022 eine „Anzeige der Bescheiddaten“ des Finanzamtes vor. Darin heißt es, die Werte entsprächen denen des Bescheides, der in den nächsten Tagen bekannt gegeben werde. Sie dienten zum Abgleich mit der erstellten Steuerberechnung. Als „Ihre Nachricht an die TK“ fügte er den Satz hinzu „In elektronischer Form liegt mir lediglich dieses Dokument vor. Bei weiteren Unklarheiten oder Fragen kontaktieren Sie mich bitte per E-Mail @x.de“.
Die Antragsgegnerin antwortete mit Schreiben vom 22. Dezember 2022, dessen Zugang der Antragsteller bestreitet, bei den eingereichten Unterlagen handele es sich (nur) um die am 28. Mai 2022 an das Finanzamt übermittelten Daten zur Ermittlung der Einkommensteuer. Sie benötige jedoch alle Seiten des Einkommensteuerbescheides. Erneut wies sie darauf hin, die vollständigen Unterlagen bis zum 31. Dezember 2022 zu benötigen, damit die Beiträge nicht endgültig anhand der geltenden Beitrags-Bemessungsgrenze festgesetzt werden müssten.
Mit Beitragsbescheid vom 21. Februar 2023 setzte die Antragsgegnerin auch im Namen der Antragsgegnerin zu 2) die Beiträge für das Jahr 2019 endgültig auf insgesamt monatlich 816,75 € fest, so dass sich ein Rückstand von 7.558,20 € ergebe. Mangels eingereichter Unterlagen seien sie nach § 240 Abs. 4a Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V), § 6a Abs. 2 S. 6 Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler und § 57 Abs. 4 S. 1 SGB Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) festzusetzen.
Hiergegen erhob der Antragsteller am 2. März 2023 Widerspruch und reichte eine Kopie des Einkommensteuerbescheides für 2019 des Finanzamtes Eberswalde vom 11. Juni 2020 ein. Er wies darauf hin, dass die Daten des Steuerbescheides mit den bereits am 21. Dezember 2022 übermittelten „Bescheiddaten“ für 2019 übereinstimmten. Er sei sich sicher gewesen, den Steuerbescheid für das Jahr 2019 bereits im Folgejahr eingereicht zu haben. Da ihn trotz Bitte um Nachfrage per E-Mail kein weiteres Schreiben der Antragsgegnerin per E-Mail oder Post erreicht habe, sei er davon ausgegangen, dass der Sachverhalt geklärt sei.
Am 14. März 2023 hat der Antragsteller beim Sozialgericht Berlin (SG) einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt und die Aussetzung der Zahlungsfrist beantragt. Die Antragsgegnerin hat vorgebracht, bei der Dreijahresfrist des §§ 240 Abs. 4a S. 4 SGB V handele es sich um eine materiell-rechtliche Ausschlussfrist. Nach Fristablauf trete die gesetzlich geregelte Rechtsfolge in Gestalt der endgültigen Beitragsfestsetzung auf Grundlage der Beitragsbemessungsgrenze ein.
Mit Beschluss vom 3. April 2023 hat das SG die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den endgültigen Beitragsbescheid vom
21. Februar 2023 angeordnet. Es überwiege hier das Interesse an der ausnahmsweisen Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruches, weil sich der Beitragsbescheid bei summarischer Prüfung als rechtswidrig darstelle. Es sei bereits fraglich, ob es sich bei § 240 Abs. 4a SGB V um eine auch gegenüber den später in Kraft getretenen § 240 Abs. 1 S. 3 und 4 SGB V speziellere Vorschrift handele, mit denen unter anderem Beitragsrückstände bereinigt, Selbstständige mit geringem Einkommen entlastet und Beitragsschuldner verhindert werden sollten. Die Antragsgegnerin habe jedenfalls die im Widerspruchsverfahren eingereichten Einkommensnachweise noch zu berücksichtigen. Abzustellen sei auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung (Bezugnahme auf LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 20. August 2018 – L 1 KR 215/18 B ER, Juris-Rn. 43 unter Verweis auf Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 30. März 2011 – B 12 KR 18/09 R). Dass § 240 Abs. 4a S. 4 SGB V eine Präklusionswirkung entfalte, sei nicht anzunehmen. Im Übrigen setze eine solche präkludierende Fristenregelung eine deutliche Hinweispflicht der Krankenkasse voraus. Die Warnung hier sei nicht hinreichend bestimmt formuliert und demnach nicht erfolgt.
Diese Entscheidung ist den Antragsgegnerinnen am 3. April 2023 zugegangen.
Am 20. April 2023 haben sie auf elektronischem Wege unter dem Betreff „Leistungsrechtsstreit“ (mutmaßlich) den Verwaltungsvorgang in elektronischer Form beim hiesigen Gericht eingereicht. Der Prüfvermerk und die Anlage sind an das SG weitergeleitet worden zum erstinstanzlichen Aktenzeichen. Das SG hat die Antragsgegnerinnen hierüber informiert, die daraufhin mit Faxschreiben vom 25. April 2023 gegen den Beschluss des SG vom 3. April 2023 Beschwerde eingelegt haben.
Auf einen Hinweis des Senates hin, haben sie am 28. April 2023 in elektronischer Form (erneut) den Verwaltungsvorgang eingereicht.
Dessen laufende Nr. 2 „KA150620: Beschwerde, Landessozialgericht Berlin-Brandenburg-Beschwerde“ mit DokumentID_6694756101_1-2.pdf vom 25. April 2023 enthält den Beschwerdeschriftsatz mit diesem Datum in elektronischer Form. Sie haben mitgeteilt, dass die Beschwerde bereits am 20. April 2023 per ERV übermittelt worden sei. Fehlermeldungen hätten sie nicht erhalten.
Sie haben unter dem 5. Mai 2023 den Beschwerdeschriftsatz in elektronischer Form als Schriftsatz eingereicht. Zur Begründung führen sie aus, dass es sich bei der Dreijahresfrist des § 240 Abs. 4a S. 4 SGB V um eine materiell-rechtliche Ausschlussfrist handele. Die Hinweisschreiben vom 15. November 2022 und vom
22. Dezember 2022 seien nicht vage, sondern wiesen ausdrücklich darauf hin, dass die Beiträge anhand der Beitragsbemessungsgrenze berechnet werden müssten, sollte der Einkommensteuerbescheid nicht bis zum 31. Dezember 2022 vorliegen.
Die Antragsgegnerinnen beantragen,
den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 3. April 2023 aufzuheben und den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung abzulehnen.
II.
Der Senat geht davon aus, dass sich der Antrag von Anfang auch gegen die Antragsgegnerin zu 2 gerichtet hat und richtet, denn das Begehren ist auch darauf gerichtet, die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs zu erreichen, soweit im streitgegenständlichen Beitragsbescheid Beiträge zur Pflegeversicherung festgesetzt werden.
Er lässt Bedenken gegen die Zulässigkeit der Beschwerde dahinstehen, die sich dadurch ergeben, dass die Antragsgegnerinnen die Beschwerdeschrift als bestimmenden Schriftsatz in der nach §§ 173 S. 1 und 2, 65a Abs. 1, 65d S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) geforderten Form eines entsprechend elektronisch übermittelten Dokuments erst am 5. Mai 2023 (Freitag) und damit nicht innerhalb eines Monats nach § 173 S. 1 SGG eingereicht haben. Denn einen Beschwerdeschriftsatz hat das LSG in formgerechter Form als elektronisches Dokument als Teil der Übermittlung des Verwaltungsvorgangs bereits am 20. April 2023 erreicht.
Ob es allgemein ausreicht, statt eines bestimmenden Schriftsatzes an das Gericht die Beschwerdeschrift versteckt als Teil der elektronischen Verwaltungsakte einzureichen, braucht dabei nicht entschieden zu werden. Denn hier kann bereits der Mitteilung im Schriftsatz vom 28. April 2023, die Beschwerde bereits am 20. April formgerecht eingereicht zu haben, der Wille zur Beschwerdeeinreichung entnommen werden. Der Hinweis gab zusammen mit der gleichzeitigen Übermittlung der Verwaltungsakte zudem Anlass, diese auf einen in ihr enthaltenen Beschwerdeschriftsatz durchzusehen.
Die Beschwerde gegen den Beschluss des SG vom 3. April 2023 hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Mit Recht und mit zutreffender Begründung hat das SG die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Beitragsbescheid der Antragsgegnerin vom 21. Februar 2023 angeordnet. Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt keine andere Entscheidung.
Nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Der Widerspruch gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 21. Februar 2023 hat nach § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG keine aufschiebende Wirkung, weil in dem Bescheid Beiträge festgesetzt werden. Anzuordnen ist die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs in den Fällen des § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG jedenfalls dann, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheides bestehen (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. z. B. Beschluss vom 20. August 2018 - L 1 KR 215/18 B ER -, juris-Rdnr. 32, vom 23. Oktober 2017 - L 1 KR 421/17 B ER). Dies ergibt sich aus einem Vergleich mit der Vorschrift des § 86a Abs. 3 Satz 2 SGG. Im Übrigen gibt der Gesetzgeber in § 86b Abs. 1 SGG nicht ausdrücklich vor, nach welchen Maßstäben über die Aussetzung einer sofortigen Vollziehung zu entscheiden ist. Hat der Gesetzgeber aber - wie es § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG voraussetzt - an anderer Stelle bereits grundsätzlich die sofortige Vollziehbarkeit einer Verwaltungsentscheidung angeordnet, nimmt er damit in Kauf, dass eine angefochtene Entscheidung wirksam bleibt, obwohl über ihre Rechtmäßigkeit noch nicht abschließend entschieden worden ist. Von diesem Grundsatz ermöglicht § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG eine Ausnahme. Zumindest in den Fällen einer offensichtlichen Rechtswidrigkeit ist die Vollziehbarkeit auszusetzen, weil dann kein öffentliches Interesse an einer Vollziehung erkennbar ist. Unterbleiben muss die Aussetzung dagegen, wenn der eingelegte Rechtsbehelf offensichtlich aussichtslos ist. Hier gibt es keine Veranlassung, von dem vom Gesetzgeber für richtig gehaltenen Grundsatz abzuweichen. In den übrigen Fällen, in denen die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung nicht klar erkennbar ist, kommt es auf eine Interessenabwägung an (BT-Drs 11/3480, S. 54). Je geringer die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs sind, desto mehr muss für den Betroffenen auf dem Spiel stehen, damit trotz bloßer Zweifel an der Rechtmäßigkeit einer angefochtenen Maßnahme entgegen der grundsätzlichen Entscheidung des Gesetzgebers die aufschiebende Wirkung angeordnet werden kann (vgl. zum ganzen Keller in Meyer-Ladewig, SGG, 13. Aufl. 2020, § 86b Rdnr. 12e ff mit weit. Nachw.). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) ist allerdings ganz allgemein für die sofortige Vollziehung eines Verwaltungsakts immer ein besonderes öffentliches Interesse erforderlich, das über jenes Interesse hinausgeht, das den Verwaltungsakt selbst rechtfertigt. Der Rechtsschutzanspruch des Bürgers ist dabei umso stärker und darf umso weniger zurückstehen, je schwerwiegender die dem Einzelnen auferlegte Belastung ist und je mehr die Maßnahmen der Verwaltung Unabänderliches bewirken. Geltung und Inhalt dieser Leitlinien sind nicht davon abhängig, ob der Sofortvollzug eines Verwaltungsakts einer gesetzlichen oder einer behördlichen Anordnung entspringt (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 10. April 2001 – 1 BvR 1577/00 –, juris-Rdnr. 13 mit Bezugnahme auf BVerfGE 69, 220, 228 f).
Bei Beachtung dieser Maßstäbe hat der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung Erfolg. Das SG hat in dem mit der Beschwerde angegriffenen Beschluss zutreffend dargelegt, dass nach dem derzeitigen Sachstand der Widerspruch gute Erfolgsaussichten hat, weil sich der angegriffene Beitragsbescheid als rechtswidrig zeigt, soweit die Beiträge nach der Beitragsbemessungsgrenze festgesetzt sind.
Der Senat teilt die Auffassung des SG, dass der Antragsteller die Kopie des Einkommensteuerbescheides für 2019 ungeachtet des zum Jahresende 2022 abgelaufenen Dreijahreszeitrum noch im Rahmen des Widerspruchsvorbringens einreichen konnte (im Ergebnis a. A.: LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 4. April 2023 – L 5 KR 76/22 B ER – juris). Nach allgemeinen Grundsätzen ist bei
(Teil-)Anfechtungsbegehren wie hier die Sach- und Rechtslage der letzten behördlichen Entscheidung maßgeblich. Letzte behördliche Entscheidung ist regelmäßig und auch vorliegend der Widerspruchsbescheid. Denn die Widerspruchsbehörde prüft den angefochtenen Verwaltungsakt im Hinblick auf seine Recht- und Zweckmäßigkeit in vollem Umfang und hat neues Vorbringen zu berücksichtigen (vgl. Claus in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl., § 85 SGG, Rn. 27). Anderes kann sich nur aus dem materiellen Recht ergeben. (Nur) dann ist für die Anwendung der „Faustregel“ der Relevanz der letzten Behördenentscheidung bei Anfechtungsbegehren kein Raum (vgl. BSG, Urteil vom 28. November 2018 – B 4 AS 43/17 R, Rn. 16 mit weiteren Nachweisen).
§ 240 Abs. 4a S. 4 SGB V („Weist das Mitglied seine tatsächlichen Einnahmen auf Verlangen der Krankenkasse nicht innerhalb von drei Jahren nach Ablauf des jeweiligen Kalenderjahres nach, gilt für die endgültige Beitragsfestsetzung nach Satz 3 als beitragspflichtige Einnahme für den Kalendertag der 30. Teil der monatlichen Beitragsbemessungsgrenze.“) enthält keinen zwingenden Ausschluss der Zugrundelegung der tatsächlichen Einnahmen nach Ablauf der Dreijahresfrist. Geregelt ist nur, dass nach einem entsprechenden Nachweisverlangen und Fristablauf die Beiträge für das betreffende Jahr endgültig nach der Beitragsbemessungsgrenze festzusetzen sind.
Ein Ausschluss der Zugrundelegung der tatsächlichen Einnahmen trotz Nachweises im neuen Jahr noch vor Erlass des Beitragsbescheides oder spätestens im Widerspruchsverfahren hätte ausdrücklich geregelt werden müssen, da die Regelung eine ganz erhebliche Sanktionierung der Säumigkeit befiehlt. Die Norm nimmt dabei nach dem Wortlaut keine Rücksicht darauf, ob eine Obliegenheitsverletzung vorliegt, noch nicht einmal, ob der Nachweis überhaupt objektiv möglich ist (zur Normeinschränkung aus diesem Grund: Padé in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl., § 240 SGB V Rn. 72). Unmögliches darf nicht verlangt werden.
Auch den Gesetzesmaterialien (BT-Drucksache 18/11205 S. 73) lässt sich nicht entnehmen, dass der Gesetzgeber bewusst eine faktische Nachfrist durch Einreichung noch nach Jahresende im noch laufenden Verwaltungs- oder Widerspruchsverfahren ausschließen wollte. Dort wird lediglich der Norminhalt wiederholt, wonach die endgültige Beitragsfestsetzung entsprechend erfolge, wenn die tatsächlichen Einnahmen nicht innerhalb von drei Jahren nach Ablauf des jeweiligen Jahres nachgewiesen würden. Diese endgültige Festsetzung gelte nur für das betreffende Kalenderjahr.
Im vorliegenden Fall führte jedoch auch eine andere Auffassung zu keinem anderen Ergebnis. Dem Antragsteller stünde in diesem Fall nach der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren alleine möglichen summarischen Prüfung ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch darauf zu, so gestellt zu werden, als hätte er die Kopien noch im Jahr 2022 eingereicht.
Der Tatbestand dieses richterrechtlichen Rechtsinstituts setzt voraus, dass der Sozialleistungsträger aufgrund Gesetzes oder bestehenden Sozialrechtsverhältnisses eine dem Betroffenen gegenüber obliegende Pflicht, insbesondere zur Auskunft und Beratung (§§ 14, 15 Sozialgesetzbuch Erstes Buch -SGB I) verletzt und diesem dadurch einen rechtlichen Nachteil zugefügt hat. Auf der Rechtsfolgenseite muss durch die Vornahme einer Amtshandlung des Trägers ein Zustand hergestellt werden können, der bestehen würde, wenn die Pflichtverletzung nicht erfolgt wäre (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 27. Dezember 2016 – L 1 KR 315/15 –, juris-Rn. 31 mit Bezugnahme auf BSG, Urteil vom 27. Juni 2012 – B 12 KR 11/10 R – Rdnr. 29 mit weiteren Nachweisen, BSG, Urteil vom 22. März 2018 - B 5 RE 1/17 R).
Unter der Prämisse, dass § 240 Abs. 4a S. 4 SGB V eine Berücksichtigung der tatsächlichen Einnahmen nach Verlangen der Krankenkasse und Ablauf der Dreijahresfrist ausschließt, besteht aufgrund der einschneidenden rechtlichen Folge ein erheblicher Beratungsbedarf. Im konkreten Fall hat sich die Antragsgegnerin deshalb richtigerweise auf das Hochladen der Bescheid-Daten für 2019 am 21. Dezember 2022 veranlasst gesehen, den Antragsteller auf die weiterhin erforderliche Einreichung des Steuerbescheides selbst hinzuweisen. Der Antragsteller hat allerdings bestritten, das betreffende Schreiben vom 22. Dezember 2022 erhalten zu haben. Er hatte zudem die Antragsgegnerin ausdrücklich gebeten, mit ihm per E-Mail zu korrespondieren. Diese Bitte ist missachtet geworden, so dass nicht davon ausgegangen werden kann, dass der als Anlassberatung erforderliche Hinweis erfolgt ist. Dadurch hat der Antragsteller – weil er nach seinem Vorbringen davon ausging, alles Erforderliche ausgeführt zu haben – versäumt, die Kopie noch rechtzeitig 2022 einzureichen. Nach obiger Unterstellung ist ihm der Nachteil entstanden, dass die Beiträge für 2019 endgültig nicht aufgrund der tatsächlichen Einnahmen bzw. nach der Mindestbemessungsgrenze, sondern nach § 240 Abs. 4a S. 4 SGB V nach der Beitragsbemessungsgrenze festzusetzen waren. Zur Heilung des Beratungsmangels hat die Antragsgegnerin den Beitragsbescheid abzuändern.
Von einer Beschränkung der Anordnung der aufschiebenden Wirkung auf die Beitragsfestsetzung, welche die vom Antragsteller geschuldeten Beiträge übersteigen, hat der Senat verzichtet, weil der Sachverhalt noch nicht ganz geklärt ist. So enthält der offenbar unvollständige Verwaltungsvorgang einen Bescheid vom 22. Oktober 2019, mit welchem unter anderem die Beiträge für die Zeit ab 1. Juni 2019 vorläufig auf insgesamt (nur noch) 186,90 € festgesetzt wurden. Auch ist ein verbleibender höherer Nachzahlungsbetrag nicht ersichtlich.
Die Kostenentscheidung ergeht entsprechend § 193 SGG und entspricht dem Ergebnis in der Sache.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden, § 177 SGG.