Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 3. November 2021 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten im Rahmen eines Statusfeststellungsverfahrens [§ 7a Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV)] über das Bestehen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses hinsichtlich der für den Kläger erbrachten Tätigkeit des Beigeladenen als Arzt.
Der 1957 geborene Beigeladene ist Facharzt für Innere Medizin, seit 1. Januar 2000 als Facharzt vertragsärztlich zugelassen und für eine konkret benannte Tätigkeit in den Städtischen Kliniken Darmstadt aufgrund Befreiungsbescheid vom 13. November 1989 von der Rentenversicherungspflicht gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI befreit; eine Befreiung für die hier streitige Tätigkeit liegt nicht vor. Der Beigeladene war in unterschiedlichen Zeiträumen zwischen Oktober 2015 und August 2019 (Bl. 250 der Gerichtsakte) für die Hessische Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge (HEAE) als Arzt tätig und übernahm hauptsächlich Aufgaben im Bereich der ambulanten Behandlung von Flüchtlingen, vereinzelt auch bei der Durchführung von Erstuntersuchungen bzw. der Beurteilung von Erstuntersuchungsbefunden und des Infektionsschutzes. Die Tätigkeit des Beigeladenen erfolgte auf der Grundlage eines als „Vereinbarung“ überschriebenen Vertrages vom 29. September 2015. Die Vereinbarung lautete wie folgt:
„§ 1 Vertragsgegenstand und Status des Vertragspartners
(1) Der Vertragspartner erbringt medizinische Dienstleistungen im Auftrag der HEAE im D-Straße, D-Stadt und in der Außenstelle in C-Stadt in freiberuflicher Tätigkeit im Bedarfsfälle. Er ist nicht in die Arbeitsorganisation der HEAE eingegliedert. Das Entgelt erfolgt fallbezogen. Die Dienstleistungen unterliegen nicht der Sozialversicherungspflicht (Arbeitslosen-, Kranken- und Rentenversicherung).
(2) Die nachfolgende Vereinbarung regelt für den Fall eines Einsatzes die Rahmenbedingungen.
(3) Der Vertragspartner legt als Nachweis über die Zulassung zur Berufsausübung eine Kopie der Approbationsurkunde vor.
§ 2 Leistungen des Vertragspartners während der vereinbarten Einsatzzeit
(1) Der Vertragspartner übernimmt die ambulante medizinische Versorgung für Ausländer, die in der HEAE untergebracht sind, im Rahmen der Vorgaben nach § 4 Asylbewerberleistungsgesetz (Anlage 1). Dazu gehört
• die Behandlung von Krankheiten, gesundheitlichen Beeinträchtigungen und Verletzungen, soweit dies ambulant möglich ist,
• Anordnung von Überweisungen an Fachärzte bzw. Einweisungen in Kliniken
• Dokumentation aller ärztlichen Leistungen (in der Patientendatei der HEAE) unter Beachtung des Datenschutzes.
(2) Er übernimmt zudem Aufgaben, die sich maßgeblich aus den § 62 Asylverfahrensgesetz sowie § 36 Infektionsschutzgesetz und der dazu jeweils getroffenen Erlassregelungen des Hess. Ministeriums für Arbeit, Familie und Gesundheit (zurzeit Erlass vom 04.02.2009, Az.: IV 6 A 58a 0101-0002/2008/001 -StAnz. 2009 S. 544 - Anlage 2) zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten ergeben. Die Erstuntersuchung beinhaltet gemäß beigefügtem Erlass über die ärztliche Untersuchung von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern und anderen Personen nach Einreise in Hessen vom 04.02.2009 (siehe Anlage 2)
1. Aufnahme und Dokumentation der bestehenden Medikation
2. Rezeptur der notwendigen Medikation
3. Anamnese, Diagnostik und Dokumentation einer akut beklagten Erkrankung. Während der Erstuntersuchung erbrachte Ambulanzleistungen werden nicht zusätzlich vergütet. Ausgenommen von der Erstuntersuchung sind die Röntgenuntersuchungen. Erforderlichenfalls hat der Vertragspartner alle erforderlichen Maßnahmen nach dem Infektionsschutzgesetz einzuleiten.
(3) Der Vertragspartner führt die vertraglichen Leistungen zeitlich nach Vereinbarung durch.
(4) Ein Not- oder Bereitschaftsdienst des Vertragspartners außerhalb der vereinbarten Präsenzzeiten ist nicht vorgesehen.
§ 3 Leistungen der HEAE
(1) Die HEAE stellt dem Vertragspartner adäquate Räumlichkeiten, Geräte, Inventar, Verbandsstoffe u.ä.; sowie Medikamente und Impfstoffe zur Durchführung medizinischer Untersuchungen und der medizinischen Versorgung kostenfrei bereit.
(2) Die HEAE trägt neben den Mietkosten für die Räume auch die Kosten der Instandhaltung, der Energieversorgung und der Müllentsorgung sowie der Reinigung.
(3) Ebenso stellt die HEAE Hilfspersonal zur Vor- und Nachbereitung sowie zur Durchführung der Sprechstunden.
(4) Die HEAE besorgt nach Ausstellen einer ärztlichen Verordnung durch den Vertragspartner nicht vorrätige notwendige Medikamente und Verbandsmittel zur Behandlung von Patienten.
(5) Die HEAE übernimmt eventuell entstehende Kosten für zusätzliche externe ärztliche oder technische Untersuchungs- und Behandlungsleistungen (z.B. Röntgen).
§ 4 Entgelt und Abrechnung
(1) Zur Vereinfachung der Abrechnung werden Fallpauschalen für die Erstuntersuchung sowie ambulante Beratungen und Behandlungen vereinbart, die sich an den Gebührensätzen der GOÄ orientieren. Diese sind auch erforderlich, um die Kosten einzelnen Patienten zur Abrechnung mit anderen Kostenträgern zuordnen zu können. Für die Gestellung der Praxisinfrastruktur durch die HEAE sind die nachfolgenden Beträge bereits um 25 % gemindert.
Erstuntersuchung mit Ausstellung der ärztlichen Bescheinigung: 11,37 €.
Fallpauschale pro ambulanter Beratung/Behandlung: 15,34 €.
Für beratende Tätigkeiten für die Dienststellenleitung, Stundensatz 50,00 €.
(2) Für die Abrechnung der Erstuntersuchungen stellt die HEAE dem Vertragspartner Listen mit den erforderlichen Angaben zur Verfügung.
(3) Für die Abrechnung der ambulanten Leistungen versieht die HEAE den Vordruck (Anlage 3) mit dem Behandlungsdatum und Aufklebern der behandelten Patienten, den der Vertragspartner seiner Rechnung beifügt.
(4) Die Abrechnung und Zahlung der vereinbarten Vergütung erfolgt unverzüglich nach Rechnungseingang.
§ 5 Haftung
Der Vertragspartner haftet für Schäden, die durch ihr/sein vorsätzliches Verhalten der HEAE oder Dritten entstanden sind. Die HEAE stellt den Vertragspartner für fahrlässig verursachte Schäden frei, soweit diese nicht durch ein privates Versicherungsverhältnis abgedeckt sind.
§ 6 Datenschutz und Schweigepflicht
Der Vertragspartner verpflichtet sich, über alle Angelegenheiten, die ihm im Rahmen seiner Tätigkeit für die HEAE zur Kenntnis kommen, Stillschweigen zu bewahren. Insbesondere ist er nicht berechtigt, Auskünfte an die Medien (Presse, Rundfunk, Fernsehen) ohne vorherige ausdrückliche Zustimmung der Dienststellenleiterin der HEAE zu erteilen. Weiterhin sichert er einen den gesetzlichen Bestimmungen entsprechenden Datenschutz für die bei sich oder Dritten in seinem Auftrag gespeicherten Daten zu.
§ 7 Vertragsdauer, Nebenabreden, Salvatorische Klausel
(1) Da die Einsätze zeitlich befristet erfolgen und diese Vereinbarung nur die gegenseitigen Verpflichtungen während der Einsatzzeiten regeln, bedarf es bei Nichtinanspruchnahme des Vertragspartners durch die HEAE keiner Kündigung. (2) Nebenabreden sowie Änderungen oder Ergänzungen dieses Vertrages bedürfen der Schriftform.
(3) Sollte eine Bestimmung dieses Vertrages unwirksam oder unzulässig sein, wird dadurch die Wirksamkeit der übrigen Bestimmungen nicht beeinträchtigt. Anstelle der unwirksamen oder unzulässigen Bestimmung gelten die gesetzlichen Vorschriften. “
In der Folgevereinbarung vom 28. Dezember 2015 war unter § 3 („Entgelt und Abrechnung“) geregelt:
(1) Zur Vereinfachung der Abrechnung wird für die Erbringung der in § 2 genannten ärztlichen Leistungen ein Stundensatz in Höhe 75,00 € vereinbart. Die Abrechnung erfolgt bei Nichtableistung einer vollen Stunde entsprechend prozentual anteilig.
(2) Für die Abrechnung der Leistungen stellt die HEAE der Vertragspartnerin Listen mit den erforderlichen Angaben zur Verfügung.
(3) Die Abrechnung und Zahlung der vereinbarten Vergütung erfolgt unverzüglich nach Rechnungseingang.
Eine weitere Folgevereinbarung schlossen der Kläger und der Beigeladene am 4. Juli 2016 (Bl. 53 der Verwaltungsakte).
Die HEAE wurde nach dem Erlass des Hessischen Ministeriums des Innern und für Sport vom 30. September 2016 mit Wirkung zum 18. November 2016 als selbstständige Behörde im nachgeordneten Bereich des Regierungspräsidiums Gießen aufgelöst und mit ihrem Aufgabenbestand als Abteilung VII „Flüchtlingsangelegenheiten, Erstaufnahmeeinrichtung und Integration" in das Regierungspräsidium Gießen eingegliedert. Rechte und Pflichten aus der Vereinbarung mit der HEAE sind ab dem 18. November 2016 auf das Regierungspräsidium Gießen übergegangen. Im Zusammenhang mit der hier streitigen Tätigkeit des Beigeladenen wurden keine Behandlungsscheine im Sinne des § 4 Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG) ausgegeben (Bl. 250 der Gerichtsakte).
Am 11. November 2016 (Eingangsdatum) stellte der Kläger bei der Beklagten einen Antrag auf Feststellung des sozialversicherungsrechtlichen Status im Hinblick auf die Tätigkeit des Beigeladenen. Der Kläger trug unter anderem vor, dass der Beigeladene frei habe entscheiden können, ob er tätig werden wolle oder nicht. Hinsichtlich Zeit, Ort und Inhalt seiner Tätigkeit habe er keinen Weisungen des Landes Hessen unterlegen. Die Ärzte hätten entweder mitgeteilt, an welchem Tag und in welchem zeitlichen Umfang sie für die HEAE tätig werden können und wollen oder sie seien bei Bedarf entsprechend angefragt worden. Der Beigeladene habe seine Einsatzzeiten selbst bestimmen können. Bei der Erstellung des Einsatzplanes habe sich der Kläger an den von dem Beigeladenen genannten Einsatzzeiten orientiert. Wenn der Einsatz im Einsatzplan erschienen sei, sei dies auf seinen ausdrücklichen Wunsch erfolgt; der Einsatzplan sei nicht verpflichtend gewesen.
Nach Anhörung mit Schreiben vom 11. Januar 2017 stellte die Beklagte mit Bescheiden vom 28. Februar 2017 sowohl über dem Kläger als auch gegenüber dem Beigeladenen fest, dass die Tätigkeit des Beigeladenen als Arzt im Bereich der ambulanten medizinischen Versorgung für Ausländer, Erstuntersuchungen und Infektionsschutz bei der HEAE seit 1. Oktober 2015 im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt werde. In dem Beschäftigungsverhältnis bestehe Versicherungspflicht in der Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung. Die Versicherungspflicht beginne am 1. Oktober 2015. In der Krankenversicherung bestehe keine Versicherungspflicht, das Versicherungsverhältnis in der sozialen Pflegeversicherung entspreche gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) dem Versicherungsverhältnis der Gesetzlichen Krankenversicherung. Die zu beurteilende Tätigkeit bestehe darin, die Erstuntersuchung sowie die ambulante medizinische Versorgung für Asylbewerber durchzuführen. Für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis spreche, dass die Leistungen persönlich zu erbringen sei, der Auftragnehmer hinsichtlich des Tätigkeitsortes gebunden sei, da er auf die Nutzung der am Sitz der Erstaufnahmeeinrichtung zur Verfügung stehenden Infrastruktur für die medizinische Versorgung (z.B. Behandlungs- und Praxisräume) angewiesen gewesen sei und die Koordination der Einsätze durch den Medizinischen Dienst der HEAE erfolgt sei. Ferner seien die Arbeitszeiten verbindlich in einem Dienstplan festgelegt und die Anwesenheit kontrolliert worden. Die zu untersuchenden Flüchtlinge und Asylsuchenden seien durch das Personal der HEAE zugewiesen worden. Am Einsatzort sei eine Zusammenarbeit mit dem Personal (z.B. medizinische Fachangestellte, Krankenpfleger und -schwestern, ggf. Sprachvermittler) erfolgt. Auch habe gegenüber dem medizinischen Personal ein fachliches Weisungsrecht bestanden. Festangestellte Ärzte seien im gleichen Aufgabengebiet beschäftigt worden. Bei Abwesenheit oder Verhinderung habe der Auftraggeber eine Ersatzkraft organisiert. Das fachliche Letztentscheidungsrecht habe der leitende Arzt der HEAE gehabt. Die Dokumentation der durchgeführten Untersuchungen und Behandlungen sei auf dem vorgegebenen Dokumentationsbogen erfolgt. Die Teilnahme an Dienstbesprechungen sei in Form eines morgendlichen Briefings erfolgt, welches medizinische und organisatorische Inhalte zum Gegenstand gehabt habe. Die Tätigkeit sei mit einer festen Stundenpauschale vergütet worden. Die benötigten Arbeitsmittel und Verbrauchsmaterialien seien zur Verfügung gestellt worden. Ein Einsatz eigener Betriebsmittel im erheblichen Umfang sei nicht erfolgt. Die Haftung für fahrlässig verursachte Schäden habe beim Auftraggeber gelegen. Ein unternehmerisches Risiko oder eine unternehmerische Chance habe in der Ausübung der Tätigkeit nicht bestanden. Die Tätigkeit sei in einer fremdbestimmten Arbeitsorganisation ausgeübt worden. Demgegenüber spräche für eine selbstständige Tätigkeit, dass der Beigeladene zu 1 Aufträge habe ablehnen können und dass er teilweise eigene Betriebsmittel genutzt habe. Nach Gesamtwürdigung aller der zur Beurteilung der Tätigkeit relevanten Tatsachen überwögen die Merkmale für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis. Den gegen den Bescheid vom 28. Februar 2017 erhobenen Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 11. April 2018 zurück.
Hiergegen hat der Kläger am 26. April 2018 Klage zum Sozialgericht Gießen erhoben.
Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 7. August 2018 den Arzt A. nach §§ 75 Abs. 2 Alternative 1, 106 Abs. 3 Nr. 6 Sozialgerichtsgesetz (SGG) notwendig zum Verfahren beigeladen.
Mit Bescheid vom 16. November 2018 (Bl. 101 ff. der Gerichtsakte) hat die Beklagte den Bescheid vom 28. Februar 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. April 2018 hinsichtlich der festgestellten Tätigkeitszeiträume abgeändert. Die Beklagte hat nunmehr festgestellt, dass in der von dem Beigeladenen vom 1. Oktober 2015 bis 2. Oktober 2015, vom 6. Oktober 2015 bis 7. Oktober 2015, am 9. Oktober 2015, vom 14. Oktober 2015 bis 15. Oktober 2015, vom 21. Oktober 2015 bis 22. Oktober 2015, vom 4. November 2015 bis 5. November 2015, vom 12. November 2015 bis 13. November 2015, am 19. November 2015, am 10. Dezember 2015, vom 16. Dezember 2015 bis 18. Dezember 2015, am 23. Dezember 2015, am 28. Dezember 2015, am 30. Dezember 2015, vom 5. Januar 2016 bis 7. Januar 2016, vom 13. Januar 2016 bis 15. Januar 2016, vom 20. Januar 2016 bis 21. Januar 2016, am 26. Januar 2016, vom 28. Januar 2016 bis 29. Januar 2016, vom 4. Februar 2016 bis 5. Februar 2016, vom 10. Februar 2016 bis 12. Februar 2016, vom 17. Februar 2016 bis 18. Februar 2016, am 24. Februar 2016, am 26. Februar 2016, am 2. März 2016, am 4. März 2016, am 9. März 2016, am 11. März 2016, am 16. März 2016, am 23. Juli 2016, am 17. August 2016, am 24. August 2016, am 31. August 2016, am 7. September 2016, am 14. September 2016, am 21. September 2016, am 28. September 2016, am 12. Oktober 2016, am 19. Oktober 2016, am 21. Oktober 2016, am 26. Oktober 2016, vom 2. November 2016 bis 4. November 2016, am 9. November 2016, am 16. November 2016, am 28. November 2016, am 30. November 2016, am 14. Dezember 2016, am 18. Januar 2017, am 25. Januar 2017, am 8. Februar 2017, am 22. Februar 2017, am 8. März 2017, am 22. März 2017, am 29. März 2017, am 5. April 2017, am 12. April 2017, am 15. April 2017, am 17. April 2017, am 19. April 2017, am 26. April 2017, am 3. Mai 2017, am 10. Mai 2017, am 17. Mai 2017, am 24. Mai 2017, am 31. Mai 2017, am 7. Juni 2017, am 14. Juni 2017, am 21. Juni 2017, am 28. Juni 2017, am 5. Juli 2017, am 2. August 2017, am 9. August 2017, am 16. August 2017, am 23. August 2017, am 30. August 2017, am 6. September 2017, am 13. September 2017, am 20. September 2017, am 27. September 2017, am 4. Oktober 2017, am 11. Oktober 2017, am 18. Oktober 2017, am 25. Oktober 2017, am 1. November 2017, am 8. November 2017, am 22. November 2017, am 29. November 2017, am 6. Dezember 2017, am 13. Dezember 2017, am 20. Dezember 2017, am 10. Januar 2018, am 17. Januar 2018, am 22. Januar 2018, am 29. Januar 2018, am 7. Februar 2018, am 14. Februar 2018, am 21. Februar 2018, am 28. Februar 2018, am 21. März 2018, am 28. März 2018, am 4. April 2018, am 11. April 2018, am 18. April 2018, am 25. April 2018, am 2. Mai 2018, am 9. Mai 2018, am 16. Mai 2018, am 23. Mai 2018, am 30. Mai 2018, am 6. Juni 2018, am 20. Juni 2018, am 27. Juni 2018, am 4. Juli 2018, am 11. Juli 2017, am 18. Juli 2018, am 25. Juli 2018, am 1. August 2018, am 8. August 2018, am 15. August 2018 und seit dem 22. August 2018 ausgeübten Beschäftigung im Bereich der ambulanten medizinischen Versorgung für Ausländer, Erstuntersuchung und Infektionsschutzgesetz bei der HEAE Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung bestehe.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, dass im Falle des Beigeladenen kein Beschäftigungsverhältnis im Sinne von § 7 Abs. 1 SGB IV vorliege. In den Verträgen vom 29. September 2015, vom 28. Dezember 2015 und vom 4. Juli 2016 habe der Beigeladene keine Pflichten übernommen, wie sie für ein Arbeitsverhältnis typisch seien. Die Verträge bestätigten ausdrücklich, dass der Beigeladene in Ausübung seiner ärztlichen Tätigkeit keinerlei Weisungen der Dienststelle bzw. des Vertragspartners unterlegen habe. Der Beigeladene sei eigenverantwortlich als Arzt tätig gewesen und verpflichtet gewesen die Maßgaben des ärztlichen Standards gemäß § 630a Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) anzuwenden. Der Beigeladene habe während seiner Einsatzzeiten allgemeinmedizinische, internistische Leistungen erbracht, so wie dies selbstständige Vertragsärztinnen und Vertragsärzte gemäß dem Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) täglich auch täten. Die Vergütung des Beigeladenen habe sich nach Fallpauschalen gerichtet, also danach, in welchem Umfang tatsächlich Leistungen erbracht wurden. Insofern habe der Beigeladene auch ein Unternehmerrisiko getragen. Der Beigeladene habe im Jahr 2015 und in den Folgejahren nur einzelne Einsätze übernommen. Sowohl im Jahr 2015 als auch in den Jahren 2016 und 2017 habe der Beigeladene an deutlich weniger als 70 Arbeitstagen Dienste übernommen. Es liege damit eine kurzfristige Tätigkeit im Sinne des § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV bzw. § 115 SGB IV vor. Jeder Einsatz sei befristet gewesen. Es habe weder eine regelmäßige Tätigkeit noch eine Tätigkeit bestanden, die auf Dauer gerichtet war. Der Bescheid vom 16. November 2018 reflektiere überdies nicht, dass es sich hierbei jeweils um Arzteinsätze handele, wie sie für selbstständige Vertreter typisch seien und dass diese Vertretertätigkeit jeweils auch zeitlich in Absprache mit dem Regierungspräsidium erfolgt sei; der Beigeladene während der in diesem Bescheid angegebenen Zeiträumen als Arzt die gleiche Tätigkeit ausübt wie in der eigenen Praxis als Vertragsarzt. Die Beklagte hat auf ihre Ausführungen in dem Verwaltungsverfahren, insbesondere in dem Bescheid vom 28. Februar 2017 sowie in dem Widerspruchsbescheid vom 11. April 2018 verwiesen. Eine kurzfristige Beschäftigung im Sinne von § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV in Verbindung mit § 115 SGB IV habe nicht vorgelegen. Die von dem Kläger und dem Beigeladenen geschlossenen Verträge vom 29. September 2015, vom 28. Dezember 2015 und vom 4. Juli 2016 ohne jegliche Zeitangabe seien nicht für längstens ein Jahr (mit und vom Arbeitseinsätzen von maximal 70 Arbeitstagen) befristet gewesen. Bei Rahmenvereinbarungen mit sich wiederholenden Arbeitseinsätzen über mehrere Jahre liege eine gelegentliche kurzfristige Beschäftigung allerdings nur dann vor, wenn die einzelnen Arbeitseinsätze ohne Bestehen einer Abrufbereitschaft unvorhersehbar zu unterschiedlichen Anlässen oder erkennbarem Rhythmus an maximal 70 Arbeitstagen im Kalenderjahr erfolgten und der Betrieb des Arbeitgebers nicht strukturell auf den Einsatz solcher Arbeitskräfte ausgerichtet sei. Die streitige Tätigkeit sei auch nicht nach ihrer Eigenart auf nicht mehr als drei Monate oder insgesamt 70 Arbeitstage begrenzt gewesen (Schreiben der Beklagten vom 16. November 2016, Bl. 100 ff. der Gerichtsakte). Der Beigeladene hat die Auffassung vertreten, dass kein abhängiges sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis bestanden habe und ist der Rechtsauffassung des Klägers und dessen Argumentation beigetreten.
Das Sozialgericht hat den Beigeladenen im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 3. November 2021 angehört; wegen der Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschrift vom 3. November 2021 (Bl. 157 bis 159 der Gerichtsakte) Bezug genommen.
Das Sozialgericht Gießen hat die Klage mit Urteil vom 3. November 2021 abgewiesen. Der angefochtene Bescheid sei rechtmäßig und verletze den Kläger nicht in seinen Rechten. Die Feststellung, dass der Beigeladene die Tätigkeit als Arzt in den streitigen Zeiträumen im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt, und Versicherungspflicht zur Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung bestanden habe, sei rechtmäßig.
Nach § 7a Abs. 1 S. 1 SGB IV könnten die Beteiligten schriftlich oder elektronisch eine Entscheidung beantragen, ob eine Beschäftigung vorliege, es sei denn, die Einzugsstelle oder ein anderer Versicherungsträger habe im Zeitpunkt der Antragstellung bereits ein Verfahren zur Feststellung einer Beschäftigung eingeleitet. Versicherungspflicht zur Renten- und Arbeitslosenversicherung bestünden für gegen Arbeitsentgelt Beschäftigte (§ 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - SGB VI, und § 25 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch SGB-III).
Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung sei § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV. Danach sei Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung bildeten eine Tätigkeit nach Weisungen sowie die Eingliederung in die Arbeitsorganisation (Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 7. Juli 2016 - L 8 KR 297/15 - juris Rn. 38). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts setze eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer von dem Arbeitgeber persönlich abhängig sei. Dies sei bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb dann der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert sei und da bei hinsichtlich Zeit, Dauer, Ort sowie Art der Ausführung einem umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliege. Demgegenüber zeichne sich eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch ein eigenes Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit aus (BSG Urteil vom 11. November 2015, Az.: 12 KR 13/14 R - juris Rn. 18 m.w.N.). Ob eine abhängige Beschäftigung oder eine selbstständige Tätigkeit vorliegt „...richtet sich [...] nach dem Gesamtbild der Tätigkeit und hängt davon ab, welche Merkmale überwögen“ (BSG, Urteil vom 11. November 2015, Az.: 12 KR 13/14 R - juris Rn. 18 m.w.N; vgl. u.a. auch: BSG, Urteil vom 24. Januar 2007, Az.: 12 KR 31/06 R - juris Rn. 16).
Das Gesamtbild bestimme sich dabei nach den tatsächlichen Verhältnissen. Maßgeblich sei das „Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es im Rahmen des rechtlich Zulässigen tatsächlich vollzogen worden sei.“ (BSG, Urteil vom 24. Januar 2007, Az. 12 KR 31/06 R - juris Rn. 17). Ausgangspunkt für die Prüfung, ob jemand abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig sei, sei zunächst das Vertragsverhältnis der Beteiligten, „so wie es sich aus den von ihnen getroffenen Vereinbarungen ergebe oder sich aus ihrer gelebten Beziehung erschließen lasse (BSG, Urteil vom 24. Januar 2007, Az.: 12 KR 31/06 R - juris Rn. 17.). Stehe die tatsächliche Beziehung und die sich daraus ergebende Schlussfolgerung auf die tatsächlich gewollte Rechtsbeziehung im Widerspruch zu der ursprünglich getroffenen Vereinbarung, so gehe - sofern dies rechtlich möglich ist - die tatsächliche Beziehung der formellen Vereinbarung vor (BSG, Urteil vom 24. Januar 2007, Az.: 12 KR 31/06 R - juris Rn. 17). Maßgeblich sei damit die Rechtsbeziehung so wie sie praktiziert werde und die praktizierte Beziehung so, wie sie rechtlich zulässig sei (BSG, Urteil vom 25. Januar 2006, Az.: 12 KR 30/04 R - juris Rn. 22; BSG, Urteil vom 24. Januar 2007 Az.: 12 KR 31/06 R-juris Rn. 17).
Das Bundessozialgericht habe mit Urteilen vom 4. Juni 2019 (u. a. Az. 12 R 11/18 R - juris) über Status rechtliche Fragen von honorarärztlichen Tätigkeiten entschieden. Dabei habe das Bundessozialgericht auch zu den Kriterien der Weisungsgebundenheit und des Merkmals der Eingliederung Stellung genommen.
Unter Berücksichtigung der oben aufgeführten Beurteilungsmaßstäbe, vor allem auch unter Berücksichtigung des Urteils des Bundessozialgerichts vom 4. Juni 2019 (Az.: 12 R 11/18 R) sei der Beigeladene in den einzelnen Zeiträumen zwischen Oktober 2015 und August 2018 bei dem Kläger abhängig gegen Arbeitsentgelt beschäftigt gewesen. Zu diesem Ergebnis gelange die Kammer aufgrund einer Auswertung der durch die Beteiligten erfolgten Stellungnahmen und eingereichten Unterlagen sowie die Ergebnisse der mündlichen Verhandlung am 3. November 2021.
Der Beigeladene sei gemäß § 2 der Vereinbarung vom 29. September 2015 verpflichtet gewesen, die ambulante medizinische Versorgung für Ausländer, die in der HEAE untergebracht waren, im Rahmen der Vorgaben nach § 4 AsylbLG zu übernehmen. Zumindest vertraglich sei darüber hinaus vereinbart, dass der Beigeladene Aufgaben, die sich maßgeblich aus den § 62 Asylverfahrensgesetz sowie § 36 Infektionsschutzgesetz und der dazu getroffenen Erlassregelung zu übernehmen habe (§ 2 Abs. 2 der Vereinbarung vom 29. September 2015). Die Verpflichtung für den Kläger zur Durchführung von Erstuntersuchungen ergebe sich aus dem Erlass des Hessischen Ministeriums für Arbeit, Familie und Gesundheit vom 4. Februar 2009, der in 1.2 die Regelung enthalte, dass die Ausländerinnen und Ausländer unmittelbar nach ihrer Einreise nach Hessen von der Aufnahmeeinrichtung aufgefordert würden, sich vom ärztlichen Dienst der Einrichtung oder einem ärztlichen Dienst nach § 62 AsylVfG bzw. § 36 Abs. 4 IfSG untersuchen zu lassen. Die Erstuntersuchungen sowie die medizinische Versorgung der in der HEAE untergebrachten Personen insgesamt stelle eine Kernaufgabe der HEAE dar. Der Beigeladene sei in einen ganz zentralen Bestandteil der Arbeitsorganisation der HEAE integriert gewesen, nämlich in die medizinische Versorgung der in der HEAE untergebrachten Personen.
Der Beigeladene sei zur Überzeugung der Kammer in die Arbeitsorganisation des Klägers eingegliedert gewesen. Denn die Erstuntersuchungen und die medizinische Versorgung der in der HEAE untergebrachten Personen stelle einen wesentlichen Bestandteil der Arbeitsorganisation der HEAE dar. Die Einschränkung auf einen bestimmten Aufgabenbereich spreche dabei nicht per se gegen die Eingliederung in die Arbeitsorganisation. Vielmehr habe der Beigeladene mit den von ihm durchgeführten Untersuchungen einen wesentlichen Bestandteil bei der von dem Kläger durchzuführenden Schritte bei der medizinischen Versorgung übernommen. Der Beigeladene sei damit in den laufenden Arbeitsprozess der medizinischen Versorgung der in der HEAE untergebrachten Personen eingebunden gewesen. Als erste Anlaufstelle sei er damit ein „Rädchen im System“ der dem Kläger obliegenden medizinischen Versorgung der in der HEAE untergebrachten Personen gewesen. Weder sei der Beigeladene räumlich noch in sonstiger Weise außerhalb dieser Gesamtorganisation gewesen. Auch von den ihn aufsuchenden Personen sei der Beigeladene nicht als selbstständig niedergelassener Arzt, sondern als medizinischer Ansprechpartner in der HEAE wahrgenommen worden. Die Ausübung der Tätigkeit des Beigeladenen sei damit im Rahmen der Eingliederung in eine fremd vorgegebene Arbeitsorganisation erfolgt. Zu keinem anderen Ergebnis führe dabei die Tatsache, dass die Arbeitsabläufe zum damaligen Zeitpunkt nicht strukturiert und die dem Beigeladenen zur Verfügung gestellten Betriebsmittel sehr gering bzw. sehr einfach gewesen seien. Dies sei zurückzuführen auf den plötzlichen und unvorhergesehenen Anstieg der von der HEAE aufzunehmenden Flüchtlinge, spreche aber nicht gegen die Annahme, dass der Beigeladene in deren Arbeitsorganisation eingegliedert gewesen sei. Der Kläger sei gemäß § 3 Abs. 1 der Vereinbarung vom 29. September 2015 verpflichtet gewesen, dem Beigeladenen „adäquate Räumlichkeiten, Geräte, Inventar, Verbandstoffe u.ä., sowie Medikamente und Impfstoffe zur Durchführung medizinischer Untersuchungen und der medizinischen Versorgung kostenfrei“ bereitzustellen. Der Beigeladene habe die von ihm vertraglich geschuldeten Leistungen persönlich zu erbringen gehabt und seine Tätigkeit ausschließlich in den von dem Kläger zur Verfügung gestellten Räumen ausgeübt. Weder räumlich noch im sonstigen Sinne habe der Beigeladene außerhalb der Gesamtorganisation der HEAE gestanden, etwa in der Form, dass er außerhalb der HEAE bzw. in eigenen Räumen die Untersuchungen durchgeführt habe.
Dass der Beigeladene nicht weisungsgebunden gewesen sei, schließe das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung nicht aus. Dazu habe das Bundessozialgericht mit Urteil vom 4. Juni 2019 wie folgt ausgeführt: Zunächst sei zu berücksichtigen, dass die ärztliche Tätigkeit in einem Krankenhaus Besonderheiten aufweise und deshalb einzelne Gesichtspunkte, die sonst eine Tätigkeit als abhängig oder selbstständig kennzeichneten, von vornherein nicht als ausschlaggebende Abgrenzungsmerkmale herangezogen werden könnten. Ärzte handelten bei medizinischen Heilbehandlungen und Therapien grundsätzlich frei und eigenverantwortlich. Hieraus könne allerdings nicht ohne Weiteres auf eine selbstständige Tätigkeit geschlossen werden (BSG, Urteil vom 4. Juni 2019, Az.: 12 R 11/18 R - juris Rn. 25). Weiter habe das Bundessozialgericht ausgeführt, dass Weisungsgebundenheit und Eingliederung weder in einem Rangverhältnis zueinander stünden, noch müssten diese stets kumulativ vorliegen. Vielmehr gehe eine Eingliederung nicht zwingend mit einem umfassenden Weisungsrecht des Krankenhauses einher (BSG, Urteil vom 4. Juni 2019, Az.: 12 R 11/18 R, juris Rn. 29). Unter Berücksichtigung dieser Ausführungen des BSG könne die fehlende Weisungsgebundenheit des Beigeladenen nicht als wesentliches Indiz für eine selbstständige Tätigkeit herangezogen werden.
Überdies sei der Beigeladene auch nicht völlig weisungsfrei gewesen. Denn vertraglich sei der Beigeladene verpflichtet gewesen, die ambulante medizinische Versorgung der in der HEAE untergebrachten Personen im Rahmen bestimmter Vorgaben durchzuführen. Diese sei auch in § 2 der Vereinbarung vom 29. September 2015 vertraglich festgehalten worden:
„[...] Dazu gehört
• die Behandlung von Krankheiten, gesundheitlichen Beeinträchtigungen und Verletzungen, soweit dies ambulant möglich ist,
• Anordnung von Überweisungen an Fachärzte bzw. Einweisungen in Kliniken
• Dokumentation aller ärztlichen Leistungen (in der Patientendatei der HEAE) unter Beachtung des Datenschutzes.“
Der Beigeladene habe damit bei der Durchführung der Untersuchungen bestimmte Vorgaben zu beachten müssen und sei überdies auch nicht in der Auswahl seiner Patienten frei gewesen.
Für die Annahme einer abhängigen Beschäftigung spreche neben der Eingliederung des Beigeladenen in die Arbeitsorganisation der HEAE weiterhin maßgeblich, dass der Beigeladene kein eigenes Kapital eingesetzt und auch kein für einen Selbstständigen typisches Unternehmerrisiko getragen habe. Maßgebliches Kriterium für ein unternehmerisches Risiko sei nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, „ob eigenes Kapital oder die eigene Arbeitskraft auch mit der Gefahr des Verlustes eingesetzt werde, der Erfolg des Einsatzes der sächlichen oder persönlichen Mittel also ungewiss sei“ (BSG, Urteil vom 18. November 2015, Az.: 12 KR 16/13 R - juris Rn. 36 m.w.N.) Die Vergütung sei zunächst nach Fallpauschalen (§ 4 der Vereinbarung vom 29. September 2015) und später vereinbarten der Kläger und der Beigeladene einen Stundensatz von 75,00 EUR (§ 3 der Vereinbarung vom 28. Dezember 2015). Mit keiner dieser Abrechnungsmodalitäten sei ein unternehmerisches Risiko im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts verbunden gewesen. Schon aufgrund der zunächst vereinbarten Fallpauschale habe der Beigeladene keinen Verdienstausfall für seine geleistete Arbeit zu befürchten gehabt. Denn aufgrund der immens hohen Aufnahme von Flüchtlingen pro Tag und der damit verbundenen erforderlichen hohen Anzahl an Untersuchungen sei ein tatsächlicher Verdienstausfall nicht zu befürchten gewesen. Dieser Tatsache hätten sich der Kläger und der Beigeladene auch schon in der Erstvereinbarung vom 29. September 2015 bewusst gewesen sein müssen. Ohnehin sei in der Folgevereinbarung vom 28. Dezember 2015 ein festes Stundenhonorar vereinbart worden, was auch zeige, dass es nicht dem Willen der Vertragsparteien entsprochen habe, ein wirtschaftliches Risiko eines Verdienstausfalls auf Seiten des Beigeladenen zu schaffen.
Hinsichtlich des Risikos, keine weiteren Beauftragungen zu erhalten habe das Bundessozialgericht in seiner Entscheidung vom 4. Juni 2019 wörtlich wie folgt ausgeführt: „Da es lediglich auf eine Betrachtung der konkreten Tätigkeit ankommt, ist das einzig in Betracht kommende Risiko der beigeladenen Ärztin, vom Kläger keine weiteren Folgeaufträge zu erhalten, für die Frage ihres Status in der konkreten Tätigkeit irrelevant." (BSG, Urteil vom 4. Juni 2019, Az.: 12 R 11/18 R - juris Rn. 33).
Dass der Beigeladene zu Beginn seiner Tätigkeit auf noch ungeordnete Strukturen bzw. eine nicht ausreichende Infrastruktur gestoßen sei, sei für die Beurteilung eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ebenso wenig entscheidend, wie die innere Motivation des Beigeladenen, primär mit seiner Tätigkeit Menschen medizinisch helfen zu wollen. Sofern der Beigeladene in der mündlichen Verhandlung vom 3. November 2021 vorgetragen habe, dass ihm zu Beginn seiner Tätigkeit keine Betriebsmittel zur Verfügung gestellt worden seien und er Betriebsmittel selbst mitgebracht oder diese bei Kollegen angefragt habe, so führe dies zu keiner anderen Beurteilung. Denn ausweislich des Wortlauts des § 3 Abs. 1 der Vereinbarung vom 29. September 2015 sei der Kläger verpflichtet gewesen, dem Beigeladenen „adäquate Räumlichkeiten, Geräte, Inventar, Verbandstoffe u. ä., sowie Medikamente und Impfstoffe zur Durchführung medizinischer Untersuchungen und der medizinischen Versorgung kostenfrei“ bereitzustellen. Sofern dem zu Beginn der Tätigkeit nicht so gewesen sei, so handele es sich lediglich um eine Nichterfüllung vertraglicher Pflichten. Die vertragliche Vereinbarung habe indes ausdrücklich vorgesehen, dass der Beigeladene keine eigenen Betriebsmittel bereitstellen müsse.
Es liege auch keine Zeitgeringfügigkeit im Sinne des § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV i.V.m. § 115 SGB IV (in der maßgeblichen Fassung vom 11. August 2014) vor. Denn die Tätigkeit der Beigeladenen sei weder vertraglich auf längstes drei Monate oder 70 Arbeitstage begrenzt gewesen noch ergebe sich eine solche Begrenzung aus der Eigenart der Beschäftigung.
Der Kläger hat gegen das seinem Prozessbevollmächtigten am 28. Januar 2022 zugestellte Urteil am 25. Februar 2022 Berufung zum Hessischen Landessozialgericht erhoben, sein erstinstanzliches Vorbringen vertieft und ergänzend vorgetragen, dass aufgrund der Vielzahl von Flüchtlingen in 2015/2016 Ärztinnen und Ärzte zu deren Untersuchung und Versorgung hätten herangezogen werden müssen. Der Beigeladene sei im Verhältnis zu dem jeweils betroffenen Flüchtling ein „Behandler“ im Sinne von § 630a BGB gewesen. Er sei dem Flüchtling gegenüber nicht einem Krankenhaus vergleichbar aufgetreten. Der Beigeladene habe vollkommen frei über die zu beurteilenden Einzelaufträge entscheiden können. Er habe auch keine Verwaltungstätigkeit ausgeübt und eine persönliche Haftung getragen. Die vom Kläger zur Verfügung gestellten Räumlichkeiten stellten auch kein „fremdes Unternehmen“ dar, sondern allenfalls einen „Arbeitsplatz“, wie ihn Selbstständige ebenso wie abhängige Beschäftigte benötigten. Weder der Kläger noch der Beigeladene hätten Patienten „ausgewählt“. Die zitierten Entscheidungen des Bundessozialgerichts zu den Honorarärzten beträfen Sachverhalte, die mit dem hiesigen nicht zu vergleichen seien. Auch die zitierten Notarzt-Entscheidungen des Bundessozialgerichts gingen fehl; der Beigeladene sei gerade nicht in eine Organisationsstruktur des Klägers eingebunden gewesen. Ebenso rechtfertige die immer wieder betonte „Organisationsstruktur“, die seitens des Klägers etabliert worden sei, die Einstufung als Beschäftigung nicht. Das Gesetz differenziere eindeutig zwischen der Organisation der Erstaufnahmeeinrichtung einerseits und der medizinischen Versorgung bzw. Betreuung der Flüchtlinge andererseits. Allein die Tatsache, dass der Beigeladene laut § 2 der Vereinbarung zur Durchführung bestimmter medizinischer Behandlungen tätig wurde, begründe noch keine abhängige Beschäftigung. Die Angabe von bestimmten Eckdaten der Tätigkeit sei auch bei der Hinzuziehung von Selbstständigen üblich. Der Beigeladene habe originär medizinische Behandlungen vorgenommen (Anamnese und Diagnostik akut beklagter Erkrankungen, Rezeptur von Medikamenten). § 44 AsylG gebe den Bundesländern den Auftrag, Aufnahmeeinrichtungen für die Unterbringung Asylbegehrender zu schaffen und zu unterhalten. Diese Aufnahmeeinrichtungen seien von den durch die Gebietskörperschaften vorzuhaltenden Gemeinschaftsunterkünften gem. § 53 AsylG zu unterscheiden, in welche Asylbegehrende und andere Personen nach ihrer Registrierung und anfänglichen Unterbringung in den Aufnahmeeinrichtungen der Länder untergebracht würden. Hauptaufgabe der Erstaufnahmeeinrichtungen sei die Registrierung und Unterbringung Asylbegehrender bis zu ihrer Zuweisung in eine Gebietskörperschaft. Medizinische Dienstleistungen gehörten gerade nicht zu ihren Kernaufgaben. Die ambulante Versorgung von Flüchtlingen könne vollständig ausgelagert werden, ohne die Erstaufnahmeeinrichtungen in ihrer Aufgabenwahrnehmung zu kompromittieren. Das Asylbewerberleistungsgesetz sichere lediglich die Übernahme der Kosten medizinisch notwendiger Behandlungen durch den zuständigen Kostenträger zu (§§ 4, 6 AsylbLG). Es verpflichte die Erstaufnahmeeinrichtungen gerade nicht zur Erbringung medizinischer Dienstleistungen. Auch aus dem Asylgesetz ergebe sich keine Verpflichtung der Erstaufnahmeeinrichtungen, medizinische Dienstleistungen selbst zu erbringen. Sie seien vielmehr lediglich für die Anordnung der Gesundheitsuntersuchung zuständig (Bergmann/Dienelt/Bergmann AsylG § 62 Rn. 2). Das Sozialgericht berücksichtige nicht ausreichend, dass der Beigeladene (wie die übrigen Ärztinnen und Ärzte, die wie der Beigeladene tätig wurden) zunächst nicht nur Praxisbedarfe selbst hätten beschaffen müssen, sondern auch für die Möblierung der Praxisräume sorgten (z.B. durch Einkäufe bei IKEA). Aber auch allein wegen der Benutzung von Einrichtungen und Betriebsmitteln sei nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht zwingend eine abhängige Beschäftigung anzunehmen. Dies gelte auch für das Fehlen größerer Investitionen in Arbeitsmaterialien bei reinen Dienstleistungen. Für abhängig beschäftigte Ärzte sei es unüblich, wiederverwendbare Schlüsselwerkzeuge wie Stethoskope selbst zu beschaffen; dies sei hier aber teilweise der Fall gewesen. Die HEAE habe die Patienten nicht im Sinne eines gezielten Auswahlprozesses zugewiesen. Der Beigeladene hätte vielmehr jederzeit und ohne drohende Konsequenzen die Untersuchung einzelner Patienten ablehnen können. Im Kernbereich seiner Tätigkeit sei der Beigeladene nicht auf die Infrastruktur der HEAE angewiesen gewesen. Auch sei er bei der Durchführung der Erstuntersuchungen und deren Auswertungen nicht in einem arbeitsteiligen Prozess eingebunden gewesen. Dass er sich bei den Untersuchungen auch Hilfspersonal des Klägers zugegen gewesen sei, z.B. Sprachmittler, stehe dem nicht entgegen. Der Beigeladene hätte seine Tätigkeit ebenso in eigenen Praxisräumen ausführen können. Einen verbindlichen Dienstplan habe es nicht gegeben. Der erstellte Übersichtsplan der HEAE habe nicht einem verbindlichen Schichtplan (wie etwa in Krankenhäusern) entsprochen. Bei Nichtwahrnehmung zugesagter Termine habe er nicht für Ersatz sorgen müssen.
Der vorliegende Fall unterscheide sich auch von den bereits durch den Senat entschiedenen Fällen L 1 BA 75/21 und L 1 BA 76/21 (Urteile vom 12. Mai 2022; Revisionen anhängig: B 12 BA 7/22 R und B 12 BA 8/22 R). Der Beigeladene habe die geflüchteten Menschen nur in wenigen Ausnahmefällen im Rahmen von Erstaufnahmeuntersuchungen gesehen. Vielmehr habe er hauptsächlich ambulante Behandlungen im Rahmen des § 4 AsylbLG durchgeführt. Er habe die Flüchtlinge - wie seine Patientinnen und Patienten in seiner eigenen Praxis in A-Stadt - in einer Außenstelle der Erstaufnahmeeinrichtung in C-Stadt behandelt. Mit den "administrativen Tätigkeiten" habe der Beigeladene Aufwand abgerechnet, der ihm durch die „Verwaltung“ von Untersuchungsterminen entstanden sei. Dabei habe es sich etwa um Fragen der medizinischen Versorgung bestimmter Personen gehandelt, von denen der Beigeladene angenommen habe, ambulant sei eine Versorgung nicht ausreichend. Aus diesem Anlass habe der Kläger beispielsweise mit Krankenhäusern telefoniert. Der Beigeladene habe z.B. auch selbstständig, ohne Rücksprache mit dem Kläger genommen zu haben oder nehmen zu müssen, die medizinisch indizierte Schaffung eines Toilettenbereichs für Geflüchtete, die an einer in der Einrichtung grassierenden Magen-Darm-Erkrankung erkrankt gewesen seien, organisiert.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 3. November 2021 sowie den Bescheid der Beklagten vom 28. Februar 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. April 2018 und den Bescheid vom 16. November 2018 aufzuheben und festzustellen, dass der Beigeladene in der im Auftrage des Klägers ausgeübten Tätigkeit für die HEAE selbstständig war.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung bezieht sich die Beklagte auf die erstinstanzlichen Entscheidungsgründe und verweist auf die aktuelle Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu Honorarärzten und Notärzten (BSG, Urteil vom 04.06.2019, B 12 R 10/18 R und Urteil vom 19.10.2021, B 12 R 10/20 R).
Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.
Die Bundesagentur für Arbeit hat auf Anfrage des Senats mit Schriftsatz vom 30. November 2022 mitgeteilt, dass eine Beiladung zum Verfahren nicht beantragt wird (§ 75 Abs. 2b SGG).
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der Entscheidung waren, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Entscheidung konnte durch Urteil ohne mündliche Verhandlung ergehen, da sich die Beteiligten mit dieser Vorgehensweise einverstanden erklärt haben, §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.
Das Sozialgericht Gießen hat die Klage mit Urteil vom 3. November 2021 zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 28. Februar 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. April 2018 in der Fassung des Bescheids vom 16. November 2018 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Die Beklagte hat zutreffend festgestellt, dass die Tätigkeit des Beigeladenen für den Kläger in den streitigen Zeiträumen im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses erfolgt ist und Versicherungsfreiheit in der Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung bestanden hat.
Gemäß § 153 Abs. 2 SGG wird auf die Entscheidungsgründe der erstinstanzlichen Entscheidung Bezug genommen. Zutreffend hat das Sozialgericht Gießen aufgrund der hiernach zu beachtenden Maßstäbe eine abhängige Tätigkeit festgestellt.
Ergänzend ist anzumerken:
Aufgrund der umfangreichen Ausführungen des Klägers zu den rechtlichen Rahmenbedingungen zum Umgang mit Flüchtlingen, der Untersuchungspflicht und der vom Beigeladenen vorwiegend durchgeführten ambulanten Behandlungen stellt der Senat fest, dass es für die rechtliche Einordnung der streitigen Tätigkeit der Beigeladenen nicht ausschlaggebend ist, aufgrund welcher rechtlichen Vorgaben der Kläger den Beigeladenen mit medizinischen Dienstleistungen beauftragt hat.
Durch die vorgelegten Rechnungen des Beigeladenen einschließlich der Vordrucke über die durchgeführten ambulanten Behandlungen ist dokumentiert, dass der Beigeladene überwiegend ambulante Behandlungen zugunsten der Bewohner in der HEAE am Standort C-Stadt (C-Straße) durchgeführt hat. Erstuntersuchungen und Infektionsschutz (Impfungen) hat er nur sehr vereinzelt durchgeführt und abgerechnet (vgl. Urteile des Senats vom 12. Mai 2022: L 1 BA 75/21 und L 1 BA 76/21: dort vorwiegend Erstuntersuchungen und Infektionsschutz).
Solange sich die Flüchtlinge in der Erstaufnahmeeinrichtung des Klägers befanden, war er verpflichtet, diese Flüchtlinge (in den Grenzen des § 4 AsylbLG) ärztlich medizinisch zu versorgen: § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylbLG enthält die Verpflichtung der zuständigen Behörde, die in § 4 Abs. 1 AsylbLG genannten Leistungen sicherzustellen (sog. Sicherstellungsauftrag). Dem Leistungsträger obliegt es, organisatorische und verfahrensmäßige Vorkehrungen zu treffen, die ärztliche und zahnärztliche Versorgung sowie Schutzimpfungen und Vorsorgeuntersuchungen zu gewährleisten. Das Leistungserbringungsrecht nach dem AsylbLG bietet der Behörde zugleich einen Gestaltungsspielraum zu bestimmen, auf welche Weise die erforderliche medizinische Hilfe gewährt wird (vgl. BT-Drs. 12/4451). Der Sicherstellungsauftrag kann etwa durch Amtsärzte oder beauftragte Ärzte erfüllt werden. In der Praxis hat sich der Aufbau von trägereigenen Versorgungsstrukturen aus wirtschaftlichen Gründen nicht durchgesetzt, so dass die Arztwahl durch Ausgabe von Behandlungsscheinen in der Regel der leistungsberechtigten Person überlassen bleibt [Frerichs in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Aufl., § 4 AsylbLG (Stand: 28. Dezember 2022), Rn. 76]. In der besonderen Situation in der hier streitigen Zeit von 2015 bis 2019 hat sich der Kläger ausnahmsweise für eine Heranziehung von Ärzten im Rahmen eines Dienstleistungsauftrages Ärzten entschieden - auch, weil angesichts der Zahl der Flüchtlinge die Ausstellung von Behandlungsscheinen organisatorisch zunächst nicht bzw. nicht in vollem Umfang möglich gewesen sein dürfte.
Der Senat kann vor diesem Hintergrund nicht erkennen, inwiefern sich der Sicherstellungsauftrag in § 4 Abs. 3 AsylbLG von den Vorgaben nach § 62 Asylverfahrensgesetz und § 36 Infektionsschutzgesetz unterscheiden soll. Dem Kläger obliegt ein Sicherstellungsauftrag, zu deren Erfüllung er im Fall des Beigeladenen aus Sicht des Senats eines Beschäftigungsverhältnisses bedient hat.
Ebenso wenig kommt es auf die (politische) Dimension des Zustroms von Flüchtlingen im maßgeblichen Zeitraum an. Maßgeblich ist nicht das „Warum“ der Beauftragung, sondern das „Wie“ der Beauftragung und der tatsächlichen Ausgestaltung der Tätigkeit. Hierbei ist - wie vom Sozialgericht zutreffend ausgeführt - von besonderer Bedeutung, ob der Beschäftigte in den fremden Betrieb eingegliedert ist und einem Weisungsrecht unterliegt. Der Wille der Vertragsparteien ist dabei nachrangig.
Hinsichtlich des Weisungsrechts hat das Bundessozialgericht wiederholt festgestellt, dass insbesondere bei Hochqualifizierten oder Spezialisten (so genannten Diensten höherer Art) das Weisungsrecht auf das Stärkste eingeschränkt sein kann. Dennoch kann die Dienstleistung in solchen Fällen fremdbestimmt sein, wenn sie ihr Gepräge von der Ordnung des Betriebes erhält, in deren Dienst die Arbeit verrichtet wird. Die Weisungsgebundenheit des Arbeitnehmers verfeinert sich in solchen Fällen zur funktionsgerechten, dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess (zuletzt Urteil vom 19. Oktober 2021, B 12 KR 29/19 R, juris, Rn. 20 ff m.w.N.).
Zudem gilt, dass für die Frage, ob eine abhängige Beschäftigung vorliegt, stets die konkreten Umstände des individuellen Sachverhalts maßgebend sind. „Bei der gebotenen Gesamtabwägung sind sämtliche, auch solche Umstände zu berücksichtigen, die einer Tätigkeit ihrer Eigenart nach immanent, durch gesetzliche Vorschriften oder eine öffentlich-rechtliche Aufgabenwahrnehmung bedingt sind oder auf sonstige Weise "in der Natur der Sache" liegen. Ihnen ist nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung zwar nicht zwingend eine entscheidende Indizwirkung für eine abhängige Beschäftigung beizumessen; umgekehrt ist eine abhängige Beschäftigung aber auch nicht allein deshalb ausgeschlossen, weil sich bestimmte Weisungsrechte oder Vorgaben aus der Eigenart der Tätigkeit ergeben oder ihr innewohnen. Indizwirkung gegen eine Beschäftigung und für eine selbstständige Tätigkeit besteht vielmehr dann, wenn bei Verrichtung der Tätigkeit eine Weisungsfreiheit verbleibt, die sie insgesamt als eine unternehmerische kennzeichnet. Denn ob und inwieweit einzelne Umstände einer Tätigkeit "ihrer Natur nach" immanent sind, hängt wesentlich mit der zu beurteilenden Tätigkeit und ihrer konkreten Ausgestaltung zusammen. Je enger der übertragene Tätigkeitsbereich abgesteckt ist, weil der Auftrag- oder Arbeitgeber nicht auf eigene Gestaltungsmöglichkeiten verzichtet, desto weniger Spielraum kann der übertragenen Tätigkeit noch immanent sein. So ist in der Regel auch die strikte Weisungsunterworfenheit klassischer "Fabrikarbeiter" der Eigenart ihrer Tätigkeit geschuldet. Gerade dies begründet aber ihre Sozialversicherungspflicht und stellt sie nicht infrage (BSG, Urteil vom 19. Oktober 2021, B 12 KR 29/19 R, m.w.N.).
Zutreffend hat das Sozialgericht die Eingliederung des Beigeladenen in den Dienstbetrieb des Klägers, mit dem dieser u.a. ambulante Behandlungen in den Räumen der Einrichtung durchführte, festgestellt. Diese Eingliederung findet ihre Entsprechung am vereinbarten Vergütungsmodell. Denn der Kläger bezahlte die Beigeladene für die von ihr geleisteten Dienste. Eine unmittelbare Abrechnung zwischen der Beigeladenen und den Flüchtlingen oder aber Krankenkassen oder anderen Kostenträgern fand nicht statt.
Darüber hinaus bestehen - wie vom Sozialgericht zutreffend ausgeführt - keine Anhaltspunkte, die mit einem derartigen Gewicht für Selbstständigkeit sprechen, dass sie die Weisungsgebundenheit und Eingliederung des Beigeladenen auch nur annähernd auf- oder überwiegen können. Insbesondere war der Beigeladene keinem nennenswerten Unternehmerrisiko ausgesetzt. Er erhielt zu Beginn noch Fallpauschalen bzw. später einen festen Stundenlohn und hatte keinen Verdienstausfall zu befürchten. Für ihn bestand auch nicht die Chance, durch unternehmerisches Geschick seine Arbeit so effizient zu gestalten, dass er das Verhältnis von Aufwand und Ertrag zu ihren Gunsten entscheidend hätte beeinflussen können. Da es lediglich auf eine Betrachtung der konkreten Tätigkeit ankommt, war das einzig in Betracht kommende Risiko des Beigeladenen, vom Kläger keine weiteren Folgeaufträge zu erhalten, für die Frage ihres Status in der konkreten Tätigkeit irrelevant. Denn aus dem (allgemeinen) Risiko, außerhalb der Erledigung einzelner Aufträge zeitweise die eigene Arbeitskraft gegebenenfalls nicht verwerten zu können, folgt kein Unternehmerrisiko bezüglich der einzelnen Einsätze (vgl. BSG, Urteil vom 19. Oktober 2021, B 12 KR 29/19 R, m.w.N.).
Ob zwischen den Flüchtlingen und dem Beigeladenen - wie vom Kläger vorgetragen - Behandlungsverträge gemäß § 630a BGB zustande gekommen sind, erscheint bereits fraglich (vgl. Rehborn/Gescher in: Ermann, § 630a BGB, Rn. 7 zur Tätigkeit z.B. des Amtsarztes und des Impfarztes mit Verweis auf BGHZ 63,265 und BGH NJW 1990, 2311). Jedenfalls aber ist dies für die hier streitige Statusentscheidung nicht ausschlaggebend, da das Auftragsverhältnis zwischen dem Kläger und dem Beigeladenen sowie die insoweit erbrachte Tätigkeit zu beurteilen war.
Für die Beurteilung als abhängige Beschäftigung des Beigeladenen in der HEAE spricht zudem die gesetzliche Regelung zu Ärztinnen und Ärzten in einem Impfzentrum. Für diese wurde in § 130 SGB IV (eingeführt durch Gesetz vom 24.02.2021, BGBl I, 274. Eine vergleichbare Regelung für die in Corona-Testzentren tätigen Ärzte findet sich in § 131 SGB IV.) geregelt, dass ihre Einnahmen aus Tätigkeiten in einem Impfzentrum oder einem angegliederten mobilen Impfteam in der Zeit vom 15. Dezember 2020 bis 30. Mai 2022 nicht der Beitragspflicht unterliegen. Die entsprechenden Tätigkeiten sind demnach auch nicht versicherungspflichtig. Dem liegt die gesetzgeberische Einschätzung zugrunde, dass die entsprechenden Einnahmen grundsätzlich der Sozialversicherungspflicht unterliegen, viele der Ärzte aber entweder selbstständig im Rahmen einer Praxis tätig sind, einem berufsständischen Versorgungswerk angehören und/oder bereits pensioniert sind und daher nicht der Sozialversicherungspflicht unterfallen (siehe BT-Drs. 19/26249, S. 92; BR-Drs. 83/1/21, S. 4; Dankelmann in: jurisPK-SGB IV, 4. Aufl., § 130 SGB IV; Knospe in Hauck/Noftz SGB IV, § 130). Hiermit hat der Gesetzgeber deutlich zum Ausdruck gebracht, dass er die Tätigkeit von Ärzten in Impf- oder Testzentren nicht als selbstständige Tätigkeit, sondern als abhängige Beschäftigung ansieht. Deren Tätigkeit ist aber in gewisser Weise durchaus vergleichbar mit der vorliegenden streitigen Tätigkeit der beigeladenen Ärztin in der Erstaufnahmeeinrichtung.
Der Versicherungspflicht des Beigeladenen in der gesetzlichen Rentenversicherung aufgrund seiner Beschäftigung beim Kläger steht nicht entgegen, dass er in Übereinstimmung mit § 6 Abs. 5 Satz 1 SGB VI für eine andere konkrete Beschäftigung hiervon befreit wurde. Denn diese Befreiung ist auf die andere Beschäftigung begrenzt (vgl. (BSG, Urteil vom 31. Oktober 2012, B 12 R 3/11 R).
Ergänzend wird auf die Urteile des Senats vom 12. Mai 2022 verwiesen (L 1 BA 75/21 und L 1 BA 76/21; Revisionen anhängig: BSG B 12 BA 7/22 R und B 12 BA 8/22 R).
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Außergerichtliche Kosten der Beigeladenen sind nicht zu erstatten, da die Beigeladene keinen Antrag gestellt hat (s. Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, Kommentar, 13. Aufl., § 197a Rn. 28 f. m.w.N.).
Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG). Die Klärung der Rechtsfragen ist für eine unbestimmte Anzahl ähnlicher Fälle relevant.