Die Aussage eines Leistungsbeziehers, Arbeitslosengeld II nur deswegen beantragt zu haben, sodass er gesetzlich krankenversichert sei, erhöht die Anforderungen an den Nachweis der Bedürftigkeit.
Tenor: |
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. |
Tatbestand
Der Kläger wendet sich mit der Klage gegen eine geforderte Erstattung von vorläufig bewilligten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Sozialgesetzbuch (SGB II) nach abschließender Festsetzung für den Zeitraum von Mai 2018 bis Oktober 2018 in Höhe von 4.889,70 €.
Der Kläger führt er ein gastronomisches Gewerbe, spezialisiert auf orientalische Süßwaren. Mittlerweile bietet er auch andere Gerichte (ein Reisgericht, mehrere Pizzen) zum Verkauf an, wie auch einen Lieferdienst samt Catering. Gleichzeitig steht er seit Längerem im laufenden Leistungsbezug bei dem Beklagten. Dieser bewilligte ihm unter anderem mit Bescheid vom 26.06.2018 in der Form des Änderungsbescheids vom 19.10.2018 vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für den Zeitraum von Mai 2018 bis Oktober 2018 in Höhe von monatlich 656,40 €.
Nach wiederholten Aufforderungen zur Mitwirkung zwecks abschließender Festsetzung der Leistungen, legte der Kläger zunächst eine „ausgefüllte" Anlage EKS mit den angeblich abschließenden Angaben zum Einkommen aus seiner selbständigen Tätigkeit für den Zeitraum von Mai 2018 bis Oktober 2018 vor, jedoch ohne Unterschrift (Eingangsstempel 25.03.2019). Sodann forderte der Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 09.04.20219 auf, dieses Exemplar, welches ihm zurückgeschickt wurde, noch zu unterschreiben. Die nunmehr unterschriebene Anlage EKS für den Zeitraum von Mai 2018 bis Oktober 2018 ging am 18.04.2019 bei dem Beklagten ein.
Der Beklagte forderte den Kläger ergänzend dazu mit Schreiben vom 15.05.2019 auf, Kontoauszüge seines Paypal-Kontos für den Zeitraum Mai 2018 bis Oktober 2018, die betriebswirtschaftliche Auswertung seines Steuerberaters für den Zeitraum Mai 2018 bis Oktober 2018, Belege über die bezahlte Vorsteuer an das Finanzamt vorzulegen, sowie zu eventuellen Privatentnahmen und zur Finanzierung der Unterdeckung in Höhe von 2.350,00 € Stellung zu beziehen.
Weil der Kläger seine abschließenden Angaben zu seinem Einkommen aus seiner Tätigkeit als lebensmittelverarbeitender Gastronom nicht nachkam, stellte der Beklagte mit Bescheid vom 21.08.2019 fest, dass ein Leistungsanspruch nach dem SGB II „im Zeitraum Mai 2019 bis Oktober 2019“ (sic!) nicht bestand und forderte ihn auf, die zu Unrecht an ihn erbrachten Leistungen für diesen Zeitraum in Höhe von 4.889,70 € zu erstatten.
Hiergegen erhob dann der Kläger mit Hilfe seines Bevollmächtigten Widerspruch. Auch der Bevollmächtigte konnte vom Kläger in einer abschließenden Besprechung keine ausreichend aufbereiteten Unterlagen erhalten, weshalb er um Entscheidung über die Widersprüche nach Aktenlage bat.
Aufgrund eines formellen Fehlers hob der Beklagte die Bescheide vom 21.08.2019 mit Abhilfebescheid vom 07.08.2020 zu Gunsten des Klägers auf.
Sodann wurde das Verfahren zur „endgültigen Festsetzung des Leistungsanspruchs" für den Zeitraum Mai 2018 bis Oktober 2018 erneut in Gang gesetzt. Über die ihm im Falle der Nichtvorlage der geforderten Nachweise drohenden Rechtsfolgen, nämlich Feststellung, dass im Zeitraum Mai 2018 bis Oktober 2018 kein Leistungsanspruch nach dem SGB II bestehen würde und das gesamte, für diesen Zeitraum ausgezahlte Arbeitslosengeld II erstattet verlangt wird, wurde er mit Aufforderungsschreiben vom 07.08.2020 belehrt.
Wiederum bot der Kläger keine Nachweise an, weshalb mit Bescheiden vom 03.11.2020 erneut eine „Nullfestsetzung" durchgeführt wurde und – wie schon zuvor, nur dieses Mal für den richtigen Zeitraum – das zu Unrecht an den Kläger für die Zeit vom 01.05.2018 bis 31.10.2018 gezahlte Arbeitslosengeld II in Höhe von 4.889,70 € erstattet verlangt wurde.
Auf den hiergegen erhobenen, aber nicht näher begründeten oder mit Nachweisen versehen Widerspruch wies der Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 08.12.2020 letztmalig darauf hin, die Angaben zu seinem Einkommen bis zum 30.12.2020 nachzuweisen. Insbesondere habe der Kläger erneut das benötigte Formular Anlage EKS auszufüllen und die darin enthaltenen Angaben anhand geeigneter Belege nachzuweisen. Des Weiteren habe er auch Kontoauszüge seiner Privat- und Geschäftskonten für die Zeit vom 01.05.2018 bis 31.10.2018 lückenlos in Kopie vorzulegen. Zuletzt verlange er einen Nachweis über die Einkommens- und Umsatzsteuer für 2018.
Da sich der Kläger hierauf nicht rührte, entscheid der Beklagte nach Aktenlage und wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 05.01.2021 als unbegründet zurück. Der Widerspruch habe sich ausdrücklich nur gegen den Bescheid vom 03.11.2020, welcher die Feststellung zum Inhalt hatte, dass ein Leistungsanspruch im Zeitraum vom 01.05.2018 bis 31.10.2018 nicht bestand („endgültige Festsetzung"), gerichtet. Der Kläger vermöge mit seinen Ausreden nicht mehr zu überzeugen. Das Bundessozialgericht habe zwar im Zusammenhang mit den hier bei der Entscheidung vom 03.11.2020 zur Anwendung gelangten Vorschriften die Ansicht vertreten, dass sie keine „Präklusionswirkung" entfalten, also, dass Nachweise im Zusammenhang mit einer abschließenden Entscheidung nach § 41a SGB II auch noch im Widerspruchsverfahren vorgelegt werden könnten. Spätestens nach der schriftlichen Aufforderung durch die Widerspruchsstelle vom 08.12.2020 mit einer erneuten großzügigen Fristsetzung bis zum 30.12.2020 hätte der Kläger aber reagieren müssen.
Dagegen hat der Kläger am 08.02.2021 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe erhoben. Zur Begründung verweist er auf die beim Jobcenter längst vorgelegte EKS vom 29.03.2019 nebst Kontoauszügen Mai 2018 bis Oktober 2018, sowie zusätzlich auf die von seinem steuerlichen Berater angefertigten Umsatzsteuervoranmeldungen Mai 2018 bis Oktober 2018 mit den jeweiligen betriebswirtschaftlichen Auswertungen (BWA). Der Beklagte werde insoweit um nochmalige Überprüfung gebeten.
Der Kläger beantragt,
die Bescheide des Beklagten vom 03.11.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05.01.2021 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er ist der Ansicht, die klägerischen Angaben seien schlichtweg nicht nachvollziehbar. Die vorliegenden Kontoauszüge von seinem Geschäftskonto, welches er aufgrund privater Mietzahlungen offensichtlich auch privat nutze, würden überhaupt keinen Aufschluss über seine Geschäftstätigkeiten geben, außer, dass er jedes Mal höhere Bareinzahlungen vornehme, kurz bevor es zu Abbuchungen komme. Trotzdem würden Beträge, vornehmlich die in unterschiedlicher Höhe gezahlten Kosten für die Geschäftsraummiete und die geschäftlich veranlassten Energiekosten, immer wieder zurückgebucht. Es sei nicht verständlich, was dann mit seinen Betriebsausgaben sei. Die wolle er angeblich immer in „bar" bestreiten. Belege seien Fehlanzeige bis zum heutigen Tage. Der Kläger sei immer und immer wieder darüber informiert worden, in welchem Umfang und in welcher Form er seine Nachweise zu erbringen habe. Dies könne auch der für den Kläger zuständige Sachbearbeiter Herr H bezeugen. Der Kläger dürfte um ein Vielfaches höhere Umsätze haben, als er nachweislich nicht erwiesen vorgibt zu haben. Es sei befremdlich, dass die Kassenbücher nicht auffindbar seien. Es sei zu vermuten, dass er sich die Einnahmen aus dem Tagesgeschäft abends nach Geschäftsschluss „in die Tasche" stecke. Auf der Internetseite des klägerischen Betriebes könne sich ein Überblick über verschiedene Süßspeisen verschafft werden, die der Kläger in seinem Lokal und auch als Lieferservice anbiete. Hier werde auch Werbung dafür gemacht, dass der Betrieb „die Anforderungen von Hochzeiten und Veranstaltungen Essen und orientalische Süßigkeiten (Mansaf, Vorspeisen., Baklava, Kuchen und Kekse)" erfülle. Es dürfte daher auch ein florierendes Geschäft mit Torten zu den gegebenen Anlässen bestehen. Auch dies sei den Bildern auf der Internetseite zu entnehmen. Die nun im Klageverfahren vorgelegten Nachweise seien für eine (sozialrechtliche) Beurteilung des Einkommens des Klägers aus seiner Tätigkeit als Gastronom im Zeitraum 01.05.2018 bis 31.10.2018 nach wie vor nicht ergiebig. Quittungen und Belege aus dieser Zeit würden ihm weder im Original, noch als Kopie vorliegen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den der Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I. Die Klage ist in Form der Anfechtungsklage nach § 54 Abs. 1 S. 1 Var. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zwar zulässig, jedoch unbegründet. Die Bescheide des Beklagten vom 03.11.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05.01.2021, sind rechtmäßig und können den Kläger daher auch nicht in seinen Rechten verletzen (vgl. § 54 Abs. 4 SGG). Der Beklagte hat mit den angegriffenen Bescheiden zu Recht die Nullfestsetzung des Leistungsanspruchs im Zeitraum von Mai 2018 bis Oktober 2018 vorgenommen und die vorläufig bewilligten Leistungen in Höhe von 4.889,70 € erstattet verlangt.
Neben dem endgültigen Festsetzungsbescheid wird auch der Erstattungsbescheid, der lediglich den endgültigen Festsetzungsbescheid umsetzt und gemeinsam mit diesem auf dem vorläufigen Bewilligungsbescheid aufbaut, nach § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des sozialgerichtlichen Verfahrens, so dass es der Durchführung eines gesonderten Vorverfahrens betreffend den Erstattungsbescheid nicht bedarf (vgl. Landessozialgericht <LSG> Chemnitz, Urteil vom 03.06.2021, Az.: L 7 AS 1044/18).
1. Dem Kläger wurden ursprünglich vorläufige Leistungen nach dem SGB II gemäß § 41a Abs. 1 Nr. 1 SGB II gewährt. Ermächtigungsgrundlage für den Erlass der Bescheide vom 03.11.2020 ist § 41a Abs. 3 S. 3 und 4 i.V.m Abs. 6 S. 2 und 3 SGB II. Nach § 41a Abs. 3 S. 3 SGB II setzen die Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende den Leistungsanspruch für diejenigen Kalendermonate nur in der Höhe abschließend fest, in welcher seine Voraussetzungen ganz oder teilweise nachgewiesen wurden, wenn die leistungsberechtigte Person oder die mit ihr in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen ihrer Nachweis- oder Auskunftspflicht bis zur abschließenden Entscheidung nicht, nicht vollständig oder trotz angemessener Fristsetzung und schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen nicht fristgemäß nachkommt. Für die übrigen Kalendermonate wird festgestellt, dass ein Leistungsanspruch nicht bestand (vom BSG als Nullfeststellungsregelung bezeichnet; vgl. BSG, Urteil vom 12.09.2018, Az.: B 4 AS 39/17 R). Soweit im Bewilligungszeitraum in einzelnen Kalendermonaten vorläufig zu hohe Leistungen erbracht wurden, sind gemäß § 41a Abs. 6 SGB II die sich daraus ergebenden Überzahlungen auf die abschließend bewilligten Leistungen anzurechnen, die für andere Kalendermonate dieses Bewilligungszeitraums nachzuzahlen wären. Überzahlungen, die nach der Anrechnung fortbestehen, sind zu erstatten. Das gilt auch im Fall des § 41a Abs. 3 S. 3 und 4 SGB II.
2. Für den hier streitigen Zeitraum Mai 2018 bis Oktober 2018 war festzustellen, dass ein Leitungsanspruch des Klägers nicht bestand. Der Kläger als Leistungsberechtigter im Sinne der §§ 7 und 9 SGB II ist seiner Nachweis- und Auskunftspflicht im Rahmen des ihm Möglichen nicht nachgekommen, obwohl er hierüber und über die Rechtsfolgen einer Verletzung der Nachweis- und Auskunftspflicht mehrfach ordnungsgemäß belehrt worden ist und ihm jeweils eine angemessene Frist gesetzt wurde.
Die Auskunftspflicht resultiert für den Kläger aus § 60 Abs. 1 S. 1 des Ersten Sozialgesetzbuchs (SGB I). Danach hat derjenige, der Sozialleistungen beantragt oder erhält, alle Tatsachen anzugeben, die für die Leistung erheblich sind, und auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers der Erteilung der erforderlichen Auskünfte durch Dritte zuzustimmen.
Da der Kläger mit seinem gastronomischen Betrieb selbständig tätig ist und hieraus Einkommen erzielt, hat er dieses für die einkommensabhängigen Leistungen nach dem SGB II nachzuweisen. Dem ist der Kläger bis zum Zeitpunkt der Entscheidung nicht nachgekommen. Er hat zwar die EKS vom 29.03.2019 nebst Kontoauszügen Mai 2018 bis Oktober 2018, sowie zusätzlich auf die von seinem steuerlichen Berater angefertigten Umsatzsteuervoranmeldungen Mai 2018 bis Oktober 2018 mit den jeweiligen BWA vorgelegt. Ohne Vorlage weiterer Nachweise sind diese jedoch unter Berücksichtigung der beklagtenseits aufgezeigten Ungereimtheiten nicht in sich schlüssig und damit auch nicht geeignet, nachvollziehbar Auskunft über die klägerische Einkommenssituation zu geben. Es fehlen nach wie vor:
- Belege für die Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben für die Zeit vom 01.05.2018 bis 31.10.2018
- Herkunft der Bareinzahlungen auf seinem Geschäftskonto
- Anlass der schwankenden Geschäftsraummiete
- Anlass der Rückbuchung der gezahlten Geschäftsraummiete und Energiekosten
Ohne Vorlage dieser zusätzlichen Nachweise, mithin ohne Mitwirkung seitens des Klägers, war es weder dem Beklagten noch ist es dem Gericht im Rahmen der Amtsermittlungspflicht möglich, den Sachverhalt weiter aufzuklären.
Zu berücksichtigen ist ferner die Aussage des Zeugen H, nach welcher der Kläger vor ihm geäußert habe, Arbeitslosengeld II nur deswegen beantragt zu haben, sodass er gesetzlich krankenversichert sei. Das erkennende Gericht wertet diese Aussage als Indiz, dass der Kläger ein ausreichend hohes Einkommen erzielt, dass er eigentlich nicht auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II angewiesen wäre. Zumindest sind vor diesem Hintergrund an die Nachweispflicht des Klägers höhere Anforderungen zu stellen als wenn ihm unverschuldet der Nachweis nicht möglich gewesen wäre. Die erkennende Kammer muss sich diesbezüglich den Bedenken der Beklagtenseite anschließen, dass weitere Einnahmequellen bestehen, die der Kläger noch nicht angegeben hat. Es erscheint lebensfremd, dass die besagten Unterlagen, die der Kläger als Nachweis vorgibt, nicht zu haben, seit dem Jahre 2018 bei seiner Steuerberaterin verharren bzw. ihm über die Jahre hinweg unmöglich gewesen sein mag, die Unterlagen zurückzufordern. Weitere Ermittlungen seitens des Gerichts waren diesbezüglich nicht veranlasst. Unter Berufung auf die Aussage des Zeugen H, der Kläger sei aus betriebswirtschaftlicher Sicht mit seinem Gewerbe maßlos überfordert, sind sogar Zweifel an die Korrektheit der eingereichten Anlage EKS zu richten.
Da der Kläger bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung seiner Nachweispflicht nicht genügen konnte, war die Klage abzuweisen.
II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 S. 1 SGG.