L 7 KA 16/19

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
7.
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 1 KA 17/18
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 7 KA 16/19
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Der Prüfantrag der Krankenkassen hat eine die Ausschlussfrist hemmende Wirkung, wenn er innerhalb der Ausschlussfrist von vier Jahren gestellt wurde und der Vertragsarzt von ihm Kenntnis erlangt. Die Kenntnisnahme des Vertragsarztes kann hierbei auch nach Ablauf der Ausschlussfrist erfolgen, solange dies unverzüglich („ohne schuldhaftes Zögern“) geschieht.

Die Berufung der Beigeladenen zu 1) gegen das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 13. Februar 2019 wird zurückgewiesen.

 

Die Beigeladene zu 1) trägt die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 2), die diese selbst trägt.

 

Die Revision wird zugelassen.

 

 

Tatbestand

 

 

Der Kläger wendet sich gegen einen Arzneimittelregress wegen einer Verordnung des Arzneimittels Actos im Quartal IV/13.

 

Der Kläger ist als Facharzt für Innere Medizin/Hausarzt zur vertragsärztlichen Versorgung in G zugelassen.

 

Er verordnete am 16. Dezember 2013 dem bei der Beigeladenen zu 2) versicherten und an einem Diabetes mellitus Typ 2 leidenden W O. das Medikament Actos. Die Kosten hierfür beliefen sich nach Abzug gesetzlicher Rabatte auf 184,90 Euro.

 

Am 19. Dezember 2017 beantragte die Beigeladene zu 2) bei der Beklagten für diese Verordnung die Festsetzung eines Regresses gegenüber dem Kläger in Höhe von 184,90 Euro. Das Medikament sei nach § 16 Abs. 3 der Richtlinie des GBA über die Verordnung von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (Arzneimittel-Richtlinie/AM-RL), Anlage III Nr. 49 nicht verordnungsfähig.

 

Mit Schreiben vom 4. Januar 2018 hörte die Beklagte den Kläger hierzu an. Der Kläger wies die Regressforderung als verjährt zurück und verwies darauf, dass ein Prüfantrag der Krankenkassen nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) die Ausschlussfrist nur dann hemme, wenn dem Vertragsarzt der entsprechende Antrag noch vor Ablauf der Ausschlussfrist zur Kenntnis gegeben werde. Er habe aber erst mit Eingang des Anhörungsschreibens am 8. Januar 2018 von der Regressforderung Kenntnis erlangt.

 

Mit Bescheid vom 9. Februar 2018 setzte die Beklagte gegenüber dem Kläger für die Verordnung des Arzneimittels Actos am 16. Dezember 2013 einen Regress in Höhe von 184,90 Euro fest. Der Antrag sei innerhalb der Ausschlussfrist von vier Jahren gestellt worden. Diese beginne für Verordnungsregresse unmittelbar nach Ablauf des Quartals, dem die Verordnung kostenmäßig zugeordnet sei, und ende hier am 31. Dezember 2017. Die Verjährung sei durch die rechtzeitige Stellung des Prüfantrags gehemmt worden. Der Regressforderung liege zugrunde, dass das verschreibungspflichtige Arzneimittel Actos (Wirkstoff Pioglitazon aus der Gruppe der Glitazone) als Zweit- oder Drittlinientherapie des Typ 2 Diabetes mellitus eingesetzt werde, Glitazone zur Behandlung des Typ 2 Diabetes mellitus aber von der Verordnung zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ausgeschlossen seien. Der Krankenkasse sei daher ein Schaden in Höhe von 184,90 Euro entstanden.

 

Hiergegen hat der Kläger am 6. März 2018 Klage erhoben. Er hat sich weiterhin auf die Verjährung der Regressforderung berufen. Dem hat die Beklagte im Wesentlichen entgegengehalten, dass das Bundessozialgericht zwar die Kenntnis des Vertragsarztes vorausgesetzt habe, aber nicht die Kenntnisnahme noch innerhalb der Ausschlussfrist. Dies könne auch nicht gemeint sein, da die Krankenkassen den Antrag verjährungsunterbrechend auch erst am letzten Tag der Ausschlussfrist stellen könnten. Zudem habe die Krankenkasse keinen Einfluss darauf, wann die Prüfgremien den Vertragsarzt in Kenntnis setzten. Die Krankenkasse habe keine Möglichkeit, den Prüfantrag dem Arzt unmittelbar zuzuleiten.

 

Das Sozialgericht Potsdam hat die Klage mit Urteil vom 13. Februar 2019 abgewiesen und die Berufung zugelassen. Es hat im Wesentlichen ausgeführt: Die Festsetzung des Arzneimittelregresses sei rechtmäßig erfolgt. Die Nichteinhaltung der in § 20 Abs. 4 der in Brandenburg geltenden Prüfvereinbarung über das Verfahren zur Wirtschaftlichkeitsprüfung in der vertragsärztlichen Versorgung nach     § 106 SGB V (Prüfvereinbarung, im Folgenden PrüfV) geregelten Prüfantragsfrist von zwölf Monaten nach Abschluss des Prüfquartals sei unerheblich, da es sich nur um eine Ordnungsvorschrift handele, deren Verletzung nicht zum Untergang des Prüfanspruchs führe. Dem Interesse des Vertragsarztes, nicht damit rechnen zu müssen, dass noch nach Jahr und Tag ein Prüf- und Regressverfahren gegen ihn durchgeführt werde, diene die Vierjahresfrist, beginnend nach dem Ende des Quartals, in das der Verordnungszeitraum falle. Anders als bei der Festsetzung eines sog. sonstigen Schadens, wo eine Verjährung eintreten könne, unterliege die Festsetzung von Regressen wegen der Verordnung von Arzneimitteln, die der Arzt nicht hätte verordnen dürfen, einer vierjährigen Ausschlussfrist. Diese habe am 31. Dezember 2017 geendet. Durch den am 19. Dezember 2017 gestellten Prüfantrag der Beigeladenen zu 2) sei in entsprechender Anwendung des § 204 Abs. 1 Nr. 12 HS 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) wie auch des § 45 Abs. 3 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) eine Hemmung der Ausschlussfrist eingetreten. Das BSG habe den Eintritt der hemmenden Wirkung des Prüfantrags davon abhängig gemacht, dass der Vertragsarzt davon Kenntnis erlange, was vorliegend durch den Erhalt des Schreibens vom 4. Januar 2018 erfolgt sei. Dass die Kenntnisnahme außerhalb der Vierjahresfrist erfolgt sei, sei unschädlich. Zum einen habe das BSG die Kenntnisnahme nicht an einen bestimmten Zeitpunkt geknüpft, insbesondere nicht ausdrücklich darauf abgestellt, dass diese innerhalb der Ausschlussfrist erfolgen müsse. Zum anderen sei bereits nach dem Wortlaut des § 45 Abs. 3 S. 1 SGB I i.V.m. § 204 Abs. 1 Nr. 12 BGB die Kenntnisnahme nicht notwendig. Letztlich könne die Krankenkasse den Antrag bis zum Ablauf der Ausschlussfrist stellen, was hier der 31. Dezember 2017 gewesen wäre. Gehe ein Antrag am letzten Tag des Fristablaufes – mithin rechtzeitig – ein, werde es der Beklagten kaum möglich sein, den betroffenen Arzt davon noch innerhalb der Ausschlussfrist in Kenntnis zu setzen. Der Beklagte habe hier zeitnah den Vertragsarzt in Kenntnis gesetzt.

 

Der Bescheid sei auch nicht inhaltlich zu beanstanden. Versicherte hätten gem. § 27 Abs. 1 S. 1 und 2 Nr. 3 SGB V i.V.m. § 31 Abs. 1 S. 1 SGB V im Rahmen des Anspruchs auf Krankenbehandlung auch Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln, soweit die Arzneimittel nicht nach § 34 SGB V oder durch Richtlinien nach § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 SGB V ausgeschlossen seien. Arzneimittel, bei denen letzteres der Fall sei, könnten vom Vertragsarzt nur ausnahmsweise in medizinisch begründeten Einzelfällen mit Begründung verordnet werden (§ 31 Abs. 1 S. 4 SGB V). Das Arzneimittel Actos sei ein Antidiabetikum, welches zur Behandlung von Diabetes mellitus Typ 2 (nicht insulinpflichtig) bei Erwachsenen angewendet werde. Es enthalte Pioglitazon. Mit Beschluss vom         17. Juni 2010 habe der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) die Änderung der Anlage III AM-RL beschlossen und Glitazone, wozu auch Pioglitazon zähle, zur Behandlung des Diabetes mellitus Typ 2 von der Verordnung ausgeschlossen (Nr. 49 der Anlage III AM-RL). Die Änderung der AM-RL sei zum 1. April 2011 in Kraft getreten. Ein Ausnahmetatbestand, also ein medizinisch begründeter Einzelfall, liege nicht vor, und werde vom Kläger auch nicht geltend gemacht.

 

Gegen das ihr am 18. März 2019 zugestellte Urteil hat die Beigeladene zu 1) am     28. März 2019 Berufung eingelegt. Zu deren Begründung trägt sie vor: Die Beklagte hätte den Arzneimittelregress nicht festsetzen dürfen, da die vierjährige Ausschlussfrist bereits abgelaufen gewesen sei. Die Hemmung trete entgegen der Auffassung des Sozialgerichts nur ein, wenn auch die Kenntnisnahme des Prüfantrags durch den Vertragsarzt innerhalb der Ausschlussfrist stattgefunden habe. Dies ergebe sich aus mehreren Entscheidungen des BSG (Urteil vom 5. Mai 2010, B 6 KA 5/09; Urteil vom 18. August 2010, B 6 KA 14/09 R; Urteil vom 15. August 2012, B 6 KA 27/11 R), wonach die Kenntnisnahme des Arztes im Gleichklang zu erfolgen habe, und es darauf ankomme, während der Ausschlussfrist das Vertrauen auf eine Nichtbeanstandung seines Verordnungsverhaltens zu zerstören. Fristen dienten der Rechtsklarheit und dem Rechtsfrieden. Der Schutz des Vertrauens, eine durch Fristablauf erlangte Rechtsposition nicht zeitlich unbegrenzt wieder zu verlieren, spiele eine große Rolle. Es diene der Rechtsklarheit, wenn der betroffene Arzt Kenntnis von Regressanträgen innerhalb der Ausschlussfrist erhalte. Klarheit ergebe sich nur aus einem festen zeitlichen Ende der Frist auch für die Kenntnisnahme des Arztes. Die Krankenkasse könne außerdem zur Einhaltung der Frist den Arzt auch unmittelbar über ihren Prüfantrag in Kenntnis setzen.

 

 Die Beigeladene zu 1) beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 13. Februar 2019 und den Bescheid der Beklagten vom 9. Februar 2018 aufzuheben.

 

 

Die Beklagte beantragt,

            die Berufung zurückzuweisen.

 

Sie verweist auf die Gründe des erstinstanzlichen Urteils. Die Beigeladene zu 1) verkenne, dass das BSG in den zitierten Entscheidungen nicht das Erfordernis aufgestellt habe, dass der betroffene Vertragsarzt innerhalb der Ausschlussfrist über den Prüfantrag in Kenntnis gesetzt werden müsse. Der § 45 Abs. 3 S. 1 SGB I i.V.m. § 204 Abs. 1 Nr. 12 BGB stelle nur auf die Antragsstellung bei der Behörde ab.

 

Der Kläger schließt sich dem Vortrag der Beigeladenen zu 1) an. Die Beigeladene zu 2) verweist auf das erstinstanzliche Urteil. Einen Antrag haben beide nicht gestellt.

 

Wegen des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird im Übrigen auf den Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs der Beklagten Bezug genommen, der, soweit wesentlich, Gegenstand der Erörterung in der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung war.

 

Entscheidungsgründe

 

Die Berufung der Beigeladenen zu 1) gegen das Urteil des Sozialgerichts vom        13. Februar 2019 ist zulässig. Die Berufung war aufgrund des Streitwerts von 184,90 Euro zulassungsbedürftig (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG]); an die von dem Sozialgericht vorgenommene Zulassung der Berufung ist der Senat gebunden (§ 144 Abs. 3 SGG).

 

Die Beigeladene zu 1) ist gem. § 69 Nr. 3 SGG Beteiligte des Rechtsstreits und damit wegen der Rechtskraftwirkung gem. § 141 Abs. 1 Nr. 1 SGG rechtsmittelberechtigt (Schreiber, in Fichte/Jüttner, SGG, 3. Aufl. 2020, § 143 SGG, Rn. 8). Bei Beigeladenen ist die Zulässigkeit des Rechtsmittels davon abhängig, ob sie materiell beschwert sind. Die Beigeladene zu 1) ist rechtsmittelbefugt, weil sie aufgrund ihrer Gesamtverantwortung für eine den gesetzlichen und vertraglichen Erfordernissen entsprechende Durchführung der vertragsärztlichen Versorgung eine Betroffenheit in eigenen Rechten geltend machen kann (BSG, Beschluss vom         25. März 2015, B 6 KA 48/14 B, zitiert nach juris, dort Rn. 12; Ulrich, in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl., § 106c SGB V [Stand: 15.12.2021], Rn. 152).

 

Die Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid vom 9. Februar 2018 über die Festsetzung des Arzneimittelregresses ist rechtmäßig.  

 

Rechtsgrundlage für die Festsetzung von Arzneimittelregressen ist § 106 Abs. 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) in der Fassung vom 19. Oktober 2012. Danach wird die Wirtschaftlichkeit der Versorgung durch arztbezogene Prüfungen ärztlicher und ärztlich verordneter Leistungen, entweder am Maßstab von Richtgrößenvolumina (S. 1 Nr. 1) und/oder anhand von Stichproben (S. 1 Nr. 2), geprüft. Über diese Prüfungsarten hinaus können die Landesverbände der Krankenkassen und die Ersatzkassen gemeinsam und einheitlich mit den Kassenärztlichen Vereinigungen andere arztbezogene Prüfungsarten vereinbaren    (S. 4). In den Verträgen ist auch festzulegen, unter welchen Voraussetzungen Einzelfallprüfungen durchgeführt und pauschale Honorarkürzungen vorgenommen werden; festzulegen ist ferner, dass die Prüfungsstelle auf Antrag der Kassenärztlichen Vereinigung, der Krankenkasse oder ihres Verbandes Einzelfallprüfungen durchführt (§ 106 Abs. 3 S. 3 SGB V in der Fassung vom          19. Oktober 2012).

 

Nach § 21 S. 1 der Prüfvereinbarung (PrüfV) in der Fassung vom 27. Juni 2013 entscheidet die Prüfungsstelle auf begründeten Antrag der Antragsberechtigten nach § 5 PrüfV (die KVBB, die Krankenkassen oder ihre Verbände) im Einzelfall und unter Berücksichtigung des Wahltarifes des Versicherten über einen Anspruch auf Schadensersatz wegen Verordnung von Leistungen, die durch das Gesetz oder durch die Richtlinien gem. § 92 SGB V ausgeschlossen sind. Gem. § 20 Abs. 3 und 4 PrüfV, die gem. § 21 S. 2 PrüfV entsprechend gelten, entscheidet die Prüfungsstelle darüber, ob und in welcher Höhe der Krankenkasse durch Verletzung vertraglicher Pflichten des Vertragsarztes ein zu ersetzender Schaden entstanden ist (Abs. 3). Die Anträge auf Prüfung können nur innerhalb einer Frist von 12 Monaten nach Abschluss des Quartals gestellt werden, in dem der Verstoß vermutet wird (Abs. 4).

 

Die durchgeführte Einzelfallprüfung ist hinsichtlich der Annahme der Unwirtschaftlichkeit wie auch der Höhe des festgesetzten Regresses nicht zu beanstanden. Das Arzneimittel Actos durfte zum Verordnungszeitpunkt nicht zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnet werden. Der Senat nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen nach eigener Sachprüfung diesbezüglich auf Seite 7 und 8 der Gründe der erstinstanzlichen Entscheidung Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG).

 

Die Festsetzung des Regresses ist auch nicht wegen Zeitablaufs ausgeschlossen.

 

Dass die Beigeladene zu 2) den Prüfantrag entgegen § 20 Abs. 4 PrüfV erst nach Ablauf von 12 Monaten gestellt hat, führt nicht dazu, dass die Beklagte an der Feststellung eines Schadens nach § 21 PrüfV gehindert ist.

 

Nach ständiger Rechtsprechung des BSG sind die Fristen für die Beantragung eines Prüfverfahrens, die in Prüfvereinbarungen gemäß § 106 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 S. 4, Abs. 5a S. 5, Abs. 5b S. 2 SGB V festgelegt worden sind, nicht zum Schutz des Vertragsarztes normiert, sondern sie dienen dem Interesse an der Verfahrensbeschleunigung und der effektiven Verfahrensdurchführung (BSG, Urteil vom 29. Juni 2011, B 6 KA 16/10 R, zitiert nach juris, dort Rn. 27 m.w.N.). Ein Verstreichen solcher Ordnungsfristen stellt daher kein Hindernis für die Verfahrensdurchführung bzw. für eine Sachentscheidung der Prüfungsstelle dar (BSG, Urteil vom 29. Juni 2011, a.a.O., zitiert nach juris, dort Rn. 27). Dem Interesse des Vertragsarztes, nach längerer Zeit nicht mehr mit der Durchführung von Prüf- und Regressverfahren rechnen zu müssen, wird vielmehr durch die vierjährige Ausschlussfrist Rechnung getragen (BSG, Urteil vom 29. Juni 2011, a.a.O., zitiert nach juris, dort Rn. 27).

 

Die Festsetzung des Regresses war auch nicht wegen des Ablaufs der Ausschlussfrist ausgeschlossen.

 

Arzneimittelregresse, die auf einer Verordnung eines nicht zu Lasten der GKV verordnungsfähigen Arzneimittels beruhen, unterliegen nach der Rechtsprechung des BSG – anders als die Feststellung eines sonstigen Schadens – zwar nicht der Verjährung (BSG, Urteil vom 5. Mai 2010, B 6 KA 5/09 R, zitiert nach juris, dort Rn. 18ff). Für sie gilt aber eine Ausschlussfrist von vier Jahren, beginnend nach dem Ende des Quartals, in das der Verordnungszeitraum fällt (BSG, Urteil vom 14. Mai 2014, B 6 KA 13/13 R, zitiert nach juris, dort Rn. 24; Urteil vom 5. Mai 2010, a.a.O., zitiert nach juris, dort Rn. 18ff). Da es um die Festsetzung eines Regresses für das IV. Quartal 2013 geht, begann die Ausschlussfrist mit dessen Ablauf und endete vier Jahre später am 31. Dezember 2017.

 

Der Bescheid vom 9. Februar 2018, mit dem die Beklagte gegenüber dem Kläger den Arzneimittelregress in Höhe von 184,90 Euro festgesetzt hat, ist damit nicht innerhalb der Ausschlussfrist ergangen.

 

Dies ist aber unbeachtlich, weil die Ausschlussfrist vorliegend durch den am            19. Dezember 2017 gestellten Prüfantrag der Beigeladenen zu 2) unterbrochen bzw. gehemmt worden ist.

 

Die Möglichkeit einer Unterbrechung bzw. Hemmung der Ausschlussfrist für den Erlass von Prüf- und Richtigstellungsbescheiden folgt nach der Rechtsprechung des BSG aus der entsprechenden Anwendung des § 45 SGB I über die Unterbrechung bzw. Hemmung der Verjährung (BSG, Urteil vom 5. Mai 2010, B 6 KA 5/09 R, zitiert nach juris, dort Rn. 34 m.w.N.). Die Anwendung einzelner Verjährungsvorschriften, insbesondere der über die Unterbrechung bzw. Hemmung der Verjährung, auf Ausschlussfristen ist trotz der Unterschiede zwischen Verjährung und Ausschlussfrist laut BSG nicht ausgeschlossen und auch im bürgerlichen Recht anerkannt.

 

Die Ausschlussfrist wurde vorliegend durch die Stellung des Prüfantrags in entsprechender Anwendung des § 204 Abs. 1 Nr. 12 HS 1 BGB wie auch des § 45 Abs. 3 SGB I gehemmt bzw. unterbrochen. Nach § 204 Abs. 1 Nr. 12 HS 1 BGB wird die Verjährung durch die Einreichung des Antrags bei einer Behörde gehemmt, wenn die Zulässigkeit der Klage von der Vorentscheidung dieser Behörde abhängt und innerhalb von drei Monaten nach Erledigung des Gesuchs die Klage erhoben wird. Eine "Vorabentscheidung" einer Behörde stellen auch die Entscheidungen der Prüfungsstellen nach § 106 SGB V dar (BSG, Urteil vom 5. Mai 2010, B 6 KA 5/09 R, zitiert nach juris, dort Rn. 41). Das BSG hält eine Anwendung des § 204 Abs. 1 Nr. 12 BGB im Vertragsarztrecht deswegen für geboten, weil nur so den hier bestehenden Besonderheiten Rechnung getragen werden kann. Wegen der hier maßgeblichen Trennung der Rechtskreise bestehen keine unmittelbaren Rechtsbeziehungen zwischen dem "Gläubiger" (der Krankenkasse) und dem "Schuldner" (dem Vertragsarzt). Die Krankenkasse hat im Regelfall keine Möglichkeit, den Vertragsarzt unmittelbar "in Regress" zu nehmen. Vielmehr ist nach den gesetzlichen Vorgaben die Festsetzung eines Regresses ausschließlich den Gremien der gemeinsamen Selbstverwaltung von Ärzten und Krankenkassen zugewiesen (vgl. § 106 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Abs. 5 Satz 1 SGB V). Eine Krankenkasse, die einen Regressanspruch gegen einen Vertragsarzt durchsetzen möchte, ist daher auf ein Tätigwerden der Prüfgremien angewiesen.

 

Zum selben Ergebnis führt eine entsprechende Anwendung des § 45 Abs. 3 SGB I. Danach wird die Verjährung neben den im BGB genannten - nach § 45 Abs. 2 SGB I entsprechend anwendbaren - Fällen auch durch schriftlichen Antrag auf die Sozialleistung oder durch Erhebung eines Widerspruchs gehemmt (BSG, Urteil vom 5. Mai 2010, B 6 KA 5/09, zitiert nach juris, dort Rn. 47).

 

Somit reicht es im Vertragsarztrecht aus, dass die vom Tätigwerden eines Dritten abhängige Krankenkasse ihr Recht geltend macht, indem sie den Prüfantrag innerhalb der Ausschlussfrist stellt. Um allerdings die Rechte des ebenfalls von einer Entscheidung der Prüfgremien abhängigen Vertragsarztes zu wahren, hat das BSG den Eintritt einer die Ausschlussfrist unterbrechenden bzw. hemmenden Wirkung des Prüfantrags davon abhängig gemacht, dass der Anspruchsgegner - der Vertragsarzt - von der Stellung des Prüfantrages Kenntnis erlangt (BSG, Urteil vom 5. Mai 2010, B 6 KA 5/09 R, zitiert nach juris, dort Rn. 46), ohne sich allerdings dazu zu verhalten, ob die Kenntnisnahme des Vertragsarztes auch innerhalb der Ausschlussfirst erfolgen muss. Entgegen der Auffassung der Beigeladenen zu 1) führt das BSG auch in den Entscheidungen vom 18. August 2010, B 6 KA 14/09 R und vom 15. August 2012, B 6 KA 27/11 R nicht aus, dass die Kenntnisnahme innerhalb der Frist zu erfolgen hat.

 

Der von der Beigeladenen zu 1) zitierte Abschnitt des Urteils vom 5. Mai 2010, a.a.O., zitiert nach juris, dort Rn. 37, bei dem es um die verjährungshemmende Wirkung einer Untätigkeitsklage der Krankenkasse gegenüber dem Prüfgremium geht, ist nach Überzeugung des Senats nicht so zu verstehen, dass das BSG die Kenntnisnahme des Vertragsarztes innerhalb der Ausschlussfrist voraussetzt. In dem dort zitierten Urteil des BSG vom 20. September 1995, 6 RKa 40/94, wird die Kenntnisnahme des Vertragsarztes durch dessen Beiladung innerhalb der Ausschlussfrist gewahrt, allerdings lässt das BSG ausdrücklich offen, was zu gelten hätte, wenn die Zustellung des Beiladungsbeschlusses nicht innerhalb der Frist erfolgt wäre (zitiert nach juris, dort Rn. 33).

 

Das Sozialgericht ist nach Überzeugung des Senats zu Recht davon ausgegangen, dass die Kenntnisnahme nicht innerhalb der Vierjahresfrist erfolgen muss (so auch das SG Mainz, Urteil vom 31. Januar 2018, S 8 KA 266/15, zitiert nach juris, dort Rn. 40). Denn um die Kenntnisnahme des Vertragsarztes innerhalb der Ausschlussfrist sicherzustellen, müsste die Krankenkasse rechtzeitig vor Ablauf der Frist den Prüfantrag stellen, was eine Verkürzung der Vierjahresfrist zur Folge hätte (SG Mainz, Urteil vom 31. Januar 2018, S 8 KA 266/15, zitiert nach juris, dort Rn. 40). Entgegen der Auffassung der Beigeladenen zu 1) setzt die Kenntnisnahme des Arztes immer eine Weiterleitung des Prüfantrags durch die Beklagte voraus. Die vom BSG der Entscheidung zugrunde gelegte und für das Vertragsarztrecht typische Trennung der Rechtskreise, die eben keine unmittelbaren Rechtsbeziehungen zwischen der Krankenkasse und dem Vertragsarzt vorsieht, hat zur Konsequenz, dass eine direkte Mitteilung der Krankenkasse an den Vertragsarzt im Prüfverfahren nicht denkbar ist. Auch die Prüfvereinbarung, welche die Beigeladene zu 1) mit abgeschlossenen hat, sieht eine Weiterleitung vor. Gem. § 5 Abs. 5 PrüfV sind die Anträge auf Prüfung den Verfahrensbeteiligten, soweit sie nicht Antragsteller sind, sowie dem betroffenen Vertragsarzt von der Prüfungsstelle unter Benennung des Antragstellers, des Antragsgrundes und des betreffenden Zeitraums „unverzüglich“ bekannt zu geben.

Der Senat hält es für ausreichend, wenn der Vertragsarzt nach Ablauf der Ausschlussfrist von dem Prüfantrag Kenntnis erlangt. Allerdings muss die Beklagte den Vertragsarzt nach Überzeugung des Senats unverzüglich – also „ohne schuldhaftes Zögern“, vgl. § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB –  in Kenntnis setzen, was auch der Regelung in § 5 Abs. 5 PrüfV entspricht.

 

Der Kläger wurde von der Beklagten in diesem Sinne unverzüglich in Kenntnis gesetzt. Die Beklagte hat den Kläger mit Schreiben vom 4. Januar 2018, also etwa zwei Wochen nach Stellung des Prüfantrages bei dazwischen liegenden Weihnachtsfeiertagen, über den Prüfantrag informiert. Der Senat verkennt nicht, dass damit dem Interesse des Vertragsarztes an Rechts- bzw. Verordnungssicherheit erst verspätet, und zwar kurz nach Ablauf der Vierjahresfrist Genüge getan wird. Angesichts dessen, dass die Alternative (Kenntnisnahme innerhalb der Frist, Stellung des Prüfantrags ausreichend vor Fristablauf) aber eine noch größere Rechtsunsicherheit bezüglich der Wahrung der Frist mit sich brächte, da völlig unklar wäre, wann der Prüfantrag der Krankenkasse dann spätestens bei der Beklagten eingehen müsste, hält der Senat dies für sachgerecht. Eine zeitnahe, ohne schuldhaftes Zögern erfolgende Weiterleitung ist allerdings unabdingbar, um den berechtigten Interessen des Vertragsarztes hinreichend Rechnung zu tragen. Eine Kenntnisnahme „in gewisser zeitlicher Nähe zur Antragstellung (…) z.B. innerhalb der nächsten sechs Monate nach Antragstellung“, welche das SG Mainz für ausreichend hält (Urteil vom 31. Januar 2018, S 8 KA 266/15, zitiert nach juris, dort Rn. 40), löst dagegen den Widerspruch zwischen den Interessenlagen nicht ausreichend auf.

 

Eine Bestätigung seiner Rechtsauffassung sieht der Senat darin, dass sie den vorliegenden Sachzusammenhang den zivilprozessualen Regelungen zur Hemmung der Verjährung annähert: Nach § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB wird die Verjährung zwar nur durch „Erhebung der Klage“ gehemmt; erhoben wird die Klage durch Zustellung der Klagschrift beim Beklagten (§ 253 Abs. 1 ZPO); zur fristwahrenden Klageerhebung vor Verjährungsvollendung kann aber auch die Einreichung der Klage reichen, wenn die Zustellung beim Gegner „demnächst“ erfolgt, § 167 ZPO (vgl. Lakkis in: Herberger/Martinek/ Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 9. Aufl., § 204 BGB, Rdnr. 13). 

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 2 VwGO.

 

Der Senat hat die Revision trotz der Neuregelung in § 106 Abs. 3 S. 4 und 5 SGB V wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtsfrage, ob die Kenntnisnahme des Vertragsarztes innerhalb der Ausschlussfrist zu erfolgen hat, zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).

 

Rechtskraft
Aus
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